Ha, neben der Heidi ist ein Platz frei!
Ja, die Heidi. In sie habe ich mich erst kürzlich schwer verliebt, aber natürlich nur rein platonisch (oder doch fast). Wo ich doch bestens verheiratet bin. Und obendrein der Sonja, also meiner Eheliebsten, ewige Treue geschworen habe.
Wie sie mich anlächelt, die Heidi. Ob ich mich nicht zu ihr setzen und mit ihr plaudern wolle?
Dieser Aufforderung komme ich mit Vergnügen nach. Zu wissen, dass man geliebt wird – was gibt es Schöneres? Auch wenn es rein platonisch ist?
Beide gehören wir einer Reisegruppe an, die nach Indien unterwegs ist und als deren Leiter ich selbst fungiere. Der Flug nach Bombay (so hieß damals noch das heutige Mumbai; so lange ist das jetzt schon her) dauert die ganze Nacht. Doch ehe ich im Traumland versinken konnte, versuchte ich zu eruieren, wo die Heidi sitzt. Und siehe da, jetzt sitze ich neben ihr, noch dazu fußfrei.
Kennen und lieben gelernt haben wir uns auf meiner letzten Reise. Diese fand erst vor wenigen Wochen statt und führte in das Land der Pharaonen. Und ja, verliebt hatte ich mich tatsächlich, sogar auf den ersten Blick. Aber nicht etwa in die Heidi, sondern in unsere ägyptische Fremdenführerin Amina, eine rassige, dunkeläugige Schönheit, die meine eigenen Augen bezauberte und mein Herz dahinschmelzen ließ, wie man so schön anschaulich sagt. Und doch – und doch ließ ich dieser meiner Verliebtheit keinerlei Taten folgen. Es gab keine Umarmung, keinen Kuss, nicht einmal die harmloseste Berührung, geschweige denn etwas Intimeres. Verliebte Blicke waren das Äußerste, wozu ich mich während der ganzen Woche, so lange dauerte die Reise, hinreißen ließ.
O ja, ein einziges Mal versuchte ich in meiner sagenhaften Gefühlsverwirrung, mit Amina anzubandeln. Das war am dritten Tag der Reise. Da besichtigten wir zuerst die sogenannte Stufenpyramide nahe Memphis und fuhren danach weiter bis zu einer Ansammlung hochnäsiger Kamele, auf denen wir durch die Wüste zum Serapeum, einem unterirdischen Heiligtum aus der griechisch-römischen Epoche, reiten sollten, je zwei auf einem Kamel, ich natürlich mit Amina. Diese unverhoffte Zweisamkeit nutzte ich sofort, um ihr Komplimente zu machen und so. Mittlerweile war ich überzeugt, dass sie darauf nur wartete. Wer beschreibt darum meine Enttäuschung, als sie mir unmissverständlich, um nicht zu sagen, reichlich schroff zu verstehen gab, dass sie davon nichts wissen wolle?
Als ich ihr am Abend gute Nacht wünschte, überraschte sie mich mit der Bitte um Verzeihung. Sie habe mich wohl vor den Kopf gestoßen. Aber das habe leider sein müssen. Sie dürfe sich keinen unnötigen Gefahren aussetzen. In Ägypten sei es für eine Frau gefährlich, sich mit einem Mann einzulassen. Sie riskiere, von ihrer eigenen Familie getötet zu werden. Nur so könne deren Ehre wiederhergestellt werden.
„Einzulassen?“, stammelte ich, einigermaßen erschüttert. „Ich wollte dir ja nur ... Ich wollte ja nur ein bisschen flirten. Weil ich dich so bewundere.“
„Nur? Glaubst du, ich bin aus Eisen? Glaubst du, ich kann unbeeindruckt bleiben, wenn ein Mann mit mir flirtet, noch dazu einer, der mir selber nicht völlig unsympathisch ist?“
Also sprach Amina. Und vom nächsten Morgen an beschränkte ich mich wieder auf verliebte Blicke, konnte mich freilich des Eindrucks nicht erwehren, als mustere sie mich mit ähnlichen Blicken. Und so blieb dies bis zuletzt eine Liebe, die ihre Erfüllung nicht in einer Vereinigung der Lippen oder Zungen fand, geschweige denn der Geschlechtsorgane (was für mich ja sowieso nicht in Frage gekommen wäre), sondern nur in einer Vereinigung der Blicke.
Wie schafft man es, eine solche Gefühlsverwirrung für sich zu behalten? Ich schaffte es nämlich nicht. Ich lechzte nach einer Möglichkeit, das Geheimnis einem Menschen anzuvertrauen und nicht einem Erdloch wie der berühmte Friseur von König Midas. Dieser wusste nämlich als Einziger von dessen Eselsohren und war nahe daran zu platzen, weil er es keinem Menschen erzählen durfte. Was tat er also? Er grub ein Loch, flüsterte sein Geheimnis hinein und schaufelte es wieder zu. Aber daraus wuchs Schilf hervor, und dieses flüsterte im Wind: „König Midas hat Eselsohren.“
Nein, mich
Publisher: BookRix GmbH & Co. KG
Text: Karl Plepelits
Cover: vct310, CC0 Creative Commons
Publication Date: 11-01-2018
ISBN: 978-3-7438-8518-9
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