Um mich herum fielen bunte Blätter gen Erde und einige der alten, knorrigen Bäume hatten sich schon komplett ihres Blätterkleides entledigt. In der Luft hing noch immer der Duft des Regenschauers, der in der letzten Nacht heruntergekommen war und mischte sich nun mit den ersten Sonnenstrahlen, die sich vorsichtig durch den Vormittagsnebel kämpften. Es war ja so idyllisch.
Konnte mir also endlich mal jemand sagen, wie ich ausgerechnet mit diesem Idioten hier gelandet war? Was hatte ich angestellt, um diesen arroganten und eingebildeten Sack ertragen zu müssen?
Dabei hatte doch alles so vielversprechend angefangen. Mein bester Freund seit Kindertagen, Marlon, hatte beschlossen, seinen dreiundzwanzigsten Geburtstag in Form eines Wochenendtrips zu der elterlichen Blockhütte im Bayerischen Wald zu verbringen.
In mühevollster Kleinstarbeit hatte er eine Route ausgetüftelt, der zufolge wir die Hütte nach einem gut vierstündigen Marsch erreichen müssten. Müssten!
Dann hatte er den üblichen Kreis der Verdächtigen eingeladen und mit der gut aufgefüllten Bar seines Vaters gelockt. Ach was, verführt hatte er sie, die faule Bande, denn der Marsch wurde ohne Murren in Kauf genommen. Was taten arme Studenten nur alles für ein Schlückchen Feuerwasser.
Der einzige Punkt, der mir die Vorfreude etwas verhagelt hatte, war die Tatsache, dass Marlon darauf bestand, Jonas mitzunehmen. Eigentlich sollte es mich nicht wundern, denn Jonas war – nach mir – Marlons bester Freund. Trotzdem hatte ich ihm insgeheim die Pest an den Hals gewünscht. Na gut, vielleicht nicht die Pest. Aber eine gepflegte Magenverstimmung, mit Durchfall und stundenlangem Klogang inklusive, hätte, meiner Meinung nach, drin sein können.
Leider schien der Herr von und zu Obercool die eiserne Konstitution eines Ackergauls zu haben, denn nicht einmal der Bohneneintopf der Unimensa, den ich ihm erfolgreich angedreht hatte, konnte ihm etwas anhaben und so tauchte er gut gelaunt an dem Parkplatz auf, den wir als Treffpunkt ausgemacht hatten.
Neben Marlon, Spatzenhirn und mir gehörten noch Svenja, Maria und Ferdinand zu unserem Freundeskreis, der es darauf angelegt hatte, seiner Leber etwas zu arbeiten zu geben.
Svenja war meine Exfreundin. Zum Glück hatten wir uns im Guten getrennt, denn ansonsten wäre unsere Clique wohl kaum so heil aus der Affäre gekommen. Im wahrsten Sinne des Wortes. Denn viel mehr war es für mich eigentlich nicht gewesen. Leider hatte sie es dann irgendwann ein wenig anders gesehen und mich vor die Wahl gestellt: Eine ernsthafte Beziehung oder Schluss machen. Ich hatte mich für die Notbremse entschieden.
Das war jetzt fast zwei Jahre her und ich wunderte mich manchmal immer noch über den glimpflichen Ausgang unseres … was auch immer es war. Einmal hatte ich sie sogar danach gefragt, nachdem mich jemand, ich glaube, es war Ferdinand, verwundert darauf angesprochen hatte.
„Weißt du, Elias, ich denke das lag daran, dass du mich nie geliebt hast und ich mir dessen bewusst war.“ Hatte ich erwähnt, dass sie mit einer Bierflasche in der Hand, regelmäßig zu Einstein mutierte und die klügsten Weisheiten vom Stapel ließ, die sie noch dazu in vorbildlichste Formulierungen hüllte? Ganz die schlaue Germanistin eben.
Ich war mit der Antwort zufrieden, denn ich wusste, dass sie richtig lag. Ich hatte sie nie geliebt. Um ehrlich zu sein, wusste ich nicht einmal, warum ich überhaupt mit ihr zusammen war. Marlon war der Ansicht, dass ich das aus reinem Selbstschutz getan hatte. Und aus Bequemlichkeit.
Nun ja, ich war halt kein Romantiker und ich hatte wohl auch noch nie so empfunden, dass ich irgend so einen romantischen Schwachsinn hätte rechtfertigen können. Ich hatte noch nie in meinem Leben Blumen für eine Frau gekauft, geschweige denn gepflückt, die nicht meine Mutter war. Und ich war dreiundzwanzig. Irgendetwas lief wohl nicht so ganz rund bei mir.
Dabei war es nicht so, dass sich mir keine Möglichkeiten geboten hätten. Im Gegenteil. Ich schwamm für mein Leben gern und das sah man meinem Körper auch an. Wo andere im Fitnessstudio schwitzten und ackerten, um ihren Körper auch nur annähernd in Form zu bringen, reichte bei mir ein Schwimmbad. Der Rest kam ganz von allein. Für mein ganz ansehnliches Gesicht, die strahlend grünen Augen und meine Körpergröße von gut einem Meter neunzig, konnte ich hingegen nichts. Daran waren die Gene schuld, die ich ganz sicher nicht verteufelte.
Aus diesem Grund hielt Meister Yoda, Verzeihung, Marlon meine „Beziehung“ mit Svenja für Selbstschutz. Ich hatte mit ihr jemanden, hinter dem ich mich verstecken konnte. Nicht im wörtlichen Sinne versteht sich, denn dazu wäre Svenja mit ihren knappen eins sechzig wohl nicht wirklich geeignet.
Aber ich hatte meine Ruhe. Wurde nicht pausenlos angequatscht und die Flirterei hörte auf. Nicht gänzlich, aber ich hatte eben meine Ruhe. Und das war etwas, das ich durchaus zu schätzen wusste. Nachdem Svenja mir den Laufpass gegeben hatte, war es damit leider vorbei und ich fühlte mich wieder beobachtet. Wahrscheinlich war das pure Paranoia gewürzt mit einer scharfen Prise Selbstüberschätzung, aber dafür konnte ich ja nichts. Und eine Freundin war anstrengend. Und wieso sollte ich mir sowas antun, wenn ich doch meine rechte Hand hatte?
Vielleicht sollte ich in eine Selbsthilfegruppe gehen. „Hallo, mein Name ist Elias und ich bin ein Arschloch.“ Gab es dafür überhaupt solche Zusammenkünfte? Sollte mal einer einführen.
Nun ja. Auf jeden Fall verstanden Svenja und ich uns prächtig, seit wir Schluss gemacht hatten. Sie war zu meiner besten Freundin geworden und das war wesentlich besser, als jegliche Alternative.
Maria wiederum war über Svenja in unseren kleinen Kreis gerutscht. Sie studierte mit ihr gemeinsam Germanistik und war irgendwann einfach mit dabei gewesen. Inzwischen wollte sie niemand mehr missen, denn sie war der ruhende Pol unserer kleinen Truppe aus Chaoten. Hatte für jeden ein offenes Ohr und war eine wirklich treue Seele. Und hoffnungslos in Ferdinand verliebt, der das allerdings nicht raffte.
Zu unserer Schande muss ich gestehen, dass wir eine kleine interne Wette am Laufen hatten, wann er es wohl rausfand zum Ersten und zum Zweiten, wann er feststellte, dass er genauso verrückt nach ihr war, wie sie nach ihm. Marlon, Svenja, Obermacker und ich hatten jeweils einen Zwanziger investiert und fieberten nun bereits seit vier Monaten der Auflösung entgegen. Natürlich durfte ihm niemand einen Tipp geben, denn das wäre Mogelei und das taten wir nicht. Nur beim Kartenspielen. Also harrten wir alle der Dinge, die da kamen.
Ferdinand selbst hatte ich während einer Einführungsveranstaltung in Informatik kennen gelernt und ihn kurzerhand adoptiert. Er hatte nämlich noch hilfloser als ich ausgesehen und zu zweit keinen Peil zu haben, ist ja um so vieles beruhigender.
Blieb noch Er. Jonas. Ihn hatte Marlon angeschleppt. Und zwar ganz knapp nachdem ich Ferdinand mitgebracht hatte. Auch irgendwann vor drei - oder waren es schon vier? - Jahren. Sehr zu meinem Missfallen hatte er sich sofort in die Gruppe eingefügt und sich mit allen gut verstanden. Ich bildete da wohl eine Ausnahme, die zum Glück auf Gegenseitigkeit beruhte.
Ferdinand neckte uns immer damit, dass bei uns der Spruch „Gleich und Gleich gesellt sich gern“ mal überhaupt nicht passte. Dabei hatte er mit dem Gleich und Gleich nicht Unrecht. Vom Äußeren war Jonas vielleicht noch attraktiver als ich. Hm, nein. Sagen wir, er war genauso attraktiv. Hört sich besser an.
Er war mindestens so groß wie ich. Vielleicht ein paar Zentimeter größer. Beide hatten wir dichtes, verwuscheltes Haar, meins dunkelblond, seins schwarz und beide hatten wir durchtrainierte Körper, wobei wir beide keine Muskelmäster waren, sondern eher in den athletischen Bereich gehörten. Bei Jonas sogar im wahrsten Sinne des Wortes, denn er war der Star des Leichtathletikteams der Uni. Und hatte dementsprechend viele Fans. Ich gehörte nicht dazu!
Ein Großteil seiner Anhänger wurde jedoch ziemlich enttäuscht, als er ganz gelassen klarstellte, dass er sich nicht weiter für das weibliche Geschlecht begeistern konnte. Das hatte ich allerdings nicht mitgekriegt. Ich kannte ihn nur als schwulen Supersportler. Sachen gab`s.
Marlon hatte sich davon nicht abschrecken lassen und nach dem er jegliche Avancen seitens des Halbaffen abgeschmettert hatte, hatte er ihn ganz vergnügt in unsere Gruppe integriert. Und war meine Proteste mit selektiver Taubheit übergangen.
Man hatte es nicht leicht. Aber immerhin hockten wir nun schon seit drei oder eben vier Jahren aufeinander und bis zum heutigen Tag lebten wir noch. Das konnte sich in den nächsten paar Minuten allerdings schleunigst ändern.
Der Dummschwätzer war nämlich schuld, dass wir den Anschluss verloren hatten. Ich wusste zwar, dass es eine ausgearbeitete Route gab, hatte aber keinen Schimmer, wo diese verlief. Und ich würde mich auch gar nicht damit beschäftigen müssen, wenn der Hohlbirne nicht auf halber Strecke eingefallen wäre, dass er etwas im Wagen vergessen hatte.
Marlon hatte darauf bestanden, dass ich ihn zurück begleitete, während die anderen schon mal vorgingen. So im Nachhinein erschien es mir reichlich suspekt, dass ausgerechnet ich mit umkehren musste. Vermutlich hoffte Marlon auf ein klärendes Gespräch, denn auch die anderen hatten sich quer gestellt und darauf beharrt, dass ich ihn begleiten sollte.
Dass wir niemanden allein ließen, war eine Faustregel, die bisher noch nie gebrochen worden war, seit wir sie aufgestellt hatten. Der Grund für diese Regel lag in einer durchzechten Nacht, in der Ferdinand beinahe erfroren wäre, weil er sich selbst ausgesperrt hatte. Im tiefsten Winter. Und Marlon, als unsere Glucke, hatte dann diese Regel begründet, an die sich alle strikt zu halten hatten.
„Ich konnte doch nicht ahnen, dass der Weg so verkehrt ist“, meldete sich Flachzange in diesem Moment zu Wort und riss mich damit in die unbequeme Gegenwart.
„Ich hätte schon bei dem Wort Abkürzung misstrauisch werden sollen“, knurrte ich grimmig und stiefelte stur voran. Ich hatte keine Ahnung, wo wir waren.
„Und ich hätte darauf bestehen sollen, alleine umzukehren“, murmelte er gerade deutlich genug, damit ich es noch hören konnte.
„Ich hätte nichts dagegen gehabt“, erwiderte ich bissig.
„Halt einfach die Klappe und lass uns weiter gehen“, befahl er nicht gerade charmant.
„Ich halte die Klappe, wenn es mir passt.“ Kam es mir nur so vor, oder klangen wir hier verdächtig nach Kindergarten?
„Was hattest du überhaupt vergessen, dass du es unbedingt holen musstest?“, wollte ich schließlich wissen, nur um nicht in Schweigen zu versinken.
„Mein Geschenk“, antwortete er bereitwillig. Vielleicht etwas zu bereitwillig.
„Was schenkst du ihm denn?“ Noch während ich die Frage stellte, wusste ich, dass ich in seine Falle getappt war, denn die Antwort kam prompt und brachte mich ins Straucheln.
„Kondome und Gleitgel.“
„Was?“, keuchte ich und wirbelte entsetzt zu ihm herum, nachdem ich mein Gleichgewicht wieder gefunden hatte.
„Willst du wirklich wissen, was wir damit vorhaben?“ Provozierend hob das Frettchen seine Augenbraue. Die blauen Augen blitzten vor Spott.
„Nein!“ Ich schrie das Wort beinahe und drehte mich wieder um, nur um so gut wie blind weiter zu stolpern.
Was sollte Marlon mit dem Zeug…? Moment! Hatte er Wir gesagt?
Nur mit äußerster Selbstbeherrschung gelang es mir, mich nicht wieder zu ihm umzudrehen. Hatte er es etwa geschafft, Marlon umzupolen? Das konnte nicht sein. Durfte nicht sein.
Wütend trat ich das Laub beiseite, das den Weg vor uns bunt bedeckte. Scheiß Farben! Mir war gerade nach Regen, Hagel und Gewitter. Und schwarz!
So ein richtiges tiefes Schwarz. Nachtschwarz. So seidig glänzend und alles verschluckend, wie Jonas` Haare. Stopp! Was dachte ich da? Der Dämlack brachte mich noch mal in die Geschlossene.
Den Tag verfluchend, an dem Marlon meine persönliche Geduldsprobe angeschleppt hatte, stiefelte ich weiter voran.
„Stört dich das etwa?“, fraß sich seine Stimme in meine Nerven.
Ich ignorierte ihn. Versuchte es. Musste es. Ansonsten hatten wir hier bald einen Mord zu melden und das dämliche Päckchen, das der Dünnbrettbohrer als Marlons Geschenk deklarierte, würde nicht länger meine Nerven strapazieren, sondern die Tatwaffe in einem Mordprozess darstellen.
„Redest du nicht mehr mit mir?“ Seine Stimme klang eindeutig belustigt. Ich biss die Zähne zusammen und überlegte mir schon mal Leichenverscharrungsorte.
„Du kannst mich nicht ewig ignorieren, weißt du? Wir haben noch einen ganzen Tag vor uns, bevor du dich wieder in dein Planschbecken flüchten kannst. Hast du eigentlich mal nachgesehen, ob du schon Schwimmhäute zwischen den Fingern hast?“ Interessiert holte er auf und versuchte während des Gehens einen Blick auf meine Hände zu erhaschen. Armleuchter! Der hatte die Selbsthilfegruppe für Arschlöcher ja so viel nötiger, als ich!
„Hast du schon mal nachgesehen, ob du von deinem letzten Hochsprung noch den Stock im Arsch hast?“, fauchte ich, mit meiner Geduld am Ende und blieb mit einem Ruck stehen, bevor ich mich wieder zu ihm umdrehte. Überrumpelt blieb auch er stehen, bevor sich ein hinterhältiges Grinsen auf seinem Gesicht abzeichnete.
„Ich habe nicht nachgesehen, aber ab und zu habe ich nichts dagegen, etwas in meinem Arsch zu haben“, wisperte er anzüglich und jagte mir damit eine Gänsehaut über den Rücken.
Ganz langsam trat er noch näher an mich heran, sodass sich beinahe unsere Nasenspitzen berührten. „Trotzdem liege ich lieber oben. Und ich bin gut darin.“ Ich hatte gar nicht mitbekommen, dass sich seine Lippen meinem Ohr genähert hatten, bis er sanft hineinblies.
Erschrocken sprang ich einen halben Meter zurück und brachte damit einen Sicherheitsabstand zwischen uns.
„Du hast sie ja nicht mehr alle“, brüllte ich ihn an.
Ich war stinkwütend. Und was tat er? Er legte den Kopf in den Nacken und lachte schallend auf. Ein Laut, der direkt aus seinem tiefsten Inneren zu kommen schien und mir in die Knochen fuhr. Was stimmte nur nicht mit mir?
„Du lässt dich auch immer wieder provozieren“, keuchte er schließlich atemlos und hielt sich seinen Bauch.
„Provozieren? Du redest davon, meinem besten Freund an die Wäsche zu wollen!“ Ich blitzte ihn aus zusammengekniffenen Augen an. „Lass gefälligst deine Drecksgriffel von Marlon, hast du verstanden?“
Nun verengten sich auch seine Augen angriffslustig und der Rest des Lachens verschwand aus seinem Gesicht.
Lauernd trat er näher und baute sich zu seiner vollen Größe vor mir auf. Vielleicht wirkte das auf andere einschüchternd. Ich musste nicht unterwürfig zu ihm aufblicken, denn unsere Augen befanden sich auf derselben Höhe und dementsprechend verfehlte es seine Wirkung.
Ich zauberte ein süffisantes Lächeln auf mein Gesicht. „Klappt wohl nicht so mit der Einschüchterung, was? Dumm gelaufen, würde ich da meinen und jetzt hör mal zu, du zu groß geratene Primaballerina: Lass die Finger von Marlon!“ Ich betonte jedes einzelne Wort.
„Wenn ich es nicht besser wüsste, würde ich sagen, du bist eifersüchtig!“ Misstrauisch suchte er mein Gesicht nach irgendwelchen verräterischen Anzeichen ab.
Eifersüchtig? Ich? Auf Marlon? Lächerlich!
„Du brauchst nicht eifersüchtig auf mich zu sein, Schätzchen. Marlon wird auch mit einem erfüllten Sexleben noch Zeit für seinen kleinen Schoßhund haben.“
Eifersüchtig auf ihn? Da hatte ich wohl was durcheinander gebracht. Egal. Darüber würde ich mir später den Kopf zerbrechen.
„Sei da mal ganz unbesorgt. Als Mitbewohner, die sich eine doch sehr beengte Wohnung teilen, habe ich da keine Bedenken. Was mich stören würde, wäre, dass du dann noch häufiger bei uns rumhängst und ich irgendwann auf deinen vielen Schleimspuren ausrutschen würde.“
„Was macht ihr denn da? Auseinander, aber sofort!“ Erschrocken zuckten wir zusammen und wichen automatisch zurück.
Marlon erschien auf der Bildfläche. Einige seiner dunklen Haarsträhnen klebten ihm verschwitzt in der Stirn.
„Da seid ihr ja. Wir haben euch schon eine Ewigkeit gesucht. Und dann steht ihr hier und brüllt den ganzen Wald zusammen?“ Vorwurfsvoll musterte er uns abwechselnd. Dass er einen Kopf kleiner war, als wir, tat dem keinen Abbruch. Die Botschaft kam an.
„Sorry“, sagte ich, so zerknirscht ich konnte.
„Ja, sorry“, sagte auch Klugscheißer, wobei meine Version deutlich besser rübergekommen war.
„Gehen wir“, forderte uns Marlon energisch auf und scheuchte uns praktisch vor sich her, nachdem er mir – mir! – noch einen mahnenden Blick zugeworfen hatte.
„Ihr benehmt euch ziemlich absonderlich“, stellte Svenja an diesem Abend treffsicher fest. Mit einer Flasche Bier in der Hand. Ansonsten würde sie solche absonderlichen Worte wahrscheinlich nicht benutzen.
Wir saßen zusammen auf der kleinen Couch vor dem prasselnden Kamin und starrten in die Flammen. Maria hatte ihr IPhone hervorgekramt und es an die mitgebrachten Lautsprecher angeschlossen, sodass Musik die kleine Hütte beschallte. Zum Glück in einer angenehmen Lautstärke.
„Hm“, machte ich, als ich bemerkte, dass Svenja anscheinend auf eine Erwiderung wartete.
Ferdinand und Maria unterhielten sich angeregt, während sie die letzten Teller abspülten – sie hatten beim Losen verloren, ganz zufällig natürlich – und Marlon und Sparstrumpf saßen am Tisch und unterhielten sich im Flüsterton, was mich noch misstrauischer machte und irgendwie ablenkte.
„Elias!“ Svenja wedelte mit ihrer Flasche vor meinem Gesicht herum.
„Was?“
„Du hörst mir gar nicht zu“, maulte sie.
„Tut mir Leid.“ Leugnen war zwecklos. „Sag mal, glaubst du Marlon ist schwul?“
Sie sah mich ungläubig an und ihre Augen huschten automatisch zu ihm rüber. Dann sah sie wieder mich an. „Wie, um alles in der Welt, kommst du denn darauf?“ Sie klang ehrlich erstaunt und dieses erstaunen war momentan Balsam für mein angespanntes Nervenkostüm.
„Jonas hat so etwas angedeutet.“ Angestrengt versuchte ich die Flüssigkeit in meiner Flasche durch den Flaschenhals zu erspähen.
„Jonas hat dir gesagt, Marlon sei Schwul?“ Ungläubig stellte sie ihre Flasche ab und wandte mir ihre volle Aufmerksamkeit zu. Das flackernde Licht des Feuers zauberte sanfte Schimmer auf ihr Gesicht und rötliche goldene Reflexe in die blonden Haare.
„Warum habe ich mich nur nicht in dich verliebt?“, seufzte ich zusammenhangslos und entlockte ihr damit ein Lächeln.
„Ich glaube, du wandelst gerade auf dem Pfad der Erleuchtung und wirst das in Kürze selber herausfinden“, orakelte sie.
„Sehr witzig“, murrte ich und schielte abgelenkt wieder zu Marlon und seinem Anhängsel hinüber, die in diesem Moment aufstanden und zu uns herüber kamen.
„Wir müssen irgendwas machen“, platzte Marlon sofort heraus.
„Plätzchen backen?“, schlug ich hilfsbereit vor.
„Nein, du Sternekoch, irgendwas wegen Ferdinand und Maria. Die rauben mir noch den letzten Nerv. Wieso schnallen die nicht, dass sie einander hoffnungslos verfallen sind?“ Theatralisch seufzte Marlon und ließ sich auf dem Teppich zu meinen Füßen nieder. Sein Anhang tat es ihm nach.
Interessiert beugte Svenja sich vor.
„Was hast du im Sinn? Ich finde es ebenfalls sehr strapaziös, wenn die Parteien dermaßen ahnungslos sind.“
Himmel, was war das denn? Das war sogar für ihre Verhältnisse nicht mehr normal. Ich schüttelte den Kopf.
„Wäre Flaschendrehen zu kindisch?“ Marlon zuckte nicht einmal mit der Wimper angesichts Svenjas verbaler Meisterleistung.
„Flaschendrehen? Sind wir dafür schon betrunken genug?“ Skeptisch hielt ich meine Flasche gegen das Licht.
„Es geht hier nicht um dich“, fuhr mich der Teufelslehrling ungehalten an und erntete dafür von Marlon ein Grinsen.
„Was denn? Er darf mich also anpampen?“ Anklagend deutete ich mit meinem Zeigefinger in seine Richtung und sah Marlon erwartungsvoll an.
„Himmel, ihr seid wie die kleinen Kinder. Jonas, halt die Klappe!“
„Danke!“ Ich ließ meinen Finger zufrieden sinken.
Ob da tatsächlich was zwischen den beiden lief? Ich versuchte sie ganz objektiv zu beobachten, wie sie da so unschuldig auf dem Teppich saßen und einen Verkupplungsplan schmiedeten. Sie saßen nah beieinander. Aber das taten Freunde, oder? Was mich störte, waren die Blicke, die sie immer wieder austauschten. Als würden sie ein Geheimnis mit sich herumtragen, das niemanden etwas anging. Und das versetzte mir einen Stich. Genau in der Herzgegend.
Energisch drängte ich dieses Gefühl zurück und nahm einen kräftigen Schluck aus der Flasche, um meinen Hals frei zu spülen. Ich war nicht annähernd betrunken genug für dieses Spiel, das sie nun tatsächlich vorbereiteten. Adonis war eilfertig aufgesprungen und kam schließlich mit unserem nichtsahnenden, glücklichen Paar in Schlepptau zurück und nötigte uns schließlich alle, einen Sitzkreis zu bilden.
Svenja giggelte fröhlich vor sich hin und auch Marlon machte mit einem Mal einen ziemlich betrunkenen Eindruck. Anscheinend hatte ich den Knackpunkt des Planes überhört, an dem wir alle so taten, als hätten wir schon ordentlich einen in der Krone.
Selbst der Stockathlet setzte ein überbreites Grinsen auf. Nachdem ich von drei Seiten auffordernd angestarrt wurde und von Svenja einen Rippenstoß kassiert hatte, verzog ich mein Gesicht ebenfalls zu einem Grinsen. Zumindest hoffte ich, dass es eins war, denn es fühlte sich eher nach einer sehr tauglichen Halloweengrimasse an.
„Ihr wollt Flaschendrehen spielen?“ Maria sah nicht überzeugt aus.
„Aber sichaa, Kleenes.“ Na hoffentlich übertrieb Marlon es nicht. Superpapagei, der direkt neben ihm saß, legte ihm warnend die Hand auf die Schulter und ließ sie dort liegen, als er meinen Blick bemerkte. Arschloch! Er sollte seine Hand dort wegnehmen. Merkte er nicht, dass Marlon nicht das geringste Interesse an ihm hatte? Zumindest hoffte ich das.
„Auf geht`s“, kicherte Svenja aufgeregt und drehte die Flasche.
War ja klar. Sie deutete natürlich auf mich und sie beugte sich prompt zu mir rüber und verpasste mir einen Schmatzer. Blödes Spiel!
Schicksalsergeben drehte ich sie und musste Maria mit einem Küsschen beglücken. Ferdinand erdolchte mich danach mit Blicken. Vielleicht war dieses Spiel doch nicht so schlecht. Wenn der schon Mordgedanken hegte, weil ich Maria einen so keuschen Kuss aufgedrückt hatte…
Maria hatte in der Zwischenzeit gedreht und Marlon geküsst. Das hatten sie wohl nicht einkalkuliert. Mussten wir jetzt etwa so lange spielen, bis hier jeder jeden einmal abgeschlabbert hatte? Na super. Wo war nochmal die angepriesene Bar des Hausherren?
Mein suchender Blick wurde erst wieder zurück ins Geschehen gelenkt, als Maria neben mir loslachte und Svenja ein überdeutliches Schmatzgeräusch machte. Was war denn jetzt los? Die Flasche zeigte auf den Trollkönig und alle sahen Marlon erwartungsvoll an. Nein!
Angespannt beobachtete ich, wie Marlon seinen Kopf etwas anhob und Jonas seine weichen Lippen wie in Zeitlupe auf seine legte. Ein leichtes Lächeln schien sich auf Marlons Lippen zu stehlen, das er allerdings nicht lange beibehielt, weil er energisch seinen Mund öffnete und mit seiner Zunge nach Einlass suchte.
In meinem Körper verkrampfte sich alles. Mein Herz schlug dagegen wie ein verrückt gewordener Kolibri mit seinen Flügeln und jagte mein Blut durch die Adern. Ich konnte nur noch sehen, wie Jonas langsam seinen Mund öffnete und dann…
Ich hatte keine Ahnung, wie ich mich bewegt hatte, aber auf einmal stand ich hinter Jonas und zog ihn einfach weg. Raus aus dem Kreis und weg von Marlons gierigen Lippen. Ich funkelte meinen besten Freund wütend an, als der tatsächlich den Nerv hatte, mich offen anzugrinsen.
Jonas hing immer noch in meinen Armen und versuchte nun auf die Beine zu kommen. Wahrscheinlich war es das, das mich in die Wirklichkeit zurückholte. In eine Wirklichkeit, in der ich von meinen Freunden äußerst interessiert gemustert wurde, Svenja zufrieden lächelte, Marlon offen lachte und ich Jonas` warmen Körper schützend an mich presste.
Wie von der Tarantel gebissen, ließ ich ihn los und stürzte nach draußen. Ich brauchte frische Luft.
„Elias!“, hörte ich hinter mir irgendwen rufen, aber das interessierte mich gerade überhaupt nicht. Keuchend knallte ich die Hüttentür hinter mir zu und lehnte mich schwer atmend gegen die Holzwand. Was war das denn gewesen? Ich war fix und fertig. So fertig, wie nach einigen Bahnen Schmetterling. Obwohl, das stimmte nicht, denn ich verspürte nicht diese angenehme Erschöpfung. Nicht diese Lockerheit.
Stattdessen war ich angespannt. Ich fühlte eine innere Unruhe und hatte noch immer das Bild von Marlons Lippen auf Jonas` Mund vor Augen. Verzweifelt presste ich mir Daumen und Zeigefinger auf die Augenlider und drückte zu.
„Was machst du denn da? Wills du erblinden?“ Nein! Bitte nicht. Jonas` Stimme erklang direkt neben mir.
„Bitte, geh` einfach wieder rein“, bat ich resigniert.
„Nicht bevor du mir in die Augen gesehen hast, und mir gesagt, hast, was das eben sollte.“ War ja klar.
„Vergiss es einfach wieder“, forderte ich ihn gequält auf.
„Ganz bestimmt nicht.“ Seine Stimme war leise. Sanft zog er meine Hand von meinen Augen weg. Ich blinzelte.
Jonas stand dicht vor mir und ich konnte seine blauen Augen trotz der Dunkelheit deutlich erkennen. Himmel, ich mochte diese Augen.
Er sah mich erwartungsvoll an, doch ich zog es vor, zu schweigen. Ich wusste nicht, wie lange wir uns angeschwiegen und einfach nur gegenseitig angesehen hatten, als Jonas das Wort ergriff.
„Du wolltest nicht, dass wir uns küssen. Und du hast nicht ihn weggezogen, sondern mich. Was sagt dir das?“ Eindringlich bohrten sich diese blauen Augen in meine.
„Was sagt dir das, Elias?“, wiederholte er, fast schon beschwörend.
Ich zuckte trotzig mit den Schultern. Was sollte es schon bedeuten? Den angespannten Knoten in meinem Magen ignorierte ich.
„Ich wollte halt nicht, dass du ihn küsst. Was ist schon dabei, du Schlaumeier?“ Ich versteckte mich hinter meiner Schnippigkeit. Was anderes blieb mir nicht übrig. Ich war komplett überfordert mit der Situation. Dass er so dicht vor mir stand, machte die Sache nicht gerade einfacher. Wonach roch er denn da bitte? Keine Ahnung, aber es roch so wahnsinnig gut. Am liebsten würde ich meinen Kopf jetzt an seiner Schulter vergraben und einfach die Augen zu machen. Die Welt ausblenden und… HALT!
Was dachte ich denn da? Ich zuckte erschrocken zurück und starrte ihn aus großen Augen an.
„Du wolltest nicht, dass ich ihn küsse? Du wolltest nicht, dass er mich küsst! Denn anstatt mich einfach wegzustoßen von deinem besten Freund, hast du mich weggezogen und festgehalten. Hörst du?“ Er legte mir beide Hände auf die Schultern. „Du hast mich festgehalten und warst auf ihn sauer und nicht auf mich.“
„Ist ja gut. Von mir aus. Ich wollte es halt nicht. Können wir es dabei belassen?“ Ich schrie schon fast und spürte zu meinem Entsetzen, dass ich kurz davor war, in Tränen auszubrechen.
„NEIN! Es ist nicht gut. Du bist so ein sturer, ignoranter Esel!“ Aufgebracht funkelte er mich an und ich reckte kampflustig das Kinn nach vorne.
Und im nächsten Moment küsste er mich. Er küsste mich. Er küsste mich. Er küsste, küsste, küsste mich. Seine weichen Lippen lagen nun auf meinem Mund und ich hatte nichts dagegen. Im Gegenteil. Als hätte jemand in mir ein Drahtseil durchgeknipst, fiel die ganze Anspannung von mir ab und ich sackte nach vorne in seine Arme, die sich fest um mich schlangen und sicher hielten.
Vorsichtig schmusten seine Lippen über meine und mit einem kleinen Seufzer öffnete ich meinen Mund und hieß seine Zunge willkommen, die sich sanft an meine legte und mit ihr spielte. Irgendwer von uns stöhnte, aber ich konnte beim besten Willen nicht sagen, wer es war. Wir taumelten das kleine Stück nach hinten, bis ich mich mit meinem Rücken wieder an der Holzwand vorfand.
Verlangend drängten seine Hüften nach vorne und ich reagierte. Und wie ich reagierte.
Erschrocken, atemlos und von mir selber völlig entsetzt stieß ich ihn von mir und starrte ihn für einen Moment fassungslos an. Er sah mich aufmerksam an. Las jede noch so kleine Reaktion in meinem Gesicht und Enttäuschung breitete sich auf seinem aus.
Hastig und feige drängte ich mich an ihm vorbei und riss die Tür der Blockhütte auf, um mich in die Sicherheit meiner Freunde zu flüchten.
Vier Wochen waren seither vergangen. Ich hatte immer noch keine Ahnung, wie ich das restliche Wochenende auf der Hütte heil überstanden hatte. Die restliche Zeit war wie im Nebel an mir vorbei gezogen und ich hatte mich abgeschottet. War den neugierigen Fragen und Blicken meiner Freunde ausgewichen und hatte mich im Hintergrund gehalten. Vor allem Jonas war ich aus dem Weg gegangen.
Er hatte noch ein paar Mal versucht, mit mir zu reden, aber ich hatte ihn immer wieder abgeblockt, sodass er schließlich aufgegeben hatte. Seit diesem Wochenende hatte ich ihn nicht mehr zu Gesicht bekommen. Ich verbarrikadierte mich förmlich in meinem Zimmer, kam nur im Notfall raus und vergrub mich in den Büchern, die ich für die Uni durchackern musste. Meine Dozenten waren begeistert.
Marlon eher nicht, denn der stürmte nun ohne Anklopfen in mein Zimmer und starrte mich wütend an.
„So geht das nicht weiter, Elias. Das kannst du nicht machen. Jonas ist fix und fertig und du siehst auch nicht besser aus. Geh zu ihm!“
„Das werde ich ganz bestimmt nicht tun. Er hat mich geküsst! Einfach geküsst!“ Ich starrte genauso wütend zurück, obwohl ich es eigentlich nicht war. In mir herrschte gähnende Leere.
„Ja, er hat dich geküsst. Verklag ihn. Aber weißt du auch, wie lange er schon darauf gewartet hat, das endlich einmal tun zu dürfen? Jahre! Er war totunglücklich, als du plötzlich mit Svenja zusammen warst. Dann habt ihr Schluss gemacht und keiner wusste so genau warum und die Hoffnung war wieder da. Diese fixe Idee mit dem Flaschendrehen war eine Verzweiflungstat. Er wollte ein letztes Mal versuchen, dir eine Regung zu entlocken und hätte dann aufgegeben. Aber weißt du was? Du hast reagiert. Du hättest mal sehen sollen, wie du mich angeschaut hast, nur weil ich es gewagt habe, Jonas anzufassen. Du hättest mich mit deinen Blicken beinahe erdolcht. Bitte, Elias“ Er setzte sich zu mir aufs Bett und legte mir eine Hand auf den Rücken „geh zu ihm und klär das. Du liebst ihn genauso sehr, wie er dich. Also tu endlich was!“
„Ich bin nicht schwul!“ Ich sprang energisch auf und fegte damit seine Hand von meinem Rücken. Leider sprang er ebenfalls auf. Und baute sich vor mir auf. Es hätte vielleicht lächerlich gewirkt, da er zu mir hochsehen musste, aber sein Ärger machte das locker wett.
„Mir ist scheißegal, ob du schwul bist oder nicht“, brüllte er aufgebracht. „Er liebt dich, du liebst ihn und fertig. Und erzähl mir nicht, dass du ihn nicht liebst. Ich kenne dich. Vergiss das nicht. Und es gab bisher keinen Menschen in deinem Leben, der dich so fertig gemacht hat, dass du dich vier Wochen in deinem Zimmer vergräbst. Du empfindest was für ihn also tritt ihm endlich entgegen und verhalte dich nicht wie ein feiges Huhn!“
Er marschierte zu meinem Schrank, griff sich ein paar Klamotten und hielt sie mir hin.
„Mach hinne jetzt. Duschen, Anziehen und los!“
Nun stand ich hier vor dem Eingang zur Sporthalle und wartete darauf, dass das Ass seinen Hintern heraus bewegte.
Marlon hatte ganze Arbeit geleistet. Er hatte es tatsächlich geschafft, mich hier her zu schleifen. Allerdings musste ich zugeben, dass ich mich nicht allzu sehr gesträubt hatte. Ich wollte es zwar nicht zugeben, aber mir ging es wirklich dreckig. Immer wieder spielte ich diesen denkwürdigen Abend, in und vor der Hütte, vor meinem geistigen Auge ab und hatte mir schon zig Varianten zusammen gedichtet, die leider alle nichts mit der Realität zu tun hatten.
Ich vermisste ihn. Bis heute war mir nicht aufgefallen, dass wir uns sonst fast täglich gesehen hatten. Wir hatten uns angeschwiegen, beleidigt und gezofft, aber wir waren meistens in irgendeiner Form zusammen. Ob wir nun für die Uni lernten, Marlon beim Kochen zusahen oder einfach nur abends einen Film ansahen. Er hatte fast schon bei uns gewohnt. Und nun…
Die ersten Studenten spazierten mit ihren Sporttaschen an mir vorbei. Warfen mir neugierige Blicke zu und musterten mich ganz unverhohlen, während sie an mir vorbei gingen.
Nervös starrte ich auf die Tür an und wartete und wartete.
Nach einer gefühlten Ewigkeit bequemte er sich dann doch dazu, zu erscheinen und mit einem Mal war mein Mund ganz trocken. Seine schwarzen Haare waren total zerzaust und noch feucht von der Dusche. Seine athletische Figur hatte er in eine Jeans und einen alten Schlabberpulli gehüllt, die seinem Aussehen keinen Abbruch taten.
Mein Blick glitt gierig über ihn und sog jede noch so kleine Kleinigkeit auf, bevor er mich überhaupt entdeckt hatte.
Mein Atem stockte, als ich plötzlich bemerkte, dass er seinen rechten Arm locker um die Schultern eines schmalen blonden Wuschelkopfs gelegt hatte und nun herzlich über irgendetwas lachte, das dieser zu ihm sagte.
Schließlich blieb der Typ abrupt stehen, als er mich bemerkte. Etwas in meinem Gesicht brachte ihn anscheinend dazu, einen Schritt von Jonas wegzutreten. Dessen Arm rutschte von seinen Schultern und er folgte dem starren Blick seines Freundes? Mannschaftsmitglieds? Wer zur Hölle war das?
„Elias.“ Jonas hatte seine Stimme schneller wieder gefunden, als ich meine, denn er trat nun langsam an mich heran. In einigem Abstand folgte ihm der kleine Blondschopf.
„Wer ist das?“, verlangte ich zu wissen und wies mit dem Kinn auf ihn.
„Das ist Stefan. Was willst du hier?“ Er klang so gefasst.
Langsam fanden meine Augen seine und sämtliche Fragen, die ich noch wegen des kleinen Schamrotzers hatte, verpulverten sich ins Nirwana. Ich vergaß einfach alles um mich herum und war wie gebannt von seinem Blick. Die Nervosität und Anspannung, Wut, Enttäuschung und Angst der letzten Wochen schmolzen langsam dahin. Es war nicht mehr wichtig. Im Moment zählten für mich nur noch diese blauen Augen, die sich in greifbarer Nähe befanden.
„Ich geh` dann mal“, hörte ich diesen Stefan leise nuscheln, aber das war mir gleichgültig, denn Jonas machte einen Schritt auf mich zu und ich streckte meine Hand nach seiner aus, die er langsam und äußerst vorsichtig ergriff. Unsere Finger verschlangen sich ineinander und ich konnte gar nicht mehr darüber nachdenken, da hatte ich ihn auch schon das letzte Stückchen zu mir gezogen.
Diesmal war ich es, der den Abstand zwischen uns überwand und der seine Lippen auf seinen Mund presste. Endlich, war alles, was ich denken konnte, bevor mir die Sinne schwanden und das ganze Universum auf Jonas` Lippen beschränkt war.
Ich spürte, wie sich seine Arme um meinen Hals legten, als er sich meinem Kuss hingab. Ich schlang meine Arme um seine Hüften und zog ihn dicht an mich. Es war mir egal, ob er spürte, was er mit mir anstellte. Ich wollte ihn nur nie wieder los lassen.
Publication Date: 10-19-2014
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