Entspannt lag ich im warmen Wasser der freistehenden Badewanne mit den Löwenfüßen. Von hier aus hatte man durch ein großes Fenster einen perfekten Blick auf die schneebedeckten Felder und die alte Eiche, die wie ein standhafter Matrose wohl schon ein Jahrhundert im Garten stand und Wind und Wetter trotzte. Die Sonne hatte es heute nicht hinter den grauen Wolken hervorgeschafft. Doch im dämmernden Abendlicht hatte dies sowieso keine Bedeutung mehr. Die Flammen der kleinen Windlichter am Fenstersims ließen den Raum in einem angenehmen Licht scheinen. Der Duft von Melisse lag in der Luft. Weißer Schaum bedeckte meinen nackten Körper. Das Klavierstück La Valse D'Amelie lief ganz leise im Hintergrund. Ich schloss meine Augen.
Langsam ließ die Anspannung des Tages von mir ab, als sich plötzlich fast lautlos die Tür öffnete. Etwas erschrocken schaute ich mich um. Ein mir völlig unbekannter Mann kam herein. Völlig nackt. Mit meinen Armen bedeckte ich meine Brüste und fand irgendwie keine Worte. Er war gut aussehend, muskulös und seine Gesichtszüge waren sanft. Wenn ich mir einen Mann hätten ausmalen dürfen, hätte er nicht schöner sein können. Er kniete sich vor mich an den Rand der Wanne. Streichelte mir langsam über meinen nassen, schaumbedeckten Schenkel, was mir ein angenehmes Kribbeln bereitete und jegliche Zweifel darüber, was dieser Mann hier eigentlich machte, zerstreute. Langsam löste ich mich aus meiner Starre. Genoss seine Berührungen, die mehr und mehr meinen ganzen Körper erfassten. Behutsam beugte er sich über mich. Ich schloss meine Augen und genoss es wie seine Lippen zärtlich die meinen berührten und ich ganz sanft seine Zunge spürte. Gefangen in diesem Gefühl purer Erregung, wollte ich ihn fragen:
„Komm doch…“
Doch bevor ich meinen Wunsch ausgesprochen hatte, war der Mann wieder verschwunden. Aufgelöst wie der Schaum in meiner Badewanne. Lediglich mein kleiner Stubentiger lag ausgestreckt auf dem warmen, beheizten Fliesenboden und schnurrte genießerisch vor sich hin. Kurz tauchte ich im mittlerweile erkalteten Wasser ab. Könnte die Realität jemals schöner sein als die Phantasie einer Frau?
Publication Date: 12-17-2021
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Dedication:
Die Phantasie ist das Auge der Seele (Joseph Joubert)