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Titel und Impressum

 

Peter Monien

 

 

 

Abkürzung zur direkten

DEMOKRATIE

 

Das Unmögliche

im jetzigen System

erreichen

 

Version 3.3

 

 

 

 

 

IMPRESSUM

 

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Peter Monien

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Alle Rechte vorbehalten

 

 

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Eine Frage

Wollen wir den Parteien weiterhin für vier Jahre einen Blankoscheck auszuhändigen?

 

Widmung

WIDMUNG

 

 

Für alle ..

 

.. die von der Politik enttäuscht sind

.. die noch etwas verändern wollen

.. die noch nicht aufgegeben haben

.. die auf der Suche nach einer Lösung sind

.. die immer noch hoffen

 

Speziell für

 

.. alle Nichtwähler, die bewusst nicht wählen gehen, um das jetzige System nicht zu legitimieren.

Inhalt

 

 

INHALT

 

Einleitung

 

TEIL I – PROBLEME

 

1. Krise der Repräsentation

2. Repräsentationsschwäche des politischen Systems

3. Macht und Bürgerferne

4. Macht und fehlende Kontrolle
4.1 Stimmabgabe mit integrierter Beerdigung
4.2 Kontrollorgane der Bundesrepublik Deutschland
4.3 Fehlende Gewaltentrennung
4.4 Folgen der fehlenden Gewaltentrennung
4.5 Ausweitung der Rechte der Exekutive und Selbstermächtigung

5. (Demokratieschwächender) Widerspruch im deutschen Grundgesetz?

6. Selbstbedienung der etablierten Parteien
6.1 Parteienfinanzierung
6.2 Ämterpatronage

7. Beeinflussung der Vertreter der repräsentativen Demokratie
7.1 Wie viele Lobbyisten gibt es?
7.2 Wie können die Lobbyisten die gewählten Vertreter beeinflussen?
7.3 Wen werden die Lobbyisten zu beeinflussen versuchen?
7.4 Sind Lobbyisten generell abzulehnen?

8. Beeinflussung der Wähler in einer direkten Demokratie
8.1 Direkte Bestechung einzelner Wähler
8.2 Beeinflussung des Wählers durch Parteien
8.3 Beeinflussung durch Interessenvereinigungen
8.4 Beeinflussung durch Statistiken
8.5 Beeinflussung durch Medien

9. Kann man dem Bürger diese Macht anvertrauen?
9.1 Befürchtungen der Kritiker
9.2 US-Untersuchung widerlegt die Befürchtung der Kritiker
9.3 Ermutigende Erfahrungen mit neuen Bürgerbeteiligungsmodellen
9.4 Gefahr der Unterdrückung von Minderheiten?
9.5 Einige wichtige politische Themen

 

TEIL II – LÖSUNGSANSATZ

 

10. Keine neue Partei, sondern eine neue Art von Partei
10.1 Vertrauen alleine reicht nicht
10.2 Vertrauenswürdigkeit nachweisen

11. Die Proxy Partei als Weg zur direkten Demokratie
11.1 Warum eine Proxy Partei?
11.2 Proxy Partei und Proxy-Abgeordneter
11.3 Proxy Partei als Weg zur direkten Demokratie
11.4 Liquid Democracy in der Proxy Partei
11.5 Welche Aufgaben haben die Abgeordneten?
11.6 Muss es eine Parteiführung geben? Welche Aufgaben hat diese?

12. Bestimmung der Kandidaten
12.1 Profil von Direktwahlkandidaten
12.2 Profil von Listenkandidaten
12.3 Bestimmung der Kandidaten mit einem besseren Wahlsystem

13. Themenfindung und Abstimmung über Themen

14. Kernthemen der Proxy Partei
14.1 Basisdemokratie
14.2 Transparenz
14.3 Medien
14.4 Ergänzende Themen

15. Aus den Kernthemen abgeleitetes Wahlprogramm

16. Software Systeme für die Proxy Partei
16.1 Sicherheit
16.2 Eigenschaften als Wahlsystem und als Koordinationssystem

17. Fragen zur Proxy Partei

18. Wichtigste potentielle Angriffsvektoren und Abwehrmaßnahmen

19. Gab es das nicht schon mit der Piratenpartei und ist gescheitert?
19.1 Gründe für den Aufstieg und Fall der Piratenpartei in Deutschland
19.2 Selbstreflexion und Ausblick
19.3 Abgeleitete Erfolgsfaktoren für die Proxy Partei
19.4 Wie ist die Proxy Partei anders als die Piratenpartei?

20. Warum reicht es nicht, einzelne Proxy-Abgeordnete zu wählen?


Schlusswort: Es wird Zeit!

 

Anhang I – Die Gründung einer Partei

Anhang II - Unterstützung von Direktwahlkandidaten

Anhang III – Erste Ideen zum Prozess für Themenvorschläge

Anhang IV - Mini Publics, Beispiel AmericaSpeaks

Anhang V – Sonstige wichtige politische Themen

Anhang VI – Versionsupdates

 

 

 

Aus Gründen der besseren Lesbarkeit wird auf die gleichzeitige Verwendung weiblicher und männlicher Sprachformen verzichtet. Sämtliche Personenbezeichnungen gelten gleichwohl für beide Geschlechter.

 

 

Einleitung

Der Bürger fühlt sich ohnmächtig gegenüber den Entwicklungen, die ihn überrollen. Die Globalisierung wird wie eine Naturgewalt wahrgenommen, die unaufhaltsam das eigene Leben verändert. Die Löhne der Mittelschicht steigen laut einem OECD -Bericht [1] weniger schnell als die Lebenshaltungskosten. 11% der Haushalte der Mittelklasse der OECD-Staaten sind überschuldet. Ein geringes oder mittleres Ausbildungsniveau reicht immer seltener, um sich in der Mittelschicht halten zu können. Aufkommende neue Technologien gefährden den Arbeitsplatz. Der Bürger fühlt sich abgehängt und hat Angst vor dem sozialen Abstieg.

 

Es existiert kein Adressat für dieses Ohnmachtsgefühl [2]. Die Politiker der großen Parteien verweisen darauf, dass es die unaufhaltbaren Gesetze des Marktes sind und man ebenso gut versuchen könnte, die Welt anzuhalten. Diese sprechen den Bürgern auch ab, über die heutigen komplexen Themen selber entscheiden zu können; deshalb entscheiden sie für die Bürger.

 

Die Stimme des Wählers ist alle vier Jahre gefragt. Dann gibt er seine Stimme ab, in die Wahlurne. Damit beerdigt er auch fast alle Einflussmöglichkeiten, die ihm das politische System zugesteht.

 

Für ihn ändert sich nach der Wahl meist nicht viel. Daher hat er auch das Gefühl, bei der Wahl nur das kleinere Übel wählen zu können. Keine der etablierten Parteien entwickelt eine mutige, langfristige Version einer lebenswerten Zukunft.

 

Aus dieser Ohnmacht heraus resignieren die meisten und gehen nicht mehr wählen. Aufgrund des geringen Vertrauens in die politische Elite wenden sich viele Wähler anderen Parteien zu, die (zu) einfache Antworten bieten, wie z.B. nationalistischen Parteien und ihrer Idee des „Volkes“. Diese erscheinen immer mehr als eine Alternative, die man zumindest versuchen kann. Im schlimmsten Fall entlädt sich die aufgestaute Wut in Gewalt gegenüber schwächeren Bevölkerungsgruppen.

 

Währenddessen interpretiert die Politik das Schweigen der Mehrheit als Zustimmung. Sie überhört bewusst das immer lauter werdende Geräusch des Zähneknirschens.

 

Als Resultat geht das wichtigste Kapital unseres Systems und unserer Republik verloren: Das Vertrauen in die Institutionen und die Demokratie.

 

Aber es sind immer noch wir selber, die über unsere Regeln und Systeme entscheiden. Wir können bestimmen, wie wir die Stärken der Marktwirtschaft nutzen können. Wir können aber auch entscheiden, wo wir sie im Zaum halten, wo sie fehlgesteuert ist: In den Bereichen der Sozialpolitik und der Umwelt. Es ist an uns, ein besseres System zu finden und gemeinsam auszuprobieren. Ein System, in dem nicht der Shareholder Value und die Steigerung des Bruttosozialprodukts an erster Stelle stehen.

 

Wer sagt, dass wir Politikern einen Blankoscheck für vier Jahre ausstellen müssen?

 

Es ist Zeit für ein neues politisches System, in dem der Bürger weit mehr zu sagen hat, als Souverän agiert und auch entsprechende Befugnisse hat. Es geht darum, die politische Macht intelligent zu teilen und direktdemokratische Elemente einzuführen. Demokratie sollte keine Ausnahme sein, die alle vier Jahre stattfindet, sondern die Regel. Wichtige Entscheidungen sollten von den Wählern selber getroffen werden können. Diese müssen durch neutrale Informationen in die Lage versetzt werden, eine Entscheidung zu treffen.

 

Aber wie sollte es zu dieser Mitbestimmung kommen, wenn die alten Parteien bundesweite Volksentscheide ablehnen?
Warum sollten die etablierten Parteien ihre Macht teilweise abgeben?
Was ist ein, in dem jetzigen politischen Parteiensystem, gangbarer Weg, um diesen demokratischen Wandel zu erreichen?

 

Die in diesem Buch vorgestellte Idee einer „Proxy Partei“ ist eine Chance für eine Wiederbelebung der Demokratie. Sie würde das Engagement der Bürger in vielen Bürgerinitiativen und NGOs um einen parlamentarischen Partner ergänzen. Durch die Unterstützung dieses parlamentarischen demokratischen Champions würde ihre Arbeit schneller Früchte tragen.

 

Die Idee der Proxy Partei bietet eine Chance, die wir bald ergreifen sollten. Unsere demokratischen Rechte werden seit vielen Jahren massiv abgebaut und eine nichtdemokratische Führung eines Landes wird, zumindest technisch, immer machbarer.

 

Eine Proxy Partei würde den Wählern weit mehr ermöglichen, als sich zu organisieren, um die Politik unter Druck zu setzen. Sie würde es ihren Mitgliedern erlauben, direkt mitzubestimmen. So kann der dringend benötigte positive Wandel beschleunigt herbeigeführt werden.

 

Um die Notwendigkeit eines demokratischen Wandels aufzuzeigen, lade ich den Leser dazu ein, die Unzulänglichkeiten des heute gelebten politischen Systems in Deutschland zu betrachten. Danach zeige ich einen im jetzigen politischen System umsetzbaren Weg auf, der uns aus dem Dilemma heraus in eine bessere, demokratischere Zukunft führen kann. Zu der Umsetzung unterbreite ich konkrete Vorschläge. Diese sollten dabei nicht als Dogmen verstanden werden, sondern vielmehr als Diskussionsgrundlage.

 

Lasst uns die Chance nutzen, einen Wandel herbeizuführen, der das Wort „demokratisch“ auch verdient hat!

 

[1] http://www.oecd.org/publications/under-pressure-the-squeezed-middle-class-689afed1-en.htm

[2] https://youtu.be/krNrjSFstQQ, Pia Mancini, Democracy Earth Foundation, Millennials and Democracy: Apathy and Noise

Teil I - PROBLEME

Teil I - PROBLEME

1. Krise der Repräsentation

Das Vertrauen in das politische System und Politiker ist bereits seit Jahren nachhaltig gestört.

Die Bürger gehen wählen. Nach der Wahl passiert etwa Folgendes:

 

  1. Parteien gehen eine von ihren Wählern nicht gewünschte Koalition ein
  2. Koalitionsverhandlungen führen dazu, dass die Wahlversprechen der eigenen Partei nur teilweise durchgesetzt werden können und gar nicht erst ins Koalitionspapier gelangen.
  3. Beschlüsse scheinen oft weniger mit logischem Denken und gesundem Menschenverstand als mit Wahlversprechen, Gefälligkeiten u.ä. zu tun zu haben.
  4. Lobbyisten nehmen Einfluss auf Politiker
  5. Wichtige Themen werden in Hinterzimmer-Deals beschlossen
  6. Etliche wichtige Themen werden teilweise noch nicht mal angefasst.
  7. Wenn etwas schiefgeht, ist es keiner gewesen (organisierte Verantwortungslosigkeit)
  8. Parlamentarier genehmigen sich, ihren parlamentarischen Mitarbeitern, den Parteien, den Fraktionen und ihren Stiftungen eine kräftige Erhöhung
  9. Ehemalige Politiker erhalten als Belohnung einen gut dotierten Job

 

Immer und immer wieder. In praktisch jedem Land. Weltweit.

 

Fast nie korrigiert die „Stimme des Volkes“ die politische Beschlusslage. Wenn überhaupt geschieht dies über Initiativen und Nichtregierungsorganisationen (NGOs). Bei jedem Thema muss immer erst genügend Druck aufgebaut werden. Das ist sehr aufwendig. Selten kommen, nach einigen Verzögerungen, nur kleine Zugeständnisse dabei heraus, die dann auch nicht zufriedenstellend umgesetzt werden. Oder die Politiker versuchen, ein bei der Bevölkerung unbeliebtes Thema unter einem anderen Namen durchzusetzen. Politisch interessierte Bürger sind durch diese Ermüdungstaktiken frustriert, fühlen sich ohnmächtig und resignieren.

 

Nur in wenigen Ländern, wie der Schweiz, wird das „Wahlvolk“ auf Landesebene zu einzelnen Themen befragt. In Deutschland aber hat eine Initiative für einen bundesweiten Volksentscheid praktisch keine Aussicht auf Erfolg.

 

Politiker rangieren auf der Beliebtheitsskala sehr weit unten. Laut einer Spiegel Umfrage aus 2016 [1] vertrauen nur 14% der deutschen Bevölkerung Politikern „voll und ganz“ bzw. zumindest „überwiegend“. Laut einer Umfrage von Ipsos haben „nur 11 Prozent der Menschen in den 27 Befragungsländern .. den Eindruck, dass traditionelle Politiker und Parteien sich um Menschen wie sie kümmerten.“ [2] In den USA glauben lediglich 18% der Amerikaner, dass sie ihrer Regierung „fast immer” (3%) oder „die meiste Zeit” (15%) vertrauen können. [3] Es ist kein Wunder, dass die Politikverdrossenheit der Bevölkerung mit jedem Jahr zunimmt.

 

Laut einer Forsa Umfrage [4] empfindet jeder vierte Wahlberechtigte „die Politiker, ihre großspurigen Rituale, das Phrasenhafte ihres Auftretens und die Fragwürdigkeit ihrer Leistungen als das drängendste Problem der Gegenwart.“

 

Viele Wähler fühlen sich ohnmächtig. Sie gehen zwar alle vier Jahre wählen und geben Ihre Stimme ab, können dann aber nur noch mit großen Augen zuschauen, was „die Politiker“ daraus machen.

Der Wähler fühlt sich nicht gehört und nicht repräsentiert und hat damit (zum größten Teil) recht.

 

Dies belegt ein ursprünglich 60 Seiten langer Ergebnisbericht einer empirischen Studie [5] der Universität Osnabrück. Diese untersuchte die Zustimmungsrate der Bevölkerung zu ca. 250 Sachfragen und deren politische Umsetzung. Dessen Ergebnisse sollten in den 5. Armuts- und Reichtumsbericht der Bundesregierung [6] einfließen. Im Originalbericht wurde mehrfach von einer „Krise der Repräsentation“ gesprochen. Das Ergebnis war brisant:

 

  • Für die Gruppe der Einkommensstärksten konnte ein deutlich positiver Zusammenhang zwischen dem Wählerwillen und der politischen Umsetzung nachgewiesen werden.
  • Kein Zusammenhang konnte für die Mittelschicht nachgewiesen werden. Das heißt: Deren Wünsche sind der deutschen Politik egal.
  • Für die armen Bevölkerungsgruppen konnte ein negativer Zusammenhang nachgewiesen werden. Wörtlich heißt es, „dass die Wahrscheinlichkeit auf Umsetzung sogar sinkt, wenn mehr Menschen aus der unteren Einkommensgruppe eine bestimmte politische Entscheidung befürworten“. Was bedeutet: Die Regierung ignoriert die Armen nicht nur, sondern arbeitet praktisch gegen deren Willen.

 

Dass wir die brisanten Ergebnisse des Originalberichts sowie dessen Schlussfolgerungen überhaupt zu sehen bekamen, haben wir der Organisation Lobbycontrol [7] zu verdanken. In einer Pressemitteilung vom 15.12.2016 [8] wird Christina Deckwirth von Lobbycontrol wie folgt zitiert:

 

„Die Bundesregierung zensiert die unliebsamen Ergebnisse ihrer eigens in Auftrag gegebenen Studie. Das ist Realitätsverweigerung. Die vom Arbeitsministerium in Auftrag gegebene Studie zeigt deutlich: Wer mehr Geld hat, dessen Interessen werden eher von der Politik umgesetzt. Einkommensschwache haben dagegen so gut wie keinen Einfluss. Wenn politische Entscheidungen sich einseitig an den Interessen der Bessergestellten orientieren, gerät das demokratische Gleichheitsgebot ins Wanken. Die Bundesregierung könnte diesen Befund zur Kenntnis nehmen und gegensteuern. Stattdessen greift sie zur Zensur. Das ist einer Demokratie nicht würdig.“

 

Änderungen, die laut den Recherchen von Lobbycontrol vorgenommen wurden [9], waren u.a.:

 

  • „In einer früheren Version, die noch nicht von den anderen Ministerien bewertet wurde, hatten die Autoren des Berichts die Studie ausführlich dargestellt. In der aktuell vorliegenden Version wurde nun der Teil, der die Zusammenhänge zwischen sozialer Ungleichheit und politischen Entscheidungen darstellt, weitgehend gelöscht. Die Bundesregierung zensiert also die unliebsamen Ergebnisse ihrer eigens beauftragten wissenschaftlichen Studie.“
  • Die folgende Passage wurde laut Lobbycontrol komplett gelöscht: „„In Deutschland beteiligen sich Bürgerinnen mit unterschiedlichem Einkommen nicht nur in sehr unterschiedlichem Maß an der Politik, sondern es besteht auch eine klare Schieflage in den politischen Entscheidungen zulasten der Armen. Damit droht ein sich verstärkender Teufelskreis aus ungleicher Beteiligung und ungleicher Responsivität, bei dem sozial benachteiligte Gruppen merken, dass ihre Anliegen kein Gehör finden und sich deshalb von der Politik abwenden – die sich in der Folge noch stärker an den Interessen der Bessergestellten orientiert.“
  • „Das Kapitel „Einfluss von Interessenvertretungen und Lobbyarbeit“ wurde gleich vollständig aus dem Bericht getilgt.“
  • „Die Akteure, die ihre Interessen gegenüber der Politik formulieren, wurden zumindest stichpunktartig in der ersten Version genannt – fielen nun aber vollständig den Streichwünschen der anderen Ministerien zum Opfer. Hier tauchten in der ersten Version nicht nur die klassischen Verbände und Unternehmensrepräsentanzen mit ihren Lobbyvertretern auf, sondern auch Think Tanks und Stiftungen.“

 

Eine US-amerikanische Studie „Affluence and Influence“ [10] (Reichtum und Einfluss) der Princeton Universität von 2012 kam zu ähnlichen Ergebnissen. Auch für die US-Politik sind die Ansichten der Armen und der Mittelschicht bestenfalls irrelevant.

 

Die Washington Post schrieb im Mai 2016 während des noch laufenden Präsidentschaftswahlkampfes

 

„Viele Amerikaner, die für Außenseiterkandidaten stimmen, glauben, dass die Regierung sie weitestgehend ignoriert. Wir denken, sie haben recht.“ [11]

 

Zusammenfassung und Fragen

 

Ernüchternde Ergebnisse, belegen diese Studien doch das Versagen der Repräsentation des Bürgers durch seine gewählten Vertreter.

 

Es stellen sich viele Fragen:

 

  • Wie kann es zu so einer Verzerrung kommen?
  • Was verursacht diese Nichtrepräsentation von großen Schichten der Bevölkerung?
  • Was kann politisch unternommen werden, um die jetzige Situation zu verbessern?
  • Gibt es eine Abkürzung zu einer direkteren Demokratie? Zu einem Modell, das es erlaubt, dass der Bürger in dem bestehenden politischen System direkt mitwirken kann, bis hin zu der direkten Einflussnahme auf die parlamentarischen Abstimmungen?

 

[1] http://www.spiegel.de/karriere/berufe-diesen-berufsgruppen-vertrauen-die-deutschen-a-1080403.html

[2] https://www.ipsos.com/de-de/deutsche-wollen-keinen-starken-fuhrer

[3] http://www.people-press.org/2017/12/14/public-trust-in-government-1958-2017/

[4] https://www.gaborsteingart.com/newsletter-morning-briefing/politiker-der-grosse-vertrauensschwund

[5] http://www.armuts-und-reichtumsbericht.de/SharedDocs/Downloads/Service/Studien/endbericht-systematisch-verzerrte-entscheidungen.pdf

[6] https://www.armuts-und-reichtumsbericht.de/DE/Bericht/Der-fuenfte-Bericht/fuenfter-bericht.html

[7] https://www.lobbycontrol.de/2016/12/armuts-und-reichtumsbericht-bundesregierung-zensiert-unliebsame-studie/

[8] https://www.lobbycontrol.de/wp-content/uploads/16_12_15_PM_Zensur_im_ARB_Final.pdf

[9] https://www.lobbycontrol.de/2016/12/armuts-und-reichtumsbericht-bundesregierung-zensiert-unliebsame-studie/

[10] https://press.princeton.edu/titles/9836.html

[11] https://www.washingtonpost.com/news/monkey-cage/wp/2016/05/23/critics-challenge-our-portrait-of-americas-political-inequality-heres-5-ways-they-are-wrong/

2. Repräsentationsschwäche des politischen Systems

In den meisten Ländern können Wähler frei Parteien wählen. Wählt das Land nach Mehrheitswahlrecht (z.B. USA, Großbritannien), regiert die Partei mit den meisten Stimmen. Wird nach dem Verhältniswahlrecht gewählt (z.B. Deutschland), so muss sich die Gewinner-Partei fast immer mit einer anderen Partei zu einer Koalition zusammenschließen, um eine stabile Mehrheit im Parlament zu haben.

 

Es wird davon ausgegangen, dass die vom Wähler gewählten Parteien die Interessen der Wähler dann bestmöglich durchsetzen.

Wie wir in der Einleitung gelesen haben, ist dies aber in der Realität für die große Mehrheit der Wähler nicht der Fall.

 

Wie kommt es dazu? Hier die wichtigsten Gründe:

 

  1. a) Eine Partei kann den einzelnen Bürger praktisch nie zu 100% vertreten

Nach dem Ausfüllen des Wahl-O-Mats zur deutschen Bundestagswahl 2017 [1] hat kaum ein Wähler eine 100%-ige Übereinstimmung mit einer der 32 Parteien festgestellt. Und das bei nur 38 Themen. Bürger/ Wähler sind Individuen und haben individuelle Meinungen.

 

  1. b) Nur wenige Themen wurden vorher mit dem Bürger abgestimmt

Alle politischen Themen in einem Partei- oder Wahlprogramm aufzunehmen, ist schlichtweg unmöglich. Selbst wenn dieses möglich wäre, würde sich wohl kein Wähler diese mehrbändigen Werke durchlesen, und erst recht nicht die von mehreren Parteien. Insofern beschränken sich die Aussagen der Parteien im Wahlprogramm auf nur einige wenige Themenbereiche. Im Übrigen muss der Wähler auf die von ihm bevorzugte Partei vertrauen. Er wählt insofern nicht nur das Wahlprogramm, sondern vielmehr auch die dahinterliegende Philosophie dieser Partei.

 

Hierbei muss deren Ruf nicht unbedingt der Realität entsprechen. Selbst die Namensgebung kann täuschen. Zu den meisten Themen wird sich die Partei nicht mit ihren Wählern abstimmen können. Die gewählten Repräsentanten der Partei entscheiden also bei den meisten Fragen ohne den Wählerwillen zu dieser Frage wirklich zu kennen. In der Realität arbeiten die Parteien nur mit Annahmen; diese können durchaus weitab der Realität liegen.

 

  1. c) Regieren in einer Regierungskoalition verwässert die Parteiziele

Fast immer ist es so, dass eine Partei nach der Wahl nicht alleine regieren kann, sondern einen Koalitionspartner ins Boot holen muss. Nur mit diesem zusammen hat die Partei eine regierungsfähige Mehrheit im Parlament. Insofern kann keine der beiden (oder drei) Parteien ihre kompletten selbstgesteckten Ziele umsetzen. Ein Schelm wer denkt, dass diese Situation den Parteien vorab nicht bewusst ist und deshalb deren Wahlversprechen etwas größer ausfallen lässt. Oft kommt bei der neuen Regierung dann ein „Weiter so!“ mit einigen kleinen Korrekturen heraus, oft nicht zum Besseren.

 

  1. d) Als Abgeordneter ist man auf seine Partei angewiesen

Ein Land zu regieren ist nicht einfach. Es müssen viele Beschlüsse gefasst und Gesetzesänderungen beschlossen werden. Diese Themenvielfalt kann ein einzelner Abgeordneter gar nicht persönlich abdecken. Insofern ist jeder Abgeordneter auf seine Partei angewiesen. Diese muss das Thema so aufbereiten, dass sich der Abgeordnete in sehr kurzer Zeit thematisch einlesen kann, um auf einer guten sachlichen Basis seine Entscheidung zu fällen.

 

Stattdessen hört man von allen Abgeordneten, dass sie (a) zu viele, (b) zu umfangreiche, (c) zu unstrukturierte Unterlagen erhalten, die sie (d) in einer viel zu knappen Zeit durcharbeiten müssen. Häufig kapituliert der Abgeordnete vor dieser, für ihn alleine nicht zu bewältigenden Aufgabe, informiert sich selber nur oberflächlich und folgt schlussendlich der Abstimmungsempfehlung der eigenen Partei.

 

Oder die Partei wählt die Abkürzung und lässt den Abgeordneten im blinden Vertrauen darauf abstimmen, dass die Parteikollegen es schon richtigmachen. Ob das dann der Verantwortung des Abgeordneten gegenüber dem Wähler gerecht wird, mag bezweifelt werden.

 

Dabei ist es erschreckend, wie wenige Abgeordnete über essentielle Fakten und Zusammenhänge Bescheid wissen und wie weit entfernt deren „Wissen“ von der Realität liegt. Befragungen zu dem Wissen über das aktuelle Geldsystem z.B. zeigen in praktisch allen Ländern massive Wissenslücken auf. Dies macht die Abgeordneten „lenkbarer“.

 

  1. e) Als Partei zieht man externen Sachverstand hinzu

Bei der eben aufgeführten Anzahl und Breite an Themen kann auch keine Partei alleine eine gute Aufbereitung der zur Abstimmung anstehenden Themen leisten. Um in der Kürze der Zeit z.B. Entwürfe vorzubereiten, lassen sich die Personen, die die Grundlagenpapiere zusammenstellen, gerne von externer Seite beraten. Dieses ist verständlich und sogar sinnvoll, schließlich sollte eine Entscheidung auf der Basis einer guten Faktenlage und Sachverstand getroffen werden.

 

Von der sehr unterstützenswerten Organisation Abgeordnetenwatch [2], wird aber zurecht bemängelt, dass die Abgeordneten wesentlich öfter Lobbyisten treffen, als die Vertreter von Bürgerinitiativen oder NGOs. Es wird auch zurecht bemängelt, dass es fast immer an Transparenz mangelt, mit wem sich die Verantwortlichen getroffen haben, um sich inhaltlich auszutauschen. Sehr bedenklich sind hierbei die Leistungen, die während der Abgeordnetenzeit oder danach an die Abgeordneten fließen und so ihre Entscheidung beeinflussen können. Auf diese gehe ich noch in Kapitel 7 als eine der Schwachstellen der parlamentarischen Demokratie ein.

 

  1. f) Gremien und Ausschüsse

Doch woher kommen die vorbereitenden Unterlagen und Informationen, welche die Abgeordneten erhalten? Diese werden von der Parteiführung (in deren Sinne) beauftragt zusammengestellt oder werden in Gremien und Ausschüssen erarbeitet. Die meisten der Gesetzesvorlagen kommen zunehmend aus Brüssel. Diese werden im Parlament meist durchgewinkt, da diese aufgrund ihrer Masse sonst den Parlamentsbetrieb aufhalten würden.

 

Diese „Machtballung“, bei wenigen Personen, ist ein perfektes Ziel für die Beeinflussung durch Interessengemeinschaften und eine der großen Schwachstellen der parlamentarischen Demokratie. Dies wird von mir in Kapitel 7 noch näher betrachtet.

 

  1. g) Fraktionszwang

Um regierungsfähig zu bleiben, muss sich die Koalition auf die Unterstützung der Abgeordneten ihrer Partei(en) verlassen. Funktioniert dies nicht, so kann es sein, dass sie ihre Anträge im Parlament nicht durchbringen und die geplanten Gesetze nicht beschließen kann.

 

Laut Artikel 38 des Grundgesetzes [3] ist der Abgeordnete Vertreter des ganzen Volkes, und ist nicht an Aufträge und Weisungen gebunden und nur seinem Gewissen unterworfen. Die Fraktionsdisziplin ist in keinem Gesetz und auch nicht in der Bundestagsgeschäftsordnung festgelegt. Meist wird diese im Koalitionsvertrag festgeschrieben. Es findet eine faktische Unterwerfung der Abgeordneten unter die Partei statt. Der Soziologe Erwin K. Scherch spricht in seinem Buch „Cliquen, Klüngel und Karrieren“ von einem „Feudalsystem“, das vom Prinzip „Tausch von Privilegien gegen Treue“ gekennzeichnet ist.. [4]

 

Abweichler müssen mit einem Verlust ihres Listenplatzes bei der nächsten Wahl rechnen. In schwerwiegenden Fällen können sie auch aus der Fraktion ausgeschlossen werden. Nur sehr wenige Bundestagsabgeordnete, wie z.B. Marco Bülow (SPD), trauen sich deshalb, sich teilweise nicht an die Fraktionsdisziplin zu halten. In einem Interview mit Mission Money [5] und seinem Buch „Wenn schwarze Schwäne Junge kriegen“ verweist der Autor Markus Krall auf die daraus resultierende Selektion der angepassten statt der besten Kandidaten für die Politik.

 

Der Fraktionszwang kann dazu führen, dass ein Gesetz beschlossen wird, obwohl dieses durch weniger als 50% der Abgeordneten befürwortet wird. Insbesondere wenn die Parteiführung Machtmittel, wie Rücktrittsandrohungen oder die Vertrauensfrage, einsetzt, ist dieses sehr wahrscheinlich.

 

  1. h) Abstimmungen zu wichtigen Änderungen mit wenigen Abgeordneten

In der Geschäftsordnung des Bundestags [6], Paragraf 45 Absatz 1 steht:

 

„Der Bundestag ist beschlussfähig, wenn mehr als die Hälfte seiner Mitglieder im Sitzungssaal anwesend ist.“

 

Wie kann es dann zu Abstimmungen mit nur 60 Abgeordneten kommen, die als gültig erklärt werden?

 

Dies liegt an dem Absatz 2 des Paragrafen. Hier ist festgelegt, dass die Beschlussfähigkeit von einer Fraktion oder aber 5% der Anwesenden angezweifelt werden kann. Da praktisch alle Gesetzesentwürfe aber fraktionsübergreifend vorbereitet werden, wird diese Option sehr selten genutzt. Der Bundestagspräsident hat laut Absatz 4 darüber hinaus die Möglichkeit, eine Beschlussunfähigkeit festzustellen, wenn die Anzahl der anwesenden Abgeordneten nicht mind. 25% beträgt. Dieses Recht nutzt er aber kaum.

 

Diese Abstimmungspraxis stellt eine Schwachstelle dar:

 

  • Abstimmungen, die vorab nicht fraktionsübergreifend abgestimmt wurden und bei der die eine Fraktion, die gegen diesen Antrag ist, weniger als 5% der Anwesenden hat
  • Abstimmungen, bei denen die Mitglieder anderer Fraktionen geschickt an der Teilnahme behindert werden (hört sich unglaublich an, wäre aber praktisch durchführbar)
  • Abstimmungen, bei denen sich eine kleine Gruppe aus mehreren Fraktionen abspricht und eine nicht vorbereitete Entscheidung trifft (zugegebenermaßen schwierig, aber möglich)

 

Eine nachgewiesene eindeutige demokratische Legitimität haben die in kleinen Gruppen herbeigeführten Beschlüsse jedenfalls nicht. Staatsrechtler kritisieren diese Gesetzeslage und Praxis [7]. Sie würden sich wünschen, dass mindestens die Hälfte der Abgeordneten im Plenum zu sitzen hat, wenn Gesetze beschlossen werden.

 

Ein Schelm wer hier eine Verbindung der Teilnehmerzahl an Abstimmungen zu der Beliebtheit der Gesetzesänderungen bei den Wählern sieht. Kann doch jeder Abgeordnete dann später seinen Wählern im Brustton der Überzeugung erzählen, dass er bei dieser Abstimmung nicht dabei war. Wie war das noch mit der gleichgeschlechtlichen Ehe und der nur anderthalb Stunden später erfolgenden Abstimmung zum Netzwerkdurchsetzungsgesetz?

 

  • 623 Abgeordnete bei der Abstimmung über die gleichgeschlechtliche Ehe [8]
  • Anderthalb Stunden später ca. 60 Abgeordnete [9] bei der Abstimmung über die massive Einschränkung der grundgesetzlich garantierten Meinungsfreiheit durch das Netzwerkdurchsetzungsgesetz („Anti-Fake-News-Gesetz“). Dieses Gesetz (NetzDG) wurde von vielen Experten, sowie dem UN-Sonderberichterstatter, wegen der Einschränkung der Meinungsfreiheit, massiv kritisiert. Eine offizielle Anwesenheitsliste ist auf der Seite des Bundestags, wie etwa bei der zuvor erwähnten Abstimmung, nicht zu finden. [10]

 

Meine persönliche Meinung dazu: Das war wahrlich nicht die Sternstunde der deutschen Demokratie.

 

  • Es ist peinlich, dass diese beiden, sehr umstrittenen Abstimmungen, nicht direkt hintereinandergelegt wurden.
  • Es ist peinlich, dass sich fast alle Abgeordneten vor dieser Abstimmung gedrückt haben.
  • Und es ist peinlich, dass anscheinend keine Fraktion die Beschlussfähigkeit angezweifelt hat, damit der Bundestagspräsident diese feststellen konnte.
  • Und es ist unvertretbar, dass diese Abstimmungspraxis durch die jetzigen Bestimmungen auch noch gedeckt wird.

 

 

 

Zusammenfassung

 

Es ist es sehr unwahrscheinlich, dass eine Partei den Willen auch nur eines Bürgers 1:1 vertritt. Eine Koalitionsregierung verwässert dieses zusätzlich. Die eigentlichen Entscheidungen werden unter Heranziehung externen Sachverstands und kleiner Vorbereitungskreise vorbeschlossen. Diese Experten und Vorbereitungsgruppen sind ein optimales Ziel für die Einflussnahme von externen Interessensvertreten. Die Parlamentarier haben nur minimale Chancen, nicht mit ihrer Partei zu stimmen. Die finale Abstimmung im kleinen Abgeordnetenkreis ist eine undemokratische, aber legale Praxis.

 

[1] https://www.wahl-o-mat.de/bundestagswahl2017/

[2] https://www.abgeordnetenwatch.de/

[3] https://www.gesetze-im-internet.de/gg/art_38.html

[4] Erwin K. Scherch, Cliquen, Klüngel und Karrieren, S. 117

[5] https://www.youtube.com/watch?v=uyx0rVfCoho, min. 26:05 bis 28:07

[6] https://www.bundestag.de/parlament/aufgaben/rechtsgrundlagen/go_btg/go06/245164

[7] https://www.mdr.de/nachrichten/politik/inland/bundestag-gesetze-ohne-mehrheit-100.html

[8] https://www.bundestag.de/dokumente/textarchiv/2017/kw26-de-ehe-fuer-alle/513682

[9] https://www.berlinjournal.biz/stimmen-fuer-netzwerkdurchsetzungsgesetz/

[10] https://www.bundestag.de/dokumente/textarchiv/2017/kw26-de-netzwerkdurchsetzungsgesetz/513398

3. Macht und Bürgerferne

Die Politik verweist gerne auf das absehbare historische Scheitern der sozialistischen und kommunistischen Systeme. Die wirtschaftliche Argumentation lautet etwa wie folgt:

 

Es ist nicht verwunderlich, dass diese zentral geplanten Systeme nicht funktionieren. Jeder zentral erstellte 5-Jahres-Plan ist von Vornherein zum Scheitern verurteilt. Diese sind zu weit von der Realität und der Realität der Wirtschaft und der Bürger entfernt. Die zentrale Datenverarbeitung ist der dezentralen weit unterlegen, da der zentralen viele Informationen fehlen. Nur der Markt kann die Marktteilnehmer effizient koordinieren. Deswegen ist die Marktwirtschaft auch der Planwirtschaft überlegen.

 

Ein herrscht Vertrauen in den Markt als effizientem Koordinierungsmechanismus und auf das Subsidiaritätsprinzip. Dieses Prinzip besagt, dass alles, was eine politische Ebene leisten kann, nicht von der ihr übergeordneten Ebene oder Instanz übernommen werden soll. Die Gemeinden entscheiden über die lokalen Themen, die Bundesländer über die Landesthemen und der Bund über Bundesthemen. Und dann gibt es noch die EU, die es durch ihre fehlende Bürgernähe in den letzten Jahrzehnten erreicht hat, dass ein Großteil der Europäer zwar für Europa, aber gegen die EU [1] ist und sich europaweit EU-kritische Parteien eines massiven Zuspruchs erfreuen.

 

Das könnte unter anderem am Demokratieverständnis einiger EU-Offizieller liegen, das sich in dem berühmten Zitat von Jean-Claude Juncker prominent niederschlägt:

 

„Wir beschließen etwas, stellen das dann in den Raum und warten einige Zeit ab, was passiert. Wenn es dann kein großes Geschrei gibt und keine Aufstände, weil die meisten gar nicht begreifen, was da beschlossen wurde, dann machen wir weiter - Schritt für Schritt, bis es kein Zurück mehr gibt. “ [2]

 

Neueste Entwicklungen, wie etwa der von Wolfgang Schäuble geäußerte Wunsch der Abkehr vom Einstimmigkeitsprinzip, deuten auf eine zunehmende Verschlechterung der Situation hin. Der Anti Spiegel analysiert die Bedeutung der Übertragung des Haushaltsrechts auf die Ebene der EU. Dieses würde bedeuten, „dass er dieses wichtigste Feld der Politik, von dem alles andere abhängt, aus der demokratischen Kontrolle herausnehmen und in die Hände von Bürokraten und Beamten überführen will, die niemand mehr demokratisch kontrolliert. “ .. „Diejenigen, die dann über unser Geld entscheiden, würden in Brüssel sitzen und von niemand gewählt sein. “ [3]

 

Wer sich, sehr unterhaltsam, über die „demokratische Ferne“ der EU informieren möchte, dem sei ein 10 min. Video der Kabarettsendung „Die Anstalt“ des ZDF auf YouTube zu empfehlen. Der Titel ist: „EU, Demokratie, Einfluss der Bürger, ....„ [4].

 

Wenn man das Bild des Versagens zentraler Systeme auf die Politik überträgt, erhält man etwa folgende, zu vermutende Reihenfolge:

 

Ebene: Gemeinde à relativ nah am Bürger; die Politik ist weitgehend am Bürger ausgerichtet

à Bürgerzufriedenheit: sehr hoch bis ausreichend

 

Ebene: Bundesland à weit weg vom Bürger; die Politik ist zu größeren Teilen am Bürger ausgerichtet

à Bürgerzufriedenheit: mittel bis ausreichend

 

Ebene: Bund à sehr weit weg vom Bürger; die Politik größtenteils nicht am Bürger ausgerichtet

à Bürgerzufriedenheit: mittel bis ungenügend

 

Ebene: EU à am weitesten weg vom Bürger; die Politik ist nur geringfügig am Bürger ausgerichtet

à Bürgerzufriedenheit: mangelhaft bis ungenügend

 

 

Je weiter die Ebene vom Bürger entfernt ist, desto geringer ist die Übereinstimmung mit dem Wählerwillen und desto höher ist die Unzufriedenheit des Bürgers.

 

Dieses wäre lediglich als bedauerlich einzustufen, wenn nicht noch ein weiterer Faktor hinzukommen würde:

 

Je höher die politische Ebene angesiedelt ist, desto größeren Einfluss können deren Beschlüsse auf die Bürger haben.

 

Hier nur einige Themen, die auf der Ebene der EU oder des Bundes getroffen werden, die Einfluss auf die Bundesländer und Gemeinden haben und das Leben aller Bürger stark mitbestimmen:

 

  • Hartz IV Sanktionen
  • Überwachungsgesetze
  • Bankenrettungen
  • Eine neue Währung
  • EU Erweiterung
  • Energiewende/ Klimawandel
  • Asyl- und Migrationspolitik (hier kommt auch noch die UN dazu)
  • NATO-Gefolgschaft
  • Kriegseintritt

 

 

Zusammenfassung

 

Die Nähe zum Bürger und dessen Willen nimmt mit zunehmender Entfernung der staatlichen Institutionen ab. Genau umgekehrt verhält es sich mit dem Einfluss der Institutionen auf den unterschiedlichen Ebenen. Entscheidungen, die auf das Leben des Bürgers weitreichende Konsequenzen haben, werden von der EU und der Bundesregierung getroffen: weit weg vom Bürger (und sehr oft auch von seinem Willen).

 

[1] https://www.theguardian.com/world/2013/apr/24/trust-eu-falls-record-low

[2] http://www.spiegel.de/spiegel/print/d-15317086.html

[3] https://www.anti-spiegel.ru/2019/kein-scherz-schaeuble-fordert-abschaffung-der-demokratie-und-niemand-protestiert/

[4] https://www.youtube.com/watch?v=vfKHCvsstpA, EU, Demokratie, Einfluss der Bürger, .... - Die Anstalt oder die 50 min. Langfassung https://youtu.be/2ZhqdbRorR8

 

4. Macht und fehlende Kontrolle

„Mit großer Macht kommt große Verantwortung.”

 

Politikern wird durch ihre Wähler die Macht der Legislative und der Bundesregierung die der Exekutive übertragen. Damit haben sie eine große Verantwortung. Sie selber sollen durch ein effektives System an Kontrollinstanzen und Gegengewichten beobachtet und gegebenenfalls korrigiert werden. Nur so kann eine gesunde Demokratie gewährleistet werden.

 

4.1 Stimmabgabe mit integrierter Beerdigung

 

Der Wähler wählt einmal in vier Jahren den Bundestag. Er geht zur Wahl und gibt dort seine Stimme ab, in die Wahlurne. Die Wortwahl ist hier übrigens, was für den politischen Bereich sehr ungewöhnlich ist, sehr exakt: Der Bürger gibt seine Stimme tatsächlich an das Parteiensystem AB und BEERDIGT diese (zumeist mit seinen Hoffnungen, dass es dieses Mal besser wird), in der (Wahl-)URNE. Danach hat er keine Macht mehr darüber, wie der politische Apparat im Namen der Wähler agiert und wie

Imprint

Publisher: BookRix GmbH & Co. KG

Publication Date: 07-14-2020
ISBN: 978-3-7487-4976-9

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Dedication:
Wer sagt, dass wir Politikern weiterhin einen Blankoscheck für vier Jahre ausstellen müssen? Es ist Zeit für ein neues politisches System. Wichtige Entscheidungen sollten von den Wählern selber getroffen werden können. Aber wie sollte es zu dieser Mitbestimmung kommen, wenn die alten Parteien bundesweite Volksentscheide ablehnen? Warum sollten die etablierten Parteien ihre Macht teilweise abgeben? Was ist ein, in dem jetzigen politischen Parteiensystem, gangbarer Weg, um diesen demokratischen Wandel zu erreichen? Wie muss die direktdemokratische Mitbestimmung organisiert sein, um effizient zu bleiben? Wie muss sie abgesichert sein, um gute Entscheidungen treffen zu können? Die in diesem Buch vorgestellte Idee einer „Proxy Partei“ ist eine Chance für eine Wiederbelebung der Demokratie. Sie würde das Engagement der Bürger in vielen Bürgerinitiativen und NGOs um einen parlamentarischen Partner ergänzen. Durch die Unterstützung dieses parlamentarischen demokratischen Champions

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