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Meines Bruders Albtraum

In meinem Zimmer saß ich nun, einsam, aber nicht auf dem Abstellgleis gestellt. Ich hätte ja in der Eigenschaft als Vierzehnjähriger genug Beschäftigung gehabt, aber der Tag überließ mir eine depressive Stimmung. Meine Eltern schauten sich Denver-Clan an und mein Bruder? Soviel ich wusste, hatte er letzte Nacht schlecht geschlafen, weil er richtig viel Ärger am Hals hatte. Aber durch wem? Seine Lehrerin? Ein Klassenkamerad? Allgemein bei einem aus der Schule? Vielleicht der Hausmeister? Ich wusste nichts. Wir wussten nichts. Jetzt musste er den Schlaf ein bisschen aufholen. Da schlug ich vor, eine Figur zu zeichnen. Ein billiger Trost, aber ein Zeitvertreib. Hausaufgaben hatte ich nicht offen, also...

Wie bei einem Donnerschlag stürmte mein jüngerer Bruder in mein Zimmer und war völlig aufgelöst.

" Wie wäre es zur Abwechslung mal mit Anklopfen", kommentierte ich sarkastisch.

" Ich hatte einen furchtbaren Traum. Es war grauenvoll", rief er.

Meine Augen weiteten sich, aber nicht auf furchtsame Weise, sondern eher verächtlich betrachtet.

" Dann erzähl mir ruhig alles. Ist ja auch ein Zeitvertreib."

Er begann zu berichten.

"Es geschah alles ohne Vorwarnung. Ich ging wie üblich zur Schule, da schielte ich nur kurz zur Infostelle, da saß sie: Das Grauen. Frau Wolf! Sie mochte noch nie Massenaufläufe von Kindern, aber uns drei hatte sie vor die Flinte. Ich, mein bester Kumpel Jörg und Tobi, ein weiterer aus meiner Klasse und nicht gerade der Tapferste. Einige Tage später lief sie uns hinterher.Oder sie schlich, genauer gesagt. Eine robuste Frau, mitte fünfzig, einmetersechsundachtzig und hundertfünfzig Kilo schwer. Ihr Atem riecht immer nach vergammelten Pflaumen und sie übertönt das Übel mit Zigarettenqualm. Auf jeden Fall stieg mir der Atem dem Nacken hinauf und ich meinte, sie würde arglistig grinsen. Ich flüsterte beiden zu, wir mögen uns aufteilen, alleine schon, um zu erfahren, was sie von uns wollte.

Jeder rannte von nun an in eine andere Richtung und sie stand einfach da wie ein Pfeiler und grinste nach dem Motto: Mir entgeht keiner, ich kriege euch alle und dann landet jeder im Kochtopf. Dann ließ sie sich auf das Versteckspiel ein. Kurz vor der Sporthalle stolperte sie. Als sie sich wieder aufrichtete, sah sie eine Netzfalle im Buschbereich. Nach einer Weile stießen wir zusammen. Ich war vorher im Keller, Jörg in der Bücherei und Tobi befand sich auf dem Spielplatz und fing an zu heulen. Zufälligerweise liefen wir an der Sporthalle vorbei, da lauerte sie schon auf uns. Mit gefletschten Zähnen trieb sie uns auf die Falle zu. Das Netz war so groß und stabil, dass es sogar Yokozuna halten könnte. Die Falle schnappte auf jeden Fall zu und wir verloren die Fassung. Da kam der Moment, wo ich mein Taschenmesser zog und das Netz zerscheiden konnte. Frau Wolf, gierig wie ein Hai war unter uns und wir landeten auf sie. Doch es befand sich auch ein Dornenstrauch und ruckartig standen wir auf. Die boshafte Frau war im Begriff, zur wilden Bestie zu werden (Aus David Banner wurde schließlich Hulk).  Zuerst schmiss sie absichtlich mit voller Wucht Tobi in den Dornenstrauch. Dann biss sie Jörg in den Arm. Als sie sich auf mich stürzen wollte, hielt Jörg sie fest, während ich zuschlug. Tobi fand inzwischen einen Rucksack mit Waffen und warf ihn hinter mir. Dann rannte er zu mir, zog eine Pistole und wollte abdrücken, doch Jörg fand etwas Besseres. Nachdem sie ihn auf uns schmiss, griff er sich Schrotflinte und drückte ab.Nichts geschah. Das Monster lachte. Ich fand eine Panzerfaust, die gerade noch da rein gepasst hatte, bat beide, in Deckung zu rennen, ich lief einige Schritte zurück, die Augen zugekniffen und drückte ab. Eine Explosion schleuderte uns drei über den Ausgang des Schulgeländes und wir landeten alle drei in der Mülltonne. Als wir uns wieder aufrappelten, war sie verschwunden. Schwer zu glauben, dass die Panzerfaust alles ausgelöscht hatte. Nicht einmal ein Blutstropfen oder Fetzen. Wir beschlossen, sofort nach Hause zu gehen und uns krank schreiben zu lassen. Als ich in mein Zimmer hinein ging, wollte ich für alle Fälle meinen Tarnanzug herausholen, da erschien sie im Schrank und schlug mit der Bratpfanne zu.

Als ich zu mir kam, waren Jörg und Tobi schon wach, als ob sie mich erwartet hatten.

>>Wie geht es dir?<< fragte Jörg.

>>Ich fühle mich wie eine Glühbirne in meinem Zimmer.<< Mein Kopf tat weh.

Währenddessen stellte ich fest, dass wir uns in eine Art Käfig befanden. An den Wänden dieses Raumes, der wie eine mittelalterliche Folterkammer aussah, hingen zahlreiche Wolfsbilder. Gemeinsam schrien wir um Hilfe. Da kam ein großer, hagerer Mann die Treppe runter. Er sah aus wie der letzte Überlebende einer Hippie-Bewegung. Seine Haare waren lang und schwarzgrau. Sein Gesicht sah mit den tiefen Furchen verbraucht aus. In seiner Hand befand sich eine Flasche Whiskey. Er stellte sich als Billy Wolf vor. Wieder schrien wir um Hilfe.

>> Wenn ihr nicht ruhig seid, schlag ich euch grün, blau und schwarz!<< schrie er und nahm einen Schluck.

>> Wie willst du das anstellen, Opa? Mit einem Krückstock?<< fragte ich.

>> Provoziere ihn nicht<<, wimmerte Tobi.

>> Wieso nicht?<<

>> Ich hab die Hose voll.<<

>> Und ich die Schnauze<<, rief Jörg.

>> Ihr wollt wohl die Harte Tour!<< rief Billy. >> Könnt ihr haben!<<

Er nahm die Peitsche, schwang sie und öffnete den Käfig mit einen kleinen Schlüssel.

>> Bereitet euch auf brutale Scmerzen vor, ihr Nichtsnutze!<< rief der Grobian.

Es war die Zeit gekommen, die Gelegenheit zu nutzen, ihn zu überwältigen. Nur wie, dazu fiel mir nichts ein, aber wir sollten verschwinden.

Die Peitsche traf zuerst Tobi ins Gesicht, dann streifte sie Jörg am Arm. Ich nahm die Gelegenheit, seine Flasche aus der linken Hand zu nehmen und schmiss sie gegen seinen Kopf. Danach rammten wir ihn um, Jörg verpasste ihm noch eine und wir verließen den Raum. Duch Zufall entdeckten wir einen Geheimgang, der nach oben führte. Jörg hatte zuvor sich eine Zeitbombe und fünf Stangen Dynamit genommen. Am Ende des Ganges war eine Luke. Ich öffnete diese ein Spalt und Fand das Arbeitszimmer vor. Auf dem Stuhl am Sekretär saß sie. Unser schlimmster Albtraum. An den Wänden waren ausgestopfte Wolfsköpfe mit weit aufgerissenen Mäulern.

>> Ich hoffe, du hast nichts gesehen, Tobi<<, sagte ich. >> Gib mir die Dynamitstangen, Jörg. Ich verteile sie überall.<<

Kurz darauf öffnete ich die Luke komplett, stellte den Zünder der Bombe auf fünfzehn Sekunden und wir rannten wie von Atomraketen verfolgt. Wir hörten noch tobendes Gebrüll und als wir uns draußen befanden, flog das ganze Haus in die Luft. Es war dreiundzwanzig Uhr und ich lag auf dem Bauch. Jörg kam auf mich zu. Wo war Tobi, fragt ich mich.

>> Ist alles vorbei?<< rief er.

Unsere Blicke richteten sich nach oben, zur Eiche, auf eines der oberen Äste.

>> Wie bist du da rauf gekommen?<< fragt ich.

>> Wie er gleich runter kommen wird<<, sagte Jörg sarkastisch.

Sirenen näherten sich. Polizei und Feuerwehr zusammen. Sie löschten den Brand, holten Tobi herunter und die Polizei stellte Fragen. Ein Krankenwagen kam an.

>> Seid ihr die zwei Rambos und die Memme aus der Schule?<< fragte ein Polizist.

>> Ja<<, antwortete ich.

>> Die Eltern hatten eine Vermisstenanzeige aufgegeben. Und Gratulation! Ihr habt die Welt von dieser Bestie befreit.<<

Einer von der Feuerwehr verließ das Haus, was davon noch übrig war, mit einer Mülltüte. Sie war schmutzig und blutig. Bestimmt die Überreste von Frau Wolf. Ihr Mann Billy wurde mit Handschellen abgeführt. Er war verletzt und litt unter leichten Rauchvergiftungen. Als er uns sah, verfluchte er uns. Dann übernahm der Krankentransport ihn.

Ich sah Stunden später eine Zukunftsvision. Ich fand mich mit einer Belohnung in einer sechsstelligen Summe auf der Flucht, Tobi war obdachlos und Jörg wurde Klempner und hatte sein eigenartiges Hobby. Pennerzähler, um die Regierung auf die Dunkelziffer aufmerksam zu machen."

Ich starrte meinen Bruder an.

" Toller Traum, aber irgendwie eine hanebüchene Story", kritisierte ich. " Warum bist du trotzdem verängstigt? Schließlich wurdest du als Held gefeiert."

" Was weißt du schon? Das war ein Horrortrip. Mühsam. Eines war mir nie klar geworden. Wie kam sie bloß in meine Wohnung?"

Er verließ mein Zimmer. Ich lachte leise. Dann zog ich mir die Jacke an und ging nach draußen, um frische Luft zu schnappen. Ich fragte mich, warum Träume so lebensecht sein konnten. Nach fünf Minuten wollte ich wieder rein gehen und beschloss, einen Blick im Briefkasten zu werfen. Ich ergriff drei Briefe und schellte. Nach einer Weile öffnete ich die Haustür und lief nach oben. Zunächst musterte ich die Briefe. Eins für Papa, für Mama, mein Bruder, und... das war's. Missgelaunt betrat ich mein Zimmer. Alle bekamen Fanpost, nur ich nicht. Ich ging leer aus. Doch wenig später wurde aus meiner Laune Erleichterung, als ich erfuhr, wie sehr meine Eltern genervt waren. Meiner Mutter wollte eine unseriöse Firma ein Abo andrehen und sie schmiss den Brief in den Müll. Auf meinen Vater wartete eine gesalzene Telefonrechnung im vierstelligen Betrag. Aber mein Bruder? Hatte er vielleicht eine Einladung bekommen? Dann erinnerte ich mich zuvor, dass ich die Briefe kurz gemustert hatte und war erstarrt.

Der Absender war von einen Typen namens Billy Wolf.

 

 

ENDE

 

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Publication Date: 02-02-2016

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