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Stricken für Nguyen

Als Jenny den Ball kommen sah, war es zu spät. Er traf sie genau an der linken Schläfe. Jenny fühlte einen leichten Schmerz, dann kippte sie von der Schulmauer,auf der sie gerade noch zwischen ihren beiden besten Freundinnnen,den Zwillingen Jana und Zora, gesessen hatte,und sank bewusstlos auf den harten Schulhofbeton. Anton,der den Ball geschossen hatte,starrte sie aus weit aufgerissenen Augen an. Ach du meine Güte ! Bist du bescheuert ?, schrei Zora, rutschte von der Maue,beugte sich über Jennny und schüttelte sie. Hey,Jenny,was ist ? Jenny wach auf ! Das war doch nicht Absicht !Und wenn schon,getroffen ist getroffen,bekam Anton auch von Jana sein Fett weg,während immer mehr Schülerinnen und Schüler sich um sie scharten und das Spektabel begafften. Was ist denn passiert ? Ist sie tot ? Was ? Nein ! Besstimmt nicht !, wimmerteAnton und machte Platz für Frau Kings,die Biolehrerin. Sie drängte sich mit besorgter Miene an ihm vorbei. Was ist hier los ? Jenny ? Jenny klappte ein Auge auf und grinste von unten in die Runde. Nichts eigentlich ! Du blöde Kuh ! Als Anton merkte, dass Jenny ihm was vorgemacht hatte,hätte er sich am liebsten auf sie gestürzt. Doch Frau Kings wusste das zu verhindern. Schluss jetzt,Anton ! Und du, Jenny,wag es ja nicht,mir noch einmal so einen Schrecken einzujagen. Hast du verstanden ? Ich werd mir mühe geben. Mühe allein reicht nicht,knurrte Frau Kings und löste die Versammlung auf. Lachend ließ sich Jenny von Jana und Zora hochziehen. Gut gemacht,Mädels ! sie hatten die Nummer schon einmal an ihrem Bruder ausprobiertund auch der war drauf reingefallen. Jungs sind einfach DUMM;meinte Jenny,pflanzte sich wieder auf die Mauer und ließnihren Blick über ihre männlichen Mitschüler schweifen, die wie sie auf den Bus warteten, der sie zum Schulausflug in den Lehrwald bringen sollte. Entweder schubsten sie sich, ruinierten sich mit allem, was irgendwie nach Ball aussah, die Schuhe oder hackten wie die besesenen auf Gameboys ein.Kein Wunder, dassdie dinger Gameboys hießen und nicht Gamegirl.A lso vom Intelligenzquatienten her rangieren Jungs knapp über den Amöben,würde ich sagen,fügte Zora hinzu. Aber noch unter den tausendfüßlern,knurrte Jenny.                  

Würmer eben          Lass sie leben                Oder kleben

Irgendwann hatten sie damit angefangen,sinnlose Gedichte zu sprechen. Eine sagte einen kurzen Satz und schon wussten die anderen,dass sie einsteigen mussten. Eine Art Geheimaktion,die sie meistens zum Kichern brachte. Andererseits gibt es doch auch nette Jungs. Das kam von Jana und führte dazu,dass die beiden anderen überrascht die Augenbrauen hoben. Ach ja? Wer denn? Wollte Jenny wissen. Paul zum beispiel   Paul? wer ist Paul? Der Junge aus dem Buch,das ich gerade lese. Seufzend verdrehte Jenny die Augen. Klar, nette,brauchbare Jungs gab es nur in Büchernoder Filmen,aber in wirklichen Leben waren sie so selten wie Einser in Mathe. Allerdings,wozu brauchte man sie auch schon?Höchstens,um sie zu ärgern, dachte sie und freute sich,dass sie die Zwillinge hatte.Die reichten ihr um glücklich zu sein. Jana und Zora sahengleich aus und außer Jenny konnte sie keiner auf Anhieb auseinanderhalten. Sie hatten immer die gkeichen klamotten an und zogen beide  die Nase nach links hoch,wenn ihnen etwas nicht geheuer war. Ansonsten waren sie ziemlich verschieden.  Zora konnte Mathe Jana Deutsch. Jana liebte stricken,Zora hasste es. Trotzdem ließ sie sich nicht lumpen,als ihre Schwester Strickzeug für alle auspackte. Schließlich ging es um einen guten Zweck.Ihre Klasse,die 6b, hatte die Patenschaft für Nguyen Thi Hoe, ein sehr armes Mädchen in Vietnam,übernommen.Jedes Jahr machten sie auf dem Sommerfest einen Basar mit Selbstgebasteltem,damit Nguyen Thi Hoe in die Schule gehen konnte. Außerdem bekam sie ein kleines Geschenk,Buntstifte, einen Rucksack oder einen Taschenrechner. Diesmal sollten selbst gestrickte Socken,Mützen und Pullover das Geld in die Kasse spülen. O wie hübsch!  Jenny und die Zwillinge hatten gerade ihre halb fertigen Strümpfe um ein paar Reihen verlängert,als Flöte und Geige eingehängt wie ein altes Ehepaar vor ihnen stehen blieben. Flöte hieß eigentlich Nora und Geige Ann Kathrein,aber Jenny nannte sie Flöteund Geige,weil die beiden Streberinnen nichts anderes im Kopf hatten,als zu flöten und zu geigen und dauernd damit anzugeben. Für 10euro gehören sie dir,meinte Jenny. Aber nur weil ihr es seid. Flöte verzog ihr Gesicht zu einem spöttischen Grinsen. Diese unförmigen Wollbeutel will ich nicht mal geschenkt und sonst bestimmt auch keiner. Arme Nguyen Thi Hoe. Arme Nguyen Thi Hoe,echote Geige.Sddam Hussein dagegen... Föte und Geige gehörten zur verhassten 6a. Die hatte auch ein Ptenkind. Passenderweise hörte es auf den Namen eines blutrünstigen Exdiktators. Trotzdem sammelte die 6a regelmäßig mehr Geld ein als Jennys 6b,weilFlöte und Geige jedes Jahrein konzert gaben und alle MutUnschuldsgesichttis,Vatis und Omis vor Rührung dahinschmolzen,bis sie fast auf den Boden tropften. Die spenden doch alle nur so viel,damit ihr endlich aufhört zu spielen,konterte Jenny,um sie zu ärgern. Oder aus Mitleid, setzte Zora noch einen drauf. Geige verzog die Augen zu Schlitzen. Du bist ja nur neidisch,Jana! Zora,verbesserte Jenny sie.Es war ihr absolut unbegreiflich, wie man die Zwillinge auch nur eine Sekunde verwechseln konnte. Gut,beide hatten rote Haare,beide Locken,beide die gleichen Sommersprossen an den gleichen Stellen,nämlich überall,beide blaue Augen und beide ein Unschuldsgesicht. Aber so ein böser Kommentar wäre der lieben Jana nie über die Lippen gekommen. Dann eben: Zora. Flöte hängte sich wieder bei ihrer Freundin ein. Auf jeden Fall werden wir euch Verlierer mal wieder locker  übertrumpfen. Vielleicht sollten wir der armen Nguyen Thi Hoe schreiben,dass sie mit der 6b eine Niete gezogen hat. Plötzlich wusste Jenny, dass es noch dümmere wesen als Jungs gab: Sie hießen Geige und Flöte und waren nicht nur Dumm,sondern auch noch eingebildet. Eine teuflische Kombination.Das musste bestraft werden. Wetten,dass wir mehr einnehmen als ihr? Ihr? Ann Katherin stieß ein albernes Gackern aus. Um was?  Um was ihr wollt,antwortete Jenny lässig,sprang von der Mauer und hilet Geige die Hand hin. Geige und Flöte steckten die Köpfe zusammen und tuschelten.Tuschelten und kicherten. Die Verlierer putzen den Gewinnern die Schuhe,sagte Geige schließlich und schlug ein. Vor allen!

Zeugsammler

Der Lehrwald war wirklich vorbildlich.Wo mam hinsah,gerade,hohe Bäume mit Schildern daran,damit man wusste,wie sie hießen und wann sie gepflanzt worden waren,wo sie am häufigsten vorkamen und wie groß sie noch werden würden.Auch die Sträucher,moose und Farne waren beschriftet und vor jedem noch so zierlichen Grashalm mussten die beiden sechsten Klassen der Alexander-von-humboldt-schule stehen bleiben und zu hören,wie Frau Kings ihnen vorlas,was auf den Schildern stand.Als könnten die Schüler nicht alles selber lesen! Und hier sehen wir ein besonders schönes Exemplardes Asplenium trichomanes,also des braunstieligen Streifenfarns,dozierte Frau Kings mit wichtiger Miene. Da bemerkte sie,dass drei gewisse Damen aus ihrer Klasse weit zurückgefallen waren. Jenny,Zora,Jana hier spielt die Musik! Jenny winkte Frau Kings zu,beachtete sie dann abernicht weiter,dennsie hatte über wichtigeres als braunstielige farne mit ihren Freundinnen zu sprechen.Klar hätte ich sonst etwa mit dieser eingebildeten Schnepfe gewettet? Und wie bitte schön?fragte Jana. Einerseits sind die Konzerte von den beiden Ziegen immer brechend voll.... ....Und andererseits müssen wir statistisch gesehen zweihundert paar Wollsocken verkaufen,um nur den Hauch einer chance zu haben,gab Zora zu bedenken.Oder hundert paar und fünfzig mützen oder... Ja schon gut,habe verstanden,unterbrach Jenny sie mürrisch und legte ihr Stirn in Falten.Wer war überhaupt auf die blöde Idee gekommen,mitten im heißesren Sommer aller Zeiten kuscheliges Selbstgestricktes anzubieten? Kingsi natürlich.Und warum? Weil sie einmal in ihrer Jugend Strickkönigen geworden war und immer noch davon zehrte.Dann machen wir eben eine Modeschau,schlug Jenny vor und marschierte wie ein Model vor ihnen auf und ab. Mit gestrickten socken?fragte Zora entgeistert.Warum nicht? Einerseits eine gute Idee..., meinte Jana. ... Aber andererseits der totale Schwachsinn. Socken bleiben Socken.Die werden nur im Winter gekauft,zerscmetterte Zora Jennys Idee wie eine Fliege an der Wand.Jenny verzog das Gesich.Zora hatte recht.Mit Socken würden sie nie und nimmer gegen das kitschige Gedudelvon Flöte und Geige ankommen.Jenny,Zora,Jana,wenn ihr nicht bei drei hier seid! hörten sie eine wild fuchtelnde Frau Kings in der Ferne rufen. Mir fällt schon was ein,sagte Jenny bestimmt und federte mit großen Schritten und einerseits und andererseits im Schlepptau los. So nannte sie ihre Freundinnen,wenn sie mal wieder vor lauter Bedenken auf der Stelle klebten. Gut,dass Jenny immer mutig voranschritt.Als sie Kingsi erreichten,verteilte die gerade Plastiktüten an ihre Schüler.Sammelt alles zusammen,was euch irgendwie interessant vorkommt.Pilze,verschiedene Moossorten,alles,was ihr findet.Späterkönnen wir es dann ausbreiten und bestimmen.Sie nahm Jenny und die Zwillinge ins Visir.Und von euch erwarte ich besonders viel engagement.Jawoll!,salutierte Jenny.Frau Kings verdrehte die Augen.treffpunkt in einer halben Stunde wieder hier.Damit zerstreuten sich die Klassen in alle Richtungen und auch Jenny und die Zwillinge trotteten los und hefteten den Blick auf den Boden.Während Zora und Jana im Nu ihre Tüten vollhalten,war Jenny nicht richtig bei der Sache,sondern dachte angestrengt über das Problem mit der Wette nach.In was hatte sie sich da nur wieder hineinmanövriert? Typisch Jenny. Nie könnte sie den Mund halten.Andererseits war sie felsenfest davon überzeugt,dass sie gewinnen würden.Wenn Socken und Mützen  nicht der Renner waren,mussten sie eben was anderes verkaufen.Nur was? Als ihr Blick an einem Stein hängen blieb,vergaß sie kurzzeitig das Problem und hob ihn auf.Gibts ja nicht! Sofort waren Jana und Zora bei ihr.

Was ist los?                         Etwa Moos?                    Tote hos?

Von wegen tote Hose,sagte Jenny,hielt den Stein gegen die Sonne und versuchte durchzuschauen,was natürlich nicht ging.Der Stein war wunderbar glatt und milchig weiß,aber nich durchsichtig.Das ist ein seltener Lapispopapis! Lapipopapis? Mit einem Blick erkannte Zora, dass Jenny ihnen mal wieder eine ihrer haarsträubenden Geschichten verkaufen wollte. Sieht eher aus wie ein ganz gewöhnlicher Kieselstein,würde ich sagen.Sieht so aus,ist aber keiner,behauptete Jenny und legte den Stein vorsichtig in ihre Hand,als wäre er ein kleiner Käfer,aus dessen Beinchen man besonders aufpassen musste.Er hat magische Kräfte.Welche denn? Jana kam vorsichtig näher.Im Gegensatz zu ihrer Schwester ließ sie sich deutlich leichter reinlegen.Wer ihn findet,steht vor großen Veränderungen, flüsterte Jenny geheimnisvoll,knotete vorsichtig ein Lederband um den Stein und hängte ihn sich um den Hals zu tausend anderen Dingen,die da schon hingen: ihr Schlüssel zum Beispiel,ein Katzenauge in Form einer Eule,die Medaille,die ihr Vater beim Marathonlauf gewonnen hatte,obwohl er Letzter geworden war,und natürlich andere Steine. Jenny liebte alle Steine in alle Formen und Farben und am meisten liebte sie es,sich zu ihnen eine Geschichte auszudenken.Du solltest lieber mal was vernünftiges sammeln,ermahnte Zora und grinste,sonst ändert sich als Erstes deine Bionote.Nach unten. Jenny starrte sie an. Was hatte sie gerade da gesagt? Was vernünftiges sammeln? Das war es!Auf einmal hatte sie eine Idee,wie sie die Wette gewinnen konnten.Wir könnten bei uns im Haus von Tür zu Tür gehen und fragen,ob die Leute was übrig haben für den Basar.Da müssten wir doch jede Menge tolle Sachen sammeln können.Super Idee,sagte Zora.Einersets... ...Andererseits,was wenn Kingsi nicht will, dass wir was anderes verkaufen?,gab Jana zu bedenken.Die fragen wir einfach gar nicht,anteortete Jenny bestimmt und stopfte wahllos irgendwelche Zapfen und Gräser in ihre Tüte,da hörte sie plötzlich einen merkwürdigen,jämmerlichen Ton.Einen Ton wie von einem traurigen Baby oder einer Tür,die zu oft auf-und zugemacht worden war.Jenny horchte in ihre hohle Hand.Hört ihr das auch? Was ist das?;fragte Jana.Jenny zuckte mit den Schultern und folgte gemeinsam mit ihren Freundinnen dem geräusch bis zu der Stell,an der sie sich vor einiger Zeit von den anderen getrennt hatten.Ein riessiger,alter Laubbaum stand einsam auf einer Wiese,quercus robor L., und genau aus dem kam das jammern.Jenny starrte nach oben in die uralte Sommereiche.Es ist eine Katze,sagte sie und zeigte auf eine kleine rote, die ganz nach oben in den Baum geklettert war und augenscheinlich nicht mehr runterkam.Miez,miez trau dich!,lockte Jenny. Guck mal,die drei Schnecken da.Starren löcher in den Baum. Jenny und die Zwillinge drehten sich um und sahen eine andere schulklasse auf sich zukommen.Vorneweg ein Junge mit Hut,gefolgt von drei anderen,die hämisch grinsten.Ein kleiner,ein dicker und einer mit tiefschwarzen Haaren und dunklem Blick. Jenny,Zora,Jana verschränkten die Arme vor der Brust und verzogen die Gesichter.Wenn sie eins hassten,dann Jungs,die sie Schnecken nannten. Der Typ mit Hut und sein Gefolge blieben vor ihnen stehen. Hey,die eine gibts ja zweimal! stellte der dicke fest und biss in ein Brötchen.Der mit dem Hut schaute in den Baum und entdeckte die kleine Katze,die immernoch kläglich maunzte.Ich glaube da brauchtejemand unsere hilfe.Die Katze oder die Schnecke? fragte der kleine und grinste.Beide! Sofort wusste Jenny,wer noch dümmer war als jungsim allgemeinen und geige und flöte im besonderen: eingebildete Typen mit hut.

Doofhut und Tatütata


jenny drehte sich weg,beachtete die Jungs nicht weiter und widmete sich dem Kätzchen.Mucki,mucki,muck,komm,versuch es doch mal wenigstens !

Sie tat so,als hätte sie den Typ mit dem Hut und seine drei Untergebenen überhaupt nicht bemerkt.Das war Jennys spezialität: so zu tun,als wäre sie taub und blind,als wäre ihr nicht aufgefallen,dass der Junge mit Hut ohne seine alberne Kopfbedeckung bestimmt ziemlich gut aussah.Bei ihrem unerträglichen Bruder Wolfgang Amadeus funktionierte die Methode jedenfalls bestens

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Publication Date: 10-28-2013

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