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Prolog

Der Mittelpunkt des Fadenkreuzes meines Gewehres war direkt auf den Kopf des rothaarigen gerichtet. Ich hatte den Wind, eventuelle kleinere Veränderungen in seinem Stand und alles Weitere, was vielleicht noch passieren könnte und wichtig war, mit einberechnet. Der Schuss würde sitzen und dem Rotschopf das Grinsen aus dem Gesicht pusten und dennoch zögerte ich. Etwas hielt mich davon ab zu schießen. Ich wusste nicht, was es war, aber es machte mich wütend.
„Verdammt, Kai! Schieß endlich, unser Zeitfenster schließt sich!“
Die Stimme von Ash erklang neben mir und riss mich aus meinen Gedanken.
„Klappe“, zischte ich.
Er hatte recht. Ich musste schießen, sonst waren Monate der Vorbereitung und der Tod meiner Freunde um sonst gewesen. Mein Finger am Abzug krümmte sich langsam, bis ich den Druckpunkt erreichte, der den Vorzug stoppte. Etwas weiter und der Schuss würde fallen…und wieder stockte ich.
„Schieß, schieß doch!“
„Halt endlich deine verdammte Klappe, Ash!“
Und da war es auch schon passiert. Ich hatte einen Moment nicht aufgepasst, hatte Ash für eine Sekunde lang den Kopf zugewandt, mein Ziel aus den Augen gelassen und schon war der Rothaarige verschwunden.
„Scheiße!“, knurrte ich und ließ die Stirn auf den staubigen Boden des Zimmers sinken.
„Du hast ihn davon kommen lassen!“, meinte Ash.
„Klappe…“
„Weißt du, wie lange es gedauert hat das alles vorzubereiten?“
„Klappe.“
„Und was noch schlimmer ist: Weißt du was Greg mit uns macht, wenn wir zum Stützpunkt zurückkommen?“
„Klappe!!“
Mittlerweile schrie ich schon, doch Ash setzte erneut zu einer Antwort an. Meine Hand krallte sich wie von selbst in Ashs Haare und knallte seinen Kopf gegen den Fensterrahmen neben ihm. Ich hörte einen mühsam unterdrückten Schmerzensschrei und ließ ihn wieder los. Dann setzte ich mich auf und begann, mit schnellen und präzisen Handgriffen, mein KAI 153-Scharfschützengewehr auseinander zu bauen und in dem Tragekoffer zu verstauen, der neben mir stand. Die Patrone aus dem Lauf wanderte in die Tasche meiner grünen Weste. In die rechte Brusttasche, um genau zu sein.
Das war so eine Macke von mir. Ich hob jede Patrone auf, wenn diese ihr Ziel nicht getroffen hatte, bis ich ihr ein Treffen mit demjenigen organisieren konnte, für den sie bestimmt war. Für gewöhnlich kam das nicht so oft vor, aber heute war es Mal wieder passiert.
„Weiber, dass ihr nicht einmal etwas tun könnt, ohne großartig darüber nachzudenken“, brummte Ash und rieb sich die schmerzende Stelle am Kopf.
„Nur weil für euch Kerle das Wort Denken ein Fremdwort ist, heißt das noch lange nicht, dass es niemand kann und du kannst froh sein, das ich so viel denke sonst würdest du schon lange nicht mehr unter den Lebenden weilen“, entgegnete ich.
Ash setzte zu einer Antwort an, als die Zimmertür hinter uns mit einem Krachen gegen die Wand knallte.
„Kai! Was sollte das? Du hattest gerade mehr als drei Minuten Zeit dem Kerl eine Kugel in den Kopf zu jagen!“, donnerte Greg, noch bevor er das Zimmer betrat.
Greg war der Kopf und Chef unserer Organisation. Er war der Erste von uns und hatte eine Menge Blutsauger auf dem Gewissen. Aber mittlerweile war er zu alt, um aktiv an der Jagd teilzunehmen.
„Anscheinend wollte er mit dem Anschiss nicht warten, bis wir im Stützpunkt sind“, murmelte Ash so leise, dass nur ich es hören konnte.
„Tut mir leid, Greg. Ich weiß auch nicht, was passiert ist. Ich hatte den Finger schon am Abzug aber…“
„Ich weiß es. Seit diesem kleinen Zwischenfall vor ein paar Wochen, hast du eine Sympathie für diesen dreckigen Blutsauger entwickelt“, erklang plötzlich eine weitere Stimme.
Hinter Greg stand jemand, den ich bis jetzt nicht bemerkt hatte.
„Ist es nicht so“, meinte Rolf und trat hinter Greg hervor.
„Das hat rein gar nichts damit zu tun…Wenn ich abgedrückt hätte dann…dann wären auch andere, unschuldige verletzt worden.“
Ich hoffte, dass diese Ausrede wenigstens Greg überzeugen würde, aber der schüttelte den Kopf und sah mich durchdringend an. Er glaubte mir nicht und ich wusste weshalb, noch bevor er es sagte.
„Das hat dich noch nie interessiert. Du fragst sonst auch nicht, ob jemand anderes zu Schaden kommt.“
„Aber ich…es war…ich konnte nicht…“
Seufzend ließ ich die Schultern hängen und fügte mich in mein Schicksal. Greg hatte einen Entschluss gefasst, das konnte ich in seinen Augen sehen. Er glaubte Rolf, nicht mir. Sie würden mich, wie einen Verräter, abführen und einsperren. Einen Vampir zu verschonen war das Schlimmste, was man tun konnte, in unserer Organisation. Wenn man Glück hatte, wurde man nur eingesperrt, wenn man Pech hatte, wurde man in Ort und Stelle erschossen. Klingt hart, war aber bei uns Huntern Gesetz.
Ich hatte kaum Zeit diesen Gedanken fertig zu denken, als ein betäubender Schmerz in meinem Hinterkopf explodierte und mir das Bewusstsein raubte.

Ich wusste nicht, wie lange ich bewusstlos war und im ersten Moment wusste ich auch nicht, wo ich war. Dann spürte ich die harte Holzpritsche, auf der ich lag und als ich die Augen öffnete, sah ich die vergitterten Fenster. Sie hatten mich wirklich eingesperrt und wahrscheinlich würde ich auch nicht begnadigt werden und das alles war Rolfs Schuld.
Dieser Mistkerl tanzte bestimmt gerade vor Freude darüber, dass er mich los hatte. Dabei hatte es so gut angefangen, als er zu uns kam. Wir waren sogar eine Zeit lang ein Paar gewesen, doch dann hatte ich mich von ihm getrennt, weil er ein „Nein“ nicht verstand. Das hatte er mir nie verziehen und versuchte seitdem mich aus der Organisation zu drängen. Anscheinend war es ihm jetzt gelungen.
Das Quietschen der Zellentür riss mich aus meinen Gedanken. Langsam setzte ich mich auf und erkannte dass Greg in meine Zelle gekommen war.
„Oh, welch hoher Besuch. Ich würde dir ja einen Stuhl anbieten, aber ich fürchte jemand hat sie mir geklaut. Vielleicht willst du ja `ne Limo und was zu essen?“, meinte ich in zuckersüßem Tonfall.
„Lass den Scheiß, Kai!“, knurrte Greg und verschränkte die Arme vor der Brust. „In deiner Situation würde ich solche Scherze für mich behalten.“
„In welcher Situation bin ich denn?“
Natürlich wusste ich, was sie mir vorwarfen, aber ich wollte es aus seinem Mund hören.
„Verdammt, du hast diesen Vampir einfach davonkommen lassen. Ich weiß, dass du freie Schussbahn hattest und trotzdem hast du nicht abgedrückt. Weißt du wie das für die andern aussieht?“
Ich antwortete nicht. Natürlich wusste ich es. Was mich wütend machte, war die Tatsache, dass jeder andere an meiner Stelle höchstens eine Verwarnung bekommen hätte. Was also hatte Rolf erzählt, damit ich jetzt hier festsaß.
„Willst du dich nicht mal verteidigen?“, wollte Greg wissen.
„Wozu? Deine Entscheidung steht fest. Egal was ich sage, du wirst sie nicht ändern schon, um dein Gesicht nicht zu verlieren.“
Er sagte nichts, sah mich einfach noch einige Sekunden an und wandte sich dann ab.
„Du weißt, dass ich mich nicht einfach erschießen lassen werde“, fügte ich hinzu, als Greg die Gittertür hinter sich schloss.
„Wenn du klug bist, wehrst du dich nicht. Rolf hat die Aufsicht über die…über deine…“
„Hinrichtung“, beendete ich den Satz. „Du kannst es ruhig aussprechen. Ich habe keine Angst davor, das müsstest du doch wissen.“
Greg sagte nichts dazu, aber in seinem Blick sah ich, dass er wusste, wovon ich sprach. Er ging, ohne mich noch einmal anzusehen. Meine Hinrichtung würde am nächsten Morgen sein, wie es bei uns so üblich war. Das hieß ich hatte noch ungefähr dreizehn Stunden Zeit, um aus diesem Loch zu fliehen. Mein Vorteil war, dass ich wusste, wann Schichtwechsel bei den Wachen war und wann diese in die Zellen kamen, um nach dem Rechten zu sehen oder Essen und Trinken brachten.
Bei mir würde es in ungefähr einer Stunde so weit sein. Einen Plan hatte ich auch schon, also musste ich nur noch auf den richtigen Augenblick warten. In dieser Zeit suchte ich mir einen scharfen Gegenstand, was nicht so leicht war. Schließlich brach ich einfach ein handlanges Stück von der Holzpritsche ab. Es würde dem Zweck schon dienen, allerdings würde ich dann mehr Schmerzen aushalten müssen. Es war mir egal. Ich würde jeden aushalten nur um aus diesem Gefängnis herauszukommen.
Zehn Minuten bevor der Wärter in meine Zelle kam ritze ich mir mit dem Holzstück den linken Arm auf. Ich wusste wo ich schneiden musste damit es nicht lebensgefährlich wurde, aber dennoch stark blutete und nach einer gefährlichen Verletzung aussah. Dann legte ich mich vor die Pritsche, sodass es aussah als wäre ich von ihr heruntergefallen.
Die kleine Inszenierung verfehlte ihre Wirkung nicht. Der Wärter stellte das Essen auf den Boden und kam zu mir herüber. Ich wartete, bis er vor mir kniete, und versuchte die Blutung zu stoppen. Dann schlang ich ihm, von hinten, die Arme um den Hals und drückte zu so fest ich konnte. Er versuchte sich aus meinem Griff zu befreien. Aber es blieb bei dem Versuch. Ich kannte die Punkte, welche ich drücken musste, um jemanden schnell ins Land der Träume zu schicken. Es dauerte nur einen Augenblick, bis die Gegenwehr des Wärters erstarb. Er würde zwar mehrere Stunden schlafen, aber ich wollte kein unnötiges Risiko eingehen. Schnell schnitt ich einen Streifen seines Oberteils ab und fesselte ihn damit. Dann zog ich ihm den Waffengurt aus, an dem eine Pistole, ein Klappmesser und ein Schlagstock hing, und schnallte ihn mir um. So schnell ich konnte rannte ich aus der Zelle und den angrenzenden Gang hinunter. Wenn ich mich beeilte, war ich aus dem Zellentrakt verschwunden, bevor jemand etwas bemerkte.
Schon zehn Minuten später erreichte ich den Ausgang. Draußen musste ich erst einmal ein Versteck finden, was nicht lange dauerte. Ich hockte mich hinter einen Stapel Kisten. Der kleine Hof, welcher die Zellen von dem Stützpunkt trennte, war zwar unbewacht aber ich durfte kein Risiko eingehen. Auf der anderen Seite lag das Tor zu meiner Freiheit. Ich musste also nur noch dorthin und hindurch kommen.
Ein schneller Blick nach rechts und links zeigte mir das ich die einzige auf dem Hof war und schon rannte ich los. Es waren noch zehn Meter, höchstens zwölf und das Tor stand offen, als hätte es auf mich gewartet. Da erklang hinter mir ein Schuss und fast zeitgleich riss es mich von den Beinen. Ein grauenhafter Schmerz durchzog meine linke Schulter und raubte mir einen Moment die Sinne. Ich hörte mich selbst schreien. Dann kämpfte ich mich stöhnend hoch und lief weiter. Ich musste in den Wald verschwinden. Ich musste in den Wald, sonst war alles aus. Das war das Einzige was meine Gedanken beherrschte.
Ein weiterer Schuss fiel und die Kugel streifte meinen rechten Arm. Ich taumelte, rannte jedoch weiter.
Vor meinen Augen zerfloss alles zu substanzlosen Schatten, alles grau in grau. Allmählich legte sich ein rötlicher Schleier über mein Sichtfeld. Ich lief aufs gerade wohl weiter, immer dorthin, wo ich das Tor vermutete. Es musste die richtige Richtung gewesen sein, denn schon nach wenigen Augenblicken stolperte ich über eine Wurzel. Grelle Lichter explodierten vor meinen Augen, als mein Kopf auf den Boden aufschlug.
„Ich darf nicht ohnmächtig werden. Mach die Augen auf verdammt!“, schrie ich mich in Gedanken selbst an und zog mich auf die Hände hoch.
Hinter mir erklangen schnelle Schritte und als ich den Kopf drehte, sah ich wie Rolf und seine Kameraden auf mich zuliefen. Ich musste hoch, musste weiter sonst würde ich jetzt auf der Stelle sterben, aber ich konnte mich nicht bewegen. Im Gegenteil, ich sank sogar wieder auf den Boden zurück, da mich meine Kräfte verließen.
Ich sah, wie Rolf seine Pistole zog, auf mich zielte und abdrückte. Ich würde sterben, nicht durch die Hand eines Vampirs, sondern durch die eines beleidigten Ex-Freundes. Doch der Schmerz blieb aus. Jemand war, wie aus dem Nichts, vor mir aufgetaucht und hatte die Kugel abgefangen.
Das Letzte was ich sah war ein schwarzer Mantel, der mir die Sicht auf Rolf und die anderen nahm und rote Haare, die im Mondlicht glänzten.

Kapitel 1

Kai:

Das erste, was ich wahrnahm war, dass ich auf etwas Weichem lag und das ich mich nicht bewegen konnte. Langsam schlug ich die Augen auf und sah mich um. Ich war in einem großen, mit dunklem Holz verkleideten Zimmer, lag auf einem Bett mit blutroten Samtvorhängen und schwarzer Seidenbettwäsche. Als ich versuchte die Arme zu heben erklang ein leises Rassel und meine Bewegung wurde sofort wieder gestoppt. Dasselbe passierte bei meinen Beinen. Ich spannte meinen gesamten Körper an und bekam augenblicklich keine Luft mehr, da mir ein stechender Schmerz den Atem raubte. Mit einem schmerzverzerrten Keuchen entspannte ich meine Muskeln wieder und ließ den Kopf auf die Kissen sinken. Einen Moment kämpfte ich darum das Schwindelgefühl wieder loszuwerden, als plötzlich Schritte neben dem Bett zu hören waren.
„Du solltest dich nicht so anstrengen“, erklang eine männliche Stimme.
Bei ihrem Klang lief mir ein Schauer über den Rücken. Ich kannte sie, hatte sie schon einmal gehört und plötzlich war ich um fünf Wochen in die Vergangenheit versetzte.
Wieder war ich in der Außenstelle in Silun, ein leer stehendes Haus im unbewohnten Teil der Stadt. Es war Nacht, als der Alarm losging. Vampire waren in das Haus eingedrungen und schlachteten uns regelrecht ab. Ich hatte mich in einem Büroraum verschanzt, als mir klar wurde, das alle anderen tot waren. Es dauerte nicht lange, vielleicht zehn oder zwanzig Minuten, bis das Büro gestürmt wurde. Ich konnte drei Vampire töten, ein gezielter Schuss mit UV-Licht-Patronen, dann war mein Magazin leer. Die Vampire wollten über mich herfallen, hatten mach schon am Boden und einer wollte sich gerade in meinem Arm verbeißen, da erklang plötzlich eine Stimme, die ihnen Einhalt gebot.
Es war dieselbe Stimme, derselbe Mann, derselbe Vampir.
Schmerz riss mich aus meiner Erinnerung und ich unterdrückte mühsam einen Schrei.
„Tut mir leid“, meinte der Rothaarige, sah aber nicht von seiner Tätigkeit auf.
Er hatte sich an der Schusswunde an meiner Schulter zu schaffen gemacht.
„Was? Dass du mich an das Bett gefesselt hast oder die Schmerzen?“, knurrte ich und zuckte gleich darauf wieder zusammen.
„Beides. Ich habe keine Erfahrung mit solchen Wunden, für gewöhnlich füge ich sie nur zu und versuche nicht sie zu verarzten. Das mit den Handschellen kannst du bestimmt nachvollziehen. Ich verspüre nicht das Bedürfnis, von dir erschossen zu werden.“
Er deutete mit dem Kopf auf einen kleinen Nachttisch, auf dem die Pistole lag, welche ich dem Wärter abgenommen hatte, sowie das Klappmesser und der Schlagstock.
„Was willst du von mir? Warum hast du mich gerettet?“, verlangte ich zu erfahren.
Er schwieg und versuchte ungeschickt die Wunde zu reinigen. Dabei musste er einen Nerv getroffen haben, denn plötzlich jagten Schmerzen wie Blitze durch meinen Körper, sodass es mir Tränen in die Augen trieb. Den Schmerzensschrei konnte ich ebenso wenig unterdrücken, wie die Tatsache, dass sich mein Körper verkrampfte und alles noch verschlimmerte. Eine Hand legte sich auf meinen Mund und erstickte den Schrei.
„Nicht so laut. Wir sind nicht die Einzigen hier, zumindest im Moment nicht“, meinte der Vampir.
Ich nickte und er nahm seine Hand runter.
„So wird das nichts“, murmelte er kopfschüttelnd.
„Was?“
„Ich kann solche Wunden nicht auf menschliche Art heilen.“

Dante:

Ich wusste die Antwort auf die Frage, warum ich sie gerettet hatte, sehr wohl. Aber ich wollte sie ihr nicht sagen, noch nicht. Stattdessen überlegte ich mir, wie ich Kai beibringen konnte, dass ich ihre Wunde nur auf meine Art heilen konnte.
„Das, was ich jetzt mache werde, wird dir nicht gefallen“, sagte ich und legte das Verbandszeug auf die Seite.
„Du weißt gar nichts über mich, woher willst…“
Ich grinste, wobei es wohl eher ein Zähneblecken war, worauf hin sie verstummte.
„Dein richtiger Name ist Zara, was so viel wie Morgendämmerung bedeutet, du kommst aus einem kleinen Dorf namens Rima und bist mit sechs Jahren, nach dem Mord deiner Eltern durch Vampire, dieser Hunterorganisation beigetreten. Den Spitznamen Kai hast du bekommen, weil du die beste Schützin mit dem KAI 153-Scharfschützengewehr bist. Deine Lieblingsfarben sind grün und schwarz manchmal auch grau. Dein Lieblingsbuch ist ein dicker Wälzer über das foltern und töten von Vampiren. Dein Lieblingsessen sind Spaghetti mit Tomatensoße. Deine Lieblingseissorte ist Zitrone.
Du hasst es im Mittelpunkt zu stehen, körperliche Annäherungen und am meisten von allem hasst du Vampire. Hab ich was vergessen?“
Ich sah sie ernsthaft fragend an und sie erwiderte meinen Blick geschockt.
„Woher…“
„Ich kenne die Leute, gegen die ich kämpfe gerne“, log ich.
Natürlich hatte ich einige Nachforschungen über die Hunter angestellt. Aber Kai kannte ich schon vorher, als sie noch Zara hieß, auch wenn sie sich nicht an mich zu erinnern schien.
„Und jetzt halt still und tu mir einen Gefallen und schrei nicht. Hier weiß niemand das ein Mensch im Haus ist und ich würde es vorziehen, wenn das so bleibt.“
Sie sah mich verwirrt an und nur langsam sickerte die Erkenntnis in ihr Bewusstsein.
„Nein…ich warne dich! Wenn deine Zähne meine Haut auch nur berühren, werde ich dich eigenhändig köpfen!“
Ich konnte ein Lachen nicht unterdrücken, als ich das hörte.
„Und wie willst du das machen?“, fragte ich und deutet auf ihre Handschellen. „Außerdem habe ich nicht vor dich zu beißen.“
Langsam näherte sich mein Mund ihrer Wunde. Ich konnte schon seit Jahren den Teil von mir kontrollieren, den es immer nach Blut dürstete, aber ich war dennoch vorsichtig. Außerdem gefiel mir der ängstliche Ausdruck auf Kais Gesicht, der immer mehr zunahm je näher ich ihrer Wunde kam. Ich konnte spüren, wie sie sich verkrampfte, versuchte ihre Schulter wegzuziehen und hören, wie sie vor Angst wimmerte.
Sie würde schreien und das musste ich verhindern, also verschloss ich ihren Mund mit meiner Hand. Mit der anderen hielt ich ihren Arm fest, sodass sie sich nicht mehr zu sehr bewegen konnte. Ich überwand den geringen Abstand nun schneller, als ich bemerkte, wie etwas Nasses an meiner linken Hand entlang lief. Weinte sie etwas? Das hatte ich eigentlich nicht gewollt.
Vorsichtig berührte ich die Wunde mit meinen Lippen und strich im nächsten Moment mit der Zunge darüber. Wie ich befürchtet hatte, schrie Kai. Zum Glück wurde der Schrei von meiner Hand gedämpft. Menschen verspürten einen kurzen, aber heftigen Schmerz, wenn sie zum ersten Mal auf diese Weise geheilt wurden. Kai bäumte sich auf und kämpfte gegen meinen Griff an. Schnell leckte ich ein zweites Mal über die Wunde und ließ so den Schmerz verebben.
Langsam schloss sich das klaffende Loch in ihrer Schulter. Aber ich musste auch noch ein viertes und fünftes Mal mit der Zunge darüber fahren, bevor nur noch eine Narbe zu sehen war.
„Ihr Blut schmeckt wirklich köstlich. Ich hätte nur zu gerne mehr davon.“
Schnell verscheuchte ich den Gedanken aus meinem Geist. Ich wollte ihr helfen und sie nicht weiter verletzen. Ich sah sie nicht an, als ich mich von ihrer Schulter ab und ihrem linken Arm zuwandte. Anscheinend hatte sie sich diesen selbst aufgeschnitten oder besser gesagt aufgerissen. Es sah aus, als hätte sie sich eine Säge mit verbogenen und verrosteten Zähnen darüber gezogen.
Nun huschte mein Blick doch zu ihren Augen, aber ich bereute es sofort wieder. Blanke Panik hatte sich in ihren Seelenspiegeln breitgemacht. Ich lächelte sanft, aber es half nichts. Also widmete ich mich wieder ihrem Arm.
Aus meiner Hosentasche holte ich einen Schlüssel und öffnete damit die Handschellen an ihrer linken Hand. Sofort versuchte Kai ihren Arm wegzuziehen, doch sie war nicht stark genug. Allerdings brauchte ich selbst beide Hände um ihren Arm festzuhalten. Gerade als ich auch diese Wunde heilen wollte, ließen mich ihre Worte stocken.
„Bitte…kannst du das n…nicht anders machen? M…musst du das so…I…ich hasse es wenn…I…ich hasse solche Berüh…“
Sie brach ab, allem Anschein nach traute sie ihrer Stimme nicht mehr.
Deswegen hatte sie Angst? Weil ich sie so berührte? Nicht weil ich, ein Vampir, sie heilte, sondern weil meine Zunge über ihre Haut fuhr?
„Es geht nicht anders“, entgegnete ich.
Weitaus vorsichtiger und viel, viel sanfter fuhr ich nun über die Wunde an ihrem Arm und doch verkrampfte sie sich wie unter einem Schlag. Obwohl ich es nicht wollte, kettete ich sie wieder an das Bett, nachdem die Wunde verheilt war, und beugte mich über sie zu ihrem rechten Arm. Diesen befreite ich nicht von den Handschellen. Im rechten Arm hatte sie mehr Kraft und größere Chancen ihn loszureisen. Ich wusste, dass sie jeden mit nur einem Handgriff betäuben konnte. An diesem Arm hatte sie ein Streifschuss. Ich musste zwei Mal mit der Zunge darüber fahren, um die Wunde zu schließen. Dann richtete ich mich wieder auf und sah Kai in die Augen.
Immer noch spiegelte sich Panik darin, als hätte ich weiß Gott was mir ihr getan. Sie versuchte sich zusammenzurollen, aber das gelang ihr natürlich nicht. Die Handschellen ließen es nicht zu.
„Bitte…lass mich gehen…Du…du wirst mich auch nie wieder sehen…Ich versprech`s!“, stotterte sie und zog an ihren Fesseln.
„Ich kann nicht. Warum werde ich dir noch erklären. Aber jetzt nicht.“
Ich hob die Hand, um ihr über das Haar zu streichen, aber sie zuckte schon zurück, bevor ich sie berührte. Was musste sie miterlebt haben um sich so gegen eine, eigentlich harmlose, Berührung zu sträuben?
Ein Klopfen ließ mich zur Tür herumfahren.
„Wer da?“
„Dimitri“, erklang eine gedämpfte Stimme von draußen. „Mach auf!“
„Einen Moment“, erwiderte ich und wandte mich dann flüsternd an Kai. „Ich muss kurz weg. Wenn du nicht als Abendessen enden willst, dann verhalten dich still und versuch nicht dich zu befreien. Wenn einer der Jungs mitbekommt, dass ein Mensch und noch dazu ein Mädchen hier ist, dann hast du allen Grund Panik vor Berührungen zu empfinden.“
Ich wartete nicht auf eine Antwort von ihr, sondern stand auf und ging zur Tür. Diese öffnete ich nur soweit das ich hindurchschlüpfen, aber Dimitri nicht in mein Zimmer sehen konnte. In dem Moment als ich die Tür schloss ahnte ich nicht, was ich bei meiner Rückkehr vorfinden würde.

Kapitel 2

Kai:

Nachdem ich die Panik niedergekämpft hatte, machte sich Wut in mir breit. Ich hatte diesem Vampir meine Schwäche gezeigt, und zwar mehr als mir lieb war. Ich hasste es angefasst zu werden und das, was dieser Arsch mit mir gemacht hatte, war reine Folter gewesen. Andererseits hatte er mich geheilt. Aber bestimmt nur um sich später mit mir zu vergnügen und mir jeden Tropfen Blut aus dem Körper zu saugen.
Egal, ich musste dort raus, und zwar bevor er zurückkam. Allerdings hielten mich die Handschellen effektiv davon ab. Zuerst musste ich diese loswerden. Es war nicht einfach, aber auch nicht unmöglich. Probeweise zog ich an ihnen. Sie saßen fest, aber nicht zu fest. Wenn ich es schaffte, mir den Daumen auszurenken, konnte ich herausschlüpfen. In Erwartung des Schmerzes biss ich die Zähne zusammen, aber es tat nicht weh. Entweder der Vampir hatte mich, während er mich heilte betäubt oder ich konnte endgültig keine Schmerzen mehr spüren. Wobei Ersteres noch am glaubhaftesten war. Ich schaffte es tatsächlich, irgendwie, mir den Daumen der rechten Hand auszurenken. Jetzt musste ich nur noch die Hand aus der Handschelle ziehen. Und schon widerlegte sich meine Theorie über das Betäuben.
Ich keuchte vor Schmerz, als ich mir an dem scharfen Metall die rechte Hand aufriss, aber ich zog weiter so fest ich konnte. Dabei wirkte mein Blut wie Schmiere. Dennoch benötigte ich fast zwanzig Minuten, um meine Hand freizubekommen. Als ich sie endlich befreit hatte, sah ich mehr Blut als Haut und sie tat höllisch weh. Aber sie war frei und ich konnte sie benutzen, wenn ich die Zähne zusammenbiss. Ich tastete meinen Hinterkopf ab und fand, was ich suchte.
Der Vampir hatte mir zwar meine Waffen abgenommen, aber die Haarnadel unter meinem Pferdeschwanz war noch da. Schnell zog ich sie heraus und bog sie mit den Zähnen auseinander. Dann schob ich ein Ende in das Schloss der Handschelle meiner linken Hand und begann darin herumzustochern. Ich hatte schon Ewigkeiten keine Schlösser mehr geknackt, zumindest nicht auf diese Weise und so wunderte es mich nicht, dass ich drei Versuche benötigte, bis sich die Handschelle öffnete. Bei denen an meinen Füßen ging es schon wesentlich schneller.
Ich setzte mich auf die Bettkante und verharrte einen Moment in dieser Position, bis das taube Gefühl in meinen Beinen verschwunden war, dann stemmte ich mich hoch. Ich musste viel Blut verloren haben, so benommen, wie ich mich fühlte. Einen Augenblick musste ich mich an der gewundenen Stange festhalten, an welcher der Baldachin festgemacht war, bevor ich mir sicher sein konnte, dass meine Beine mich wirklich trugen.
Ich ging zu dem Nachttisch und betrachtete die Waffen, welche dort lagen. Es waren nicht meine. Ich hasste es Waffen von anderen zu benutzen, da ich nie wissen konnte wann diese das letzte Mal gereinigt worden waren und ob sie richtig funktionierten. Aber in meiner jetzigen Situation konnte ich nicht wählerisch sein. Als Erstes nahm ich das Messer zur Hand und schnitt das schwarze Bettlaken in Steifen, mit denen ich mir die rechte Hand verband. Dann wandte ich mich wieder dem Nachttisch zu. Der Gürtel, in dem die ganzen Waffen gesteckt hatten, war spurlos verschwunden, weshalb ich mir die gesicherte Pistole hinten in die Hose stecken wollte. Doch da fiel mir etwas auf.
Ich sah an mir herunter und stellte fest, dass ich nur in meiner Tranfleckenmuster Unterwäsche dastand. Ich riss die Augen auf. Wo waren meine Kleider? Schnell sah ich mich um und entdeckte tatsächlich meine Schuhe und meine zusammengefaltete Hose auf einem Stuhl, neben einem Fenster. Ich schnappte mir meine Sachen, zog sie an und sah mich nach meinem Oberteil um. Aber das war nirgends zu sehen. Wo hatte dieser Mistkerl es versteckt? So viele Möglichkeiten gab es nicht. Entweder im oder unterm Bett, im Nachttisch oder auf dem Stuhl. Ich konnte suchen so viel ich wollte, ich fand es nicht. Also musste ich, wohl oder übel, in meinem BH rumlaufen.
„Wenigstens sieht er aus wie ein Bikinioberteil“, dachte ich und verstaute die Pistole hinten in meiner Hose.
Das Messer wanderte in meinen Stiefel und der Schlagstock in eine Seitentasche an meinen Hosen. Dann wandte ich mich zur Tür. Als der Vampir gegangen war, hatte ich kein Geräusch gehört das verriet, ob er das Zimmer abgeschlossen hatte. Ich drückte die Klinke herunter und zog an der Tür. Sie rührte sich nicht. Ich ging in die Hocke und nahm meine Haarnadel wieder zur Hand. Ein Türschloss konnte ich mit verbundenen Augen knacken.
Und wieder erlebte ich eine Überraschung.
Die Tür hatte gar kein Schloss. Aber warum ging sie dann nicht auf? Ich lehnte die Stirn gegen das kühle Holz. Die einzige Möglichkeit, warum die Tür verschlossen war, war ein Riegel von außen.
„Verdammt!“
Ich schlug gegen die Tür, wieder und immer wieder.
„So eine verdammte Scheiße! Verflucht!“
Ich war gefangen, von einem Vampir und somit ausgeliefert, aber nicht wehrlos. Wenn der glaubte, er konnte mit mir machen, was er wollte, hatte er sich geschnitten. Ich würde auf ihn warten und mit einem Schuss willkommen heißen. Noch während ich das dachte, hörte ich ein Kratzen an der Tür und sprang auf. Schnell wich ich ein paar Schritte zurück und zog die Pistole. Ich wusste, wo ich hinzielen musste, um den Rotschopf genau zwischen die Augen zu schießen. Er war einen guten Kopf größer als ich und ich hatte genug Erfahrung einen Schusswinkel zu berechnen, der ihn auf jeden Fall verletzen würde, egal wie er durch die Tür kam.
Diese öffnete sich langsam, viel zu langsam für jemanden dem dieses Zimmer gehörte. Und tatsächlich war es nicht der Rothaarige, der hereintrat. Um diesen Kerl am Kopf zu treffen, der da vor mir stand, hätte ich eine ganze Handspanne höher zielen müssen.
„Was haben wir denn da?“, fragte er mit einem seltsamen Akzent in der Stimme. „Wollte dich Dante uns etwa vorenthalten? Wie gemein von ihm.“
Er kam herein und schloss die Tür wieder hinter sich. Ein leises Klicken war zu hören, mit dem ein Riegel zuschnappte. War das etwa dieser Dimitri? Nein, er sah ganz und gar nicht so aus, wie ein Dimitri, eher wie ein Angelo.
„Leg das Ding weg, Süße. Nicht dass du dich noch verletzt.“
Er deutete auf die Pistole in meiner Hand.
„Ich denke gar nicht daran“, knurrte ich.
So schnell, dass ich es im ersten Moment gar nicht registrierte, war er bei mir, packte mich an den Schultern und drückte mich gegen die Zimmerwand.
„Dann eben nicht“, haute er in mein Ohr und seine Zunge strich über meinen Hals.
Für meinen Geschmack hatte ich heute schon mehr als genug Körperkontakt mit anderen, vor allem mit Vampiren, und das würde dieser Vampir nun merken. Ich entsicherte die Pistole mit dem Daumen, setzte sie an seinen Bauch und drückte ab. Er brüllte und taumelte von mir weg. Es war keine tödliche Verletzung, dazu hätte ich UV-Licht-Patronen benötigt, aber sie hatten ihn wenigstens auf Abstand gebracht. Im ersten Moment hielt er die Wunde, mit einer Hand, bedeckt und stand, leicht vornübergebeugt da. Dann richtete er sich auf und sah mich hasserfüllt an.
„Das hast du nicht umsonst getan“, fauchte er und kam wieder auf mich zu.
Ich zielte ein weiteres Mal und drückte ab…nichts passierte. Ladehemmungen! Scheiße! Wie ich Waffen von anderen hasste. Mit meiner Pistole wäre das nicht passiert.
Und schon war der Vampir bei mir und packte mich am Hals. Mit einer Hand hob er mich hoch und warf mich auf das Bett, welches unter mir zusammenbrach. Gesplittertes Holz ragte nur wenige Zentimeter neben meinem Hals hervor. Noch bevor ich mich aufrichten konnte, stand der Vampir über mir. Blut tropfte, aus der Wunde an seinem Bauch, auf meinen Oberkörper.
„Du wirst das wieder gut machen“, meinte er und kniete sich über mich.
Seine Fingernägel kratzten über meinen Bauch und ich sog, scharf die Luft ein. Meine Hand tastete suchend über die Überreste des Bettes. Ich musste etwas finden, mit dem ich mich wehren konnte. Ich griff zu und hatte ein unterarmlanges Stück von dem gedrehten Bettpfosten, das relativ spitz abgebrochen war, in der Hand. Ich musste nur noch auf den richtigen Moment warten.
Der Vampir starrte mir in die Augen, beugte sich zu meinem Hals vor und…erstarrte, mitten in der Bewegung. Ungläubig sah er zwischen mir und seiner Brust, aus der das Stück Bettpfosten ragte, hin und her. Ich hatte genau sein Herz getroffen. Er würde sterben. Allerdings nicht so schnell, wie man es aus Filmen kannte, sondern er würde langsam verbluten.
„W…wie hast du…“, stammelte er.
Dünnen Blutfäden rannen aus seinem Mundwinkel und tropften auf meine Wange.
„Unterschätze nie einen Gegner“, knurrte ich und beförderte ihn, mit einem Fußtritt, von mir herunter.
Ich richtete mich auf und stellte fest, dass mein ganzer Rücken brannte wie Feuer. Ich musste ihn mir wohl an den Splittern des Bettes aufgerissen haben. Als ich auf den Vampir hinunter sah, stahl sich ein kaltes Lächeln auf meine Lippen. Er lag im Todeskampf da. Sein Körper war verkrampft und seine Haut so grau wie Asche. Immer noch starrte er mich an.
„Viel Spaß noch, Süßer“, grinste ich, schickte ihm einen Luftkuss und wandte mich der Tür zu.
Ich zog an ihr, doch sie rührte sich wieder nicht. Mutlos ließ ich die Schultern hängen. Den Riegel konnte ich von innen nicht öffnen, was hieß ich würde warten müssen, bis jemand kam. Darauf war ich jedoch nicht sonderlich erpicht. Vampire konnten es nämlich gar nicht ab, wenn einer von ihnen, von einem Menschen, getötet wurde. Ich musste dort weg, nun dringender als zuvor. Mein Blick fiel auf das einzige Fenster im Raum. Das war meine Rettung! Schnell kletterte ich über das zerstörte Bett und zog am Fenstergriff. Abgeschlossen…
„Das gibt`s doch nicht.“
Und ich konnte es noch nicht Mal knacken da ich, bei dem Kampf, meine Haarnadel verloren hatte. Hinter mir hörte ich ein gurgelndes Geräusch und sah den Vampir wütend an.
„Stirb gefälligst leise. Ich muss nachdenken.“
Mir blieb wohl keine andere Wahl als das Fenster einzuschlagen, was ich sofort tat. Ich befand mich im ersten Stock, das hieß ungefähr drei bis vier Meter über dem Boden. Einen Sprung aus dieser Höhe konnte ich abfangen.
Gedacht, getan.
Ich sprang, mit dem Kopf voran, aus dem Fenster, schwebte einen Moment in der Luft, fiel und kam auf dem Boden auf. Ich rollte mich geschickt ab und kam aus der gleichen Bewegung auf die Füße. Ein kurzer Schmerz zuckte durch meine linke Schulter, verschwand jedoch gleich wieder. Kurz sah ich zu dem Haus zurück, in dem ich gefangen gewesen war. Ich war erstaunt eine alte Villa zu sehen und keines dieser Mehrfamilienhäuser, die überall wie Unkraut aus dem Boden schossen. Waren das rote Haare gewesen, hinter dem einen Fenster? Vielleicht sollte ich doch nicht gehen, immerhin hatte er mir geholfen…
„Nein! Du wirst nicht zurückgehen! Er ist ein Vampir und wird dich töten, wenn er sieht was du mit seinem Kumpel gemacht hast“, sagte ich zu mir und wandte mich zum Gehen.
Nach einer, fast nicht enden wollenden, Rasenfläche erreichte ich einen gut vier Meter hohen Zaun. Zu meinem Glück stand das Tor offen und ich musste nicht klettern. Das Anwesen lag mitten in einer Stadt, aber welche es war konnte ich nicht sagen.
Blindlinks rannte ich durch die Straßen. Die Dunkelheit wurde nur hier und da von einer Straßenlampe oder einem leuchtenden Reklameschild unterbrochen. Ich suchte Orientierungspunkte und merkte mir jeden Straßennahmen, den ich sah. Als ich dann einen Kirchturm bemerkte, wusste ich endlich wo ich war. Der Vampir hatte mich nach Rula gebracht, einer der größten Städte unseres Landes, in der ich mich, nebenbei bemerkt, nicht wirklich auskannte.
Egal, ich würde schon ein Versteck finden. Allerdings gab es zu dieser Uhrzeit nicht mehr viele Möglichkeiten. In einen Stripclub wollte ich nicht wirklich gehen, die Gasthäuser hatten schon geschlossen und in die Kirche würde ich noch nicht mal dann gehen, wenn es das einzige Gebäude im Umkreis von fünfzig Kilometern gewesen wäre. Also blieb mir nur noch die Gosse. Wäre nicht das erst Mal gewesen, dass ich in einer Seitenstraße geschlafen hätte. Ich suchte mir eine Gasse, aus der keine seltsamen Geräusche drangen und setzte mich an eine Hauswand. Was sollte ich jetzt machen? Ich konnte nicht zurück zu den Huntern und so ziemlich jeder Vampir, in unserem Land, war hinter mir her. Ganz davon abgesehen, dass ich der Regierung schon lange ein Dorn im Auge war und die Kirche wollte mich ebenfalls loshaben (Ich kämpfte nicht so, dass es ihrem Gott passte). Wo also sollte ich hingehen? Plötzlich explodierte ein stechender Schmerz in meinem Kopf und löschte alle meine Gedanken aus.

 
Als ich wieder zu mir kam war es heller Tag und um mich herum herrschte ein geschäftiges Treiben. Ich wollte mich aufrichten und umsehen, aber, zu meinem Entsetzten, spürte ich meinen Körper nicht mehr. Ich versuchte etwas zu sagen, aber ich konnte noch nicht Mal meinen Mund öffnen. Ich wusste jedoch sofort was mit mir los war.
Spätestens als ich die anderen Mädchen sah, welche neben mir lagen, wusste ich, dass ich auf dem Markt der Vampire war. Ich lag auf dem Bauch, sodass ich mich nicht wirklich umsehen konnte. Aber das musste ich auch nicht. Ich konnte ganz genau hören, was hinter meinem Rücken vorging. Es wurde verhandelt und zwar mit hohen Summen. Die Rede war von Beträgen zwischen fünftausend und zehntausend Jerki. Eine schöne Stange Geld.
„Wusste gar nicht, dass ich so viel Wert bin“, schoss es mir durch den Kopf.
Doch dann kam mir ein anderer Gedanken. Welcher Vampir kannte einfach Mal so zehntausend Jerki auf dem Markt ausgeben? Auf Anhieb fielen mir nur drei ein.
Koja, Southa und Edo, die drei Connar- Brüder, die reichsten Vampire des Landes.
„Abgemacht“, erklang eine Stimme hinter mir, die des Händlers wahrscheinlich.
Meine Gedanken überschlugen sich. Wenn ich gerade wirklich von einem der Brüder gekauft worden war, hatte ich ein riesen Problem. Sie waren Sadisten, die unvorstellbares mit ihren Sklaven taten. Aber das war mein geringstes Problem. Bei einem meiner ersten Scharfschützeneinsätze hatte ich den Auftrag Malu und Liam Connar, die Eltern der drei, zu töten. Damals war ich stolz, nicht einmal vorbei geschossen zu haben. Doch ich bereute es schon bald. Denn plötzlich hatte ich, mit nicht mal ganz fünfzehn Jahren, ein Kopfgeld von achthundert Jerki am Hals.
Ein Ruck riss mich aus meinen Gedanken. Jemand hatte mich hochgehoben und sich, wie einen Sack, über die Schulter geworfen. Leider bekam ich dadurch noch weniger von meiner Umgebung mit, da ich nun gezwungen war einen Rücken anzuschauen. Wenigstens erkannte ich deshalb dass es sich, bei meinem Träger, nicht um einen der Connar-Brüder handelte, dafür hatte er zu viel Körpermasse. Aber das hatte nichts zu heißen. Die drei hatten biele Sklaven und noch mehr Diener.
Nach einem Marsch von zwanzig Minuten, durch die Vampirmenge, blieb der Koloss stehen und ich hörte wie der Kofferraum eines Autos geöffnete wurde, in welchem ich auch im nächsten Moment unsanft landete. Dann war wieder alles dunkel um mich herum und ich bekam nur gedämpft etwas von der Umgebung mit.
Das Betäubungsmittel, welches mich lähmte, wirkte auch noch als ich, nach ungefähr eineinhalb Stunden fahrt, aus dem Kofferraum herausgeholt wurde. Wieder bekam ich von meiner Umgebung nicht wirklich etwas mit. Ich konnte erkennen dass ich über einen Kiesweg getragen wurde, der auf beiden Seiten von Gras eingegrenzt wurde. Danach ging es eine Treppe hinauf, durch verschiedene Gänge (das Haus musste riesig sein), bis zu einem kleinen Zimmer, in dem nur zwei Stühle, ein Spiegel und ein Schrank stand.
Ich wurde auf einen der Stühle gesetzt und sah zum ersten Mal das Gesicht meines Trägers. Er war vielleicht dreißig Jahre alt und hatte markante Gesichtszüge, die jedoch erst auffielen wenn man ihn genauer musterte.
Als er meinem Blick begegnete, wandte er sich ab und verschwand ohne ein Wort zu sagen. Es verging eine Stunde bis sich die Tür wieder öffnete. Diesmal erschien eine ältere Frau darin, mit weißen Haaren und Falten so tief wie Schluchten. Sie trug ein Kleiderbündel auf dem Arm und eine Schüssel Wasser.
„Was habt...ihr mit mir...vor?“, brachte ich stockend heraus.
Das Gift verlor an Wirkung, sodass ich wenigstens sprechen konnte.
„Mein Herr möchte dich sehen.“
Sie stellte die Schlüssel auf den Tisch und hängte die Kleider über den Stuhl. Dann wandte sie sich mir zu und begann mir Schuhe und Strümpfe ausziehen.
„Hey! Lass das!“
Ich versuchte nach ihr zu treten, was natürlich an der Wirkung des Giftes scheiterte. In weniger als zehn Minuten saß ich nur noch in Unterwäsche da und wurde von der Frau gewaschen. Ich versuchte mich von ihren Bewegungen zurückzuziehen, was mir aber wieder nicht gelang.
„Nicht...bitte hören sie auf!“, schluchzte ich, als sie mir auch die Unterwäsche auszog.
„Ich kann nicht. Ich muss es tun, sonst werde ich bestraft“, entgegnete sie.
Ich hasste es berührt zu werden und durch das Betäubungsmittel konnte ich noch nicht einmal etwas dagegen tun. Sie schien mein Unbehagen zu spüren, denn sie beeilte sich mich wieder anzuziehen. Allerdings war ich mit den Kleidern auch eher nackt, als angezogen, denn sie verdeckten gerade so das nötigste. Sie bestanden aus einer sehr knappen Seidenhosen und passendem BH, mehr nicht.
So angezogen wurde ich in ein Schlafzimmer gebracht und dort, wie eine Puppe, auf dem Bett drapiert. Mir schwante übles und mein Gefühl sollte mich nicht täuschen. Keine fünf Minuten später betrat einer der Connars das Zimmer und kam auf mich zu.
„Southa“, knurrte ich, außerstande etwas anderes zu tun.
„Du bist also die gefürchtete Kai, die meine geliebten Eltern ins Jenseits geschickt hat. Das ich dich mal vernaschen würde“, er schüttelte den Kopf. „Hätte mir das jemand gesagt, ich hätte ihn für verrückt erklärt.“
„Fass mich an und ich schwöre dir, ich werde dich eigenhändig töten.“
Er kam zu dem Bett herüber, kniete sich über mich und stützte die Arme neben meinem Kopf ab.
„Ich mag es, wenn Frauen sich wehren. Also nur zu, droh mir weiter. Das beschleunigt das Eintreten des Unvermeidlichen nur noch.“
Er ließ eine Hand über meinen Körper wandern und sofort versteifte ich mich. In meinem Kopf ging alles drunter und drüber. Ich war nicht im Stande einen klaren Gedanken zu fassen. Er beugte sich über mich und im nächsten Moment spürte ich fordernde Lippen auf meinen. Seine Zunge drang in meinen Mund ein und erkundete ihn grob. Ich biss zu, ohne zu zögern oder nachzudenken. Fluchend ließ Southa von mir ab.
„Scheiße, bloß nicht schlucken“, schoss es mir durch den Kopf.
Doch Southa schien mir den Biss heimzahlen zu wollen. Er drückte mir die Luft ab, was dazu führte, dass ich, aus einem Reflex heraus, schlucken musste.
Nein!“
Meine Gedanken überschlugen sich, Panik stieg in mir auf und schnürte mir zusätzlich die Kehle zu. Ich hatte Vampirblut getrunken. Jeder wusste das ihr Blut tödlich für Menschen war. Bei den meisten reichten schon wenige Tropfen und ich hatte gerade mehr als das geschluckt.
„Und? Hat`s geschmeckt? Wenn du kein Vampirblut trinken willst, dann beiß einfach keinen.“
„Leck mich“, knurrte ich und wandte mich in seinem Griff.
„Das ist eine ausgesprochen gute Idee. Allerdings weiß ich nicht, ob sie dir so gut gefällt. Ich schätze den meisten Spaß dabei, werde ich haben.“
Langsam schoben sich seine Hände unter den Bund meiner Hose und zogen sie herunter. Ich war wieder wie gelähmt, konnte mich nicht rühren vor Angst. Das Vampirblut tobte in meinem Inneren und ich dachte ich würde innerlich verbrennen. Jeden Moment würde ich in Ohnmacht fallen oder, schlimmer noch, an dem Blut sterben. Es gab nicht viele, die den Genuss von Vampirblut überlebten und noch weniger, die von reinblütigem Blut tranken. Nur am Rande bekam ich mit, wie der Vampir mir meine restliche Kleidung abstreifte und meinen Körper begutachtete. Ich schien ihm zu gefallen, denn ein Lächeln erschien auf seinem Gesicht. Meine Panik wurde größer. Warum konnten sie nicht einfach das Blut trinken und gut war. Nein, sie misshandelten und missbrauchten ihre Opfer immer.
Ich spürte seine Hände überall auf meinem Körper und mir kam es so vor, als würde sein Blut, in meinem Inneren, auf ihn reagieren. Das Feuer in mir wurde größer, drohte mich zu verschlingen. Ich nahm nur noch die Schmerzen wahr, sonst nichts mehr. Alle meine Sinne versagten mir den Dienst. Ich sah weder das Zimmer, noch Southa, sondern nur noch Schwärze. Ich war blind.
Als ein neuerlicher Schmerz in meinem Unterleib explodierte, warf ich schreiend den Kopf in den Nacken. Mein ganzer Körper verkrampfte sich und machte die Sache noch schlimmer. Dann stach etwas in meinen Hals und eine grausame Kälte befiel mich. Der Schmerz war immer noch da, aber nun schien etwas anderes, schrecklicheres in mir zu toben, etwas, dass mein Blut zu der schmerzenden Stelle an meinem Hals trieb. Eine bleierne Schwere überzog meinen Körper und führte dazu, dass ich mich nicht mehr rühren konnte. Ich spürte, wie mein Herzschlag sich, mit jeder verstrichenen Sekunde, verlangsamte, bis er fast zum Stillstand kam. Erst dann umfing mich die gnädige Dunkelheit und raubte mir jegliche Sinne.

Kapitel 3

Dante:

 
Ich wanderte schon den ganzen Tag durch das Haus und kaute auf meiner Unterlippe. Es war nun genau eine Woche her, dass Kai abgehauen war und das Bild, welches mein Zimmer geboten hatte, bekam ich einfach nicht aus dem Kopf. Malte war nicht mehr zu helfen gewesen, was ich ohnehin nicht getan hätte. Er hatte Kai bedroht und sie verletzt. Ihr Glück war, dass Malte sie unterschätzt hatte. Ich sah ihm dabei zu, wie er verblutete und langsam zu Staub zerfiel.
„Setzt dich endlich hin. Du machst mich ganz nervös“, riss Dimitri mich aus meinen Gedanken.
„Entschuldige.“
Ich blieb stehen und sah aus dem Fenster. Die Sonne war gerade untergegangen. Was hieß, ich konnte meine Suche fortsetzten. Es war keines Falls so, dass wir bei Tageslicht nicht raus gehen konnten, aber Nachts war es für uns einfach leichter. Wir fielen nicht so sehr auf, mussten uns nicht anpassen. Überhaupt gingen nur sehr wenige unserer Rasse tagsüber aus dem Haus.
„Was ist los mit dir? Du warst in letzter Zeit so oft draußen, man könnte meinen, du hast ne Freundin“, meinte Dimitri und sah mich grinsend an.
„Mach dich nicht lächerlich!“, widersprach ich und fügte ruhiger hinzu. „Ich habe eine Verlobte, dass weißt du genau.“
„Ja, eine Verlobte, die keuscher ist als der Papst und die Nase so hoch trägt, dass es ihr hinein regnet.“
„Eine Verlobte, die meine Eltern bestimmt haben, ohne meine Meinung einzuholen“, dachte ich, sagte es jedoch nicht.
Dimitri kannte meine Einstellung dazu und teilte sie. Zwangsehen wahren Tradition bei der Königsfamilie, aber nur noch, bis ich auf dem Thron saß.
„Ich bin dann mal weg“, meinte ich und ging zur Tür.
„Wenn du wieder vor hast, den Markt zu besuchen, dann nimm dieses Mal einen unauffälligeren Weg“, sagte Dimitri und sah mit nach.
„Ist doch es nutzlos. Du findest mich überall.“
„Deswegen bin ich ja der berste Bodyguard, den deine Eltern engagieren konnten.“
Ich hob stumm die Hand zum Abschied und verließ die Villa. Mein Weg führte mich tatsächlich zum Markt. Da ich nirgends in der Stadt einen Hinweis auf Kais Aufenthaltsort gefunden hatte, kam nur noch eins in Frage. Ein Händler oder Späher musste sie gefunden und zum Vampirmarkt gebracht haben. Wenn ich Glück hatte, würde sie noch dort sein. Wenn nicht musste ich herausfinden, an wen sie verkauft worden war. Gestern hatte ich wenig Erfolg gehabt. Weder fand ich sie, noch einen Händler, der sie gesehen hatte.
Jetzt lief ich wieder die Reihen ab und suchte nach ihrem Gesicht, doch wieder fand ich nichts.
„Sucht der Herr etwas bestimmtes?“, erklang plötzlich eine Stimme neben mir.
Sie gehörte zu einem kleinen, dicklichen Vampir, mit schmierigem Äußerem und fettigen, kurzen Haaren. Das jemand unserer Rasse so herumlaufen konnte, war mit immer noch ein Rätsel. Vampire mussten schon äußerst nachlässig mit sich sein, um Fett anzusetzen oder überhaupt so ein Erscheinungsbild abzugeben, wie dieser Kerl.
„Ja, das tue ich“, antwortete ich, mit etwas Verspätung auf seine Frage. „Ich suche ein Mädchen, um die zwanzig, mit kurzen, bläulichen Haaren und zwei längeren Strähnen links und rechts neben dem Gesicht. Einen Kopf kleiner als ich, guter Körperbau, durchtrainiert und trägt eine camouflagefarbene Hose mit passendem BH.“
Der Händler sah mich an, als hätte ich ihm etwas beschrieben, dass ich gar nicht wissen durfte. Doch er hatte sich schnell wider unter Kontrolle und grinste schief.
„Ihr wisst wohl genau, was ihr wollt.“
„Ja, dann dieses Mädchen ist mir vor einer Woche entflohen und ich hätte sie wirklich gerne wieder zurück.“
Er musterte mich abschätzend und kam wohl zu dem Entschluss, dass ich Geld besitzen musste, denn seine nächsten Worte waren:
„Was wäre euch eine Information über das Mädchen denn wert?“
„Du wirst doch wohl nicht mit dem Prinzen feilschen wollen, oder? Du Möchtegern von einem Vampir. Schau dich an, du kannst froh sein, dass sich Prinz Dante überhaupt mit die abgibt“, erklang plötzlich Dimitris Stimme hinter mir.
Die Augen des Händlers wurden groß und ich hatte wirklich Angst, dass sie ihm aus dem Gesicht springen würden. Schnell verbeugte er sich, so tief es sein Bauchumfang zuließ und vermied es tunlichst in meine Augen zu sehen.
„Verzeiht, hätte ich gewusst, wer ihr seif, hätte ich nie die Frechheit besessen so...“
„schon gut. Mein Leibwächter übertreibt es manchmal etwas.“ Ich warf Dimitri einen wütenden Blick zu und fuhr dann fort. „Habt ihr nun so ein Mädchen gesehen, oder nicht?“
Mein Gegenüber musste nicht lange überlegen. Anscheinend hatten Dimitris Worte seine Zunge gelockert.
„Ja, dass habe ich in der Tat. Ich habe sie nämlich, vor vier Tagen, an die Connar Brüder verkauft. Es war ein gutes Geschäft. Sie haben mir mehr Geld geboten, als ich ursprünglich für sie haben wollte.“
Ohne mein Zutun, packte ich den Kerl am Hals und stieß ihn gegen die nächste Wand.
„Du hast was getan?!“
„Tut mir leid...Wenn ich gewusst hätte... das...“
Zu mehr war er nicht im Stande, da sich meine Hand noch fester um seinen Hals schlang und ihm endgültig die Luft zum Atmen nahm. Ich konnte nichts dagegen tun. Meine Wut hatte mich im Griff und lenkte meine Handlungen. Ich sah ihm in die Augen, während er zu ersticken drohte. Er würde daran nicht endgültig sterben, aber es würde auch kein schönes Erwachen für ihn geben. Mit den Lippen formte der Händler die Worte:
Es tut mir leid, Herr.
Aber das ließ mich völlig kalt. Mit wachsendem Interesse sah ich zu, wie sich meine Hand, an seinem Hals, zu einer Klaue verformte und schwarze federn meinen Arm bedeckten. Wut weckte immer etwas in mir, doch was genau das war, wusste ich selbst nicht. Aber eines wusste ich mit Sicherheit, wenn sich nicht plötzlich Dimitris Hand auf meine Schulter gelegt hätte, hätte ich den Händler getötet.
„Das reicht, Dante, lass ihn los“, flüsterte mein Leibwächter, machte allerdings keine Anstalten, sich weiter einzumischen.
Ich knurrte, wie ein Wolf der seiner Beute beraubt worden war, ließ aber von dem Händler ab. Nach ein paar kräftigen Atemzügen verschwanden auch die Federn und die Kleie wurde wieder zu meiner Hand.
„Beherrsche dich, verdammt noch mal“, sagte Dimitris Blick, aber er sprach es nicht laut aus.
Er hatte ja recht. Ich übertrieb gerade, aber ich hatte mich nicht in der Gewalt.
„Danke und verzeiht mein Verhalten“, murmelte ich und wandte mich zum Gehen.
Mein Kopf schwirrte. Kai war auf dem Anwesen der Connar. Wie konnte ich sie da nur herausbekommen? Die Connar dienten nicht meiner Familie. Sie kamen ursprünglich aus Nexes, einem Land hinter dem roten Ozean und blieben ihrer Königsfamilie immer treu. Sie hatten es noch nie erlaubt, dass jemand aus meiner Familie ihr Anwesen betrat und ich hatte keine Zeit, mich mit dem Papierkram herumzuschlagen, der mir dies erlaubte. Mal davon abgesehen, dass ich dafür irgendwelche Beweise benötigt hätte, dass sie gegen unsere Gesetzte verstießen und die Brüder bestens wussten, wie sie diese beseitigen.
„Dürfte ich jetzt erfahren, was hier los ist?“, erklang plötzlich Dimitris Stimme hinter mir.
Verdammt, ich hatte ihn ganz vergessen. Auf die Schnelle fiel mir leider keine glaubhafte Ausrede ein und das hätte ohnehin nichts genutzt. Ich konnte ihn noch nie belügen, auch wenn er es immer wieder behauptete.
„Dante, wer ist dieses Menschenmädchen?“
„Eine alte Freundin“, meinte ich.
„Und?“
„Was und?“
Er verdrehte die Augen. Ich musste sein Gesicht nicht einmal sehen, um das zu wissen.
„Wegen einer alten Freundin würdest du nicht so aus der Haut fahren. Außerdem ist sie ja noch gar nicht so alt, um als solche bezeichnet zu werden, oder?“
„Um die zwanzig. Ich bin mir nicht sicher.“
„Jetzt lass dir nicht jeden Wurm einzeln aus der Nase ziehen!“
Ich seufzte und drehte mich zu ihm um. Ich war kein bisschen erstaunt seinen fragenden und gleichzeitig vorwurfsvollen Blick zu begegnen. Wir hatten eigentlich keine Geheimnisse voreinander, aber dieses eine würde bestehend bleiben. Also erzählte ich ihm nur das, was ihn keinen Verdacht schöpfen ließ.
„Vor Jahren war ich mit einem Mann befreundet, der eine kleine, süße Tochter hatte. Diese hatte keine Angst vor mir, obwohl ihre Großeltern, vor ihren Augen, von einem Vampir getötete worden waren. Sie faszinierte mich, aber ich hatte sie eine Weile aus den Augen verloren. Als ich sie dann wiederfand erinnerte sie sich nicht an mich und lief weg. Also bin ich sozusagen dafür verantwortlich, dass sie jetzt bei den Connar-Brüdern ist und ich werde sie dort wieder herausholen.“
„Sie ist nur ein Mensch.“
„Genau deswegen“, erwiderte ich und wandte mich zum gehen.

 
„Zara, machst du die Tür auf?“
Franks Stimme hallte durch das Haus, wie Dante es gewohnt war. Er wartete geduldig, bis das kleine Mädchen, von vielleicht vier oder fünf Jahren, die schwere Holztür aufzog.
Dante!“
Sie fiel ihm um den Hals (oder eher um den Oberschenkel, denn höher kam sie noch nicht) und sah freudestrahlend zu ihm hinauf.
Hallo Zara. Na wie geht’s dir?“, begrüßte Dante sie.
Gut!“
Sie streckte die Hände nach ihm aus und lächelte zufrieden, als er sei auf die Arme nahm.
Sarah, wer war es? Wo bist du?“, ertönte erneut Franks Stimme.
Ich bin es nur!“, rief Dante und betrat das Haus.
Ah, Dante, setzt dich, fühl dich wie zu Hause. Du weißt ja, wo alles steht. Ich bin gleich da.“
Dante sah sich kurz in dem kleinen Zimmer um, dass Wohn- und Esszimmer zugleich war und fragte sich einmal mehr, wie man in einem so kleinen Haus wohnen konnte. Er war nun mal die Villen seiner Eltern gewohnt. Schließlich setzte er sich an den Esstisch und nahm Zara auf seinen Schoß.
Papa macht ein schönes Kleid, für Jana. Die heiratet übergestern“, berichtete diese und wand sich aus seinen Armen.
Mehr hüpfend, als laufend, verschwand sie in der Küche und Dante konnte hören, wie sie die Kaffeemaschine einschaltete.
Du meinst sie heiratet übermorgen“, verbesserte er die kleine.
Sag ich doch. Du hörst mir nie zu“, meckerte sie, als sie mit zwei Tassen zurückkam.
Er lächelte sie an und Zara kletterte auf einen Stuhl und von da aus auf den Tisch. Dann hockte sie sich, auf Knien, vor ihn und sah ihn aus ihren großen, kristallblauen Augen an.
Wenn ich groß bin, dann heiraten wir auch, ja?“, fragte sie, in kindlicher ernstem Tonfall.
Dante lachte und tätschelte ihren Kopf.
Gewiss. Ich kann mir keine schönere Braut vorstellen.“
Dann gab er ihr einen Kuss auf die Stirn und wuschelte durch ihre kurzen, blauen Haare. Es waren nur kindische Worte, ein Versprechen, dass nichts zu bedeuten hatte. Zumindest nicht für sie. Zara würde dieses Versprechen vergessen haben, noch bevor sie in ein Alter kam, in dem sie heiraten konnte. Bei Dante war das etwas anders. Er empfand wirklich etwas für sie, was ein absolutes Tabu war, nicht nur bei den Menschen. Aber es war keine körperliche Anziehung dabei, er liebte sie schlichtweg und wollte sie glücklich sehen.
Na, was treibt ihr beide denn so?“, erklang Franks Stimme.
Er betrat das Zimmer und trug in der rechten eine Kanne Kaffee und in der linken Milch und Zucker. Er stellte alles auf den Tisch und setzte sich erst dann hin.
Papa, Papa! Dante hat gesagt, dass er mich heiratet, wenn ich groß bin“, verkündete Zara aufgeregt.
Dante sah Frank an und erkannte, wie ein Schatten über dessen Gesicht huschte und Bitterkeit sein Blick trübte. Doch beides verschwand im Bruchteil eines Lidschlages und er lächelte Dante an.
Soso, na dann muss ich mir um dich ja keine Sorgen machen“, meinte Frank und strich Zara liebevoll über die Wange. „Schaust du mal bitte nach Mama? Sie muss ihre Tabletten noch nehmen.“
Zara nickte, grinste Dante noch einmal an, sprang vom Tisch und verschwand über die Treppe nach oben. Dante wartete, bis er die Tür zum Schlafzimmer zufallen hörte, bevor er sich an Frank wandte.
Wie geht es Marie?“, fragte er und schenkte sich Kaffee ein.
Mit jedem Tag schlechter. Sie kommt aus ihrer Traumwelt gar nicht mehr zurück. Wenn Zara sie nicht so geduldig und liebevoll füttern und pflegen würde, wäre sie schon längst verhungert“, erklärte der Mann und barg verzweifelt den Kopf in den Händen.
Hältst du es für klug, Zara ihre Mutter in diesem Zustand sehen zu lassen?“
Ich habe versucht sie von ihr fern zu halten, da der Arzt auch meinte sie würde nicht verstehen, was mit ihrer Mutter los ist. Aber sobald ich nicht aufpasse ist sie wieder bei ihr. Warum sollte ich ihnen die Zeit nehmen, die ihnen noch zusammen bleibt? Aber du bist sicher nicht hier, um über Marie zu reden, oder?“
Dante schüttelte den Kopf.
Nein, es geht um meine Familie.“

 
„Dante?“
Ich blinzelte und sah Dimitri an, der meinen Blick besorgt erwiderte. Erst da begriff ich, dass ich wohl mehrere Minuten einfach nur vor mich hin gestarrt hatte.
„Entschuldige, ich habe mich gerade an etwas erinnert.“
„Ja, das hab ich bemerkt.“
Er grinste schief und bedachte mich mit einem Blick, der keinen falschen Rückschluss auf seine Gedanken zuließ.
„Zweifelsfrei an etwas, dass du mit der Kleinen getan hast.“
„Zweifelsfrei, aber nicht was du denkst.“
„Das behaupten sie alle.“
Ich verdrehte die Augen und wandte mich endgültig zum Gehen. Dimitri wusste es nicht besser und trotzdem machten mich seine Worte wütend. Immerhin war Kai damals noch ein Kind gewesen und wenn ich ehrlich war, war sie es jetzt immer noch (zumindest noch den Maßstäben eines Vampirs). Erst nachdem ich den Markt verlassen hatte, schloss Dimitri wieder zu mit auf. Mit hinter dem Kopf verschränkten Händen, lief er neben mir her.
„Und wo willst du jetzt hin?“, fragte er und schielte zum mir hinüber.
„Sie zurückholen.“
„Von den Connars?“
„Von den Connars“, bestätigte ich.
„Du bist Lebensmüde, mein Prinz.“

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Text: Amina 1992
Publication Date: 12-08-2013

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