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Ich wollte immer Kinder haben, mindestens zwei. Der richtige Partner, mit dem ich dieses Vorhaben umsetzen konnte, ließ jedoch lange Zeit auf sich warten. 

 

 Als ich Ende zwanzig war, las einmal ein Wahrsager aus meiner Hand: „Sie werden eine späte Mutter werden.“
„Wirklich?“, fragte ich ungläubig. „Aber besser spät als nie! Wie viele Kinder werde ich denn bekommen?“
„In Ihrer Hand sehe nur ich eines!“, lautete die Antwort.
Damals habe ich dies als Scharlatanerie abgetan, aber dieser weise Mann sollte recht behalten.
 

 Mit 36 Jahren heiratete ich zum zweiten Male und je mehr ich mich der 40 näherte, umso lauter tickte meine biologische Uhr. Mit 39 setzte ich endlich die Pille ab und zwei Monate später blieb meine Periode aus. Ich ging zum Arzt und… es hatte geklappt! Ich war tatsächlich schwanger, zum ersten Mal in meinem Leben! 
 

 Mein Gynäkologe gratulierte mir und stellte mir sofort einen Mutterpass aus. Ich machte mir jedoch Sorgen und fragte mich, ob alles gut gehen würde? Schließlich war ich nicht mehr die Jüngste.
Meine Mutter, die damals noch lebte, beruhigte mich jedoch: „Was soll denn da schief geh‘n? Ich habe auch problemlos vier Kinder zur Welt gebracht und bei dir war ich auch schon 37. Wir sind doch gesund, mach’ dir keine Sorgen!“

 

Mein Arzt riet mir zu einer Fruchtwasseruntersuchung, die dann auch ohne jegliche Komplikationen verlief. Ich hatte eine Superschwangerschaft: Mir war nicht schlecht, ich habe gefressen wie ein Scheunendrescher und nahm insgesamt 19 Kilo zu. Als ich im achten Monat war, feierte ich mit hochschwangerem Bauch meinen 40. Geburtstag.

 

Die Geburt meines Sohnes war für den 7. Mai ausgerechnet, er sollte ein Maikäferchen werden. Da ich als Spätgebärende jedoch immer Komplikationen im Hinterkopf hatte, die eventuell eintreten konnten, feierten wir noch gemütlich Weihnachten. Dann packte ich jedoch schon vorsorglich mein Krankenhausköfferchen und stellte es griffbereit neben mein Bett.

 

Im Januar, Februar, März und April ging ich monatlich einmal zur Untersuchung, mein Gynäkologe fand bei diesen Terminen jedoch nie einen Grund zur Besorgnis. Aber als ich im achten Monat war, bekam ich plötzlich Rückenschmerzen, so eine Art Hexenschuss. Mein Orthopäde wollte mir eine Spritze verpassen, mein Gynäkologe war dagegen. So blieb ich vier Wochen zu Hause, konnte jedoch meine Hausarbeit verrichten und ging dann, kurz vor Beginn des Mutterschutzes, noch einmal für drei Arbeitstage ins Büro.

 

Anfang Mai, zwei Tage vor dem errechneten Geburtstermin, verspürte ich ein starkes Ziehen im Unterleib und war mir sicher, dass die Geburt gleich losgehen würde. Mein Mann fuhr mich mit dem seit Monaten gepackten Köfferchen ins Krankenhaus. Es war jedoch Fehlalarm, es hatte sich nur um Senkwehen gehandelt. Ich sollte in zwei Tagen, also am errechneten Geburtstermin, wiederkommen.

 

Am 7. Mai wachte ich morgens um vier Uhr auf. Ich hatte Schmerzen im Leib und Rücken, fast so, als wenn ich meine Periode bekommen würde. Waren das jetzt Wehen oder nicht? fragte ich mich und war mir gar nicht sicher. Vorsorglich hatte ich jedoch meine Matratze mit einer Gummiunterlage und Handtüchern präpariert, und die Fruchtblase ist dann tatsächlich im Bett geplatzt.

 

Um sechs Uhr morgens fuhr mich mein Mann mit quiet- schenden Autoreifen ins Krankenhaus, denn mein Gynäkologe hatte mir im Vorfeld gesagt: „Wenn die Wehen einmal einsetzen, wird das Kind schnell da sein. Es liegt jetzt schon sehr tief.“

 Aber wieder Fehlanzeige! Die Hebamme, die mich gleich nach meiner Ankunft im Krankenhaus untersuchte, meinte: „Der Muttermund ist gerade mal zwei Millimeter auf. Das kann noch bis heute Abend dauern.“

 

Und dann wurde es von Minute zu Minute schlimmer! Die Wehen sprangen mich an wie ein wildes Tier und krallten sich in meinem Bauch und Rücken fest! Ich war nicht in der Lage, Atemübungen zu machen und mich zu entspannen, so wie ich es im Vorbereitungskurs gelernt hatte. Ganz angespannt zählte ich 30 Sekunden und hoffte, dass sich die nächste Wehe Zeit lassen würde. Aber die nächste Wehe kam schnell und genau so heftig wie die vorherige, und dann noch und noch eine. So ging das den ganzen Tag!

 

Ich war den Tränen nahe und heulte: „Müssen diese Schmerzen sein? Warum hast du dir das angetan?“
Anstatt mich an diesem Tag vor Schmerzen zu krümmen, wäre ich viel lieber im Urlaub gewesen und hätte unter tropischer Sonne gelegen! Aber durch diesen Tag musste ich nun einmal durch, da half kein Jammern und Klagen.
Den ganzen Tag bin ich dann im Krankenhaus herumgelaufen, treppauf, treppab! Bei jeder Wehe klammerte ich mich an einem Treppengeländer fest und knurrte meinen Mann an, er solle mich lieber in Ruhe lassen, anstatt mir blödsinnige Anweisungen zu geben, die ich doch nicht befolgen konnte.

  Gegen drei Uhr nachmittags verließen mich meine Kräfte und meine Motivation. Ich hatte einfach keine Lust mehr, herumzulaufen und legte mich im Kreißsaal auf die Liege, die dort für mich bereitstand.
„Können Sie das Kind nicht holen? Ich kann nicht mehr!“, flehte ich den diensthabenden Arzt gegen fünf Uhr an.
„Aber warum denn?“, meinte er. „Alles läuft doch prima! Wenn Sie es bis jetzt geschafft haben, schaffen Sie den Rest auch noch. Für ihr Alter machen Sie das wirklich super!“
 

Als ich ihn dann doch nach einer PDA fragte, sagte er mir, dass ich danach nicht mehr gehen könnte und dass ich dann wahrscheinlich noch bis Mitternacht hier liegen würde. Da habe ich die Zähne zusammen gebissen und mit Hilfe des Arztes, der dann einmal mehr als kräftig auf meinen Leib gedrückt hat, wurde unser Sohn um sechs Uhr abends geboren, spontan, ohne jegliche Hilfsmittel. Er war gesund und munter wie ein Fisch im Wasser!
Zunächst brüllte mein Sohn jedoch eine volle halbe Stunde lang, ungelogen! Wieder war ich den Tränen nahe! Den ganzen Tag hatte ich mich gequält, und dann dieses Szenario! 

 

„Danke!“, sagte mein Mann zu mir und drückte meine Hand. Er hatte mir den ganz Tag über, sogar als ich ihn verflucht hatte und auch später im Kreißsaal zur Seite gestanden. Er sagte nur dieses eine Wort: Danke! Mehr Worte waren nicht nötig, alles war damit zwischen uns gesagt.

 

Schließlich beruhigte sich mein Sohn und hörte auf zu schreien. Er öffnete seine Äuglein, blinzelte mich an und mein Gesicht spiegelte sich in seinen Augen wider! Schlagartig hatte ich alle Strapazen vergessen.

 

Und es wurde doch noch der schönste Tag meines Lebens!

 

 

* * *

 

Imprint

Text: Rebekka Weber
Images: Pixelio, Fotografin Gerd Altmann
Publication Date: 07-28-2012

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