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Plan vs. Wirklichkeit

Hat die Wirklichkeit was gegen Pläne? Warum boykottiert sie die regelmäßig? Hat sie ein Bündnis mit dem Zufall? Wollen die beiden keine Einmischungen, soll der Mensch kein Mitgestalter sein? Wie sollen wir uns am Weltlauf sinnvoll beteiligen mit drittklassigen Plänen?

Man will nicht gänzlich unvorbereitet sein. Mensch vs. Fakten. Ist das erledigt, kann es zu den Akten. Die Götter halbwegs gnädig stimmen durch saugute Pläne. Vielleicht stimmt etwas nicht mit unserer Wirklichkeitsauffassung? Die Vorstellung, dass Apps uns sicher durch den Alltag bringen … KIs als Planungsassistenten, als digitale Butler.

Wir versprechen uns unglaublich viel vom richtigen Planen. Ein Schachspiel durch einen super Plan gewinnen, wir sind hervorragende Pläneschmiede. Allerdings wirken die Gegner nicht so mit, wie geplant. Das Leben prüft uns – und das Vorbereitete kann man meist nie verwenden.

"Je planmäßiger der Mensch vorgeht, umso wirkungsvoller trifft ihn der Zufall", meint Friedrich Dürrenmatt. Wir landen immer wieder beim Ungeplanten; man muss sich etwas einfallen lassen. Was stimmt nicht mit unseren Erwartungen? Ist der Zufall übermächtig? "Planung ist die Ersetzung des Zufalls durch den Irrtum." Die Wissenschaft ist vor allem eine Aneinanderreihung von Irrtümern. Man falsifiziert sich so durchs Leben. Der nächste Tag widerlegt den vorigen. Alles roger, so kennt man es, so liebt man es.

Man will dem Zufall nicht unbewaffnet gegenübertreten. Man schwenkt stolz seine To-do-Liste. Kann man damit zumindest sich selbst beeindrucken, damit Eindruck schinden beim höheren Selbst? Was man so vorhat, geniale Intentionen. Alles durchgetaktet. Richtig gute Drehbücher. Aber die Wirklichkeit sagt Nein. Sie lehnt alles ab, egal, was man ihr vorlegt. Als ob ihr Immunsystem was gegen Pläne hat. Wir sollen nicht die Kontrolle über sie gewinnen? Wie ein Pferd, das partout nicht geritten werden will. Fürchtet sie den Kontrollverlust?

Wären wir gute Herrscher, wenn all unsere Pläne umsetzbar wären? Pläne sind unsere Schatzkarten: Das Ziel ist etwas Wertvolles. Oder wir bilden uns ein, dass es erstrebenswert sei. Manchmal kann das Ungeplante punkten: Es hat erstaunlich viele Glücksmomente – der Reiz des Spontanen; das Außer-der-Reihe. Ein versierter Pläneschmied übersieht womöglich eine gute Gelegenheit, er hat nur Augen für seine nächsten Pläne, die er anfertigt, bearbeitet.

Der Preis fürs Planen: Inflexibilität. Alternativen können nicht mithalten mit dem Plan. Der Plan hat Vorrang. "Organisiertes Wunschdenken", nennt es verächtlich der Phlegmatiker. Sein Mantra: "Anything that can go wrong will go wrong." Er kann auf die zahlreichen Planungsdesaster der Menschheit verweisen. Ein paar Stichworte: "Unsinkbare Titanic; Napoleon in Russland; Bau des Berliner Flughafens; Cybertruck-Fenster-Test."

Alles eine Nummer kleiner? Konzentration auf Tagespläne. Mini-Erfolge. Das "Du bist der Boss Deines Lebens!"-Gefühl muss doch irgendwie zu schaffen sein?! Motto: "Weg vom Fünfjahresplan zum Fünfminutenmodus!" Viele natürliche Feinde des Tagesplans. Man könnte ein Buch darüber schreiben: "Top-Ausreden, warum Pläne heute leider nicht möglich waren."

Aber besonders Prokrastinateure sind dankbare Abnehmer für gute Pläne. Der Plan hat zumindest die Absicht, es mit der Aufschieberitis aufzunehmen. Man drückt ihm die Daumen. Der Tagesplan ist manchen Widrigkeiten ausgesetzt. Er sollte dem standhalten können. In der Fantasie tauchen manche Fakten gar nicht auf. Pläne entstammen der Fantasie; manche Fakten verstören sie. Die Welt leidet an Fakten-Überfülle. Pläne sind meist ein Gedankenspiel, ein Gedankenexperiment. Sehr kontrafaktisch. Das Praxisferne fällt zunächst nicht auf. Man kann auch umschwenken auf Ideologie-Kurs; dann vermeidet man unschöne Zusammenstöße mit der Realität – man weicht ihr geschickt aus.

Verbittet die Zukunft sich diese Vorwegnahme: sie durch Pläne gewissermaßen festnageln wollen? Sich einmischen in ihre Belange, den künftigen Zeitgeist jetzt schon manipulieren, ihn auf seine Seite ziehen wollen? Was sind das für bauernschlaue Schachzüge? Wir wollen Macht haben über die Zukunft; ihr den Gedanken austreiben, sie könne völlig frei agieren. Nicht mit uns! Wir haben unsere Planungsmethoden, Planungskommissionen, wir haben Konzepte, Termine – wir geben der haltlosen Zeit Struktur.

Mentale Zeitreisen – Zeitreisen auf geistiger Ebene: Die Gegenwart betrachtet sich im Zukunftsspiegel – und sie will begeistert sein. Die Zukunftsversion unseres Selbst ist ein wahres Wunderwesen: diszipliniert, motiviert, erfolgreich. Der Pläneschmied haut auf die Zukunft – sein Werkstück – ein. Fügt sie sich?

Homo sapiens hat immer einen Fuß in der Tür zur Zukunft. Eine Glastür: der Geist sieht, was sich dahinter tut – oder aber er sieht ansprechende Fantasiegebilde. An die Macht der eigenen Pläne glauben – das ist uns wohl einprogrammiert. Wir versprechen uns viel von Disziplin, dem Befolgen von Plänen. Der Wille als stärkster Wirkfaktor.

Spielt Wirklichkeitsnähe eine Rolle? Mit dem doppelten Fanatismus überzeugt man die widerstrebende Realität? Ist das bereits übergriffig? Man will sie bezwingen, ihrer habhaft werden. Man ist Visionman: Visionen als Superkraft. Probleme werden planiert, plattgemacht. Ein Plan-Matador; man gibt dem Zufall den Todesstoß. Die Zeit bei den Hörnern packen.

Pläne machen uns verwegen, sie machen süchtig nach mehr von ihnen. Das Chaos als Endgegner – es bezwingen mit der Macht eines ganz genialen Plans. Hat das Universum einen Plan? Es wirkt zuweilen etwas planlos. Ist das All vor allem ein "Schwarze Löcher"-Produzent? Startloch für was Neues? Die KI durchschaut das Universum eventuell eines Tages. Wir sind nicht helle genug, es lässt uns seit Ewigkeiten im Dunkeln.

Planen oder geschehen lassen? Nicht wissen, wie einem geschieht – können Pläne das verhindern? Etwas ungeschehen machen – das kann auch der beste Plan nicht. Sind wir aus Angst so Plan-versessen? Mit Plänen hat man zumindest die Illusion der Richtlinienkompetenz über die Anarchie des Daseins.

 

ENDE

 

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Publication Date: 06-05-2025

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