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1. Kapitel, Karibik oder Indischer Ozean?

 Ich sitze am Fenster und blicke hinunter aufs Meer. Tiefblaues Wasser bis zum Horizont! Hoffentlich sind wir bald da! denke ich. Nun werde ich doch ungeduldig. Ich gähne, recke und strecke mich. Die ganze Nacht über bin ich wach geblieben. Zwar sind mir ab und zu die Augen zugefallen, ich habe auch ein wenig gedöst, aber ich kann einfach nicht im Flugzeug schlafen. Neben mir auf dem Platz am Gang sitzt mein Mann und schläft, tief und fest. Er hat den linken Ellbogen aufgestützt und sein Gesicht ruht ganz gelöst in der geöffneten Hand. Leise Schnarchtöne wehen zu mir hinüber.

 

Gespannt schaue ich nun weiter nach draußen. Ah, da sind die ersten Palmwipfel! Sie bewegen sich sachte im Wind. Es sieht aus, als winkten sie mir zu. Ich freue mich. Der Flieger verringert immer mehr seine Flughöhe und nähert sich gemächlich der Landebahn. Die Kokospalmen nicken freundlich. Ja, genauso sollte doch ein Urlaub in den Tropen beginnen! denke ich und lehne mich, jetzt ganz entspannt, zurück. Ich bin glücklich.

 

Meine Gedanken schweifen zurück zu der Zeit vor fünfzehn, sechzehn Jahren, als mein Leben noch in ganz anderen Bahnen verlief. Mit meinem Besuch im „strahlend schönen Land“ hatte sich alles geändert. Hätte mir das damals jemand prophezeit, hätte ich es nicht geglaubt. Aber nun war es so gekommen und es sollte so sein. Genau so und nicht anders!

 

 

*          *          *

           

 

„Sri Lanka? Was soll ich denn in Sri Lanka?“ Mit diesem Namen konnte ich nur wenig anfangen. Hieß dieses Land früher nicht einmal „Ceylon“? Und gab es nicht eine Teesorte mit diesem Namen? Dieses „ehemalige Ceylon“ lag doch irgendwo in der Nähe von Indien im Meer? Ich kramte im Gedächtnis nach meinen Geographiekenntnissen. Und auf dieser mir relativ unbekannten Insel sollte ich meinen Urlaub verbringen? Nun ... zunächst reagierte ich nicht ganz so euphorisch, wie Jörg das vielleicht erwartet hatte.

 

Es war Samstagabend und ich telefonierte mit meinem Bruder, der damals in Frankfurt wohnte. Jörg, weit gereist und Süd-Ost-Asien-Fan, versuchte gerade mit blumigen Worten mir ein potentielles Reiseziel schmackhaft zu machen. Während unseres Gespräches schaute ich immer wieder ungeduldig auf die Uhr. In einer Stunde wollte ich meine Verabredung treffen. Vorher musste ich aber noch unter die Dusche springen und mich dann noch stylen. Aber wenn Jörg einmal in seinem Element war, war er nur schwer zu stoppen.

 

„Doch Schwesterlein, glaube mir, die Insel ist wirklich wunderschön! Es wird dir dort bestimmt gefallen!“ Jörg suchte nach schlagkräftigen Argumenten. „Die Sandstrände und Buchten sind einfach traumhaft! Und, kannst du dir das vorstellen, das Wasser ist türkisblau und herrlich warm! Das ist was ganz anders als unsere graue Nordsee. Du wirst von Sri Lanka begeistert sein. Davon bin ich hundertprozentig überzeugt!“

Aber der von Jörg gezündete Funke wollte noch nicht überspringen.

„Och“, meinte ich trocken, „zum Baden kann ich auch nach Jamaika fliegen.“ Diese Karibikinsel stand nämlich schon seit Jahren ganz oben auf der Wunschliste meiner potentiellen Reiseziele, denn einen Urlaub unter tropischer Sonne und Palmen stellte ich mir einfach traumhaft vor. Außerdem war ich ein eingefleischter Reggae-Fan und aus diesem Grund musste ich ja unbedingt irgendwann einmal Bob Marleys Heimat kennen lernen.

 

Aber Jörg ließ sich nicht beirren und fuhr fort: „Wenn du von Wasser und Strand genug hast, kannst du auf Sri Lanka auch etwas für deine kulturelle Bildung tun. Du solltest unbedingt Ausflüge zu den alten Hauptstädten mit den Tempelanlagen machen. Und das Hinterland mit seinen hohen Bergen ist wirklich atemberaubend! Wie du weißt, war ich letztes Jahr auf der Insel und habe dort einen Superurlaub verbracht. Und ich fliege ganz bestimmt noch einmal hin.“

“Na, ja, klingt ganz gut!“ Ich war immer noch nicht überzeugt. „Mal seh’n! Ich werde nächste Woche erst mal ins Reisebüro gehen und fragen, was über Weihnachten und Neujahr noch frei ist. Vielleicht ist ja schon alles ausgebucht. Hör’ mal, Bruderherz, es tut mir ja leid, aber ich muss jetzt wirklich Schluss machen. Tschüss, bis demnächst mal!“

Ich legte den Hörer auf.

 

Dieses Jahr wollte ich Weihnachten und Silvester – und das hatte seine Gründe – unbedingt einmal ganz anders als bisher verbringen. Dazu hatte ich mich ganz plötzlich und vielleicht schon ein bisschen zu spät entschieden. Gegen Ende des Jahres – wir hatten immerhin schon Mitte Oktober – waren ja bekanntlich viele Ferienziele über den Jahreswechsel schon ausgebucht. In den vergangenen Jahren hatte ich Heilig Abend meistens mit meiner Mutter verbracht. Es war zwar immer sehr nett und harmonisch gewesen, aber diesmal hatte ich andere Pläne. Ein Grund dafür war sicherlich der Bruch mit Achim, meinem Ex-Freund, mit dem ich fast ein Jahr zusammen gewesen war.

 

„Weihnachten unter Palmen und tropischer Sonne! Das wäre doch mal eine Alternative zum konventionellen deutschen Weihnachtsfest!“

Ich seufzte. „Ach, Jamaika wäre einfach himmlisch!“ Nun fing ich an zu träumen und sah mich in Gedanken an einem exotischen Strand wandelnd und genüsslich einen Fruchtcocktail mit Rum schlürfend. Im Strand-Café spielte eine Steelband, ich bewegte die Hüften im Takte der Musik ... und ... und ... Fast hätte ich meine Verabredung vergessen! Ich riss mich von meinen Träumen los und begab mich schnellstens ins Bad.

 

Am folgenden Montag, nach einem von Höhen und Tiefen geprägten Wochenende, wollte ich  frischen Mutes meine Pläne in die Tat umsetzen und ein Reisebüro aufsuchen. Da PC und private Internet-Nutzung damals noch nicht so verbreitet waren, buchte man nämlich eine Reise, noch ganz konventionell, in einem Reisebüro. Zu jener Zeit arbeitete ich als Sekretärin in einem kleinen Ingenieurbüro in der Innenstadt. Außer meinem Chef und mir gab es keine Angestellten. Da mein Chef, Herr Schwarzhaupt, ein distinguierter und etwas versnobter älterer Herr, der schon stark auf die Siebzig zuging, oft verreist war und ich dann alleine das Büro managen musste, genoss ich alle Annehmlichkeiten, die dieses Arbeitsverhältnis mit sich brachte. Dazu gehörte auch, dass ich meine Mittagspause nach Belieben nehmen und bei Bedarf auch ausdehnen konnte. Nun, davon wollte ich an diesem Tage Gebrauch machen.

 

Es war Herbst und wie es sich für eine rheinische Großstadt gehörte, hatte es schon den ganzen Vormittag über genieselt. Mich fröstelte, als ich auf die Straße trat. Iih, so ein richtig usseliges* Wetter! dachte ich. Angelika, du brauchst unbedingt dieses Jahr noch Sonne und Meer! Entschlossen strebte ich meinem Ziel zu, das sich am Ende der Königsallee befand. Die Blätter der Kastanien und Platanen, die die ehemalige königliche Prachtstraße säumten, waren herbstlich gefärbt oder sogar schon abgefallen. Mein Blick fiel auf das Wasser im Kö-Graben. Es dümpelte dunkel und traurig vor sich hin. Dieser Anblick bestärkte mich  nur noch mehr darin, meine Reisepläne für den Jahreswechsel schnellstmöglich umzusetzen. In den Tropen war schließlich immer Sommer!

 

Das nasskalte Wetter schien die meisten Düsseldorfer davon abgehalten zu haben, außer Haus zu gehen, denn im Reisebüro war es überraschend leer. Ich nahm vor einem freien Schreibtisch Platz und der Sachbearbeiter fragte freundlich nach meinen Wünschen.

Sogleich betätigte er seinen Computer. „Tja, Frau Abels, es tut mir leid!“ er schüttelte den Kopf, „aber Jamaika ist über Weihnachten und Silvester schon ausgebucht. Darf es vielleicht ein anderes Reiseziel sein?“

„Nun ja“, ich zögerte und versuchte mir Jörgs Reiseempfehlungen ins Gedächtnis zu rufen. „Könnten Sie mal nachsehen, ob auf Sri Lanka noch etwas frei ist?“

Das Gesicht des Sachbearbeiters hellte sich auf: „Ja, wunderbar, auf Sri Lanka ist tatsächlich noch etwas frei. Ich kann Ihnen noch ein paar wirklich schöne Pauschalreisen anbieten. Soll ich Ihnen einmal die Angebote ausdrucken?“

„Ja, gerne“. Ich bedankte mich, steckte die Unterlagen ein und versprach, in den nächsten Tagen wiederzukommen. Um fest buchen zu können, müsste ich noch einiges abklären,

 

Am Abend rief ich meine Freundin Carmen an und fragte sie, ob sie Zeit und Lust hätte, mich nach Sri Lanka zu begleiten. „Ach, das tut mir wirklich leid“, sagte Carmen, „ich würde ja gerne mit dir fahren, aber über Weihnachten und Neujahr bekomme ich leider keinen Urlaub. Da gehen erst mal die Kollegen mit Kindern vor. Es sind ja Schulferien. Was ist denn mit dir und Achim? Wolltet ihr nicht gemeinsam wegfahren?“

Ich berichtete ihr von der traurigen Entwicklung meiner letzten Liebesbeziehung und Carmen drückte mir ihr Mitgefühl aus. Meine Freundin war damals genau wie ich Mitte dreißig, Single und kinderlos. Allerdings hatte sie, im Gegensatz zu mir, noch keine gescheiterte Ehe hinter sich und ihre letzte feste Beziehung mit einem Mann lag schon Jahre zurück. Ich dagegen hatte ständig „etwas am Laufen“ und noch vor kurzem eine heiße Affäre mit einem jungen Mann, jenem Achim, gehabt, der sich jedoch schließlich dazu entschieden hatte, zu seiner Exfreundin zurückzukehren. Der endgültige Bruch mit ihm hatte mir sehr wehgetan, denn ich hatte ihn sehr gern gehabt.

 

Um meinen Liebeskummer zu vergessen, hatte ich mich in Aktivitäten gestürzt. Ich traf mich mit Freunden zum Reden und Kartenspielen und ging öfters ins Kino. Außerdem besuchte ich einen Bauchtanzkursus und meldete mich in einer Selbstfindungsgruppe an. Obwohl ich dort nette Leute kennen lernte und fast jeden Abend etwas vorhatte, fühlte ich mich irgendwie unausgefüllt. Etwas schien in meinem Leben zu fehlen, etwas, das mir Zufriedenheit und Halt gab. Ich wusste aber zu jenem Zeitpunkt noch nicht, was mir eigentlich fehlte und wonach ich unbewusst suchte. Wollte ich mich vielleicht beruflich weiter verwirklichen? Oder fehlte mir ein fester Partner? Oder vielleicht doch ein Kind? Ich wusste es zu diesem Zeitpunkt einfach noch nicht genau. Aber da ich langsam aber sicher auf die Vierzig zusteuerte, hörte ich meine biologische Uhr im Hintergrund schon leise ticken. Wenn du, Angelika, vielleicht doch noch ein Kind oder mehrere Kinder haben möchtest, dann solltest du wirklich bald einmal nach einem festen Partner Ausschau halten, sagte ich zu mir. Meine diesbezüglichen Bemühungen waren jedoch bisher immer kläglich gescheitert.

 

Es war aber auch zum Verzweifeln! Von meinem Ehemann war ich noch nicht geschieden – wir lebten aber schon seit drei Jahren getrennt – und dann lernte ich immer wieder Männer kennen, die von einer festen Beziehung mit mir nichts wissen wollten. Aber vielleicht würde ja der Urlaub, falls ich ihn realisieren konnte, meine trüben Gedanken verscheuchen... Und vielleicht würde ich auch nette Leute kennen lernen... Und ein kleiner Urlaubsflirt würde mir sicherlich auch gut tun...

 

Nach dem Telefonat mit Carmen rief ich meinen Bruder Jörg an und berichtete ihm von meinem Besuch im Reisebüro.

„Das ist ja prima“, kommentierte er, „dass du dich jetzt doch entschlossen hast, nach Sri Lanka zu fliegen. Ich hatte ja nur den Flug gebucht und mir dann selbst eine preiswerte Pension gesucht. Das hat ganz gut geklappt.“

„Nee, also, falls ich doch alleine fliegen muss, eine Begleitung habe ich ja bis jetzt nicht gefunden, dann möchte ich doch ein Pauschalangebot mit Flug und Hotel buchen. So ganz alleine so weit reisen und alles alleine organisieren... das traue ich mich nicht.“

„Dann lass dir bloß nicht Negombo oder Mount Lavinia andrehen. Da ist viel zuviel Rummel. Fahr lieber an die Südküste, da ist es ruhiger und landschaftlich am schönsten.“

„Na ja“, meinte ich skeptisch, „hoffentlich ist da überhaupt was los! Ich möchte ja auch etwas erleben und nicht nur ruhig am Strand liegen.“

„Ach, du findest bestimmt schnell Anschluss. Du bist ja nicht gerade schüchtern.“

Mit diesen zuversichtlichen Worten beendeten wir unser Gespräch.

 

Und wie Jörg mir empfohlen hatte, buchte ich am nächsten Tag im Reisebüro drei Wochen in einem Hotel an der Südküste, in einem kleinen Ort namens Koggala. Das Hotel hieß Horizon und lag direkt am Strand. Abflug war ein Tag vor Heiligabend. Ein Zwischenstopp in München, Bustransfer zum Hotel, und als Clou Rücktransfer zum Flughafen in Colombo mit dem Hubschrauber waren ebenfalls inbegriffen. Leider war kein Einzelzimmer mehr frei und so musste ich ein Doppelzimmer mit Einzelzimmerzuschlag nehmen.

Es werde allerdings kein Problem sein, noch eine zweite Person hinzuzubuchen, es könnte dann aber mit einem freien Sitzplatz im Flieger eng werden, erläuterte mir der nette Herr vom Reisebüro.

 

Was sollte ich nun machen? Meine Urlaube hatte ich bis jetzt entweder mit Mutter, Ehemann oder Freundin in Europa oder am Mittelmeer verbracht. Marokko war bis jetzt mein exotischstes Reiseziel gewesen. Sri Lanka war dagegen dreimal so weit weg! Meine Emanzipation hielt sich, speziell was Urlaube im Alleingang betraf, doch sehr in Grenzen. Ich brauchte dringend eine nette Mitreisende! Carmen hatte schon abgesagt, meine Mutter konnte sich so schnell nicht für eine Fernreise erwärmen, und zwei andere Freundinnen hatten auch schon andere Pläne für die Feiertage. So beschloss ich eine Zeitungsannonce aufzugeben. Diese sollte dann am kommenden Mittwoch im Stadtanzeiger als Kleinanzeige in der Rubrik „Verschiedenes“ erscheinen. Ich war mir sicher, dass sich jemand melden würde, da der Stadtanzeiger nicht nur in Düsseldorf, sondern auch in den Nachbarstädten gelesen wurde.

 

Der Text, den ich aufgab, lautete: „Wer fliegt mit ihr, 36 Jahre, NR, vom 23.12 bis 14.1. nach Sri Lanka? Zuschriften bitte unter Chiffre Nr. sowieso“. Am nächsten Tag rief mich jedoch der Sachbearbeiter vom Reisebüro an und teilte mir mit, dass er den Flug für einen Mitreisenden nur noch bis kommenden Freitag freihalten könnte und ob ich schon jemanden gefunden hätte.

 

Ich erschrak, nun wurde die Zeit tatsächlich knapp! Ich bat das Reisebüro, den Flug so lange wie möglich freizuhalten, und versprach, mich baldmöglichst wieder zu melden. Umgehend rief ich die Zeitung an und bat sie, statt der Chiffre Nr. meine Telefonnummer in die Anzeige zu setzen. Am Mittwochnachmittag – der Anzeiger war bereits erschienen und im Einzugsgebiet verteilt worden –  kam ich um fünf Uhr nachmittags von der Arbeit nach Hause. Ich hatte den Mantel noch nicht ausgezogen, da klingelte schon das Telefon. Gespannt nahm ich den Hörer ab.

 

Dieser erste Anruf kam von einer 41-jährigen Inderin. Sie lebte schon seit Jahren in Deutschland und hatte einen deutschen Freund im Rentenalter, der aber laut ihren Angaben noch äußerst fit war. Eigentlich suchte ich ja eine Begleitung in meiner Altersklasse, aber höflich hörte ich der Frau zu. Sie war, so wie sie mir erzählte, schon lange nicht mehr in ihrer Heimat gewesen. Von Sri Lanka bis nach Indien wäre es ja nur ein Katzensprung mit der Fähre! Sie hoffte nun, dass ich sie und ihren Freund einladen und kostenlos mitnehmen würde. Ich erklärte ihr, dass das ein Missverständnis sei und dass ich eine Mitreisende suchte, die mit mir die Kosten teilen würde. Beleidigt legte die Frau auf.

 

Dann riefen kurz nacheinander zwei junge Männer an. Der erste war 24 Jahre jung, Lagerarbeiter und wohnte bei mir ganz in der Nähe. Er wollte auch gleich vorbeikommen und mich persönlich kennen lernen. Ich sagte ihm, dass ich kein Interesse hätte und legte gleich wieder auf. Der nächste war 27 Jahre und arbeitete beim Kampfmittelräumdienst. Interessant fand ich nur seine Tätigkeit, sonst hörte er sich ziemlich langweilig an. Und mit einem fremden Mann wollte ich nun wirklich nicht das Zimmer teilen, das hätte bestimmt Komplikationen gegeben. So wimmelte ich  ihn ebenfalls schnell ab. Ich ärgerte mich! Hätte ich  besser in der Anzeige geschrieben, dass ich eine weibliche Begleitung suchte! Aber jetzt war es zu spät! Der Stadtanzeiger kursierte bereits im Umfeld Düsseldorfs und die verhängnisvollen Fäden waren schon gesponnen.

 

Dann rief noch ein weiterer junger Mann an, der mit seiner Freundin eine Asientour mit dem Rucksack plante. Sie hätten beide gerne für drei Wochen einen Zwischenstopp auf Sri Lanka eingelegt und das Zimmer mit mir in Koggala geteilt. Ich war von dieser Vorstellung gar nicht begeistert. Wie sollte das denn gehen, ich alleine mit einem Liebespaar im Doppelzimmer?  So erteilte ich auch ihm eine Absage. Dann klingelte das Telefon nicht mehr und ich konnte mich beim Fernsehen entspannen. In den kommenden Tagen ging es mit den Anrufen jedoch munter weiter.

 

Am Donnerstag meldete sich ein Mann, ein gewisser Norbert Piepenstock, der mir zunächst sehr interessant schien. Er erzählte mir, dass er 48 Jahre alt und geschieden sei und zwei Kinder habe, die aber bei der Mutter lebten. Er erzählte und erzählte. Im Ruhrgebiet hätte er ein eigenes Haus, das vermietet wäre und im Nachbarort eine schicke Eigentumswohnung mit Garten. Er wäre Diplom Ingenieur, früherer Hochleistungssportler, heute Segler und Surfer. Gespannt hörte ich ihm zu. Als besonderen Clou erzählte Norbert mir noch, dass er Ökologiestudien durchführen und diese gerne auf Sri Lanka vertiefen würde. Näheres würde er mir gerne bei einem Abendessen erläutern. Wenn ich auch, das wusste ich mit Bestimmtheit, nicht mit einem fremden Mann in Urlaub fahren würde, so hatte dieser Kandidat doch mein Interesse geweckt und ich war einem Treffen mit ihm nicht abgeneigt. So verabredeten wir uns für kommenden Samstag, Treffpunkt sollte vor einem Restaurant an der Königsallee sein.

 

Kurz nach Herrn Piepenstocks Anruf klingelte mein Bruder an der Tür. Jörg hatte gerade geschäftlich in der Nähe von Düsseldorf zu tun und logierte für zwei Tage in der Stadt. Er brachte Bücher und jede Menge Infomaterial über Sri Lanka mit. Wir begrüßten uns herzlich und beschlossen, in den „Weißen Bären“ in der Altstadt zu gehen. Das ist eine Szenekneipe, in der, auch heute noch, Supermusik gespielt wird, Oldies aber auch aktuelle Sachen. An den Wochenenden ist es dort immer brechend voll, aber mitten in der Woche findet man noch freie Sitzplätze. Wir machten es uns in einer gemütlichen Ecke bequem und Jörg erzählte mir von seinen Urlaubserlebnissen. Nach und nach konnte ich mir nun ein Bild von der Insel machen und ich begann, mich so richtig auf den Urlaub zu freuen. Vielleicht ergab sich ja später irgendwann einmal die Gelegenheit, nach Jamaika zu fahren? Aufgeschoben war nicht aufgehoben, tröstete ich mich. Jörg und ich tranken einige Gläser Altbier und gegen ein Uhr morgens ging ich leicht angesäuselt nach Hause. Zum Glück konnte ich am nächsten Tag ausschlafen, denn ich musste erst um zehn Uhr morgens im Büro sein. Herr Schwarzhaupt war, wie so oft, auf Geschäftsreise.

 

Am Samstag kamen keine weiteren Anrufe, aber ich war ja mit Herrn Piepenstock verabredet. Da ich mir von dem Treffen einiges versprach, frisierte und schminkte ich mich sorgfältig und zog statt Jeans und T-Shirt einen Rock und eine schöne Bluse an, dazu eine Glanzstrumpfhose und Pumps. Ich sah, bevor ich das Haus verließ, noch einmal prüfend in den Spiegel und war mit meinem Spiegelbild äußert zufrieden. Für mein Alter sah ich doch noch recht ansprechend aus, man hätte mich glatt auf Ende Zwanzig schätzen können. Und ich hoffte, Norbert mit meinen weiblichen Reizen beeindrucken zu können.

 

Als Treffpunkt hatte ich das „Marché“ vorgeschlagen, das sich in den unteren Räumen der Kö-Galerie befand und damals zu meinen Lieblingsrestaurants zählte. Es gab dort mehrere gemütliche Gasträume und jeder Raum war in einem anderen Stil eingerichtet: Einer als italienische Weinstube, einer als bayrisches Wirtshaus, einer als Wiener Café und, und, und. Speisen und Getränke waren schön dekoriert an einem Selbstbedienungsbuffet aufgebaut und zum Dessert konnte man sich eine Süßspeise, einen Fruchtsalat oder eine Kaffeespezialität aussuchen. Voller Vorfreude eilte ich zum Lokal.

 

Schon von weitem sah ich Norbert, groß und schlank, an der Eingangstreppe zum Lokal stehen. Mein Herz machte einen freudigen Satz. Aber als ich ihm die Hand gab, wusste ich, dass das mit ihm nichts geben würde, denn Norbert hatte doch einige Defizite, die mir sofort ins Auge sprangen. Er hätte zwar gut zu meiner stattlichen Größe gepasst, war aber stockkonservativ, ja fast altmodisch gekleidet und hatte dazu noch eine beginnende Stirnglatze. Und als er den Mund aufmachte und mich begrüßte, blinkten mich krumme Mausezähnchen an. Am liebsten hätte ich mich umgedreht und wäre wieder gegangen! Aber das wäre zu unhöflich gewesen,  und außerdem hatte ich großen Hunger. Wenn ich schon einmal hier war, wollte ich, obwohl mir mein Begleiter so gar nicht gefallen wollte, zumindest gut essen.

 

Norbert und ich steuerten das Buffet an. Mit Getränken und Pasta beladen, ließen wir uns an einem freien Tisch nieder. Höflich betrieb ich mit meinem Gegenüber Konversation. Ich kam jedoch kaum zu Wort, da Norbert breit und ausführlich seine beabsichtigten wissenschaftlichen Studien auf Sri Lanka erläuterte. Gelangweilt ließ ich meinen Blick im Lokal umherschweifen. Amüsiert beobachtete ich eine Gruppe Japaner, die an einem der Nachbartische saß. Die Männer hatten Suppenterrinen vor sich stehen und wie sich das für Asiaten gehört, schlürften sie laut beim Essen. Dabei nickten sie sich gut gelaunt zu und würzten ihre Unterhaltung mit vielen „So desu nes“ und „So desu kas“**. Gegen zehn Uhr hatte ich jedoch mehr als genug von Herrn Piepenstock, täuschte Kopfschmerzen vor und verabschiedete mich kurz und schmerzlos. Norberts Frage, ob ich mich noch einmal bei ihm melden würde, ließ ich offen, ich wüsste es noch nicht.

 

Auf dem Nachhauseweg atmete ich tief durch. Angie, noch einmal davongekommen, sagte ich zu mir! Dann zog ich ein kurzes Résumée: Ich hatte zwar bis jetzt durch die Anzeige einige Interessenten gefunden, aber immer noch keine Mitreisenden. Und außer der Inderin hatten nur Männer angerufen. Ich war mir nicht sicher, ob sich noch etwas ergeben würde. Und der letzte freie Platz im Flieger war sicherlich bereits vergeben.

 

In der folgenden Woche riefen noch zwei Männer an: Der eine – nennen wir ihn mal Wolfgang, ich habe seinen Namen schon vergessen – war genau wie ich 36 Jahre alt und wohnte in einem Nachbarort. Er arbeitete beim Arbeitsamt in Düsseldorf, wäre also tagsüber immer in der Stadt, so erzählte er mir, und er wäre sehr aufgeschlossen und hätte interessante Hobbys. Ich fand diesen Wolfgang am Telefon sehr sympathisch, obwohl ich auch mit ihm sicherlich nicht in Urlaub fahren würde. Aber ich wollte ihn mir auf jeden Fall einmal ansehen, vielleicht konnte sich ja eine Freundschaft entwickeln.

 

So verabredeten wir uns für kommenden Donnerstag um sechs Uhr abends am Hauptbahnhof. Wir wollten zunächst in einer Kneipe etwas zusammen trinken. Ich war pünktlich am Treffpunkt, wer nicht kam, war Wolfgang. Nach einer Stunde gab ich das Warten auf und ging ziemlich sauer nach Hause. Ich versuchte Wolfgang unter der Telefonnummer, die er mir gegeben hatte, zu erreichen. Es meldete sich jedoch jemand anders, der Wolfgang überhaupt nicht kannte und mir auch nicht weiterhelfen konnte. Ich habe nie wieder etwas von diesem Wolfgang gehört.

 

Der zweite Anruf kam von einem Tschechen, der gleich ganz locker und munter drauflos erzählte: Er wäre 42 Jahre jung, 1,80 m groß, geschieden, lebte seit 1979 in Deutschland, hätte mittlerweile die deutsche Staatsangehörigkeit, würde im öffentlichen Dienst arbeiteten, gerne Rad fahren, ins Kino und in die Sauna gehen und ... und... und... Er hatte ganz ähnliche Interessen wie ich.  Peter, so hieß er,  hörte sich am Telefon wirklich nett an. Ein Treffen wäre ja ganz unverbindlich, dachte ich. Und nach den letzten beiden enttäuschenden Verabredungen brauchte ich unbedingt ein Highlight, um meine niedergeschlagene Stimmung wieder zu heben. Ich verabredete mich mit Peter für kommenden Samstag. Wir wollten ins Kino gehen und danach noch etwas in einem Lokal trinken. Und wenn Peter mir nicht gefallen würde, dachte ich, könnte ich mich nach der Vorstellung ja schnell wieder verabschieden.

 

Dieser Peter entpuppte sich als angenehme Überraschung! Er sah recht gut aus, und ich schien ihm auch zu gefallen. Wir mochten uns sofort. Zuerst sahen wir uns „Sister Act“ an, einen Film, der schon seit Wochen die Kinogänger anzog. Whoopi Goldberg spielte darin eine Nachtclubsängerin, die sich vor Gangstern verstecken musste. Also tauchte sie in einem Kloster unter und gründete einen Nonnenchor. Peter und ich lachten Tränen. Nach dem Film gingen wir in eine gemütliche Kneipe, tranken einige Gläser Altbier und unterhielten uns angeregt. Peter schien wirklich ein netter Kerl zu sein. Das Einzige, das mich an ihm störte, war seine Raucherei. 

„Ach weißt du“, meinte er, „ich wollte eigentlich schon lange mit dem Rauchen aufhören. Jetzt habe ich ja einen Grund dazu.“

Er schenkte mir einen tiefen Blick aus seinen braunen Augen, der dann schnell zum Ausschnitt meiner Bluse glitt.

„Ich verspreche dir, in unserem gemeinsamen Urlaub in Sri Lanka werde ich alles dafür tun, diesen Vorsatz in die Tat umzusetzen.“

 

Ich war mir ganz sicher, dass ich auch mit Peter nicht nach Sri Lanka fliegen würde, aber da ich nach männlicher Aufmerksamkeit lechzte – und wer weiß, vielleicht konnte man sich ja nach dem Urlaub auch weiter treffen – wollte ich mir diesen Peter unbedingt warm halten. So genoss ich Peters Gesellschaft und den harmonischen Abend in vollen Zügen. Als es Zeit wurde nach Hause zu gehen, begleitete mich Peter bis zu meiner Haustür und drückte mir ein Küsschen auf die Wange. Wir verabredeten, in den nächsten Tagen zu telefonieren.

 

Am Sonntagmorgen – ich hatte es mir gerade mit meinem Frühstückstablett im Bett gemütlich gemacht – klingelte das Telefon.

Es war Peter: „Guten Morgen, ich wollte dir sagen, dass ich den gestrigen Abend wundervoll fand. Ich habe mich gleich in dich verliebt!“

„Das ging aber schnell!“, entgegnete ich trocken.

Aber Peter war sich seiner Sache sicher und bestand darauf, dass wir uns so bald wie möglich wieder sehen mussten. Auf sein Drängen hin verabredeten wir uns für kommenden Freitag. Peter wollte dann bei mir vorbeikommen und sich meine Unterlagen von Sri Lanka ansehen.

 

Freitagabend klingelte Peter pünktlich an meiner Tür. Schnell kam er die Stufen zu meiner Dachgeschosswohnung hinauf und überreichte mir ein kleines Blumensträußchen zur Begrüßung. Interessiert sah er sich in meiner kleinen Behausung um.

„Hast du keinen Balkon?“

„Nein, wenn du rauchen willst, musst du ins Treppenhaus oder vor die Tür gehen!“

„Ist in Ordnung. In Sri Lanka werde ich mich ja auch mit dem Rauchen einschränken müssen“, meinte Peter lachend, „da kann ich heute schon mal üben.“

Trotz Peters Raucherpausen wurde es ein netter Abend, da uns der Gesprächsstoff nicht ausging. Allerdings gab ich Peter schon sehr deutlich zu verstehen, dass ich alleine in Urlaub fahren würde. Unsere Bekanntschaft wäre einfach noch zu frisch.

„Bis Weihnachten kann sich ja noch viel ändern“, meinte Peter und sah mir tief in die Augen, „da bin ich mir ziemlich sicher!“

Ganz Kavalier verabschiedete er sich zu vorgerückter Stunde und drückte mir wieder einen Kuss auf die Wange. Da ich am Samstag und Sonntag schon mit Freunden verabredet war, versprach ich Peter, ihn in der kommenden Woche anzurufen.

 

Ich hatte dann wirklich sehr viel zu erledigen, da der Abflugtermin immer näher rückte. Ein Freund von mir, der in einer Bank arbeitete, besorgte mir US-Dollars zu einem günstigen Kurs. Dann hatte ich noch zwei Impftermine beim Gesundheitsamt und ein Besuch beim Friseur stand auch noch an. Ich ließ mir die Haare ganz kurz schneiden, denn im Urlaub wollte ich so wenig Arbeit wie möglich mit meiner Frisur haben.

 

Und an einem Nachmittag holte mich meine Mutter vom Büro ab. Sie war damals 74 Jahre alt, verwitwet und wohnte in einer bergischen Großstadt, ca. 25 km von mir entfernt. Sie besuchte mich so ein- bis zweimal im Monat. Für ihr Alter war sie noch fit wie ein Turnschuh! Ich hatte immer ein gutes Verhältnis zu ihr gehabt, da sie keine überstrenge Mutter gewesen war. Sie kannte alle meine Freunde und neue Partner hatte ich ihr immer vorgestellt. Zu meinem Nochehemann hatte sie immer ein gutes Verhältnis gehabt und wurde von mir auch über die neuesten Entwicklungen, die mein Liebesleben betrafen, informiert. Ich war auch schon oft mit ihr verreist gewesen, aber zu einem Sri Lanka Urlaub konnte ich sie nun doch nicht überreden. Sie meinte, der Flug würde bestimmt zu anstrengend und Weihnachten wäre sie doch lieber zu Hause. Aber großzügig, wie sie war – sie bezog eine gute Rente – gab sie mir einen Scheck über DM 300. Das sollte ein Zuschuss zu meiner Urlaubsreisekasse sein. Hocherfreut steckte ich den Scheck ein. In den nächsten Tagen holte ich das Ticket und die Reiseunterlagen ab, besorgte Kosmetika und Sonnenschutzmittel, ein paar neue Klamotten ... und... und ... und …

 

Über diese Aktivitäten hatte ich Peter völlig vergessen. Eines Abends rief er bei mir zu Hause an und fragte beleidigt, warum ich mich noch nicht wieder gemeldet hätte. Er hätte schon mehrmals vergeblich versucht, mich telefonisch zu erreichen. Und letzte Nacht hätte er sogar von mir geträumt und uns in Sri Lanka flittern gesehen. Nun wurde es mir doch zu bunt! Peter musste dringend gebremst werden! Ich erklärte ihm klipp und klar, dass es mit einem  gemeinsamen Sri-Lanka-Urlaub vorerst doch nichts geben würde. Ich hätte mich jetzt fest entschlossen, alleine zu fliegen, aber ich würde mich nach dem Urlaub wieder bei ihm  melden. Peter gefiel das nun gar nicht, und er versuchte mich umzustimmen, aber ich blieb  bei meinem Entschluss.

 

Vor dem Urlaub wollte ich selbstverständlich im Büro noch alles aufarbeiten und hatte auch hier viel zu tun. Mit meinem Chef hatte ich noch ein ganz besonderes Erlebnis. Herr Schwarzhaupt war vor seiner jetzigen Tätigkeit im Vorstand von Mannesmann gewesen. Er war äußerst gut situiert und bewohnte ein Eigenheim auf der linken Rheinseite. Dort haben viele Großverdiener und Reiche ihre Häuser und Villen gebaut. Und mit Vorliebe kaufte auch Herr Schwarzhaupt auf der Königsallee in den Geschäften der gehobenen Preisklasse ein. Mir gegenüber verhielt er sich jedoch immer sehr kniepig***, und gab nie etwas aus. Leider war er im Büro meistens kurz angebunden und redete mit mir nie über private Angelegenheiten. Deshalb vermisste ich manchmal eine nette Kollegin, mit der ich mich hätte austauschen können.

 

Als ich in den ersten Dezembertagen einen blühenden roten Weihnachstern auf meinen Schreibtisch stellte, meinte Herr Schwarzhaupt nach einem kurzen Blick auf diese nun wirklich ganz dezente Weihnachtsdekoration: „Ach, ist es mal wieder soweit? Also ich kann auf Weihnachten und den ganzen Kommerz ganz gut verzichten.“

Dieser Muffkopp! dachte ich, entgegnete jedoch: „Den ganzen Weihnachtsrummel mag ich  auch nicht, aber ein bisschen Weihnachtsschmuck muss doch sein. Das gehört nun mal dazu.“ Wir kamen – was ein äußerst seltener Fall war – ins Gespräch, und ich erzählte meinem Chef von meinen Reiseplänen. Herr Schwarzhaupt seinerseits wollte mit seiner Frau den Jahreswechsel auf einem Kreuzfahrtschiff auf dem Nil verbringen. So ein Urlaub könnte mir auch gefallen, dachte ich, vielleicht irgendwann einmal.

 

An meinem letzten Arbeitstag vor dem Urlaub überreichte mir dann mein Chef – Wunder über Wunder – ein in Weihnachtspapier eingewickeltes Päckchen. Ich war sehr überrascht, damit hatte ich ja nun wirklich nicht gerechnet. Hatte mir Herr Schwarzhaupt nicht zu verstehen gegeben, dass er mit Weihnachten nichts am Hut hatte? Wieso gab er mir dann ein  Geschenk? Gespannt machte ich das Päckchen auf und traute meinen Augen nicht. In meinen Händen hielt ich eine schicke Gürteltasche von MCM, die bestimmt an die DM 200 gekostet haben musste. Ich freute mich sehr und bedankte mich. Die Tasche würde mir im Urlaub bestimmt gute Dienste leisten. Für Sri Lanka war ich nun bestens gerüstet.

 

Zwei Tage vor Heiligabend lud ich meine Freunde zu einer kleinen vorgezogenen Weihnachtsfeier ein und am nächsten Tag packte ich die letzten Sachen in den Koffer. Und dann war es endlich soweit! Am 23. Dezember sollte die Reise endlich losgehen!

 

  *          *          *

   

 

* Usselig sagen wir im Rheinland zu nasskaltem Wetter

** Japanisch: Ist das so? Tatsächlich?

*** Kniepig sagen wir im Rheinland zu geizig

2. Kapitel, Heiligabend mit Missverständnissen

„Entschuldigung!“, sagte der Mann, der im Gang neben mir stehen blieb, „aber ich glaube, der Fensterplatz neben Ihnen gehört mir!“

Etwas irritiert blickte ich auf. Insgeheim hatte ich doch gehofft, dass der Platz neben mir frei bleiben würde. Nur ungern nahm ich meine Sachen weg, die ich dort schon ausgebreitet hatte.

„Würden Sie mich jetzt bitte reinlassen?“, fragte der Mann ungeduldig. Hinter ihm hatte sich schon eine Schlange wartender Fluggäste gebildet. Mein neuer Sitznachbar verstaute sein Handgepäck in der Ablage und ließ sich auf den Sessel plumpsen. Umständlich zerrte er den Sicherheitsgurt fest.

 

Nun nahm ich ihn näher ins Visier. Er war schätzungsweise Mitte vierzig, ungefähr so groß wie ich, kräftig und hatte einen leichten Bauchansatz. Eigentlich hatte er ein ganz nettes Gesicht, aber, als er mir freundlich lächelnd zunickte, entblößte er sehr regelmäßig geformte, und sehr gelbe Zähne. Diese konnten, so vermutete ich, nur von einem schlecht gepflegten Gebiss stammen. Und solche Zähne fand ich sehr unattraktiv.

„Ich heiße Gerhard Amman und komme aus Nürnberg“, stellte er sich vor, „fliegen Sie auch nach Sri Lanka oder auf die Malediven?“

„Nach Sri Lanka!“

„Aha! Ich auch! In welchen Ort denn?“

„Nach Koggala!“

„Na so was! Ich auch! Und in welches Hotel?“

„Ins Horizon!“

„Na, das ist ja ein Zufall! Ich nämlich auch.“

Herr Amman schien sich zu freuen: „Wollen wir uns nicht duzen? Wir werden uns dann sicher oft sehen. Ich bin Gerhard.“ Er streckte mir die Hand entgegen.

„Angenehm, Angelika!“

 

Mittlerweile befanden wir uns wieder in der Luft. Ich beschloss, statt mich mit Gerhard weiter zu unterhalten, mich zunächst auf den Bordcomputer zu konzentrieren. Solch ein Gerät sah ich nämlich zum ersten Mal. Auf den Bildschirmen, die an der Decke über dem Gang angebracht waren, konnte ich nun unsere Reiseroute genau verfolgen. Der Computer zeigte alles an: Flughöhe, Standort, Geschwindigkeit, Gesamt- und Restkilometer, bzw. Gesamt- und Restreisezeit. Ich war fasziniert! Nach einiger Zeit lehnte ich mich jedoch zurück und schloss für ein paar Minuten die Augen. Jetzt war es neun Uhr abends, und ich ließ in Gedanken den Tag Revue passieren. Am Spätnachmittag war ich mit dem Taxi zum Düsseldorfer Flughafen gefahren und hatte am Gate noch meine Mutter getroffen. Sie war extra angereist, um mir Lebewohl zu sagen. Als ich am Check-in-Schalter in der Warteschlange stand, kam ich gleich mit zwei Frauen ins Gespräch. Eine der beiden Frauen hatte eine Srilanka-Rundreise gebucht, die andere wollte zum Tauchen auf die Malediven.

 

Um fünf Uhr nachmittags waren wir in Düsseldorf,  Richtung München, gestartet. Auf diesem Kurzflug saß die Taucherin neben mir. Sie schwärmte mir in schillernden Farben vom Inselparadies Malediven vor. Sie musste zuerst in München, genau wie ich, und dann noch einmal in Colombo, der Hauptstadt Sri Lankas, umsteigen. Wir unterhielten uns angeregt und stellten fest, dass wir in drei Wochen den gleichen Rückflug von Colombo nach München haben würden. Wir waren gespannt, ob wir uns wieder treffen würden und wollten dann unsere Erlebnisse austauschen. Der Flieger landete in München, um weitere Passagiere aufzunehmen. Die Fluggäste aus Düsseldorf mussten aussteigen und in der Wartehalle Platz nehmen, bis das Flugzeug wieder startklar war. Dieser Zwischenstopp konnte jedoch meine  blendende Laune nicht trüben. Der Urlaub hatte gut angefangen, war ich doch gleich mit netten Mitreisenden ins Gespräch gekommen. Beim Weiterflug nach Colombo bekam ich leider einen neuen Sitznachbarn, diesen Herrn Amman, und der war mir nicht sonderlich sympathisch.

 

Nach dem Abendessen wurde ein Spielfilm gezeigt, den ich und die anderen Passagiere über die Bildschirme auf dem Gang verfolgen konnten. Draußen wurde es allmählich dunkel und schließlich Nacht. Die Stewardessen löschten für zwei Stunden die Bordbeleuchtung und wer wollte, konnte schlafen oder ein wenig die Augen zumachen. Gerhard war schnell eingenickt und leise Schnarchtöne wehten von ihm zu mir hinüber. Als wir um halb zwei morgens nach Mitteleuropäischer Zeit Pakistan überflogen, ging inmitten von Wolkenbergen die Sonne auf. Langsam wurde es wieder hell. Ich nahm mein Täschchen mit Zahnbürste, Deostift und Puderdose und begab mich zur Bordtoilette. Als ich zu meinem Platz zurückkam, war Gerhard bereits aufgewacht und genehmigte sich gerade eine Ladung Mundspray und dann noch eine Ladung Deospray. Die Gerüche nahmen mir fast den Atem und machten mir Gerhard noch unsympathischer.

 

Um halb vier – wir flogen gerade über Indien – gab es Frühstück an Bord. Dann teilten die Stewardessen Visumanträge für die Einreise nach Sri Lanka aus, die wir noch im Flugzeug ausfüllen und in unsere Pässe legen mussten. Um halb sechs MEZ, d.h. zehn Uhr Ortszeit, kreisten wir über Meer und Palmen und landeten endlich in Katunayake, dem Flughafen, der ein paar Kilometer nördlich von Colombo liegt. Da es keinen Terminal zum Andocken gab, hielt der Flieger weit draußen auf dem Rollfeld.

 

Als ich auf die Gangway trat, dachte ich, mich trifft der Schlag. Treibhauswarme Luft hüllte mich ein. Das war ein riesiger Temperaturunterschied zum Innern des Fliegers, wo es durch die Klimaanlage angenehm kühl gewesen war. Im Nu klebten meine Jeans und das Sweatshirt an meinem Körper. Ich kletterte die Treppe hinunter und bestieg den Bus, der uns zum Terminal bringen sollte. Dort reihte ich mich in die Schlange der Wartenden ein, die sich nur schleppend vorwärts zur Passkontrolle bewegte. Endlich kam ich an die Reihe. Der Beamte nahm meinen Antrag für das Besuchsvisum aus meinem Pass. Dann verglich er mit einem kurzen kritischen Blick mein Bild und die Passdaten.

„Thank you“, sagte er, klappte den Ausweis zu und gab ihn mir zurück. Na, das ging ja glatt! dachte ich erleichtert, obwohl ich als einreisender Tourist sicherlich nicht mit Schwierigkeiten hätte rechnen müssen.

 

Nun passierte ich eine Automatiktür und betrat die Ankunftshalle. Hier war es, dank einer Klimaanlage, wieder angenehm kühl. Neugierig sah ich mich um. In  der Halle wimmelte es von Menschen: Geschäftsleute strebten eilig dem Ausgang zu, Einheimische begrüßten ihre Verwandten, die aus Übersee angekommen waren, Kofferträger eilten eifrig umher, dazwischen Touristen, die sich meist suchend umsahen. Das Gepäckband war inzwischen angerollt. Ich nahm meinen Koffer, der bereits einige Runden gedreht hatte, herunter und zog ihn hinter mir her. Da ich nichts zu verzollen hatte, passierte ich ruckzuck die Zollabfertigung.

 

Nachdem ich mich ein wenig an das Gewusel und das Stimmengewirr gewöhnt hatte, traf mich der zweite Schlag an diesem Morgen. Ich wollte meinen Ohren nicht trauen, denn „Jingle bells, Jingle bells“, dröhnte es doch tatsächlich in voller Lautstärke aus den Lautsprechern. Kaum war dieser Klassiker verklungen, folgte das nächste Weihnachtslied: „Rudolph, the rednosed reindeer“. Wo war ich hier gelandet? Ich hatte wirklich nicht erwartet, hier in den Tropen Weihnachtsmusik zu hören. Und soweit ich informiert war, bestand die Bevölkerung Sri Lankas zum größten Teil aus Buddhisten. Und Buddhisten feiern ja bekanntlich keine Weihnachten. Oder etwa doch?

 

Ich ließ meine Blicke weiter schweifen, und da traf mich der dritte Schlag: in der Halle stand doch tatsächlich ein Weihnachtsbaum. Soweit ich das erkennen konnte, handelte es sich eindeutig um eine Fichte. Ihre Höhe schätzte ich auf etwa zwei bis zwei Meter fünfzig. Aha, dachte ich, auf Sri Lanka gibt es also nicht nur Palmen sondern auch Nadelhölzer. Allerdings war dieser Baum nicht mit dem üblichen Weihnachtschmuck, den ich so kannte, dekoriert. Stattdessen baumelten von seinen Zweigen Kofferanhänger. Das waren die Schildchen, die einen Zielflughafen angeben und vom Flugpersonal immer an den Koffergriffen befestigt werden. Zwischen den Anhängern drehten sich außerdem noch bunte Stanniolgirlanden, die vom Wind der Klimaanlage immer wieder neu angestoßen wurden. Ich fand, dass dies eine sehr originelle Idee war, einen Baum zu schmücken. Und es sollten noch weitere Überraschungen folgen an diesem Heiligen Abend, den ich fern der Heimat verbrachte.

 

Zwei einheimische Frauen bemerkten meine suchenden Blicke und grüßten mich freundlich: „Good morning, Madam! Ayubowan!* Wie war Ihr Flug? “

Aus den  Namensschildchen, die sie an ihrer Kleidung angesteckt hatten, erkannte ich, dass sie zum Flughafenpersonal gehörten.

„Good morning!“, grüßte ich zurück. „Danke sehr gut!“

Interessiert sah ich mir die Kleidung der Frauen genauer an. Sie trugen gemusterte Saris, dazu kurze weiße Blüschen mit Puffärmelchen. Das sieht doch sehr hübsch aus, dachte ich, und ist auch viel kleidsamer und weiblicher als Uniformen.

„Wo kann ich hier bitte Geld umtauschen?“, fragte ich die netten Damen.

„Bitte hier entlang! Dort drüben sind die Bankschalter!“, wiesen sie mir freundlich den Weg.

 

Vor dem Schalter der Bank of Ceylon hatte sich schon eine kleine Schlange mit Touristen und Geschäftsleuten gebildet. Im Gegensatz zur Passkontrolle ging es hier zügig voran. Bald schon hielt ich Sri Lankische Rupees als Gegenwert für meine DM in Händen. Interessiert betrachtete ich die Scheine und verstaute sie dann in meiner neuen Gürteltasche. Plötzlich fiel mir ein, dass ich ja mit dem Bus abgeholt werden sollte. Hoffentlich warteten die anderen Reisenden auf mich! Ich drehte mich abrupt um und rempelte dabei einen Mann an, der direkt hinter mir stand.

„Hey, immer en bisschen langsam!“, hörte ich eine Stimme mit unverkennbaren plattdeutschem Dialekt sagen. „Kennen wir uns nicht aus dem Flieger?“

Ich sah auf und blickte direkt in die hellblauen Augen von einem großen, blonden, jungen Mann, den ich bereits flüchtig im Flugzeug gesehen hatte.

„Ja, klar“, sagte ich.

„Ich heiße Jens.“

„Angenehm, Angelika!“ Wir gaben uns die Hand.

 

Schnell kamen wir ins Gespräch. Jens war aus Hamburg und hatte drei Wochen im Robinson Club in Bentota gebucht. Das lag südlich von Colombo, aber nicht so weit südlich wie Koggala. Nachdem Jens ebenfalls Geld umgetauscht hatte, hielten wir zusammen nach unserem Transfer Ausschau. In der Halle gab es jedoch weder einen Reiseleiter, der seine zu betreuenden Gäste um sich sammelte, noch ein entsprechendes Hinweisschild von unserer Reisegesellschaft. Nachdem wir uns durchgefragt hatten, wurden wir schließlich vor dem Flughafengebäude, inmitten von Taxis und Kleinlieferwagen, fündig. Dort stand ein Reisebus, der ein Schild mit der Aufschrift ‚Happy Tours’ hinter die Frontscheibe geklemmt hatte.

 

„Ah, da bist du ja wieder, Angelika! Ich hatte dich schon vermisst!“, rief plötzlich jemand hinter mir. Ich drehte mich um und sah nun in die wässrig-blauen Augen von Gerhard, meinem Nachbarn aus dem Flieger. In der Halle hatten wir uns, was mir aber ganz recht gewesen war, aus den Augen verloren. Nun war Gerhard hocherfreut, mich wieder zu sehen. Er bestieg dicht hinter mir den Bus, nahm gleich wieder neben mir Platz und gab Jens keine Chance, sich neben mich zu setzen. Auf der Fahrt Richtung Koggala nickte Gerhard sofort ein, und leise Schnarchtöne wehten wieder zu mir hinüber.

 

Nein, das wollte ich mir nicht wieder antun! Ich stand auf und ging hinüber zu Jens. Der nette Hamburger saß alleine hinten auf der Rückbank. Sein Handgepäck hatte er neben sich auf die freien Sitze gelegt. Nur zu gerne rutschte er beiseite und machte mir Platz. Nun konnte ich mir Jens ganz genau ansehen. Er sah wirklich unverschämt gut aus! Während wir erzählten, erfuhr ich, dass er dreißig Jahre alt und Grafiker war und eine eigene kleine Firma hatte. Seine Freundin, mit der er zusammenlebte, konnte leider nicht mit nach Sri Lanka fliegen und so hatte er sich entschlossen, alleine Urlaub zu machen.

Schade, dachte ich, die netten Männer sind leider immer schon vergeben!

„Ist das dein Mann oder Freund, mit dem du zusammen gesessen hast?“, fragte Jens.

„Um Gottes Willen!“, antwortete ich. „Ich habe ihn gerade erst im Flieger kennen gelernt. Er ist ziemlich anhänglich. Und das gefällt mir gar nicht!“

Jens lachte und schon waren wir wieder in ein Gespräch vertieft.

 

Nach einer etwa zweistündigen Fahrt hatten wir endlich die Hauptstadt Colombo mit ihrem Mammutverkehr, der aus zahlreichen Staus, lautem Gehupe und penetranten Benzingestank bestand, hinter uns gelassen. Eine Autobahn oder eine Schnellstraße in den Süden der Insel gab es nicht. Und so fuhren wir in gemächlichem Tempo die Küstenstraße entlang. Rechts und links von unseren Blicken reihte sich Palme an Palme, und das türkisblaue Meer blitzte ab und zu durch die Baumstämme hindurch. Mehr als einmal musste unser Busfahrer einheimischen Autofahrern ausweichen, die mit einer halsbrecherischen Geschwindigkeit ihre meist alterschwachen Autos haarscharf an uns vorbeilenkten. Einmal trottete eine Kuh mitten auf der Straße und unser Bus legte einen nicht geplanten Stopp ein. Die Kuh bewegte sich erst fort, als ein Einheimischer mit einem Stock und lauten Zurufen zur Hilfe kam.

 

Wir durchfuhren Dörfer und kleine Siedlungen und die Kinder am Straßenrand winkten uns zu. Und manchmal – wenn wir Glück hatten – gab eine Lücke in den Palmen- oder Häuserreihen einen Panoramablick auf den endlos weiten Indischen Ozean frei. Als wir uns Kalutera, einem Küstenstädtchen, näherten, leuchtete uns schon von weitem das weiße Dach eines großen Tempels entgegen. Als wir an dem imposanten Bauwerk ankamen, hinderte uns eine Schranke am Weiterfahren. Unser Busfahrer stieg aus und ging zu einem kleinen Altar, der am Straßenrand aufgebaut war. Dort betete er und warf einige Münzen in einen Kasten. „Ob das eine Art Wegezoll ist?“, wunderte ich mich. Auf einem späteren Ausflug sollte ich erfahren, warum alle Durchreisenden hier anhalten müssen.

 

Ich hoffte, dass wir unterwegs eine Rastpause machen würden. Der Bus legte aber, außer an den Hotels, an denen Gäste ausstiegen, keinen weiteren Haltestopp ein. In Bentota verließ auch Jens den Bus, was ich sehr bedauerte. Wir hatten vorher noch schnell unsere Adressen ausgetauscht, und Jens versprach, mich einmal in Koggala zu besuchen. Plötzlich fing mein Magen an zu knurren, und ich wurde heftig daran erinnert, dass ich seit dem Frühstück zu nachtschlafender Stunde nichts mehr zu essen bekommen hatte. Zum Glück fand ich noch ein paar Kekse in meinem Handgepäck, die ich gierig verschlang. Da das Horizon das letzte und südlichste Hotel auf unserer Route war, war es bereits vier Uhr nachmittags, Ortszeit, als Gerhard, sechs weitere Gäste und ich endlich ankamen. Das Hotelpersonal empfing uns freundlich, und nach dem Einchecken begleitete mich ein Hausboy zu einem großen Doppelzimmer im zweiten Stock. Ich trat auf den Balkon und mein Blick glitt über einen großen Garten über Palmenwipfel hinweg bis hinüber zum türkisfarbenen Meer. Wow! dachte ich, die Aussicht alleine ist die Mehrkosten für das Zimmer schon wert! Das konnte ich nun, dank Einzelzimmerzuschlag, alleine bewohnen.

 

Ich rechnete schnell nach. Insgesamt, also von Haustür zu Hoteltür, war ich 21 Stunden unterwegs gewesen. Auf einmal war ich hundemüde. Ich beschloss, mich zunächst auf dem großen Bett auszustrecken und etwas auszuruhen. Nach einer halben Stunde, als ich mich wieder etwas regeneriert hatte, stand ich auf, packte meinen Koffer aus und räumte meine Sachen ein. Dann stellte ich mich unter die Dusche und machte mich wieder salonfähig.

 

Erfrischt, aber furchtbar hungrig, wagte ich mich in den Speisesaal, der sich im Erdgeschoss neben der Eingangshalle befand. Dort ging eine große, schlanke Dame in einem roten Sari von Tisch zu Tisch und kontrollierte die Gedecke. Da sie auf mich einen kompetenten Eindruck machte, sprach ich sie auf Englisch an: „Guten Tag! Können Sie mir vielleicht sagen, wann es Abendessen gibt? Ich bin heute Nachmittag angekommen, und ich bin sehr hungrig!“

„Oh, I'm sorry, das tut mir leid“, antwortete sie, „das Buffet wird normalerweise um acht Uhr eröffnet. Aber heute erst um neun Uhr!“

„Warum denn so spät?“

„Heute ist doch Weihnachten, ein besonderer Tag! Und wir brauchen heute mehr Zeit für die Vorbereitungen. Es wird ein besonders schönes Buffet geben.“

Auch das noch! Ich konnte es kaum glauben! Den ganzen Tag über hatte die Reiseleitung uns nichts zu Essen gegeben. Und jetzt sollte ich auch noch bis neun Uhr warten, bis es etwas gab. Ich war stinksauer! Bei nächster Gelegenheit wollte ich mich bei Happy Tours beschweren.

 

Jetzt musste ich erst einmal die Zeit bis zum Abendessen totschlagen. Ich beschloss, einen Rundgang durch die Hotelanlage zu machen und fing mit der Eingangshalle an. Dort sah ich mich doch tatsächlich mit dem zweiten Weihnachtsbaum an diesem Tage konfrontiert. Dieser hier in der Hotelhalle war zwar ein bisschen kleiner als der am Flughafen, aber ebenfalls schön geschmückt. Bunte Luftballons und Dekoketten baumelten in seinen Zweigen. Was für Ideen die Sri Lanker doch haben! dachte ich erstaunt, aber ohne Weihnachtsbäume scheint es hier wohl auch nicht zu gehen, egal ob die Bevölkerung Buddhisten oder Christen sind! Oder ob der Baum nur für die Touristen gemacht worden war?

 

Dann trat ich in den Hotelgarten und sah mich um. Der Garten sah etwas ungepflegt aus, eigentlich nicht so, wie ich das von guten Hotels gewohnt war. Die Anlage wirkte ein wenig wild, was aber irgendwie zum Hotel passte. Es gab keine glatte Rasenfläche, sondern eine sehr unebene Liegewiese, die von Blumen und Bäumen umrandet war. Mein Blick fiel weiter auf die Kokospalmen, die nahe dem Ufer standen. Ihre Stämme waren nicht schnurgerade, sondern gebogen und neigten sich zum Meer hin. Sie sahen aus, als ob sie starken Monsunwinden hatten trotzen müssen. Mein Blick streifte weiter zu einigen Mangrovenbäumen. Ich konnte gut ihre bizarr geformten Wurzeln erkennen, da diese nur zur Hälfte von einem sandigen Boden bedeckt wurden. Neben diesen Bäumen führte eine kleine steinerne Treppe zum Strand hinab. Ich stellte mich auf die oberste Stufe und blickte hinunter.

 

Der Strand, der an den Garten grenzte, war recht klein und steinig, aber rechts von ihm zog sich bis zum Nachbarhotel und darüber hinaus ein kilometerlanger gelbkörniger Prachtstrand hin. Große Wellen rollten an und brachen sich laut krachend an seinem Ufer. Was für ein traumhafter Anblick! Ein paar einheimische Männer sprangen mit fröhlichem Gejohle in die Brandung und ließen sich von ihr wieder ans Ufer spülen. Plötzlich hatten sie mich entdeckt und winkten mir einladend und lachend zu: „Come in! Komm' rein!“

 

Ich schüttelte den Kopf und winkte ab. Nein, nein, heute wollte ich doch noch nicht im Meer baden, ich war ja gerade erst angekommen. Aber am nächsten Tag würde ich bestimmt schwimmen gehen, das nahm ich mir vor. Nun zogen ein paar Wolken auf und verdeckten die Sonne, aber ihre Strahlen lugten weiter hinter ihnen hervor. Die Wolken wurden dunkler und dunkler und färbten sich violett. Was für ein faszinierender Anblick! Schade, dass ich meinen Fotoapparat nicht mitgenommen hatte! Für eine Weile blieb ich noch auf der Treppe sitzen und genoss den wunderschönen Anblick. Dann ging ich wieder ins Hotel zurück.

 

In der Eingangshalle traf ich auf den Front Office Manager, der hinter seinem Pult stand und mir zulächelte: „Good evening, Madam! Ich wünsche Ihnen einen schönen Aufenthalt in unserem Hause!“

Ich grüßte freundlich zurück. Wie nett die Leute hier sind! dachte ich und

Imprint

Publisher: BookRix GmbH & Co. KG

Text: Rebekka Weber
Images: Rebekka Weber
Editing: R. Weber
Publication Date: 07-15-2015
ISBN: 978-3-7396-1859-3

All Rights Reserved

Dedication:
* * * Und mögen die Sri Lanker stets ihr Lächeln bewahren! Ihr Lächeln, das sie sich selbst in schwierigen Situationen nicht nehmen lassen! Ihr Lächeln, mit dem sie Fremde stets willkommen heißen! Ayubowan und Vanakkam! * * *

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