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Prolog

 

 

 

 

YETI

 

Prolog

 

Das Forschungslabor! Massig und doch verschwindend klein gegenüber dieser monumentalen Landschaft. Die Berge ragen drohend und düster hinter den Gebäuden auf, als wollten sie alles verschlingen, was hier nicht hingehört. Für uns bedeuten diese Bauten – Leben –Wärme- Menschen- Hilfe!!

Der Sturm hat den ganzen Tag an Heftigkeit zugenommen, mit dem Schnee treibt er uns vor sich her. Kaum ist was zu erkennen, aber hier war ich schon und darum weiß ich, dass diese Schatten da hinten die Einrichtungen des Forschungslabors sind. Geschafft!

Ich habe ihn aus meinem Kopf raushalten können, habe dicht gemacht, immer wieder an die Barriere gedacht, unüberwindbar und elementar. Zu!

Er klopft an – ich könnte in seinen Gedanken mit ihm plaudern, mich von ihm, wenn auch nur im Geist, halten lassen. Will ich aber nicht, kann ich nicht aushalten, diese Verzweiflung – dieses Rufen nach mir – diese Einsamkeit nach langer Zeit der Erfahrung, wie es ist sich mit jemandem verbunden zu fühlen, der denkt wie ER, der komplexe Gedanken hat wie ER, mit dem ER Emotionen austauschen kann, Wut – Zorn – Angst – Überraschung und Freude!

Aber das alles will ich nicht mehr. Er ist auch gefährlich, sehr gefährlich. ER ist kein süßes Kuscheltier.

ER muss aggressiv sein, ER muss brutal sein um in einer solchen Umwelt überleben zu können. Das hat ER gelernt, damit ist ER aufgewachsen und zum Anführer der Gruppe geworden.

ER muss schlau und hinterlistig sein, alles ist Beute – schlauer als die Beute zu sei, sie zu überlisten bedeutet Nahrung = Leben.

ER sucht auch das Forschungslabor und darum darf ER nicht mehr in meinem Kopf sein, ich darf ihn nicht hierher führen. Das ist bedrohlich für alle.

Jetzt will ich meine Tochter beschützen, wir wollen leben – überleben.

Die Interessen prallen aufeinander und nun muss ich schlauer sein, muss ihn überlisten und austricksen.

Ich glaube ER hat das schon längst gemerkt. Habe ihm in den letzten Tagen falsche Bilder in seine Gedanken eingespielt, indem ich mich auf Gegenden konzentriert habe, die weit weg von hier sind. ER kennt in weitem Umkreis alles, jedes Gesträuch, jede Erhebung, alle Geröllhalden und Hügelformationen, jeden Stein!

Sobald ER ein Bild von mir erhielt, ist ER in diese Richtung gelaufen.

ER hatte versprochen mir nicht zu folgen – das war seine List. ER verfolgt ein Ziel und da ist ihm jedes Mittel recht. Das Ziel ist sein Lebensinhalt.

ER darf hier nicht hinkommen!

Ich denke intensiv und konzentriert an die Felswand. Immer nur die Felswand. Diese Barriere kann ER nicht durchbrechen und das ist gut so.

Unsere Kräfte sind erschöpft, wir haben das Ziel vor Augen.

Komm mein Kind, das schaffen wir noch, gleich sind wir da.

Kapitel 1

 

Sie haben angefangen die Leichen zu zerteilen, braten die Teile über einem Kerosinfeuer in einer zerbeulten Tonne, die sie im Frachtraum gefunden haben. Es ist rattenkalt, die Leichen sind gefroren und vergammeln nicht.

Wir sind fünfzehn Überlebende, alle mehr oder weniger schwer verletzt, nur meine Tochter und ich sind heil geblieben. Wir haben tatsächlich nichts abgekriegt. Ein Wunder?

Aber so viele andere sind beim Absturz dieser blöden Maschine umgekommen. Der Pilot hat noch versucht eine Bruchlandung hinzukriegen; nun ist auch er tot, ist er Nahrung – Essen – Futter für die Überlebenden.

„Bleibt bloß alle hier zusammen, die suchen uns und können die Blackbox orten“, gibt unser selbsternannter Anführer uns Anweisung.

„Das kann nicht mehr allzu lange dauern. Die haben heute so ausgeklügelte Ortungsgeräte, da kann gar nichts schief gehen!“

Aha, dein Wort in Gottes Ohr!

Diese zerklüftete, bergige und unübersichtliche Gegend verspricht eher das Suchen der Stecknadel im Heuhaufen. Aber gut, warten wir weiter, nun schon den fünften Tag.

Alles, außer der Leichen, ist aufgegessen. Alle Gepäckstücke sind durchwühlt, die Bordküche geplündert. Was soll werden? Ich habe zwei große Packungen Kekse gebunkert. Wer weiß, wofür die noch gut sind.

Auch für meine Tochter habe ich drei große Tüten Zwieback versteckt. Sie mag kein Menschenfleisch essen. Das ist ja auch absolut widerlich. Was soll ich nur machen? Haben wir überhaupt eine Chance?

Und wieder sucht mein Blick die Weite dieser unwirtlichen Landschaft. Es zieht mich regelrecht da hinaus. Eine unbegreifliche Sehnsucht lockt mich; ich habe Angst. Wie geht Überleben?

In Büchern darüber lesen, vorm warmen Ofen mit einem Glas Wein und alles total romantisch finden ist das eine, jetzt bin ich im Buch und nichts ist mehr romantisch. Ich habe Hunger, wir haben Hunger, mein Kind will essen, aber keine Leichen. Sie muss kotzen, wenn sie nur daran denkt. Ich auch.

„Hey Leute, wir müssen auf die Jagd gehen, hier gibt es bestimmt Schneehasen und Schneehühner, wir brauchen was anderes als gefrorenen Mensch! Mein Kind und ich können das nicht essen!“

Alle stieren mich an. Der kleine Dicke mit dem gebrochenen Bein, der mich immer so anstiert brummelt vor sich hin.

„Dann lasst ihr es eben. Ist mir doch egal.“

„Auf die Jagd gehen, hä? Wie das denn? Ich habe keine Ahnung wie das gehen soll.“

Unser Anführer glotzt mich an und schüttelt den verfilzten Kopf.

„Ist dir schon aufgefallen, dass nur du und deine Tochter länger laufen könnt? Also, dann zieh mal los.“
Alle lachen und sehen mich böse an.

„Mama, ich habe schreckliche Angst.“

„Bleib ganz ruhig, Mäuschen.“ Ich drücke sie fest und bin verzweifelt.

„Also gut, ich habe mal gesehen, wie man eine Drahtschlinge legt in der Kaninchen und Fasane gefangen werden können. Vielleicht gibt es hier ja solche Viecher. Ich werde es versuchen.“

Aus den Wrackteilen des Fliegers ragen ne Menge Drähte und Kabel. Ich stolpere über das Trümmerfeld, reiße und zerre an geeigneten Drähten. Schwierig, aber dann habe ich genug Material für die Drahtfallen zusammen.

„Du gehst da draußen vor die Hunde, bevor Du auch nur einen Hasen zu sehen kriegst. Schnapsidee.“

Das sind die tollen Mutmachersprüche.

Was brauche ich noch? Natürlich hat sich Angst in meinen Bauch eingenistet. Aber ich will mein Kind retten. Da sind so viele Gepäckstücke, die wild rumliegen, und viele verstreute Klamotten. Ein großer Rucksack, eine dicke, warme Steppdecke, dicke, mit Lammfell gefütterte Schneestiefel, eine Daunenjacke mit Kapuze, Handschuhe – Mütze – Gesichtsmaske. Das alles kommt auf einen großen Haufen.

„Die meint das ernst.“ Der kleine Dicke ist erstaunt.

„Ich brauche unbedingt noch ein Messer und ne Taschenlampe. Kann mir mal einer helfen? Verdammt, kennt ihr den Spruch nicht – hilf dir selbst, dann hilft dir Gott?!“

Der Anführer hilft mir suchen. Er zieht ein Bein hinterher und ein Arm hängt nutzlos in einer Schlinge, aber er hilft suchen. Wir finden sogar noch eine LED-Stirnlampe und ne Menge Batterien, ein großes, echt scharfes Messer und Sisalbänder. Das alles kommt mit.

An diesem Abend packe ich den Rucksack mit zitternden Händen. Mir ist ganz schlecht vor Angst. Doch der fünfte Tag ist vorbei, sie braten wieder Leichenteile und nichts sonst ist passiert.

Vielleicht finde ich ja auch einen Weg hier raus, eine Ortschaft, einen Einsiedler, irgendwie Hilfe.

Ich packe mein Kind in das Nest aus Klamotten, die ich aus den herumliegenden Koffern gesammelt und ganz hinten im Flugzeugrumpf aufgestapelt habe. Auch meine Kleine hat Angst, aber sie hat auch Vertrauen. Die Mama macht das schon, wie immer.

Wir sitzen am Feuer und irgendwie sucht die Weite meinen Blick. Die Weite, voller Schatten und Dunkelheit. Das ist alles so völlig absurd. Ich erschrecke mich vor meiner eigenen Courage. Was bin ich nur im Begriff zu machen?! Alle gehen Schlafen und die Kekse müssen noch eingepackt werden. Heimlich! Ich glaube, einige von ihnen wären bereit, für ein paar Kekse zu töten.

„Du darfst den Zwieback nur heimlich hier in deinem Nest lutschen, bloß nicht laut krachend kauen! Die erschlagen dich und nehmen ihn dir weg,“ musste mein Kind lernen.

Auch das ist überlebenswichtig.

Ein zartes Hell lässt den Tag erahnen. Kein neuer Schnee, kein Sturm, ein guter Tag zum Aufbruch; erster Versuch.

Kapitel 2

 

Dick eingepackt, die Angst vor dem Ungewissen im Gepäck stapfe ich los. Noch einmal zurückschauen und dann weiter. Schneewehen und Geröll machen das Laufen schwer. Tja, wo ist eine gute Stelle für eine Schlinge? Ich habe keinen blassen Schimmer. „Hasenköttel!“ jubiliert mein Verstand. Ein ganzer Haufen. Dies ist sicherlich ein guter Platz für die erst Schlinge. Ich zerbrösele einen Keks, lege eine Spur damit zur Schlinge und decke diese mit Zweigen und vom Fels abgekratztem Moos zu. Jawoll! Ich bin zufrieden. Noch vier andere Stellen mit Hasenhaufen scheinen mir günstig.

Der Himmel hängt voller dicker Wolken, durch die nur diffuses Licht sickert. Vielleicht ist es um Mittag herum. Sich den Weg merken ist wieder überlebenswichtig. Alles sieht gleich aus und doch immer anders. Die Fallen und die Strecke dazwischen markiere ich mit fünf Steinen, die aufeinander gelegt werden, kleine Steinhaufen. Immer fünf Steine aufeinander. Hoffentlich finde ich die wieder.

Die Wolken werden immer dichter, es riecht nach Schnee. Scheiße, ich brauche ganz schnell einen Unterschlupf. Eine kleine Felsformation, zerklüftet und mit übereinander liegenden Steinbrocken, mit Zwischenräumen und Spalten. Einiges Gezweig kommt zum Einsatz, Gott sei Dank gibt es hier überall so krüppeliges Gesträuch, damit dichte ich mir eine Felsnische so ab, dass kein Schnee reinwehen kann. Der Sturm bricht mit einer solchen Heftigkeit herein, es hat den Anschein von Weltuntergang. Dann kommt der Schnee. Au Mann, auch das noch. Die kuschelig warme Steppdecke im Rucksack leistet mir jetzt gute Dienste. In meinem winzigen Bau ist es einigermaßen erträglich. Ich knabbere und lutsche ganz langsam einen Keks und lasse etwas Schnee im Mund schmelzen. Mageres Mahl, aber mehr traue ich mich nicht zu essen, die anderen Kekse müssen für die Fallen als Köder herhalten. Am Besten, im Moment gar nichts denken, einfach abwarten, sich nicht verrückt machen.

„Noch keine Rast. Weitergehen. Nicht Stehen bleiben. Weiter zur Höhle.“

Was ist das? Ich schrecke auf und ramme mir den Kopf an der Felsendecke. Aua, scheiße, aber was war das?

„Fressen in Höhle. Ich Anführer.“

Ach Mist, jetzt drehe ich wohl schon durch! In meinem Kopf blitzen Bilder auf. Eine ganz andere Felsformation als meine hier, eine geräumige Höhle. Pelz – Zottelpelz – riesig große Füße – eine Schnauze – Knopfaugen. Noch mehr Füße – noch viel mehr Zottelpelz – lange Arme mit großen Krallenhänden. Knurren und Raunen, gefährliche Laute, Drohgebärden. Dann wieder Ruhe. Sie gehen weiter. Große, gescheckte Zottelgestalten.

Vorsichtig krieche ich aus meinem Bau und sondiere die Lage. Der Wind hat nachgelassen. Es schneit nicht mehr. Keiner ist weit und breit zu sehen.

Ich höre – spüre – weiß einfach die Gedanken dieses Anführers! Sehe, was ER sieht, was ER fühlt. ER ist zornig, - Die sind so blöd – nicht verstehen – nichts wissen – nicht denken! –

ER knurrt aggressiv, als zwei Zottel anfangen sich um ein anderes Zottel zu streiten. Dieses ist viel kleiner und scheint eingeschüchtert. Sie zerren an ihm, schlagen nach einander und brüllen ganz grässlich. Ich glaube, das ist ein Weibchen! ER teilt heftige Hiebe aus und die Zottel trollen sich wieder.

„Erst Höhle!“ schreit ER und ärgert sich über so viel Blödheit.

Hey, das ist ja irre! Ich grinse vor mich hin und sehe mit geschlossenen Augen, was da los ist.

Scheinbar habe ich, aus mir nicht bekannten Gründen, eine telepatische Verbindung zu diesem Oberzottel. ER aber hat mich wohl nicht auf dem Schirm. Ist vielleicht auch besser so. Hoffentlich sind die weit weg, sie machen nicht den Eindruck als seien sie süße Kuscheltiere. Schmutzig weiß gescheckte Zottel….ja was? Richtig Tier kann man nicht sagen, aber auch keine Menschen. Nein, nein, keine Menschen, eben Zottelwesen. Jedoch der Anführer hat derartig komplexe Gedanken und ärgert sich über die Blödheit seiner Kumpane, das ist schon erstaunlich.

Der Sturm hat ganz nachgelassen. Ich muss zurück, solange es noch halbwegs hell ist. Und tatsächlich, da ist auch schon der erste Steinhaufen. Fünf Steine aufeinander. Der nächste Haufen markiert die Schlinge. Ein Schneehase hat sich stranguliert, ekelig, aber es klappt! Doch ich muss fast kotzen. Behutsam löse ich ihn aus dem Draht, binde seine Hinterläufe mit einem Sisalband zusammen, hänge ihn mir über die Schulter.

Wow, dachte nicht, dass Hase so schwer ist. Muss mich beeilen, es wird bald dunkel und wer weiß, wo die Zottel sind. Bleibe stehen, mache die Augen zu und stelle mir die Zottel vor. Da ist augenblicklich wieder der Kontakt.

ER schreckt auf, ist total irritiert, schaut hin und her, dreht sich im Kreis. Das alles spüre ich so deutlich, kriege alles genau mit – und blende lieber schnell aus. ER soll mich nicht bemerken. Noch nicht! Ängstlich, aufgeregt und breit grinsend laufe ich weiter.

So was passiert doch keinem! Das glaubt doch keiner! Bin vielleicht einfach nur durchgeknallt. Ist aber trotzdem irre.

In drei weiteren Schlingen sind tatsächlich Schneehasen. Zum Glück schon tot, weiß nicht, ob ich das könnte, die Tiere umbringen. Noch nicht! Die sind so scheiße schwer, wie weit muss ich denn noch laufen? Mit der Stirnlampe auf dem Kopf finde ich einen Steinhaufen nach dem anderen. Immer fünf Steine aufeinander. Um den nächsten Felsen und da ist auch schon ihr Kerosinfeuer. Geschafft. Mit den schweren Hasen stolpere ich ins Lager. Bin total fertig! Mein Kind fliegt mir laut kreischend und weinend entgegen.

„Oh Mami, ich hatte solche Angst!“ Sie schluchzt herzzerreißend ,ich halte sie ganz fest.

„Mein kleines Mädchen, es ist alles gut. Jetzt gibt’s was zu essen.“

Sie glotzen alle so total ungläubig, dass ich lachen muss.

„Du hast das echt geschafft!“

Mit Schwung werfe ich ihnen die Hasen vor die Füße.

„Ausnehmen müsst ihr sie. Meine Tochter und ich kriegen zuerst was.“ Ich schaue ihnen allen fest in die Augen, jedem einzelnen und sie wagen es nicht, zu murren.

Wir haben heute Nacht ein Festmahl. Allmählich spüre ich, wie wieder Kraft in meinen Körper strömt. Ich krieche zu dem Kind ins Nest und schlafe sofort ein.

ER ist in meinen Träumen, begleitet meinen Schlaf, ohne eine Ahnung davon zu haben. ER spürt zwar, da ist irgendwas, versteht aber nicht was und ich lasse es ihn nicht wissen, noch nicht. Auch ich muss erst begreifen. Durch mein Wissen um ihn und seine Gruppe bin ich im Vorteil. Das ist wichtig in einer für mich lebensfeindlichen Umwelt.

Beim ersten Dämmerlicht bin ich schon wach und spüre diesen, meinen Körper mit all seinen Muskeln und Knochen. Alles tut mir weh! Heute gibt es kein Aufstehen, nicht einmal bewegen kann ich mich. Wusste nicht, dass man so viele Stellen am Körper hat, die einen peinigen können. ER ist in meiner Erinnerung, das Adrenalin spült mir durchs Blut. Aufregung und ein Lächeln wecken meine Lebensgeister.

„Mama, ich habe Hunger.“

„Da ist noch etwas von dem Hasenfleisch und du hast noch von dem Zwieback.“

„Gehst du heute wieder los?“

„Ich muss, mein Schatz, weiß aber noch nicht, wie ich mich jemals wieder bewegen soll.“

„Hast du Muskelkater?“

„Oh ja, ganz schlimm, die Füße tun weh und pochen. Aber es wird schon gehen, muss ja.“

„Kommst du denn heute Abend wieder?“

„Ich denke schon, es sei denn, das Wetter oder sonst was macht Ärger. Mach dir keine Sorgen, ich passe auf mich auf. Meine Schutzengel machen Sonderschichten. Es wird alles gut gehen!“

Wie überzeugend sich das für das Kind anhört, wie selbstsicher. Mir selbst geht die Düse. Habe meine Angst überwunden, mich aufgerafft und was bewegt. Damit höre ich jetzt nicht wieder auf. Die Hoffnung auf Rettung ist wieder da …… und ER.

„Mein Mädchen, zieh dich gut warm an und lauf ganz viel ums Lager. Nicht weit weg, sondern nur ums Lager. Das macht dich warm, bringt deinen Kreislauf in Schwung und trainiert dich. Das ist wichtig, denn wenn ich einen Ausweg gefunden habe musst du fit sein und laufen können.“

„Kommt denn doch keine Rettung, wie die anderen sagen?“

Ich weiß es nicht. Wir werden sehen. Lauf rum, mach dich fit! Du musst eventuell weit laufen können.“

Das flüstere ich ihr alles ganz ruhig und sehr leise ins Ohr.

„Sag den anderen nichts davon.“

Nach einem nicht gerade schmackhaften, kaltem Hasenfleisch – Frühstück verpacke ich mich wieder in viele Schichten Jacken und Gedöns.

 

Kapitel 3


Die Angst ist wieder da. Vielleicht sind die Fallen besetzt und es geht schneller als gestern. Werde wieder den selben Weg nehmen, mich an den Steinhaufen orientieren, immer fünf Steine aufeinander.

Gehe doch weiter, um mehr Fallen auszulegen und die Gegend noch mehr zu erkunden, Rettung zu suchen. Finde ich auch ihn wieder? Will ich ihn finden? Ist der Nutzen größer als die Gefahr?! Das Gefühl von Alleinsein und Einsamkeit ist mit ihm in meinem Kopf nicht so schlimm, aber die Gefahr?! Geht von ihm und seiner Gruppe eine Bedrohung aus? Ich weiß es nicht. Vorsicht ist geboten.

„Gehst du heute wieder raus?“

Unser Anführer humpelt mit schleifendem Bein auf mich zu.

„Ja.“

„Du bist eine starke, mutige und clevere Frau. Bewundernswert.“

„Ich hoffe, dass die Ausbeute heute größer ist und ich morgen hierbleiben kann. Mir tun alle Knochen weh.“

„Wir können dir nicht helfen, sind so verdammt nutzlos!“

Der Frust und der Zorn darüber, dass er so machtlos ist, verzerrt seine Gesichtszüge. Seine Augen schimmern feucht. Er ist ein guter, verlässlicher Mann, der noch weiß, was Anstand bedeutet.

Mit der Hand auf seiner Schulter schaue ich ihm tief in die Augen.

„Bei dem Absturz bin ich unverletzt geblieben, ist eben Schicksal. Du kannst auch was für mich tun! Achte auf mein kleines Mädchen, sei ihr ein Halt wenn ich nicht da bin.“

Er berührt mit seiner Stirn die meine und schwört, mein Kind zu beschützen. Die Kleine steht neben uns und sieht ihn an. Er lächelt und legt seine gesunde Hand auf ihren Kopf. Diese Geste von Wärme und Sicherheit rieselt mir ins Herz.

„Sei auf der Hut,“ flüstert er mir zu,“ dein Kind ist bei mir und wir denken an dich.“

Meine Kleine schmiegt sich an mich und ich drücke sie ganz fest.

„Trainiere, mein Schatz, sag auch ihm nichts davon,“ raune ich ihr zu. Dann bin ich wieder auf dem Weg. Die anderen schlafen noch. Es dämmert ja erst.

Ohne mich noch einmal umzuschauen bin ich wieder auf im Unbekannten, zwischen Geröll und Felsen. Es fällt mir schwer. Jeder Schritt schmerzt.

Wieder der erste Steinhaufen, wieder fünf Steine aufeinander. Beim Weiterlaufen prägt sich mir auch mehr und mehr die Landschaft ein.

Diese Stille – die Weite – die Kargheit! Das schärf die Sinne. Keine Ablenkung, nur der Wind, die Gerüche nach Erde, Geröll und Felsen, immergrüne Krüppelgesträuche. Alles prägt sich mir ein. Da ist plötzlich ein anderer Geruch, der alles überlagert. Süßlich und nach Eisen, das kenne ich: Blut. Vorsichtig luge ich um den nächsten Felsen, hier war ich gestern auch. Der nächst Steinhaufen, fünf Steine aufeinander, die erste Schlinge. Wieder ein Hase, er ist tot aber noch warm und er blutet. Das habe ich also gerochen. Den Hasen nehme ich erst auf dem Rückweg mit, er ist zu schwer um ihn die ganze Zeit mitzuschleppen. Erst mal sehen, was mit den anderen Fallen ist. Die Steinhaufen weisen mir den Weg. Müssen sie irgendwann zerstört werden, weisen sie auch anderen den Weg? Noch bin ich mir nicht sicher genug in dem Gelände, ein Risiko, doch sich zu verlaufen wäre äußerst tragisch. Lieber das Risiko, dass die Wegmarkierung entdeckt wird eingehen, das ist im Moment das kleinere Übel. Weiter! Die anderen Schlingen sind auch voll. Noch zwei Hasen und zwei Schneehühner. Lecker Hühnchen, da werden die anderen sich aber freuen. In meinem Bau wird erst mal Pause gemacht. Einen Keks lutschen und dabei Schnee im Mund zergehen lassen.

Da ist ER plötzlich wieder. Ich erschrecke mich wie beim ersten Mal und ramme mir den Kopf am Felsen. Aua, wie blöd!

Bilder in den Gedanken, die Höhle, ein Feuer, weibliche Zottelwesen drum herum sitzend. Zwei – drei Kinder. ER sieht sie von weitem. Ich sehe alles mit ihm durch seine Augen. Die Gegend ist so anders, als die hier bei mir.

„Großes Yak. Menge Fleisch. Viel Fell. Alles zum Arbeiten. Zähne meins. Habe Yak getötet. Sie schleppen.“

Seine Gedanken sind mir wie Worte im Kopf, verstehe sie einfach, spüre seine Emotionen. ER ist nicht zornig wie gestern, ER ist stolz.

„Großer Anführer. Starker Mann. Gut für Frauen.“

ER nennt sie – Frauen -. Ich spüre seine Erregung, es kribbelt ihm in den Lenden. Au Mann, das kann ja heiter werden, aber auch spannend!! Soll ich versuchen mich bemerkbar zu machen? Nein, der Spaß soll dem erfolgreichen Jäger nicht verdorben werden. Sie teilen das Yak, es geht präzise, aber auch brutal zu. Zimperlichkeit ist nicht angesagt. Die – Frauen – kreischen und reiben sich immer wieder an ihm, das erregt ihn bis zum äußersten. Die anderen – Männer – aus der Gruppe beäugen ihn neidisch. Sie grummeln und grunzen aggressiv. Auch sie sind erregt, aber müssen sich zurückhalten. ER ist dran. ER hat das Yak erlegt. Das sind die Regeln und spornen alle an, bei der nächsten Jagd vollen Kampfgeist zu zeigen. So funktioniert hier Motivation.

ER sieht das Leuchten in den Augen der – Frauen - . ER freut sich, kann wählen und doch trübt etwas seine Euphorie, ich spüre das ganz deutlich. ER schaut alle – Frauen – an, ER kann wählen und doch …… . Etwas fehlt.

Dann geht ER zu ihr, die ganz hinten, abseits hockt. Sie wird von den anderen nicht gern genommen. Sie ist irgendwie anders. Sie hat ein braunes und ein strahlend blaues Auge. Sie hat etwas von dem, was ER sucht.

ER schaut sie lange an und spürt dann doch, dass sie seine Seele nicht berührt. ER geht zu ihr. Sie ist alles, was ER hier bekommt. ER nimmt sie nicht einfach brutal und auf der Stelle, wie die anderen es gemacht hätten. ER will behutsam sein, setzt sich zu ihr, berührt ihre Stirn mit seiner. Eine liebevolle und zärtliche Geste. Ein deja-vue. Genau das habe ich heute morgen erlebt und weiß diese Aufmerksamkeit zu schätzen, diese liebevolle Geste unseres Anführers hat mich tief berührt. So was bei den Zottelwesen hätte ich nicht erwartet. Erstaunlich. Sie schaut ihn mit großen, fragenden Augen an. Sie versteht sein Verhalten nicht. ER konzentriert sich ganz auf das Blau ihres Auges. Es strahlt ihn an, verspricht mehr. ER drückt seinen Mund auf ihren, auch das versteht sie nicht, doch auch sie ist jetzt erregt. Das wollte ER. Sie soll ihn genauso wollen, wie ER sie. ES soll kribbeln und verführerisch sein, es soll heiß sein. Langsam, zärtlich, mit Bedacht. Seine Erregung drängt ihn zu mehr. ER hält sich noch zurück, sie ist ungeduldig und schnalzt mit der Zunge. ER lächelt, ich spüre sein Lächeln und meine Verblüffung könnte nicht größer sein. Behutsam drückt ER sie auf das weiche Lager. Sie liegt vor ihm, ihre Augen schauen glasig zu ihm auf. ER spürt und riecht ihre Erregung. Sie will ihn – jetzt. Langsam und ohne Hast drückt ER mit seinem Knie ihre Schenkel auseinander. Es soll schön sein, nicht schnell und brutal. ER dringt in sie ein, eine so große Freude, Wildheit und Hitze überflutet seinen Körper, sein Herz jubelt. Ganz langsam zieht ER sich wieder zurück. Sie ist so feucht, eng und heiß. ER gleitet ebenso langsam wieder in sie hinein. ER geht bis an die Grenzen seiner Selbstbeherrschung und schiebt sich in sie rein, langsam, füllt sie ganz und tief aus. Aus ihm steigt ein grollendes Grunzen. Überwältigende Lust, pure Freude erfüllt sein ganzes Sein. Jetzt, in diesem Augenblick liebt ER sie! Seine Stöße werden wilder und ER sehnt sich nach Erfüllung. Mit einem alles durchdringenden Schrei überrollt diese heiße Welle sein Bewusstsein und seinen Körper. ER ergießt sich in sie, bleibt reglos kurz auf ihr liegen. Auf die Ellbogen gestützt schaut ER sie an, sieht in ihre Augen und erkennt das Nichtverstehen, die Frage nach dem, was hier gerade geschehen ist, ohne dass sie die Frage begreift. ER liebt nicht sie, er liebt das, was sie verkörpert, was ER in ihr sehen wollte, SIE, die einmal seine Gefährtin war.

Tiefe Enttäuschung breitet sich in ihm aus, ER nimmt es ihr nicht übel. Sie hat nur dieses blau leuchtende Auge, in dem ER sehen wollte, was nicht da ist. Da sind nicht diese Gefühle. Die hatte nur SIE, wie ER.

Noch einmal legt ER seinen Mund leicht und sanft, wie Schmetterlingsflügel auf ihre Lippen. Wieder lächelt ER dabei, entblößt nicht seine Zähne, das könnte sie missverstehen. ER sagt Danke, denn ER weiß, das, was hier eben gewesen ist, ist das äußerste, was ER bekommen kann. Sie ist ruhiger als die anderen, freut sich über kleine Gesten der Zuneigung von ihm. Ihr blaues Auge stahlt so hell und schimmert wie ein tiefer See. ER verliert sich kurz in dieser Tiefe, dann geht ER zu den anderen.




Kapitel 4




Dieses Erlebnis macht mich sprachlos, rührt mich, hinterlässt ein Gefühl der Zugehörigkeit.

Kann ER, der so einfühlsam und zärtlich ist gefährlich sein? Schon bin ich kurz davor meine Zurückhaltung aufzugeben, da brüllt ER los. Teilt Hiebe aus. Sie wollten ihm die Zähne nicht geben.

Von einem Extrem ins nächste. Rücksicht und Verständnis und dann rohe Brutalität und Wildheit.

Vor lauter Erstaunen läuft mir mein Verstand davon. Noch ganz erfüllt von dem eben Erlebten erklingt plötzlich die Musik von Michael Bolton in meinem Kopf, so zart und doch mit Macht.

Aller Vorsicht zum Trotz lasse ich diese Klänge zu ihm fließen.

ER schreckt hoch, sieht sich hektisch um. Immer wieder schlägt ER sich gegen den Kopf. Totale Verwirrung bringt ihn aus dem Gleichgewicht. ER taumelt zum Höhlenausgang. Die Musik spielt weiter, was ist das? So etwas kennt ER nicht. Oh je, der dreht ja völlig am Rad, denke ich mir und spreche ihn an.

„Hey, du! Kannst du mich verstehen? Du bist in meinen Gedanken und ich höre dich.“

Stocksteif bleibt ER stehen, verharrt ganz ruhig. ER hat eine Ahnung, was hier abgeht.

„Wo bist du?“

„Weiß ich auch nicht. Irgendwie hier und doch weit weg. Meine Gedanken sind in deinem Kopf und deine in meinem.“

„Wie kann das sein?“

„Auch dafür habe ich keine Erklärung. Du bist anders als die anderen aus deiner Gruppe. Du

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Publication Date: 04-24-2015
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Für meine geliebten Kinder

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