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Ironie des Schicksals

„PlingPlongPläng!“ tönte es verheißungsvoll aus dem Schlafzimmer. Oh, wie Natascha dieses Geräusch liebte. Teilte es ihr doch klangvoll mit, dass sie eine neue Nachricht im Chat bekommen hatte. Neben der Arbeit als Sekretärin, die sie voll und ganz ausfüllte und ihr einen guten Lebensstandard bescherte, war das visuelle Kommunizieren zu Nataschas Lieblingshobby geworden. Nein, das war noch untertrieben. Es war mittlerweile zu einer Obsession geworden, zu einem täglichen Ritual. Nach Feierabend besorgte sie sich etwas zu essen, fuhr nach Hause, schaltete den Laptop ein und ging unter die Dusche. Auf diese Weise saß sie immer direkt in Arbeitsmontur vor dem Monitor. Nur mit einem Bademantel bekleidet machte sie es sich auch heute Abend vor dem Laptop bequem. Neben der Tastatur duftete ein leckerer Cappuccino, der sie von innen wärmte, während draußen weiß glitzernde Schneeflocken im Schein der Straßenlaterne tanzten. Heute Abend war sie mit Martin, einem alternden Playboy und Bankberater, verabredet. Er war viel älter als sie, aber durchaus attraktiv. Und er konnte es immer kaum erwarten, bis sie am Abend auf seine Zeilen antwortete und ihm im Zuge dessen schlüpfrige Fotos von sich sendete. Frauen seines Alters interessierten den Kreditmanager nicht, denn diese waren in der Regel nicht so zeigefreudig und ansehnlich wie seine Natascha. Er brauchte auch keine Frau auf Augenhöhe, Schwanzhöhe reichte ihm vollkommen und genau das gab Natascha ihm und genoss es in vollen Zügen. Dabei war Martin bei weitem nicht der einzige Mann, den sie mit ihren Zeilen und erotischen Bildern um den Verstand brachte. Nein, sie hatte mittlerweile eine eingefleischte Fangemeinde, die sich um die bildhübsche Endzwanzigerin riss:

Der Langzeitstudent Adam war zwar nicht ganz ihr Typ, aber er war klug und trug eine niedliche, kleine Nickelbrille. Der blonde Norman hingegen brachte sie mit seinen Zeilen regelmäßig um den Verstand und er war der einzige, den Natascha auch gern real mal getroffen hätte. Der Physiotherapeut war ein absoluter Hingucker, eben eine echte Sahneschnitte. Zu guter Letzt gab es dann noch Steve, den dunkelhäutigen, durchtrainierten Afrikaner, der in Paris wohnte. Ebenfalls sehr attraktiv und mit ihm chattete sie nur in englischer Sprache. Das war zum Teil wirklich amüsant und interessant. Besonders, da er ihr auch immer wieder mal wunderschöne Fotos aus Paris zukommen ließ.

Der heutige Abend – wie jeder Mittwoch – aber war für Martin, den Banker, reserviert. Jeder ihrer Männer hatte seinen eigenen Tag. Martin war heute wieder besonders geil und wäre am liebsten zu Natascha nach Haus gefahren um sie zu vernaschen, aber bisher konnte er sie nicht dazu überreden. Die junge Sekretärin dachte überhaupt nicht daran, auch nur einen ihrer männlichen Verehrer jemals zu treffen. Abgesehen von Norman, dem Physiotherapeuten. Er war tatsächlich der einzige, bei dem sie im Chat ehrlich war. Bei ihm war sie wirklich erregt und verwöhnte sich regelmäßig selbst vor dem Laptop. Ihm spielte sie nichts vor. Die anderen Kerle selbst waren ihr so ziemlich egal, lediglich die Schreiberei mit ihnen brauchte sie wie das täglich Brot. Den Freitagabend hingegen konnte sie immer kaum erwarten, denn das war der Norman-Tag. Der Physiotherapeut beschrieb stets ganz genau, wie er sie erst einmal mit seinem Zauberöl massieren würde und Natascha sich somit wunderbar entspannen könnte. Dass herrliche Klänge dabei ihre Ohren verwöhnen und es dann langsam in eine erotische Massage übergehen würde. Der Stuhl, auf dem sie immer am Schreibtisch saß, wurde nur bei Norman derart nass, weil er sie unsagbar erregte mit seinen Zeilen und den Fotos, die er ihr schickte. Auf denen sah sie seinen knüppelharten Schwanz, der ihr einladend entgegen sprang. Vor Erregung so feucht glänzend, dass die Sekretärin sofort Lust verspürte, ihn umgehend in den Mund zu nehmen und zu blasen. Auch von seinem beträchtlich muskulösen Oberkörper schickte er ihr Bilder und auch diese verfehlten nicht ihre Wirkung auf Natascha. In Gedanken hatte sie schon zigmal mit ihrer kleinen Zunge seine harten Nippel geleckt und ist durch seinen Bauchnabel gefahren. Hat seine Brust mit zarten Küssen bedeckt und ist dann mit ihren Lippen nach unten gewandert zu seinem besten Stück. Ach herrje, wie gern sie das in der Realität getan hätte! Bei den anderen Männern war sie nicht erregt, sondern aufgeregt, weil sie so mit ihnen spielen konnte. Weil sie ihr derart verfallen waren und das genoss sie in vollen Zügen. Ihre herrlich vollen Brüste waren eine vortreffliche Waffe für ihre Zwecke und auch ihre saftige, hellrosa Vagina kam unglaublich gut bei den von ihr auserwählten Herren an. Der Vorteil ihres noch jungen Alters. Sie war eben noch knackig und ausgesprochen hübsch, was sie gern zu ihrem Vorteil nutzte, auch bei ihrem Chef. Natascha war in unglaublich kurzer Zeit zu seiner persönlichen Chefsekretärin geworden. Diese Tatsache verbesserte das Klima in ihrer Firma nicht wirklich, da die Frauen dort sie ohnehin nicht mochten. Nicht nur, weil alle fast doppelt so alt wie Natascha waren, sondern auch, weil sie wussten, wie die junge Frau in der kurzen Zeit zu dem von allen begehrten Job gekommen war.

Heute war Freitag und Natascha beeilte sich entsprechend um nach Hause zu kommen. Sie besorgte sich eine Lasagne bei ihrem Lieblingsitaliener, stellte sie warm und sich selbst unter die Dusche. Aber irgendetwas war heute anders. Schon auf dem Weg nach Hause fühlte sie sich komisch. Als würde sie verfolgt oder beobachtet werden. Sah immer wieder einen dunklen Schatten, auch jetzt, als sie im Bademantel ins Schlafzimmer an den geliebten Schreibtisch wollte. Da war doch jemand vor dem Fenster! Sie hatte es ganz genau gesehen. Ein Schreck durchfuhr sie unwillkürlich. War ihr etwa jemand gefolgt? Instinktiv ließ sie alle Rollos in ihrer Wohnung herunter und ging ins Schlafzimmer. Ablenkung würde ihr jetzt gut tun, dachte sie sich. Doch dann klingelte es an ihrer Wohnungstür. Wie gewohnt war sie nur mit ihrem Bademantel bekleidet und war sehr froh über die Gegensprechanlage, über die ihr kleines Heim verfügte.

„Mach auf, du kleines Luder“, kam es fast geflüstert durch die Anlage.

„Wer sind Sie?“ fragte Natascha fröstelnd und schnallte ihren Bademantel noch enger um sich.

„Ich weiß, heute ist zwar nicht Mittwoch, aber ich musste dich sehen, Natascha!“

In Nataschas Kopf wütete ein Gedankenkarussell.

„Martin? Bist du das?“ fragte die Sekretärin ungläubig und schlug sich im nächsten Moment die Hand vor den Mund, weil sie sich nun selbst verraten hatte. Woher wusste der Kerl, wo sie wohnte? Alles, was sie ihm von sich an Informationen je gegeben hatte, war lediglich ihr Vorname. Gut, sie hatte damit geprahlt, wie schnell sie zur persönlichen Chefsekretärin aufgestiegen war. Aber er hätte trotzdem niemals auf ihre Adresse schließen können, woher also wusste er, wo sie wohnte? Zudem er selbst hunderte Kilometer von ihrer Stadt entfernt lebte. Oder etwa nicht? Ein erneutes Klingeln unterbrach ihre Gedanken.

„Na, was ist, du geiles Luder? Mach endlich auf! Ich vergehe hier unten vor Lust!“

Ohne ein weiteres Wort beendete Natascha das Gespräch. Ein wenig ängstlich verriegelte sie ihre Haustür und ging zurück ins Schlafzimmer, wo schon mehrere Nachrichten von Norman aufploppten.

Doch sie konnte sich nicht konzentrieren, denn es klingelte noch einige Male Sturm, bevor Martin, der Banker, endlich aufgab und Ruhe einkehrte. An Schlaf war jetzt nicht mehr zu denken und Natascha froh, dass Wochenende war und sie Samstags nicht arbeiten musste.

Norman war nicht mehr so gesprächig, nachdem sie ihn hat zu lange warten lassen.

„Magst du nicht zu mir kommen und wir machen uns einen gemütlichen Abend?“

Natascha wollte ihn gar nicht wirklich einladen, aber sie hatte plötzlich Angst. Und das brachte sie dazu, ihre eigenen Prinzipien zu brechen. Obwohl sie schon lange den Wunsch hegte, Norman real zu treffen. Zu ihrer Verwunderung sagte der Physiotherapeut ziemlich schnell zu, denn da er verheiratet war, hatte Natascha nicht wirklich damit gerechnet. Weit weg wohnte er auch nicht, in einem Nachbarort. Und bei seiner Statur würde er sicher den ungebetenen Gast Martin überwältigen können, sollte der noch vor ihrem Haus lauern.

Keine 60 Minuten später klingelte es erneut an Nataschas Tür. „Wer ist da?“ fragte sie vorsichtig an der Gegensprechanlage. „Ich bin's, Norman“, sagte eine viel zu helle, piepsige Stimme. Natascha wollte nicht glauben, dass es sich hier wirklich um den Physiotherapeuten handelte und bat ihn, vor die Kamera zu treten.

Sie traute ihren Augen kaum.

„Ich wollte dir nur kurz sagen, dass ich leider nicht zu dir hoch kommen werde, Tascha.“

Er war es also wirklich, denn nur Norman nannte sie so. Doch er war nicht allein da unten, neben ihm stand ein älterer Typ im Anzug, der ihr grinsend zuwinkte.

War das Martin? Die Sekretärin war sprachlos und fröstelte erneut. Das alles gefiel ihr nicht, das gefiel ihr ganz und gar nicht.

„Tascha? Bist du noch da?“ unkte der Typ im Anzug und die beiden lachten. Warum fiel ihr plötzlich ein, dass Norman ihr mal geschrieben hatte, dass er bisexuell war?

„Also, wie gesagt, Tascha, komme ich nicht nach oben. Ich habe hier Martin getroffen und gehe jetzt mit ihm etwas trinken und vielleicht noch mehr“, erklärte die piepsige Stimme. Natascha war völlig perplex. Ihr fiel nicht mal eine schlagfertige Antwort ein. Dieser Abend war der merkwürdigste in ihrem bisherigen Leben. Das nannte man wohl Ironie des Schicksals. Entschlossen ging sie ins Schlafzimmer, nahm den Laptop vom Schreibtisch und warf ihn kurzerhand in den Mülleimer.

ENDE

 

 

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Text: Alle Rechte bei der Autorin
Publication Date: 01-06-2020

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