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Wortspiel

Einige Wettbewerbsbeiträge der BookRix Gruppe Wortspiel

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Jeden Monat Wortspiel Schreibwettbewerb.

 

Ort, Personen, Inhalt, Zeit sowie Erzählstil, Seitenanzahl etc. können frei gewählt werden.

 

Schon 74 Runden.

 

*****

 

Phil Humor

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Susymah - Susanne Leuders

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Matthias März

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Gittarina

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Heidrun Böhm - Schreiberline

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Traumfaenger - J. J. Winter

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Gamefreak

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Anarosa - Rosa Ananitschev

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H. J. White

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Garlin - Bert Rieser

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Traumrose - Astrid Rose

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Flames of Fame

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Koollook - Artem Zolotarov

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Das blaue Licht

 

Phil Humor

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Wie tief bin ich gesunken: Eine Hexe lässt mich im Eimer in ihren Brunnen hinab. Ich bin im Eimer. Der Eimer schaukelt und ich versuche den Kontakt mit dem Brunnen zu vermeiden - voll schleimig. Meine Mission: Ihr blaues Licht aus dem Brunnen holen. Tja, Held wollte ich sein, aber welche Karrieremöglichkeiten hat man als Soldat des Königs - immerhin gehörte ich zu seiner Leibwache. Und bei der Gelegenheit hatte ich die Prinzessin Eleonore mit meinem Leib bewacht - auch wenn gar keine Gefahr war, aber ich bin gerne zu Diensten und bin darin sehr ausdauernd. Eleonore gönnte mir vielleicht zu intensive Blicke - der König schöpfte Verdacht - und jetzt schöpfe ich aus Hexen-Brunnen ein blaues Licht. Sie hat mir einen Käscher mitgegeben. Wenn hier Magie im Spiel ist, dann bin ich eventuell wieder im Spiel? Meine Erregung wächst. Aber als Kenner von Märchen weiß ich natürlich, dass ich der Hexe nicht trauen sollte - aber sie sieht formidabel aus. Und Power hat sie: Sie windet ganz alleine da oben - ich winke ihr zu. Platsch! Ich habe das Brunnenwasser erreicht - wäre ich der Froschkönig, dann wüsste ich, was zu tun wäre. Boah! Wie das stinkt. Hier verwest doch nicht etwa der Wolf mit seinen Wackersteinen? Also goldene Kugel ist hier nicht - ich taste mich voran - finde zwei Besen. Ob die noch flugtauglich sind? Meine Erwartungshaltung: immens hoch. Die Ungeduld der Hexe verheißt mir einen sensationellen Fund. Blaues Licht - könnte Hinweis sein auf Dschinn oder mutiertes Glühwürmchen. Man kennt das ja: Der Zauberer traut sich selber aus guten Gründen nicht in die Höhle - bin gespannt, was das für gute Gründe sind in meinem Fall. Höre ich ein Wispern? Für einen Drachen wäre es hier zu eng. Könnte sich natürlich zu einer Mehrdimensionalität entfalten - mit Wissenschaft alles kein Problem. Ach, wie war das einfach, als man es nur mit Magie zu tun hatte. Jetzt alle Tage: sensationelle Funde. Von Wissenschaft freigelegt. Vielleicht ist das Verborgene zu Recht verborgen? Können wir mit den Folgen umgehen? Kinder, die mit Katapulten spielen und die Burg beschießen - aber ich bin kein Zinnsoldat und die Belagerungen, die ich mitgemacht habe, waren zwar durch meinen Heldenmut ein Kinderspiel, aber es ist kein schönes Spiel - wir verändern die Regeln; haben wir überhaupt noch Spaß, was produzieren wir, nur Ernst? Sind die üblen Dämpfe schuld, dass ich ins Grübeln gerate, ins Sinnige abdrifte? Der Brunnen als schamanisches Symbol. Wehe, es öffnet sich ein Portal in die Anderswelt. Ein blaues Licht funkelt - will es mir Morsezeichen zukommen lassen, mir was Bedeutsames mitteilen? Ich starre hypnotisiert auf das unregelmäßige Geflacker, Blinken.

 

"How do you do?!", dröhnt es im Brunnen. War das das Licht? Was macht es hier? Kann es nicht hinaufschweben - ist es zur Strafe eingesperrt? Zu welchen Schandtaten wäre es bereit? Und würde es mich beteiligen? Ab durch die Mitte! Schnapp es Dir - und mach Dein Glück! Das ruft mir meine innere Stimme zu, auf die ich ansonsten sehr gerne höre - hat sie mich doch von einem Desaster zum nächsten gebracht - scheint, als ob da irgendwelche Drähte falsch verkabelt sind - auch mein Gewissen ist davon betroffen. Oder mein Selbst ist ein solch starker Magnet, dass ich meinen göttlichen Kompass irritiere? Inmitten von Pfuhl-Dämpfen philosophiere ich über den Sündenpfuhl - hat meine Seele Reinigungsbedarf? Ach, der Held bekommt immer die Königstochter, ich mache mir da gar keine Sorgen. "Muss ich mir Sorgen machen?", kreischt die Hexe. "Du sollst doch dreimal ruckeln, wenn Du meines Schatzes ansichtig wirst. Wo ist mein Schatz?" Ui, ihre Stimme bedarf der Ölung. "Trink einen Cognac! Trink es ex, liebe Hex'!" Sie schleudert einen Funken-Blitz nach mir – prima, habe ich mehr Licht. Tut aber auch höllisch weh - bekomme ich davon ein Tattoo? Sieht interessant aus das Brandmal. "Hah! Foltere mich nur, im Vergleich zum Leben bei Hofe ist das 'ne Kur!" Ich hätte ein Walkie-Talkie mitnehmen sollen. Noch nicht erfunden. Wir hier im Märchenland wissen, was angesagt ist, aber wir verpassen jeden Trend! Ist das blaue Licht wirklich das, was ich will? Welcher sensationelle Fund könnte mich beglücken - also echt jetzt - da wird doch meist als Sensationsfund das verkündet, was völlig belanglos ist, irgendwelche Artefakte, die den Profi-Archäologen in Entzücken zu versetzen vermögen, aber was schert es den Rest der Menschheit? Was wäre wirklich mal was Sensationelles, etwas, was uns aus dem Kreislauf herausschleudert? Alles nur Notwendigkeiten - Aktion - Reaktion - bin im Kettenkarussell; war auch schon in Ketten - als der König überlegte, ob er mich als seinen Schwiegersohn akzeptiert oder ... ach, den Gedanken hatte er nie, nur fortgejagt den Soldaten; ich wäre bestimmt ein prima König. Er hätte mich einarbeiten können. Das blaue Licht kommt näher.

 

"Bist Du 'ne Sensation?", frage ich und stupse es an. Sofort lodert es auf, umschlingt mich, ich bin gehalten von wunderbaren Mächten - oder von hexischen. Ich stülpe den Käscher über einen Teil des Lichtes. Wow! Der saugt das Licht auf. Gute Magie. Die Hexe versteht ihr Handwerk. Ich würde mich gerne mit ihr anfreunden. Aber ich bin doch verliebt in Eleonore. Wahrscheinlich ein magischer Trank. Kann man das durch Kuss herausfinden? Ich werde sie gleich mal küssen. "Hexilein, kommst Du mal runter? Das blaue Licht ist gefangen." Sie rutscht an dem Seil herab; sagt: "Gehe zum Königshof. Finde heraus, wie Du sie foppen kannst. Sei meine Rache. Der König hat auch mich fortgejagt. Ich sollte auf den Scheiterhaufen. Aber als ich gehext habe, um ihm gegen seine Feinde zu helfen, das war erwünscht; ich solle es nur nicht publik machen. Offiziell gab es ein Hexen-Berufsverbot. Am liebsten hätten sie auch die Wissenschaftler und ihre Bücher auf den Scheiterhaufen getan. Magie und Wissen soll man missen! Ich antwortete dem König mit Küssen; habe ihn verliebt gemacht - doch dafür brauchte ich mein blaues Licht. Es symbolisiert das Kühle, den Verstand. Von daher stammt auch die Magie: Es ist die Liebe zum Universellen; es spüren, dass da Verbindungen sind, nicht jedem gleich ersichtlich. In diesem blauen Licht ist ein Dämon: Er ist die Sensation, die sich die Welt von Zeit zu Zeit behutsam anschaut - vorsichtig beäugt, man wagt es nicht, sie ganz zu sehen, nur ein Zipfelchen des großes Tuches wird entblößt." Sie reißt sich die Kleider vom Leib. Offensichtlich 'ne Irre. Wenn sie mir jetzt etwas erzählt von des Kaisers neuen Kleidern, dann stülpe ich den Käscher über sie. Ich muss dieser Situation Herr werden. Ist stehe hüfthoch in kaltem Wasser - und der Brunnen dehnt sich aus. Gänge werden sichtbar, ein Höhlensystem. Wahrscheinlich alles Nachwirkungen, Nebenwirkungen ihres Zaubertrankes. Was ist Halluzination? Woran soll ich mich halten? An mein Ziel? Eleonore? War es nur Liebelei? Ehrgeiz? Dass ich sie haben könnte, ich mich aufschwingen, Helden-Status erlangen? So habe ich mich der Magie ergeben. Ob mir durch Geistes Kraft und Mund, nicht manch Geheimnis würde kund. Die Hexe küsst mich. Nein, ich küsse sie. Vereinigung von Mystik und Magie? Irgendwie ist mir nach Ekstase. Das blaue Licht trägt uns nach oben - wir erreichen den Brunnenrand. Ich schnappe mir das blaue Licht und halte es triumphierend ihr entgegen.

 

"Ich habe es geholt. Aus den Tiefen - na ja, einige Meter sind es schon - des geheimnisumwitterten Brunnens." "Ist er nicht. Und was Du in der Hand hältst, das ist ein Feuerzeug. Ja, es ist ein Besonderes: Es kann immer." "Da hat es mit mir ja was gemeinsam." Immer schön keck, gerade dann, wenn einem das Herz in die Hose rutscht. "Habt Ihr 'ne Zigarette für mich oder eine Pfeife? Ich würde jetzt gerne zeigen, was ich so drauf habe", meint das Feuerzeug. Okay, dann schmauche ich. Magische Rituale scheinen gar nicht so schwer zu befolgen zu sein. Piff-paff-puff - ich habe mein Leben im Griff! - Ich huste. Starker Tobak. Mein ganzes Leben ist starker Tobak. In mir wächst der Groll ins Riesenhafte - was habe ich für einen Zorn auf den König! Dem werde ich den Marsch blasen! Jetzt erst mal ziehen - hurra - ich habe eine magische Pfeife! Das blaue Licht formiert sich aus der Rauchwolke und meint: "Rauchen ist ungesund." Wie jetzt, der Dämon als Gesundheitsapostel? "Lass mich auch mal ziehen", meint die Hexe. Da ist sicher nicht mal was Illegales drin, wovon bin ich so high? Ich habe der Hexe ihr blaues Licht besorgt, jetzt besorge ich es der Prinzessin! Wie unternehmungslustig. Wie geil ist das denn? Der blaue Dschinn wabert wie Wackelpudding - es scheint, als beunruhige ihn irgendetwas. "Stillgestanden!", befehle ich ihm. Ja, Macht der Gewohnheit. Bin ein Soldat. Er salutiert. "Welche Wünsche habt Ihr? Die Wunschanzahl ist nicht begrenzt."

 

"Wie wäre es mit einem Swimmingpool? Dieses Brunnenwasser ist ja fürchterlich. Wenn Du damit Deine Zaubertränke zubereitest - das geht nach hinten los." Eine Blähung bestätigt aufs Schönste meine Worte. "Ja, wir müffeln. Ab unter die Dusche." Sie zieht mich mit sich ins Haus. Es ist reetgedeckt, Rosen davor. "Ich mach uns einen Grog - möchtest Du auch einen", fragt sie den Dämon. "Ich trinke nicht im Dienst. - Du hast überlegt, ob ich ein sensationeller Fund sei: Ich weiß es nicht; wie soll ich mich definieren, kenne mich ja kaum; erfülle anderen ihre Wünsche - und gehe ganz auf in dieser Aufgabe. Das blaue Licht zu sein - keine einfache Aufgabe, man gibt sich auf und gewinnt dafür ein Universum. Merkwürdiger Tausch? Mache Dich vertraut mit meinen Gepflogenheiten, dann wirst du allmählich abkehren von egoistischen Wünschen; aber ich kann es verstehen, man ist begeistert, wenn des Königs Tochter einen anhimmelt. Womit hat man es verdient? Wenn in Dir dieser Zweifel nicht wäre, dann hättest Du des Königs Bedenken beiseite wischen können. Hinweggefegt, wie die Hexe mit ihrem Besen die Magie zusammenfegt: Liebe ist zusammengefegte Magie, Fusseln des Daseins kräuseln sich zu kompaktester Sympathie." Ich schaue ihn an mit großen Augen.

 

"Auf solche Ideen kommt man im Brunnen? Joseph lag einst im Brunnen. Eine Zeit der Besinnung, der Neuorientierung. Er erlangte Macht beim Pharao – ja, es zieht mich dorthin: Zum Schloss - es erobern. Ich bin derart tollkühn, das muss Magie sein. Völlig ungerechtfertigt meine Hoffnungen." "Das sind sie nie, die Hoffnungen. Es bedarf nur zugehöriger Energie. Die hast Du nun. Mit mir." Er lehnt sich an mich. Ich spüre seine Wärme. Blaues Licht - es dringt in mich ein - ich werde zum blauen Licht. Ich bin der Dämon. Ich bin die Sensation, die alles verändern wird. - Wahrscheinlich verstärkt vom Grog und dem bezaubernden Aussehen der Hexe erreiche ich nun Höhen des Wahnsinns, von denen der Wanderer nimmer wiederkehrt? Einen Plan. Etwas Konkretes. "Ich marschiere jetzt zu Eleonore - einen Heiratsantrag; und das halbe Königreich wird er mir anbieten. Ich bin da sehr zuversichtlich." Ich schwebe mittlerweile. Getragen vom blauen Licht. "Bist Du der Heilige Geist?"

 

"Nö, nicht mal dessen Cousin. Ich bin Magie. Was völlig anderes als Glaube. Berauschend. Enthusiastisch. Verwegen. Wer mich entdeckt, der möchte gut Freund sein mit mir. Doch ich freunde mich nur mit denen an, die zu mir halten. Man wird mich verleumden. Man wird mich in Brunnen werfen und dort vermodern lassen wollen. Hole mich heraus! Nimm mich an Dich. Werde zu mir. Sei mein zweites Ich. Gut, ich bin ein Dämon - man könnte mir misstrauen - aber Genie ist Dämon; alles Geniale ist Dämonie. Wer's wagt, der erlangt das Außergewöhnliche, die Sensation. Das Normale kannst Du ohne Magie genießen. Wenn es denn Genuss ist. Es ist schal. So abgestanden - nach einigen Jahrmillionen. Prost!" Der Dämon prostet mir zu - die Hexe hat derweil für alkoholischen Nachschub gesorgt- da steht eine ganze Palette zur Auswahl: Weinkrüge, Liköre und wahrscheinlich Kräuter-Tinkturen, die medizinische Magie bewirken. Lasse mich verzaubern, sinke in ihre Arme. Eleonore - sei gefasst auf einen Zauberer. Denn als solcher werde ich aus dieser Begegnung hervorgehen! Was ich mit Körperkraft nicht erlangen konnte - abgewiesen vom König - doch nicht abgewiesen von Eleonore - meinen Charme verstärken, meine Geisteskraft steigern ins Unermessliche - dem Größenwahnsinn frönen - das blaue Licht hat mich vollends im Griff. Ich gebe es ja zu. Bin durchdrungen von dem Bedürfnis, das Außerordentliche zu vollbringen. Die Hexe flüstert mir zu: "Hatte ich die rechte Kur für Dich? Lass uns vollenden ... soll es kulminieren in Ekstase." Sie küsst mich - wir werden getragen vom blauen Licht.

 

ENDE

 

Frauenknast ... lebenslänglich!

 

Susymah - Susanne Leuders

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Ich sitze vor meinem Rechner und beginne zu schmunzeln.
Das neue Wortspielthema gefällt mir irgendwie.
Nachdenklich stehe ich auf, gehe zielstrebig hinüber in mein Wohnzimmer und stelle mich vor meinen antiken Apothekerschrank.
Meine Weltanschauung, etwas Persönliches, ein Einblick in meine Welt soll es sein und dann auch noch mit mir als Protagonistin. Das ist wirklich interessant.
Meine Augen scannen die zweiundvierzig quadratischen Schubladen ab, während ich mir auf die Unterlippe beiße und mich im Stillen frage, welche ich davon wohl aufziehen soll, um etwas davon preiszugeben. Denn es gibt verschiedene Bereiche, Welten und Rollen, in denen ich lebe, die mein Leben ausmachen und die ich in diesem Schränkchen sortiere und aufbewahre, um nicht den Überblick zu verlieren.
Plötzlich bleibt mein Blick auf der vierten Schublade von links in der zweiten Reihe hängen und ich muss lächeln. Ohne zu zögern, greife ich nach dem Griff und ziehe daran. Ja, diese Schublade könnte genug hergeben. Mal sehen.
Sofort krame ich in dem Kästchen herum, schiebe meine Selbstironie beiseite, erinnere mich wieder an den knallroten Lippenstift darin und entdecke unter einer Seidenstrumpfhose einen pinken Drops. Bevor ich ihn vorsichtig zwischen meinen Zeigefinger und den Daumen positioniere, kneife ich mir unsicher in meinen Hüftspeck und frage mich kurz, ob ich es trotz meines heutigen Obsttages riskieren kann, ihn zu versuchen.
Hm, ok. Für dich tue ich es.
Ich schließe meine Augen, stecke den sauren Drops in meinen Mund und lasse ihn mir auf der Zunge zergehen. Dann wird es um mich herum dunkel. Jetzt gibt es kein Zurück mehr.
Du hast es ja nicht anders gewollt.


***

 

 

Als ich die Augenlider aufschlage, öffnet sich vor meiner Nase ein Stahltor.

„Los, weitergehen!“, raunst eine Stimme direkt hinter mir und ich werde in den Raum dahinter gestoßen. Über dem Eingang steht „Erwachsenenalter“.

Ich schlucke.

Soweit war ich noch gar nicht.

Ich schaue mich um und blicke auf eine weiße, sterile Marmorwelt mit wunderschönen Menschen. Alle gertenschlank, adrett gekleidet und perfekt gestylt. Mein Körper erzittert.

Doch dieser Einblick in eine Wonderbrawelt ist nur auf der anderen Seite einer Scheibe, die ich jetzt erst wahrnehme und die mich von dem, was ich dort erblicke, irgendwie abspaltet.

Ich werde auf ein Laufband gestellt, das in die entgegengesetzte Richtung fährt. Die Wärterin steht mir im Nacken und versucht, mich abzuschirmen. Andere sollen nicht durch mich belästigt werden.

Das Laufband endet an einem Schalter, darüber leuchtet in Neonlettern „Identitätsabgabe“.

Ich ziehe irritiert meine Augenbraue hoch und schüttle innerlich meinen Kopf. So hatte ich mir mein Erwachsenendasein allerdings nicht vorgestellt.

„Und?“, schwallert hinter dem Tresen hervor und das Topmodel hinter mir namens Wächterin antwortet für mich.

„Verurteilt wegen Unzulänglichkeit, Betrug und unlackierter Fingernägel.“

Meine Kehle brennt.

In dem hübschen Gesicht, das hinter der Theke auftaucht, blüht Selbstgefälligkeit und naja, was? ... Abschätzigkeit? Ich senke beschämt den Kopf und höre ein glockenhelles Lachen: „Na, kein Wunder.“

Dann spüre ich eiskalt den Blick der Dame, der über meinen Körper scannt.

„Hier ist eine Plastikschale. Alle Persönlichkeit abgeben“, sagt die Frau desinteressiert und feilt sich die frischlackierten und angeklebten Fingernägel weiter.

Nun, was gebe ich ab?

Mein Glaube an Chancengleichheit, meine Naivität und meine Träume lege ich in die Waagschale. Mehr habe ich nicht zu geben und das reicht ihnen.

Ich werde weitergeführt und lande im Zellentrakt, weit weg von Marmor und Perfektion.

Leise klimpere ich mit meiner Authentizität, meinem Idealismus und meiner Individualität in der ausgeleierten Tasche meiner Jeans herum und bin ein bisschen erstaunt darüber, dass die Anderen nicht darauf gekommen sind, dass diese noch in meinem Besitz sein könnten.

Kennen sie überhaupt ihre Existenz?

Ich werde in eine weiß getünchte, klinisch einwandfreie Einzelzelle gesperrt, die Gittertür rauscht geräuschlos ins Schloss. Danach bin ich allein. Nur ich und ich.

Und die Pritsche, auf der ich mich paralysiert niederlasse.

Sofort geht eine knallrote in sich zirkulierende Signalleuchte mit einem schrillen Sirenenton an, einem viel zu lauten Feueralarm gleich. Gleichzeitig höre ich das Rotorgeräusch eines Hubschraubers, der über dem Gefängnishof schwebt und perfekt proportionierte Frauen in schwarzer, eng anliegender Kleidung abseilt, die durch meine kleine Fensterluke an der oberen Kante meiner Zelle beobachtet, auf ihrem Rücken in weißen Lettern „SEK NORMALGEWICHT“ stehen haben. Du, meine Güte! Ist meine Pritsche etwas eine Waage? Ich lehne mich an die kahle Wand. Das darf doch alles nicht wahr sein! Wo bin ich hier nur gelandet?

Ich lache zynisch. Das ist doch klar:

Frauenknast. Lebenslänglich.

Ich weiß nicht, was ich davon halten soll. Komme aber auch gar nicht richtig zum Nachdenken, denn die Klappe an der unteren Kante meiner Zellentür wird aufgezogen und mir wird ein Tablett hineingeschoben.

Mein Gott! Jetzt merke ich erst einmal, was für einen Hunger ich habe.

Fast wie von Sinnen, renne ich dort hin und mir fällt bald alles aus dem Gesicht. Auf dem Tablett liegt ein Salatblatt fein auf einem Schmucktellerchen drapiert, daneben steht ein Glas Wasser, dann entdecke ich eine Nagelfeile und ein seltsames elektrisches Gerät, welches an seiner oberen Seite kleine zusammenhängende Spiralen hat. Ich lege meine Stirn in Falten und prompt geht die Klappe abermals auf, eine Hand greift nach meinem Teller und sagt monoton: „Stirnrunzeln macht hässliche Falten. Freundlichdreinschauparagrafenverstoß. Malzeitentzug!“

Und Zack! ist das Salatblatt konfisziert.

Meine Kehle zieht sich zu und wird trocken. Ich greife nach dem Glas, setzte an, nehme einen Zug und muss mich fast übergeben. Das Wasser ist warm.

Wie soll ich denn hier nur überleben?

„Schön und Schlank!“, trällert es sofort fröhlich von der Tür hinein, als kontrollierten sie meine Gedanken.

Ich starre wieder auf das Elektrogerät in meiner Hand und frage mich ernsthaft, was ich damit anfangen soll. Es liegt zumindest gut in der Hand. Gedankenverloren und mit knurrendem Magen stecke ich den Stecker in die Steckdose und sogleich bewegen sich diese kleinen ringförmigen Spiralen und geben einen verdächtigen Summton von sich. Auf meine Unterlippe beißend betrachte ich das Geschehen, frage mich, ob mir jemand bei einem Fluchtversuch helfen wollte, und lege dieses Gerät an der verputzen Wand an. Ein bisschen weißer Staub fällt an und ich denke mir: „Mein Gott, damit einen Tunnel graben ... das dauert ja Ewigkeiten.“

Damit ich nicht bei meinen Fluchtversuchen zu auffällig bin, ziehe ich schnell den Stecker und drehe nachdenklich meinen kleinen Fluchthelfer in der Hand. Da entdecke ich eine verschnörkelte Aufschrift, die mir vielleicht den Namen meines anonymen Helfers verrät oder mir zumindest einen Hinweis gibt. Ich lese: Epilady.

Eplilady? Sagt mir überhaupt nichts. Die ist mir noch nie über den Weg gelaufen.

Wenig später werde ich zum Gruppenstylen abgeholt. Duschen, schneiden, legen, trocknen. Oder so ähnlich.

Unter der Dusche, die erstaunlich warm und entspannend wirkt, werde ich aufgefordert, mir die Haare zu waschen. Ich schließe die Augen, genieße den Wasserstrahl, der über meinen Kopf, meine Schultern fließt, meinen Körper hinunter, die Beine entlang. Welch eine Ruhe. Entspannung pur. Alles duftet hier nach Lavendel. Ich vergesse für einen Moment meine Umgebung. Lasse mich gehen, schließe die Augen, und genieße dieses prickelnde Gefühl, dass das Wasser auf meiner Haut hinterlässt. Völlig verträumt hebe ich meine Arme und streiche mir mit meinen Händen über die Haare und ...

Ein greller Schrei, nein, mehrere gleichzeitig lassen mich stocksteif erstarren und meine Augen aufreißen. Vier Mithäftlinginnen, die bereits mindestens die Hälfte ihrer Haft hinter sich haben, stehen vor mir, starren unter meine Achseln, zeigen mit ihrem Zeigefinger auf die dortig seit geraumer Zeit ansässigen Haare und geben mit weit aufgerissenen Mäulern und sinnleeren Augen einen schrillen, kreischenden Ton von sich. Verzweifelt halte ich meine Ohren zu.

Doch nach einer Weile merke ich, dass sie gar nicht kreischen, sondern einfach nur lästern.

„Guck mal, die hat es noch nicht gemacht.“

„Iiih, wie kann man nur? Brrr!“

Imprint

Publisher: BookRix GmbH & Co. KG

Text: Phil Humor, Susanne Leuders, Matthias März, Gittarina, Heidrun Böhm, J. J. Winter, Gamefreak, Rosa Ananitschev, H. J. White, Bert Rieser, Astrid Rose, Flames of Fame, Artem Zolotarov
Images: Bigstockphoto
Publication Date: 12-29-2014
ISBN: 978-3-7368-7193-9

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