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Frau Holles Lokal

Als ich mal wieder im Märchenland unterwegs war, traf ich auf den Buchstaben F – traurig sitzend auf einem Stein. Ich fragte dann auch, was denn los sei. "Wo drückt denn der Schuh?"

"Eine Fee hat mir Bewusstsein verliehen – und jetzt erst wird mir klar, dass das Alphabet ohne mich besser dran wäre. Fuck!"

"Sei doch frohgemut. Es fügt sich sicherlich alles. Frohlocke!"

Es wurde fuchsteufelswild. "Ich gehe auf den Friedhof. Das Rennen kann ich nicht gewinnen. Bei der Buchstabenhäufigkeit liege ich auf Platz 18. Dabei fehlt mir zum E nur ein kleines bisschen, ein Balken. Wir sehen uns doch beinahe zum Verwechseln ähnlich. Aber das E ist unabkömmlich, rangiert ganz weit vorn. Soll ich stolz sein auf Schema F? Ihr Menschen könnt Euch umstylen – könnt Euch die Haare färben – ich aber behalte meine Figur. Und auch in der Musik bin ich nur einen Halbton über dem E – in seiner Nähe –, dennoch spielt es in einem anderen Akkord-Team. Ich bin ja gerne Akkord-Arbeiter, aber manchmal raste ich einfach aus!" Es hüpfte wie ein Flummi umher. Ich wollte weitergehen, doch es folgte mir. "Ich wäre gern fabrikneu; frisch, fromm, fröhlich, frei – das ist vorbei. Meine Frühlingstage sind verstrichen. Wie kommt Ihr bloß mit dem Bewusstsein klar? Man wird ganz melancholisch davon."

Ich lud das F zum Frühschoppen ein. "Frau Holles Lokal – da gibt es Freibier."

"Ob ich ohne das Alphabet besser dran wäre? Ein Freak, ein Freeclimber. Frei wie das Bier."

Goldmarie stand hinterm Tresen. Sie weigerte sich, das F zu bedienen.

"Du genießt hier wohl keinen guten Ruf?"

"Ich genieße meinen schlechten Ruf", gab es zur Antwort.

"Fuck off!", sagte Goldmarie zum F.

"I don’t give a fuck", antwortete das F. "Ich werde immer mit dem F-word in Verbindung gebracht, dabei bin ich phasenweise friedliebend."

Im Lokal schneite es – Pechmarie schüttelte gelangweilt und sehr lässig Kissen auf. "Aufschüttelung alle halbe Stunde. Voll ätzend. Frau Holle hat 'nen Tick", meinte sie zu mir. Sie reichte mir eine Bettdecke. "Kannst mir helfen."

Der Ofen schrie: "Ach, zieht das Brot raus, zieht es raus, sonst verbrennt es: Es ist schon längst ausgebacken."

"Der lügt doch. Klappe!", fauchte Pechmarie ihn an. Ich stimmte dem Ofen zu, gab aber zu bedenken, dass eine Kurzzeituhr eventuell geeigneter wäre.

"Fuck!", sagte der Ofen. "Als ob eine Kurzzeituhr die Magie ersetzen könnte."

"Doch, kann sie", sagte ich; ich wollte ihn provozieren; er wurde immer heißer. Das Brot war längst verbrannt.

"Holt mal jemand die Feuerwehr?", der Ofen qualmte die Bude voll.

Das F hing unterm Zapfhahn. "Ich werde mit Bier übergossen. Das ist viel schöner als Gold", behauptete es. Goldmarie setzte sich zu ihm. Derweil sich die beiden volllaufen ließen, checkte ich meine Chancen bei Pechmarie.

"Ich bin frischgebackener Doktor ..." Der Apfelbaum vor dem Lokal unterbrach mich: "Ach, schüttel mich, schüttel mich, wir Äpfel sind alle miteinander reif."

"Euer Lokal ist ziemlich anstrengend."

Das F sang mit Goldmarie: "Freude, schöner Götterfunken ..."

"Man wird hier ganz rammdösig", meinte Pechmarie. Ich griff das Stichwort auf: "Rammeln oder nicht rammeln – das ist hier die Frage." "Letzteres", sagte sie.

Die anderen Gäste waren kaum zu erkennen – wegen des Rauchs und des Schnees. Ein Wolf öffnete die Wanduhr. "Ich suche eine Ziege; hat die einer von Euch gesehen? Ist das Ziegenkäse?" Er setzte sich zu uns an den Tisch.

"Ich hatte mal Ziegenpeter", sagte das F, "da sah ich aus, als ob ich ein P wäre. War witzig."

Der Wolf hatte eine Föhnwelle. "War grad beim Friseur. Der kriegt aber keinen Folgeauftrag. He’s a dumb fuck!"

Das F hatte recht – irgendwie dachte man bei ihm immer an das F-word. Selbst der Apfelbaum brüllte: "What the fuck ist los mit Euch?! Werd ich nun geschüttelt oder was?"

Meine Hoffnung war, dass die häufige Erwähnung dieses Wortes Pechmarie in die entsprechende Stimmung bringen würde – aber ich hatte bei ihr Pech. Das hatte ich wirklich – das Pech klebte überall an einem dran. Selbst das F war verkleistert damit. "Fass mich nicht an!", sagte der Wolf zu Pechmarie. Eine Ziege sprang aus dem Wandschrank. Der Wolf hinterher – das heißt, er wollte, aber Pech hielt ihn auf dem Stuhl zurück. "Was ist das für ein total versiffter Laden?!", beschwerte er sich. Es folgten einige von ihm erdachte F-word-Kreationen. Er war einfallsreich.

"Wir sollten einen Fluch-Contest machen", schlug ich vor. Die Ziege wandte sich wieder um. "Kann ich mitmachen?"

Das F sagte: "Ich bin angepisst." Das war es tatsächlich, der Wolf hatte sein Bein gehoben und ließ den Dingen freien Lauf.

"Ein Fluch-Festival – eine gute Idee, das könnte etwas Schwung in den Laden bringen", sagte Goldmarie, wobei sie nicht mehr ganz so deutlich sprach. Der Zapfhahn hatte seine Wirkung getan. Sie nannte den Wolf 'Fusselbart'. Dann wollte sie auf der Ziege reiten.

"Es kann der Frömmste nicht in Frieden kleben, ...", sagte Pechmarie und besudelte einige Gäste mit Pech. "Die wollten die Zeche prellen!", lautete ihre Erklärung.

"Ist ja fast wie bei Spider-Man – unglaublich – Du produzierst das aus Dir heraus." Mein leicht angewiderter Gesichtsausruck brachte mir bei ihr keine Bonus-Punkte ein.

Sie sagte: "Pech für Dich, ich wollte Dich gerade in Frau Holles Bett einladen." Goldmarie sagte: "Und ich wär eventuell mitgekommen." Ich lieferte mir mit dem Wolf eine Kissenschlacht – Kissen eignen sich hervorragend, um dem Frust kein Bleiberecht einzuräumen.

Der Apfelbaum war auf die naheliegende Idee gekommen, es mit der Fallobst-Technik zu versuchen: Die Äpfel prasselten auf den Boden. "Selbst ist der Baum", sagte er.

"Hier werden Sie geholfen", sagte Goldmarie und zog das total verbrannte Brot aus dem Ofen. Das F suchte sich aus der Musikbox den Titel raus 'Rock Around the Clock' – und fegte über den Tanzboden. Der Wolf jagte die Ziege.

Frau Holle kam die Treppe runter. "Ist ja ein Betrieb hier." An der Nase hatte sie Schnee. "Diesen Schnee schüttelt man nicht aus Kissen", meinte sie mit einem Zwinkern zu mir. Das F wollte auch was von dem Schnee.

Der Ofen versuchte sich an Brötchen. "Ich muss auch bereit sein, kleinere Brötchen zu backen", lautete seine Weisheit des Tages.

Frau Holle versorgte ihre Gäste mit reichlich Schnee. Sogar der Wolf und die Ziege freundeten sich an, sie schlossen Blutsbrüderschaft. Ich legte vorsorglich schon mal Wackersteine bereit.

Pechmarie forderte mich zum Tanzen auf – wir hielten zusammen wie Pech und Schwefel – kam gar nicht wieder los von ihr. "Kann so viel Pech Glück bringen?" "Ich glaube schon", sagte sie verheißungsvoll.

Ein Hahn schrie: "Kikeriki, unsere schmutzige Jungfrau ist wieder hie." "Aber so was von schmutzig", bestätigte sie. Der Hahn schrie immer weiter.

Ich fragte den Ofen: "Wie wäre es mit Coq au Vin? Lässt sich da was machen?"

"Hahn in Wein – kein Problem. Ich empfehle dazu Burgunder."

Das Feiern fällt einem leicht, wenn Frau Holles Schnee alle feindlichen Gefühle dämpft. Die Seele fragt sich, warum Trauermarsch erklingen soll, da das Leben an sich ja allen Anlass zum Freudentanz gibt.

Das F meinte: "Ich bin völlig fertig. Andere können sich auf ihre vier Buchstaben setzen, ich habe nur den einen." Es kippte um.

Wir aßen Coq au Vin. Der Ofen machte danach noch 70-mal Apple Pie – er kam in einen richtigen 'Apple Pie'-Rausch.

"Wie es wohl wäre, ein Vokal zu sein?", über dieses Thema räsonierte das F beachtlich lange. Ich blendete mich da gedanklich aus.

 

ENDE

 

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Cover: Cover von https://pixabay.com/de/illustrations/f-buchstabe-alphabet-alphabetisch-1015534/ und https://pixabay.com/de/illustrations/f-buchstabe-alphabet-alphabetisch-1020102/
Publication Date: 09-09-2019

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