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Tag 1 | Wo bin ich?

Pustend erhob ich mich vom eiskalten Boden. Mein Kopf brummte mir total. Ich musste gestürzt sein, als ich von meiner besten Freundin Julie nach Hause gesprintet bin. Wir zwei waren echt unverbesserlich… Es gab Momente, da wollte uns auf Teufel komm raus nicht einfallen, womit wir uns beschäftigen könnten. Und dann diese Momente… so wie eben gerade, wo wir einfach Mal die Zeit vergaßen. Eigentlich rechnete meine Mutter damit, dass ich um neun Uhr auf der Matte stand. Viel zu früh, wenn ihr mich fragt, immerhin bin ich inzwischen schon siebzehn Jahre alt. Aber jetzt stand der Zeiger meiner Armband Uhr schon auf halb elf. Verdammt, meine Mutter würde mich umbringen.     

Während ich so in Gedanken durch die Gegend lief, wurde mir erst jetzt klar, dass ich eigentlich nicht die geringste Ahnung hatte wo ich überhaupt war. Nervös hielt ich in meiner Bewegung inne. Sowohl die Straße rechts als auch links runter war mir vollkommen fremd. Ich musste es mir eingestehen: Ich hatte mich total verlaufen.     

Ich wollte nach meinem Handy greifen, doch ich musste feststellen, dass ich das auf Grund der Eile, bei Julie vergessen hatte. Verärgert haute ich mit meiner Faust gegen die Laterne… So ein Mist aber auch!      Okay, ruhig, Jessy. Aufregen nutzt in diesem Fall auch nichts. Schau dich doch einfach ein wenig um. Vielleicht erkennst du eine Straße irgendwann wieder. Innerlich verfluchte ich wieder meinen total schlechten Orientierungssinn.    

Ich bog wahllos in irgendwelche Gassen ab, je düsterer desto besser. Ja, ich war auch nicht stolz darauf in New York zu einer der aller untersten Schichten zu gehören. Meine Mum zog mich allein auf und hatte nun Mal kaum Geld in ihrer Tasche. Aber es gab wichtigere Dinge im Leben… und hey, ich hatte mich inzwischen daran gewöhnt.      Obwohl ich wirklich immer die dunkelsten aller dunklen Gassen genommen hatte, erreichte ich irgendwann eine kleine Hütte… leider immer noch nicht unsere. Sie schien komischer Weise ziemlich gut besucht. So neugierig wie ich immer war, wollte ich gerne erfahren, welche Veranstaltung dort stattfand, von der ich noch nichts wusste. Eigentlich war ich in Sachen Events sonst immer bestens informiert. Und … wer weiß. Vielleicht kannte ja irgendjemand von den Menschen da drinnen den Weg nach Hause.       

Als ich das Lokal betrat, wurde es plötzlich ganz komisch. Alle Menschen in diesem Raum hielten in ihrer Unterhaltung inne und starrten mich entgeistert an. Der Mann hinter der Theke räusperte sich kurz und kreiste anschließend seinen Finger – auf ziemlich abgedrehte Art und Weise.     

Doch im Nachhinein hätte ich mir diesen Teil auch nur eingebildet haben können, denn kurz darauf quasselten die Menschen hier weiter als wäre nichts gewesen. Unsicher und mit langsamen Schritten ging ich auf dem Mann hinter der Theke zu. Dieser lächelte mir ermutigend zu.      Also… schön war diese Lokation für New York ja nicht gerade. Wäre hier weniger los gewesen, hätte ich es für eine herunterkommende Kneipe gehalten. Ich meine, in dem Balken entdeckte ich sogar … Was zur Hölle? … eine Fledermaus? Spinnen konnten hier echt nicht mehr weit entfernt sein.     

»Was zu Trinken für die Lady?«, fragte mich der Mann. »Tut mir leid, aber ich bin noch keine einundzwanzig.« Ja, ich wusste bereits, dass mich jeder älter schätzte als ich eigentlich war. Das hatte Vorteile, wenn man gerne die Wahrheit verwieg. Aber ich gehörte nicht zu dieser Sorte Menschen.     

»Ach was, das geht klar. Ich kenne deinen Vater Jason. Du bist Jennifer… habe ich nicht recht?« »Jenny«, verbesserte ich ihn und er lächelte mich an. Sein Lächeln sah wahnsinnig gut aus. Plötzlich fiel mir auf, dass keiner in dieser Hütte besonders alt war. Zweiundzwanzig höchstens. Den Mann an der Theke schätzte ich sogar erst auf neunzehn.     

»Wenn man eine Bar so weit außerhalb eröffnet hat das den Vorteil, dass hier kaum mit der Polizei zu rechnen ist.« »Ah, so was wie eine illegale Kneipe ist das hier also?« »Das habe ich nie gesagt«, zwinkerte er mir zu. »Also… was sagst du zu meinem Angebot?« »Ich habe leider kein Geld bei mir. Himmel, ich habe ja nicht Mal mein Handy. Ich war so in Eile… ich habe einfach alles glatt vergessen.«     

Der Mann versuchte anscheinend sein Lachen zu unterdrücken. »Na, dann geht der eben aufs Haus.« Ohne auf meine Antwort zu warten mixte er mir meinen Lieblingscocktail Swimmingpool. Woher wusste er das nur? Ich dachte nicht länger darüber nach, denn er wirkte einfach nur total charmant auf mich. Da kam mir mein Singledasein doch Ausnahmsweise mal echt gelegen.     

»Wie heißt du eigentlich?«, wollte ich wissen und setzte einen Blick auf, den ich normaler Weise immer zum Flirten benutzte, allerdings war ich in letzter Zeit echt ein wenig aus der Übung. »Jared«, sagte dieser und kam nun um die Theke auf mich zu. »Wow, ich kenne niemand, der so schnell einen Cocktail trinkt.«     

Verwirrt blickte ich in mein Glas. Mir war gar nicht klar gewesen, dass es schon fast leer war. Mein Gott, wie peinlich. Wenn ich nervös war, trank ich meistens viel zu schnell. Schnell suchte ich nach einer guten Ausrede: »Ich bin heute einfach in Partylaune… und von nichts kommt nichts.«     

Man, musste ich nervös gewesen sein. Denn sonst hätte ich das sicher niemals gemacht. Ich wollte meine Worte einfach unterstreichen, indem ich wild tanzend auf ihm zu getorkelt kam. Ja, er sollte denken, dass das nicht mein erster Zwischenstopp war, was Alkohol betraf. Total doof von mir…     

Aber naja, trotzdem… Im nächsten Moment schlang ich meine Arme um ihn und tanzte weiter an seiner Hüfte. Das wäre der Moment gewesen, an dem ich schon längst einen Stoppstrich ziehen sollte, aber ich hielt es anscheinend für passend auch noch meinen Mund auf seinen zu pressen.      Jared drehte seinen Kopf sofort nach unten als er erkannte, was ich vorhatte. Natürlich… Es war total idiotisch von mir gewesen. »Du findest mich nicht hübsch, oder?« Er lachte wieder, dieses Mal jedoch trocken. »Glaub mir, das ist es ganz sicher nicht. Aber wir kennen uns doch gar nicht.«     

»Na und? Das ist doch eine Art Party, oder nicht? Auf Partys brauch man das meiner Erkenntnis nach auch nicht.« »Nein, es tut mir leid. Es ist nur so… total unpassend. Entschuldige mich bitte«, murmelte Jared so leise, dass ich ihn kaum verstand. Und dann war er auch schon durch einer Tür verschwunden, die sich hinter der Theke befand.     

Als ich mich zu dem Rest der Kundschaft umdrehte, versuchten diese anscheinend krampfhaft ihre Münder wieder zu schließen und ihre Gespräche fortzuführen. Einigen von ihnen gelang das auch, aber nicht allen. Mein Gott, vielleicht hatte ich mich ja etwas komisch verhalten, aber diese Leute in dieser Hütte waren sicherlich tausend Mal komischer als ich. Verärgert steuerte ich auf den Ausgang zu. Hier würde ich sicherlich kein zweites Mal Party machen.     

Erst als ich schon wieder draußen war, fiel mir ein: Meine arme Mutter! Jetzt hatte ich keinen da drinnen nach dem Weg gefragt. Ach, egal. Mit diesem Ort war ich fertig… für immer. Deshalb musste ich mein Zuhause irgendwie anders wieder finden.     

Als ich mich wieder auf der Teerstraße befand, drehte ich mich noch ein letztes Mal um und sah erneut eine Fledermaus, die auf einem Stein lungerte. Etwa die gleiche? Nein, das war nicht möglich. Die Fledermaus von drinnen war immerhin nicht nach draußen geflogen.     

Ich wollte gerade weitergehen, da schlug die Fledermaus plötzlich wie verrückt mit ihren Flügeln, die anscheinend immer größer wurden. Wie erstarrt erkannte ich, dass sich die Flügel schließlich zu Fingern formten und das auch das Gesicht der Fledermaus immer menschlicher wurde… bis plötzlich statt der Fledermaus ein splitternackter Junge auf dem Stein lag.

Tag 1 | Wer bin ich?

 »Was guckst du denn so entgeistert? Als ob du mich noch nie nackt gesehen hättest…«, sagte der Junge, der nun seinen Finger kreiste, ähnlich wie Jared in der Kneipe, um anschließend wieder mit Kleidung gesegnet zu sein. Ich starrte ihn immer noch entgeistert an. Hatte er sich jetzt echt gerade von einer Fledermaus in einen Menschen verwandelt? Und wie hatte er das mit dem Finger gemacht? So viele Fragen… so wenige Antworten.     

»Bitte was?«, war das einzige was ich nach einer gefühlten Ewigkeit endlich heraus brachte. »Was glotzt du denn so?«, fragte er erneut. »Wie ich dich hier gefunden habe? Ach, tu doch nicht so. Als ob es so abwegig wäre…«     

Warum redete dieser Verrückte mit mir so als würde ich ihn schon ewig kennen? »Entschuldigung… aber muss ich dich kennen?«, sagte ich jetzt etwas patzig, da ich meine allbekannte Selbstsicherheit zurückerlangt hatte.     

»Lass den Scheiß, Alea.« Okay, das erklärte jetzt so einiges. »Du musst mich mit Jemandem verwechseln. Ich bin Jenny, nicht Alea.« »Was zum…« Er kam jetzt einige Schritte auf mich zu. Nervös wich ich von dieser Halb-Mensch-Halb-Fledermaus. »Du meinst das ernst, nicht wahr? Oh, verdammt. Was haben sie nur mit dir gemacht?«     

»Niemand hat was mit mir gemacht. Ich will doch nur endlich nach Hause. Meine Mutter macht sich sicher schon Sorgen.« Der Junge setzte sich wieder auf den Stein und zeigte neben sich, da er anscheinend wollte, dass ich mich zu ihm setzte. »Okay. Du musst mir jetzt alles über dein Leben und deine Vergangenheit erzählen.«     

Nein, das werde ich sicherlich nicht machen. Idiot. Aber damit er mich endlich in Ruhe lassen würde, begann ich alles zu erzählen, was nicht privat oder geheim war. »Ich lebe alleine mit meiner Mutter in New York. Wir leben ziemlich miserabel… dreckig und so… aber das ist mir eigentlich egal.«     

»New York? Wo genau soll das sein?«, fragte er mich. Ernsthaft? Was für einer war er bitte, dass er nicht New York kannte. »Amerika?«, entgegnete ich verdattert. Tat der so doof, oder war er es wirklich?      »Jetzt hör mal ganz genau zu, Alea. Dein Amerika gibt es gar nicht. Diese Welt haben sich deine Freunde-«, er zeigte rüber zu der Hütte, in der ich mich bis vor kurzem noch befunden hatte. »-die Casses, nur ausgedacht als sie anscheinend deine kompletten Erinnerungen verpfuscht haben. Wie genau sie das geschafft haben, ist mir allerdings auch noch ein Rätsel. Fakt ist nur: Sie haben es.«     

Okay, Jenny. Es gab jetzt zwei Möglichkeiten: Entweder du glaubst diesem Verrückten – oder eben nicht. Meine Erinnerungen wurden verpfuscht? So ein Schwachsinn! Ich wusste genau wie mein Leben abgelaufen ist. Andererseits… hatte sich dieser Junge gerade vor meinen Augen von einer Fledermaus in einen Jungen verwandelt. Auf der Erde ist das doch überhaupt nicht möglich.     

»Eigentlich sogar ziemlich schlau von den Casses. Sie haben dir glauben lassen, dass du aus einer Welt kommst, wo es Magie nicht gibt. Jetzt musst du wahrscheinlich erst wieder lernen deine Kräfte zu kontrollieren. Und ohne dich sind wir nun Mal geschwächt.«     

Bitte was? Ich verstand diesen Typen echt nicht. »Okay, nehmen wir jetzt mal an, du hast Recht.« »Natürlich hab ich Recht«, unterbrach er mich. »Ich hab immer Recht. Und eigentlich weißt du das auch… Dafür vergötterst du mich sogar.« Himmel, sein Blick verriet mir schon, dass er nicht die Wahrheit sagen konnte. Nicht was dieses Vergöttern angeht.     

Plötzlich kamen mir wieder seine ersten Worte in den Sinn: Was guckst du denn so entgeistert? Als ob du mich noch nie nackt gesehen hättest… Nein, bitte nicht. »Sag jetzt nicht, du bist mein Freund oder so? Laut meiner Erinnerung bin überzeugter und glücklicher Single.«     

»Ach, noch so viel was du nicht weißt. Du bist nicht Single, Alea. Aber nein, du bist nicht meine Freundin.« »In welche Beziehung stehen wir denn zueinander? Sag jetzt nicht Exfreund und Exfreundin. Du musst mich nämlich gleich ein wenig rumführen. Und ich denke, dass man das auch hier nicht gerne mit dem Exfreund machen würde.« Während ich mich mit dem Jungen unterhielt, bemerkte ich, dass ich ihm glaubte. Eigentlich schon von Beginn an. Denn ich musste es mir eingestehen: Das sah hier echt nicht nach New York aus.      »Na, dann hast du ja Glück, dass du mit deinem lieben Bruder vorlieb nehmen kannst.« »Ich habe einen Bruder? Ich bin kein Einzelkind?« »Nö. Du hast auch noch eine Schwester, aber das ist nur ein kleiner Teil der Dinge, die sich für dich ändern. Okay, nicht ändern. Sie waren immer so, aber laut deinem vernebeltem Gehirn anscheinend nicht.«     

»Wie heißt du denn?«, fragte ich ihn, der daraufhin zusammen zuckte. »Was ist?«, fragte ich ihn. »Nichts. Ich komme nur noch nicht ganz damit klar, dass du dich weder an mich – noch an sonst jemanden erinnern kannst. Okay, egal. Ich bin jedenfalls Maxwell. Aber bitte, nenn mich jetzt nicht so! Du nennst mich wie immer nur Max.«     

Ich lächelte. »Max finde ich auch schöner. Ich mochte es auch nie, wenn mich die Leute Jennifer anstatt Jenny nannten.« Ich stockte. Nein! So hieß ich ja gar nicht. Verdammt. Mein ganzes Leben sollte ja eine Lüge sein. Nicht mal Julie gab es wirklich… rein gar nichts. Ich fragte mich langsam, ob es überhaupt etwas für mich Alltägliches wie zum Beispiel Klopapier gab.     

Da fiel mir wieder Jared aus der Bar ein. »Aber wenn ich gar nicht so heiße… warum hat mich Jared dann Jennifer genannt?«     

»Jared? Na, ich kann mir gut vorstellen, dass er sogar der Grund für deinen Gedächtnisverlust ist.« Hm… Eigentlich kam er nicht so rüber als würde er so was machen. Er war ganz der Gentleman als sich die betrunkene Jenny an ihm ran machen wollte.     

»Und kann ich mich etwa auch in eine Fledermaus verwandeln, oder wie jetzt?« Max grinste mich total breit an. »Klaro. Das kann jeder Vampir. Also… Vampire, so nennt man die Leute in Vellance. Ich weiß ja nicht, wie das in deiner Fantasie in New York war.«     

»Über Vampire gab es in New York Geschichten… aber sind die denn wahr? Sag bitte nicht! Ich möchte kein Blut trinken.« »War klar, dass die Casses deine Erinnerungen an die Vampirwelt nicht komplett auslöschen konnten. Ich frage mich sowieso, wie sie es überhaupt konnten… Aber ja, Blut musst du natürlich trinken. Warum sollten die Casses die Vampire in deinen Erinnerungen auch falsch darstellen? Aber lass mich raten, dass sie Fähigkeiten besitzen wusstest du nicht?«     

Ich schüttelte den Kopf. Aber diese Fähigkeiten machte die Sache etwas erträglicher… das war irgendwie cool. »Habe ich mir gedacht. Damit du es später noch schwieriger hast sie wieder zu erlernen.«     

»Wer sind diese Casses eigentlich? Und was unterscheidet sie von anderen? Und welche Arten von Vampiren gibt es sonst noch?«, wollte ich von Max wissen. »Arten kannst du nicht wirklich sagen. Wir Vampire sind alle gleich. Aber es gibt eben die Casses – die Unterschicht, die kaum Geld haben und sich nicht an Regeln halten. Und dann gibt es uns: die Feences, oder besser bekannt als die Oberschicht. Wir haben ein Königreich und Ordnung und Regeln sind uns extrem wichtig.«     

Ich stöhnte. »Ja, das gab es in New York quasi auch. Ich lebte in Verhältnissen, die waren nicht sonderlich angenehm.« Ich wusste was Max jetzt dachte: Nein, das hast du nie. Das denkt sich dein verrückter Kopf aus. Aber für mich waren das nun Mal alle Gedanken und Erinnerungen, die ich besaß.     

»Ja, dann kannst du dir glücklicherweise vorstellen, dass unsere komplett unterschiedlichen Lebenseinstellungen uns nicht gerade zu Freunden machen. Deshalb herrscht Krieg in Vellance, den in der Regel die Feences immer gewinnen. Klar, wir haben ein Königreich. Aber im Moment sind wir extrem geschwächt, weil wir dich und deine Fähigkeiten nicht mehr haben … also quasi.«     

»Eigentlich kann ich mir das nicht so richtig vorstellen. Worüber streitet ihr euch denn?« »Die Casses meinen, sie könnten sich alles erlauben. Aber Regeln sind nun Mal wichtig… sonst herrscht Chaos in Vellance.« »Und warum seid ihr jetzt wegen meines Verlustes so geschwächt?« Ich war doch immerhin nur ein Vampir unter vielen.       

»Weil deine Fähigkeiten besonders stark sind, denn du bist die Vampirprinzessin, Alea.«  

Tag 1 | Alea, die Fledermaus?

 

Dass ich in dieser Welt irgendwie reicher sein würde, hatte ich mir ja schon fast gedacht. Immerhin hatte Max irgendwas davon gelabert, dass wir zur Oberschicht gehören würden. Aber mit Prinzessin hätte ich nicht gleich gerechnet. Eigentlich wäre das sogar mein aller letzter Gedanke gewesen. Immerhin war mein Leben sonst nie gnädig mit mir gewesen. Ja, es gab sogar Momente, wo ich ab und an hungern musste. Aber halt, Jenny… nein – Alea, dieses Leben gab es nie! Das ist doch alles nur Einbildung…     

»Jetzt bist du sprachlos, was?«, fragte mich Max grinsend. »Na dann wird es wohl Zeit, dass wir nach Hause gehen. Findest du nicht? Du musst doch deine Familie kennenlernen. Da wir kein Auto haben -« »Warte, also existieren Autos in Vellance auch?«, unterbrach ich ihn. »Aber natürlich gibt es die. So viel anders wird Vellance gar nicht sein als deine Fantasiewelt. Die Casses sind nämlich total einfallslos. Allerdings bin ich als Fledermaus zu dir geflogen…und-«     

Ich konnte einfach nicht anders als ihn erneut ins Wort zu fallen. »Nein, nein! Auf keinen Fall. Können wir nicht gehen? Ich bin noch nicht bereit dazu, Max.« »Das würde zu Fuß Jahre dauern. Außerdem ist es das simpelste was es gibt – sich in eine Fledermaus zu verwandeln. Das ist somit eine gute Übung für den Anfang.«      Ich stöhnte auf. Ich sah es schon kommen: Ich konnte so viel diskutieren wie ich wollte… am Ende würde mein Bruder sowieso seinen Willen bekommen. »Also gut. Was muss ich tun?« »Zunächst solltest du deine Kleidung komplett anlegen, da sie sonst durch die Verwandlung verstört wird.«     

Ich starrte ihn entgeistert an. Eigentlich gehörte ich zu der Sorte Menschen, deren Peinlichkeitsgrenze nicht leicht überschritten werden konnte… aber wir sind hier doch in der Öffentlichkeit! Jeder könnte hier vorbei kommen. »Ich weiß ja nicht, warum die Casses es für dein Gedächtnis so programmiert haben, das du es peinlich findest… vielleicht damit du dich nicht so einfach wieder in eine Fledermaus verwandeln kannst. Aber Alea, in Vellance ist das etwas ganz Normales.«     

Oh Mann. Hoffentlich würde ich mich irgendwann wieder an mein richtiges Leben gewöhnen. »Macht es dir was aus, wenn ich mich erst noch hinter diesem Busch da stelle? Ich muss mich damit erst noch anfreunden.« »Selbstverständlich«, sagte Max, der sich immer noch über mich amüsierte. Obwohl es auch diesen Blick in seinem Gesicht gab, der wirklich besorgt aussah.     

Als wir beiden unsere Kleidung abgelegt hatten, erklärte er: »Die Kleidung können wir hier lassen, da sie durch etwas Magie später wieder an unserem Körper landet, wenn wir zum Menschen werden. Ich bin mir aber nicht sicher, ob du das schon hinbekommst, aber das macht nichts. Ich werde sie dann für dich holen. Kommen wir nun zu der Verwandlung. Magie hat viel mit Vorstellungskraft zu tun – aber auch mit dem Gedanke, was dich aus macht.«     

»Aber wie soll ich wissen was mich ausmacht, wenn ich mich an mein Leben nicht erinnern kann?«, fragte ich ihn aufgebracht. Von wegen total simpel!     

»Ja, deshalb nahmen dir die Casses auch deine Erinnerungen – damit du keine Magie praktizieren kannst. Aber die Verwandlung in eine Fledermaus ist eher körperlich als geistlich. Wie eine Fledermaus aussieht weißt du ja… du musst sie dir vorstellen. Schwierig könnte werden, dass du dich nicht mehr daran erinnern kannst, wie man sich als Fledermaus fühlt. Aber das sollte nicht das Problem sein. Jeder muss sich schließlich Mal in einer Fledermaus verwandeln und die wussten das anfangs auch alle nicht.«     

Okay, dann mal los. Ich stellte sie mir vor meinen Augen vor: Die großen schwarzen Flügel, die großen Ohren, den Kopf,… Doch irgendwie blieb ich noch der Mensch, der ich auch vor zwei Sekunden gewesen bin. »Was mache ich falsch? Ich stelle sie mir deutlich vor.«     

Max musste nur kurz überlegen. »Wahrscheinlich stellst du sie dir nur vor, wie sie vor dir fliegt. Aber das ist nicht richtig. Du musst dir vorstellen wie du zur Fledermaus wirst. Werde eins mit diesem Tier und fühle dich mit diesen Tieren verbunden.« »Hättest du das nicht eher sagen können?«, fragte ich genervt. »Tut mir ja leid, aber für mich geht das inzwischen wie von selbst. Ich weiß gar nicht mehr so genau, was man machen muss. Ich bin ein schlechter Lehrer… ich weiß.«     

Plötzlich musste ich feststellen, dass ich eigentlich schon immer von Fledermäusen fasziniert gewesen war. Ich dachte eigentlich immer, weil sie wie ich in den dunkelsten und heruntergekommensten Ecken lebten. Aber vielleicht hatte es doch noch andere Gründe.     

Und Max hatte Recht gehabt. Der Rest ging jetzt fast wie von selbst. Als ich meine Arme von mir streckte, merkte ich bereits wie meine Finger miteinander verschmolzen. Es hätte sich komisch anfühlen sollen, doch eigentlich war es ein unbeschreiblich schönes Gefühl. Mein Körper zog sich zusammen und meine Krallen suchten Halt im Boden. Von irgendwoher hörte ich etwas, das nur Max sein konnte. Allerdings gab Max plötzlich Laute von sich, die ich nicht verstehen konnte.     

Bis ich plötzlich Max Krächzen über mir wahrnahm, welches ich nun komischer Weise ziemlich gut verstehen konnte: Na komm schon, Alea. Die Flügel bewegen sich nicht von alleine. Verunsichert bewegte ich den Teil, wo sich eigentlich meine Arme befinden sollten. Doch als mich die Flügel nun in die Luft zogen, war ich ziemlich erleichtert, dass die Arme dort nicht mehr waren.     

Und wie ändert man die Richtung?, fragte ich Max verunsichert. Entspann dich mal. Das hättest du auch selber herausgefunden. Aber wenn es dich beruhigt: Bewegst du den rechten Flügel stärker, geht’s nach links. Die Angst wich langsam von mir und ich wurde sicherer was das Fliegen anging. Ich testete das Lenken und … kaum zu glauben, aber wahr … ich machte sogar einen Looping.     

Als Max meine Selbstsicherheit bemerkte, fing er an schneller zu fliegen. Ich wollte ihm gerade zu krächzen, dass er doch bitte warten sollte. Doch überrascht stellte ich fest, dass ich doch super mit ihm mithalten konnte.     

Der Flug kam mir so kurz vor, dass ich traurig war als er schon wieder vorbei war. Doch irgendwie war ich auch aufgeregt als Mensch in dieses große Schloss zu meiner Familie zu gehen… denn es war wirklich riesig – und wunderschön! Die Rückwandlung brauchte mir Max nicht mehr erklären. Mich wie ein Mensch zu fühlen, das konnte ich schließlich mehr als gut. Halt, falsch. Kein Mensch – Vampir.     

Nachdem Max mir meine Kleidung angelegt hatte, fühlte ich mich doch eindeutig wohler. Noch ein Grund, warum ich ein besserer Mensch als Vampir war. Würde sich das je ändern? Könnte man meine richtigen Erinnerungen irgendwie wieder herstellen? Alles Fragen, mit denen ich mich wohl oder übel in Zukunft beschäftigen musste.     

Plötzlich wurde ich von einem Mädchen überrumpelt, das aus dem Haupttor des Schlosses auf mich zugerast kam und mich stürmisch umarmte. Sie hatte, so wie ich, braune Haare (Okay, meine waren eher schwarz... aber als dunkelbraun kann man das auch noch gelten lassen), allerdings ist ihr Teint einige Nuancen heller. »Alea! Hast du wieder mit denen aus der Unterschicht rumgehangen? Ich weiß, du machst das, um eine Möglichkeit zu finden, diesen Krieg zu gewinnen… Aber ich halte es immer noch für eine schlechte Idee.« Okay, wer war das nun wieder? Meine andere Schwester vielleicht? Laut Max war er ja nicht mein einziger Geschwisterteil. »Und damit hattest du wahrscheinlich Recht, Ali. Denn dank den Casses musst du Alea jetzt erst davon überzeugen, dass sie deine BFF ist. Die hat nämlich keinerlei Erinnerungen an dich, mich oder sonst jemanden.«

Tag 1 | Vom Tellerwäscher zum Millionär?

 

Ali machte auf mir auf den ersten Blick einen netten Eindruck. Ihr Blick war mitfühlend und ich verstand sofort, warum ich sie mir als meine beste Freundin ausgesucht haben soll. Ali schaute an mich herunter. »Okay, du weißt ja jetzt noch nicht wie das hier läuft. Aber deine Eltern dürfen nichts davon wissen, dass du da rumgeschnüffelt hast. Wir müssen den Hintereingang nehmen, damit du danach schnell in dein Kleid schlüpfen kannst.«     

Aww, ich durfte anscheinend den ganzen Tag in hübschen Kleidern herumlaufen. Ich konnte das alles immer noch nicht glauben. In meinem Kopf war das alles ein unglaubliches Vom-Tellerwäscher-zum-Millionär-Gefühl. »Halt mal. Wer weiß jetzt alles davon und wer nicht? Ich will mich ja nicht versehentlich verplappern.«      »Du hast es kaum jemanden erzählt, weil der Rest es für zu gefährlich gefunden hätte. Verstehe mich nicht falsch: Ich finde es auch zu gefährlich! Aber Alea, du hast nun Mal einen Dickkopf und der lässt sich nicht umstimmen«, erklärte mir Ali. »Nur ich, Max und dein fester Freund Jayden. Aber irgendetwas musst du den anderen erzählen… wie das passieren konnte, dass du deine Gedanken verloren hast. Obwohl… eigentlich kannst du ja gar nichts erzählen, weil du dich nicht erinnerst. Okay, dann wäre das ja geklärt.« Ali sprühte nur so vor Energie und ich hatte das Gefühl, dass sie nie aufhören würde zu erzählen. Da hatten wir anscheinend viel gemeinsam, dachte ich grinsend.     

Max räusperte sich. »Trotzdem würden sie sich wundern, warum Alea diese hässlichen Klamotten an hatte.« Ich schaute an mich runter und wunderte mich, da ich eigentlich eine ganz normale Jeans mit Top trug. Die Kleidung war sauer und nicht kaputt, also hässlich würde ich das jetzt nicht bezeichnen. »Ihr solltet euch beeilen und euch unbemerkt ins Schloss schleichen.«

Ali schien eine Meisterin in so etwas zu sein, denn sie sah jeden Vampir kommen. Wahrscheinlich, weil sie das schon so oft mit mir gemacht hatte… ich konnte mich nur nicht daran erinnern.     

Als wir endlich die Geheimtür erreicht hatten, die laut Ali in mein Schlafzimmer führte, atmete ich erleichtert aus. Ich dachte echt, wir würden erwischt werden. Ich hatte nämlich sonst nie Glück.     

Aber mein Zimmer… WOW, einfach nur WOW! Ich hatte sogar eine Rutsche, die von meinem Himmelbett nach unten führte… von einem begehbaren Kleiderschrank mal ganz zu schweigen. Es war einfach DAS Traumzimmer jedes siebzehnjährigen Mädchens. Schnell suchte ich mir ein rotes Kleid mit goldenen Steinchen an der Taille aus. Kleine Anmerkung: Mein Kleiderschrank bestand sowieso nur aus solchen Ballkleidern. »Habe ich denn keine normalen Sachen?«, fragte ich Ali. »Das sind normale Sachen. Aber als deine beste Freundin weiß ich, dass du auch eine Geheimschublade besitzt, wo du Klamotten für die Unterwelt aufbewahrst.« Ich musste lachen. Aha, dann waren Jeans und T-Shirt also Unterweltler-Kleidung. Hätte ich auch nicht vermutet.      Als ich mich dann endlich sicher in meinem roten Kleid befand, zog mich Ali sofort auf das Sofa runter und raunte: »Mist aber auch, Maus. Was wird denn jetzt aus unserer Mission?« »Welche Mission?«, wollte ich wissen, doch Ali kam nicht dazu mir eine Antwort zu geben, denn im nächsten Augenblick tänzelte ein kleines Mädchen durch die Tür und sagte: »Wusste ich doch, dass ich Stimmen gehört habe.«     

Puh, noch mehr neue Gesichter, die ich eigentlich kennen müsste. Und jetzt auch noch so eine kleine süße Vampirin, bei der ich es einfach nicht übers Herz brachte, ihr zu sagen, dass ich sie nicht mehr kannte. »Wo wart ihr denn erst?«, fragte sie jetzt. »Im Park spazieren… aber dann ist etwas ganz komisches passiert. Was genau, wissen wir beide selbst nicht. Jedenfalls kann sich Alea jetzt nicht mehr an ihre Vergangenheit und die Vampire, die sie kannte, erinnern.«     

Das Mädchen schaute mich mit großen Augen an, die enttäuscht zu sein schienen. »Nicht mal an mich?« Ich schüttelte betrübt den Kopf. »Es tut mir leid. Nein. Aber ich versuche mich wieder zu erinnern. Aber vielleicht kannst du mir helfen und mir erzählen wer du bist.« »Mein Name ist Dana Reeves. Ich bin deine kleine Schwester. Du hast auch noch einen älteren Bruder… Max, aber der ist gerade… ach, keine Ahnung wo der sich wieder rumtreibt.«     

»Ja, ich weiß. Max habe ich bereits getroffen. Draußen vor dem Schloss ist er irgendwo.« Dass ich ihn eigentlich schon eher getroffen hatte, verschwieg ich. Ich konnte mich erinnern, dass Ali mir gesagt hatte, nur drei Leute wussten über meine geheime Mission Bescheid – und Dana zählte nicht dazu. Was auch immer diese geheime Mission auch war. Ali war ja nicht mehr dazu gekommen mir eine Antwort zu geben.     

Plötzlich musste ich mit ansehen, wie Dana keine Tränen übers Gesicht liefen. »Bitte nicht weinen!«, sagte ich hilflos. »Ich stell mir das gerade so vor. Dann weißt du ja gar nichts mehr! All deine tollen Erlebnisse mit uns… nie sind futsch. Und wer weiß, ob sie je wieder kommen werden.«     

»Psst«, versuchte ich sie zu beruhigen. »Wir werden es irgendwie hinkriegen, dass ich meine Erinnerungen wieder bekomme. Wir geben nicht auf.« »Wie kann so was überhaupt passiert sein? Ich meine… gibt es überhaupt so eine starke Magie?«, fragte sich Dana. Es war anscheinend wohl wirklich schwer, denn Max hatte das zuvor auch gewundert.     

»Mama wird durchdrehen, wenn sie das erfährt. Oh… und Königin Lorena und König Lian erst!«, rief Dana. »Dann sind unsere Eltern also nicht König und Königin? Ich dachte die Thronfolge hätte etwas mit der Familie zu tun.« »So ein Quatsch. Nein, das kann man nur werden, wenn man besonders starke Fähigkeiten hat – so wie du. Allerdings entstehen die Fähigkeiten durch die Findung seines Selbst. Da du aber keinen blassen Schimmer hast, wer du bist… Oh Gott, nicht, dass sie dir deinen Thron verweigern, Alea!« Dana schien über diesen Gedanken richtig aufgebracht.     

Doch Ali beruhigte Dana: »Nie im Leben. Die brauchen doch Alea. Niemand kommt an ihr heran! Was auch immer ihr Geheimnis ist warum ihre Fähigkeiten so stark sind… sie muss dies wieder erlangen! Und darauf werden auch König Lian und Königin Lorena hoffen.«

Tag 1 | Die Mission?

 

Ein Blick auf meine Eltern verriet mir sofort die Frage, die ich mir schon seit Anbeginn gestellt habe: Ja, Vampire waren unsterblich. Wenn sie ausgewachsen waren hörten sie automatisch auf zu altern. Obwohl das eigentlich nicht ganz stimmte, denn wir konnten sterben. Wir lebten nur länger als Menschen, die es eigentlich gar nicht gab… aber okay. Dreihundert Jahre wurden die meisten. Natürlich hatte ich sofort gefragt, wie denn bitteschön mein echtes Alter wäre, aber meine Mutter Taylor meinte daraufhin, dass ich zwanzig Jahre wäre – zwei Jahre jünger als Max… aber acht Jahre älter als Dana, die natürlich noch nicht ausgewachsen war. Dann konnten Vampire also doch Kinder kriegen… natürlich! Also waren doch nicht alle Mythen meines Kopfes wahr.      Irgendwann war das Abendessen mit der Familie und Anhang (wer auch immer das alles war) vorbei und ich konnte endlich zusammen mit Ali auf mein Zimmer gehen. Bald nährte sich nämlich der Tag und ich musste dann schlafen, wenn ich nicht verbrennen wollte – auch eine Sache, an der ich mich noch nicht gewöhnen konnte. Okay, Ali hatte mir gesagt, dass wir nicht wirklich verbrennen würden. Ein extrem roter Ausschlag war aber auch nicht schön. Dafür war ich den Casses irgendwie dankbar, dass sie die Sache schlimmer dargestellt hatten als sie eigentlich war. Es war eine gute Warnung an mich gewesen: Sonnenlicht – tabu.     

Als wir es uns in meiner gigantischen Liegewiese gemütlich gemacht hatten, kam ich zu dem Punkt zurück, den ich früher schon angesprochen hatte: »Was ist das jetzt für eine Mission, die wir geplant haben?«     

Ali drehte sich genervt in die Kissen. Anscheinend wollte sie dieses Thema nicht so gerne durchkauen. Aber sie wusste natürlich genauso gut wie ich, dass es irgendwann angesprochen werden musste. »Max hat dir ja erzählt, dass Magie viel mit dem Ich zu tun hat. Na ja… es hatte einen Grund, warum du so oft zu den Casses gegangen bist. Wir hatten herausgefunden, dass deren Magie irgendwie anders ist. Du wolltest dir diese Magie aneignen, denn nur mit dieser Magie können die Casses am Ende vernichtet werden.«     

Vernichtet? Ich hatte mich wohl verhört. Wir wollten die Casses töten? Dass Vampire Mörder waren, wusste ich ja durch meine falschen Erinnerungen. Aber ich glaube nicht, dass ich das jetzt könnte. Nicht mit meinen Erinnerungen, die ich jetzt hatte – als Mensch.     

»Töten? Nein, das kommt nicht in Frage.«     

»Es hört sich vielleicht zunächst barbarisch an, aber es ist etwas Notwendiges, was gemacht werden muss. Die Casses kümmern sich nicht um Regeln, Alea! Ist dir klar zu was das alles führen kann?« »Wenn ich mich nicht irre, verstößt Töten auch dagegen.« »Nicht, wenn die Regierung diese Regeln aufstellt. Klar ist Töten an sich nicht in Ordnung – untereinander. Aber Alea… Willst du, dass die Casses dies zuerst tun? Früher warst du total überzeugt von dieser Aktion. Da musst du wieder hinkommen. Alle fragen sich, warum du so starke Fähigkeiten besitzt… Nur mir hast du das Geheimnis verraten. Du besitzt beide Arten der Magie. Die Magie, mit denen die Casses getötet werden können. Lass das alles nicht umsonst gewesen sein.«       

»Aber ich verstehe das nicht ganz… diese zweite Art von Magie. Wie erlange ich sie? Laut Max muss ich mich selbst finden… wie soll ich das anstellen?« »Genau kann ich das auch nicht sagen. Aber es wäre sicher gut, wenn du das tust, was du immer tust.« »Und was wäre das?«     

»Bei deiner Familie sein, deinen Freunden… Du musst sie wieder kennen lernen. Oh… und du musst dich wieder in Jayden verlieben. Ihr zwei seid echt das süßeste Paar weit und breit. Und dann… Am frühen Abend, wenn deine Familie noch schläft schleichst du dich zu den Casses.« »Und was mache ich bei den Casses? Wie komme ich an diese Magie?«     

»Hm… sonst hast du da immer so komische magische Steine geklaut. Diese Steine gibt es bei uns im Königreich ja auch, bloß eben für unsere Magie. Ich weiß nicht wie das bei den Casses ist, aber bei uns sind diese Steine total stark. Sie helfen bei Dingen, die normale Vampire nie hinbekommen könnten. Jeder Stein ist unterschiedlich und kann etwas anderes. Wir haben Regeln, die besagen, dass nur die Königin und der König darüber verfügen dürfen. Aber da die Casses keine Regeln haben… wird es da anders und gefährlicher sein. Siehst du, noch ein Grund für diese Mission! Moment,… natürlich!«     

Ali schien anscheinend gerade ein Geistesblitz gekommen zu sein. »Was ist denn?«, fragte ich, da ich immer noch null Ahnung hatte… sowieso… von allem. »So wirst du wahrscheinlich irgendwie deine Gedanken verloren haben – mit Hilfe der Steine. Aber… das ist merkwürdig. Dazu bräuchten die Casses das passende Gegenstück von unseren Steinen. Die hätten sie niemals in die Finger bekommen können. Okay, wahrscheinlich irre ich mich doch. Es muss ihnen irgendwie anders gelungen sein.«     

Manomann, aus Ali wurde man auch irgendwie nicht schlauer. Okay, so ganz stimmte es ja auch nicht. So grob wusste ich zumindest schon mal, was ich tun könnte, um meine Magie wieder zu erlangen.     

»Dann erzähl mir doch noch Mal ein bisschen aus meinem Leben. War ich toll?«, fragte ich grinsend. »Ja, ganz wunderbar. Obwohl wir ehrlichgesagt noch nie so viel über dich geredet haben wie jetzt gerade. Meistens reden wir über mich… oder hören einfach Musik, gucken Filme und spielen mit unseren Fähigkeiten herum. Aber das mit den Fähigkeiten könnte jetzt ja schwierig werden.«     

»Aber du könntest mir etwas über dich erzählen. Ich meine, ich habe ja alles wieder vergessen, was du mir je erzählt hast.« »Ist vermutlich auch besser so. In unseren Gesprächen ging es meistens um meine Jungsprobleme… und wie ich mich nie festlegen konnte. Du weißt ja gar nicht wie gut du es hast, dass du den einen gefunden hast.«     

»Also laut meinen Erinnerungen bin ich ein überzeugter Single. Hoffentlich haben die Casses mein Gehirn nicht zu sehr verpfuscht, das sich das nicht ändern lässt. Laut deinen Beschreibungen scheint Jayden ja perfekt zu sein… ich hoffe, dass ich mich noch mal in ihn verlieben kann.«       

»Davon bin ich überzeugt. Ich weiß auch nicht… in meinem Kopf ist einfach dieses Märchen, dass wahre Liebe alles überstehen kann. Tja… auch wenn ich da schlecht mitreden kann. Ich finde tausend verschiedene Jungs süß, aber bei niemanden von denen bekomme ich Herzklopfen.«     

Sie wirkte wirklich betrübt. Das tat mir echt weh, dass ich quasi einen Freund hatte, den ich seelisch eigentlich gar nicht brauchte – ich war, wie gesagt, gerne Single. Und sie, die einen gebraucht hätte, bekam einfach keinen ab.

Tag 2 | Schmeckt das?

 

Genau wusste ich gar nicht mehr, wann Ali und ich eingeschlafen sind. Wir hatten noch so lange getratscht… es wäre gut möglich, dass ich mitten im Satz die Augen zu gemacht hatte. Jedenfalls lagen wir am frühen Abend – meine neue Zeit des Erwachens – nicht im Himmelbett, sondern noch auf der Liegewiese. Ali klagte anscheinend über Rückenschmerzen, aber für mich war dieser Tag total bequem gewesen. Ich war weit aus Schlimmeres gewohnt.     

»Uh, Alea. Nach dem Aufstehen… die beste Zeit um Blut zu trinken.« »Bitte nicht«, seufzte ich. Das Abendessen war doch gestern schon reichhaltig gewesen… selbst Muffins gab es – zum Abendessen. Obwohl es eigentlich eher Frühstück sein müsste, aber … bekanntermaßen war mein Rhythmus ja noch nicht ganz umgestellt. »Wozu das Blut? Kann das normale Essen mich nicht bei Kräften halten?«     

»Schon, von Blut bekommst du ja auch keine Energie. Das Blut ist für deine Fähigkeiten da, damit du diese einsetzten kannst… irgendwann.« »Wenn ich das jetzt eh nicht kann, können wir nicht noch warten?«, flehte ich Ali an. »Ne, vielleicht kommen sie dann schneller wieder. Nun stell dich nicht so an. Das ist unter Vampiren etwas ganz Natürliches.« »Ja, nur fühle ich mich noch wie ein Mensch.« »Dann müssen wir das ändern, Alea! Damit deine Fähigkeiten wieder kommen.«     

Ich sah es schon kommen. Entkommen konnte ich eh nicht. Ich musste Blut trinken. »Na schön, dann mal her mit dem Blutbeutel.« »Blutbeutel? Bitte was? Du trinkst von mir, ich von dir. So haben wir das schon immer gemacht. Das soll jetzt nicht heißen, dass du nicht auf von anderen trinken kannst. Aber im Moment stehe ja nur ich zur Verfügung.«     

Irritiert fühlte ich meine vorderen Zähne, die total stumpf und normal aussahen. »Die Zähne sind total stumpf, damit kann ich dich nicht beißen. Selbst wenn… würde das nicht weh tun?« »Quatsch. Unsere Haut ist nicht empfindlich. Das ist schneller verheilt als du lecker sagen kannst. Und die Zähne würden spitz werden, wenn du mich denn Mal endlich beißen würdest.«     

Na fein, wenn sie es so wollte. Würde ich das Blut nicht mögen, ich schwöre, ich würde es ihr ins Gesicht spucken. Ich ging die Schritte auf ihr zu, die uns noch trennte und rammte meinen Kiefer in ihren Hals (so hatten es auch die Vampire aus the vampire diaries, und was es sonst noch für irreale Filme und Serien auf der Erde gab, getan). Und es schmeckte genauso wie ich mir Blut vom Geschmack immer vorgestellt hatte… salzig, eisenhaltig … wie Blut eben. Was ich jedoch nicht erwartet hatte: Ich liebte diesen Geschmack. Es war jetzt nicht so als dass ich unmöglich aufhören könnte, eher wie eine leckere Tafel Schokolade.     

Auch der Biss von Ali tat nicht weh… ich spürte es nur wie eine Berührung – mehr nicht. Kurz nachdem wir fertig waren mit Blut trinken, klopfte es an der Tür. Eine fremde Stimme drang hervor: »Alea, bist du da?« Ali formte stumm mit dem Mund die Worte Jayden. Mein fester Freund… das hatte mir gerade noch gefehlt. Nervös tippelte ich von einem Bein auf das andere.     

Was sollte ich ihm denn nun antworten? Komm rein? Ich wollte aber nicht, dass er rein kam. Ich hatte Angst, denn eigentlich wollte ich doch gar keine Beziehung. Wie sollte ich ihm das nur verklickern?      Schlussendlich hätte ich ihm gar nicht antworten müssen, denn kurze Zeit später kam er von alleine durch die Tür. Hm, okay. Das war also Jayden. Gegenüber Max wirkte er jetzt eher schlaksig, aber irgendwie war er ja schon ganz süß. Süß – nicht heiß. Aber es kam ja auch auf die inneren Werte an. »Oh Gott, Süße. Ich habe gehört, was mit dir passiert ist. Diese verdammten Casses! Du hättest die Mission vielleicht doch nicht durchführen sollen, zumindest nicht allein. Aber keine Sorge, du hast dich einmal in mich verliebt, dann geht das auch ein zweites Mal.« Juhu, dabei war ich neuerdings gerne Single.     

Da ich ihn aber nicht verärgern wollte, lächelte ich ihm zu. »Dessen bin ich mir sicher. Aber wir haben im Moment größere Probleme… wie zum Beispiel meine verlorengegangenen Fähigkeiten.« »Ja, aber dafür musst du dich selbst finden. Und ich bin ein Teil von dir, den du wieder finden muss.« Ich stöhnte. Vermutlich hatte er ja recht… auch wenn ich es momentan echt nicht wollte: Ich musste mich auf ihn einlassen. Es wäre das einzig Beste für mich und auch für alle anderen.     

»Na schön«, sagte ich schließlich.     

»Dann haben wir also ein Date?« Ich nickte, unsicher was ich von halten sollte. Einen Film gucken – Kaffee trinken? Nein, ich hatte inzwischen Wichtigeres zu tun. Da kam mir plötzlich eine Idee: »Auf unseren Date kannst du mir ja Vellance zeigen, damit vielleicht alte Erinnerungen wieder hoch kommen.«     

Jayden machte den Eindruck, als würde ihm die Idee gefallen, denn er drückte mir strahlend einen Kuss auf die Wange. »Ich hole dich morgen um zwölf Uhr ab. Man bin ich aufgeregt. Das fühlt sich jetzt irgendwie auch für mich wie unser erstes Date an.« Wie ein Honigkuchenpferd galoppierte er aus meinem Zimmer. Okay, er ist sicherlich ein total bezaubernder Freund. Nur war ich im Moment eine total schreckliche Freundin. Verdammt, ich musste endlich wieder Ich werden.     

»Und? Ist er knuffig oder ist er knuffig?«, fragte mich Ali, woraufhin ich lachen musste. »Ja, er ist ganz knuffig, Ali.« Könnte ich mit ihr tauschen, ich würde es. Ali sollte gerne die Beziehung und ich das Single-da-sein nehmen. Aber das war ja nicht mein wahres Ich… verdammt. Ich war darin echt schlecht.     

»Ali, du musst später in der Nacht mit zu den Casses kommen.« »Was? Aber das haben wir nie so gemacht. Du wolltest immer alleine gehen.« »Jetzt kenn ich mich aber null aus. Ich weiß ja nicht mal, wie diese Steine aussehen. Du musst mir einfach helfen. Ich habe Angst alleine. Das sind immerhin die Typen, die mir meine Erinnerungen genommen haben.«     

Ali brauchte wohl nicht lange zu überlegen. »Ich wollte schon von Anfang an mit. Ich dachte nur nicht, dass du es erlauben würdest. Ich bin sowas von dabei.« Um unsere Abmachung vollkommen abzuschließen, wollte sie anscheinend noch, dass ich einschlug. Tja, wenn’s sonst nichts war. Meinetwegen.

Nacht 2 | Nicht dein Ernst?

 

[erzählt von Alissa Lester]

 

Nein, es war nicht schön, aber diese Alea gefiel mir zugegebenermaßen ab und zu echt besser. Wir hatten uns irgendwie auseinander gelebt. Erst jetzt, wo Alea ihre Erinnerungen verloren hatte, schweißte uns das irgendwie, traurig aber wahr, wieder zusammen. Aber das würde ich ihr natürlich nicht erzählen. Nicht das ihr einfiel, um ich wahres Ich zu finden, müsste sie wieder Abstand zu mir halten.     

Als wir uns wieder zu Vampire zurückverwandelt hatten und ich die Jeans mit T-Shirt für uns beide anzog, ging ich endlich zu dem besagten Ort, von dem Alea mir schon tausend Mal erzählt hatte… doch noch nie habe ich ihn aus der Nähe gesehen – die Unterwelt.     

In der Hütte war ja echt immer was los. Ob Alea wohl auch andere Orte der Casses aufsuchte? Die alte Alea hatte es mir nicht verraten und die neue Alea kannte nur diese eine Kneipe, in der sich Casses aufhielten.      Geduckt schlichen wir uns zum Fenster rüber, um einen Überblick zu bekommen. Gab es hier wohl irgendwo einen Hintereingang zum reinschleichen? Verdammt, wie hatte Alea das sonst nur immer angestellt?     

»So sehen wir herzlich wenig. So werden wir eher gesehen«, maulte ich, obwohl ich genau wusste, dass Alea auch nichts ändern konnte. Die alte Alea konnte immer alles so hinbiegen wie es sollte. Aber jetzt musste ich meinen Kopf wohl auch mit anstrengen. »Da hinten ist eine Hintertür, ob wir da wohl rein kommen?«, fragte mich Alea, jedoch eher rhetorisch, denn sie haute sofort um die Ecke ab. Das war schon eher die alte Alea.     

»Warte doch!«, rief ich ihr hinterher und tatsächlich hielt sie kurz inne, bis ich aufgeschlossen hatte. »Wir können doch nicht einfach die Tür öffnen. Selbst wenn sie offen ist, wir könnten entdeckt werden.« »Ja, aber es ist unsere einzige Möglichkeit, oder?«       

Gerade wollte ich ihr erneut wiedersprechen, da wurde ich Tür aufgerissen und ein gutaussehender braunhaariger Vampir trat heraus. Ja, viele Typen sahen für mich gut aus… ich weiß. Aber dieses Mal war es plötzlich ganz anders. In meinem Bauch machte sich ein komisches Gefühl breit, das sich komischer Weise echt gut anfühlte. Jedoch hielt das Gefühl nur für einen kurzen Moment an, da sich mein Gehirn einmischte. Das ist ein Casses, Ali! Die schären sich nicht um Regeln. Himmel, Alea und du seid hier um diese Typen irgendwann umzubringen. Doch trotzdem konnte ich meinen Blick nicht von diesen strahlenden blauen Augen wenden.      »Ihr könnt auch einfach den Haupteingang benutzen, schon mal daran gedacht?«, fragte er, während sein Blick abwechselnd zwischen mir und Alea hin und her huschte. Alea hatte den Blick nach unten gerichtet, da ihr das ganze wohl ziemlich peinlich war. »Kommen deine Erinnerungen zurück, oder warum besuchst du die Kneipe gestern und heute auch wieder? Falls ja, keine Sorge, früher bist du auch einfach durch die vordere Tür rein marschiert. Ob ich es wollte oder nicht.«     

»Hallt mal. Wie gut kennen Sie Alea?«, fragte ich den Vampir. »Nur zu gut«, antwortete er mir. Mit dem Blick an Alea gewandt fügte er hinzu: »Und damit meine ich nicht die Jenny-Begegnung von gestern. Ich hatte zuvor schon viele Alea-Begegnungen gehabt.«     

Ich konnte es kaum fassen. Alea hatte mich also angelogen. Sie hielt diese Mission gar nicht Undercover in ihrem Versteck ab. Sie ging einfach durch die Vordertür. Am liebsten wollte ich sie jetzt anschreien, aber Alea konnte sich ja gar nicht daran erinnern, dass sie das je getan hatte. Verdammt, sie brauchte schnellstens ihre Erinnerungen wieder.     

»Aber deine Freundin bringst du anscheinend das erste Mal mit. Jared Wyler«, stellte er sich vor und reichte mir die Hand. Im Normalfall hätte ich die Hand eines Casses niemals ergriffen… aber ich wollte unbedingt wissen, wie sich seine Hand anfühlte. »Alissa Lester«, sagte ich während ich nach der Hand griff.     

»Alissa, hübscher Name«, murmelte ich und ich wäre am liebsten gestorben. »Aber alle nennen mich Ali«, entgegnete ich. »Tja, ich bin aber nicht alle, Alissa. Warum kommt ihr nicht rein? Hier draußen ist es ziemlich kalt.« »Ich glaube ihnen kein Wort. Sie sind doch der Grund, warum ich meine Erinnerungen verloren habe! Sie wussten, dass ich Jenny heiße… in meinen Erinnerungen. Das waren ganz klar Sie!«     

»Das habe ich doch gar nicht geleugnet… meine Güte, Alea. So gefällst du mir ja mal gar nicht.« Ich beobachtete, wie Alea rot anlief – was zur Hölle? »Machen Sie es rückgängig!«, befahl sie. Doch Jared lachte nur. »Das werde ich nicht.« Natürlich nicht. Wenn er ihre Erinnerungen nahm, warum sollte er sie ihr auch einfach so wiedergeben? Mann, warum mussten die Bad-Boys immer so verdammt anziehend sein?     

Jared hielt uns nun die Tür auf während er sagte: »Jetzt kommt schon rein. Da draußen wird es nicht gerade angenehmer.« Wir durften da doch gar nicht rein. Man rennt dem Feind doch nicht einfach die Türe ein, wenn man plant ihn umzubringen, oder? Aber Alea hatte früher genau das gemacht – und irgendwie schien es ja funktioniert zu haben.     

Die Kneipe war genauso wie ich mir die Häuser der Casses immer vorgestellt hatte: Dreckig, kalt und ungemütlich. Vor lauter Unbehagen klammerte ich mich an Aleas Arm fest.     

Als wir den Raum betraten erkannten viele Vampire Alea wieder und riefen ihren Namen und sowas wie: Na, wieder da? Damit war die offensichtliche Tatsache, dass Alea sich bei den Casses nie versteckt hatte, nur noch offensichtlicher.     

Jared bot uns einen der vielen Tische an, die hier rum standen und fragte uns, was wir bitte zu trinken haben wollten. Alea bestellte sich eine Cola und ich nahm ein Glas Alster. Als Jared weg war, bedachte ich sie mit einem Blick, der sagen sollte: Ernsthaft, eine Cola? In einer Kneipe? Aber Alea ging darauf nicht weiter ein. Sie musste anscheinend noch dringend Worte loswerden, bevor Jared wieder kam: »Ich glaube dem Typen nicht. Ich kann mir nicht vorstellen, dass ich früher ständig mit diesen schrägen Leuten rumgehangen haben soll.«     

»Aber Alea, sie erkennen dich doch alle.« »Ja, weil sie der Grund sind, dass meine Erinnerungen total falsch sind – deshalb wissen sie wer ich bin, nur deshalb. Ich weiß nicht wie es dir geht, aber ich habe das ständige Bedürfnis von hier fliehen zu wollen.« Ich hätte ihr ja nur liebend gern zugestimmt, doch das wäre nicht die Wahrheit gewesen. Ich wollte weiterhin hier sitzen bleiben und diese umwerfenden blauen Augen anhimmeln.

Tag 2 | Steine?

 

Bevor Ali mir ihre Antwort geben konnte, kam Jared mit unseren Getränken auch schon wieder zurück. Na toll, war der Zug zur Flucht jetzt etwa abgefahren? Was würden sie als nächstes mit uns anstellen? Etwas Schlimmeres als mir falsche Erinnerungen zu geben?     

Doch Jared setzte sich lediglich zu uns an den Tisch und grinste uns breit an. »Also, verrate mir wie du darauf gekommen bist, uns einen Besuch abzustatten? Denn deine Erinnerungen sind ganz klar noch nicht zurück… was bin ich froh.« »Ali hat mir davon erzählt«, antwortete ich trocken.     

Jared lachte. »Ich habe es doch immer gewusst, dass du nichts für dich behalten kannst.« Ali konnte anscheinend nicht mehr still sitzen, da ihr eine Frage auf der Zunge lag, die ihr brennend interessierte: »Ich verstehe es noch nicht ganz. Wenn Alea wirklich immer hier durch die Vordertür hereinspaziert ist… Bist du etwa ein Vampir mit Todeswunsch?« Jared starrte Ali entgeistert an. »Hätte ich Alea sonst ihre Erinnerungen genommen, wenn ich das hätte?«     

Im nächsten Augenblick ging die Tür auf und ein weiterer Vampir betrat die Kneipe. Eigentlich hätte ich es für nichts Besonderes gehalten, hätte sich Jareds Hand nicht verkrampft. War das etwa ein unerwünschter Vampir… ein Feences? Nein, seiner Kleidung nach zu urteilen nicht. Aber vielleicht hatte er sich ja, so wie wir, umgezogen für eine geheime Mission. Allerdings waren wir hier ja auch nicht unerwünscht. Oder … wahrscheinlich doch, wir wussten es nur noch nicht… und würden total in die Falle laufen.     

Der Junge kam jetzt einige Schritte auf unseren Tisch zu und mit jedem Schritt schien Jareds Anspannung von ihm zu weichen. Als er vor uns stand, lächelte Jared sogar – ein falsches Lachen? »Daniel! Was machst du denn schon wieder hier?«     

»Die Party unten bei den Gesh-Hügeln war total ätzend.« Jetzt bemerkte er erst mich und Ali und fragte anschließend: »Und wer ist das wieder? Neue Freundinnen von dir?« Aha, dieser Daniel schien hier nicht allzu oft abzuhängen, denn er kannte mich nicht – was ein Wunder! Ich hatte das Gefühl, der einzige heute Nacht.     »Alea«, stellte ich mich vor.     

»Ali«, tat sie es mir nach. Daniel verdrehte genervt seine Augen. »Na fein. Wenn du mich suchst: Ich bin oben.« Hier gab es ein oben? Dann war er ja anscheinend doch öfter hier, als ich vermutet hatte. Vielleicht hielt er sich ja ausschließlich oben auf, während ich vorzugsweise unten war.     

Jared, der jetzt wieder seinen Plauderton angeschlagen hatte, fragte: »Und? Wo waren wir stehen geblieben?« Anstatt ihm zu antworten, fragte Ali: »Wer war das gerade?« Total beiläufig erklärte Jared: »Ach, der ist voll das Partytier und jede Nacht woanders. Jetzt aber zurück zum Thema.« Ali hatte anscheinend ebenfalls Jareds Anspannung bemerkt, als Daniel den Raum betreten hatte. Aber ich erkannte schon gleich, dass Jared uns nicht weiteres verraten würde.     

Ohne jegliche Vorwarnung sprach Ali ein ziemlich heikles Thema an. Ein Thema, welches Jared bestimmt total wütend machen könnte und er würde schon vorzeitig auf uns losgehen. »Wie ist Alea damals an die ganzen Steine der Casses rangekommen? Die Steine, die euch, wenn Alea sie mit ihrer Magie zerstört, töten würden.«     

»Weil ich ihr die Steine gegeben habe«, sagte Jared gerade heraus. Mir stockte der Atem… bitte was? »Ach, und jetzt sag mir noch mal, das wäre keine Selbstmordmission«, pustete Ali sichtlich verärgert. »Ist es nicht, weil sie nicht alle Steine hat. Und sie wird nie alle Steine bekommen.«     

Jetzt war ich erst recht verwirrt: »Und warum das du mir dann die anderen Steine gegeben?« »Keine Ahnung… vielleicht damit du deine Hoffnung nicht aufgibst?« »Dann sind wir heute also umsonst gekommen?«, fragte ich Jared.     

»Könnte man so sagen. Aber ist ein kleines Gespräch nicht auch viel Wert?« Ali, die ihren Blick nicht von Jared richten konnte, fragte: »Wie viele Steine fehlen Alea noch, damit sie alle besitzt?« »Genau einer. Der Stein, der Aleas Erinnerungen unterdrückt.« Ich schluckte… nur einer! Nur der Stein, der mich wieder zu dem Vampir machen würde, der ich wirklich war. Wir mussten diesen Stein unbedingt finden! Dann könnten wir zwei Fliegen mit einer Klatsche fangen.     

Als hätte Jared meine Gedanken gelesen, meinte er: »Aber keine Sorge, der Stein ist so gut versteckt und bewacht… den bekommt ihr niemals in eure kleinen Hände.« Ali grinste: »Ja, nun, wir werden es versuchen. Unterschätze niemals zwei Vampirfreundinnen.« »Uh, da bin ich ja Mal gespannt. Gerade weil ihr Aleas Magie braucht, um ihn überhaupt erst zu finden. Aber warte… sie hat diese Magie ja gar nicht mehr.«     

Ich funkelte Jared böse an. »Ich werde sie schon zurück bekommen.« »Nicht vollständig – dafür werde ich persönlich sorgen.« Und das war der Moment, wo ich Ali am Arm packte und sie mit mir nach draußen zog. Lange würde Jared nicht mehr auf freundlich machen – das war klar wie Kloßbrühe.     

Draußen an der frischen Luft, fragte ich Ali: »Habe ich dir je erzählt, wo ich diese Steine aufbewahre?« »Nein, das hast du nicht – was mich nach heute Nacht eigentlich auch nicht wundert. Aber keine Sorge: Wir werden diese Steine gemeinsam finden. Wenn wir erstmal den Stein zerstört haben, der für deinen Gedächtnisverlust verantwortlich ist, wird der Rest ein Klacks.«     

Ich lächelte sie an. »Da hast du wahrscheinlich Recht. Jetzt muss ich nur noch meine Fähigkeiten wiedererlangen. Tja, vielleicht hilft das Date mit Jayden ja morgen.« »Sicher wird es das, immerhin ist er ein Teil deiner Selbst.« Ali war einfach zu lieb, wie sie immer in allem das Beste sehen wollte. Glücklich zog ich sie an mich und drückte sie einmal kräftig. Eine wunderbare und angenehme Wärme überrollte mich.     

»Warte… warst du das gerade?«, fragte mich Ali. »Was soll ich gewesen sein?« Ich hatte echt keinen blassen Schimmer was sie damit meinte. »Diese Wärme, Alea. Ich glaube das war Magie. Mach das noch Mal.« »Ich weiß ja gar nicht wie ich das überhaupt geschafft habe…«     

»Konzentriere dich auf unsere Freundschaft und stelle dir das bildlich vor, was du erreichen willst.« Ich dachte an ein gemütliches Lagerfeuer und an Ali und ihre wunderbare Art mich glücklich zu machen. »Wenn du deinen Finger kreist geht es noch besser«, gab sie mir als Rat.     

Und Alis Ratschlag half: Ich fühlte nicht nur Wärme in meinem Körper. Nein, von meinen Fingern gingen jetzt sogar kleine Flammen auf. Ich stieß einen Freudenschrei aus. »Wie jetzt? Heißt das, dass ich jetzt schon meine Fähigkeiten wieder habe?«     

Betrübt schüttelte Ali den Kopf. »Ich fürchte nicht. Es ist nur ein Teil deiner Kraft. Der Teil, der unsere Freundschaft ausmachte.« Während sie das sagte, grinste sie total breit. »Aber dich machen noch so viele andere Sachen aus, Alea. Aber es ist zumindest ein Anfang.«

Tag 3 | Familiendate?

 

Irgendwie hatte ich das Gefühl, dass mein Vater Jasper am wenigsten damit klar kam, dass ich meine Erinnerungen verloren hatte. Und das mochte schon was heißen, da ich Dana nicht ausklammerte. Die Dana, die deswegen sogar Tränen geweint hatte. Okay, er zeigte es nicht so sehr nach außen. Aber man merkte, dass es ihn innerlich zerbrach. Ständig sprach er Ereignisse aus meiner Vergangenheit an und wollte meine Meinung dazu hören, die ich ihm natürlich nicht geben konnte.     

»Schatz, irgendwann erinnert sich Alea schon wieder. Du musst Geduld haben. Bestimmt hilft das Date mit Jayden heute«, versuchte ihn meine Mutter zu beruhigen. »Apropos Date – du hast doch sicher nichts gegen ein Doppeldate, oder?«, fragte mich plötzlich Max. Ich verschluckte mich beinahe an meinem Essen. »Entschuldige?«      »Ich meine, du musst mich ja auch wieder kennenlernen, um deine vollständige Macht zu erlangen.« Er grinste mich breit an. »Und Justine kennst du eigentlich auch schon… also meine Freundin. Das wäre ein klasse Familiendate.«     

Ich musste mich verhört haben. »Familiendate?« Ich wusste inzwischen ja schon, dass Max oft ziemlich komisch drauf war. »Dazu musst du wissen, dass Justine Jaydens Cousine ist. Und da wir Geschwister sind… ein Familiendate halt.« »Ich bin jetzt eigentlich davon ausgegangen, dass Jayden und ich alleine wären.«     

Max verdrehte die Augen, woraufhin Dana vom anderen Ende des Tisches lachen musste. »Das könnt ihr ja danach noch. Aber vorher…. Das haben wir früher ständig gemacht – und jetzt wäre es wegen deines Gedächtnisverlusts ein perfekter Zeitpunkt.« Von da an wusste ich, dass es eh schon beschlossene Sache in Max Kopf war. Und… außerdem, warum auch nicht? Je mehr Leute da waren, desto mehr konnte ich auch erneut kennenlernen.

Justine war eine blonde Vampirin, die so sehr strahlte, dass ich sie sofort ans Herz geschlossen hatte. Ich freute mich für meinen Bruder, dass er so eine tolle Freundin abbekommen hatte.     

Das Eiscafé, das wir aufgesucht hatten, erinnerte mich irgendwie an ein Eiscafé, das ich auch immer in New York aufgesucht hatte. Ja, das New York, das es gar nicht gab… ganz toll, Alea. Aber könnte das bedeuten, dass Erinnerungen existierten, die real waren?     

»Hier waren wir übrigens auch bei unserem ersten Date… also, unser richtiges erstes Date«, erklärte Jayden. »Und bei unzähligen Doppeldates«, ergänzte Max. »Das ist quasi sowas wie unser Stammlokal.« »Macht euch jetzt keine falschen Hoffnungen, aber mir kommt das Café irgendwie bekannt vor.« Jayden lächelte mir zu – na super. Natürlich machte er sich gleich falsche Hoffnungen. »Ich wusste doch, dass nicht alle deine Erinnerungen weg sein können.« »Nein, bitte nicht, Jayden. Das ist genau das, was ich meine. Jetzt hoffst du auf etwas… und wirst am Ende doch enttäuscht werden.«     

»Ich glaube nicht, dass Jayden sich falsche Hoffnungen macht, Alea. Er ist nur optimistisch, so wie ich. Daran ist nichts verkehrt«, meinte Justine. Oh Mann, sie mussten diese Alea ohne ihre Erinnerungen sicherlich hassen. Ich gab Jayden ja gar keine Chance… dabei war er mein Freund.     

»Es tut mir echt leid«, murmelte ich gerade dann, als mein Eisbecher serviert wurde – ein echt großer Erdbeereisbecher. »Dein Geschmack hat sich anscheinend auch nicht geändert«, bemerkte Max, als er sah wie ich mit Freude meinen Erdbeereisbecher verschlang.     

»Nö, anscheinend nicht. Gestern habe ich es ja sogar schon geschafft etwas Magie zu praktizieren.« »Echt jetzt? Wow, Alea, das ist ja fantastisch!«, kreischte Justine und fiel mir in die Arme. Okay, ich verstand mich mit der Freundin meines Bruders wohl ziemlich gut.     

»Zeig uns Mal was«, schlug mir Max vor und ich versuchte das mit der Flamme, was ich auch bei Ali gemacht hatte. Es funktionierte erneut und ich brachte das Erdbeereis zum Schmelzen.     

»Flüssiges Eis?«, lachte Jayden. »Schmeckt das denn?« »Klar, flüssiges Eis ist das beste Eis«, entgegnete ich grinsend. »Ah, wie ich dieses Grinsen liebe«, sagte Jayden, woraufhin ich rot anlief. Mensch, warum musste das auch immer passieren?     

Ich mit meinem flüssigen Eis brauchte beinahe noch am längsten, obwohl Max Eis eindeutig am größten gewesen war. Aber Suppe zu löffeln dauerte nun Mal länger als gefrorenes Eis, das ging besser auf den Löffel.      Jayden und Max – ganz die Gentlemans – bezahlten am Ende für uns mit, als wir alle unser Eis aufgegessen hatten. Die frische Luft, die mir um die Nase wehte als wir nach draußen gingen, tat meinem Kopf ganz gut. Im Eiscafé war es dann doch etwas stickig gewesen.     

»Wir wollten jetzt noch runter zu den Wiesen gehen. Trennen sich dann hier unsere Wege?«, wollte Max von uns, speziell mir, wissen. Da sonst niemand antwortete, lag es wohl an mir. »Einverstanden«, sagte ich und nickte.     

Als wir dann alleine waren, kam Jayden einige Schritte auf mich zu, was mich irgendwie nervös machte. Ich konnte hören, wie das Herz in meiner Brust schneller schlug. »Alea, wenn du nichts dagegen hast, würde ich gerne etwas testen. Ein Versuch, der vielleicht Teile deiner Erinnerungen zurückbringt.«     

Ich konnte mir schon denken, was er damit meinen könnte. Doch Zeit zum Antworten blieb mir nicht. Er zog mich an sich heran, nicht so fest, dass ich nicht von ihm weichen könnte. Hätte ich diesen Kuss von vornerein nicht gewollt, hätte ich ihn beenden können.     

Doch plötzlich wurde es ganz eigenartig, denn eigentlich wollte ich ihn gar nicht beenden. Als seine Lippen auf meine trafen, regte sich in meinem Inneren tatsächlich etwas. Nicht, dass ich mich an irgendwelche Momente aus unserer Beziehung erinnern könnte. Nein, das war eher der Moment wo mir klar wurde, dass ich ihn wirklich geliebt hatte. Klar, jeder hat mir zuvor immer einreden wollen, was für ein süßes Paar wir doch waren. Aber es waren immerhin nur Worte gewesen, mit denen ich nichts anfangen konnte.     

Doch jetzt konnte ich damit etwas anfangen, denn meine Gefühle für ihn waren echt. Ab diesen Moment wusste ich sofort, dass ich mir nicht nur über meine Gefühle für ihn klar geworden bin. Ich spürte auch, dass ein weiterer Teil meiner Magie zurückgekehrt war.     

Als ich meine Hände um seinen Hals legen wollte, kam in mir plötzlich noch ein weiteres Gefühl hoch. Ein Gefühl, welches ich nicht deuten konnte. Ich wusste nur, dass es mich plötzlich unendlich traurig machte.

Tag 3 | Neue Vampirprinzessin?

 

Jayden verabschiedete sich vor dem Schloss total süß von mir. Ja, eigentlich war ich in meinen Gedanken überzeugter Single, aber Jayden ließ mich echt vergessen, warum. »Hab ich dich jetzt endlich zurück, ja?« Ich grinste verlegen. »Also meine Erinnerungen habe ich jetzt noch nicht zurück… aber-« »Das ist mir ja im Moment sowas von egal«, flüsterte er und küsste mich daraufhin wieder.     

Wiederwillig löste ich mich von ihm. »Ich muss jetzt aber wirklich rein. Lorena wollte mich wegen irgendetwas sprechen. Und gleich ist es drei Uhr… also wird es Zeit.« Zum Abschied warf er mir noch einen Luftkuss zu und verschwand dann hinter der Ecke des Vorgartens.       

Als ich vor Lorenas Zimmer stand, wusste ich schon genau, was sie von mir wollte. »Herein«, rief sie mir zu als ich an ihrer Tür geklopft hatte. »Hallo, Alea«, begrüßte sie mich strahlend. »Was gibt’s Lorena?«, fragte ich, obwohl ich genau wusste was los war.     

»Wie entwickeln sich deine Fähigkeiten?« Bingo! Hatte ich doch gewusst. »Ein Teil von mir ist zurückgekehrt, aber ich denke ich benötige noch etwas Zeit.« »Ja, ich denke das wiedererlangen deiner Kräfte wird nicht das Problem sein. Du wusstest anscheinend auch genau, wie du die Casses mit deiner Magie bekämpfen konntest. Mir hast du das ja bedauerlicherweise nie verraten. Das könnte jetzt ein Problem werden, wo du deine Erinnerungen verloren hast.«     

»Keine Sorge«, beruhigte ich die Königin, die viel bereits viel älter war als sie aussah. »Ich habe es aber anscheinend Ali verraten und die wiederrum hat es mir jetzt verraten.«     

Erleichtert atmete Lorena aus. »Gut, mehr wollte ich dann auch nicht. Solange ihr die Casses bekämpfen könnt, bin ich mit allem zufrieden. Wie ihr das macht, muss ich nicht unbedingt wissen. Dass es nicht schön sein wird, kann ich mir ja denken. Aber manchmal gibt es halt Opfer, die man eingehen muss. Ich hoffe du verstehst das, so wie es dein altes Ich getan hat.«     

Ich nickte ihr zu. »Ja, inzwischen habe ich es kapiert. Anfangs fand ich es barbarisch, aber dazu muss man die Casses wahrscheinlich persönlich kennenlernen, um darüber zu urteilen.« Lorena stimmte mir zu. »Ja, versteh mich nicht falsch. Natürlich ist es barbarisch. Aber besser eine barbarische Tat als tausende, oder?«      Lorena schien immer die richtigen Worte zu finden. Ich konnte nur hoffen, dass ich später einen Teil ihrer Stärke in mir wiederfinden würde. »Du darfst jetzt wieder gehen, Alea. Bis später dann.« »Bis später«, verabschiedete ich mich und ging wieder die Treppen hinunter, bis ich in der großen Halle stand. Von dort aus hatte ich eigentlich vor gehabt zurück in mein Zimmer zu gehen. Eine kleine Pause würde mir jetzt sicher gut tun. Doch ich hatte mich gewaltig geschnitten.     

Auf halbem Weg zog mich Ali zu sich rüber. »Oh – mein – Gott – Alea! Ich muss dir unbedingt etwas zeigen!« »Was willst du mir denn zeigen?«, fragte ich verwirrt. »Nicht hier drinnen. Komm mit nach draußen.«      Ich hatte nicht den geringsten Schimmer, was sie mir hätte zeigen wollen. Vielleicht kannte ich sie dazu doch noch nicht gut genug. Klar, in drei Tagen konnte man sich nicht wirklich kennenlernen. Auch wenn ich dank ihr einen Teil meiner Fähigkeiten zurückbekommen hatte.     

»Uns darf keiner sehen«, meinte sie total geheimnisvoll. »Wie wäre es dann mit dem verlassenden Wäldchen dahinten?«, schlug ich vor. Sie grinste. »Perfekt!« Woraufhin wir uns auch schon in Bewegung setzten.     

Der Wald war echt total verlassen – und dunkel, obwohl Vampire in der Nacht ja ziemlich gut sehen konnten, erkannte ich die Hand vor meinen Augen kaum. »Dann mal los«, murmelte Ali vor sich hin. Schwach konnte ich erkennen, wie sie ihre Hand hob und anfing ihren Finger zu kreisen.     

Plötzlich erschienen Blitze und Donner über uns, während der Blitz direkt in einen Baum einschlug, der nicht weit von uns entfernt war. Ich zuckte automatisch nach hinten, als dieser anfing zu brennen. Doch Ali löschte ihn sofort mit einer Wasserfontäne.     

»Beeindruckend. Du hast deine Fähigkeiten also noch, oder was willst du mir jetzt damit sagen?« »Kehr, Alea! Nein! Das ist eine andere Magie… Magie, die gegen die Regeln ist.« Was zum… »Wie hast du die denn jetzt plötzlich bekommen?« »Bestimmt weil du mich mit zu den Casses genommen hast.«     

Ich atmete einmal tief ein und aus. »Okay. Und warum habe ich meine Magie dann noch nicht wieder?« Darauf wusste Ali anscheinend auch nicht so wirklich eine Antwort. »Hm… vielleicht weil du den Rest auch noch nicht wieder hast? Ich habe keine Ahnung…«, vermutete sie.     

»Dann kannst du ja jetzt auch die Vampirprinzessin sein, oder? Ich meine, du hast ja jetzt auch diese Magie, die mich zuvor ausgemacht hat.« Ich wusste nicht recht, ob ich mich freuen oder weinen sollte. »So ein Nonsens. An deine Fähigkeiten kommt keiner ran! Nur weil ich jetzt auch die Magie der Casses besitze, heißt das nicht, dass sie genauso stark ist wie deine es war. Du bist und bleibst die Prinzessin. Aber deshalb wollte ich es dir doch auch gar nicht zeigen.«     

»Das habe ich schon vermutet.« »Wir können jetzt endlich unsere Mission fortführen. Und nicht nur das, wir können den Stein suchen, der deine Erinnerungen wieder zurückbringt.« »Theoretisch ja, wenn wir wissen würden, wo wir suchen müssen«, gab ich zu denken. »Wo wir suchen müssen wusste ich schon von dem Augenblick an, als Jared meinte, dass man an diesem Ort nur mit Casses Magie kommt. Da gibt es nämlich nur einen – einen gefährlichen Ort. Denn das ist das Gebiet der Casses und dort herrschen keine Regeln. Aber es ist unsere einzige Chance gleich zwei Fliegen mit einer Faust zu schlagen: Wir vernichten die Casses und du bekommst deine Erinnerungen zurück.« Ich grinste sie an und sie grinste zurück, auch wenn irgendwas an diesem Lachen falsch wirkte…

Tag 3 | Nicht zerstört?

 

Meine kleine Schwester Dana war echt total niedlich, wie sie durchs Zimmer hüpfte wie ein kleines Känguru. Und warum nochmal? Ach ja, weil ich morgen Geburtstag hatte. Eigentlich hätte ich diese Sprünge machen müssen, immerhin wurde ich endlich einundzwanzig Jahre alt… was so viel heißt wie: Endlich volljährig!     

Laut Dana hatte ich diese Party ja schon seit Wochen selber geplant, doch da alle meine Erinnerungen futsch waren, hatte sie das kurzer Hand einfach selbst gemacht. Ich meine wie alt war sie noch? Zwölf? Laut meinen Erinnerungen, auf die ja bekanntlich kein Verlass war, war ich in diesem Alter nicht so organisiert gewesen.     

»Das Problem ist jetzt bloß, dass ich deine Gästeliste nicht gefunden habe… beziehungsweise, vielleicht gab es auch nie eine«, erklärte mir Dana betrübt. »Ist doch egal. Ich werde mich an über die Hälfte sowieso nicht erinnern. Lade einfach die ein, die du für wichtig hältst«, ermutigte ich sie. Und dann, mit einem fetten Grinsen im Gesicht, verließ sie wieder das Zimmer. Sie hatte ja noch allerhand in Sachen Partyplanung zu tun.     

Ich hatte ihr ja vorgeschlagen, dass ich auch helfen konnte. Doch Dana wollte davon nichts hören und meinte: »Sehe es einfach als Geburtstagsgeschenk an. Du mit deinen falschen Gedanken hast sicher genug um die Ohren.«     

Hm, eigentlich nicht. Ich wusste ehrlich nicht wo ich jetzt noch hin sollte. Die Nacht neigte sich langsam dem Ende zu, deshalb drehte ich jetzt die Musikanlage in meinem Zimmer höher. Ich tanzte einfach total gern meinen Frust von der Seele. Das ließ meine Laune immer gleich um mindestens fünfzig Prozent steigen.      Gedankenverloren betrat ich meinen begehbaren Kleiderschrank, um mir schon mal das passende Outfit für die morgige Feier auszusuchen. Ich erwischte mich dabei, wie ich überlegte: Welche Farbe Jayden wohl am liebsten mag? Ich wünschte mir, ich könnte mich daran erinnern. Doch da dies nicht der Fall war, suchte ich mir spontan einfach das Kleid aus, was mir persönlich gut gefällt.     

Ich konnte die Augen einfach nicht von einem rosa farbigen Kleid wenden, welches an der linken Brust und im unteren Teil mit Rosen verziert war. Die Mitte wurde von einem schwarzen Gürtel verziert, der super zum Rücken passte, da sich dort schwarze Bänder zum Knoten befanden.     

In meinen falschen Erinnerungen wäre ich damit für einen einundzwanzigsten Geburtstag zu overdressed. Aber hier, in einem Königreich, war es sicher perfekt. Es war nicht zu lang, sodass ich später noch super darin tanzen konnte. Dann wäre dieser Punkt ja schon Mal geklärt.     

Gerade als ich das Kleid wieder zurück hängen wollte, bemerkte ich, dass sich die Wand dahinter bewegen ließ. Neugierig drückte ich stärker dagegen, um festzustellen, dass sich dahinter tatsächlich noch etwas verbarg: Ein Regal, auf dem nach der Reihe überall braune Steine drauflagen. Vorsichtig holte ich einen Stein heraus und betrachtete ihn genauer. Das eine Ende des Steines war rund, während das andere nach unten spitz zu lief. Diese Form schien auf jeden dieser Steine zu zutreffen.     

Plötzlich fiel mir ein, dass das nur die Steine sein konnten, die ich früher immer von den Casses gestohlen hatte. Eigenartig… anscheinend hatte ich sie noch nicht zerstört gehabt. Vielleicht mussten die Steine ja alle auf einmal verstört werden.     

Nervös schloss ich die Tür wieder. Sollte ich Ali von diesem Versteck erzählen? Ich meine, immerhin hat das mein altes Ich auch nicht getan. Okay, andererseits kam mein altes Ich auch gut alleine klar, während ich jetzt ziemlich hilflos war. Himmel, Ali war ja sogar die mit der besonderen Magie, nicht ich.     

Sie war die einzige, die diese Steine zerstören konnte. Natürlich musste ich es ihr sagen. Eine andere Möglichkeit stand nicht zur Option.     

Erschöpft schlüpfte ich in meinem Pyjama und kletterte in mein Himmelbett. Ich fühlte mich komplett erledigt. Sowohl geistig als auch körperlich. Wie sehr wünschte ich mir, dass ich mich an meine Vergangenheit wieder erinnern konnte? Ich glaube diese Zahl war so groß, dass es sie gar nicht mehr im Zahlensystem gab.      Zu meiner Überraschung kam König Lian noch kurz in mein Zimmer, bevor ich die Augen zu machen konnte. »Ich hoffe du hast noch nicht geschlafen, Alea«, sagte er in einem ruhigen Ton, den man sicher gerne vorm Einschlafen hören möchte. »Nein, noch nicht«, antwortete ich. »Was gibt’s?« »Ich wollte nur Bescheid sagen, dass ich morgen leider aufgrund meines Amtes als König weg muss und deshalb nicht zu deiner Geburtstagsfeier kommen kann. Deshalb wollte ich dir jetzt schon mal eine gute Feier wünschen.«     

Ich lächelte. Hier im Schloss waren wir alle anscheinend eine echte Familie. »Danke, lieb von dir. Und viel Spaß bei… was auch immer du morgen machen musst.« Er grinste zurück. »Danke, den werde ich haben.« Dann ging er aus meinem Zimmer und ich konnte endlich einschlafen.

Alles war total vernebelt vor meinen Augen. Vor mir war Jared, der mir einen Beutel voller brauner Steine überreichte. »Warum gibst du mir die Steine?«, hörte ich mich fragen. »Weil es keinen Ort auf der Welt gibt, wo die Steine sicherer wären.« Jared zog mich an sich und flüsterte mir zu: »Sie sind auch dein Alibi.« Er verharrte kurz in der Bewegung und fügte hinzu: »Sei vorsichtig.«

Atemlos schreckte ich aus meinem Himmelbett hoch. Mein Kopf brummte mir total. War das gerade eine echte Erinnerung gewesen oder hatte ich mir das einfach nur ausgedacht. Gut möglich. Seufzend sank ich in die Kissen und dachte nicht mehr länger über meinen Traum nach.     

Selbst wenn der Traum wahr gewesen ist, eine Tatsache blieb weiterhin war: Jared hatte Schuld an all diesem Schlamassel und seine scheiß nett gespielte Art würde das auch nicht ändern. Das war nur geplant, weil er Angst hatte. Denn ich war tatsächlich in der Lage seinem Leben ein für alle Mal ein Ende zu bereiten. Das Chaos wäre verschwunden.

Tag 4 | Happy Birthday?

 

Der Weg durch den Vorgarten des Schlosses war einfach atemberaubend. Dana hatte das wirklich total toll hingekriegt. Okay, sicherlich hatte sie Hilfe von unseren Eltern erhalten. Aber ich war trotzdem total stolz auf sie. Die Musik war perfekt, ebenso wie die Dekoration. Im Garten standen mehrere Tische unter freiem Himmel. Das Wetter dafür war ja auch total gegeben.     

Ich fand es ziemlich merkwürdig, wie mir manche Vampire strahlend in die Arme liefen und mir ein Geschenk in die Hand drückten, obwohl ich die meisten davon zum ersten Mal sah. Wahrscheinlich die Nebenwirkungen, die ein Gedächtnisverlust mit sich brachte.     

Plötzlich umarmte mich jemand von hinten und flüsterte mir mit vertrauter Stimme »Happy Birthday!« in mein Ohr – Ali. Endlich mal jemanden, den ich wiedererkannte. »Dankeschön«, entgegnete ich und flüsterte gleich hinterher: »Ich habe diese Steine übrigens gefunden. Sie befinden sich in einem Geheimfach meines Kleiderschrankes. Allerdings sind sie meines Erachtens noch nicht zerstört.«     

»Okay, dann sollten wir das bei Gelegenheit machen. Und dann sollten wir uns auf die Suche zu deinem Stein machen, damit du endlich deine Erinnerungen wiederbekommst.« »Ganz deiner Meinung. Nur… bist du dir sicher, dass wir zwei das alleine hinbekommen? Ich könnte mir vorstellen, dass das kein Zuckerschlecken wird«, gab ich zu Bedenken. »Ja, Verstärkung könnte uns gut tun. Wie wäre es mit Max und Jayden? Die sind die einzigen, die sonst noch von dieser Mission wissen.«     

»Schon, aber im Endeffekt nützen sie nichts, weil nur du diese Magie hast.« »Ja, aber auch die Magie der Feences kann als Unterstützung sicher nicht schaden. Oder wie-« Doch Ali unterbrach ihren Satz, da sie hinter mir anscheinend etwas oder jemanden entdeckt hatte. Vorsichtig dreht sie mich um. »Kommt dir der Typ auch bekannt vor?«     

Es war nicht schwer zu erraten welchen sie damit meinte. Er war der einzige hier, der nicht im Anzug erschienen war. Obwohl ich zugeben musste, dass er bessere Kleidung trug als bei unserer letzten Begegnung. »Ist das nicht der Typ, der zu Jared neulich an den Tisch gekommen war?«     

Ali überlegte. »Hieß er nicht Daniel?«     

»Keine Ahnung. Ich glaube schon. Aber was macht der bitte hier?«, fragte ich mich. Er kam jetzt direkt auf uns zu. In seiner Hand hielt er ein Geschenk. »Wer von euch beiden ist denn jetzt das Geburtstagskind hier?«, fragte er, während seine Blicke zwischen mir und Ali hin und her huschten. Ali schupste mich ein wenig nach vorne, um Daniel klar zu machen, dass ich Geburtstag hatte.     

»Alles Gute«, murmelte er, während er mir das Geschenk überreichte. »Das Geschenk ist von meinem Vater. Ich sollte es dir übergeben.« »Jared ist dein Vater?«, fragte Ali entgeistert, woraufhin Daniel völlig desinteressiert nickte. »Aha, und warum kommt er dann nicht einfach selber her?«, wollte ich von ihm wissen, doch genau schien er das auch nicht beantworten zu können.     

»Also er ist nicht so das Partytier und ich … naja, schon eher. Deshalb meinte er, ich sollte es vorbei bringen.« Irgendwie wurde ich jetzt total wütend auf Jared. Unvorstellbar, dass ich noch wütender auf ihn werden konnte. »Da hat Jared aber übersehen, dass das hier eine private Party ist und nur geladene Gäste erwünscht sind.« Ich weiß es klang hart, aber es war fair.     

Doch Ali zog mich kurz nach hinten weg, während sie »Einen Augenblick« sagte. Was zum Teufel hatte sie jetzt wieder vor. »Das ist unsere Chance, Alea!«, rief sie mir im Flüsterton entgegen. »Chance wofür?«, fragte ich total ahnungslos.     

Ali verdrehte die Augen. »Na, für unsere geheime Mission. Wir brauchen noch jemanden mit Casses Magie für unsere Reise.« »Toller Plan. Er wird sicher mitkommen, um sich selber umzubringen… ganz sicher.«     

»Das müssen wir doch nicht verraten. Wir sagen ihm einfach so, dass Jareds Geschenk nichts wert ist, da er dir deine Erinnerungen genommen hat – und es könnte dich nur glücklich machen, wenn du diese zurückbekommst. Wenn er immer noch kein Mitleid hat, drohen wir ihm halt damit, dass er sonst nicht auf der Party bleiben darf. Wir würden dann ja auch nicht lügen… wir verschweigen nur einen Teil der Wahrheit.« Wahrscheinlich hatte Ali mal wieder nicht ganz Unrecht. Wir brauchten dringend noch Unterstützung von jemand mit Casses Magie. Wir mussten nur noch Jayden und Max verklickern, dass sie ja dicht halten müssen, was den Teil mit der Vernichtung der Casses angeht.     

Schließlich drehten wir uns wieder zu Daniel hin. Mir war klar, dass es jetzt an mir lag, die richtigen Worte zu finden: »Weißt du, dass Geschenk von Jared ist scheiße. Kann ich dir jetzt schon sagen, ohne dass ich es überhaupt geöffnet habe. Denn weißt du was, wie soll man ein Geschenk von jemanden gut finden, der die Schuld daran trägt, dass man jegliche Erinnerungen an seine Vergangenheit verloren hat?«     

Daniel starrte mich perplex an. »Warum sollte er das getan haben?« Ali lachte spöttisch. »Vielleicht weil ihr Casses euch nicht um Regeln kümmert?« »Also was mein Vater dir angetan hat, tut mir leid. Das ist sicher nicht schön…«      Ich schnaubte. »Nein, ganz sicher nicht. Und wegen ihm müssen wir uns jetzt auf die Suche nach diesem Stein machen, der dafür verantwortlich ist. Ali meinte, es gibt irgendwo einen Ort, wo man nur mithilfe der Casses Magie hinkommt.«     

»Bei den Guel-Hügeln? Seid ihr verrückt? Da kommt ihr doch nicht lebend wieder heraus.« »Nicht ohne deine Hilfe«, brachte Ali es auf dem Punkt. »Wir bräuchten Zelte… keine Ahnung… Proviant. Da ist man länger als ein Tag unterwegs«, meinte er, um eine klare Antwort zu vermeiden. Ich konnte merken, dass ich ihm Leid tat. Allerdings merkte ich auch, dass er eigentlich überhaupt keine Lust hatte, mitzukommen… vielleicht auch Angst.     

»Ich denke Zelte und Proviant könnten wir besorgen. Das wäre das kleinere Problem.« Ali machte eine kleine Pause und fügte hinzu: »Komm schon. Stell dir vor, man hätte das mit dir gemacht. Das würdest du doch auch nicht schön finden, oder?«     

»Ich finde ja, mein Vater sollte euch helfen. Immerhin hat er euch den Bockmist eingebrockt.« »Das Problem ist nur, dein Vater möchte nicht, dass ich meine Erinnerungen wieder bekomme«, erklärte ich. »Komm schon. Ein Ausflug gegen den Willen deines Vaters, gegen die Regeln… das dürfte doch was für dich sein. Dann darfst du auch auf meiner Party bleiben.«     

Daniel seufzte. »Na schön. Aber nur, weil mein Leben zur Zeit total langweilig ist und ich ein Abenteuer gut wieder gebrauchen könnte.«

Tag 4 | Ich habe noch nie...?

 

»So«, brachte Ali hervor, während sie Daniel und mich mit sich zog. »Wir bringen die Party jetzt erstmal ein wenig in Gang und trinken einen.« Ich stöhnte auf, da ich mir eigentlich vorgenommen hatte nüchtern zu bleiben. Ali schien das voll bemerkt zu haben. »Jetzt zier dich nicht so, Alea. Von nichts kommt nichts. Dein einundzwanzigster Geburtstag muss doch unvergesslich bleiben, wenn du dich schon sonst an nichts erinnerst.«     

Und sie glaubte ernsthaft mit Alkohol würde ich mich hinterher besser daran erinnern? Tja, ich musste mir eingestehen, dass ich Ali nicht von ihrer Meinung abhalten konnte. »Wie wäre es mit einer Runde Ich habe noch nie…?«, fragte sie uns. Das war jetzt nicht ihr Ernst. »Wie soll ich das Spiel bitte spielen können, wenn ich mich nicht an meine Vergangenheit erinnern kann?«     

Das hatte Ali wohl selbst noch nicht durchdacht. Doch trotzdem ließ sie sich nicht aus der Fassung bringen. »Egal, entweder ich helfe dir oder du verwendest deine Fake-Vergangenheit.« Kurzerhand schnappte sie sich drei Schluckgläser vom Tisch. »Hey, Max, Jayden! Wollt ihr mitspielen bei Ich habe noch nie …?« Zur Erklärung raunte sie mir zu: »Wir müssen sie doch noch in unsere kleine Mission einweihen.«     

Okay, klar. Das machte man ja auch am besten jetzt. Also nein, ich ganz sicher nicht. Max und Jayden wollten natürlich mit dem Geburtstagskind zusammen Ich habe noch nie… spielen. Das Thema geheime Mission kam schneller zur Sprache als ich vermutet hatte. Nämlich schon gleich dann als Max Daniel beäugte und fragte: »Wer ist das denn?«     

Ali antwortete schlicht: »Jemand der uns helfen wird Aleas Erinnerungen wiederzubekommen. Ihr beiden seid übrigens auch herzlich eingeladen.« »Ihr habt einen Plan wie Alea ihre Erinnerungen wieder bekommt? Ist ja klasse und natürlich helfen wir«, meinte Jayden direkt.     

»Mehr dazu am Ende der Party, denn jetzt wird erstmal gespielt.« Man konnte wirklich merken, dass Ali von uns fünfen am motiviertesten war. »Wer will anfangen? Ich würde ja sagen das Geburtstagskind.« War ja klar. Echt super, weil mir ja auch so viel einfiel. Ich kannte die Leute vor mir ja noch nicht all zu lange. Gott weiß, was die alles schon Mal getan haben, was ich nicht gemacht hatte.     

»Ich habe noch nie Trinkspiele gemocht«, sagte ich spontan, um Ali zu ärgern, die jetzt natürlich einen trinken musste. Da konnte sie mir nichts erzählen. Auch Max und Daniel hoben die Gläser. »Ich habe mich noch nie bei den Casses herumgetrieben«, sagte Max und grinste mich an. Was er jedoch nicht geahnt hatte war, dass Ali und Daniel mit mir mittrinken würden. Was mich zu dem Punkt hin führte, dass er ja nicht mal wusste, dass Daniel zu den Casses gehörte. Belassen wir ihn erstmal bei diesem Gedanken… zumindest bis zum Ende der Feier.     

»Ich habe mich noch nie in die richtige Person verliebt«, schniefte Ali. Okay, da hatte aber jemand miese Laune. Sie hatte mir ja bereits erzählt, dass ihr Liebesleben eine einzige Katastrophe war. Aber erst jetzt bemerkte ich, dass es sie wohl schwerer traf als ich vermutet hatte. Tja, also wenn ihr mich fragt, gab es schlimmeres. Sie steigerte sich da fiel zu sehr hinein.     

»Alea? Willst du etwa nicht trinken?«, fragte mich Jayden betrübt und riss mich damit aus meinen Gedanken. »Äh, doch klar«, entgegnete ich und stieß zusammen mit Jayden und Max an.     

»Da wir beide nicht so gerne Trinkspiele mögen… hättest du vielleicht Lust jetzt mit mir zu tanzen?«, fragte mich Jayden plötzlich. Irgendwie war ich dankbar für sein Angebot. »Klar, wieso nicht? Ihr könnt hier ja weiterspielen, wenn ihr wollt.«     

Doch ich brauchte mich nicht umzudrehen, um zu ahnen, dass Max jetzt den Tisch verlassen würde. Und tatsächlich – als wir auf der Tanzfläche waren und ich ein Blick Richtung Tisch erhaschen konnte, saßen da nur noch Daniel und Ali, die in einer Unterhaltung vertieft waren.     

»Also… erzähl mir von dieser Mission«, sagte Jayden, während er mich drehte. »Wollen wir nicht warten bis Max auch zuhört?«, fragte ich. »Ich kann es aber nicht mehr abwarten. Außerdem kann ich das Max dann auch nachher noch erzählen.«     

Hm… warum eigentlich nicht? Irgendwann würde er es eh erfahren. »Wir müssen einen Stein finden, den wir zerstören müssen – sowohl damit ich meine Erinnerungen wieder bekommen als auch, damit wir die Casses besiegen können. Und dieser Stein ist an einem Ort mit Casses Magie. Ali besitzt neuerdings auch diese Magie, weil sie mich zu den Casses begleitet hat. Allerdings sind wir nicht sicher, ob sie stark genug ist. Deshalb nehmen wir Daniel mit«, erklärte ich und zeigte auf den Tisch, wo er immer noch mit Ali dran saß.     

»Und dieser Daniel besitzt die Magie auch? Dabei dachte ich immer du wärst etwas Besonderes… dann gleich zwei auf einmal.« Ich schüttelte den Kopf. »Daniel gehört zu den Casses.« »Bitte was-«, setzte Jayden an, wobei er fast schrie, doch ich unterbrach ihn.     

»Er weiß ja natürlich nicht, dass wir sein Volk vernichten wollen. Er kommt nur wegen meinen Erinnerungen mit, weil wir herausgefunden haben, dass sein Vater die Schuld dafür trägt.« »Alea, ich geh doch nicht auf eine Reise zusammen mit einen von denen…« »Er ist unsere einzige Chance, weil er die Gegend besser kennt als wir. Er konnte uns zum Beispiel schon sagen, dass wir mehrere Tage unterwegs sein werden.«     

Jayden lachte ironisch. »Ach, na dann ist ja alles gut. Wenn ich mehrere Tage mit einem Casses zusammen verbringe. Ja, womöglich noch ein Zelt mit ihm teilen muss.« »Er wird seine Magie ja nicht gegen uns einsetzen, nur um an diesen Ort voran zu kommen.« »Und das weißt du weil…?«, fragte mich Jayden – weiterhin skeptisch.     

»Weil es dann vier gegen einen heißt. Nur weil unsere Magie nicht gegen die Regeln verstößt, heißt das nicht, dass sie nicht stark ist. Wenn ihr so nett sein würdet und mitkommen könntet, hätte er keine Chance im Falle eines Angriffs.«     

Während der die Arme um meine Taille gelegt hatte und weiterhin tief umschlungen mit mir tanzte, drückte er mir einen kurzen, aber dennoch leidenschaftlichen Kuss auf den Mund. Nur wenige Zentimeter von meinem Mund entfernt, raunte er: »Natürlich komme ich mit. Ich würde dir überallhin folgen.«

Nacht 4 | Hoffnungsloser Fall?

 

[erzählt von Alissa Lester]

 

Letztendlich konnte ich es nicht sagen, ob Daniel nur noch aus Mitleid bei mir sitzen blieb oder ob er wirklich selber nichts Besseres zu tun hatte. Eins wusste ich aber genau: Inzwischen war ich wirklich betrunken. Jap, sonst gab ich es oftmals nicht zu. Dieses Mal schon, weil es stimmte. Ändern konnte ich daran ja sowieso nichts mehr.     

Eigentlich war ich so gut wie nie betrunken… aber entweder ich hatte mich geändert… oder hey, heute durfte ich das! Es war schließlich Aleas einundzwanzigster Geburtstag. Ich hatte guten Grund dazu.      Allerdings musste ich zugeben, dass ich ziemlich tief gesunken war. Ich führte immerhin eine Unterhaltung mit jemand von den Casses. Warum das Ganze? Traurig aber war: Er sollte mir mehr über seinen Vater erzählen, den ich einfach nicht mehr aus meinem Kopf bekam. Vater, Ali, Vater! Er war viel zu alt für mich. Und das war nur ein Punkt von tausenden, der nicht stimmte.     

»Ich glaube du hattest für Heute genug Alkohol«, meinte Daniel. »Oh, wie süß. Du dääänkst, du musst auf mich… aufpassen. Aaaaber ich sage dir was: Ich bin total un vollkommen erwachsen genug! Ich bin auch totaaaaal alt«, lallte ich. »Du scheinst aber nicht in bester Verfassung zu sein.« Ich grinste ihn breit an. »Duu bist eindeutig neeetter als dein Vater. Das hast duuu bestimmt von deeeiner Mutter, oder? Woo ist die denn eigentlich?«     

Daniel schaute mich entsetzt an. Okay, das hätte ich wahrscheinlich nicht fragen dürfen. Tja, nun war es zu spät. »Wie bitte?«, fragte er und machte eine kurze Gedenkpause. Anscheinend erinnerte er sich wieder daran zurück, wie ich in der Kneipe an Jareds Tisch gesessen habe. »Lass mich raten. Er hat mit dir geflirtet und jetzt machst du dir irgendwie Hoffnungen oder so. Aber ich sag dir eins: Das macht er seit dem Tod meiner Mutter mit fast jeder Frau.«     

Ich seufzte. »Verstorbene Frau… daaaas hat noch auf meiner Liste geeefeeehlt. Suppiii! Ich bin eeecht ein hoffnungsloser Fall in Sachen Liebe.« »Wem sagst du das? Ich bin auch seit gefühlten Jahrzehnten Single. Ich habe einfach nie diesen Funken gespürt… Du weißt schon, Liebe auf dem ersten Blick. So wird es doch immer in Büchern beschrieben. Langsam beginne ich zu glauben, dass es das gar nicht gibt und dass ich vielleicht meine Ansprüche runterschrauben sollte.«     

Aber das war ja gerade mein Problem. Ich hatte diesen Funken gespürt, nur leider bei der falschen Person. »Was ist eigentlich mit dem anderen Mädchen? Alea oder? Was hat die für eine Beziehung zu meinem Vater? … Mal abgesehen davon, dass er ihr die Erinnerungen nahm.«     

»Wiiiieso kommst du denn daaarauf?« »Ich weiß nicht. Immerhin hat er ihr was zum Geburtstag geschenkt, was nicht gerade günstig zu sein scheint.« »Viieleicht Schuldgefüüühle?«, fragte ich und stockte dann, als ich mich an diesen merkwürdigen Moment vor der Kneipe erinnerte. Der Moment wo Alea total rot wurde. »Neeeee, du hast totaal Recht. Die verschweigt mir schooooon wiiiiieder was. Baaaah, nicht, dass die sich heimlich treffen. Obwohl, das kann ich miiiir auuuch nicht vorstellen, dem zuuu urteilen was sie voooor hat.«      »Hä? Was hat sie denn vor?« Mist. Mein betrunkener Zustand war eindeutig nicht gut darin, Geheimnisse zu bewahren. »Niiichts schlimmes. Ich wollte aaauch mit machen… biiin mir aber nicht soooo sicher. Doooch eigentlich schooon. Immerhin muuuuuss man immer das Richtige tun.«     

Er grinste mich an. »Klar, dass das von dir kommt. Du gehörst zu den Feences. Aber war es etwa das Richtige sich hier zu betrinken?« »Eyyyyyy! Das ist der beeesondere Geburtstag meiner BFF-Forever. Daaa geht das. Baaaaah, mir ist gaaar nicht gut.« Und ehe ich mich versah, kam mir alles wieder hoch und landete direkt auf den schönen dekorierten Tisch.     

»Okay, das war glaube ich dein Stichwort ins Bett zu gehen.« »Neeee«, brachte ich nur hervor und brach danach in mir zusammen. Stöhnend stand Daniel auf und legte mich über seine Schulter. »Wo ist denn nur deine Freundin abgeblieben?«, fragte er ein wenig hilflos.     

Ich musste kichern, keine Ahnung warum. Es war einfach nur so ironisch. »Die knutscht beeestimmt mit iihrem Jayden ruuuuum. Diiiie hat’s jaaaaa sooooo guuuut.« »Ich weiß nicht, ob es so gut ist seine Gedanken zu verlieren.« Oh ja, genau das war das, was ich jetzt brauchte. Ich musste meine kompletten Gedanken einfach auslöschen. Doch leider wusste ich nur zu gut, dass das nicht möglich wäre.     

»Na schön. Wenn alle abgehauen sind, bringe ich dich eben selber in dein Bett. Wo das genau ist kannst du mir sicher nicht mehr sagen.« »Ich wooohne hiiiier nicht. Nuuuur quaaasi bei Alea.« »Ja ne, jetzt weiß ich natürlich total Bescheid. Egal, irgendwo im Schloss werde ich schon ein freies Bett finden.«     

Wo genau er mich jetzt überall hintrug konnte ich gar nicht genau sagen. Wahrscheinlich musste er jede Menge Türen öffnen, bis er endlich eine Möglichkeit zum Schlafen gefunden hatte. Erst als ich etwas Weiches unter mir spürte, öffnete ich wieder die Augen.     

»Jaaaaaa! Du bist riiiiichtig! Bei Alea! Wiiie wusstest du das nur?« »Wusste ich nicht. Das war das einzige Zimmer im Schloss, wo die Vorhänge noch nicht verdunkelt gewesen waren.« Meine zuvor verspürte Müdigkeit verschwand schlagartig wieder und ich sprang auf und drückte ihm einen Kuss auf die Wange. »Daaaaaanke, für’s heimbringen. Mannnoo… waaaaarum konnte ich diesen Funken nicht eiiiinfach bei dir geeeeespüürt haben?«     

Daniel legte mich zurück ins Bett. »Ja, werde jetzt einfach wieder nüchtern.« Und dann verließ er das Zimmer. Plötzlich wurde mir klar, was ich da gerade gesagt hatte. Ich hatte mir doch tatsächlich gewünscht, dass ich mich in Daniel verliebt hätte. Mensch, Ali! Er ist doch auch einer von den Casses. Klar, er war heute Nacht total nett zu dir. Aber auch er kümmert sich nicht um Regeln. Ich musste endlich aufhören mir die Casses schön zu reden, nur weil ich mich in einen von ihnen verliebt hatte. Und das war der Moment an dem ich mir versprach, komme was wolle, ich würde diese Mission durchführen. Das war das einzig richtige. So, Ali: Mission gleich richtig, Gefühle gleich falsch. Mit diesem Versprechen schlief ich irgendwann ein.

Tag 5 | Auf geht's?

 

Ich war am nächsten Morgen … obwohl Abend, früher wach als Ali. Als ich auf die Uhr schaute und bemerkte, dass es schon Mitternacht war, verhielt ich mich doch nicht mehr so leise wie ich es eigentlich vorgehabt hätte. Und tatsächlich, Ali drehte sich stöhnend im Bett hin und her. »Mensch, Alea. Hier wollen manche Vampire vielleicht noch schlafen?« »Aber nicht, wenn der Zeiger schon auf der zwölf steht.«     

»Ich habe so verdammt schlimme Kopfschmerzen«, maulte sie. »Dann solltest du andermal vielleicht nicht so viel trinken. Schon mal daran gedacht?« Doch Ali hielt sich einfach die Ohren zu und rief: »Lalala, ich höre dich gar nicht.«     

Darüber musste ich dann doch grinsen. »Jetzt steige endlich aus dem Bett und pack deine Sachen. Schon vergessen, was wir heute vorhaben?« »Stimmt ja, die geheime Mission. Na schön. Dann sollte ich mich wohl auf den Weg nach Hause machen.« Grundgütiger, was hatte die für monstermäßige Augenringe? Ein Wunder, dass sie überhaupt noch die Tür nach draußen fand.     

Schließlich überwand ich meinen Schweinehund und fing an meine Tasche zu packen. Ein Zelt packte ich gleich mit in den Koffer. Ich ahnte nur, dass es besser wäre, wenn wir so viele Zelte wie möglich haben würden. Bei meiner Wechselkleidung griff ich allerdings in meine geheime Schublade. Mit Kleid wäre ich da echt nicht gut aufgehoben.     

Max hatte den Rest meiner Familie bereits über unseren Ausflug informiert, dass er sowohl meine Erinnerungen zurückbringen könnte, als auch die Casses vernichten könnte. »Seid bitte vorsichtig. Ich weiß ja nicht, was euch da so erwarten wird«, verabschiedete sich mein Papa. »Tschüss«, sagten auch Mama und Dana. Auch Justine hatte sich im Schloss eingefunden und verabschiedete sich von Max.     

Max und ich verließen schließlich das Schloss und gingen mit unseren Koffern zum ausgemachten Treffpunkt, nur wenige Straßen vom Schloss entfernt. Wir waren anscheinend die letzten… kein Wunder, wie lange Max noch gebraucht hatte.     

»So, wer von euch weiß jetzt wo wir hin müssen?«, fragte Max zur Begrüßung und bekam daraufhin fragende Blicke von den anderen. »Das weißt du nicht? Also es ist jetzt nicht so als würde ich mich dort irgendwie auskennen. Aber die grobe Richtung des Eingangs kennt doch wohl jeder«, meinte Jayden.     

»Nö, wenn du im Schloss wohnst, kommst du nicht oft unter Leute, weißt du?« »Ha ha, sehr witzig. Egal, der Eingang an sich ist nicht weit von hier«, entgegnete Ali. »Und wir sind wirklich mehrere Tage unterwegs?«, fragte ich noch mal zur Sicherheit. Ich konnte es mir einfach nicht vorstellen. »Ich meine, wenn wir uns in eine Fledermaus verwandeln sind wir doch verdammt schnell.« »Das würde ich lassen«, rief Daniel sofort von vorne nach hinten. »Der Ort ist von Casses Magie umgeben. Das bedeutet auch die Luft. Die Verwandlung in eine Fledermaus ist auch mit Magie verbunden. Wenn sich diese Magie mit der anderen vermischt, könnte das schlimme Folgen haben. Schlimmsten Fall ist es sogar tödlich.«     

Wie bitte? Wir konnten dann also quasi gar keine Feences Magie einsetzen oder wie war das zu verstehen? Oder war das nur mit einem Risiko verbunden und wir durften es deshalb nur so selten wie möglich? Naja, meine Magie war ja eh nicht besonders hilfreich, so schwach wie sie war. Aber was war mit dem Rest?      Jayden stellte die Frage meiner Gedanken laut: »Und wozu sind wir dann eigentlich mitgekommen, wenn unsere Magie dort kraftlos ist?« »Eure Magie ist nicht kraftlos, nur mit Risiken verbunden«, antwortete Daniel. »Außerdem muss man nicht immer alles mit Magie lösen.«     

Prima, in Sachen nicht mit Magie lösen war ich die Beste. Laut meinen Erinnerungen hatte ich mein ganzes Leben nichts anderes gemacht. Tja, dann hoffen wir mal, dass Daniel Recht behielt.     

Irgendwann blieben Ali, Daniel und Jayden – die, die uns anführten – einfach stehen. Okay, dieses Stück Acker sah ja jetzt nicht besonders gefährlich aus. Außerdem war das hier alles so extrem weitläufig. Wie wussten wir da, wo die Steine versteckt waren. Ganz klasse. »Wollen wir?«, fragte Daniel Ali, woraus ich schließen konnte, dass hier jetzt Magie eingesetzt werden musste. Aber warum? Woher wussten sie das?      Sekunden später bekam ich meine Antwort, denn Ali und Daniel sprengten mit ihrer Magie plötzlich ein riesiges Loch in den Boden. Als Daniel dann raunte »Alea, Max, darf ich vorstellen: Der Eingang in die Unterwelt.« war alles vollkommen klar für mich. Dieser Ort hier war noch gar nicht der, wo nur Casses Magie herrschte. Erst wenn wir da unten waren, würde es gefährlich werden.     

»Wer geht als erstes?«, fragte Jayden, der jetzt sichtlich nervöser wirkte als zu Beginn. »Na der, der fragt«, meinte Max grinsend und fuhr sich durch seine schwarzen Haare. Jayden war über Max Antwort sichtlich nicht erfreut, aber als Feigling wollte er wohl auch nicht rüber kommen, denn schlussendlich sprang er in die Tiefe.      »Alea?«, fragte mich Ali.     

»Warum sollen eigentlich die als erstes springen, deren Magie da unten nutzlos ist? Nicht besonders fair, oder?« »An der Stelle kann nicht passieren, aber wenn es euch beruhigt, springe ich als nächstes«, schlug Daniel vor und ohne auf Reaktionen zu warten, sprang er Jayden hinterher.     

»Okay, ich bin dran«, sagte ich, da ich irgendwie doch das dringende Bedürfnis hatte, es endlich hinter mir zu haben. Als ich Sprang fiel ich so tief, dass ich dies – laut meinen falschen Erinnerungen – eigentlich nicht hätte überleben können. Deshalb schrie ich auch aus vollem Hals. Aber natürlich war dieser Tunnel verzaubert gewesen, weshalb mir am Ende auch nichts passierte – nicht mal eine Prellung.     

Obwohl es hier unten stockduster war, konnte ich perfekt sehen. Klar, Alea, du bist ein Vampir! Würde ich mich je daran gewöhnen? »Alles okay bei dir?«, fragte mich Jayden und begutachtete mich von oben bis unten. Ich nickte nur, weil ich vor lauter Herzrasen meine Sprache noch nicht wieder gefunden hatte.     

Als ich mich hier unten genauer umschaute, kam es mir hier fast wie eine Höhle vor. Links runter war zwar eine Wand, die uns den Weg versperrte, doch rechts führte ein Weg runter. Ganz am Ende der Höhle konnte ich schon entfernt eine Lichtung erblicken. Eigentlich sollte Licht ja immer Hoffnung verheißen, doch in diesem Fall wollte ich lieber hier in der Dunkelheit verweilen. Vielleicht lag es daran, dass ich ja eigentlich ein Vampir bin – wahrscheinlich aber eher, weil nach dem Licht die Gefahren auf uns warten würden.

Tag 5 | Die Elemente?

 

Der erste Eindruck dieser Gegend war besser als ich es erwartet hatte. Zumindest sah es jetzt noch alles vollkommen friedlich aus. Der einzige Weg, der sich uns bot, war zwar ziemlich schmal, denn große Felswände rangen an beiden Seiten hervor. Allerdings waren die vielen Pflanzen rund um uns ziemlich schön anzusehen. Die Atmosphäre ließ mich die drohende Gefahr beinahe vergessen.     

»Hat Ähnlichkeit mit einem Wald, findet ihr nicht?«, bemerkte auch Max und ich konnte ihm nur zustimmen. Aber nicht dieser unheimliche, finstere Wald aus Horrorfilmen – eher der Wald mit zwitschernden Vögeln zum Pilze suchen.     

»Lasst euch aber nicht täuschen. Auch wenn es hier friedlich scheint, auch die Erde hat ihre Gefahren«, versicherte uns Daniel. »Die Erde?«, fragte ich verwundert. »Ja, dieser Ort ist wie der Kreis der Elemente aufgebaut. Wir müssen alle vier durchqueren, um wieder zum Ausgang zu gelangen. Hoffen wir, dass Alea auf diesem Weg ihre Erinnerungen zurückbekommt«, gab er zur Erklärung.     

Puh, Kreis der Elemente. Das hörte sich ziemlich abgedroschen an. Erde, Luft, Feuer und Wasser – das waren ja bekannter Maßen die vier Elemente. Mit Erde sollte unsere Reise wohl beginnen. Auf Erde zugehen, konnte ich mir ja noch ziemlich gut vorstellen. Aber der Rest? Der schien mehr oder weniger unmöglich, auch wenn ich noch nicht wusste, was mich genau dort erwarten würde.     

Während ich samt Koffer weiter ging und mir doch immer mulmiger zumute wurde, versuchte ich ein Gespräch auszubauen, um die bedrückende Stille zu vertreiben. »Wer hat denn jetzt alles an ein Zelt gedacht?« »Ich habe eins mit«, erwiderte Jayden stolz. Bei den anderen herrschte weiterhin Stille.     

»Wie? Heißt das jetzt wir haben nur zwei Zelte?«, fragte ich. »Reicht das nicht?«, meinte Max. »Von mir aus. Machen wir dann ein Mädchen und ein Jungenzelt?« Jayden schien meinen Vorschlag alles andere als gut zu heißen, was ich mir eigentlich auch schon gedacht hatte. Immerhin erinnerte ich mich noch deutlich daran, dass er alles andere als begeistert gewesen ist, als er hörte, dass einer von den Casses uns begleiten würde.      Auch Ali schien Jaydens Blick deuten zu können und bevor der etwas sagen konnte, fuhr Ali dazwischen: »Das ist hier ja schlimmer als im Kindergarten. Daniel, du schläfst jetzt bei uns Mädels mit im Zelt. Platz ist da immerhin reichlich drin… das Zelt stammt ja von der Königsfamilie.«     

Ali hatte im Grunde Recht – es war total egal. Daniel gehörte bestimmt nicht zu der Sorte Casses, die uns in der Nacht gefährlich werden würden. Immerhin half er mir bei der Suche nach dem Stein… auch wenn er es nur tat, weil er Schuldgefühle hatte oder einfach nur, weil es Zuhause total langweilig war.     

Plötzlich hörte ich hinter einem Baum ein leises Rascheln, woraufhin ich sofort verharrte. »Habt ihr das auch gehört?« »Was?«, fragte Ali mich. »Das Rascheln. Ich denke, dass unser Abenteuer jetzt wohl losgehen soll. Ali, Daniel? Seid ihr gegebenenfalls bereit Magie einzusetzen?« Beide nickten und drehten ihre Köpfe in Richtung des Geräusches, das nun wieder zu hören war.     

»Was kann das nur sein?«, fragte ich, eigentlich eher an mich selbst gerichtet, doch Max gab mir trotzdem eine Antwort: »Naja, ist ja nicht so, dass es in Vellance nur Vampire gibt. Da sind auch noch andere Wesen.« Ach, auch mal gut zu wissen. Die taten alle echt noch so, als wäre mein Gedächtnis nicht zu Brei gemanscht worden.     

»Was für andere Wesen?«, fragte ich.     

»Na ganz unterschiedliche gibt es… beispielsweise Kobolde, obwohl die extrem selten sind und ich noch nie einem persönlich begegnet bin. Aber hier ist ja alles ein bisschen anders«, sagte Max. Kobolde? Klar, ich kannte Kobolde aus meiner falschen Vergangenheit – ebenso wie ich ja auch Vampire gekannt habe. Konnte es tatsächlich sein, dass alle Wesen, die ich für ein Märchen gehalten hatte, in Wahrheit in Vellance existierten?      Das Wesen kam nun vorsichtig und ein wenig schüchtern hinter dem Baum hervor. Es war ein kleines Wesen mit unfassbar großen Ohren. Am Körper trug es nur eine Unterhose mit Stiefeln und Mütze. Aber Mal abgesehen davon, wirkte es für meine Augen unfassbar menschlich… oder eigentlich vampirlich. Menschen gibt es nicht, Alea!     

Und tatsächlich: Mit einem Satz sprang es zu uns herunter und begann sogar zu sprechen. »Vampire habe ich in dieser Gegend schon eine ganze Weile nicht mehr gesehen.« Die Stimme klang total normal.     

»Ein Gnom!«, rief Jayden atemlos auf. Klar, ein Gnom – was sonst? Die gab es natürlich auch. »Oh, wie süß. Dürfen wir ihn behalten?«, fragte Max scherzhaft. »Junger Mann, ich bin kein Gegenstand, den man einfach besitzen kann. Aber da ich nur selten auf Vampire treffe, würde ich mich geehrt fühlen, wenn ich mich euch anschließen dürfte.«     

Konnte es noch merkwürdiger werden? »Und der kann uns nicht gefährlich werden? Meine Erinnerungen an Gnome sind zwar vorhanden, aber nur noch flüchtig.« Daniel grinste. »Nein, Gnome sind friedliche Wesen. Sie tun keiner Seele etwas zu leide – anders als sogar wir Vampire.«     

Jayden schnaufte. »Du meinst wohl wir Casses. Feences halten sich an die Regeln.« Wieder ein Diskussionsthema, das zwar in der Luft lag, jedoch nicht angeschnitten wurde, da man eh nie zu einer Lösung kommen würde.     

»Hast du eigentlich einen Namen?«, fragte ich den Gnom jetzt einfach, um die Spannung zwischen Jayden und Daniel weg zu wischen. »Mir wurden schon ganz unterschiedliche Namen gegeben, aber wenn ihr so höfflich seid und fragt, am liebsten heiße ich Herish.«     

An den Namen musste ich mich wohl erst noch gewöhnen. Aber Herish wurde mir auf jeden Fall immer sympathischer. Er könnte uns bei manchen Gefahren vielleicht sogar zur Seite stehen und helfen. Herish zog seine Mütze, die sowieso schon ziemlich tief saß, noch ein kleines Stückchen tiefer. »Lasst mich raten, ihr nehmt den Kreis der Elemente? Gut, denn einen anderen Weg gibt es nicht – bedauerlicher Weise«, sagte Herish und marschierte dann voraus, wir folgten.

Tag 5 | Er wird größer?

 

Dass im Moment meine höllisch brennenden Füße mein größtes Problem waren, hätte ich echt nicht gedacht. Ich meine, der Tag war fast um – nein, halt, die Nacht war fast um – und wir sind die ganze Zeit nur durch dieses endlose Stück Wald spaziert.     

»Also ich wäre jetzt dafür, dass wir die Zelte aufschlagen. Die Sonne geht bald auf«, teilte ich den anderen mit, die mir nickend zustimmten. Plötzlich spürte ich eine kalte Hand an meiner rechten Schulter… Jayden. »Am liebsten würde ich mir das Zelt mit dir teilen«, flüsterte er an mein Ohr, was bei mir eine Gänsehaut auslöste.      »Aber ich kann Ali doch nicht mit zwei Jungs zusammen schlafen lassen.« »Wieso nicht? Ich finde, einer mehr oder weniger macht den Kohl auch nicht fett. Außerdem ist Max doch ein anständiger Vampir.« »Das ist ja auch nicht das Problem. Ich dachte nur, dass Ali vielleicht ihre beste Freundin brauchen würde, wenn sie sich schon freiwillig dafür geopfert hat, sich das Zelt mit einen von den Casses zu teilen.«     

Jayden seufzte, da er wusste, dass ich Recht hatte. »Mir gefällt es nur nicht, wenn du dir das Zelt mit einem von denen teilst.« »Er wird mir schon nichts tun, Jayden. Immerhin ist er mitgekommen, um zu helfen.« »Das mag er behaupten, aber du darfst denen nie voll und ganz vertrauen. Früher hast du das gewusst. Ich meine, du hast deine Erinnerungen schließlich nicht ohne Grund verloren. Dieser Jared wusste, dass du und deine Fähigkeiten dazu in der Lage wären, sie alle zu vernichten. Deshalb musste er schnell handeln, weil er wusste, dass du es sonst getan hättest. Das musst du dir immer wieder in Erinnerung rufen, Alea. Und wie es aussieht, könnte es nicht schaden, wenn du Ali gleich miterinnerst.«     

Ich schaute ihn eindringlich an. »Natürlich wissen wir das bereits beide, sonst wären wir nicht hier. Dass wir Daniel in unser Zelt lassen, liegt daran, dass a: Wir es tun müssen, da er sonst keinen Platz zum Schlafen hat und b: Er nicht misstrauisch werden darf, worum es hierbei wirklich geht.«     

Jayden zog mich sichtlich erleichtert an sich. »Du warst schon immer die Schlauere von uns beiden in dieser Beziehung.« Ich grinste ihn an. »Ach ja? Und was warst du?« Wir waren nur noch wenige Zentimeter voneinander entfernt. »Das wirst du schon noch herausfinden«, murmelte er geheimnisvoll und küsste mich anschließend.     

»Ist ja schön, dass ihr zwei euch wieder gefunden habt, aber die Zelte bauen sich nicht von selbst auf«, ließ uns Alis Stimme hochfahren. Nur wiederwillig lösten wir uns voneinander und gingen zu den anderen herüber, die bereits die Stäbe durch das Zelt hindurch gefädelt hatten. Das drei-Mann-Zelt von Ali, Daniel und mir dauerte zwar an sich länger bis es aufgebaut war, aber da wir dieses Zelt auch mit mehreren Leuten aufbauten, nahm sich das nicht sonderlich viel. Sowohl Max als auch mein Zelt, waren beide unglaublich blickdicht. Für Vampire gegen die Sonne sicherlich von Vorteil.     

Unser Gnom-Begleiter Herish hatte sich einfach ein Platz draußen in den Wäldern genommen, da ihm die Sonne ja – anders als uns – nichts ausmachte.     

Irgendwann waren wir endlich soweit und konnten uns es in unserm Zelt gemütlich machen. Ich hatte den Platz in der Mitte eingenommen und mich bereits in meinen Schlafsack eingekuschelt. Anders als Daniel, der vor dem Schlafengehen anscheinend noch Lust auf ein wenig Smalltalk hatte: »Du musst es gut haben, Ali, gleich zwei Arten von Magie zu besitzen.«     

Sie zuckte mit den Schultern. »Aber du hast die Magie doch auch.« »Ja, Casses Magie schon. Aber will Mal einfach nur ein Feuer entzünden mit der Absicht, dass es ausschließlich wärmt. Keine Chance, außer das Feuer soll irgendwas zerstören. Du kannst beides. Ich frage mich nur, warum.« Aha, jetzt wurde der Smalltalk also doch ernster.     

»Naja, so stark ist meine Magie jetzt auch nicht. Ich war ja erst einmal bei euch. Alea ist früher ständig bei euch gewesen, weshalb ihre Fähigkeiten früher auch ziemlich stark waren. Doch da sie sich daran nicht mehr erinnern kann, sind die jetzt weg.« Ach, Ali… Ich bin mir echt nicht sicher, ob wir Daniel so viel verraten sollten. Sonst würde er noch dahinter kommen, warum sein Vater mir meine Erinnerungen nahm.     

Doch glücklicher Weise dachte er darüber nicht länger nach. Ihn beschäftigte ein anderes Thema. »Warum ist Alea denn früher so oft nach uns gekommen? Wegen meinem Vater?« Da ich weil ich eure Steine und somit euch vernichten will natürlich schlecht sagen konnte, sagte ich einfach: »Das versuchen wir ja herauszufinden. Wie gesagt… meine Erinnerungen sind ja futsch und deshalb kamen wir neulich, um es herauszufinden. Doch… keine Chance.«     

»Vielleicht habt ihr euch gestritten und er möchte nicht, dass du dich daran erinnerst.« Genau… als ob. Doch das sagte ich natürlich nicht laut. Stattdessen meinte ich: »Aber hätte es denn nicht gereicht nur diesen Teil zu löschen? Musste er mich gleich glauben lassen, dass ich ein komplett anderes Leben als sogenannter Mensch führen würde?«     

Gerade als er antworten wollte, hörte ich von draußen plötzlich ein lautes Geräusch, was uns alle hochschrecken ließ. Als schließlich auch ein lautes Gebrüll ertönte, öffneten wir das Zelt, obwohl die ersten Sonnenstrahlen bereits den Himmel erfüllten. Auch Max und Jayden schienen ihr Zelt verlassen zu haben, da der Eingang ihres Zeltes ebenfalls offen stand.     

Die leichten Sonnenstrahlen auf meiner Haut brannten zwar total unangenehm, doch das vergas ich gleich wieder, als ich das große Ungetüm vor uns erblickte. Das Monster sah Herish verblüffend ähnlich, nur das dieses Etwas brutaler und angsteinflößender war – eindeutig. Apropos Herish: Wo war er überhaupt?     

Max brüllte mir die Antwort auf meine Gedanken entgegen: »Es sieht so aus, als hätte sich Herish von einem Gnom in einen Troll verwandelt!« Ach-herr-je! Und das musste ausgerechnet zu dieser Uhrzeit passieren? Oder war das gerade so geplant, weil wir jetzt am verwundbarsten sind? In seiner Hand hielt Herish eine Keule, mit der er anscheinend schon ununterbrochen versucht hatte, Jayden und Max zu schlagen. Diese konnten bis jetzt zum Glück immer noch haarscharf ausweichen, doch erst jetzt wurde mir klar, wie selbstsüchtig ich doch war.     

Das war meine Mission! Ich wollte meine Erinnerungen zurück haben und ich war die Vampirprinzessin, die die Casses vernichten soll. All diese Vampire um mich herum setzte ich in Gefahr – in tödliche Gefahr. Man, was bin ich dämlich.

Tag 5 | Erde?

 

Bevor Herish erneut seine Keule schwingen konnte, versuchte Ali ihre Magie heraufzubeschwören, um ihn irgendwie töten zu können. Töten zu können… laut meinen falschen Erinnerungen ist das etwas bizarres, was man nicht mal seinen Feinden antun sollte. Aber so hatte es Jared natürlich gewollt, musste ich mir immer wieder einreden.     

Doch Alis Versuch ging gewaltig in die Hose, da vor ihr plötzlich eine gewaltige Ranke aus dem Boden schieß, die wie wild um sich schlug. Ich wollte ihr gerade Achtung! zuschreien, doch es war bereits zu spät. Die Pflanze hatte sie mit einem kräftigen Hieb zu Boden gedrückt.     

Ich schrie entsetzt auf, da Ali sich nicht mehr bewegte. Schnell wollte ich zu ihr eilen, doch Jaydens Worte stoppten mich: »Nicht! Sonst wird sie dich auch schlagen.« Ich funkelte ihn böse an. »Hast du denn eine bessere Idee? Wenn wir sie da liegen lassen, schlägt die Pflanze vielleicht nochmal auf sie ein und ich denke nicht, dass man das lange mitmachen kann.«     

Daniel, der bislang nur verängstigt in der Nähe des Zeltes gestanden hatte, meldete sich zu Wort: »Ich könnte sie mit einem Orkan von dort wegbringen.« »Klar, ein Orkan! Der hat uns ja auch noch gefehlt!«, brüllte ich hilflos. Max sprach dennoch das aus, was ich mir insgeheim dachte. »Das ist unsere einzige Chance.« »Aber versuch es vorsichtig zu machen, damit du Ali nichts auszerrst.« »Tut mir leid, aber über die Stärke habe ich keine Kontrolle, weil ich keine Feences Magie besitze. Aber ich werde ihn so kurz wie irgend möglich anhalten lassen«, beruhigte er mich.     

Vor lauter Sorge um Ali, hatte ich gar nicht bemerkt, wie eine weitere Ranke direkt neben mir aus der Erde kam. »Alea, Achtung!«, rief mir Jayden noch zu, doch ich würde eh nicht schnell genug fliehen können und sah mich schon in der gleichen Haltung wie Ali am Boden liegen.       

Doch es kam anders: Den Orkan, den Daniel für Ali heraufbeschworen hatte, hetzte er nun auf mich los. Automatisch schrie ich auf, da mein Körper in die Luft gewirbelt wurde und ich das Gefühl bekam, meine Glieder würden mir auseinander gerissen werden. Wie konnte dieser Orkan bitteschön helfen?     

Als der Wind nachließ, sah ich den tiefen Sturz schon kommen. Das würde sicherlich total wehtun – überall in den Knochen. Doch Jayden, der zu mir gerannt kam, fing mich mit seinen Armen auf und der Sturz wurde somit weicher als vermutet. »Dankeschön«, murmelte ich dicht an seinem Ohr. »Keine Ursache«, ab er zurück und ein leichtes Lächeln machte sich auf seinem Gesicht breit.     

Eigentlich war der Moment perfekt, bis wir durch ein lautes Peitschgeräusch wieder in die Realität gezogen wurden. Entsetzt musste ich mit ansehen wie die lange und dicke Pflanze erneut auf Ali einschlug. Aber noch entsetzter war ich über die Tatsache, dass Daniel mich noch tatenlos anschaute anstatt Ali endlich zu helfen.      »Jetzt helfe ihr endlich!«, kreischte ich, nachdem Jayden mich wieder sanft zu Boden gelassen hatte. Endlich erwachte Daniel aus seiner Starre und hob die Arme, um sie auf Ali zu richten. Der Orkan wirbelte direkt auf mich zu und als er schwächer wurde, nahm ich Ali in die Arme.     

Auch ich sackte jetzt in mich zusammen und schluchzte bittere Tränen über ihren Körper, während ich verzweifelt nach einem Herzschlag suchte. »Nein, Ali. Du musst bei mir bleiben. Meine Erinnerungen an unsere Freundschaft sind zwar nicht sonderlich umfangreich, aber die kurze Zeit die ich mit dir verbracht habe… Ich bin mir vollkommen sicher, dass sie echt war. Wenn du jetzt stirbst, könnte ich mir das nie verzeihen… weil das alles meine Schuld ist. Ich setzte dich solcher Gefahr aus, obwohl ich diese Reise eigentlich alleine antreten sollte.«        Ich war mir sicher, dass sie mich nicht nur nicht hören konnte, weil sie bewusstlos war, sondern auch weil ich so schluchzte. Was in der Zwischenzeit um mich herum passierte, konnte ich nicht sagen. Ich nahm nur irgendwelche Geräusche wahr, die ich aber auch nicht einordnen konnte.     

Natürlich hätte ich einfach hochschauen können, doch ich wollte einfach nicht. Aus Angst, dass noch weitere Vampire wegen mir Schaden davon trugen. Erst als sich Max zu mir runterbeugte und »Alles okay?« murmelte, riskierte ich einen Blick, woraufhin es mir die Sprache verschlug. Dieser ganze naheliegende Bereich war bis auf den letzten Grashalm vollkommen abgebrannt. Herish lag total verkohlt auf den Rücken – es war fast nur noch Asche übrig. Mit einem Blick auf Max sah ich, dass auch er leichte Brandspuren auf der Haut hatte, doch Jayden und er konnten glücklicherweise noch rechtzeitig fliehen.     

»Ich bekomm’s nicht hin, Max. Ich spüre keinen Herzschlag. Entweder ich war schon immer schlecht in erster Hilfe oder…« Ich brach ab, da mir der Rest einfach nicht über meine Lippen kommen wollte. Es war zu grausam, um es laut auszusprechen – selbst es auch nur zu denken. »Unsinn, Alea. Ali ist nicht tot. Du stehst nur unter Schock.«       

Jetzt legte sich auch Max über Ali, indem er mich vorsichtig zur Seite schob, um nach ihrem Herzschlag zu hören. Er verharrte eine gefühlte Ewigkeit in dieser Position. Bis er schließlich anfing gegen ihre Brust zu pumpen. Wiederbelebung… das hieß es doch oder? Bedeutete das etwa, dass ihr Herz zu diesem Zeitpunkt nicht mehr schlug?     

Ich konnte es nicht verhindern: Im nächsten Augenblick fing ich lauthals an zu schluchzen, wie ein kleines Kind. Doch in diesem Moment war es mir kein Stück peinlich. Ich spürte einfach nur diesen Kloß im Hals, der mir das Gefühl gab nie wieder glücklich zu werden.     

Plötzlich spürte ich Jaydens festen Griff um meine Schultern. Seine Wärme gab mir etwas Trost, aber nicht genug. Er konnte auch nichts an den Tatsachen ändern. Ich vergrub mein Gesicht in sein T-Shirt und heulte es nass. Während er mir wieder und wieder über meinen Oberarm streichelte, bekam ich plötzlich das Gefühl als hätte ich ein Déjà-vu. Als hätte mich Jayden mich schon mal getröstet… doch das hatte er nicht. Nicht nach meinen falschen Erinnerungen jedenfalls. Kamen etwa langsam Erinnerungen hoch?

Tag 5 | Wird sie wieder?

 

Max hatte inzwischen die Wiederbelebung aufgegeben und hatte sich zu mir gesetzt. »Komm, wir sollten wieder zurück ins Zelt. Die Sonne wird immer greller.« Doch ich wollte nicht auf ihn hören und richtete meine tränenüberlaufenden Augen nach oben. Ich versuchte jetzt die Trauer in mir zu verdrängen und sie durch Wut zu ersetzen. Schnellen Schrittes stürmte ich auf Daniel los und fauchte: »Das ist deine schuld! Als ich von dir verlangt habe Ali zu retten, hättest du auf mich hören sollen!«     

Bevor ich wirklich auf ihn losgehen konnte, zog mich Max zurück in seine Arme. »Komm, du kommst jetzt mit mir ins Zelt.« Schluchzend ließ ich mich mitnehmen, aber Max musste mich quasi ins Zelt tragen.     

Drinnen musste mich Max wie ein Kleinkind in den Schlafsack stecken. Ich konnte nicht, mein ganzer Körper zitterte, aber nicht vor Kälte. Ich brauchte eine ganze Weile, bis ich mich einiger Maßen beruhigt hatte. Erst dann bemerkte ich, dass auch Max geweint haben musste, da seine Augen gerötet waren.     

»Du hast Ali auch ziemlich gut gekannt, habe ich Recht?«, fragte ich schließlich. Er nickte schwach. »Manchmal hatte ich das Gefühl, dass ich zu viel Zeit mit euch verbrachte, aber deine kleine Mission hat uns vier irgendwie zusammengeschweißt.« Ich hatte keinen blassen Schimmer warum ich das jetzt sagte. Bis vor kurzen hätte ich es nicht mal als wahr empfunden, aber inzwischen war ich vom Gegenteil überzeugt: »Ich kann keine würdige Vampirprinzessin sein, Max. Nicht mit meinen falschen Erinnerungen.« »Was redest du denn da? Du setzt dich doch weiterhin für diese Mission ein. Ich meine, wir sind doch mitten drin. Und Fähigkeiten machen nicht alleine eine würdige Prinzessin aus.«     

Ich schüttelte den Kopf. »Ich habe auch nicht von den Fähigkeiten gesprochen. Es sind diese doofen falschen Erinnerungen. Jared hat die echt gekonnt manipuliert. Ich meine klar, mein Kopf sagt mir: Die Casses müssen vernichtet werden. Nicht nur, weil ihr mir das gesagt habt, sondern auch weil die Casses und ihr Brechen der Regeln schuld daran sind, dass ich meine Erinnerungen nicht mehr habe. Aber mein Gefühl findet das alles total falsch.«     

Max schaute mich verwirrt an. »Wenn du weißt was sie sind, wie kann es sich dann falsch an fühlen?« »Wie gesagt… wegen meinen falschen Erinnerungen. Ich habe dir ja bereits gesagt, dass ich mich daran erinnere ein Mensch zu sein. Und bei den Menschen auf der Erde gibt es ein Gleichgewicht, das es hier in Vellance nicht gibt. Bei den Menschen ist es kein Weltuntergang ab und an Mal gegen die Regeln zu verstoßen, solange unsere Handlung ethisch ist.«     

»Naja, aber das Handeln von den Casses ist nicht ethisch.« »Aber auf der Erde gibt es nicht die eine Hälfte und die andere. Da urteilen wir über jemanden anhand seines Charakters.« Max schien mir nicht ganz folgen zu können. Also erklärte ich: »Auch wenn ich Daniel da draußen gerade so angeschrien habe… wären wir Menschen hätte er einen ganz netten Charakter. Ich meine, immerhin hilft er uns meine Erinnerungen wieder zubekommen. Als Mensch würde ich nur das Handeln seines Vaters in Frage stellen und nicht seins – nur weil er zu den Casses gehört.«     

»Natürlich hat jeder einen anderen Charakter … das ist mir klar. Aber Alea, weil die Casses und deren Magie existiert ist Ali jetzt tot.« Als er diese Worte aussprach kamen mir erneut die Tränen. Nicht, dass ich es nicht geahnt hätte, nur wollte ich es nicht wirklich wahr haben. Tief in mir hatte ich immer noch Hoffnungen gehabt.      »Ja, das weiß ich doch. Mein Verstand weiß es, aber meine Gefühle sagen mir etwas anderes. Deshalb weiß ich nicht, ob ich meine Aufgabe bewältigen kann, wenn ich noch nicht meine Erinnerungen zurück habe.« Max legte mir beruhigend eine Hand auf mein Bein. »Wenn wir diesen Stein finden und ihn verstören bekommst du doch deine Erinnerungen zurück.«     

»Wenn Ali mit ihrer Magie den Stein zerstört, der nur Casses Magie zerstören kann … die jetzt tot ist.« »Dann wird Daniel das übernehmen.« »Aber… das ist doch total krank, Max. Das kann ich mit meinem Gewissen nicht vereinbaren. Wenn wir diesen Stein zerstören, wird das auch die Casses vernichten. Er kann doch nicht sich und all seine Freunde töten! Außerdem war das Mal eine Aufgabe, die für mich bestimmt war.«     

Max wusste natürlich, dass ich Recht hatte. »Dann solltest du daran arbeiten deine Magie zurück erlangen. Die Leute, die dir am nahesten stehen, sind doch zum Teil alle bei dieser Mission dabei. Und ich denke, wenn du erstmal deine Feences Magie wieder vollständig zurück hast, kommt die andere von ganz allein. Immerhin hast du die Casses bereits besucht.«     

Ich hoffte, dass Max Recht hatte, doch ich war eher pessimistisch gestimmt… aufgrund der Umstände. Vielleicht sollte ich einfach mehr Zeit mit Max verbringen. Immerhin war er mein Bruder… er kannte mich schon, seitdem ich ein kleines Baby war. Wenn mir jemand etwas über meine Vergangenheit erzählen könnte, dann wohl er.     

Schließlich hörte ich, wie jemand am Reisverschluss des Zeltes zog. Jayden vermutlich. Ich wunderte mich, warum er nicht schon früher zu uns gekommen war. Was machte er denn die ganze Zeit da draußen mit Daniel? Immerhin wollte er sich auch kein Zelt mit ihm teilen.     

Doch als sich der Eingang zum Zelt öffnete, standen sowohl Jayden als auch Daniel davor. »Ali… sie atmet noch… ziemlich schwach, aber sie tut’s«, berichtete Daniel stockend. Plötzlich löste sich meine Starre wie von selbst und ich war schneller aus dem Schlafsack als möglich gewesen wäre. »Dann sollten wir schnell umdrehen und sie in ein Krankenhaus bringen.«     

Aber ich erntete nur fragende Blicke von allen dreien. »Krankenhaus? Ich weiß ja nicht wie es bei den Menschen ist, aber bei den Vampiren brauchen wir da nicht hin. Atmung… und sei sie noch so schwach, bedeutet immer Genesung für Vampire, wenn sie nicht erneuten Gefahren ausgesetzt werden bis sie wieder gesund sind.« Eilig stürmte ich nach draußen, um Ali in Sicherheit zu bringen, doch dort war sie nicht mehr.      »Daniel und ich haben sie bereits in euer Zelt gebracht. Hoffen wir einfach, dass uns bis morgen Nacht keine weiteren Überraschungen wiederfahren und Ali genesen kann.«

Tag 6 | Fehler?

 

Zu Beginn meines Traums konnte ich erst noch nicht sagen, ob es ein normaler Traum oder eine Erinnerung an meine Vergangenheit war. Er startete von der Flugperspektive als Fledermaus. Schließlich landete ich auf einen Fels, der sich in der Nähe von einem Gewässer befand. Kaum hatte ich mich wieder zum Vampir gewandelt, spürte ich, wie mich jemand von hinten umarmte.     

Als ich mich umdrehte, blickte ich in Jaydens grünbraune Augen. »Ich habe dich vermisst«, flüsterte er in mein Ohr und küsste mich anschließend. »Ich dich auch«, sagte ich mit einem Blick nach unten gerichtet. »Du solltest dir mehr Zeit für mich nehmen.« Ich atmete langsam aus. »Ja, genau deshalb bin ich hier, Jayden. Ich kann das nicht mehr. Ich kann mir nicht mehr ständig Zeit für uns nehmen. Ich habe da die Mission… die schwieriger und aufwendiger wird als erwartet.«     

»Worauf willst du hinaus?«, fragte er mich. »Du weißt, dass ich dich liebe, aber ich denke wir sollten getrennte Wege gehen. Sonst wäre es dir gegenüber nicht fair.« »Aber Alea! Besser ich sehe dich selten als wenn ich dich gar nicht mehr sehe.« »Aber so machst du dir Hoffnungen und wartest auf meine Rückkehr. Es ist einfacher, wenn du nicht mehr darüber nachdenkst.« Als sowohl mir als auch Jayden Tränen über die Wangen liefen, wurde mir langsam klar, dass ich die Szene einst wirklich erlebt hatte.

Es war noch früher Abend, als ich die Augen wieder aufschlug und im Zelt neben Daniel und der immer noch reglosen Ali erwachte.     

Leise schlich ich mich aus dem Zelt ohne jemanden wach zu machen. Draußen erblickte ich schon einen großen Haufen Feuerholz, den Jayden und Max bereits gesucht hatten. Sie waren bereits wach und hockten nun beide vor ihrem Zelt.     

Ich räusperte mich einmal, bevor ich fragte: »Jayden? Kann ich dich bitte mal unter vier Augen sprechen?« Zunächst wirkte er irritiert, doch dann nickte er zustimmend und folgte mir. »Was gibt’s denn?«, wollte er wissen. »Naja, wenn ich träume kommen bei mir manchmal Erinnerungen hoch.«     

»Echt? Das ist ja fantastisch!«, rief er begeistert. »Nur so kleine Bruchstücke… nichts Weltbewegendes. Verständlich, immerhin stelle ich es mir schwierig vor eine ganze Vergangenheit vollkommen auszulöschen. Ein paar Erinnerungsfetzen sind wohl die Risiken. Jedenfalls… hatte ich heute eine Erinnerung von uns beiden. Allerdings wie ich mit dir Schluss gemacht habe.«     

»Na toll. Von allen wunderbaren Erinnerungen, die es zwischen uns gibt, erinnerst du dich ausgerechnet an die schlechteste?« »Aber dann ist es wahr? Ich habe mit dir Schluss gemacht?« »Ja, hast du«, antwortete er bedrückt. »Aber warum hast du mir das verschwiegen? Und warum wissen die anderen nichts davon?« »Naja, weil es erst kurz vorher passiert ist, bevor du deine Erinnerungen verloren hattest. Ich hatte noch keine Gelegenheit dazu es jemanden zu erzählen. Eigentlich wollte ich es selber ja irgendwie noch nicht wahr haben.«     

»Aber das kannst du mir doch nicht einfach so verschweigen!«, meinte ich aufgebracht. »Ich habe es als Zeichen gesehen. Als plötzlich deine Erinnerungen weg waren, dachte ich, das Schicksaal wollte es, dass wir es noch einmal miteinander versuchen.« »Trotzdem hättest du ehrlich sein müssen.«     

Er seufzte. »Ich weiß…. Nur haben wir wegen dieser Mission miteinander Schluss gemacht. Da deine Erinnerungen weg sind, spielt dieser Punkt in unserer Beziehung keine Rolle mehr. Wir sehen uns inzwischen oft genug.« »Ja, nur beginne ich zu glauben, dass das mein Fehler war. Ich hätte es wie mein früheres Ich machen sollen. Alleine und ohne euch. Es ist immerhin meine Aufgabe und so bringe ich zu viele Leute unnötig in Gefahr.«     

»Aber es ist eben nicht nur deine Aufgabe, Alea… auch wenn du die Vampirprinzessin bist. Unterstützung ist im Leben das A und O.« Ich ging nicht weiter auf seine Aussage ein, da ich immer noch der Meinung war, ich hatte einen Fehler begangen. Jayden hob mein Kinn vorsichtig an, da ich den Kopf gesenkt hatte. »Verzeihst du mir?«     

Komischer Weise musste ich über die Antwort überhaupt nicht lange nachdenken. »Natürlich tue ich das. Jeder macht Mal Fehler.« So wie ich einen Fehler gemacht hatte, als ich all diese unbeteiligten Vampire auf meiner Mission mitgenommen hatte. Aber das sagte ich natürlich nicht laut, da ich überhaupt keine Lust hatte, nochmal darüber mit Jayden zu diskutieren.     

»Aus diesem Grund habe ich gemischte Gefühle, was den Verlust deiner Erinnerungen angeht. Klar, ich möchte mehr als alles andere, dass wir endlich diesen Stein finden und du dich wieder erinnerst. Andererseits war es eine zweite Chance für uns. Und diese Chance haben wir zwei echt verdient, weil wir uns wirklich lieben, was du wissen wirst, wenn wir endlich diesen verdammten Stein gefunden haben.«       

»Dazu brauchen wir den Stein nicht finden. Dass ich dich liebe, weiß ich auch so schon.« Lächelnd stellte ich mich auf Zehenspitzen und drückte ihm einen Kuss auf den Mund. Er erwiderte den Kuss, indem er mich an sich zog und seine Arme um meine Hüften schlang.     

Als Daniels Stimme uns von irgendwoher wieder zurück in die Realität beförderte, stöhnte ich genervt auf. Nur wiederwillig lösten wir uns voneinander. »Was?!«, stieß Jayden gereizt hervor. »Ich schwöre dir, wenn nicht einer von den Toten aufgewacht ist, drehe ich dir den Hals um.«     

»Also… indirekt war sie zwar nie tot, aber doch fast. Deswegen wäre ich dir dankbar, wenn es nur mein kleiner Finger trifft. Jedenfalls… was ich sagen wollte: Ali ist wieder aufgewacht.« Na endlich! Wurde ja auch mal Zeit! Halsüberkopf stürmte ich zurück in unser Zelt, wo Ali noch leichenblass in ihren Schlafsack gekuschelt war. Sie sah echt nicht gut aus… überall diese Schrammen und blauen Flecke. Aber immerhin hatte sie ihre Augen geöffnet und atmete wieder normal. Stürmisch setzte ich mich zu ihr drückte sie ganz fest an mich. »Wehe du jagst mir nochmal so einen Schrecken ein.« Erleichtert stellte ich fest, dass Ali anfing zu lachen – ein gutes Zeichen, ein Zeichen für Besserung.     

Jetzt öffnete auch Max den Zelteingang und sagte: »Den heutigen Tag bleiben wir erstmal wo wir sind, bis du dich wieder erholt hast, Ali. Alea? Ich könnte deine Hilfe mit dem Essen gebrauchen. Es wird Zeit, dass wir endlich mal wieder was in unseren Magen bekommen.«  

Nacht 6 | Magie hat Schuld?

 

[erzählt von Alissa Lester]

 

Noch einmal, los Ali! Verdammt… wieder nicht. So ging das jetzt schon eine ganze Weile lang. Ich wollte unbedingt aus diesem Zelt raus und aufstehen, doch es wollte mir einfach nicht gelingen. Irgendwann gelang es mir zumindest mich hinzusetzten, aber Aufstehen… keine Chance.     

Ich dachte schon, ich müsste vor Langeweile sterben, bis schließlich Daniel ins Zelt schlüpfte. »Warum bist du nicht draußen beim Essen zubereiten?« Er zuckte mit den Schultern. »Naja, außer beim Feuerholz suchen bin ich da echt nicht zu gebrauchen. Das ist inzwischen aber bereits erledigt.«     

»Gut. Ich gehe hier drinnen nämlich ein. Ich brauche Gesellschaft.« »Tja, dann sind meine miserablen Kochkünste doch noch für was gut.« »Es scheint so.«     

Seine dunklen Augen suchten den Boden. »Ich denke, ich sollte mich bei dir entschuldigen. Deinen kritischen Zustand hast du mir zu verdanken. Ich hätte den Orkan früher zu dir lenken sollen.« »Ach Quatsch. Wenn hier jemand Schuld hat, dann sind es diese langen Pflanzen, die voll auf mich eingeschlagen haben.« »Trotzdem fühle ich mich schuldig. Und du kannst dir nicht vorstellen wie ich mich gefühlt habe, als ich dachte du seiest tot.«     

Bei diesen Worten wurde mir plötzlich ganz warm. »Warum bist du so, obwohl du zu den Casses gehörst?« Er musste lachen. »So? Denkst du, nur weil wir Casses uns nicht an Regeln halten haben wir kein Herz? Außer meinem Dad hast du wohl noch nicht viele Casses kennengelernt. Jeder von uns hat natürlich, wie auch bei den Feences einen unterschiedlichen Charakter.«     

»Aha. Dein Charakter gefällt mir jedenfalls.« Danach passierte alles so plötzlich, dass ich es gar nicht richtig realisieren konnte. Daniel hatte sich zu mir rüber gebeugt und mir einen Kuss auf den Mund gedrückt. »Was zur Hölle…«, murmelte ich und drückte ihn sachte von mir weg.     

»Siehst du. Das kam jetzt, weil ich zu den Casses gehöre. Ich hätte es nicht tun sollen, habe es aber trotzdem.« »Und warum bitte? Warum, nachdem ich dir im betrunkenen Zustand über meine Probleme in Sachen Liebe erzählt habe?« »Vielleicht weil’s mir genauso geht. Ich gehörte immer zu der Sorte, die hoffnungsvoll auf die Eine warten wollten, wo man beim ersten Anblick weiß, dass man sein Leben mit ihr verbringen will.«     

»Komm endlich zum Punkt.« »Möglicherweise kommt dieses Gefühl aber erst dann, wenn man jemanden länger kennt.« »Und warum dann gerade ich, wo ich dir doch von meinen idiotischen Gefühlen für deinen Vater erzählt habe?« »Weil ich es satt habe ein hoffnungsloser Fall zu sein. Außerdem wäre ich sicherlich eine bessere Wahl als mein Vater, der nie länger als eine Nacht bei einer Frau bleibt. Was ich sagen will… vielleicht sollten wir anfangen zusammen statt allein ein hoffnungsloser Fall zu sein.«     

Ich wusste es auch nicht… irgendwie waren seine Worte total gut gewählt und irgendwie auch süß. Allerdings… auch wenn er vom Charakter her besser als Jared war, ist er immer noch ein Casses, die wir vernichten wollten. Aber… was soll’s? Es musste ja nichts ernstes sein. Ich meine, ich war jung. Ein bisschen Vergnügung stand mir doch auch zu, oder?     

Während ich Daniels Kuss nun auch erwiderte, wurde ich den Gedanken nicht los, dass ich vielleicht wegen der Casses Magie in mir, so dachte. Jemanden so auszunutzen und anschließend seine komplette Rasse aussterben zu lassen, war bestimmt gegen die Regeln. Egal, aber das Wichtigste würde ich nicht aus den Augen verlieren: Ich würde diese Mission durchziehen – für Alea. Das hatte ich mir Versprochen. Egal was das hier jetzt mit Daniel wurde.     

»Wir können Essen-« Als ich Aleas Stimme hörte, stieß ich Daniel so schnell wie möglich von mir weg. Doch natürlich hatte sie den Eingang des Zeltes bereits betreten gehabt. Sie schaute uns an, als hätte sie Außerirdische gesehen. Ihre nächsten Worte brachte sie nur in Bruchstücke hervor: »Sorry… ich… wollte nicht… ich gehe dann mal wieder.« Panisch rief ich: »Nein, warte! Ich muss mit dir reden, Alea.« Dabei bedachte ich Daniel mit einem Blick, der sagen sollte: Geh bitte jetzt. Glücklicherweise hatte er meinen Blick gedeutet und fügte hinzu: »Ich wollte sowieso gerade gehen.«     

Ich wurde das Gefühl nicht los, dass Alea nur wegen meiner misslichen Lage blieb. Aber auch das war egal. Hauptsache sie blieb. Kaum war Daniel außer Hörweite, pustete sie auch schon los: »Ich habe mich in dir wohl doch geirrt. Du kannst doch nicht einfach jemanden küssen, den wir planen in Kürze auszulöschen.« Auszulöschen – ja, das hörte sich schöner an und passte eher zu den Feences. Töten war ein Wort für die Casses.     

»Ich weiß und ich werde deshalb auch nicht irgendwie plötzlich nicht mehr mitmachen. Es ist nur so zum Spaß. Es ist nicht so, dass er mir viel bedeutet. Klar, er ist ganz nett. Mehr aber nicht.« »Hörst du dich eigentlich selber sprechen? Du willst ihn ausnutzen? Ist das nicht eher Casses-like?«     

Ich seufzte. »Ich weiß. Es liegt bestimmt an meiner Casses Magie. Sie macht mich zwar stärker, aber auch gefährlicher. Ich bin nicht so stark wie du, Alea – keine Vampirprinzessin. Ich kann diese Magie nicht kontrollieren. Aber wenn wir diesen Stein vernichtet haben, dann wird dieser Teil meiner Magie ja auch verschwunden sein. Das wird schon wieder.«     

Sie wusste eindeutig immer noch nicht, was sie von der ganzen Sache halten sollte. Trotzdem sagte sie schließlich: »Ali, du bist meine beste Freundin und ich vertraue dir. Aber trotzdem … Auch wenn es dir mit Daniel nicht ernst ist, zeig es ihm bitte nicht und behandle ihn gut. Denn obwohl er gefährlich ist, hat er einen netten Charakter, der mir das Leben gerettet hat.« »Verrate es bitte nicht den anderen beiden«, fiel mir plötzlich ein. »Werde ich nicht.«     

Mit den Worten »Ich bringe dir gleich dein Essen ins Zelt« ging sie wieder zu den anderen.

Tag 6 | Vertrauen?

 

Während Ali die mühsam ergatterten Eier in unserem Zelt verspeiste, befand sich der Rest von uns draußen vor dem Feuer. Ich konnte einfach nicht aufhören Daniel anzustarren auf Grund der kürzesten Ereignisse. Mensch, war ich schlecht im Bewahren von Geheimnissen. Mich wunderte es schon, dass Max und Jayden gar nicht nachfragten, was denn los war. Oder… vielleicht war ich doch besser im Verschweigen als ich dachte, keine Ahnung.     

Gedankenverloren biss ich in das noch halb flüssige Eigelb. Als ich dieses Zelt betreten hatte, wurde ich von zweierlei Empfindungen heimgesucht. Erstmal natürlich das offensichtliche: Es war total falsch und Alis Absichten waren total unmoralisch. Aber tief in mir war da auch dieses Gefühl der Warnung. Klar, ich hatte persönlich behauptet, dass Daniels Charakter vollkommen okay sei. Aber diese Warnung bezüglich Daniel, konnte ich einfach nicht ignorieren.     

Sie verriet mir, dass Ali aufpassen sollte, mit wem sie sich einließ. Und es war nicht nur diese ausstrahlende Gefahr, weil er zu den Casses gehörte. Hm, aber Alea! Deine Angst ist doch total unbegründet! Es kann keine unterbewusste Warnung deines vergangenen Ichs sein, die du ja inzwischen öfter mal hast. Ihr habt euch doch erst vor kurzem kennengelernt.     

Ja, ich weiß – diese Gedanken… sie plagten mich nun die ganze Zeit während ich Daniel mit Blicken durchbohrte. Max weckte mich dann schließlich irgendwann aus meinem Gedankenwirrwarr. »Das Feuer geht langsam aus. Wir brauchen neues Holz.«     

»Ich suche neues«, meldete sich Daniel freiwillig. »Hilfst du mir, Alea?« Ich war nicht die einzige, die ihn daraufhin verwirrt anschaute. Kann er denn nicht selber Holz sammeln? Doch dann wurde mir klar, dass er mit mir unter vier Augen sprechen wollte bezüglich… naja, dem Gedankenwirrwarr. Also willigte ich einfach ein.      Tatsächlich hatte ich Recht behalten. Als wir außer Hörweite waren, sprach er sofort das besagte Thema an. »Okay, ich weiß was du von mir denkst. Ich gehöre zu den Casses und die fangen gerne mal was mit einer von den Feences an, weil das ja total gegen die Regeln ist… so wie wir nun mal sind.« Seine Worte trafen es so ziemlich auf den Punkt.       

»Aber du irrst dich. Ich hab das jetzt nicht irgendwie geplant oder so. Vielleicht ist das zwischen uns nicht so, wie es immer in Büchern beschrieben wird. Doch ich schwöre, ich sage die Wahrheit, als Ali im Sterben lag, habe ich mir wirklich Sorgen um sie gemacht. Klar, kommen jetzt Fragen auf wie: Aber Sorgen kann man sich auch über einen guten Freund machen. Warum ist sie nicht nur ein Freund für dich? Diese Fragen habe ich mir mein ganzes Leben gestellt, weshalb ich nie eine vernünftige Beziehung führen konnte. Deshalb dachte ich mir halt, ich lass die Fragen einfach weg.«     

Eine lange Pause entstand. Da ich nicht reagierte sagte Daniel schließlich: »Aber du kannst das sicherlich nicht nachvollziehen.« »Wegen meiner Beziehung zu Jayden? So ein Quatsch. Ich kann das sehr gut verstehen, da ich laut meiner manipulierten Erinnerungen eigentlich zu keiner vernünftigen Beziehung, die länger als ein Monat dauerte, fähig war. Ich weiß echt nicht, wie die frühere Alea das hinbekommen hat, aber inzwischen weiß ich, dass ich Jayden wirklich geliebt habe… ich korrigiere liebe.«     

»Aber wie fühlst du das?«, fragte er mich. »Keine Ahnung… durch Glückshormone?«, fragte ich. »Naja, also wenn ich bei Ali bin, bin ich nicht unglücklich. Vielleicht habe ich die Glückshormone ja, kann sie nur nicht deuten. Okay… ich glaube wir schweifen vom eigentlichen Gesprächsthema ab.«     

»Ich weiß nicht was du willst, Daniel. Ist doch egal was ich davon halte. Es ist wichtig, was ihr beide fühlt.« »Ich weiß, dass es egal ist. Ich möchte trotzdem wissen, wie du darüber denkst. Nichts weiter. Es wird nichts an irgendwelchen Tatsachen ändern.« »Mein Kopf sagt mir, dass ihr beide nette Menschen seid, die einander verdienen würden, damit sie endlich auch mal Glück in Sachen Liebe haben.« Dass mein Gefühl aber noch etwas anderes sagte, verschwieg ich einfach.     

»Du bist Ali eine gute Freundin, Alea«, sagte er plötzlich. Hä? »Weil ich ihren Freund akzeptiere?«, fragte ich verdutzt. »Nein, weil du immer an sie gedacht hast, als sie von dieser Liane getroffen wurde. Du wolltest sie sofort retten. Eigentlich sollte man so handeln bei der Person, die man liebt.« »Ja, aber wenn du das nicht getan hast, weißt du dann nicht, dass du Ali nicht wirklich liebst?« Okay, bei diesem Satz hatte mein Kopf abgeschaltet und mein Gefühl gebrochen: Daniel ist kein Schwiegersohn-Material. Aber… eigentlich kam er doch so rüber. Ach, verdammt – Stopp!     

»Wegen dem Gefühl, das ich im Nachhinein hatte. Ich hätte es tun müssen. Das weiß ich jetzt so sehr wie nie zuvor.« Als wir mit dem Feuerholz zurück zu Max und Jayden kehrten, trat wieder das Schweigen ein. »Das sollte bis morgen Abend reichen«, meinte Max. »Und dann geht der Kreis der Elemente weiter?«, fragte Jayden.     

»Aber was ist mit Ali? Die ist doch nie im Leben schon morgen wieder bereit für lange Spaziergänge«, warf ich ein. »Vampire heilen ziemlich schnell, Alea. Oh Himmel, was haben die nur mit deinem hübschen Gehirn angestellt?«, fragte Jayden sich.     

»Also nein. Dass Vampire schnell heilen, weiß ich. Habe es nur wieder vergessen… immer noch ziemlich ungewohnt das alles.« Jayden legte mir seine Hand um die Taille. »Ach, das wird schon wieder… der Stein kann nicht mehr weit sein.« »Klar, fehlt ja nur noch Wasser, Luft und Feuer. Und Erde war ja auch nicht gerade ein Zuckerschlecken.«     

Man, war ich fies. Er wollte mich doch nur aufheitern und optimistisch sein. Doch zum Glück hatte Jayden es nicht in den falschen Hals gekriegt. Er nahm lediglich meinen Kopf in die Hände und drehte ihn vorsichtig, so dass ich einen guten Blick auf unser Zelt hatte. Das Zelt, aus dem Ali jetzt herausgehumpelt kam. Wahnsinn! Vampire heilen echt total schnell!

Tag 7 | Hinterhalt?

 In dieser Nacht… okay eigentlich war es ja Tag… hatte ich wieder einen meiner besagten Träume. Würde das jetzt jeden Tag passieren? Eigentlich ja etwas Gutes, wenn ich Einblicke aus meiner Vergangenheit bekam. Allerdings waren es nicht wirklich Erinnerungen… weil ich mich schlicht und einfach nicht erinnerte. Es fühlte sich eher wie der Traum von jemand anderen an.     

Anders als der letzte war dieser eindeutig heiterer und wirkte nicht so düster. Allerdings täuschte der erste Eindruck ja oftmals. Ich befand mich auf irgendeiner Feier, wie es den Anschein hatte. Ich wirkte eindeutig jünger und konnte noch nicht ausgewachsen sein. Allerdings auch nicht so jung wie meine kleine Schwester Dana. Möglicherweise fünfzehn oder sechszehn Jahre alt. Natürlich trug ich ein Kleid, was ich ja selbst tragen würde, wenn keine Feier anstand. Aber dieses Kleid… es war einfach atemberaubend.     

Es ging bis zum Boden und ab der Taille, mit einem rosafarbenen Band abgetrennt, fing es unglaublich schön zu glitzern an. Wenn man meine Frisur mal ganz außer Acht lässt, denn die müsste dem Frisör sicher den halben Tag gekostet haben.     

»Und? Wie gefällt dir das Königreich?«, fragte mich jemand, den ich erkannte. Es war König Lian McGowan! »König Lian!«, ich verbeugte mich tief vor ihm. »Es ist atemberaubend.« Er grinste mich an. »Das freut mich. Wie ist denn dein Name?« »Alea Reeves. Ich wohne zusammen mit meiner Familie südlich dieses Schlosses. Ich dachte schon immer, dass wir ein großes Schloss haben, aber gegen dieses ist das echt nichts. Okay, wahrscheinlich verständlich. Immerhin leben hier der König und die Königin.« Ich verbeugte mich noch einmal. »Wie gesagt… es ist mir eine unglaublich große Ehre, dass sie mich ansprechen.«     

Er winkte ab. »Ach, ich bin gar nicht so wie du mich gerade darstellst. Du weißt ja sicher, dass ich nur wegen Lorena König geworden bin. Sie ist diejenige mit den atemberaubenden Fähigkeiten. Nur unsere Ehe machte mich zum König.« »Ich habe aber trotzdem schon extrem coole Geschichten über Sie gehört.«     

Eine kleine Pause entstand, in der er an seinem Getränk nippte. »Alea Reeves… woher kenne ich diesen Namen nur? Aber natürlich! Ist dein Vater vielleicht Jasper Reeves? Ich kenne ihn aus Kindheitstagen. Zusammen mit Taylor haben wir damals schon im Sandkasten gespielt. Bis zu meinem achten Lebensjahr waren die beiden echt meine besten Freunde. Schade, dass wir irgendwie den Kontakt verloren haben. Aber grüß ihn bitte von mir.«       

»Warte… Taylor, so wie meine Mutter Taylor?«, fragte ich, was ich mir übrigens auch gerade gefragt habe. »Oh, das kann ich nicht sagen. Früher waren die beiden ja noch Kinder… allerdings hatte Jasper glaube ich schon immer etwas für Taylor übrig gehabt. Um deine Frage zu beantworten… wahrscheinlich schon.« »Hm… okay. Irgendwie gruselig wie wenig meine Eltern mir über ihre Vergangenheit erzählen. Aber… warum habt ihr den Kontakt abgebrochen? Warum hat er mir nie etwas darüber erzählt, dass er mit dem König befreundet gewesen ist – oder meine Mama?«     

Sein Blick war gesenkt. »Genau kann ich dir das leider nicht sagen. Ich weiß nur, warum der Kontakt abbrach. Ich musste wegziehen. Als ich als König dann wieder zurückkehrte war mein Leben leider ziemlich stressig, weshalb ich keine Zeit hatte, nach Jasper oder auch Taylor zu suchen.«     

»Naja, ich werde ihn Zuhause einfach selber fragen.« Verdammt! Bitte lass diesen Traum weiter gehen und mir die Unterhaltung Zuhause mit meinen Eltern zeigen. Ich wollte unbedingt wissen, was es mit den dreien auf sich hatte. Doch zu meinem Pech spielte der Traum weiterhin in diesem Saal ab. Auch wenn sich König Lian nun wieder von mir entfernte.     

Die junge Alea setzte sich nun auf irgendeine Sitzgelegenheit im Schloss, die ziemlich prachtvoll wirkte. Gedankenverloren betrachtete ich den Saal und die tanzenden Vampire. Das ertönende Lied kannte ich leider nicht, auch wenn ich es mochte. Es war nicht zu langsam, aber auch nicht zu schnell.       

Als die Zeilen »I’m thinking out loud, maybe we found love right where we are« kam ein Vampir auf mich zu, der mich zum Tanzen aufforderte. Endlich, denn ich konnte förmlich spüren, wie sich meine Füße zu der Musik bewegen wollten. Ich ergriff dankbar seine Hand und legte meine andere auf seine Schulter.     

»Ich heiße Alea Reeves und du?«, fragte ich und schaute dem Vampir mir gegenüber das erste Mal an. Das Gesicht der jungen Alea blieb bei seinem Anblick zwar unverändert, doch in mir schrie alles. Vor mir stand kein anderer als Daniel Wyler, der Daniel Wyler, den ich angeblich noch nie zuvor in meiner Vergangenheit begegnet bin.     

»Ich bin Daniel Wyler. Ziemlich beeindruckendes Schloss, findest du nicht?« Ich nickte. »Besuchst du oft solche Veranstaltungen?« »Ne, das ist meine erste. Wäre mir auch gar nicht möglich. Was glaubst du, wie schwierig es war in diese hier herein zu kommen?« »Wieso schwierig? Jeder kann kommen, wenn er möchte.« »Nein, nicht jeder. Jeder von den Feences kann kommen, aber wenn du zu den Casses gehörst sieht das anders aus.«     

Abrupt löste ich mich von ihm und hörte auf zu tanzen. »Du gehörst du den Casses?« »Ja, und wenn du möchtest, dass das hier für dich gut ausgeht, dass deinen Freunden und deiner Familie nichts passiert, tanzt du weiter mit mir.« Seine Worte trafen mich auf einen Schlag. Der Daniel Wyler, wie ich ihn kannte, existierte zu diesem Zeitpunkt nicht mehr. Wenn er denn je existiert hatte. Ich hatte ja bereits dieses komische Gefühl wegen ihm und Ali gehabt. Vielleicht war er einfach ein unglaublich guter Schauspieler.     

Ungewollt fing ich wieder mit unserem Tanz an bei »Maybe just the touch of a hand« - welche Ironie. »Was willst du von mir?«, fragte ich nun sichtlich nervös. »Mein Vater hat kürzlich einen Zauber gelegt, der ihm die Zukunft zeigt.« »Ich muss mich wohl verhört haben. Ein Zauber, der die Zukunft zeigt? Das geht nicht. Solche starke Zauber kann niemand wirken – egal wer dein Vater ist.«     

»Naja, nicht ohne Unterstützung. Es gibt mächtige Gegenstände, die euch bürgerlichen Feences wahrscheinlich nicht bekannt sind, weil eure Regierung es für sicherer hält euch im Dunkeln zu lassen. Aber bei den Casses ist das anders, wir können sie ohne Probleme benutzen.« »Ja, weil ihr Sachen gegen die Regeln macht. Regeln sind immer besser… seine Zukunft zu kennen kann nie gut sein.«     

»Wie auch immer. Jedenfalls sagte uns die Zukunft, dass eine gewisse Alea Reeves eine Gefahr für die Casses darstellen wird.« »Das glaub ich nicht. Ich bin nicht gefährlich – für niemanden. Ich bin doch nur Alea Reeves.« »Tja, der Zauber hat uns aber etwas anderes gesagt.«     

Ich atmete langsam aus. »Tollen Vater hast du da. Der seinem Sohn einfach die Arbeit in die Schuhe legt.« Das kannte ich von Jared ja bereits. Er hatte Daniel ja auch geschickt, um mir ein Geburtstagsgeschenk zu überreichen.     

»So ist das nicht. Die Zukunft hat nämlich noch etwas anderes gesagt. Mein Vater hat mir mitgeteilt, dass ich quasi der Held für die Casses sein kann. Durch mich können wir gerettet werden.« »Ein Held also… Dann sag mir, Held, was planst du nun zu unternehmen?« Ich sagte das ziemlich ironisch, weil Daniel jetzt noch ziemlich jung aussah. Aber ich wusste nur zu gut, dass sich das geändert hatte. Ich könnte mir inzwischen sehr gut vorstellen, dass er in der Lage wäre gegen mich vorzugehen.     

»Also, ich würde dir ja raten, dass du uns Casses nicht tötest, sonst muss ich Held spielen und dich zur Strecke bringen.« »Um Himmels willen! Ich bin im Moment nicht Mal dazu in der Lage. Wer weiß, was ich in der Zukunft vorhabe. Es heißt nicht ohne Grund Zukunft. Es sollte auch in der Zukunft liegen.« »Ist ja gut. Ich will dich nur schon Mal vorwarnen.«

Tag 7 | Kein Entkommen?

 

Schweißgebadet weckte mich die kalte Briese der bevorstehenden kühlen Nacht. Es war noch am Abend und somit schliefen meine beiden Zeltgenossen noch. Bei Daniels Anblick lief es mir kalt über den Rücken. Er hatte uns in eine Falle gelockt!     

Vorsichtig rüttelte ich Ali, ohne dabei Daniel zu wecken. Ali war noch total im Halbschlaf und drehte sich andauernd, während sie irgendwelche Worte murmelte, die Lass mich schlafen bedeuten könnten. Och man, Ali, sei doch leise! Doch auch Daniel schlief anscheinend wie ein Stein und ließ sich von Alis Rumgestöhne nicht wach machen.     

Endlich hatte sie die Augen geöffnet und starrte mich etwas wütend an. »Was willst du, Alea?« »Ich muss mich mit dir unterhalten – unter vier Augen, draußen.« Sie verstand nicht recht, überwindete dann aber doch ihren inneren Schweinehund und folgte mir nach draußen.     

»Es geht besser um Leben und Tod, denn ich habe geschlafen wie ein Baby.« »Es geht um Leben und Tod! Ich denke, Daniel will uns in eine Falle locken.« »Du denkst das? Wegen deiner Paranoia hast du mich jetzt tatsächlich geweckt – ohne jeglichen triftigen Grund, warum du das denkst?«     

»Ich habe aber einen Grund, Ali. Ich habe dir doch von meinen Träumen erzählt. Träume, bei denen ich mich an Dinge aus meiner Vergangenheit erinnere. Und laut diesen Träumen kannte ich Daniel schon vorher! Und er hat sich mir persönlich als mein Feind vorgestellt, der gegen mich kämpfen wird, weil ich die Casses vernichten werde. Heißt so viel wie – er wird uns vernichten.«     

Ali schüttelte hektisch den Kopf. »Vielleicht war es wirklich nur ein Traum und keine Erinnerung. Daniel ist besser als sein Vater.« »Aber Ali… das ergibt doch jetzt alles einen Sinn. Erinnerst du dich, als Daniel zum ersten Mal in diese Bar gegangen ist? Jared war total nervös, weil er Angst hatte, Daniel könnte nicht schauspielern und die Lüge würde auffliegen. Erst nach einer Weile wurde er ein wenig entspannter. Dann schickte er Daniel zu meiner Party, anstatt selbst vorbei zu kommen, weil die Zukunft vorausgesagt hatte, dass Daniel der Held der Casses sein würde.«     

»Aber warum sollte dieser Ort uns in eine Falle führen? Wir haben Daniel doch gebeten mitzukommen. Er hat es nicht selber vorgeschlagen.«     

»Das gehörte alles zum Plan! Jared hat uns in dieser Bar von einem Ort erzählt, der nur mit Casses Magie betreten werden kann. Er wusste, dass wir Hilfe brauchen würden. Er wusste, wenn wir einen von den Casses fragen würden, dann den scheinbar unschuldigen Daniel. Er kennt diesen Ort in und auswendig. Vielleicht ja nicht, weil er zu den Casses gehört, sondern weil er schon öfter hier war. Und das soll unser Untergang werden. Meine Erinnerungen werde ich hier nicht bekommen, Ali.« Die Wörter sprudelten nur so aus meinem Mund heraus.     

»Ich denke, du irrst dich.« So langsam hatte ich das Gefühl, dass ich Ali nicht vom Gegenteil überzeugen konnte. »Aber selbst wenn wir jetzt auf dich hören, gibt es kein Entkommen. Dieser Kreis der Elemente bietet keine Fluchtmöglichkeiten. Wir können nicht umkehren. Um von hier zu verschwinden müssen wir zum Ausgang… aber bis dahin-«     

»-könnten wir schon tot sein«, beendete ich ihren Satz. »-ist es noch ein langer Weg, wollte ich eigentlich sagen.« Jetzt kamen auch Max und Jayden aus ihren Zelten. »Guten Morgen, die Damen. Na, worüber wird denn hier getratscht?«, wollte Max wissen.     

»Ach, nichts Besonderes. Haben überlegt, welches Element wohl als nächstes kommt und was uns dort erwartet.« Die Jungs vertrauten Daniel sowieso schon nicht. Außerdem würden die total durchdrehen, wenn ich ihnen das sagen würde, was ich gerade Ali erzählt habe. Das konnte ich echt nicht gebrauchen. Daniel sollte nicht wissen, dass ich eventuell seinem kleinen Geheimnis auf die Schliche gekommen bin. Wenn der Gegner unwissend ist, ist das in jedem Fall immer ein Vorteil.       

»Bor, und der Casses schläft noch? Typisch! Wegen dem können wir jetzt noch nicht aufbrechen, ey«, maulte Jayden wie zu erwarten. Genervt schlappte er sich einen Stock und kratzte damit gegen unser Zelt. »Hey, aufstehen, du Schlafmütze! Wir wollen weiter!«     

Man konnte hören, dass sich im Zelt etwas regte. Daniel schien wach zu sein. Sein nächsten Worte bestätigten dies auch: »Bin in einer Minute bei euch.«     

Daniel brauchte wirklich nur unwesentlich länger als eine Minute. Die Zelte waren auch in Nullkommanichts eingepackt, sodass wir in Kürze starten konnten. Je weiter wir gingen, desto mehr konnte man merken, dass die Bäume um uns herum abnahmen. Irgendwann befanden wir uns auf einem Weg, wo weit und breit nichts zu erkennen war.     

»Welches Element jetzt wohl kommt?«, grübelte Jayden vor sich hin. »Hoffentlich soll das jetzt Luft darstellen und schlimmer als die vorhandene Luft zum Atmen wird es nicht«, hoffte Ali. »Ich schätze, das Glück werden wir nicht haben«, meinte Daniel, was mich daraufhin wütend machte. Ja, wegen dir haben wir das Glück nicht! Am liebsten hätte ich es laut geschrien, doch dann würde hier die Hölle ausbrechen.     

Obwohl es jetzt nur ganz leicht zu nieseln anfing, stieg sofort die Panik in mir hoch. »Was erwartet uns bei Wasser? Müssen wir schwimmen? Ich kann doch nicht schwimmen!«, rief ich panisch. »Doch, Alea, kannst du«, meinte Max schlicht. »Früher vielleicht. Aber meine Erinnerungen sind da anderer Ansicht. Grrrr, das haben die doch mit Absicht bemacht.«     

»Die? Du meinst wohl ihn, mein Vater«, sagte Daniel. Nein, ich meine es so wie ich es sagte! Aber ich hätte es natürlich nicht sagen dürfen… auch wenn ich es so gerne wollte. »Natürlich…«, sagte ich somit einfach.      »Aber ich denke, du wirst schwimmen müssen«, meinte Daniel. Klar musste ich das… Aber war das jetzt etwa schon das Element Wasser? Oder war es ganz normaler Regen, der uns nur auf das nächste Element vorbereitete? Man, ich hasste diese Ungewissheit.     

Doch der Regen wurde immer stärker und je stärker er wurde, desto mehr legte sich die Ungewissheit. Wir waren bei Wasser angekommen. Tja, Alea. Hättest du man davon geträumt, wie man schwamm. Die Erinnerung daran hätte ich jetzt besser gebrauchen können.     

Ich spürte, wie das Wasser an meinen Beinen immer höher stieg, bis es irgendwann so hoch war, dass es sich in meine Lunge lagerte. Der Rest verschwamm vor meinen Augen wie das glitschige Wasser… und wurde schwarz.

Tag 7 | Versteinert?

 

Keuchend hustete ich die letzten Reste Wasser wieder hervor. Was war nur passiert? Ich dachte ernsthaft, das war’s für mich. Immerhin war hier weit und breit nur Wasser, wie konnte ich dann an Land gelangt sein?      Erst auf den zweiten Blick bemerkte ich, dass ich mich geirrt hatte. Ich befand mich immer noch im Wasser – überall wo ich hinblickte war nur Wasser. Die anderen vier konnte ich auch nirgends entdecken. Wie konnte ich eigentlich überhaupt atmen, wenn ich unter Wasser war?     

Als ich versuchte, meine Hand auszustrecken, wurde mir klar, dass ich mich in irgendeiner Art unsichtbarer Luftblase befinden musste. In der Ferne nahm ich langes hellbraunes Haar wahr, das nur von Ali stammen konnte. Erleichtert atmete ich aus. Ich war doch nicht vollkommen alleine.     

Ali schwamm immer näher auf mich zu und wow, sie konnte echt gut schwimmen. Bei mir angekommen, drückte sie die unsichtbare Blase nach oben mit sich mit. Es war noch ein ganz schön großes Stück bis an die Oberfläche, doch Ali hielt trotz alldem super durch. Schließlich waren sowohl ich als auch sie an der Wasseroberfläche und Ali konnte erleichtert ausatmen.     

»Alles okay?«, fragte Daniel Ali besorgt, da sie nach dem Auftauchen ziemlich stark am Husten war. Ich konnte das Augenverdrehen nur schwer unterdrücken. »Ja, ich habe doch gesagt, dass Wasser mein Element ist.«     

Erst jetzt fiel mein Blick auf Jayden und Max, woraufhin ich aufschrie. Jayden hielt Max mit einer Hand fest, da dieser sich nicht mehr bewegte. »Was ist mit Max passiert?« Jaydens Blick wich meinem aus, als er mir antwortete. »Das waren die Nebenwirkungen, Alea, weil er dich gerettet hat.«     

Ich musste nur kurz überlegen, um zu begreifen, was das bedeutete: Max hatte diese Blase mit Hilfe von Feences Magie erschaffen, doch diese Magie hatte hier bekanntlich Nebenwirkungen. Obwohl ich wusste, dass es Max eigene Entscheidung gewesen war, bedachte ich Daniel jetzt mit einem wütenden Blick. »Was ist mit ihm passiert?!«     

Daniel zuckte zusammen, während Ali entgegnete: »Hey, Alea! Du vergisst, dass das ja wohl kaum Daniels Schuld ist – nur weil er zu den Casses gehört.« Man, konnte der überzeugend wirken. Ich wusste nicht, wie er es schaffte, aber bei seinem Anblick murmelte ich: »Tut mir leid. Schätze, ich musste einfach irgendwo meine Wut rauslassen.« »Schon okay, aber was mit Max passiert ist, kann ich dir leider nicht sagen.«     

»Ist er etwa-«, doch das nächste Wort wollte mir einfach nicht über die Lippen gleiten. Zum Glück unterbrach Jayden mich: »Nein. Es ist irgendwas Merkwürdiges. Eben noch lag er, so wie du, eine ganze Zeit leblos unter Wasser. Aber er scheint keinerlei Wasser geschluckt haben. Es ist fast so, als wäre er für den Moment versteinert.« »Was? Versteinert? Für wie lange?« »Keine Ahnung«, antwortete Jayden und auch die anderen beiden, blickten nur ahnungslos in der Gegend herum. »Wir sollten auf jeden Fall erstmal weg vom Element Wasser. Wir haben eben schon besprochen, dass Jayden Max mitnimmt und Ali dich«, erklärte mir Daniel.     

Und so schwammen wir alle gemeinsam los. Das Wasser war scheinbar unendlich lang und uns wurde schon bald klar, dass die drei nicht so lange durchhalten konnten – auch Ali, die schwimmen über alles liebte. »Ali, wir beiden müssen mit der Casses Magie das Wasser teilen.« Ich lachte auf. »Das Wasser teilen? So wie Moses oder wer das auch war?«     

Daniel ignorierte meine Bemerkung einfach. »Wenn das Wasser geteilt ist, bildet sich ein Weg, den wir dann benutzen können. Allerdings wird es schwierig, die Magie die ganze Zeit lang aufrecht zu halten. Wenn die Mauer aus Wasser zusammen bricht, heißt es Luft anhalten und schnellstmöglich wieder auftauchen.«       

Ali und Daniel konnten die Magie ehrlichgesagt länger aufrechterhalten, als ich anfangs erwartet hätte. Auch die anderen waren verdutzt, wie lange sie auf Land gehen konnten.     

»Tja, als Team ist man anscheinend wirklich stärker«, murmelte Ali, woraufhin Daniel ihr einen Blick zuwarf. Einen Blick, der Jayden anscheinend ziemlich skeptisch werden ließ. Ach, und ich dachte noch, dass die beiden das zwischen sich unbedingt geheim halten wollten. Hatten sie im Moment wohl irgendwie vergessen. Jayden warf mir einen Blick zu, der anscheinend so viel heißen sollte wie: Hab ich was verpasst? Ich hob nur abwehrend die Hand, was bedeuten sollte: Frag besser nicht.     

Doch trotz all der Dali-Power, dachte ich schmunzelnd, brach die Mauer irgendwann doch und ich trieb irgendwo unter Wasser herum, bis Ali mich schließlich wieder fand und an die Oberfläche beförderte.

»Könnt ihr hier auch wieder stehen?«, fragte Jayden uns irgendwann, da das Wasser anscheinend nach und nach immer weniger wurde. Noch meine Blase löste sich wirklich erst dann auf, als auch das komplette Wasser verschwunden war. Wir befanden uns wieder in dieser brachen Umgebung, wo überhaupt nichts war.      Erleichternd stellte ich fest, dass nun auch Max starrer Körper erschlaffte. Sofort rannte ich zu ihm. »Max!«, rief ich und drückte ihn fest an mich. »Woah, Alea. Nicht so feste! Du erdrückst mich noch!« Ich löste mich von ihm und murmelte »Tut mir leid«, während ich ihm meine Hand anbot, um ihn wieder auf die Beine zu helfen.        Während wir den Kreis der Elemente fortsetzten, begann ich eine Unterhaltung mit Max. »Du kannst doch nicht einfach Feences Magie benutzen, wenn du weißt, was die Risiken sein könnten. Dass du nur versteinert wurdest, war echt Glück. Du hättest tot sein können!« »Genauso wie du, Alea. Nur mit dem Unterschied, dass du es ganz sicher wärst, wenn ich nicht Feences Magie benutzt hätte. Ich habe einfach nur gehofft, dass das Schicksaal gnädig mit mir sein würde… hat ja geklappt.« »Es war trotzdem zu riskant. Hätte Ali oder Daniel nicht Casses Magie benutzen können?« »Mit Casses Magie kannst du keine Luftblase erschaffen, die einem das Leben retten soll. Das ist nicht gegen die Regeln. Ein Grund mehr, warum es gut war, dass du Jayden und mich darum gebeten hast, mitzukommen.«     

Ich fand es war kein Grund mehr. Ich brachte alle mit dieser Reise in Lebensgefahr. Sie alle riskierten ihre Leben für mich… obwohl sie quasi immer noch Fremde für mich waren. »Außerdem konnte ich dich ja nicht einfach sterben lassen, wenn ich dir noch etwas Wichtiges sagen muss. Eigentlich habe ich es dir schon mal gesagt, doch dann hast du es ja wieder vergessen… und es ergab sich nie der richtige Zeitpunkt, um es dir mitzuteilen.«  

Tag 7 | News?

»Ist ja passend. Du möchtest mir etwas Wichtiges sagen und ich möchte etwas Wichtiges wissen.« Max lachte. »Ja, aber höchstwahrscheinlich willst du nicht das wissen, was ich dir sagen möchte.« »Okay, dann mal los: Was willst du mir sagen, was ich eigentlich schon wissen sollte?«     

»Also, gestern sollte eigentlich eine große Feier in unserem Königreich stattfinden…« »Oh, und wegen mir und meiner blöden Reise konntest du nicht teilnehmen. Das tut mir echt leid.« Er schüttelte den Kopf, wobei er wieder sein typisches arrogantes Grinsen aufgelegt hatte. »Ne, so ist das nicht. Wir haben die Feier vor sieben Tagen augenblicklich verschoben, als wir wussten, dass du deine Erinnerungen verloren hattest.«      Jetzt verstand ich gar nichts mehr. Was hatte das alles bitte mit meinem Gedächtnisverlust zu tun? Vielleicht irgendeine Vampirprinzessinnenfeier, die nicht mehr stattfinden konnte, weil ich ja keine würdige Prinzessin mehr war.     

Doch ich hatte mich geirrt. »Gestern wollten Justine und ich eigentlich unsere Hochzeit feiern, doch hielten es beide für besser, solange zu warten, bis du deine Erinnerungen zurück hast.« Max wollte heiraten – schon? So hatte ich ihn nun wirklich nicht eingeschätzt. Er war doch noch so jung… obwohl die Regeln für Vampire und Heiraten vielleicht auch anders aussehen könnten. Keine Ahnung. Da war heiraten in diesem Alter vielleicht total normal. Um Gottes Willen, unser Altersunterschied war total gering. Aber ich … fühlte mich zum Heiraten überhaupt noch nicht bereit. Andererseits… die alte Alea ja vielleicht schon.     

»Und dafür soll ich unbedingt meine Erinnerungen zurück haben? Was, wenn das noch Jahre dauert?« »Wieso Jahre, Alea? Wir haben doch schon Element Nummer zwei hinter uns.« Dass ich durch diese Reise meine Erinnerungen zurückbekommen würde, daran dachte ich schon lange nicht mehr. Ich wog nur noch ab, ob wir es hier lebend herausschaffen würden oder nicht.       

»Ihr hättet die Hochzeit kurz bevor wir abgereist sind feiern sollen. Für eine schöne Hochzeit braucht ihr doch nicht meine Erinnerungen.« »Das nicht, aber du warst doch die Trauzeugin und solltest eine Hochzeitsrede halten.« »Naja, etwas konnte ich dich ja in der kurzen Zeit kennenlernen. Ich würde also nicht mit leerem Zettel da stehen.«     

Doch meine Worte schienen seine Laune nicht zu heben, eher das Gegenteil war der Fall. »Ja, Alea. Du hast mich in diesen sieben Tagen etwas kennengelernt. Aber was sind schon sieben Tage gegen einundzwanzig Jahre?« »Und was ist eine Hochzeit, die nicht ganz so abläuft wie erwartet gegen gar keine Hochzeit?« Okay, das hätte ich jetzt nicht sagen dürfen.     

Max hoch verwundert seine Augenbraue. »Was meinst du mit gar keine Hochzeit?« »Was ich damit meine?! Diese Reise ist total lebensgefährlich und du warst nicht der erste, der das heute am lebendigen Leibe erfahren durfte.«     

»Klar, ist es gefährlich. Aber deshalb darfst du nicht gleich so pessimistisch denken. Du musst dir einfach unser Ziel vor Augen rufen.« Genau, unser Ziel, dass wahrscheinlich nie existiert hatte. Alles eine Falle der Casses… Warum sollte Jared sonst auch eine Anmerkung über den Aufenthaltsort des Steins machen? Ich bin ja so dämlich gewesen…     

»Und was wolltest du von mir wissen?«, holte mich Max zurück aus meinen Gedanken. »Du weißt ja, dass ich ab und zu Träume habe. Träume, wo ich Stücke von meiner Vergangenheit sehe. Naja, heute hatte ich einen darüber, dass unsere Eltern und König Lian wohl eine gemeinsame Vergangenheit haben. Weißt du was darüber?«     

Und da hatte sich Max Grinsen wieder auf sein Gesicht geschlichen. »Was ist daran so lustig?« »Naja, weil alles was ich über diese Sache weiß, du mir mal erzählt hast. Ich weiß immer noch nicht, wie du an die ganzen Infos gekommen bist. Ich kann mir kaum vorstellen, dass unsere Eltern dir das alles erzählt haben. Aber ich schätze, das ist typisch für dich. Wenn du etwas wissen willst, erfährst du es – egal wie.«     

»Tja, da es aber noch etwas dauern könnte, bis ich meine Erinnerungen zurückbekomme, wäre ich dir dankbar, wenn du es mir erzählen könntest. Ich sterbe vor Neugierde!« »Hm, so interessant ist die Geschichte aber auch nicht, dass es sich lohnt dafür neugierig zu sein.« »Egal! Erzähl einfach!«, rief ich ungeduldig.     

»Ist ja gut. Also Mum, Dad und König Lian waren beste Freunde in ihrer Kindheit. Auch wenn König Lian nicht gekrönter König ist, sondern nur angeheiratet, wirst du in dieser kurzen Zeit trotzdem festgestellt haben, dass er trotzdem ziemlich mächtig und besonders ist. Und so war er auch schon als Kind. Auch wenn Dad und Lian beste Freunde waren, schien Dad oft ziemlich neidisch auf Lian gewesen zu sein. Er bekam das bessere Spielzeug und so weiter und so fort. Weil Lian nun gerade so zauberhaft war, schien nun auch unsere Mutter lieber mit Lian spielen zu wollen. Wahrscheinlich spielte sie nicht wirklich lieber mit ihm, nur kam es dem eifersüchtigen achtjährigen Jasper bestimmt so vor.«     

Er machte eine kurze Pause. »Wie auch immer. Dann zog König Lian halt weg, Mum und Dad kamen sich näher – Happy End.« Er lachte scherzhaft. »Aber ich weiß noch, dass es kurz vor unserem Umzug ins Schloss noch Mal zu einem ziemlichen Streit zwischen unseren Eltern kam. Natürlich weil Dad auf keinen Fall zu Lian ins Schloss ziehen wollte. Aus dem vollkommen bescheuerten Grund, dass Mum sich wieder in König Lian vergucken könnte. Aber mal ganz ehrlich? Ich bin da total auf der Seite unserer Mutter, wie du übrigens auch warst. Sie hat nie wirklich was für Lian empfunden, immerhin waren sie damals noch Kleinkinder! Außerdem war er inzwischen glücklich verheiratet – und Mum und Dad ja ebenfalls.     

Irgendwann konnte er dann aber seine dumme Kindheitseifersucht überwinden und wir konnten, wie du ja weißt, im Schloss leben. Ich schätze mal, dass dieser Streit unserer Eltern deren Ehe aber gefestigt hat – und inzwischen leben wir alle glücklich zusammen im Schloss. Also keine Sorge. Du hast ein Problem weniger.«      Naja, als Problem hatte ich das eigentlich auch nie angesehen. Ich wollte es einfach nur gerne wissen. Probleme bereitete mir eher der zweite Teil meines Traumes, doch diesen Gedanken behielt ich noch eine Weile für mich.

Nacht 8 | Wer spielt mit wem?

[erzählt von Alissa Lester]

 

Alea war gestern echt in Rekordzeit eingeschlafen. Daniel und ich hatten uns nicht Mal richtig in unserem Schlafsack gelegt, da war sie schon weg. Da wir gestern beide nicht sonderlich gut einschlafen konnten, haben wir uns noch eine ganze Weile im Flüsterton unterhalten. Das fand ich ehrlichgesagt ziemlich schön… sich einfach mal wieder mit irgendwem zu unterhalten.     

Kopfschüttelnd vertrieb ich diese Gedanken sofort wieder. Alissa Lester, du entwickelst jetzt keine Sympathien für den Feind! Das war ja noch schlimmer als bei Jared. Nein, bei Daniels Anblick tanzten keine Schmetterlinge in meinem Bauch. Doch auch wenn sie es bei Jared getan haben, wusste ich da immer, dass er einfach eine schreckliche Person ist.     

Und so erwischte ich mich dabei, wie ich meine Augen nicht von Daniel richten konnte. Nicht, weil sie so unbeschreiblich schön haselnussbraun waren, sondern weil mich die Seele hinter diesen Augen faszinierte? Das war doch krank – nicht nur weil er einer von den Casses ist. Alea hatte mich sogar gewarnt. Daniel spielte nur mit uns, wie es die Casses nun mal immer taten. Dabei wollte ich doch endlich mal am Zug sein! Ständig kamen irgendwelche Jungs daher, die mich einfach so ausnutzten. Mit Daniel wollte ich endlich diejenige sein und ihm sein Herz brechen. Dabei hätte es nie gebrochen werden können. Komischerweise schmerzte meins jedoch bei dem Gedanke, dass er mir alles nur vorgespielt hatte.     

»Vielleicht könnten wir schneller aufbrechen, wenn du mehr Zeit mit Abbauen des Zeltes verbringen würdest – anstatt ständig Daniel anzustarren«, riss mich Jayden aus meinen Gedanken. Bitte was? Ich hatte nun wirklich nicht gedacht, dass es so auffällig gewesen war.     

»Ich starre ihn nicht an. Ich gucke… auf dem Weg hinter ihm und überlege, was uns wohl als nächstes erwartet«, versuchte ich mich herauszureden – leider erfolglos. »Das kannst du dem Weihnachtsmann und dem Osterhasen erzählen, aber nicht mir. Ali, der gehört zu den Casses! Vergiss es, aber sowas von. Nicht nur, dass diese Liebe total gegen die Regeln wäre, wie sollte Alea so ihre Aufgabe nachgehen und das tun, was ihre Bestimmung ist?«     

»Die Casses töten? Kannst es ruhig aussprechen. Der hört uns eh nicht.« Und selbst wenn, weiß er es vielleicht sogar schon lange, fügte ich in Gedanken hinzu. Sagte es aber natürlich nicht. Schnell fuhr ich fort: »Wieso sollte Alea wegen unserer Freundschaft nicht ihre Mission durchführen? So ein Typ ist sie nicht.« »Nein, aber vielleicht jetzt. Wenn sie denkt, sie tötet dadurch die Liebe ihrer besten Freundin… diese Alea ist irgendwie anders als die alte. Ich schätze sie könnte schwach werden.« »Aber sie wird ihre Erinnerungen zurückbekommen. Dann wird sie es spätestens tun. Außerdem stelle ich kein Problem dar. Ich werde Alea zu hundert Prozent bei ihrer Aufgabe unterstützen.« Sie vielleicht sogar durchführen. Auch wenn ich es ungern wollte, immerhin war Alea die Vampirprinzessin. Aber im Moment sah es nicht so aus, als würde Alea ihre Erinnerungen in Kürze zurückbekommen – und somit ihre Fähigkeiten, die sie dazu brauchte.     

Jayden wand sich nun wieder dem Zelt zu. Keine Ahnung, ob ich ihn überzeugen konnte. Seine Miene war ein typisch aufgesetztes Pokerface. Letztendlich sollte es mir auch egal sein. Am Ende würde ich ihn einfach davon überzeugen, wie ich hinter dieser Mission stand. »Wollen wir?«, fragte Alea in die Runde, nachdem sie nun auch unser Zelt verstaut hatte.     

»Ja klar, Luft oder Feuer warten doch schon auf uns«, entgegnete Max und somit machten wir uns dann auf den Weg. Dieses Mal dauerte es länger als beim letzten Mal, bis das nächste Element uns erschien. Eine ganze Zeit lang war alles brach um uns, bis ich plötzlich aus der Ferne einen blauen Fleck erkennen konnte. »Was ist das, Leute?«     

Die anderen schienen nun auch skeptisch zu werden und nährten sich dem Etwas. Aus der Nähe konnte ich dann erkennen, dass das eine Person sein musste! Sie trug ein blaues Oberteil und auch ihre Haarspitzen waren blau gefärbt. Der Rest ihrer Haare war blond, allerdings konnte das auch gefärbt sein… schwer zu sagen.     

Als sie uns hörte zuckte sie zusammen. »Oh Gott, Vampire habe ich hier ja schon lange nicht mehr gesehen.« Zögernd stand sie auf. »Seid ihr lebensmüde oder was macht ihr hier?« Auch eine schöne Art der Begrüßung. »Wir suchen etwas.« »Ich hoffe nicht den Ausgang, denn den gibt es nicht. Es heißt nicht umsonst Kreis der Elemente.«     

»Wer bist du überhaupt?«, fragte Max die Frau oder das Mädchen. Wie alt sie war, konnte man ja bekanntlich schlecht erkennen… zumindest schien sie ausgewachsen zu sein. »Mein Name ist Jamie.«     

Nun meldete sich Alea zu Wort: »Ich weiß ja nicht, was du alles versucht hast, um von hier zu verschwinden, aber wir wissen, dass man von hier weg kann. Das was wir suchen hat jemand hier versteckt, der es auch geschafft hat.« Sie lachte kurz und trocken auf. »Seit wann sind Casses nicht dazu in der Lage etwas zu verstecken, ohne sich an diesem Ort aufzuhalten?«     

Ich hatte echt keine Ahnung, was ich von dieser Jamie halten sollte. Sagte sie die Wahrheit? Oder wollte sie uns nur Angst machen und uns unsere Hoffnung nehmen. »Und gehörst du zu den Casses oder den Feences?«, wollte Jayden jetzt von Jamie wissen.     

Sie schien ziemlich verwundert über diese Frage… okay, verständlich. »Natürlich zu den Casses. Wie sollten Feences auch den Eingang hierein finden?« Darauf wollte anscheinend keiner der Anwesenden antworten. Ich sah es deshalb als meine Aufgabe an: »Also sagen wir mal es ist nicht unmöglich.«     

»Wollt ihr mir damit sagen, dass ihr fünf zu den Feences gehört?« Während wir nickten, meldete sich Daniel von hinten. »Also ich nicht. Deshalb konnten sie auch durch den Eingang.« »Okay, ich versteh’s nicht. Warum sind Feences mit Casses unterwegs – und warum begleitest du sie bei dieser Reise? Logisch wäre, um sie hier einzusperren, aber du kommst dann hier doch auch nicht mehr raus.«     

Daniels Blick war gesenkt. »Tja, da will man einmal ein Abenteuer erleben… und dann sowas. Hätte mich wohl vorher schlau machen sollen.« Also entweder: Die Frau log uns was vor und man kam hier sehr wohl wieder raus – was ich wirklich hoffte. Oder sie sagte die Wahrheit. Das würde bedeuten, Jared hat seinen eigenen Sohn mit diesem Plan in ein Gefängnis gesperrt, aus dem er nie wieder entkommen konnte. Dann wäre er ja noch viel schlimmer, als ich vermutet hatte.     

»Wie lange bist du schon hier gefangen?«, fragte Max. »Ich habe irgendwann aufgehört die Nächte zu zählen.« »Aber wie konntest du so lange überleben?«, wollte Alea wissen. »Wegen etwas, das auch der Grund ist, warum ich hier bin. Ich wurde anders geboren. Eigentlich bin ich ja wie alle Casses – nur kann ich mich auch mit Nahrung versorgen, Kleidung und meine Haare wechsele ich hier auch ganz gerne aus Langeweile. Eigentlich alles Sachen, die nur Feences mit ihrer Magie erreichen könnten.«

Tag 8 | Jamie?

 

Konnte das echt sein? Stimmte das, was die Frau uns da sagte? Oder war sie eine weitere Verschollene aus meiner Vergangenheit, die auch nur so tat, als würde sie mich nicht kennen? Also noch jemanden von der Sorte tat doch nun wirklich nicht nötig. »Heißt das, es gibt noch jemanden, der beide Arten der Magien besitzt? Halleluja, ich dachte früher immer, Alea wäre die einzige«, meinte Ali.     

»Was für Arten der Magie? Ne, ich habe Casses Magie, die nur etwas komisch ist.« »Nichts für ungut, aber es sieht so aus als hättest du auch einen Teil Feences Magie in dir. Willkommen im Club.« »Und warum bist du wegen deiner Magie hier hingekommen? Also deswegen sind wir nämlich nicht hier, auch wenn wir in der gleichen Situation sind«, fragte ich sie.     

»Unter den Casses hat man sich viele Legenden über diesen Ort erzählt. So auch, dass man hier Magie erfahren würde, die es eigentlich nicht geben sollte. Da das auf mich zutraf und ich unbedingt mehr über diese Magie erfahren wollte, machte ich mich auf den Weg. Doch als ich dort, wo eigentlich der Ausgang sein sollte, ankam und meine Magie einsetzte, passierte überhaupt nichts. Ich kam lediglich wieder dort an, wo ich gestartet war.« »Und warum besitzt du diese Magie? Hast du dich in deiner Vergangenheit öfter bei den Feences aufgehalten?«, fragte ich sie, da sie ja irgendwie zu der Magie kommen musste. »Nein, habe ich nicht. Als ich als Kind nach und nach meine Persönlichkeit und somit meine Magie entwickelte, war sie einfach da. Obwohl… jetzt wo du es sagst… mein Vater gehörte zu den Feences, meinte meine Mutter, allerdings hat er uns verlassen bevor ich überhaupt geboren wurde.«     

Hm… alle wollten mir hier immer weismachen, dass Magie nicht angeboren wurde. Aber Jamie schien gerade irgendwie das Gegenteil zu behaupten. Allerdings kam die Magie ja auch bei ihr erst nach und nach zum Vorschein. Komisch… naja, sich damit jetzt zu beschäftigen würde eh nichts bringen. Wir hatten Wichtigeres zu tun und was wäre das Leben schon ohne ein paar Mysterien?     

»Wir sollten langsam weiter«, erinnerte ich die anderen. »Ihr wollt die Elemente also trotzdem durchqueren, obwohl ihr hier nicht mehr heraus könnt? Das sind doch nur unnötige Gefahren.« »Sorry, aber wir geben nicht einfach so auf, nur weil uns das ein fremder Casses rät«, meinte Max bissig. »Außerdem … selbst wenn du Recht haben solltest, brauchen wir trotzdem noch diesen Gegenstand«, fügte Jayden hinzu. Ja, der Gegenstand, der vielleicht gar nicht da war.     

»Kommt schon, Leute«, winkte ich ihnen zu, während ich schon ein paar Schritte Richtung nächstes Element gemacht hatte. Auch die anderen setzten sich langsam wieder in Bewegung. »Wartet!«, rief uns Jamie hinterher. »Was ist denn noch?«, fragte ich und drehte mich zu ihr. »Kann ich vielleicht mitkommen?«, fragte sie vorsichtig. Ich lachte. »Ich dachte, es wäre eine unnötige Gefahr durch die Elemente zu gehen.« »Schon, aber nach all den Jahren bin ich an einem Punkt angelangt, an dem ich lieber sterben würde als weiterhin alleine zu sein.«     

Jetzt bekam ich total Mitleid mit ihr. Sie musste eine total starke Persönlichkeit haben, wenn sie die ganze Zeit hier alleine war. Ich wäre sicherlich schon lange durchgedreht. Ungeachtet was die anderen von meiner Antwort halten würden, antwortete ich: »Klar kannst du mitkommen.« Und es schien auch keiner etwas dagegen zu haben. Klar, immerhin waren wir keine Monster und hatten auch ein Herz.     

Und so machten wir uns nun zu sechst auf den Weg. Als Jamie plötzlich mit vollkommen roten Haaren neben mir her ging, fragte ich sie schließlich: »Wie machst du das eigentlich? Ich meine, Feences Magie anwenden ohne mit irgendwelchen Nebenwirkungen zu rechnen?« Sie zuckte mit den Schultern. »Keine Ahnung. Bis vor kurzem wusste ich ja noch nicht mal, dass es überhaupt Feences Magie ist. Vielleicht einfach aus dem Grund, weil ich, trotz alldem immer noch zu den Casses gehöre.«     

»Okay, das ist jetzt mal sowas von praktisch, dass wir dich haben. Dann können wir hier sogar Feences Magie benutzen!« »So würde ich das jetzt nicht beschreiben. Mit diesem Teil von meiner Magie kann ich nämlich nicht so gut umgehen. Nur das, was ich ständig mache, Kleidung, Essen etc. kann ich schon ziemlich gut.« »Naja, besser als nichts.« Da kam mir ein Gespräch mit Ali wieder ins Gedächtnis, als ich sie aufgefordert habe, einfach meine Aufgabe zu übernehmen und die Casses zu vernichten. Immerhin hatte sie jetzt auch Casses Magie. Doch daraufhin meinte sie auch, dass sie darin noch total schlecht wäre – und ich um einiges besser gewesen wäre. Ob meine Magie wohl schon immer so stark gewesen ist? Oder wurde sie nach und nach stärker? Jamie hatte die Feences Magie auch schon seit ihrer Kindheit, aber sie schien trotzdem noch ziemlich unsicher damit. Ja, Alea. Wie um Himmels Willen hast du das damals hinbekommen? Wüsste ich die Antwort, hätte ich meine Kräfte wahrscheinlich schon längst wieder zurück.     

Wir gingen noch ein ganzes Stückchen, bis die leichte Brise, die durch meine Haare geweht war, immer stärker zu werden schien. »Ich schätze mal, wir nähern uns dem Element Luft«, bemerkte auch Jayden. Ja, es konnte kein gewöhnlicher Windstoß mehr sein, denn langsam fing es an, unnormal stark zu wehen. Was ich unter unnormal stark verstehe? Naja, so stark, dass sich nicht mal der Schwerste von uns noch auf dem Boden befand.     

Eigentlich war ich ja nicht der Typ Mädchen, der bei jeder Kleinigkeit zu schreien anfing. Aber hier mussten sogar die Jungs unter uns schreien – verständlich also, dass auch ich den Aufschrei nicht länger unterdrücken konnte.     

Als wären wir in einem Orkan gefangen, wirbelten wir durch die Luft. Ich konnte noch ganz schwach erkennen, wie Jayden seine Hand nach mir austreckte. Aber natürlich schaffte ich es nicht, danach zu greifen.      Der Wind trug uns immer höher in den Himmel. Wie hoch konnten wir eigentlich noch wehen? Das war ein echt komischer Wind, da er ja irgendwie von unten nach oben strömen müsste. Sonst würden wir nicht so stark nach oben fliegen.     

Irgendwann hörte der Wind auf zu wehen, doch er war immer noch da – unter mir. Er ermöglichte mir, dass ich quasi auf der Luft gehen konnte. Klingt verrückt, ich weiß. Aber ich schwöre, es war so. Hilflos hielt ich nach dem Rest meiner Truppe Ausschau, doch ich war allein. Na, da hatte ich ja noch Mal Glück gehabt, dass ich mir die Richtung gemerkt hatte, wo der Kreis der Elemente weiter ging. Denn sonst wäre ich echt ausgeschmissen. Okay, das war ich auch so. Wenn hier etwas passieren würde, wozu man Fähigkeiten brauchte, wäre ich – und alle anderen, die nicht zu den Casses gehören, echt aufgeschmissen. Dummer Wind, warum musste er uns auch trennen?

Tag 8 | Vollkommen allein?

 

Luft, eigentlich mein absolutes Lieblingselement. Vielleicht hat es etwas damit zu tun, dass ich als Fledermaus gerne in der Luft herumfliege. Auch schon, als ich noch glaubte Jenny zu sein, mochte ich das Fliegen. Allerdings eher in Flugzeugen, obwohl wir uns das nie leisten konnten. Träumen kann man schließlich.      Doch jetzt schien sich die Luft eher als mein absolutes Hasselement zu entpuppen. Zwar war ich in der Luft, doch fliegen tat ich nicht. Dazu war ich auch noch mutterseelend allein. Irgendetwas sagte mir, dass das alles sogar noch halb so schlimm war. Die wahre Gefahr würde sicher noch auf mich warten. Das tat sie schließlich jedes Mal… bislang bei jedem Element.     

Los, Alea! Beweg dich endlich! Desto schneller bist du von hier weg, sagte ich mir selbst und setzte mich in Bewegung. Ich ging eine ganze Weile über die Wolken (ich weiß, wie komisch das klingt), ohne dass irgendetwas passierte. Bis sich plötzlich ein Luftschloss vor meinen Augen auftat. Okay, da werde ich ganz sicher nicht rein gehen. Das riecht doch schon nach Gefahr.     

Doch leider musste ich schnell feststellen, dass mir keine Wahl blieb. Wollte ich den Weg an der Seite des Schlosses entlang einschlagen, drückte mich der Wind dreist zurück. Ich hielt kurz inne, um aufzustöhnen. Dann eben nicht – und ich öffnete die Tür zum Eingang des Schlosses. Hm… eigenartig. Irgendwie hatte das Schloss große Ähnlichkeit mit unserem. Ob das wohl ein Zufall war?     

»Natürlich ist das kein Zufall!«, ertönte plötzlich eine Stimme. Oh Gott, konnte die etwa meine Gedanken lesen? »So ein Quatsch! Ich weiß nur was du denkst, weil ich du bin. Dein zukünftiges Ich.« Mein zukünftiges Ich? Okay, das wurde mir jetzt langsam aber sicher zu viel.     

»Du fragst dich jetzt sicher, was ich hier mache.« Richtig geraten. Man war ich schlau. Aus der Ecke trat jetzt langsam eine Gestalt hervor, die jedoch vollkommen in schwarzen Tüchern eingemummt war. Das wirkte irgendwie unheimlich.     

»Ich wäre sicher nicht hier, wenn du deine Zukunft besser auf die Reihe bekommen hättest. Das hier ist das Element Luft. Angeblich dein Lieblingselement? Aber rate mal, Luft bedeutet auch Freiheit und loslassen. Es scheint mir, dass du zu sehr von der Luft träumst, es aber nie umsetzen wirst. Wie die gefakte Jenny, die immer fliegen wollte, es aber nie konnte.« Sie machte eine kurze Pause und fuhr schließlich fort: »Deshalb bist du jetzt alleine hier eingesperrt, weil du die einzige bist, die es nicht hinbekommt.«     

»Was mache ich denn so falsch?«, fragte ich nun einfach mal. »Du sollst Vellance Freiheit bieten, doch es scheint mir, dass du diese Mission nicht mehr richtig hinbekommst. Selbst Ali könnte es inzwischen besser.« »Aber doch nur, weil ich meine Erinnerungen verloren habe. Wenn ich sie wieder bekomme-« »Guck, ich sag doch, du verbockst alles. Ich weiß, dass du weißt, dass ihr hier eingesperrt seid. Und ich weiß auch, dass ihr auf Daniels Falle reingefallen seid. Deine Erinnerungen wirst du niemals zurückerlangen. Der Grund, warum du niemals die Luft und ihre Freiheit erlangen wirst.«     

»Nein, ich werde meine Erinnerungen irgendwann zurück bekommen!«, rief ich… leider etwas unsicher und kleinlaut. »Pah, das ich nicht lache. Ich bin dein zukünftiges Ich. Wenn es jemand wissen sollte, ob du es hin bekommen wirst, dann ich. Und es sieht nicht gut aus.«     

»Und was soll jetzt passieren? Willst du mich für immer hier oben gefangen halten? Dann kann unsere Zukunft ja auch nicht rosig werden.« »Nein, ich möchte uns nur das Leiden ersparen. Ein Leben der Gefangenschaft ohne zu wissen, wer man wirklich ist, ist kein Leben.« »Was… was willst du mir damit sagen?«, stotterte ich nervös.     

»Ich werde uns leider töten müssen. Ich schätze, nur so können wir endlich die Freiheit bekommen, die wir verdient hätten.« Nein, ich wollte jetzt noch nicht sterben! Schnell drehte ich mich von meinem schwarzen Ich weg und rannte was das Zeug hellte.       

Meinem schwarzen Ich… warum um Himmels Willen hatte sich mein zukünftiges Ich in schwarze Tücher eingemümmelt? Schämte ich mich etwa für mein späteres Aussehen? Nein, das…      Aber natürlich! Plötzlich kam mir ein Gedanke: Ich konnte ihr Gesicht nicht erkennen, weil die Zukunft immer ungewiss war. Man konnte sie immer ändern!     

Verdammt, wie sollte ich nur aus diesem verdammten Schloss herauskommen? Es gab keinen Ausgang, nur den Eingang aus dem ich gekommen war. Doch der Wind ließ mich ja bekanntlich nicht außen herum… eine echte Zwickmühle.       

Denk nach, Alea… du bist doch nicht dumm. Nein, das war ich nicht. Mir war die Lösung für mein Problem eigentlich auch schon lange klar gewesen… die einzige Lösung. Nur leider war die Aufstellung dieses Planes leichter als seine Durchführung. Vielleicht hatte ich ja zu viele Actionfilme geguckt, doch meines Erachtens war es die einzige Möglichkeit das Schloss in die Luft zu jagen. Bum, mit Feuer und Explosion!     

Doch das ging nur mit Magie und nicht dieses bisschen Feences Magie, was ich hatte. Dazu brauchte ich natürlich Casses Magie…     

Während ich weiterhin durchs Schloss stürmte, um vor meinem anderen Ich zu fliehen, überlegte ich mir, dass jetzt wohl der beste Moment wäre, wieder Casses Magie zu entwickeln. Komm schon, Alea! Du hast es einmal geschafft. Du schaffst es auch ein zweites Mal. Wenigstens ein bisschen… wie Ali.     

Angestrengt dachte ich an meinen Besuch bei den Casses und daran, wie dieses Schloss nur so explodierte. Doch nichts rührte sich. Was mache ich anders als früher? Was nur? Vielleicht kenne ich die Casses einfach noch nicht lange genug. Ali war zwar auch nur einmal bei den Casses, aber zumindest wusste sie ihr ganzes Leben lang, dass sie existierten. Das konnte man von mir nicht behaupten.     

Plötzlich schrie irgendwas in mir: Deine Träume, Alea! Das sind Erinnerungen. Ja, das wusste ich bereits. Danke für die Weisheit. Nein, du Dummchen. Du sollst sie benutzen! Aber natürlich. Ich hatte bereits zwei Träume gehabt, die mir eine Begegnung mit den Casses zeigten. Einmal den mit Jared und den Steinen und den mit Daniel im Schloss auf der Feier.     

Ich stellte mir diese beiden Träume noch mal so gut wie möglich vor meinen Augen vor. Ich versuchte mir vorzustellen, wie es mir wohl in dieser Situation ergangen ist und dachte an die Explosion des Schlosses. Ich spürte, wie das Schloss ein wenig zu wackeln begann, doch ich wusste schon gleich, dass es nicht reichte. Eigentlich wäre ich in dieser Situation jetzt verzweifelt und hätte aufgegeben. Allerdings merkte ich, wie mein Grusel-ich immer näher kam.     

Und somit dachte ich einfach noch an eine weitere Sache. Keine Ahnung warum. Es kam einfach über mich. Ich dachte daran, wie Daniel uns verraten hatte. Wie er einen so netten und lieben Eindruck gemacht hatte, allerdings die ganze Zeit geschauspielert hatte… denn er kannte mich! Er kannte mich die ganze Zeit über!        Auch wenn mir klar war, dass Ali das Schloss sicher besser um Einsturz gebracht hätte, in diesem Moment schien es wirklich zu bröckeln… an den Wänden und am Boden. Ich glaube ich war noch nie so erleichtert gewesen, aus unzähligen Metern in die Tiefe zu stürzen.

Tag 8 | Wieso immer ich?

 

Ich hätte mir wahrscheinlich einige Rippen gebrochen, wenn Daniel nicht kurz vor meinem Aufprall für einige Sekunden die Zeit angehalten hätte. Die Zeit angehalten hätte… sowas konnte echt nur von den Casses kommen, denn ich war mir sogar ziemlich sicher, dass das nicht den Regeln entsprechen würde.     

Trotzdem hatte er mir unangenehme Schmerzen, die als Vampir zwar schnell heilen würden, aber immer noch unangenehm waren, erspart. »Danke«, murmelte ich somit. »Nicht dafür«, antwortete er, während ich mich langsam vom Boden aufrappelte.     

»Wo ward ihr denn alle bloß?«, fragte ich in die Runde. Jayden starrte mich entgeistert an. »Wo wir waren? Alea, du warst diejenige, die einfach nicht wieder auf den Boden kommen wollte. Ich habe mir schon voll die Sorgen gemacht.«     

»Wie jetzt? Und ihr seid da oben auf keinerlei Gefahren gestoßen?« Das konnte doch nicht sein! Wieso immer ich? Als wäre ich nicht schon genug mit der Tatsache bestraft, dass ich keinerlei Erinnerungen an meine Vergangenheit hatte. »Nein, das kam uns schon irgendwie komisch vor. Allerdings sahen wir genug Gefahr daran, dass du noch nicht zurückgekehrt bist«, meinte Max.     

»Was ist dir da oben eigentlich passiert? Wie konntest du so lange da oben bleiben?«, fragte mich Ali. »Keine Ahnung, irgendwie hat der Wind von unten so gedrückt, dass ich zwar nicht mehr durch die Gegend flog, allerdings auch nicht runter konnte. Irgendwann, während ich so durch die Wolken lief, kam ich an einem Luftschloss an. Da drin war es ja mal total creepy. Vieles habe ich selber nicht ganz verstanden. Am Ende sah es dann jedenfalls so aus, dass mein zukünftiges Ich mich töten wollte.«     

Alle schauten mich total verdattert an, als hätte ich mir zu hart den Kopf gestoßen. Ich wusste ja selber, dass sich das verrückt anhörte. »Dein zukünftiges Ich?«, harkte Daniel nach, als ich ganz vergaß weiterzuerzählen. »Ja. Aber kurz und knapp: Ich habe die Bude da oben am Ende in die Luft gejagt. So konnte ich entkommen.«     

»Du hast was?«, fragte Ali entgeistert.     

»Wie hast du das bitte geschafft?«, fragte mich Jamie. Jetzt grinste ich über beide Backen. »Ich habe angefangen wieder Casses Magie zu entwickeln!« Plötzlich kreischte Ali auf, lief auf mich zu und drückte mich fest an sich. »Das ist ja fantastisch! Zeig her, Alea!« »Ich muss dich aber vorwarnen. Sie ist irgendwie noch nicht so stark wie sie eigentlich sein sollte.«     

»Egal. Besser als nichts. Nun mach schon und setz den Baum dahinten in Brand.« Ich nickte und dachte wieder an exakt dieselben Sachen, wie auch oben im Schloss… und natürlich daran, wie dieser Baum Flammen fing. Doch dieses Mal… passierte nichts. »Was zur Hölle…?«, setzte ich an. »Warum geht das nicht? Ich mache doch nichts anders als da oben!«     

Mein Bruder musste Mal wieder den Klugscheißer raushängen lassen: »Das kommt dir vielleicht so vor, aber in Notfallsituation reagieren wir oft anders. Vielleicht nicht vom Kopf her, aber zumindest fühlen wir uns anders.« »So ein Mist. Ich dachte eigentlich, meine Fähigkeiten würden jetzt eher stärker werden anstatt schwächer.«      Jamie schaute die ganze Zeit nur verwirrt zwischen uns hin und her. »Ich komm bei euch irgendwie nicht mit. Sucht Alea etwa immer noch ihre Fähigkeiten? Warum geht sie dann nicht einfach wie normale Vampire zu Schulen, die einem dabei helfen.«     

»Weil Alea das alles schon gemacht hat und würde an dieser Stelle wenig Sinn machen. Denn Alea sucht sich nicht mehr selbst und nachdem was sie ausmacht. Das hat sie bereits herausgefunden und hat Fähigkeiten entwickelt. Es bringt nur was, wenn sich Alea wieder erinnert… und genau das haben wir mit dieser Reise vor«, erklärte Max.     

»Sie hat ihre Erinnerung verloren? Wie kann denn sowas passieren?«, fragte Jamie. »Wie so was passieren kann?«, entgegnete Jayden wütend. »Natürlich wegen euch Casses. Es wurde ein mächtiger Stein eingesetzt, der ihr ihre Erinnerungen nahm.«     

Darauf antwortete Jamie nichts mehr und sagte nur: »Ihr seid ein komischer Haufen, wisst ihr das? Sie besitzt Casses Magie und sie besaß Casses Magie, konnte sie aber kurzzeitig zurückgelangen?!«, dabei zeigte Jamie erst auf Ali und dann auf mich. »Und ich dachte immer, ich wäre die einzige Verrückte auf dieser Welt mit meiner komischen Magie.« Und ich dachte immer, ich wäre ein Mensch namens Jenny aus New York. Anscheinend konnten wir uns alle mal täuschen.     

»Wie sieht es aus? Wollen wir unser Lager errichten? Das Element Feuer schaffen wir bis Sonnenaufgang eh nicht mehr«, schlug Jayden vor. »Ja, finde ich auch«, warf ich ein.     

Während wir mühsam unsere Zelte aufbauten, zauberte die glückliche Jamie ihres einfach herbei. »Könntest du uns nicht auch gleich eins mitbringen?«, fragte ich, während ich schweißgebadet von meinem Zelt aufschaute. Ich kann einfach kein Zelt aufbauen! Leider waren Ali und Daniel auch nicht viel besser darin. Zum Glück war Jayden Gentleman genug, dass er uns auch mal unter die Arme griff. »Tut mir leid, aber ich habe nur eins. Wir Casses sind ja bekanntlich nicht so reich wie ihr Feences.« Ganz klasse.     

Den Rest der Nacht verbrachte ich mit Ali vor dem Lagerfeuer. Wir erzählten uns dies und das, aber nichts Besonderes. Das Thema Daniel wollte sie anscheinend ganz bewusst meiden. Darüber war ich ehrlichgesagt erleichtert. Max und Jayden spielten im Zelt Karten, die Max von Zuhause mit eingepackt hatte.     

Und Jamie suchte den Kontakt zu Daniel, was mich kaum wunderte. So funktionierte es nun Mal in Vellance: Die Casses und Feences blieben immer unter sich und bekamen kaum etwas von dem anderen Clan mit. Wahrscheinlich auch der Grund, warum sie sich untereinander nicht kannten. Feences konnten kaum verstehen, wie es war unter schlechten Verhältnissen zu leben. Ich wusste es ja auch nur, weil meine Erinnerungen manipuliert wurden. Ja, und deshalb war Alis und Jamies (und meine frühere) Magie auch komisch. Weil die Feences und die Casses kaum noch in Kontakt traten.     

»Vertraust du der neuen?«, fragte mich Ali plötzlich. »Glaub schon, du?« Bis jetzt hatte ich ja noch keine Träume von ihr gehabt. Gut so. »Keine Ahnung. Ich vertraue generell eigentlich keinen. Ich lasse kaum Leute an mich heran. Das hat Vorteile. Dann kann man nicht enttäuscht werden.« »Vertraust du denn mir?«     

»Ja, du bist die Ausnahme«, sagte sie und grinste. »Deswegen sind wir ja auch beste Freunde.« »Ach, das ist mir ja was ganz neues«, sagte ich und grinste zurück. Sie hatte mir gefühlte tausend Mal erklärt, dass ich ihre beste Freundin war, als ich meine Erinnerungen verloren hatte. »Ich will nur nicht, dass du es vergisst.« »Das könnte ich glaube ich nie vergessen.« Okay, ich hatte es vergessen. Ich bin davon ausgegangen, dass Julie meine beste Freundin sei. Aber die hatte ich eigentlich schon ganz vergessen. Ich mochte Ali als beste Freundin viel lieber.

Tag 9 | Das Ende?

 

Aufwachen, Alea! Wir müssen doch rechtzeitig aufbrechen für das letzte Element«, weckte mich Alis Stimme aus meinen Träumen. Ach, genau. Das letzte Element, das doch nicht das letzte war, laut Jamie. Aber Ali schien trotzdem noch guter Hoffnung zu sein.     

Am liebsten hätte ich mich einfach umgedreht und wäre weitergeschlafen. Aber das ging natürlich nicht. Verdammt, manchmal vermisste ich mein falsches Leben echt. Es war nicht so anstrengend. »Gib mir nur noch ein paar Sekunden, bitte.« »In fünf Minuten bist du angezogen und draußen, Alea. Wir warten schon alle draußen auf dich.« Verdammt, alle waren schon auf den Beinen? Grrrrrr….     

Ich entschied mich für das schlichte schwarze Oberteil mit der blauen Jeans. Etwas Besseres hätte ich auch nicht gehabt. Die Kleider warteten schließlich alle Zuhause auf mich. Bis mir plötzlich einfiel, dass heute Feuer dran ist. Schwarz war da vielleicht nicht so vorteilhaft. Auch wenn es wahrscheinlich egal gewesen wäre, zog ich mir doch das blaue Karohemd an.     

»Wenn dann jetzt auch unsere kleine Schlafmütze wach ist, können wir dann?«, fragte Jayden und grinste mir zu. Haha, sehr witzig. »Ja, wenn Jayden das Zelt eingepackt hat.« »Als wenn abbauen so schwer wäre…« »Das nicht. Du machst es nur trotzdem besser.«     

Da Jayden nun mal Jayden war fackelte er nicht lange und packte das Zelt wieder in den Rucksack. »So, meine Damen und Herren. Hier habt ihr gerade einen Profi bei der Arbeit gesehen.« Grinsend nahm ich ihm meine Tasche ab und dann setzten wir uns in Bewegung.     

Dieses Mal wurden wir nicht schonend auf das Element vorbereitet. Es wurde nicht wärmer oder sonst was. Wir gingen ganz sinnlich auf brachen Untergrund, als plötzlich eine Feuerfontäne durch den Boden schoss. Zwar ein Stück von mir entfernt, doch natürlich sprühte das Feuer auch einige Meter Funken. Mit weichen Knien entfernte ich mich so weit wie nur irgend möglich von der Feuerfontäne.     

»Das gefällt mir hier gar nicht«, murmelte Jamie vor sich hin. Da war sie sicher nicht die einzige. Der ganze Kreis der Elemente war Käse. Ich machte mir jetzt ständig Sorgen, dass die Feuerfontäne noch mal ausbrechen würde, nur dieses Mal direkt unter mir.     

Doch wie es aussah, brauchte ich mir darüber keine Sorgen machen. Jedenfalls nicht um eine neue Fontäne. Die alte allerdings umso mehr, denn diese zischte nun an uns vorbei anstatt weiterhin harmlos in die Luft zu funken. Reflexartig sprang ich zur Seite, wobei ich Daniel voll auf die Füße trampelte. »Was ist das?«, fragte ich ängstlich in die Runde, doch bekam natürlich keine Antwort, weil niemand die Antwort kannte.      Nicht nur, dass das Feuer vollkommen wild durch die Gegend irrte. Es schien sich jetzt auch zu verformen. Die längliche Gestalt verschwand und das Feuer türmte sich auf.     

»Okay, das ist mir langsam aber sicher nicht mehr geheuer«, sagte Max. »Wir sollten schnell von hier verschwinden.« Vorher hatten wir auch schon einen zügigen Schritt drauf gehabt, doch jetzt fingen wir richtig an zu rennen.     

Ich bemerkte schnell, dass das nichts brachte. Die Feuergestallt hatte uns bereits eingeholt. Als ich das Feuer jetzt genauer betrachtete, traute ich meinen Augen nicht. »Ist das… ist das… hat das Feuer die Form eines Hundes?« Ali und Jamie, die vorweg liefen, drehten sich jetzt auch zum Feuer um, um es genauer zu begucken. »Ja, irgendwie hat es schon eine gewisse Ähnlichkeit mit einem Hund«, stellte auch Jamie fest.      Kaum hatte sie dies gesagt, ertönte etwas, das ähnlich wie ein Bellen, gemischt mit einem Knurren, klang. Das wurde mir jetzt echt zu viel. »Ali, Daniel oder Jamie? Jetzt wäre der richtige Zeitpunkt, um das Feuer mit eurer Magie zu löschen«, schlug ich hitzig vor. »Wie oft noch: Casses können kein Feuer löschen, weil das nicht gegen die Regeln verstößt«, entgegnete Daniel. Ja, das Ganze war immer noch etwas ungewohnt für mich.      »Dann Jamie? Du kannst doch Feences Magie einsetzen ohne mit Nebenwirkungen zu rechnen.« Ohne zu zögern schickte Jamie einen Wasserstrahl auf die Feuerhunde zu. Zunächst dachte ich, es wäre tatsächlich gelöscht. Feuer konnte ich nicht mehr sehen, doch dann erklang wieder dieses grausame Knurren und das Feuer entfachte erneut. Jamie hatte anscheinend damit gerechnet: »Dachte ich mir schon fast. Die werden wir so schnell nicht los.« »Hört sich fast so an, als würdest du aus Erfahrung reden«, fand ich. »Ja, ich war schon mal hier«, sagte Jamie mit gesenktem Blick. Ihre Stimme klang überhaupt nicht mehr fröhlich.     

»Wie wird man diese Dinger denn los?« »Gar nicht. Sie verfolgen dich, bis sie das bekommen haben, was sie wollen.« »Und was wäre das?«, harkte ich nach. »Eine Seele. Sie brauchen eine Seele.«     

Eine angespannte Stille entstand. Eine Seele? Ich verstand nicht ganz. »Wenn sie eine Seele brauchten, wie kannst du dann hier sein?« »Weil sie leider nicht meine Seele genommen haben, sondern die meiner Freundin Cassie.« »Und deine Freundin Cassie…?« Glücklicherweise beendete Jamie den Satz für mich. »Sie ist jetzt tot, ja. Sie kam um mir zu helfen. Ich hätte an ihrer Stelle sein müssen.«     

Ich konnte Jamies Worte so gut nachvollziehen. Sie alle riskierten mit dieser Reise ihr Leben für mich. Das konnte ich einfach nicht zulassen. Okay, Alea. Dieser Hund brauchte eine Seele. Sonst würde er nicht mehr verschwinden. Einer von uns müsste sterben. Da wir nur wegen mir überhaupt hier waren, wäre es nur fair, wenn ich das sein würde. Ich musste schlucken. Das war dann wohl wirklich das Ende.     

Nachdem ich noch einmal tief durchgeatmet hatte, näherte ich mich vorsichtig dem Monster. Sein Hals (oder was immer das auch sein sollte) drehte er, als er mich bemerkte. Vielleicht täuschte ich mich ja auch, aber ich konnte meinen, dass er wirklich lächelte, als ihm klar wurde, dass ich mich als Opfer darbot.      Während nun auch er auf mich zu schlängelte, hörte ich noch wie so gut wie jeder um mich etwas rief wie: Spinnst du, Alea? Nein, tu es nicht! Doch mit diesen Worten hatte ich gerechnet und die ließen mich auch nicht umstimmen.     

Womit ich allerdings nicht gerechnet hatte, kurz bevor der Feuerhund mich erreicht hatte, wurde ich zur Seite geschupst und fiel auf den harten Boden. Ich nahm nur noch ein zufriedenes Knurren wahr. Anscheinend hatte der Feuerhund seine Seele bekommen und war verschwunden. Ich schrie auf, da es nicht meine Seele sein konnte.

Tag 9 | Weitermachen?

 

Es ging einfach nicht. Ich konnte meinen Kopf nicht mehr aufrichten und ruhte eine unendlich lange Zeit auf dem Erdboden. Die Tränen, die mir über die Wange liefen, wollten einfach nicht aufhören zu laufen. Obwohl ich nicht mal wusste, wer da neben mir lag, diese Person hatte sich für mich geopfert. Dabei hätte ich da liegen sollen… weil das ganze meine Angelegenheit war. Selbst wenn da jetzt Daniel liegen würde, der ja eigentlich auch die ganze Schuld an dieser Sache trägt, wäre es genauso schlimm. Das hätte nämlich bewiesen, dass ich einen falschen Eindruck von ihm gehabt hätte.     

Am Anfang hatte ich auf noch die Schluchzer der anderen gehört. Aber irgendwann… ich hatte jegliches Zeitgefühl verloren… waren diese Geräusche verschwunden und man konnte hören, wie Zelte aufgestellt wurden. Obwohl ich aufgrund meiner tränengefüllten Augen alles nur verschwommen wahrnehmen konnte, schien es um mich herum langsam heller zu werden. Okay, ich musste hier wohl doch schon länger liegen als es mir vorkam.     

Plötzlich nahm ich eine leise Stimme an meinem Ohr wahr: »Ich weiß es ist schwer, Alea. Aber wir müssen jetzt nach vorne schauen. Wir wollen ihn beerdigen und ich fände es schön, wenn du ein paar Worte sagen könntest.« Es war Ali, die da zu mir sprach. Sie hatte ihre Hand auf meine Schulter gelegt, was mich zum Glück etwas beruhigte. Und ich wusste, dass sie Recht hatte. Mein Leben musste weitergehen. Ich konnte nicht für immer am Boden liegen bleiben.     

Trotzdem zögerte ich, während ich schluchzend antwortete: »Ich will … ich will nicht wissen wer es ist.« »Aber du musst es irgendwann sowieso erfahren.« Auch damit hatte sie wahrscheinlich Recht. Da sie von einem er gesprochen hatte, musste ich mich wohl auf Max, Jayden oder Daniel einstellen.     

»Ich weiß es ist schwer, aber du warst nie der Typ, der einfach aufgegeben hat, Alea«, ertönte plötzlich Max Stimme neben mir. Jayden oder Daniel also. Wieso nur musste ich diese grausige Vorahnung haben?      Auch wenn ich es nicht wollte, hob ich nun langsam meinen Kopf. Und ich musste erneut losheulen. »Ich habe es irgendwie schon tief in mir gewusst.« »Natürlich hast du das. Nur er wäre dazu in der Lage gewesen.«

Eigentlich wollte ich Jayden nicht an so einen schrecklichen Ort beerdigen. Allerdings hatten wir keine andere Wahl. Es war ja immer noch fragwürdig, ob wir diesen Ort je verlassen würden.     

Ali konnte mich schließlich doch noch dazu überreden, etwas zu sagen. Ich hatte Angst das Falsche zu sagen, weil mir doch die Erinnerungen an ihn fehlten. Doch als ich dann die Worte über meine Lippen brachte, wusste ich wieder tief in mir, dass es die richtigen waren: »An all die schönen Momente aus unserer Vergangenheit kann ich mich zwar nicht mehr erinnern, aber ich wusste schon ziemlich schnell, warum ich mich in dich verliebt habe. Bestimmt standen die Mädchen bei dir Schlange. Nicht weil du besonders viele Muskeln hattest, sondern besser… weil du mit deiner süßen Art einen unglaublich großherzigen Charakter hattest. Ich konnte mich sicher unglaublich glücklich schätzen, dass du mit jemanden wie mich zusammen sein wolltest.      Du warst in der Zeit, wo ich nicht mehr wusste, wer ich überhaupt war, immer für mich da. Du wolltest mir helfen meine Magie zurückzubekommen. Und ich weiß, dass auch ein Teil durch dich zurückgekommen ist. Du hast mir gesagt, dass ich immer die Schlauere in unserer Beziehung gewesen bin. Davon bin ich nicht überzeugt, denn sonst wären wir sicherlich nicht in dieser Lage. Trotzdem wolltest du mir nie etwas über dich erzählen. Aber am Ende hattest du Recht. Das brauchtest du gar nicht. Ich weiß inzwischen, dass du der selbstloseste Vampir und auch Mensch bist, den ich jemals kennengelernt habe.     

Du hast dich für mich geopfert… und obwohl dich das nun mal ausmacht… komme ich damit einfach nicht klar. Ich weiß nicht, wie ich mir je selbst verzeihen kann.« Mit einem Blick auf Max und Ali wusste ich, dass ich zu weit ging. Aber es war die Wahrheit und Jayden verdiente die Wahrheit. »Ich werde dich so unglaublich vermissen… auch wenn ich dich erst seit neun Tagen kenne.«

Den Rest konnte ich mir einfach nicht mehr mit ansehen. Ich drehte mich weg und rannte ein paar Meter weiter zu einem Felsen. Mit Händen vor meinen Augen hockte ich mich darauf.     

Irgendwann bemerkte ich, wie sich zwei Personen neben mich setzten. Ali und Max bestimmt. Ich richtete meinen Blick nach oben, doch ich hatte mich geirrt. Irgendwas stimmte mit diesem Tag nicht, denn aus der Ferne sah ich Daniel und Max, die sich zu unterhalten schienen. Und die zwei neben mir waren Ali und Jamie.      »Du darfst keine Schuldgefühle haben, Alea. Denn wenn du welche haben musst, dann ich erst recht. Und Schuldgefühle an diesem Ort sind nie gut, denn deine Laune ist auch ohne die schon ziemlich weit unten.« Sie machte eine kleine Pause und fuhr fort: »Du wolltest dich opfern, Alea, anders als ich. Nicht mal heute, wo ich wieder die Gelegenheit dazu hatte, zog ich es in Erwägung. Du hast nichts falsch gemacht, sondern ich.«      Ich wollte nicht, dass Jamie sich jetzt die Schuld gab, aber mir fiel aber auch nichts ein, was ich darauf erwidern könnte. Zum Glück übernahm Ali die Aufgabe für mich: »Ich hätte es auch nicht gemacht, Jamie. Was eigentlich auch gut ist, denn das bedeutet, dass du noch nicht bereit für den Tod bist. Du hast noch etwas, für das du weiterleben möchtest. Nicht das du mich falsch verstehst, Alea, auch du hattest sicher was, nur kannst du dich daran nicht mehr erinnern.«     

Ich musste schlucken. »Und was ist mit Jayden?« »Ich schätze, für ihn warst du das für was es sich zu leben lohnte.« Das hörte sich nicht gut an. Die Tränen ließen sich wieder an meinen Wangen blicken. »Aber was, wenn auch er für mich das war, für was es sich zu leben lohnte?« »Dann musst du etwas neues finden, Alea. So funktioniert das Leben. Wir machen weiter.« Irgendwas an ihrer Stimme sagte mir, dass sie aus Erfahrung sprach.     

»Du hast Recht. Man sollte immer weitermachen, auch wenn man etwas verliert, was einem alles bedeutet hat«, sagte Jamie. Ali und ich schauten sie fragend an, woraufhin sie lachend erklärte: »Mensch, ich bin hier seit mehreren Jahren gefangen. Natürlich hatte ich vorher auch ein Leben.«     

»Wie alt bist du eigentlich? Bist du verheiratet gewesen?« Bei Vampiren war das Alter ja bekanntlich ziemlich schwer abzuschätzen. »Nein, aber so gut wie. Und auch wenn ich mir nichts lieber wünsche als von hier zu verschwinden, habe ich davor mehr als alles andere Angst. Denn das würde bedeuten, dass ich wirklich mit meinem Leben weiter machen muss. Ich denke, dass ist schwieriger als es anfangs klingt. Aber du schaffst das… wir schaffen das.« Dabei bedachte sie mich mit einem Blick.     

Nur Sekunden später schüttelte sie aber heftig den Kopf. »Oh nein, nicht schon wieder. Ich dachte, das hätte ich hinter mir gelassen. Ich mache mir Hoffnungen, obwohl es keine gibt.« Während ich Max und Daniel beobachtete und Jamie in ihre traurigen Augen sah, entgegnete ich: »Ich schätze, nach dieser Nacht ist alles möglich.«  

Tag 10 | Geheimnisse?

 

Komisch. Sonst bin ich immer der Langschläfer«, murmelte ich, als ich das Zelt verließ und nur Daniel vorfand. Ich stöhnte und machte mich auf den Weg zu der Wasserstelle, um mir mein Gesicht zu waschen. Zugegeben, so merkwürdig war es gar nicht, dass ich jetzt schon wach war. Ich konnte nämlich überhaupt nicht schlafen, weil ich ständig Albträume von Jaydens Tod hatte.     

»Du schon wach?«, fragte mich jetzt auch Daniel von hinten. Toll, den Verräter konnte ich jetzt echt nicht gebrauchen. »Ja«, brummte ich nur. »Wie kommt’s?«, hakte er nach, was meine sowieso schon schlechte Morgenlaune noch etwas anstiegen ließ. Was geht ihn das was an?     

»Keine Ahnung, warum bist du denn wach?«     

»Albträume«, antwortete er. Ach, na dann Willkommen im Club, wollte ich beinahe sagen, doch ich ließ es. Dann würde er sicher nur unnötige Fragen stellen. Nein, jetzt war ich mal am Zug. »Was denn für Albträume?« »Ach, die üblichen…«, murmelte er nur. Okay, sollte mir ja egal sein, warum er tagsüber nicht schlafen konnte. Auch wenn es mich, zugegeben, schon interessiert hätte.     

Doch nach einer kurzen Gedenkpause fuhr er überraschender Weise fort: »Ich sehe mich jedes Mal in dieser Wiege liegen und vor mir diese große und dunkle Gestalt, die mir sagt, dass sie bald zurück kommt.«     

Bitte was? Verwirrt schaute ich ihn an. Diese Sorte von Traum konnte man sicher nicht ohne Erklärung verstehen. Zum Glück folgte die in Kürze: »Ich weiß nicht wer meine Mutter ist.« Okay, das wurde noch verwirrender. »Ich dachte, deine Mutter wäre tot.«     

»Ja, das stimmt auch. Aber ich weiß trotzdem nicht wer sie ist. Mein Vater hat mir nie ein Foto gezeigt. Auch sonst weiß ich nichts über sie, weil er nie über sie redet. Das einzige was ich weiß ist, dass sie starb. Ende. Mehr Infos lässt mein Vater nicht zu.«     

Klar, Daniel hatte uns verraten. Er kannte mich schon vorher und sollte Held für die Casses spielen und mich vernichten. Das war seine Aufgabe… das sagte die Zukunft. Aber war es nicht Jared, der diesen Stein nutze, um die Zukunft zu sehen? Wahrscheinlich wurde er von ihm zu dieser ganzen Sache gezwungen und jetzt war er selber an diesem Ort gefangen – laut Jamie. Toller Vater. Teilte einem nicht mal die Risiken einer Mission mit.      »Dein Vater scheint ein ziemlicher Idiot zu sein.« Daniel schaute mich jetzt entsetzt an. »Weil er mir nichts über meine Mutter erzählt? Aber das macht er doch nur, weil es ihm zu sehr weh tut über sie zu reden.« Irgendwie fing ich an auch das in Frage zu stellen.     

Mensch, wenn Daniel jetzt endlich zugeben würde, dass er mich schon vorher kannte, könnte ich ihn vielleicht wirklich sympathisch finden… aber so? Man konnte doch nicht so Abhängig von seinem Vater sein. Vielleicht macht er es ja doch gerne. Oder er muss es machen. Wie auch immer… Es war seine Aufgabe, so wie es meine Aufgabe war, die Casses zu vernichten. Wir hatten beide keine andere Wahl.     

Glücklicher Weise dauerte es nicht mehr allzu lange bis die anderen wach wurden. So lange mit dem, der quasi mein persönlicher Feind war, alleine zu verbringen, war etwas unbehaglich.

Der Weg durch die Elemente war glücklicherweise vorüber… bis es dann irgendwann wieder mit der Erde losging. Aber dazwischen sollte ja theoretisch noch der Stein sein. Bis jetzt hatte Daniel noch nicht dieses Überraschung-Gesicht aufgesetzt und es war alles nur eine Falle gesagt.     

Doch das konnte sich in nur wenigen Minuten ändern, denn wir kamen an einer Höhle an, in der die vermeintlichen Steine versteckt sein könnten. »Vielleicht … okay wahrscheinlich… ist das, was Alea ihre Erinnerungen wieder gibt, hier drin.« Ja, ja, Daniel. Diese Worte kannst du dir wirklich sparen.     

Als ich jedoch den Eingang passieren wollte, kam ich nicht weit, denn eine unsichtbare Mauer schien mir den Weg zu versperren. Wenn man genauer hin sah, dann konnte man erkennen, dass die Sicht dort ziemlich verschwommen war. Kurz nach meinem Zusammenstoß mit der unsichtbaren Mauer, erschien eine Schrift vor uns, die sagte: Diese Wand steht für Geheimnisse.     

»Hä? Was soll denn das jetzt?«, fragte ich in die Runde. »Also für mich ist das ziemlich einleuchtend«, meinte Jamie. »Wenn die Wand für Geheimnisse steht, bekommen wir sie nur weg, wenn wir ein Geheimnis vernichten.« Ein Geheimnis vernichten? Es nicht mehr länger ein Geheimnis sein lassen? Wow, das passte ja perfekt. Daniel wollte uns in eine Falle führen? Fein, aber ich würde den ersten Zug machen. »Daniel? Willst du uns nicht ein Geheimnis erzählen?«     

»Welches Geheimnis meinst du?«, fragte er mich und bedachte mich mit einem bösen Blick. Oh, er dachte, ich würde auf die Sache mit seiner Mutter anspielen. Dann musste ich eben etwas auf die Sprünge helfen. »Erzähl uns doch mal, wo wir beiden uns das erste Mal getroffen haben?«     

Jetzt schien er die Welt nicht mehr zu verstehen. Ja, ja, ja. Stell dich ruhig doof, aber diese magische Wand wird all deine tiefsten Gedanken kennen. Die kannst du, anders als uns, nicht belügen. Er versuchte es aber anscheinend trotzdem: »Ich weiß nicht was du meinst. Das ist doch kein Geheimnis. Wir haben uns das erste Mal in der Bar meines Vaters getroffen.« Ha, Lüge! Lüge! Diese Wand würde sich keinen Millimeter auflösen… Sie würde fest-     

Moment mal, das kann doch nicht wahr sein! Hier muss ein Fehler vorliegen. Denn die verschwommene Sicht schien nun langsam kristallklar zu werden. Max war der Erste, der testete, ob der Weg wirklich frei war. Und tatsächlich. »Hä? Das war doch kein Geheimnis. Warum ist die Mauer trotzdem weg?«, wunderte sich auch Max.     

»Weil es für mich sehr wohl ein Geheimnis war. Ich habe nämlich Träume, laut denen Daniel und ich uns schon vorher kannten.« »Dann müssen diese Träume lügen«, meinte Daniel. Ja, das wäre jetzt wohl das einzige, was Sinn machen würde. Dass auch meine Träume manipuliert wurden.     

»Aber wenn dieser Traum eine Lüge war, warum sind die restlichen dann wahr? Zum Beispiel der von König Lian und unseren Eltern?« Ich konnte es immer noch nicht richtig fassen. Ich kannte Daniel wirklich nicht vorher? Aber… es hat vorher alles so gut Sinn gemacht. Jareds Anspannung in der Bar… einfach alles! Jetzt waren meine mühsam erarbeiteten Gedankengänge wieder Käse. Himmel, ich will mich doch einfach nur an meine Vergangenheit erinnern!     

»Egal, Alea. Es hat funktioniert. Wir können in die Höhle – zu den Steinen. Bald wirst du die Wahrheit kennen«, sagte Ali… und sie hatte vielleicht Recht. Wenn Daniel mich wirklich nicht kannte… und das keine Falle war, vielleicht warteten da drin wirklich meine verlorengegangenen Erinnerungen auf mich.

Tag 10 | Zwei?

 Das. War. Der. Moment. Große Enttäuschung? Oder würden die ganzen Fragen über meine Vergangenheit in meinem Kopf endlich ein Ende nehmen? Ich hoffte immer noch auf letzteres. Zur Abwechslung konnten positive Nachrichten sicher nicht verkehrt sein.     

»Ja, das ist echt der perfekte Ort, um Dinge zu verstecken«, meinte Max. Oder um Menschen zu verstecken. Vielleicht würden wir hier nie wieder herauskommen. Ja, ich hatte schon wieder pessimistische Gedanken. Aber wer konnte mir das übel nehmen? Es war ja nicht so, als wenn die Ereignisse der letzten Tage mich anders denken ließen.     

Die Höhle war von innen kleiner als sie von außen gewirkt hatte. Hm… sonst war es ja meistens anders herum. Wir befanden uns nämlich in einer Sackgasse. Hier gab es nur diesen einen Hohlraum, der auch nicht besonders groß war. Vielleicht vergleichbar mit der Größe meines Zimmers.     

In der Mitte des Raumes stand ein Podest, auf dem etwas zu liegen schien. Etwa der Stein? Das wäre ja zu schön zum wahr zu sein. Voller Hoffnung ging ich schnellen Schrittes auf das Podest zu. Tatsächlich! Angekommen, erblickte ich den mir vertrauten braunen Stein, der rund war und nach unten spitz zu lief. Doch das war nicht das einzige was ich dort sah. Daneben lag ein Stein, der dieselbe Form hatte, nur war er gelb statt braun. Mit etwas Fantasie sahen sie, wenn sie da so nebeneinander lagen, fast wie ein Herz aus.      »Warum liegen da zwei Steine?«, fragte ich Ali, weil ich mir vorstellen konnte, dass sie von den anwesenden hier, die meiste Ahnung hatte. »Eigentlich sind zwei Steine ziemlich logisch. Man braucht zwei Steine, wenn damit wirklich deine Erinnerungen genommen wurden. Ich konnte es mir nur nie vorstellen. Wie sollten die Casses auch den gelben Stein in die Finger bekommen? Die liegen sicher verwahrt im Schloss. Gruselig… aber sie haben es wohl wirklich irgendwie geschafft.«     

»Aber welcher davon gibt mir nun meine Erinnerungen zurück?«, fragte ich ahnungslos. Ali hatte sich anscheinend schon vor langer Zeit bestens informiert: »Der gelbe natürlich. Gelb steht für die Feences, braun für die Casses.« »Aber warum ist dann der braune hier?«, fragte ich, was ich gleich daraufhin bereute. Auch er war hier versteckt, weil es der letzte Stein war, der von den Casses noch übrig war. Der, der verstört werden musste, um die Casses zu verstören.     

»Überleg mal, Alea. Er wird hier versteckt, weil er ziemlich selten ist. Aber ich denke, die beiden Steine gehören irgendwie zusammen. Damit du deine Erinnerungen also vollständig zurückbekommst, solltest du hinterher auch diesen zerstören.« Natürlich hatte es nichts mit meinen Erinnerungen zu tun, aber Ali sagte es, weil hier immerhin zwei Casses anwesend waren. Ich nickte nur.     

»Willst du beide zerstören, Ali? Ich schätze deine Fähigkeiten sind stark genug. Du schaffst das bestimmt«, ermutigte ich sie. Ali war in den letzten Tagen eine viel bessere Vampirprinzessin als ich gewesen. Sie hatte es eigentlich verdient.     

»Nein, Alea. Ich zerstöre den gelben Stein und du den braunen. So ist es vorhergesehen, so wird es gemacht. Du bist die Prinzessin.« Ali erntete daraufhin irritierte Blicke von Daniel und Jamie. Da fiel mir auf, dass Ali Daniel heute noch keinen Blick gewürdigt hatte. Sonst beobachtete sie ihn ständig. Hatte sie etwa einen Grund, warum sie diesen braunen Stein nicht zerstören will? Hatte sie etwa Gefühle für Daniel entwickelt?! Oh Gott, aber dann könnte ich es doch auch nicht tun, oder? Die Person töten, die meine Freundin liebte? Aber es war doch meine Bestimmung… und es war das Richtige.     

»Sollen wir uns vielleicht noch mal vorher unterhalten, bevor ich den braunen Stein zerstöre?« »Es gibt nichts zu bereden. Tu’s einfach.« »Okay, aber du musst anfangen. Schon vergessen?« Ali blinzelte einmal heftig, als hätte ich sie gerade aus tiefe Gedanken gerissen. »Ja, stimmt.«     

Ali hob den gelben Stein von dem Podest und hielt ihn fest in ihren Händen. Zur Konzentration fing sie an ihre Augen zu schließen, bis schließlich der Stein in ihren Händen zu Staub zerfiel. Und wie der Stein zerfiel, so zerfiel auch ich und meine falschen Erinnerungen – und sackte zu Boden.

Ich konnte mich an mein falsches Leben als sogenannter Mensch gar nicht mehr erinnern. Es war, als hätte ich meine Erinnerungen nie verloren. Doch ich musste sie verloren haben, jedenfalls hatte ich das zu allen Personen um mich gesagt. Und daran konnte ich mich wiederrum erinnern. Doch diese unwichtigen Gedanken verdrängte mein Kopf jetzt erst mal nach ganz hinten. Ich hatte jetzt echt größere Probleme. Das einzige, was mein Gehirn in dieser Situation hervorbrachte war: Oh – mein – Gott! Das konnte doch alles nicht wahr sein.      »Alea? Der braune Stein?« Alles in mir war sprachlos. Meine Gedanken, und meine Stimme erst recht. Schnell nahm ich den braunen Stein von dem Podest und steckte ihn in meine Hosentasche. »Alea?!«, fragte mich Ali verärgert. Um Gottes Willen. Verärgert zog ich Ali zu mir. Während wir eng beieinander die Höhle verließen, fand ich meine Stimme wieder: »Ist ja gut. Ich werde diesen Stein schon noch zerstören. Aber vorerst… das konnte ich eben natürlich nicht laut sagen … werde ich Jared eigenhändig töten.«

Nacht 10 | Zurück zum verdammten Normal!

 [erzählt von Alissa Lester]

 

Sie wollte Jared also eigenhändig töten. Aha, eigentlich verständlich, immerhin hatte er ihr ihre Erinnerungen genommen. Wir wollten die Casses ja sowieso vernichten. Trotzdem zog sich mein Magen bei diesem Gedanken zusammen. Verdammt, Ali. Hatten wir das nicht schon? Vergiss endlich diese verdammten Casses.     

Alea hatte den ganzen Weg nach draußen kein einziges Wort mehr gesagt. Sollte man nach so einem Ereignis nicht eigentlich viel zu erzählen haben? Ach, quatsch. Das vor dir ist doch die alte Alea. Die mit den Geheimnissen, so verschlossen wie ein Buch.     

Als wir die Höhle verlassen hatten, bemerkte ich warum Alea nichts gesagt hatte. Ihr ganzes Gesicht war total nass und ihre Augen waren mehr als nur gerötet. »Alea? Alles okay?«, fragte ich vorsichtig. »Ob alles okay ist?«, fragte mich Alea stocksauer. Wow, so sauer hatte ich sie ja noch nie erlebt! Ich wich sofort von ihr ab. »Natürlich nicht! Jayden ist tot, Ali! Weil mein neues supertolles Ich meinte, es wäre schlau euch alle zu meiner Mission mitzunehmen.« Oh, anscheinend musste Alea, mit dem Erlangen ihrer Erinnerungen, durch ihre Trauerphase erneut durch. Wenn ich sie mir jetzt aber so anguckte, war es jetzt noch tausend Mal schlimmer. Klar, du Idiot! Diese Alea kannte Jayden ja auch viel länger. Obwohl es so lange zurückliegt… diese perfekte Liebe bricht mir immer noch jedes Mal das Herz. Stopp jetzt! Jayden ist tot! Nichts ist perfekt! Auch wenn Alea und Jayden das Traumpaar waren.     

Ich unterdrückte die Tränen, die sich auch aus meinen Augen heranbahnen wollten. »Es tut mir leid.« »Ich möchte zu ihm. Ich muss noch mal mit ihm reden.« Letzte Worte an Jayden? Klar, das war doch normal. Doch irgendwas an ihren Worten ließ mich skeptisch werden. »Klar, geh nur.« Sie hatte sich schon abgewandt und bemerkte nicht, dass ich ihr heimlich folgte.     

Während ich mich hinter einen Busch ganz in der Nähe gehockt hatte, beobachtete ich Alea, wie sie sich an Jaydens Grabstelle stellte. »Ich bin nicht hier um mich dafür zu bedanken, dass du mir das Leben gerettet hast. Ich weiß, dass du das nicht zugelassen hättest, denn es wäre für dich selbstverständlich. Aber das ist es nicht, Jayden. Du verdienst jemand besseren als mich. All diese Mädchen, die gerne meinen Platz eingenommen hätten, die hättest du nehmen sollen. Aber du hast mich gewählt, schon immer. Ich habe nie verstanden, warum. Anscheinend musstest du mich wahnsinnig geliebt haben.«       

Sie machte eine kurze Pause, um zu schluchzen. »Ich wünschte, du hättest ein Mädchen gefunden, dass du so sehr wie mich geliebt hättest. Dabei hättest du das vielleicht… wenn ich dir die Wahrheit gesagt hätte. Denn mit der Wahrheit hättest du mich auf jeden Fall gehasst. So sehr, dass du bereit für neue Liebe wärst. Ich schätze, ich war so egoistisch, dass ich nicht wollte, dass du ein anderes Mädchen mehr als mich lieben würdest. Aber du hättest es verdient, so wie du die Wahrheit verdient hättest.«       

Ihr Weinen wurde noch stärker, sodass ich sie nur noch mit Mühe verstehen konnte. »Ich wollte es… ich hätte es schon noch… aber dann war es zu spät… es tut mir ja so leid, Jayden. Ich bin deshalb gekommen, um mich bei dir zu entschuldigen. Es tut mir leid, dass ich der Grund bin, warum du nicht das Leben leben konntest, was du eigentlich verdient hättest. Mit jemanden, der dich genauso sehr liebt, wie du ihn. Ich liebe dich… so sehr, Jayden. Leider liebe ich dich mehr, als dass es mir Leid tut, dass es nie genug war.« Mit diesen Worten kehrte sie zu Max und den anderen zurück, die vor dem Höhleneingang warteten.     

Ich sollte jetzt eigentlich auch zurückgehen, doch ich war wie versteinert. Ich musste daran denken, was wohl passiert wäre, wenn Jayden und Alea nicht das perfekte Paar wären, das sie nun mal waren. Warum meinte Alea, dass ihre Liebe für Jayden nie genug wäre? Sie liebte ihn doch. Das hatte sie selbst gesagt… doch anscheinend nicht genug? Mein Kopf brummte mir…     

»Was machst du da, Ali?«, fragte mich plötzlich Daniel. »Was? Nichts. Äh, bitte verrate mich nicht.« Er grinste. »Uh, Feences tun also auch etwas Illegales? Dann werde ich dich natürlich nicht verraten.« Ich atmete erleichtert aus. »Danke.« »Aber du solltest jetzt mit kommen. Diese Alea scheint echt schlauer als die andere zu sein. Sie weiß anscheinend, wie wir möglicher Weise aus dem Kreis der Elemente entkommen könnten. »Echt jetzt? Wie das?« »Komm mit, dann siehst du es.«

Wir standen am anderen Ende der Höhle aus der wir anfangs gekommen waren. Obwohl sich zuvor an dieser Stelle eine Wand befunden hatte, war diese jetzt verschwunden, sodass wir ohne Probleme durch den Tunnel hätten gehen können und alles wieder von vorne losgehen könnte. Aber das wollten wir natürlich nicht.     

»Wie kommen wir denn nun Nachhause?«, fragte Max aufgeregt. »Magie, die es nicht gibt. Meine Magie gibt es, Alis Magie gibt es, auch Jamies Magie gibt es. Aber noch nie wurde dieser Ort von Casses und Feences aufgesucht. Zum einen, weil sie Todfeinde sind. Aber auch, weil Feences gar nicht dazu in der Lage wären. Nicht ohne die Hilfe von Casses. Da Casses Feences nie helfen würden, gibt es diese Magie nicht.«     

Ich verstand das immer noch nicht ganz. »Rede Klartext.« »Einer von den Casses und einer von den Feences müssen ihre Magie zusammen wirken lassen.« »Sicher?«, fragte Jamie. »Nein, aber es scheint mir ziemlich logisch.«     

»Und wer macht es?«, fragte ich. »Ich würde mich zur Verfügung stellen«, sagte Alea schnell. »Na schön. Und von den Casses? Jamie oder Daniel?«, fragte Max. »Ich mach’s«, meldete sich Daniel und stellte sich zu Alea. »Wollen wir?«, fragte er schließlich Alea. Diese nickte nur, ohne ihn dabei anzuschauen.     

Plötzlich fiel mir eine Frage ein, die mich schon die ganze Zeit interessierte: »Wie das denn jetzt, Alea? Kannst du dir deinen Traum über Daniel erklären?« »Naja, er war nicht real. Auch wenn es einige waren, er gehörte nicht dazu. Ich habe Daniel erst getroffen, als ich meine Erinnerungen bereits verloren hatte.«     

Kurz darauf kreisten sowohl Alea als auch Daniel ihre Finger. Und Alea hatte Recht… natürlich hatte sie das. Alea ist nun mal unglaublich schlau. Am Anfang des Tunnels entstand ein magisches schwarzes Loch – unser Ausgang. Max war der erste, der hindurchhopste. Daniel und Alea gleich hinterher. »Los, Jamie. Jetzt wir.«      Ich hatte bemerkt, dass sie zögerte. »Du hast doch versprochen mit deinem Leben weiterzumachen. Egal was dich da erwartet.« »Das sagt sich so leicht.« »Ich rede aber aus Erfahrung. Ich habe in meinem Leben viel verloren. Manches davon hatte ich nicht mal. Dass ich in jemanden verliebt gewesen bin, den ich nicht haben kann, ist nur eine Sache unter vielen. Ich habe trotzdem weiter gemacht.«     

Ich hielt Jamie aufmunternd meine Hand hin. Sie lächelte und griff schließlich danach. Zusammen sprangen wir in die andere Welt von Vellance. Man könnte meinen, ungefährlicher, aber dafür sicherlich mit größeren Problemen.

Nacht 10 | Jared!

 Kaum hatte ich meinen Fuß wieder auf bekannten Boden gesetzt, stürmte ich Richtung Bar. Daniel hatte es anscheinend sowieso noch nicht so eilig Nachhause zu kommen. Perfekt also, je eher ich mir diese Dreckssau vornehmen konnte desto besser.     

Den Weg hierher konnte ich inzwischen ja wie im Schlaf. Kaum war die Tür geöffnet, brüllte ich: »Jared! Jared! Ich weiß, dass du da bist, du Vollidiot!« Es dauerte nicht lange, da schaute er verwundert um die Ecke. »Alea? Was machst du denn hier? Du hast nicht zufällig diesen Vampir gesehen, den ihr neulich in der Bar getroffen habt? Er hat braune Haare und-«     

»Du meinst deinen Sohn Daniel?«, fragte ich bissig. »Du weißt, dass er mein Sohn ist?«, fragte er verwundert. Nachdem ich einmal kurz durchgeatmet hatte, antwortete ich: »Ich weiß alles, Jared. Alles, du hinterhältiger Bastard!« Mit meiner geladenen Magie versetzte ich ihm einen Ruck, sodass er gegen die Theke krachte.     

Während er sich den Kopf rieb, murmelte er: »Du… heißt das, du hast deine Erinnerungen zurück?« »Jep, aber ungeachtet dessen bist du trotzdem tot.« Er lachte. »Ah, deinen Humor hast du also auch zurück.« »Siehst du mich etwa lachen?!«, schrie ich ihn an und versetzte ihm einen erneuten Hieb. Diesen schien er aber nicht mehr so ernst zu nehmen. »Hör zu, Alea. Ich kann das erklären.« »Natürlich kannst du das. Nur wird es deine Tat nicht ungeschehen machen.« »Ich weiß. Aber Alea, ich bin nun mal nicht wie du. Ich hatte Angst, deshalb musste ich es tun.«     

»Ach, du hattest Angst? Na dann ist ja alles gut«, entgegnete ich ironisch. »Hat es dich etwa umgebracht für eine kurze Zeit mal nicht alles zu wissen? Ich hätte dir deine Erinnerungen ja noch zurückgegeben. Aber ich brauchte Zeit, Zeit um noch mal alles zu überdenken.« »Was gibt es da zu überdenken? Unser Plan ist gut gewesen, bis du ihn zerstört hast.«     

»Aber die Zukunft meinte, du wärest der Untergang für die Casses.« »Klar bin ich das. Und was ist jetzt genau dein Problem?« »Ich bin nun mal gerne ein Casses. Das kannst du mir nicht verübeln.« »Ach, Jared – hör einfach auf. Es war falsch und das weißt du auch.«     

»Dann erklär es mir. Was war falsch? Du hast doch deine Erinnerungen wieder… wie auch immer du es geschafft hast.« »Was daran falsch war? Nun lass mal sehen: Die neue Alea hat plötzlich alle ihre Freund in die Sache mit einbezogen.« »Ach, genau. Das wusste ich. Die Kleine, die du mit in die Bar gebracht hast. Ich sehe das Problem nicht.« »Nun, mein Exfreund, beziehungsweise Noch-nicht-Exfreund, ist jetzt tot.« Ich konnte nicht verhindern, dass mir eine Träne über die Wange lief.     

»Aber das wird dich wohl herzlich wenig interessieren. Wie wäre es also damit?« Ich holte den braunen Stein aus meiner Hosentasche. »Das hier, ist der allerletzte braune Stein, Jared. Ali hat alle anderen zerstört. Alles nur, weil ich meine Erinnerungen nicht bei mir hatte.«     

»Wie habt ihr eigentlich die Steine gefunden?«     

Ich grinste. »Daniel hat uns geholfen.« »Was? Daniel? Aber wie habt ihr den gelben Stein zerstört? Wie hat Alissa die anderen Steine zerstört? Nur du hättest es gekonnt, weil du beide Arten der Magie in dir trägst.« »Oh, das ist auch noch eine witzige Geschichte. Ali konnte es, weil sie und Daniel jetzt das neue Liebespaar in Vellance sind.«     

Jetzt fing Jared allen Ernstes auch noch lautstark zu lachen an. Sag mal, geht’s noch? »Du willst es dir mit mir wohl komplett verscherzen.« »Nein, sorry, darüber lache ich ja gar nicht. Es ist nur so, warum hast du Alissa nicht einfach gesagt, welche Folgen die Zerstörung der braunen Steine mit sich bringt?« »Das wusste sie schon.«     

Jared schaute mich entgeistert an. »Was? Das Mädchen ist in Daniel verliebt und will ihn trotzdem töten? Warum tut man sowas?« Ich musste nicht lange überlegen, um die Antwort zu wissen. »Alis Vergangenheit ist nicht so toll und sie musste schon vieles aufgeben, was sie liebte. Ich denke, sie hat aufgehört auf ihre Gefühle zu vertrauen und lässt ihren Verstand entscheiden.« »Okay… das kann ich verstehen. Ist ja nicht so, als hätte ich die perfekte Vergangenheit. Ich habe schon lange aufgehört auf meine Gefühle zu hören.« Er machte eine kurze Pause. »Könnte übrigens noch ein Grund sein, warum ich deinen Plan sabotiert habe.«     

Ja, Jared war ab und an echt schwierig und ich wusste nur zu gut, dass der Tod seiner geliebten Frau dazu beitrug. Er hatte nie wirklich mit seinem Leben weitermachen können. »Jared, ich würde dir jetzt am liebsten den Kopf abreißen, weißt du das?«     

Mit gesenktem Kopf murmelte er: »Ich weiß. Ich hätte es ja auch verdient.« Und das war der Moment wo er mir irgendwie Leid tat. Eigentlich tat mir Jared immer Leid. Doch jetzt hatte ich sogar Mitleid, obwohl ich wusste, was er alles verbockt hatte.     

Und so trugen meine Füße mich von ganz alleine zu ihm hin und ich drückte ihn an mich. Ich musste zugeben, irgendwie hatte ich seine vertraute Nähe vermisst. »Danke.« Er schaute mich verwirrt an. »Wofür?« Ich seufzte. »Jetzt mal ungeachtet dessen, dass du alles verbockt hast, wusstest du tief in dir immer, dass du einen Fehler gemacht hast. Du hast mir verraten, wo ich den Stein finden kann, auch wenn du eigentlich nicht wolltest, dass ich ihn finde. Du hast mir etwas zu meinem Geburtstag geschenkt. Und damit meine ich nicht, das verpackte Geschenk, auch wenn ich mich ziemlich darüber gefreut habe.«     

Er wusste sofort wovon ich sprach. »Ich bin doch nicht herzlos. Du konntest deinen einundzwanzigsten Geburtstag doch nicht ohne Daniel feiern.« »Okay, vergessen wir mal die Tatsache, dass er die ganze Nacht mit Ali gequatscht hat. Ich weiß, dass du es nur gut gemeint hast. Aber war es wirklich notwendig, nicht nur unsere Gedanken, sondern auch unsere Gefühle zu manipulieren?«     

»Aber sowas von. Sonst hätte es nicht lange gedauert und das ganze Schlamassel wäre von vorne los gegangen.« »Am Ende habe ich mich aber trotzdem erinnert.« »Zu meinem bedauern. Ich bin nämlich noch weiterhin skeptisch, was deinen Plan angeht.« »Tja, dann ist es ja gut, dass Ali alle braunen Steine zerstört hat. Wir können den Plan sowieso nie mehr durchführen. Da wäre nur noch ein Problem: Ali geht davon aus, dass ich diesen letzten braunen Stein bald zerstören werde.«     

»Dann musst du sie halt so lange hinhalten, bis wir wissen, was wir ihr sagen können.« Ich nickte nachdenklich. »Verdammt, warum muss der aller letzte braune Stein nur der sein, der Daniel seine Erinnerungen zurück gebracht hätte? Er wird sein Leben lang nicht, wie seine richtige Vergangenheit ausgesehen hätte. Denn würde dieser Stein zerstört werden, alle Casses mit ihm.« Verdammt, Jared, was hattest du nur angerichtet?     

»Ich schätze, unsere einzige Chance ist es, Alissa davon zu überzeugen, wie falsch es wäre, die Person zu töten, die man liebt«, überlegte Jared. »Ich weiß nicht mal, ob sie weiß, dass sie ihn liebt. Außerdem, was wäre, wenn sie mich bei Lorena verpetzten würde? Sie würde mir nicht mehr vertrauen, würde die Sache selbst in die Hand nehmen und das wäre dann euer Untergang.« Ich konnte es immer noch nicht richtig fassen, dass die Sache zwischen Daniel und Ali doch ziemlich ernst war. Sie hatte mir damals im Zelt gesagt, dass sie es nicht war. Sie hatte gelogen. Damals wäre es mir egal gewesen, jetzt aber nicht mehr.     

»Schau mal-«, wollte ich gerade ansetzen, doch weiter kam ich nicht, denn im nächsten Augenblick öffnete sich die Tür zur Bar. Ich hatte Daniel noch nicht so früh zurück erwartet, da er zuletzt noch in einer Unterhaltung mit meinem Bruder verwickelt gewesen war. Daniel und Max unterhielten sich… auch ein Wunder, dass ich das noch mal erleben durfte.     

Doch ein Blick zur Tür sagte mir, dass ich mich geirrt hatte. Vor mir stand nicht Daniel, sondern Jamie. Jamie? Was bitte wollte die denn hier?  

Nacht 10 | Überraschung!

 

Jamie blieb wie angewurzelt im Türrahmen stehen. »Alea? Was machst du denn hier?« Als ich ihr die gleiche Gegenfrage stellen wollte, kam mir Jared zuvor: »Jamie, du lebst?«     

Und dann machte es plötzlich klick in meinem Kopf. Oh mein Gott, Jamie war… unmöglich! Andererseits war es aber auch ziemlich wahrscheinlich. Sie war für lange Zeit an diesem Ort gefangen gewesen. Man hätte sie irgendwann für tot erklärt. Jetzt wurde mir auch klar, warum Jared nie richtig mit ihrem Tod abschließen konnte. Er war sich nie hundertprozentig sicher gewesen.     

»Oh, wow, awkward«, war das einzige was ich herausbrachte. »Ihr zwei kennt euch?«, fragte Jared jetzt. »Nicht nur das. Ich habe sie wieder mit Nachhause gebracht. Sie war jahrelang an dem Ort gefangen, wo auch die Steine versteckt waren.« »Bitte was?«, fragte mich Jared als verstand er die Welt nicht mehr.     

»Und woher kennt ihr zwei euch jetzt bitte?«, wollte Jamie wissen. Jared musste grinsen. »Sie könnte unsere zukünftige Schwiegertochter sein. Obwohl die Chancen darauf in letzter Zeit eher schlechter stehen. Du erinnerst dich doch noch daran, dass du ein Kind hattest, oder Jamie? Für mich sieht es nämlich nicht so aus. Sonst wärest du damals nicht auf diese Reise gegangen, obwohl unser Sohn noch so klein war.«      Tränen liefen über Jamies Gesicht. »Ich wusste nicht, was diese Reise für Risiken mit sich bringen würde.« »Egal welche Risiken, du hättest erst gar nicht gehen sollen. Du hättest bei uns bleiben sollen. Er hätte eine Mutter gebraucht, denn ich bin kein guter Vater gewesen.«     

»Stopp!«, rief ich plötzlich und stellte mich zwischen Jamie und Jared. »Erstens: Jared, du warst kein schlechter Vater. Zweitens: Hör auf Jamie anzuschreien. Sie wurde an diesem Ort schon genug bestraft.«      Okay, ich hatte Jared noch nie so wütend wie jetzt gerade gesehen. »Du wirst dich unserem Sohn nicht nähern, verstanden? Der Zug dafür ist schon lange abgefahren.« Mit diesen Worten verschwand er hinter die Tür der Bar, die in den Wohnbereich führte.     

»Er hasst mich. Ich wusste es«, murmelte Jamie. »Hassen würde ich jetzt nicht sagen. Er kann mit der Situation nur nicht umgehen. Das alles hat ihn ziemlich mitgenommen, weshalb er gefühlsmäßig kaum Leute an sich ran gelassen hat.« »Du denkst, irgendwann könnte sich das wieder gerade biegen?« Darauf wusste ich keine Antwort.     

Also erwiderte ich nur: »Er braucht jetzt Zeit, um die Sache zu verarbeiten. Was danach ist wird man sehen.« Eine Weile war es still, bis Jamie plötzlich fragte: »Stimmt es, was Jared gesagt hat? Du… du kennst meinen Sohn ziemlich gut?« Wenn Jamie nur wüsste, dass sie ihn selber auch besser kannte, als sie zu glauben schien. Am liebsten wollte ich ihr sagen, dass sie Daniel bereits kennengelernt hatte, doch das würde mir Jared wohl nie verzeihen. Seine letzten Worte waren ziemlich deutlich gewesen. Deshalb nickte ich einfach nur.      »Würde… würde es dir etwas ausmachen mir etwas über ihn zu erzählen? Ich weiß, Jared wollte nicht-« »Kann ich machen«, unterbrach ich sie. »Aber nicht hier. Komm wir gehen ein Stück.«     

Ich zerrte sie zu einer Bank, die sich in der Nähe eines Flusses befand. Hier habe ich mich früher auch öfter mit Daniel aufgehalten. »Er erinnert mich oft an dich. Und das nicht nur, weil auch er diese komische Magie besaß, wie du sie so schön nennst.« »Er hat auch diese Magie?«, fragte Jamie ungläubig.       

»Naja… er bekam die Magie erst später… als er mich kennenlernte. Es war also etwas anders.« »Habt ihr euch zerstritten oder was meinte Jared vorhin mit seinen Worten?« »Ich wünschte es wäre so einfach. Nein. Du weißt ja, dass meine Erinnerungen manipuliert wurden. Nun, seine wurden auch manipuliert, wenn auch anders. Er erinnerst sich an alles, bis auf eine Tatsache… mich.«     

»Oh… das tut mir leid.« »Wieso? Es ist doch nicht deine Schuld.« Sondern Jareds. Wieder kochte die Wut über ihn in mir hoch. Es war alles seine Schuld. Doch trotzdem nahm ich es ihm nicht so sehr übel, wie ich es eigentlich sollte. »Trotzdem. Ich finde es einfach nur toll, dass du mich nicht für die Fehler meiner Vergangenheit verurteilst.« »Was glaubst du wie viele Vampire ich wegen ihrer Vergangenheit verurteilen könnte? Würde ich das, säße ich irgendwann allein da.«     

Wir blickten noch eine ganze Weile schweigend auf den Fluss, bis Jamie irgendwann fragte: »Alea? Könntest du mich vielleicht beim Kauf meines Kleides beraten? Ich kenne mich als Casses ja nicht so gut mit Kleidern aus.« »Wozu brauchst du denn ein Kleid?«, fragte ich neugierig. »Ach, du weißt es noch nicht? Dein Bruder Max hat auch Daniel und mich zu seiner Hochzeit eingeladen, weil er findet, dass wir in den letzten Tagen ganz schön viel zusammen durchstehen mussten.« Er hat was?     

»Ähm, klar kann ich dir helfen. Ich kenne da einen super Laden.« Okay, dann werde ich jetzt mit Daniels verstorbener Mutter Kleider shoppen gehen. Damit hätte ich wohl auch nie gerechnet.     

Bei Wear it! gab es einfach die schönsten Kleider. Das konnte keiner bestreiten. Aus diesem Grund wählte ich auch diesen Laden aus, um für Jamie das passende Kleid für die Hochzeit zu finden. Da fiel mir ein, vielleicht könnte ich auch ein neues gebrauchen. Die Hochzeit von Max und Justine war immerhin etwas Besonderes.      Jamie fand so gut wie jedes Kleid bezaubernd. Klar, im Gegensatz zu dem Karohemd, das sie trug, waren sie das ja auch. Ob ich mir gleich zwei Kleider kaufen sollte? Eins, welches ich sofort tragen konnte und eins für die Hochzeit? Immerhin wurden wir ziemlich angestarrt, weil ich ja auch noch mein blaues Oberteil trug. Underdressed für diesen Laden, eindeutig. Aber das war mir im Moment egal. Aber für den Weg nach Hause sollte ich mir vielleicht etwas anderes anziehen.     

»Wie willst du deine Haare eigentlich zur Hochzeit tragen?« Die Frage war berechtigt, immerhin hatte sie die Farbe schon wieder geändert. Sie waren jetzt pink. »Ich dachte einfach an meine Naturhaarfarbe… also braun.« Braun also… überlegte ich, während ich nach ein Kleid suchte, das dazu passen könnte. Jamies Hautfarbe war ja nicht sonderlich blass. Ich kramte ein beiges Kleid hervor, welches vorne kurz war und hinten immer länger wurde. An der Taille hatte es eine schwarze Schnalle.     

»Wie wäre es damit?«, fragte ich und bemerkte förmlich, wie Jamies Augen zu leuchten begannen. Auch nach der Anprobe wurde nur noch deutlicher… das war Jamies Kleid! Für den Heimweg schnappte ich mir einfach schnell ein Kleid, welches unten schwarz und oberhalb der Brust ein niedliches Blümchenmuster besaß.      Die Auswahl für mein Hochzeitskleid war dann doch eindeutig schwieriger. Letztendlich fanden ich und auch Jamie, das rosafarbene am schönsten. Oben war es mit Glitzersteinen besetzt und unten fiel es lang á la Ballkleid auf den Boden. »Wow, Alea. Du siehst echt bezaubernd aus.« »Danke«, murmelte ich, während ich mir das erste Kleid wieder anzog, um bezahlen zu gehen. Ich konnte es tragen und trotzdem bezahlen, das ging. Hatte ich schon unzählige Male bei Wear it! gemacht.     

Wir wollten gerade den Laden verlassen, als ich Halsüberkopf in jemanden hinein rannte. Oh Gott, dieser jemand war Daniel! Sprachlos starrte ich ihn einfach nur an… man, wie peinlich.     

Zum Glück rettete Jamie die Situation: »Ach Daniel! Willst du auch schon einen Anzug für die Hochzeit kaufen?« »Ja, ich dachte mir, besser früher als später. Wie es aussieht seid ihr ja schon fündig geworden. Schickes Kleid, Alea«, sagte ich lächelnd. Und ehe ich es hätte verhindern können, merkte ich, wie mein ganzer Kopf rot anlief. Na toll. Damit er es ja nicht merkte, murmelte ich nur noch unbeholfen: »Bis später dann« und verließ endlich Wear it! ohne mich noch einmal umzudrehen.

Nacht 17 | Hochzeitsglocken!

 

Heute sollte es dann endlich soweit sein. Max und Justine hatten die Hochzeit sofort eine Woche später angesetzt, weil sowieso schon alles durchgeplant gewesen war. Wir feierten natürlich im Garten des Schlosses, weil es kaum einen schöneren Ort gab. Aber auch, weil es ja unsere Heimat war.     

Die aufgestellten Tische mit den Stühlen schienen sich langsam zu füllen. Nervös zuppelte ich an meinem rosa Kleid herum. In Gedanken ging ich immer wieder meine Hochzeitsrede durch. Ich wollte, dass sie perfekt wurde. Währenddessen schlenderte ich von Hochzeitsgast zu Hochzeitsgast, sodass ich gar nicht bemerkte, wie mir jemand von hinten auf die Schulter tippte.     

Es war Ali, die ein langes rotes Bandeaukleid trug, dazu schwarze Highheels mit roter Sohle. Neben ihr stand Daniel, woraufhin ich schlucken musste. »Hi, ihr beiden«, begrüßte ich sie und zwang mich zu einem Lächeln. »Ich mag dein Kleid, Alea«, trällerte Ali. Ich lächelte. »Ich deins auch.«     

»Sag mal, Alea. Wie kommt es eigentlich, dass ich gestern den braunen Stein, unzerstörter Weise, in deiner Hosentasche gefunden habe? Willst du deine Fähigkeiten etwa nicht vollständig zurückerlangen?« Natürlich hatte sie den Stein dort nicht gefunden. Sie wusste nur, dass er noch nicht zerstört war, weil die Person neben ihr noch lebte. Den braunen Stein hatte ich extra sicher bei Jared versteckt, weil ich wusste, dass sie andernfalls danach suchen würde. So dreist schätze ich Ali ein.     

»Du weißt ja, dass ich vorher noch etwas erledigen wollte. Nun, ich bin dazu einfach noch nicht gekommen.« Ihr Blick verfinsterte sich und dann schienen ihre angestauten Gefühle zu explodieren: »Ich weiß, dass du mich anlügst. Die alte Alea hatte andauernd Geheimnisse vor mir. Ich hatte gehofft, als wir nur zusammen an deiner Mission gearbeitet haben, würde das aufhören, aber ich habe mich wohl geirrt.«     

»Ach, und wenn ich dich anlüge. Du bist doch keinen Deut besser, Alissa Lester!« Sie schaute mich nur noch wütender an. »Was meinst du damit jetzt schon wieder?« »Tu nicht so scheinheilig. Das was du mir im Zelt versprochen hast… dass es nicht echt ist, nun Ali, gestehe es dir ein! Es ist verdammt echt! Was glaubst du denn woher deine Magie kommt?«     

Ali schien anscheinend immer noch nicht zu begreifen, wovon ich sprach. Man, die war echt auf den Schlauch gefallen. Um mich etwas klarer auszudrücken, sagte ich noch: »Ihr zwei seid übrigens ein hübsches Paar«, auch wenn ich es nicht verhindern konnte, dass ich dabei etwas bissig klang. Aber damit machte ich mich dann auch vom Acker. Das hier war eine Hochzeit… eine besondere Hochzeit, wo ich mich nun wirklich nicht aufregen sollte.     

Erst als ich mich wieder etwas abreagiert hatte, bemerkte ich, dass Daniel mir gefolgt war. Ich seufzte. »Was ist denn jetzt noch?« »Ich weiß zwar nicht genau, worum es da eben ging. Aber falls es um meine Beziehung zu Ali ging, dann magst du eventuell Unrecht haben. Ich schätze mal, für Ali war es nie etwas Ernstes. Vielleicht hatte sie Mitleid mit mir gehabt… keine Ahnung.«     

»Nun, glaub mir, ich denke sie scheint doch etwas für dich übrig zu haben.« »Vielleicht fängt sie ja an mich zu mögen oder so… aber wenn sie mir selbst erzählt hat, dass sie eben nur bei meinem Vater Herzklopfen kriegt…«     

Das hatte er jetzt nicht gesagt. Nein. Das war zu verrückt. Ali liebte… Nein. Oder doch? Wenn ich genauer darüber nachdachte, könnte es sogar Sinn ergeben. Ali erlangte ihre Magie noch vor meinem Geburtstag. In der Bar hätte sie sich natürlich auch schon in Daniel verlieben können, aber auch in Jared.     

»Aber das ergibt doch keinen Sinn. Warum fängst du was mit ihr an, wenn sie dir sogar erzählt sie liebt Jared.« »Ja, ich weiß, dass das verrückt ist. Ich weiß auch nicht, was ich mir dabei gedacht habe. Ich denke, wenn man verzweifelt ist, macht man manchmal verrückte Dinge. Naja, jedenfalls haben wir uns die meiste Zeit nur unterhalten. Ich denke, Ali wollte es so… aber es war vermutlich das Richtige.«     

Ich konnte es immer noch nicht fassen. Arme Ali. Ich wusste ja, dass sie in Sachen Liebe nicht besonders viel Glück hatte. Aber sich in jemanden wie Jared zu verlieben übertraf echt alles.

Als die Glocken dann schließlich ertönten, stand ich mit Max und Benjamin schon vorne. Gegenüber von uns befand sich Caitlyn. Neben ihr hätte eigentlich Jayden stehen sollen…     

Auch wenn Denice Jaydens Platz gerne eingenommen hätte, wollte Justine, dass er frei blieb. Das fand ich gut so, denn keiner konnte Jayden nun mal ersetzen. Ich konnte es nicht verhindern. Wieder lief mir eine kleine Träne die Wange hinunter. Zum Glück war das hier eine Hochzeit. Da weinte sowieso jeder, wenn auch aus anderen Gründen.     

Jap, als Justine nun mit ihrem Vater durch die Menge ging, liefen auch ihr die Tränen. Unter den ganzen Tränen schien sie aber zu lächeln. Gut, es waren wohl Freudentränen. Vielleicht gemischt mit Tränen der Trauer, immerhin konnte ihr geliebter Cousin nicht bei ihrer Hochzeit dabei sein.     

Ich musste zugeben, dass ich bei dem ganzen Gefasel des Pastors manchmal abschaltete. Natürlich nur bei den unwichtigen Stellen mit Gottes Hilfe blablabla. Nicht, dass ich nicht an Gott glaubte. Ich glaubte nur nicht daran, dass er uns helfen würde. Wir müssen unser Leben nun mal alleine durchstehen.     

Schließlich kam er dann zum Punkt: »Maxwell Reeves, möchtest du die hier anwesende Justine Mayhew zu deiner Ehefrau nehmen, so antworte Ja, ich will.« Er grinste Justine breit an. »Ja, ich will.« »Justine Mayhew, möchtest du den hier anwesenden Maxwell Reeves zu deinem Ehemann nehmen, so antworte Ja, ich will.«      Und wer hätte es gedacht, auch Justine antwortete: »Ja, ich will.« »Dann erkläre ich sie hiermit zu Mann und Frau. Sie dürfen die Braut jetzt küssen.«     

Nach dem kurzen, dennoch innigen Kuss, fingen die Leute an zu klatschen und Justine und Max verließen, gefolgt von uns, die Bühne.

Nacht 17 | Geistesblitz!

 [erzählt von Alissa Lester]

 

Die Hochzeit war in zwischen in vollem Gange. Die Leute hatten sich an den Tischen eingefunden und warteten nun auf das Essen. Doch vorher würden noch ein paar Worte von Alea folgen:     

»Wie viele von euch wahrscheinlich wissen, bin ich ziemlich erleichtert, dass ich diese Rede heute überhaupt halten kann. Bis vor sieben Tagen hatte ich nämlich keinen blassen Schimmer wer ich überhaupt war.« Sie lachte kurz. »Ich dachte doch ernsthaft Max wäre mein Exfreund und Justine… naja, ich hielt sie einfach für die Freundin meines Bruders. Gut, dass ich jetzt besser Bescheid weiß, denn sonst würde das hier jetzt wohl ziemlich in die Hose gehen.     

So brauche ich euch allen nämlich die knallharte Wahrheit nicht vorzuenthalten. Und ich muss es wissen, ich kenne Justine schon seit meinen vierten Lebensjahr und Max leider noch länger.« Sie grinste amüsiert zu ihm rüber, der eine gespielt empörte Miene aufgesetzt hatte.     

»Also als Justine und Max sich das erste Mal trafen, waren sie fünf und sechs Jahre alt. Und Karten auf den Tisch: Sie haben sich gehasst. Zum Glück, denn sonst hätte ich niemanden gehabt um Max zu ärgern. Aber wie es dann nun Mal so kam, wurden wir älter. Ich würde ja gerne sagen, dass Max reifer geworden ist, aber das wäre eine Lüge. Es wurde meiner Meinung nur noch schlimmer. Als ihr beiden euch dann näher kamt, habe ich die Welt nicht mehr verstanden. Ich habe mich gefragt, was du an jemanden wie Max finden könntest. Ich war der festen Überzeugung er würde dich nicht verdienen. Aber anscheinend hat er dich gebraucht.     

Denn ob ihr es glaubt oder nicht: Als meine Erinnerungen am unklarsten waren, konnte ich, was diese Sache angeht, am klarsten sehen. Ich habe endlich das gesehen, was du all die Jahre in Max gesehen hast. Und meiner Meinung nach macht das Liebe aus: Wenn man nicht nur die eine Seite einer Person sieht.     

Auf das Brautpaar: Justine und Max Reeves! Justine, endlich sind wir Schwestern!«, rief sie ihr lachend zu. »Ach, und falls ihr beide euch ein Auto kaufen solltet, Max, pass auch, dass es dir Justine nicht weg nimmt.« Okay, das war dann wohl ein Insider, da darüber nur Justine und Max lachten.     

Während die anderen Vampire schon ihre Gläser gehoben hatten, träumte ich noch vor mich hin. Mir schwirrten immer noch Aleas Worte im Kopf herum: Und meiner Meinung nach macht das Liebe aus: Wenn man nicht nur die eine Seite einer Person sieht.     

Und dann noch dieser Moment, als sie mich wegen meiner Magie angeschnauzt hatte. Warum ich die denn wohl besitzen würde. Na weil ich mich öfters mit Casses aufgehalten hatte. Da wurde es mir plötzlich klar: Das war totaler Blödsinn. Max und Jayden hatten sich auf dieser Reise auch bei Casses aufgehalten und keiner von denen hatte Casses Magie entwickelt. Ich besaß Casses Magie, weil… weil ich mich in einen von den Casses verliebt habe. Seitdem ich dieses Kribbeln im Bauch gefühlt habe, als ich Jared das erste Mal traf.     

Und dann war da noch Alea, die ja auch Casses Magie besaß… dann nicht, weil ihre Erinnerungen verschwanden… und jetzt wieder. Deshalb wurde Alea draußen vor der Bar auch plötzlich total rot wie eine Tomate. Tief in ihr kamen dann wohl ihre Gefühle für Jared hoch. Na toll, nicht schon wieder! Du bist echt ein hoffnungsloser Fall in Sachen Liebe, Ali!     

Jetzt wurde mir auch klar, warum Alea den braunen Stein nicht zerstört hatte. Sie konnte es nicht. Sie konnte es nie. Sie hatte uns angelogen… auf ihre typische Art. Ich wusste ja schon immer, dass sie mir etwas verschwieg, aber mit dem Verrat an unseren Clan hätte ich dann doch nicht gerechnet. Und deshalb hat sie auch Jared aufgesucht. Nicht um ihn zu töten, sondern um den braunen Stein in Sicherheit zu bringen.      Diese miese Verräterin! Sie hatte nicht nur mich verraten, sondern die gesamten Feences. Wut kochte in mir hoch. Warum musste ich auch immer den falschen Leuten vertrauen? Ich sollte niemanden mehr an mich heran lassen, keinen einzigen! Dann konnte mir auch nicht wehgetan werden.     

»Ist was?«, fragte mich Daniel. Noch ein Kandidat, den ich auf keinen Fall Trauen schenken sollte. Er war ein Casses und selbst den Feences konnte man heutzutage nicht mehr trauen. »Ich fühle mich irgendwie nicht so gut. Ich schätze, ich sollte lieber Nachhause, bevor ich noch die Hochzeit ruiniere. Ich denke, dass man mich sowieso nicht vermissen wird.«     

»Doch, ich würde dich vermissen«, log Daniel perfekt, wie auch Alea perfekt lügen konnte. »Da bist du dann aber auch so ziemlich der einzige. Eigentlich fand ich es sogar ziemlich komisch, dass mich Max und Justine überhaupt eingeladen haben. Egal, ich bin dann mal weg. Ich möchte hier nicht irgendwelche schönen Kleider vollkotzen. Aleas Kleid sah ja ziemlich bezaubernd aus.«     

»Was ist das zwischen euch beiden?«, fragte er. »Ach stimmt, du kennst Alea ja nur ohne ihre Erinnerungen. Aber ich schwöre dir, mit ihren Erinnerungen ist sie eine verdammte Verräterin.« »Okay, aber daraus wurde ich jetzt nicht wirklich schlauer.«     

»Du kannst sie ja selber fragen. Aber Achtung: Sie sagt dir nicht immer die Wahrheit. Ich muss jetzt.« Und zwar die Aufgabe zu Ende führen, die eigentlich für Alea bestimmt war. Aber irgendwie nimmt die das alles nicht ganz so ernst. Wenn Lorena das wüsste, sie wäre nicht nur enttäuscht, sondern hätte auch ganz schnell ihren Platz als Prinzessin los.     

Aber ich war nicht wie Alea. Ich bin keine Verräterin. Ich würde sie nicht an Lorena verpetzen. Ich würde die Sache einfach selbst in die Hand nehmen. Ohne einen weiteren Wortwechsel mit Daniel erhob ich mich von meinem Platz, verließ den Garten, um auf die Straße zu laufen. Zum Glück hatte ich einen ausgesprochen guten Orientierungssinn. Denn sonst hätte ich den Weg zu Jareds Bar im Leben nicht gefunden, immerhin bin ich da erst einmal gewesen.     

Da mein bodenlanges Kleid zum Laufen echt unpraktisch wäre, da ich kein Auto zur Verfügung hatte und da ich Fliegen einfach liebte, breitete ich im nächsten Moment meine Hände aus, die langsam die gewöhnte Form von der einer Fledermaus annahmen. Während der Wind so meinen kleinen schwarzen Körper umgab, vergas ich für einen klitzekleinen Moment all meine Probleme und fühlte mich einfach nur frei.

Nacht 17 | Tu es (nicht)!

 [erzählt von Alissa Lester]

 

Irgendwo hier musste doch dieser verdammte braune Stein sein. Vollkommen leise war ich in die Bar geschlichen, damit Jared mich auch ja nicht hörte. Okay, im vorderen Bereich der Bar war dieser Stein definitiv nicht. Aber da gab es ja noch diese Tür, die ich nun vorsichtig öffnete. Auch wenn ich noch eine Weile suchen musste, erblickte ich irgendwann einen antiken Holztisch, auf dem ein kleines vergoldetes Kästchen stand. Das zog meine Aufmerksamkeit sofort auf sich. Und tatsächlich: Als ich das Kästchen öffnete, lag dort der besagte braune Stein. Erleichtert nahm ich ihn zwischen meinen Händen, um ihn endlich und für alle Male zu zerstören. Doch gerade als ich dies vorhatte, ließ mich eine Stim-me zusammen schrecken. »Das würde ich an deiner Stelle nicht tun.« Niemand anderes als Jared natürlich.

»Klar, dass du das sagst. Wird meine Meinung aber trotz-dem nicht ändern.«»Aber du bist doch nicht die Vampirprinzessin. Das sollte Aleas Aufgabe sein.« Ich lachte bitter. »Du weißt sicherlich genau, dass sie dazu nicht in der Lage ist.«»Ja, ich frage mich nur, warum du es bist.«»Das ist doch wirklich nicht schwer zu erraten, oder? Weil es nun Mal das Richtige ist.«

»Vampire zu töten ist das Richtige?«, fragte er mich provo-kant. »Nicht irgendwelche Vampire, sondern die Casses. Das Leben ist für alle besser, wenn ihr nicht mehr existiert um Regeln zu brechen. Es wäre viel sicherer. Das sehen übri-gens alle Feences so… nur Alea scheint die Ausnahme zu sein.«

»Tja, nun. Korrigiere mich, wenn ich mich täusche, aber seid ihr nicht beste Freunde? Willst du das deiner besten Freundin wirklich antun? Könntest du es dir je verzeihen, die Liebe ihres Lebens getötet zu haben?« Ich musste Lachen. »Die Liebe ihres Lebens… aha, okay. Das kann man bei ihr ja nicht wissen, wer das genau ist. Ich habe nämlich immer gedacht die wäre Jayden. Aber ne, Hauptsache Alea bekommt die Liebe ihres Lebens.«

»Stimmt ja, ich vergaß, dass ihr ja neuerdings eine dreier Beziehung führt.« Dabei grinste er total breit. Hä? Was wollte er damit sagen? Wusste er jetzt etwa, dass sowohl Alea als auch ich in ihn verliebt sind? Und das war seine Reaktion? Wie konnte ich mich nur in so einen verlieben? Jetzt mal abgesehen von seinen wunderschönen Augen… »Hallo? Jemand zu Hause?«, fragte er.»Hm?«, war das einzige was ich hervor brachte.

»Ich sagte, dass Daniel vielleicht im Moment nicht hun-dertprozentig fair zwischen euch wählen kann.«Moment was? »Daniel? Wieso Daniel?« Jetzt war auch sein Blick sichtlich verwirrt. »Hä? Von wem sprichst du denn die ganze Zeit? Alea liebt Daniel, du liebst Daniel… ist das etwa keine Dreiecksbeziehung?« Alea liebte Daniel, nicht Jared? Hä, aber ich dachte… Okay, vielleicht war das der Grund, warum sie auf der Hochzeit so hitzig drauf war. Sie dachte, ich würde Daniel lieben. Aber natürlich dachte sie das, immerhin haben wir ja mal so etwas wie eine Beziehung angefangen. Auch wenn es dann irgendwie bei diesem einen Kuss geblieben ist…

»Achso, ja. Natürlich«, stammelte ich somit vor mich rum. Doch Jareds Blick war noch immer skeptisch. »Liebst du jetzt Daniel, oder nicht?«, fragte er mich direkt. Was sollte ich jetzt antworten? Ich konnte ja schlecht sa-gen: Nein, ich liebe dich.

»Das tut nichts zur Sache«, meinte ich deshalb einfach. »Jede Liebe für jemanden von den Casses ist schlecht. Ich habe mir geschworen, komme was wolle, ich werde diese Mission beenden. Ich dachte immer, zusammen mit Alea, aber da sie nun weg fällt, kann ich es auch alleine beenden.« »Und jetzt zur guter Letzt nochmal: Warum willst du uns noch mal töten? Einfach weil wir gegen Regeln versto-ßen.«

»Ja, genau. Ihr seid der Feind. Das ist ganz einfach: So wie in Büchern. Klar ist töten nicht richtig, aber Harry Potter musste Lord Voldemord am Ende auch töten.«

»Was glaubst du denn warum Lord Voldemord der Feind wurde?«»Natürlich weil er sich nicht um Regeln gekümmert hat. Es war verboten Menschen zu töten, um so seine Seele zu spalten, um ewig zu leben. Er hat es aber trotzdem getan.«

»Ich glaube, liebe Alissa, da musst du das Buch nochmal lesen. Du hast es nämlich nicht ganz verstanden. Lord Voldemord wurde böse, weil er die Liebe nicht in sein Herz gelassen hat. Und wenn ich mich nicht täusche hast du gerade eher das Potential der neue Voldemord zu werden.«

Was? Der verglich mich doch jetzt nicht ernsthaft mit Lord Voldemord! »Das sagt der Richtige! Ich habe doch mitbekommen, wie Daniel in der Bar zu dir meinte, dass du jede Nacht eine neue Frau bei dir hast.« Seine Miene wurde mit einem Mal unglaublich traurig.

»Da hast du wahrscheinlich Recht. Ich lasse nur noch sehr wenige Leute in mein Herz hinein. Aber anders als du stoße ich nicht die weg, die bereits drin sind.«»Was bleibt mir denn anderes übrig? Die, denen ich ver-traue, verraten mich.« »Alea hat dich nicht verraten. Sie hat nur das getan, was sie als würdige Vampirprinzessin tun musste.«»Würdige Vampirprinzessinnen lügen?«, ich musste lachen.

»Würdige Vampirprinzessinnen verbünden sich mit dem Feind? Das kann nicht das Richtige sein.«

»Du hast Recht. Es ist nicht das Richtige. Aber manchmal sind nun Mal auch Fehler richtig. Aber nicht nur Fehler können richtig sein, sondern auch das was richtig scheint. Das ist das, was an dieser Welt nicht funktioniert. Wir unterscheiden nur zwischen richtig und falsch und hören nur noch auf unseren Verstand als auf unser Herz. Ich muss zugeben, auch ich habe diesen Fehler ge-macht und deshalb Aleas Erinnerungen genommen. Weil ich nun Mal ein Casses bin. Aber wir müssen aufhören so zu denken wie alle anderen. Das ist mir inzwischen klar. Und deshalb ist Alea eine bessere Vampirprinzessin als du. Nicht, weil sie das Richtige tut, sondern weil sie sich von ihrer Liebe zu Daniel leiten lässt.«

Jared konnte mit seiner Art echt total überzeugend sein. Liebe machte manchmal wirklich blind. Fast wäre ich auf seinen Charme reingefallen. Doch ich rief mir sofort ins Gedächtnis: Das wäre das Ende. Du darfst dich nicht von den Casses manipulieren lassen – so wie Alea. Jared hatte nämlich gelogen. Ich könnte eine bessere Vampirprinzessin sein, wenn ich es schaffen würde, nicht auf die Casses hereinzufallen. Die Aufgabe war schwierig. Nicht, weil man dazu Casses Magie benötigte. Sondern weil die Casses einen manipulieren konnten und man somit von seiner eigentlichen Aufgabe abkommt. Doch mir würde das nicht passieren. Ich hatte mir ein Versprechen gegeben. Ich würde das hier beenden. Bevor mich Jared weiter in seinen Bann ziehen konnte, zerdrückte ich den Stein zwischen meinen Händen.

Nacht 17 | Tanz mit mir!

 

Max und Justine waren gerade dabei die Tanzfläche mit einem Walzer zu eröffnen. Irgendwann musste ich als Max Schwester auch dazu kommen. Na toll. Dazu hatte ich jetzt irgendwie keine Lust. Mit wem sollte ich denn auch tanzen? Jayden gab es ja nicht mehr.     

Automatisch fiel mein Blick zu Daniel. Wie gerne würde ich jetzt mit ihm tanzen. Aber das kannte ich ja schon. Selbst als wir beide noch unsere Erinnerungen hatten, konnten wir uns nie in der Öffentlichkeit zeigen. Allerdings trug er jetzt einen Anzug und könnte ja eigentlich auch als jemand von den Feences durchgehen. Klar, Max wusste, dass er zu den Casses gehörte. Aber nachdem er mir geholfen hatte meine Erinnerungen zurückzubekommen, würde er etwas sagen?     

Und Ali wusste es… aber… wo war Ali überhaupt? Verdammt, Daniel musste es bemerkt haben, dass ich ihn angestarrt hatte, denn er kam jetzt auf mich zu. Um mein Starren irgendwie zu erklären, sagte ich schnell: »Wo ist Ali eigentlich? Sie ist nicht mehr bei dir.«     

»Ihr ging es nicht so gut«, meinte er nur. »Möchtest du mit mir tanzen?« Mir stockte der Atem. War das so offensichtlich? Oder fragte er von sich aus? Nein, das war nicht möglich. Immerhin waren seine Gefühle manipuliert. Oder doch?     

»Warum?«, fragte ich deshalb einfach. »Naja, du solltest jetzt eigentlich auf der Tanzfläche sein. Ich dachte, du bräuchtest noch jemanden mit dem du tanzen könntest.« Als ich die Hand ergriff, die er mir hinhielt, machte mein Herz einen kleinen Satz. Ich musste diesen Moment wohl genießen, denn wer weiß wann ich wieder die Chance dazu hatte seine Hand zu halten?     

»Also Ali ging mit den Worten, dass diese Alea wohl anders wäre als die, die ich auf der Reise kennengelernt habe. Denkst du ich mag sie trotzdem?« Na toll. Was sollte ich denn jetzt darauf antworten? »So anders bin ich eigentlich gar nicht, weißt du. Ich weiß jetzt nur sagen, die ich vorher nicht wusste.«     

»Ali meinte, du würdest lügen und wärest eine Verräterin.« Klar hatte sie das gesagt. Was um Himmelswillen ist nur mit ihr passiert? »So würde ich das nicht sagen. Ich verschweige Sachen nur zu ihrem besten.« »Was für Sachen?«, wollte er wissen.     

Ich wollte es ihm sagen. Ich wollte ihm sagen, dass seine Erinnerungen auch manipuliert wurden. Doch das würde die Hochzeit ruinieren. Er würde mich möglicher Weise für verrückt halten – oder wollte sofort den passenden Stein zerstören, um seine Erinnerungen zurückzubekommen. Beides wäre nicht vom Vorteil.     

Ich könnte es natürlich auch anders angehen. »Ich weiß, dass du und Ali irgendeine Art von Beziehung habt. Aber… weißt du… ich habe mich irgendwie auch in dich verliebt.« Puh, jetzt war es raus. Jetzt musste ich nur noch darauf warten, wie er reagierte. Vielleicht war unsere Liebe ja stärker als die Kraft von irgendwelchen magischen Steinen.     

Jetzt schaute er mich nur mit großen Augen an. Na toll, das war dann wohl nichts. Anstatt einer Antwort drehte er mich im Klang der Musik. Ich dachte schon, er würde gar nicht mehr antworten, doch dann meinte er plötzlich: »Irgendwie … ist es bei dir ganz komisch. Wenn ich dich sehe denkt mein Kopf sofort: Das wäre der Typ Mädchen, mit dem du nie etwas anfangen würdest. Aber ein anderes Gefühl, tief in mir verborgen, möchte am liebsten…«     

Weiter kam er nicht, denn im nächsten Moment brach er vor meinen Augen zusammen. Panik stieg in mir auf. Ali – war – nicht – da. Ali war nicht da! Verdammt. Natürlich. Oh nein. Ich konnte jetzt nicht mehr richtig denken. Ich vergaß die ganzen anderen Hochzeitsgäste um mich herum und kreischte nur: »Daniel!« Dann sackte ich zu ihm auf den Boden und durchnässte seinen Anzug mit meinen Tränen.     

Ich nahm nur am Rand wahr, dass jetzt auch die anderen Hochzeitsgäste auf uns aufmerksam wurden. Neben mir hörte ich die Stimme von Max: »Alea? Was ist passiert?«     

Ich brachte nur unverständliche Schluchzer hervor. Ein Teil von mir dachte: Oh Gott, was würden jetzt Max und meine Eltern denken, dass ich wegen jemanden von den Casses so aufgelöst war. Doch dem anderen Teil war alles egal. Sollten sie mich doch verstoßen. Wenn er jetzt wirklich tot wäre, dann kümmerte mich mein restliches Leben herzlich wenig.     

»Mama, was hat Alea denn?«, hörte ich jetzt Danas Stimme. Meine Mutter kam jetzt auf mich zu. »Alea, wer ist das? Und was ist mit ihm passiert? Etwa ein Herzinfarkt?« Ich lag weiterhin schluchzend auf Daniel, ohne irgendjemanden zu antworten.     

»Alea…«, hörte ich plötzlich eine Stimme unter mir. Was? Daniel lebte? Aber wie konnte das sein? Ich konnte mir ja nicht vorstellen, dass er einfach aus Schwäche zusammengeklappt war. Erleichtert richtete ich mich auf und drückte ihn an mich. »Daniel, du lebst!«     

Auch die Hochzeitsgäste atmeten alle erleichtert aus und fingen nach und nach wieder mit ihrem Tanz an. Ich spürte schließlich nur noch den Blick von Max auf uns, der mich mit hochgezogener Augenbraue anschaute. Klar war er jetzt verwirrt. So wie ich reagiert hatte… bei einem von den Casses. Nur er wusste es ja. Meine Eltern und Justine waren höchstens etwas traurig, dass ich schon so schnell über Jayden hinweg gekommen bin.     

»Oh Himmel, das ist ja mal gar nicht so gelaufen wie es laufen sollte. Da hat mein Vater wohl ganz schön Bockmist angerichtet.« Nachdem ich ihm aufgeholfen hatte, sagte ich: »Du erinnerst dich? Aber dann ist der Stein ja wirklich zerstört. Warum lebst du dann noch? Es sind sonst alle braunen Steine zerstört.«      »Sicher?«, fragte er mich. Naja, alle braunen Steine befanden sich schließlich in meinem Besitz und die hatte Ali zerstört. Doch nachdem was alles passiert war, war ich mir bei nichts vollkommen sicher. »Ich weiß, wer mehr wissen könnte. Jared.«     

»Denkst du, wir können einfach die Hochzeit verlassen?« »Ich weiß nicht, ob wir es können, aber wir müssen es.« Und so zog ich ihn runter von der Tanzfläche. Als wir gerade gehen wollten, hörte ich noch die Stimme von Jamie hinter mir: »Er ist es, oder?« Okay, das kam plötzlich. Andererseits… Jamie ist auf der Hochzeit und hatte sicher meinen Aufstand um Daniel mitbekommen.     

»Tut mir leid, Jamie. Aber es ist momentan ganz schlecht. Wenn diese Nacht vorbei ist … gerne.« »Ich verlange doch nur ein Ja oder ein Nein.« »Ja«, und damit zog ich Daniel nur noch schneller mit mir mit, damit sie uns nicht noch aufhalten konnte.     

»Was hatte Jamie denn gerade?«, fragte mich Daniel irritiert. Mist. Ich konnte es ihm einfach nicht verschweigen. Daniel war die einzige Person, die ich noch nie bewusst angelogen hatte. Damit wollte ich jetzt nicht anfangen. »Äh, ja. Anscheinend ist deine tote Mutter doch nicht tot.« »Das ist jetzt nicht dein Ernst, oder?«, fragte er noch, bevor wir uns in eine Fledermaus verwandelten.      

Nacht 17 | Leben hat keine Happy Endings!

 [erzählt von Alissa Lester]

 

Vorsichtig versuchte ich meine Augen wieder zu öffnen. Doch ich musste zugeben, irgendwie hatte ich Angst. Ich würde ihn leblos am Boden erblicken und ich hätte Schuld daran. Ich brachte mir nur immer wieder ins Gedächtnis: Ali, du hast das Richtige getan! Aber ich musste feststellen, ich konnte es trotzdem nicht.      Aus diesem Grund drehte ich mich einfach von ihm weg, ohne einen letzten Blick, um die Bar zu verlassen. »Willst du dich denn gar nicht von mir verabschieden?«, ertönte plötzlich eine Stimme hinter mir und ich zuckte zusammen. Das konnte doch nicht sein! Ich hatte diesen Stein doch in meiner Hand zerdrückt. Tja, Ali. Eigentlich solltest du es inzwischen doch gut genug wissen: Das Leben hat nun Mal keine Happy Endings.      Verängstigt drehte ich mich wieder zu ihm um. »Du lebst noch.« »Ja, ist das nicht ein Wunder? Obwohl… wie war das nochmal? Richtig, alle braunen Steine müssen zerstört sein. Gut, dass niemand, nicht mal Alea, wusste, dass ich noch einen letzten braunen Stein besitze. Nur so konnte mein Plan am Ende auch wirklich funktionieren.«     

»Bitte… bitte töte mich nicht«, murmelte ich stockend. Jared fing zu lachen an. »Warum sollte ich dich töten?« »Naja, du bist ein Casses und ich habe das gleiche gerade mit dir versucht.« »Hm… stimmt. Da hast du nicht Unrecht. Allerdings hätte ich gerne noch jemanden zum unterhalten, bis Alea und Daniel hier aufschlagen.«     

»Alea und Daniel? Die werden hier nicht auftauchen. Die sind doch auf einer Hochzeit.« »Das weiß ich. Doch hierfür werden sie die Hochzeit unterbrechen.« Dabei holte er einen braunen Stein aus seiner Hosentasche. Den braunen Stein – den allerletzten.     

»Hast du deinen Fehler denn jetzt wenigstens eingesehen?«, hakte Jared nach, als ich nur wortlos den braunen Stein betrachtete. »Es war kein Fehler… es war das Richtige!« »Und warum hast du dich dann erst so schuldbewusst weggedreht? Du konntest mich nicht mal mehr ansehen.« »Das hatte einen anderen Grund.«      »Sicher? Denn ich denke ich liege gar nicht so verkehrt.« Jared kam jetzt einige Schritte auf mich zu und schaute mir direkt in die Augen. Ich konnte merken, wie mein Herz schneller schlug. »Ich weiß, dass in jedermanns Kopf dieses Feindbild vom anderen Clan eingebrannt ist. Mir könnten uns nie wirklich sympathisch sein. So funktioniert das System in Vellance. Aber Gefühle sollten doch stärker sein als der Verstand… das sind sie immer. Oder was ist bei dir falsch gelaufen, dass das nicht so ist?«     

»Bei mir ist nichts falschgelaufen. Ich kenne nur die Wahrheit. Ich habe sie mit eigenen Augen mitbekommen. Casses sind nun Mal die Bösen. Oder warum hast du Alea sonst ihre Erinnerungen genommen?«      Er überlegte eine ganze Zeit lang, ob er mir antworten sollte, doch am Ende entschied er sich dafür. »Alea hatte den Plan die Casses und Feences für immer zu vereinen. Auch wenn ich Alea als Person traute, traute ich den Feences nicht. Ich konnte mir einfach nicht so vorstellen wie die zu sein. Deshalb wollte ich sie an ihrem Plan hindern und nahm ihr ihre Erinnerungen, sowie Daniel, der auch davon wusste.«     

»Okay, das verstehe ich. Sie kann die Clans doch nicht vereinen! Dann würden wir ja alle anfangen Regeln zu brechen.« »Alissa, ich denke wir sind uns ziemlich ähnlich. Wir beide werden noch durch unsere Vergangenheit gelenkt, weil wir nie damit abgeschlossen haben.« »Ich bin überhaupt nicht wie du! Ich breche doch keine Regeln!«     

»Wenn man die Sache außer Acht lässt, dass du zu den Feences gehörst und ich zu den Casses. Aber vor kurzen ist mir klar geworden… das Leben geht weiter. Wir müssen neue und andere Entscheidungen treffen, aber vor allem bessere.« »Was soll das heißen?«, fragte ich verwirrt.     

»Ich habe meine Meinung vor ein paar Tagen geändert. Vielleicht ist es gab und zu gar nicht verkehrt spießig zu sein.« »Natürlich ist Ordnung nicht verkehrt. Aber wie kann es richtig sein die Regeln zu brechen?« »Ein gutes Gleichgewicht ist anscheinend nie verkehrt. Ich habe mit Aleas gelben Stein, der ihr die Erinnerungen nahm, mal versucht so eine Welt zu erschaffen. Auf der Erde gab es zwar auch ärmere und reichere Leute, aber nicht so extrem wie hier. Und ich muss zugeben… irgendwie fängt es an mir zu gefallen.«      Langsam fing ich an zu verstehen, was er meinte. »Du willst Aleas Plan plötzlich doch durchführen?« »Ich denke irgendwo habe ich es nie vollkommen abgewogen. Sonst hätte ich die beiden Steine, die dafür erforderlich waren, schon längst wieder zurückgelegt.« »Das kann ich nicht zu lassen! Ich will nicht mit den Casses vereint werden.«     

»Tut mir ja leid, aber du wirst keine Chance haben. Wir sind zu dritt und du bist alleine.« Mir fingen an Tränen über mein Gesicht zu laufen. »Aber… ich… ich will kein Mörder werden.« »Das wirst du doch gar nicht«, versuchte er mir einzureden, doch ich wusste es besser. Alles was aus seinem Mund kam… nur Lügen.      »Eigentlich wollte ich es ja nicht… aber mir bleibt wohl keine andere Wahl. Ich muss Alea wohl oder übel bei Lorena verraten.« »Ach, und denkst du Lorena ist rechtzeitig zur Stelle?« »Lorenas Magie ist so stark, sie kann sich an den gewünschten Ort in Sekundenschnelle manifestieren.« »Mag sein, aber schaffst du es schnell genug ins Schloss? Denn soweit ich weiß, sind deine Fähigkeiten nicht so stark.«     

»Nein, aber ich konnte als Fledermaus schon immer schneller fliegen als Alea.« Jared schien wohl langsam die Hoffnung zu verlieren. »Bitte tu’s einfach nicht. Das könnte Aleas Ende sein – und das Ende aller Casses. Auch Daniels Ende. Selbst wenn er deine Liebe nicht erwidert, bedeutet dir Liebe nicht etwas?«     

Manoman, jetzt fing er wieder damit an. »Daniel war nie der Casses in den ich mich verliebt habe.« Und mit diesen Worten stürmte ich so schnell wie nur irgend möglich nach draußen, um zu Lorena ins Schloss zu fliegen.

Nacht 17 | Zu spät!

 

»Wieso kommt ihr jetzt erst?!«, rief Jared wütend, kaum hatten wir die Bar betreten. »Ernsthaft? Wieso hast du uns überhaupt erwartet? Ist ja nicht so als hättest du uns irgendwie Bescheid gesagt«, maulte ich zurück.     

»Ja, ich dachte ja auch nicht, dass wir es plötzlich so eilig hätten. Aber jetzt könnte Lorena hier jeden Moment auftauchen.« »Lorena? Warum das?« »Na warum wohl? Deine sogenannte Freundin?«     

»Was ist überhaupt passiert? Warum seid ihr nicht tot, obwohl der braune Stein zerstört ist?« »Nehm’s mir nicht übel, aber ich habe dir nichts erzählt, weil ich mir noch nicht sicher war, ob ich es wollte. Jetzt weiß ich es aber. Ich habe die zwei Steine aufbewahrt, die du für deinen Plan brauchtest. Wir müssen sie so schnell wie möglich zusammenbringen.«     

Ich konnte nicht sagen, ob ich schon jemals in meinem Leben so erleichtert gewesen bin wie jetzt gerade. Jared hatte echt die Nacht gerettet… kaum zu glauben. Glücklich lief ich auf ihn zu und umarmte ihn.      »Dann stimmt es also, was Ali mir erzählt hat. Du hast dich echt mit dem Feind verbündet.« Ich zuckte zusammen und drehte mich um, um eine enttäuschte und zugleich wütende Lorena vorzufinden. »Hättest du diese Entscheidung nicht auch schon vor siebzehn Tagen treffen können?«, flüsterte ich Jared zu und zu Lorena verwandt: »Ich kann das erklären, Lorena.«     

Ihr liefen nun sogar Tränen über die Wangen. »Ich habe dir vertraut. Ich dachte, mit dir hätte ich eine würdige Nachfolgerin gefunden. Ich habe dir sogar diese unglaublich wichtige Aufgabe gegeben, die für dich bestimmt war.« »Ich möchte die Casses immer noch vernichten. Nur anders, wie du es dir vielleicht vorstellst. Ich möchte beide Clans vernichten, damit wir alle gleich sind und es keinen Krieg mehr gibt.«     

»Indem ein Teil von uns wie die Casses wird und Regeln bricht?«, fragte sie entsetzt. »Aber es ist doch nur ein kleiner Teil…« »Alea! Dieser Teil wird für Grausamkeit und Schrecken in Vellance sorgen.« »Die Casses zu töten wäre grausam!«, schrie ich.     

Lorenas Blick wurde nur noch trauriger. »Wie ich sehe haben sie dein Gehirn schon total vernebelt. Es gibt für dich wohl keine Hoffnung mehr.« »Ja, genauso wenig wie es anscheinend noch Hoffnung für dich gibt.«      Lorena ignorierte diese Anmerkung einfach und drehte sich einmal in ihrem langen roten Kleid, welches eine gewisse Ähnlichkeit mit Alis Kleid aufwies, nur dass Lorenas Kleid Träger besaß. »So, wer von euch dreien wird mir nun freiwillig diese Steine aushändigen? Die andere Option könnte nämlich etwas unschön werden.«     

Ich formte noch ein Nein mit meinen Lippen Richtung Jared. Auch wenn Lorena selber nicht in der Lage dazu wäre diese Steine zu zerstören, würde sie eine Möglichkeit finden… zum Beispiel Ali. Doch es war bereits zu spät. Jared hatte die beiden Steine aus seiner Hosentasche geholt. Jedoch überreichte er sie nicht Lorena, sondern warf sie zu mir und Daniel. »Alea, Daniel, fangt!«     

Natürlich fing ich den gelben Stein, während Daniel jetzt den braunen Stein in seinen Händen hielt. Bevor wir die beiden Hälften aber zusammen bringen konnten, wurden wir in die Luft geschleudert. Fragend schaute ich zu Jared, der aber natürlich nicht Schuld an der Sache hatte. Auch wenn das ziemlich nach Casses Magie aussah.     

»Wie machen Sie das denn jetzt bitte? Mit Feences Magie?«, fragte Jared das, was ich eben schon gedacht hatte. »Fliegen ist doch nicht gegen die Regeln!« »Personen in der Luft herumschleudern aber schon.« »Tja, dann ist es wohl alles eine Frage der Ansichtssache. Ich mache das ja auch nicht gerne, aber merkst du nicht was die Casses aus dir gemacht haben, Alea? Wegen denen stielst du sogar!«     

Vielleicht etwas zu pampig antwortete ich: »Also ich finde jetzt nicht, dass das was du machst ethischer ist.« »Ich mache das doch nur, um schlimme Folgen zu verhindern.« »Eigentlich wollte ich das ja nicht, aber Sie lassen mir wohl keine andere Wahl«, sagte Jared, während er seinen rechten Zeigefinger hob.     

Und ehe ich mich versah, stand Lorenas Kleid in Flammen. »Nein, Jared!«, schrie ich. Da Lorena nun in Flammen stand, war sie nicht mehr in der Lage ihre Magie aufrecht zu erhalten. Wie denn auch, immerhin brach sie in sich zusammen?     

Und so landeten Daniel und ich wieder auf festen Untergrund. Doch anstatt mich um die Verbindung dieser beiden Steine zu kümmern, setzte ich meine Magie ein, um das Feuer mit einem Wasserstrahl zu löschen. »Jared, wie konntest du nur? Sie könnte tot sein!«     

»Tut mir leid. Du weißt ja, dass ich nicht wie du bin. Ich treffe nicht immer die besten Entscheidungen.« Oh ja, das wusste ich nur zu gut. Daniel kannte mich inzwischen zu gut, um mir nicht seinen Stein entgegen zu strecken, sondern ging mit mir zu Lorena.     

»Ich denke, sie hat nicht nur starke Verbrennungen. Die würden schnell wieder heilen. Der Rauch in ihrer Lunge macht mir größere Sorgen.« »Mit Casses Magie könnte man den Rauch von ihrer Lunge, in den Körper von jemand anderem lenken«, erinnerte sich Daniel. »Tja, toll. Dann würde aber derjenige sterben«, lachte Jared.     

»Wenn wir den Rauch aufteilen?«, fragte Daniel jetzt. Ich nickte. Seine Idee war gar nicht mal so schlecht. »Aber wenn nur Daniel und ich den Rauch bekommen, könnte es immer noch ziemlich gefährlich für uns sein«, meinte ich und bedachte Jared mit einem Blick, der sagen sollte: Es liegt an dir.     

Doch der schüttelte nur kräftig mit seinem Kopf. »Niemals. Ich setze doch nicht unser Leben aufs Spiel, nur um das dieser Feences Königin zu retten, die unseres auch nicht verschont hätte… Nein!« »Bitte, Dad! All deine Fehler die du begangen hast, das wäre sicher endlich mal etwas Richtiges.« »Ich glaube das ist nicht richtig. Das ist Selbstmord.«     

»Nein, ich denke nicht. So viel Rauch dürfte dann auch nicht in ihrer Lunge sein. Es ist vielleicht nicht schön, aber durch vier geteilt, können wir alle überleben.« »Und was, wenn nicht?«, fragte Jared. »Keine Ahnung. Aber wenn du nicht mit machst, werden wir es trotzdem tun. Und wenn wir dann sterben, könntest du dir das dein Leben lang übel nehmen.«     

Jared stöhnte. »Ich wusste schon, dass ich keine Wahl habe.« »Doch natürlich hast du die Wahl«, sagte ich und grinste. Aber irgendwie dann ja doch nicht, denn ich wusste genau, dass er es nicht zulassen würde, wenn Daniel und ich das alleine machten.     

Und so zogen wir jeder einen Teil des Rauches in uns hinein, woraufhin wir alle – einschließlich Lorena - anfingen lautstark zu husten. Sie war nun wieder in der Lage, wenn auch nur schwach, zu reden: »Warum habt ihr mir das Leben gerettet?«     

Doch anstatt zu antworten hielt ich Daniel meinen gelben Stein entgegen. »Diese Steine waren schon immer zu mächtig. Sie hätten nie existieren sollen. Denn Macht bringt nun Mal oft Krieg mit sich, weshalb die Vampire die Liebe in Vellance vergessen.« Und auch Daniel streckte mir die braune Hälfte entgegen, um sie mit meiner zu verbinden. Das nun rote Herz in unseren Händen leuchtete nur kurz auf, ehe es sich auch wieder auflöste.     

Jetzt war es an einem Ort, wo es schon die ganze Zeit hätte hingehört – nämlich in unserem Herzen. Es dauerte noch einige Augenblicke, bis wir uns alle wieder vollständig erholt hatten. Lorena war die erste, die das Wort ergriff: »Der Hass in mir… er ist endlich weg.« Auch wenn ich in den Jahren gelernt hatte gegen diesen Hass anzukämpfen, wusste ich genau wovon Lorena sprach.     

»Dann hoffen wir doch jetzt mal, dass deine Freundin Alissa auch von diesem Hass geheilt ist«, sagte Jared. Daniel und ich fingen beide gleichzeitig an zu lachen. Oh je, das konnte ja noch was werden. Jared hatte anscheinend noch keine Ahnung von Alis Gefühlen für ihn. Und dann war da ja auch noch seine von-den-Toten-zurückgekehrt Fast-Ehefrau Jamie. Zum Glück musste ich mich jetzt nicht mehr mit Liebesproblemen rumschlagen. Denn jetzt war unsere Liebe endlich vollkommen legal.

Nacht 18 | Alles Gute nachträglich!

 

Ich öffnete jetzt bestimmt schon zum hundertsten Mal das Whatsappchatfenster von Ali und mir.

Ali?

Melde dich bitte endlich mal!

Hör zu, gib dir jetzt bitte nicht die ganze Schuld. Ich habe auch Fehler gemacht.

Nichts. Keine Antwort. Dabei hatte sie jede einzelne Nachricht gelesen. Sonst antwortete sie immer sofort.      Ich wusste ja nicht mal, ob sie überhaupt Schuldgefühle hatte. Vielleicht hatte sich nichts geändert und sie war immer noch sauer auf mich. Also tippte ich hinterher:

Sei bitte nicht mehr sauer auf mich. Wir sind doch beste Freunde! Die überstehen alles!

Und plötzlich erschienen die unglaublichen Worte Ali schreibt

Ich soll nicht mehr sauer auf dich sein?! Hallo? Du hättest allen Grund auf mich sauer zu sein. Warum bist du es nicht? Du verdienst eine bessere beste Freundin, Alea!

Ich wusste genau was ich antworten musste:

Nein, Ali. Du vergisst mit wem du schreibst. Ich weiß alles über dich. Ich kann verstehen, warum du so gehandelt hast. Bei deiner Vergangenheit… mich wundert es echt, warum du dich überhaupt in Jared verliebt hast.

Okay, vielleicht hätte ich das Thema nicht anschneiden sollen. Ich hatte sie immerhin noch nie darauf angesprochen. Und dann gerade so unpersönlich über WhatsApp?     

Doch Ali schien mir trotzdem zu antworten:

Ich weiß es ja selber nicht. Ich schätze, wir können es uns nicht aussuchen in wen wir uns verlieben.

Ja, damit hatte sie wohl Recht. Gerade als ich ihr antworten wollte, klopfte es an meiner Tür. »Herein!« Im Türrahmen stand Justine, die mich über beide Backen anstrahlte. Ich fand es echt cool, dass wir uns jetzt wieder öfter sehen konnten, wo sie bei mir im Schloss wohnte.     

»Komm mal mit nach unten. Da ist jemand, der dir nachträglich zum Geburtstag gratulieren möchte.« Hä? Mir gratulieren? Ist es dafür nicht etwas spät? Außerdem waren doch alle auf meiner Party gewesen. Skeptisch folgte ich Justine, die anscheinend einfach nicht aufhören konnte zu grinsen.     

Sie schob mich quasi aus der hinteren Tür unseres Schlosses und machte die Tür anschließend sofort wieder hinter sich zu. Da war ich nun, im Garten unseres Schlosses… und wow! Ich kam aus dem Staunen gar nicht mehr heraus. Der Weg war überall mit Lichtern geschmückt. Im weißen Pavillon unseres Gartens stand Daniel, in der Hand ein kleines Geschenk. Lächelnd ging ich die wenigen Stufen zu ihm nach oben.     

»Alles Gute nachträglich«, sagte er strahlend und drückte mir einen flüchtigen Kuss auf den Mund. »Du hast mir doch schon gratuliert, Daniel«, sagte ich lachend. »Ja, aber nicht richtig. Ich habe dich an deinem Geburtstag kaum gesehen, weil ich mich die ganze Zeit mit Ali betrunken habe.«     

Ich wollte gar nicht daran zurückdenken. »Du und Ali scheint euch gut zu verstehen. Vielleicht hätte ich euch schon früher miteinander bekannt machen sollen.« »Ja, ich mag sie irgendwie… auch wenn sie uns am Ende töten wollte. Damals hat sie mich ziemlich gut verstanden.« »Was hat sie verstanden?«, fragte ich.      »Naja, wir hatten beide so unsere Probleme in Sachen Liebe. Ich dachte, ich könnte mich nie in irgendjemanden verlieben… nie dieses Kribbeln im Bauch spüren. Doch wie sich ja herausstellte konnte ich es nicht, weil ich es schon für jemanden empfand. Mir die Fähigkeit dazu aber genommen wurde.«     

Schließlich überreichte er mir das kleine Geschenk, was ich daraufhin neugierig auspackte. Darin befand sich eine Schachtel, in der eine silberne Unendlichkeitskette lag. Moment… »Ist das etwa die Kette?«, fragte ich verwundert. Er nickte und grinste dabei, sodass seine Grübchen zum Vorschein traten. »Die gab es noch? Das ist doch jetzt bestimmt schon fünf Jahre her, als wir die gesehen haben.« »Ja, habe sie ja auch vor fünf Jahren gekauft. Ich konnte sie dir bloß nie geben, weil es dann nicht gepasst hätte.«     

Ich musste überlegen. »Aber als wir an dem Schaufenster waren… war das nicht, als wir unsere Hassphase hatten? Wie konntest du sie mir dann kaufen?« »Eine richtige Hassphase hatte ich für dich eigentlich nie… höchstens von außen, aber nicht von innen.« »Ich… ich weiß gar nicht was ich sagen soll. Die ist… einfach perfekt.«     

»Dann sag einfach nichts. Es gibt da nämlich noch etwas, was wir unbedingt machen müssen.« Ich beäugte ihn skeptisch. Plötzlich drückte er auf einen Knopf neben sich. Erst jetzt bemerkte ich die Stereoanlage, die er auf den Tisch platziert hatte. Als die Musik ertönte, erkannte ich das Lied sofort.     

»Das Lied unseres ersten Tanzes?«, fragte ich lachend. »Ich finde ja, dass wir das heute besser hinkriegen als damals, oder?« Statt einer Antwort legte ich meine linke Hand auf seine Schulter und ergriff mit der rechten seine Hand. Während wir uns im Takt der Musik bewegten, legte ich meinen Kopf irgendwann auf seine Schulter.     

Als die Zeilen and my memory fades ertönten, sagte ich schließlich: »Obwohl Jared unsere Gefühle manipuliert hat, hast du dagegen angekämpft.« »Was? Indem ich mit deiner besten Freundin rumgemacht habe?« Na toll, jetzt hatte er den Moment kaputt gemacht.     

»Nein, als ich dir damals befohlen habe Ali zu retten, hast du mich als erstes gerettet. Auch wenn es natürlich trotzdem nicht richtig war, ich denke, irgendwas in dir hat sich quasi erinnert.« »Erinnern würde ich das jetzt nicht bezeichnen… aber es ist trotzdem schön wenn du das denkst.«     

»Ich denke es nicht nur. Es ist so. Ich denke ein Stück weit können wir immer rebellieren – auch wenn es unmöglich scheint. Sonst hätten wir uns schließlich gar nicht erst ineinander verliebt.« Er grinste. »Die Moral ist also… total kitschig, aber anscheinend wahr: Liebe ist die stärkste Magie.«     

»Naja, nicht immer. Ali ist das beste Beispiel. Es liegt wahrscheinlich an einem selbst. Durch ihre Vergangenheit fand sie wohl kein Vertrauen mehr in der Liebe.« »Und das kann dann wohl auch kein Friede zwischen den Feences und den Casses richten.« »Ich fürchte nein… nur sie selbst.«     

Wir tanzten noch eine Weile weiter. Baby your smile's forever in my mind and memory… Ich wünschte, dass dieser Moment nie enden würde. Er war einfach perfekt. »Dann hat der Stein Dad also wirklich die falsche Zukunft vorher gesagt«, meinte Daniel schließlich. »Das würde ich nicht sagen. Es hieß doch: Ich wäre in der Lage die Casses zu zerstören. Wahr. Und nur du könntest dies verhindern. Auch wahr. Dass ich mich in dich verliebt habe, hat es verhindert. Du bist ein Held, weißt du das?«     

Daraufhin musste Daniel loslachen. »Also für mich bist du der Held, Alea.« Und gerade als ich dachte, dass es kitschiger gar nicht mehr werden könnte, küsste er mich als So baby now…Take me into your loving arms…Kiss me under the light of a thousand stars…Oh darling, place your head on my beating heart ertönte.     

Obwohl das Lied noch nicht zu Ende war, bekam ich den Rest davon überhaupt nicht mehr mit. Wie schon so viele Male davor, war ich ihm jetzt vollkommen ausgeliefert. Nur dieses Mal brauchte ich keine Angst haben, dass mich einer von den Feences erwischte. Und das machte die Sache nicht gerade leichter, denn ich konnte noch nicht sagen, ob ich jemals damit aufhören könnte.

Jahr 5 | Neue Vampirprinzessin!

 

So gingen die Jahre ins Land und obwohl es nun schon fünf Jahre her ist, dass ich meine Erinnerungen verloren hatte, kam es mir vor als wäre es erst gestern gewesen. Auch wenn ich es nicht wollte, es war wohl nicht zu verhindern gewesen, dass Ali und ich danach eher weniger Kontakt zu einander hatten. Dafür hatte ich wieder mehr Kontakt zu Justine, was auch gut war. Doch auch wenn man es im Moment nicht wirklich sehen konnte, Ali und ich würden immer beste Freunde bleiben. Das war uns beiden klar.     

Und irgendwann hatten wir dann natürlich auch wieder mehr Kontakt zueinander. Auch wenn Ali es immer noch abstritt, ich erinnerte mich genau an den Moment, wo wir wieder öfter miteinander tratschten und schrieben.     

Ich und Daniel kamen gerade von einem Besuch in der Eisdiele zurück und ich hatte beschlossen noch ein wenig zu Daniel zu gehen. Gerade als wir die Tür ins Wohnzimmer öffneten, erblickten wir Ali und Jared… auf der Couch… küssender Weise. Als sie die Tür ins Schloss fallen hörten, gingen sie zwar sofort auseinander, doch wir hatten natürlich trotzdem alles mitbekommen.     

»Also das ist jetzt etwas anders als es vielleicht aussieht«, entgegnete Ali sofort. »Ach so«, lachte ich. »Wie ist es denn?« »Äh, also… das war nur jetzt… und ist nichts ernstes.«     

Während Daniel schon den Weg hoch in sein Zimmer gesucht hatte, starrte ich die beiden weiterhin noch entsetzt an. Irgendwie hätte ich es nicht erwartet, gerade weil sich ja jetzt herausgestellt hatte, dass Jamie doch nicht tot ist. Jared schien sich anscheinend das Lachen verkneifen zu müssen. »Du hast sie gehört, Alea.«      Auch wenn ich es an diesem Tag dabei belassen hatte, Daniel teilte mir mit, dass er die beiden immer öfter zusammen erwischte und Jareds Frauenbesuch ging auch rapide zurück. Also in meinen Augen – und auch in den Augen aller anderen – hatte das eindeutig etwas von einer Beziehung. Aber wahrscheinlich war es den beiden einfach nicht möglich, aufgrund der Vorkommnisse, eine normale Beziehung zu führen.     

Aber seitdem erschien mir Ali wieder glücklicher. Und das war ja eigentlich die Hauptsache. Auch wenn es Jamie anfangs noch etwas schwer fiel, irgendwann fing sie an ein neues Leben aufzubauen. Allerdings hieß das nicht, dass sie keinen Kontakt mehr zu Daniel hatte – das schon. Anfangs besuchte Daniel zwar hauptsächlich Jamie, weil diese Angst hatte Ali und Jared über den Weg zu laufen. Aber inzwischen schien auch das kein Problem mehr zu sein.

Nachdem ich mit meiner geballten Faust gegen die Tür geklopft hatte, ertönte die vertraute zwitschernde Stimme: »Herein!«     

»Lorena, du wolltest mich sprechen?« »Ja, setz dich doch, Alea«, sagte sie, während sie auf den Platz neben sich deutete, auf dem ich mich nun setzte. »Ich finde, es wird Zeit für eine neue Vampirprinzessin.« Bitte was? Das hatte sie jetzt nicht ernsthaft gesagt, oder? Nach alle dem was ich für Vellance getan hatte. Lorena schien meinen Blick schnell zu deuten, denn sie fügte als Erklärung hinzu: »Und dabei dachte ich an mich. Ich finde nämlich, jetzt wo du alt genug bist, hättest du es eher verdient Vampirkönigin zu sein.«      Noch mal: Bitte was? Sie wollte mir ihren Platz geben… obwohl sie noch gar nicht tot war? »Hä? Aber warum?«, war das einzige, was ich hervor brachte. »Naja, vom Aussehen kann ich auch als Vampirprinzessin durchgehen oder nicht? Außerdem finde ich, dass du diesen Platz verdienst. Du hast ganz Vellance gerettet, Alea. Du hast mich gerettet! Obwohl ich vor hatte die Casses zu töten.«

Den Weg zurück in mein Zimmer brummte mir echt der Kopf. Ich und Königin? Ich wusste echt nicht, was ich von dem Gedanken halten sollte.     

Naja, eigentlich wusste ich es. Königin zu sein, war schon immer ein kleiner Traum von mir gewesen. Aber irgendwie tat es mir auch Leid für Lorena. Sie hatte so viel geleistet und jetzt wieder einfach nur Prinzessin sein? Okay, ihre Bezeichnung wäre dann vielleicht offiziell Prinzessin, aber in unserer aller Herzen würde sie wahrscheinlich immer eine Königin sein.     

Als ich mein Zimmer betrat wartete Daniel immer noch auf mich. »Und? Was wollte Lorena?« Ich war immer noch etwas sprachlos. »Ähm, naja, ich soll die zukünftige Königin von Vellance sein.« »Wow, das ist ja klasse! Herzlichen Glückwunsch! Du hast es total verdient«, rief er und fiel mir dabei in die Arme.     

»Denkst du, ich werde eine so gute Königin wie Lorena werden?«, fragte ich zaghaft. »Das bist du doch bereits! Hast du etwa schon vergessen, was du in Vellance bewirkt hast?« »Ich weiß, aber ich bin doch noch so jung. Ich schätze, ich bräuchte dann jemanden als König an meiner Seite. Interesse?«     

Daniel fing lautstark zu lachen an. »Ähm Alea, sollte das gerade etwa ein Heiratsantrag sein?« »Was? Wieso? Nein?« »Das will ich aber auch stark hoffen. Das sollte doch meine Aufgabe sein, findest du nicht?«

Ende| Aber es geht weiter...

 Erst mal ein großes Dankeschön an alle, die mein Buch gelesen haben! Da es ja noch viele offene Fragen über Aleas Vergangenheit gibt, wird es auch noch ein Buch über ihre Vorgeschichte geben. Die kann man übrigens auch lesen, wenn man dieses Buch nicht kennt ;)

LG Annika :)

Imprint

Publication Date: 06-21-2015

All Rights Reserved

Dedication:
Für alle von euch, die Vampire genauso faszinierend finden :)

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