Vor vielen Jahren lebte in Serbien ein sehr wohlhabender Prinz. Doch dieser war geizig - so geizig, dass er nicht einmal bereit war seinem Volk ein klein wenig Geld zu geben, um ihnen durch die Hungersnot zu helfen. Und auch sonst war der Prinz von einem abscheulichen, grausamen Charakter. Als der König von Serbien nämlich eine Frau für seinen Sohn suchte, meldete sich nur eine reiche, aber hässliche Fürstentochter. Alle anderen schreckten zurück aus Angst vor dem Prinzen. Doch die Fürstentochter hoffte auf das Gute in ihm und machte sich auf in den Palast. Kaum hatte der Prinz die hässliche Fürstentochter erblickt rief er voller Zorn aus: " Was will dieses hässliche Weib von mir? Sie hat Warzen im Gesicht und ist behaart wie ein Bär! Schafft sie mir aus den Augen. Nicht, dass ich noch erblinde! ". Bevor die Soldaten dem Prinzen diesen Wunsch erfüllen konnten, zückte die hässliche Fürstentochter jedoch einen goldenen Stab. Stille breite sich im ganzen Hofsaal aus. Die Soldaten blieben mit gezogenen Schwertern stehen, die Hofnarren hörten auf zu jonglieren, der König saß reglos auf seinem Stuhl und selbst die Hunde blieben starr stehen.
Ein goldener Schimmer umhüllte die hässliche Fürstentochter und als sich dieser gelegt hatte, stand dort eine wunderschöne, junge Frau. Sie sprach: „ Sie hatten Recht. Sie hatten mit allem was sie über dich gesagt haben Recht. Du bist geizig, grausam und abscheulich. Du sollst bezahlen für dein Verhalten.“ Und mit diesen Worten verwandelte sie den Prinzen in einen Bären. „ Jede Nacht um Punkt 12 wirst du deine ursprüngliche Gestalt zurückerhalten. Doch du musst ein Mädchen finden, dass sich in dich verliebt – wenn du in Gestalt eines Bären bist. Sieht dich jemand, der dich nicht liebt, in deiner ursprünglichen Gestalt wirst du für immer verflucht sein. Also hüte dich gut. Ich gebe dir 50 Jahre Zeit, wenn du bis dahin niemanden gefunden hast, wirst du elendig sterben. Und jetzt verschwinde bevor die Soldaten dich entdecken und dich töten.“ Von da an war der Prinz mit einem Fluch belegt aus dem so schnell kein Entkommen in Sicht war.
50 Jahre später
An dem Morgen der mein Leben verändern sollte, wurde ich von einem Brüllen geweckt, welches mir durch Mark und Bein ging. Erschrocken aber neugierig schlug ich die Decke zurück und hastete vor unsere kleine, ärmliche Hütte am Rande der Stadt. Doch was ich dort sah, ließ mir das Blut in den Adern gefrieren. Dort standen meine Eltern mit einem Bären. Einem echten wilden Bären. Aber es war nicht die Angst vor dem sich sträubenden Tier und seinem lauten Gebrüll, welche mir das Blut gefrieren ließ. Nein. Es war das Entsetzen über die straff gespannten Seile und die offenen, blutigen Wunden. „Mama! Papa!“, rief ich, „ Was soll das? Ihr habt mir geschworen nie so zu werden wie alle. Ihr habt mir versprochen nie einen Tanzbären anzuschaffen. Ihr wisst wie sehr so ein Tier leidet!“ . Als ich dies sagte ruhten nicht nur die Blicke unser Nachbarn und meiner Eltern auf mir. Nein auch das sanfte, braune Augenpaar des Bären verfolgte mich. Der Bär war für einen Moment still und wehrte sich nicht gegen die Seile und die vergeblichen Versuche ihn in ein viel zu kleines Gehege zu drängen. Mum drückte das Seil, das sie festhielt, einem Nachbarn in die Hand und zog mich in unsere kleine Küche. „Das ist Bruno. Und ja Bruno ist ein Tanzbär. Aber er ist noch wild und nicht dressiert. Wir haben ihn billig auf dem Markt in der Stadt erstanden.“ „Aber..“ , wollte ich meine Mutter unterbrechen. Tränen stiegen mir in die Augen. „Warte doch erst einmal, Kindchen. Wir brauchen Bruno. Unser Geld… Es reicht nicht mehr für dich und deine Geschwister. Wir müssen das Haus und den Strom bezahlen und gleichzeitig euch ernähren und eine Schulausbildung ermöglichen. Willst du etwa, dass ich eins deiner Geschwister ins Heim bringe, weil unser Geld nicht mehr reicht?“ Natürlich wollte ich das nicht, aber trotzdem gefiel mir der Gedanke einen wilden Bären in Gefangenschaft zu halten ganz und gar nicht.
An den Tagen darauf musste ich jedes Mal mit ansehen wie Vater den Bären dressieren wollte. Er versuchte es mit vorsichtigen Streicheleinheiten, kleinen Süßigkeiten und, wie ich schließlich feststellen musste, mit roher Gewalt. Doch nichts half. Bruno blieb wild und störrisch. Auch wenn sein Gebrüll verstummt war. Denn meine Eltern hatten ihm das Maul mit Schnüren zugebunden. Gerade als Vater den Tanzbären wieder versuchte zu trainieren, schickte Mum mich zum Milch und Käse kaufen in die Stadt. Ich beeilte mich extra um noch etwas von Vaters vergeblichen Versuchen mitzubekommen. Es war lustig zu sehen wie Vater fast verzweifelte und Bruno trotzdem nur Späßchen trieb. Aber als ich nach Hause kam, wurde ich Zeuge einer unvorstellbaren Gewalttat. Bruno hatte mal wieder nicht gehorcht, da zückte Vater ein kleines Gerät und versetzte Bruno einen Stromschlag. Der ganze, massige Körper erzitterte und aus Brunos zugeschnürtem Maul drang ein leidendes Geräusch. Als Bruno am Boden lag begann Vater ihn zu treten. Voller Wut ließ ich Käse und Milch fallen und rannte auf ihn zu. „Hör sofort auf! Bist du noch ganz sauber?!“ Zornig schubste ich meinen Vater zur Seite und funkelte die Nachbarn, die darüber auch noch lachten, zornig an. Ich setze mich neben Bruno auf den Boden und streichelte den vor Schmerz zitternden Leib des Bären. Sein Fell war weich und kuschelig. Die Berührung war wie ein Stromschlag. War Bruno noch irgendwie elektrisch geladen oder warum hatte ich gerade dieses Gefühl gehabt? Zärtlich flüsterte ich Bruno zu, dass ich mich um ihn kümmern werde und versprach ihm, dass alles gut wird. Meine Schwester Ana brachte mir Tücher, Wasser mit Essig, eine Wundsalbe und einige Verbände aus der Hütte. Ich entfernte alle Seile von Brunos Gliedmaßen auch die von seinem Mund. Mein Vater wollte protestieren doch ich schaute ihn so voller Hass an, dass er schwieg und sich zurückzog. Bruno gab ein zärtliches Knurren von sich und ich begann seine Wunden vorsichtig zu reinigen und zu versorgen. Bruno blieb liegen ohne nur einmal die Anstalten zu machen mich zu töten. Nachdem ich all seine Wunden versorgte hatte, führte ich ihn mit Hilfe von einem lockeren Seil um seinen Hals in den Käfig hinter der Hütte und brachte ihm zu Essen und frisches Wasser. Bevor ich die Türen verschloss, streichelte ich Bruno nochmal zärtlich. Wieder durchzuckte mich dieser Stromstoß.
Als ich die Küche betrat, saßen meine Eltern am Tisch und schauten mich streng an. Meine Mutter wetterte los: „ Warum hast du den Käse fallen lassen? Er ist voller Schmutz. Und die Milch sie ist ausgelaufen. Ich musste Kalinka losschicken…“ „Warum tut ihr Bruno sowas an?“ , erwiderte ich völlig ruhig. „Ich weiß ihr braucht das Geld. Aber das gibt euch nicht das Recht diesen armen Bären so zu verletzen und so zu behandeln. Wie oft habt ihr das schon gemacht? Wie oft bekam er schon kein Fressen? Wie oft? Sagt es mir!“ , fuhr ich mit tränenerstickter Stimme fort. Beide schwiegen. „Ihr wollt es nicht sagen. Weil ihr die Wahrheit selbst grausam findet. Ihr findet euer Verhalten selber grausam. Und wisst ihr was? Zu Recht. Ihr seit grausam. Von nun an werde ich mich um Bruno kümmern und ihn dressieren!“ „Schätzchen, hör zu. Das ist viel zu gefährlich…“ „Nein Vater ich höre dir nicht zu. Diesmal nicht. Und nenn mich nicht Schätzchen! Bruno ist nicht gefährlich. Er ist nur wild. Aber ich bin alt genug. Ich bin 16 verdammt. Ich weiß auf was ich mich einlasse. Ich werde Bruno dressieren. Auch wenn ich dagegen bin. Aber ich bin auch dagegen, dass eines meiner Geschwister ins Heim gebracht wird, also bleibt mir keine Wahl.“ Daraufhin verschwand ich in meinem kleinen Zimmer von wo aus ich Sicht auf unseren Hinterhof und damit auf Brunos Käfig hatte. Bruno schien meinen Blick gespürt zu haben, jedenfalls blickte er mich mit sanften Augen an. Und ich weiß nicht ob ich mich verguckt hatte, aber seine Augen begannen zu funkeln.
An den darauffolgenden Tagen begann ich Bruno zu dressieren. Es war beinahe ein Wunder. Aber Bruno gehorchte mir egal was ich ihm befahl. Darüber konnten alle nur staunen. Auch ich. Jeden Tag freute ich mich mehr auf die Übungen mit Bruno. Jedes Mal fühlte ich mich so wohl und sicher bei Bruno. Und jeden Abend blickte ich ihm bis spät in die Nacht in seine wundervollen, braunen Augen.
Es war später Abend. Ich rannte durch einen dunklen, dichten Wald. Ich hatte Angst. Mein Oberteil war schweißnass und meine braunen Locken klebten mir im Nacken. Doch plötzlich sah ich ein wohliges, goldenes Licht. Ich rannte darauf zu. Ich war mir sicher, dass ich dort etwas finden würde, was mich beschützen würde. Als ich dort ankam wo das Licht herkam, sah ich Bruno. Bruno von einem goldenen Schimmer umhüllt. Doch urplötzlich verwandelte sich Bruno in einen jungen, wunderschönen Mann. Erschrocken wich ich zurück. Bruno oder der Mann der dort stand, rief mir etwas zu. Ich drehte mich um schaute direkt in die Röhre eines Gewehrlaufs. Ein Schuss krachte und ich fiel zu Boden.
Am nächsten Morgen erwachte ich auf dem kalten, nackten Dielenboden vor dem Fenster. Nachdem die Erinnerung an den Traum zurückkehrte, fuhr ich erschrocken hoch, um mich zu vergewissern, dass in dem Käfig kein Mann saß. Aber nein in dem Käfig war kein junger Mann, aber ein Bär. Bruno. Alles nur ein Traum, dachte ich. Doch das komische Gefühl verfolgte mich von dort an. Irgendetwas steckte hinter den braunen sanften Bärenaugen. Irgendein Geheimnis.
Tag für Tag dressierte ich Bruno. Und Bruno wurde immer besser. Bald würde er in der Stadt auf dem Markt wahre Kunsttücke vollführen können. Jedes Mal wenn ich Bruno nun sah, musste ich an meinen Traum und den Mann darin denken. Mein Herz spielte verrückt. Ich wusste nicht wie mir geschah. Man konnte sich doch unmöglich in einen Bären verlieben. Ich meine...ein Bär ist ein Tier. Das geht doch nicht, oder?
Einige Tage später schickte mich Mum abends noch in die Stadt damit ich vor Ladenschluss noch Stoff kaufen konnte. Mum wollte daraus ein total albernes Kleid für Bruno nähen. Ich wollte sie davon abbringen, doch sie blieb stur. „Alle machen das so. Und alle verdienen gerade damit ihr Geld.“ Also ging ich los um Stoff zu kaufen. Es dämmerte bereits. Auf dem Rückweg traf ich an der alten Brücke, ein Treffpunkt an dem ich auch oft war, bevor wir Bruno bekamen. Dort saß meine beste Freundin Lenka. Ich hatte sie schon lange nicht mehr gesehen. Freudig wollte ich auf sie zulaufen und in die Arme schließen. Doch da entdeckte ich die Jungen mit denen sie unterwegs war. Es waren die brutalen, grausamen Schlägertypen. Solche die Tiere quälten um sich besser zu fühlen, solche die Schlägereien aus Lust und Laune anfingen und solche, die meinem Vater das Stromgerät für Bruno empfohlen hatte. Einer von ihnen stand auf und kam auf mich zu. Ängstlich drückte ich den Stoffballen an mich. „Was willst du hier? Warum schaust du Lenka so an? Stehst du auf sie?“ , sagte er. Sein Atem stank nach Bier. Ein anderer Junge legte den Arm um Lenke und meinte: „ Dann verschwinde auf der Stelle!! Lenka gehört uns. Los Ralle schick sie weg.“ Der Junge vor mir, es war wohl Ralle, wollte mich wegdrücken. „Ich…ich möchte Lenka nur Hallo sagen. Sie ist meine beste Freundin. Ich stehe nicht auf sie.“ , stotterte ich eingeschüchtert. Da brachen die Jungs in schallendes Gelächter aus. Ein dicker, Glatzköpfiger rief lachend: „ Das ist die mit dem wilden Tanzbären? Die wo meint sie könnte ihren Tanzbären ohne Gewalt sondern nur mit lieben Worten dressieren? Das ich nicht lache.“ Ein anderer begann eine weibliche Stimme nachzuäffen: „Oh mein armer, kleiner Puschel. Tu doch bitte was ich sage. Ich brauche Geld. Ich will nicht dass meine Geschwister ins Heim kommen. Bitte, bitte töte mich nicht, Bärchen.“ Wieder lachten die Jungs grölend. Tränen stiegen mir in die Augen. „Ja heul nur. Du kleines, hässliches Narbengesicht. Du wirst nie einen Jungen bekommen so wie du aussiehst.“ Diesmal wartete ich nicht auf das Lachen der Jungs. Ich drehte mich um und rannte nach Hause.
Ralle hatte einen wunden Punkt getroffen. Seit ich 12 war, hatte ich eine schreckliche, blassrosa Narbe mich Gesicht. Sie zog sich von meinem rechten Mundwinkel, über mein rechtes Auge bis zur Stirn. Ich wurde damals von meinem eigenen Onkel angefallen und er schlitze mir mit einem Messer das Gesicht auf. Wegen zu viel Alkohol, wie mir meine Eltern immer versuchten zu erklären. Aber für mich war das unverständlich. Wird man nur wegen etwas Alkohol zum messerschlitzenden Biest und zerstört das Leben eines wehrlosen Kindes? Ich konnte meinem Onkel nie verzeihen. Nie. Er hatte mich für immer gezeichnet.
Zudem fühlte ich mich verraten. Meine beste Freundin, hatte sich lustig über mich und Bruno gemacht. Sie hatte mich zum Gespött der Leute gemacht. Noch nie in meinem Leben habe ich mich so elend und allein gefühlt wie gerade. Ich brauchte Trost. Ohne zu Zögern schloss ich die Türen von Brunos Käfig auf. Er empfing mich mit einem sanften Grummeln. Ich schlang die Arme um seinen massigen Hals und weinte in sein weiches Fell. Bis keine Träne mehr kam. Die Nähe von Bruno tat mir gut. Schluchzend erzählte ich ihm was vorgefallen war. Ich hätte in seinen Augen versinken können. Doch das Bild das sich darin spiegelte war mir zuwider. Hätte ich diese dämliche, hässliche Narbe nicht, wäre ich ein wunderschönes Mädchen. Das sagen alle. Ich habe die wunderbaren, kastanienbraunen Locken und die wollen Lippen von meiner Mutter und die grünschimmernden Augen mit den langen Wimpern von meinem Vater geerbt. Doch diese abscheuliche, rosa Narbe zerstörte das ganze Bild. Als ich die Narbe in meinem Gesicht verfluchte, kam Bruno mir ganz nahe. Mein Herz klopfte wie wild. Aber nicht aus Angst, sondern aus … Ja aus was eigentlich? Zärtlich leckte er mir über die Narbe. Es kitzelte und war feucht, deswegen musste ich lachen. Mit Tränen in den Augen flüsterte ich ihm ins Ohr: „Du bist wirklich der beste Freund, den es auf der Welt gibt, Bruno.“
Am nächsten Morgen fühlte ich mich immer noch gerädert von letzer Nacht. Aber heute war Brunos erster Auftritt. Aufgeregt stiegen Mama, Papa, Ich, Kalinka und meine zwei Brüder in unser altes Auto und luden Bruno auf die Ladefläche. Bruno trat ohne Seile auf. Und er machte seine Sache gut. Wir nahmen doppelt so viel Geld ein, wie wir jemals für Bruno ausgeben mussten. Zu Hause gaben meine Eltern zur Feier des Tages ein kleines Festmahl für unsere Nachbarn. Bruno musste jedoch in seinem Käfig bleiben. Gerade sollte ich aus der Küche neuen Wein holen, als ich ein Geräusch aus dem Hinterhof erhörte. Ich rannte ihn mein Zimmer und sah gerade noch ein goldenes Licht an Brunos Käfig. Mein Traum , schoss es mir durch den Kopf. Schnurstracks ging ich zu Brunos Käfig. Dieser lag zusammengekauert und traurig in einer Ecke. „Hey Bruno. Was ist los?“ . flüsterte ich und schlüpfte zu ihm in den Käfig. Täuschte ich mich oder hatte Bruno Tränen in seinen wundervollen, braunen Augen? Konnten Bären überhaupt weinen? Aber mir sollte es egal sein. Ich blieb bei Bruno, kraulte ihn und flüsterte ihm beruhigend zu. Er war für mich da als es mir schlecht ging. Also war ich jetzt für ihn da. Auch wenn ich nicht wusste was ihn so traurig gemacht hatte. Den goldenen Schimmer hatte ich längst vergessen. Die Kirchturmuhr riss mich aus meinen Gedanken. „Oh schon 5 vor Mitternacht?!“, sagte ich erstaunt. Plötzlich ging ein Ruck durch Bruno er stand auf und zog mich sanft am Ärmel meines Oberteiles auf die Beine. Mit der Schnauze schubste er mich zur Tür. Erst nur leicht, dann immer energischer. Lachend schrie ich: „Hey Bruno. Lass das. Ich will noch nicht gehen. Ich bleibe noch bei dir.“ Und urplötzlich baute Bruno sich vor mir auf. Er fletschte seine Zähne und brüllte. Zum ersten Mal in meinem Leben hatte ich Angst vor Bruno. Der Brüller ging mir durch Mark und Bein. Ich konnte mich nicht vom Fleck bewegen. Alles was danach passierte, geschah beinahe zeitgleich. Während Brunos Tatze auf mein Gesicht niederschoss, hörte ich meinen Vater brüllen und meine Mutter kreischen. Als Brunos Tatze meine rechte Gesichtshälfte erreichte, zerrte mein Vater mich noch im selben Moment aus Brunos Käfig. Und während das erste Blut über meine Wange rann, schlugen einige Nachbarn mit Knüppeln oder Stöcken auf Bruno ein. Doch ich war zu schwach um etwas zu sagen. Aber ich wollte auch nichts sagen. Bruno wollte mich töten.
Die Wunde in meinem Gesicht schmerzte höllisch. Aber der Schmerz in meinem Herzen war viel größer. Dieser Bär, der mir so wichtig geworden war, hatte mich verwundet. Ja, wollte mich sogar töten. Nachdem mein Vater mich in mein Zimmer getragen und meine Mutter meine Wunde versorgt hatte, war ein Tumult unter den Nachbarn ausgebrochen, wie meine Eltern mir erzählt hatten. Die Nachbarn hatten Angst um ihre Kinder, sie hielten Bruno für gemeingefährlich. Und das Problem an der Sache war, dass ich ihnen nicht mal widersprechen konnte. Nun sollte Bruno weg von hier. Meine Eltern wollten ihn in den nahegelegenen Wald fahren und ihn dort auswildern. Doch ein Nachbar hatte widersprochen und gemeint es wäre besser Bruno zu erschießen, damit er auch ja nicht mehr zurückkommt. Ich war traurig, aber wahrscheinlich war es besser so. Nachdem meine Eltern am späten Nachmittag Bruno verladen hatten, beschloss ich doch noch mitzukommen. Ich wollte Bruno noch einmal sehen, ihm noch einmal in seine braunen Augen sehen. Während der ganzen Fahrt, spürte ich Brunos Augen auf mir ruhen. Als ich mich zu im umdrehte, schaute er mir direkt in die Augen und ins Herz… Alles kam ins Wanken. Ich sah seinen ruhigen Blick und wusste dass er das nicht tun wollte. Er hatte einen Grund gehabt mich zu verletzten. Einen Grund den ich nun niemals erfahren würde. Mein Vater hielt an, sie zogen Bruno mit den Seilen in den Wald. Meine Gedanken drehten sich im Kreis. Immer wilder und wilder. Was sollte ich tun? Ich konnte doch nicht zulassen, dass sie Bruno töteten? Bruno war immer für mich da gewesen. Und ich wusste, dass hinter den braunen Augen ein Geheimnis steckte. Ich wusste es ganz sicher, dass da etwas war. Dass da zwischen mir und Bruno etwas gewesen war. Etwas Besonderes, Übersinnliches. Plötzlich zerriss ein Schuss gefolgt von einem leidenden Brüllen die Stille und meine Gedanken. Plötzlich war alles klar. Plötzlich wusste ich was ich zu tun hatte. Ich riss die Autotüren auf und rannte in den Wald. Auf die wütenden Schreie meines Vaters achtete ich nicht. Alles was jetzt zählte, war zu Bruno zu kommen. Ihm zu sagen, was ich empfand. Ich konnte nur hoffen, dass Bruno noch nicht tot war. Verzweifelt schlug ich mich durchs Dickicht. Die Angst um Bruno verfolgte mich und saß mir eiskalt im Nacken. Meine braunen Locken klebten mir im Gesicht, mein Oberteil klebte mir schweißnass am Körper, Tränen liefen mir über die Wange. „ Bruno. Halt durch. Bitte halt durch.“, rief ich verzweifelt in den Wald vor mir. Dann war ich auf einer kleinen Lichtung. Und dort lag Bruno, am Boden, blutend. „Nein!“, schrie ich weinend. Da drehte Bruno seinen Kopf und schaute mich mit seinen braunen Augen an. „Oh Gott. Du lebst.“ Meine Erleichterung war riesig. Erst in dem Moment nahm ich Ivankovic, unseren Nachbarn, wahr. Der Lauf seines Gewehrs war direkt auf Brunos Brust gerichtet. „ Sind wir jetzt fertig mit dem Gesülze?“, fragte er mich genervt und entsicherte seine Waffe. Er legte den Finger auf den Abzug, da stürzte ich direkt in den Gewehrlauf. „NEIN!! Nicht schießen, bitte.“ Tränen rannen mir übers Gesicht. „Bitte, ich liebe ihn doch. Ich liebe Bruno.“, flüsterte ich sanft. Ivankovic brach in schallendes Gelächter aus. Spucke rieselte über mich. „Du liebst ihn ?! Du liebst einen Bären bist du verrückt?“. Mit selbstsicherer, fester Stimme antwortete ich: „ Ja ich liebe ihn. Ich liebe Bruno. Nicht als einen besten Freund, sondern als einen Mann. Als einen Geliebten.“ Bei den letzen Sätzen schaute ich ihn Brunos braune Augen. Wieder brach Ivankovic in Lachen aus. Meine Eltern erreichten die Lichtung im selben Moment als Bruno plötzlich von einem goldenen, wohligen Schimmer umhüllt und in die Luft gehoben wurde. Magie lag in der Luft. Es herrschte absolute Stille, selbst Ivankovic´s Lachen war verstummt, da erfüllte eine herrliche, süßliche Melodie die Lichtung. Bruno verschwand mehr und mehr in dem Schimmer bis nichts mehr von ihm zu sehen war. Gleichzeitig spürte ich eine wohlige Wärme auf meiner rechten Gesichtshälfte, doch ich schenkte dem keine Beachtung mehr, denn da sank der Schimmer mit Bruno wieder zu Boden und erlosch. Doch dort war kein wilder, wunderschöner und mächtiger Bär mehr. Sondern ein wunderschöner, junger Mann. Seine braunen Augen glitzerten. Erst da entdeckte ich die wunderschöne Frau mit den Seidengewändern. Sie sprach mit einer ruhigen, aber mächtigen Stimme: „ Du bist erlöst von deinem Fluch. Ich weiß, dass du dich geändert hast und darüber bin ich mehr als froh. Du weißt, dass es knapp war. Genau heute sind deine 50 Jahre um. Aber du hast es geschafft. Du hast es geschafft, dass sich jemand in dich verliebt. In das, was hinter deinem Bärenkörper steckte. Du hast das Gefühl wahrer Liebe erkannt. Du hast erkannt das Liebe nicht auf das Gesicht eines Menschen beruht, sondern auf zwei Herzen, die im Gleichklang schlagen. Genieße deine Erlösung, dein Glück und das Gefühl der Liebe.“ Die Frau blickte zwinkernd auf meine rechte Gesichtshälfte. Ich strich mit den Fingern darüber. Glatte Haut. Keine blutige Wunde von Brunos Tatze mehr. Keine wulstige, rosa Narbe. Dankbar sah ich die Frau, es musste eine Fee sein, an. „ Du musst Bruno danken. Er wusste von seinen heilenden Fähigkeiten. Die Macht, die ich ihm gab. Es zeugt von größter Liebe, dass er sie bei dir eingesetzt hat, obwohl er wusste welche Folgen dies für ihn haben kann. Er verletzte dich, um dich zu heilen. Auch wenn er dafür beinahe gestorben wäre. Ihm gilt dein Dankeschön.“ Mit diesen Worten verschwand sie so schnell wie sie gekommen war. Mit einem Lächeln im Gesicht. Mein und Brunos Blick trafen sich. Und wie als könnte der wunderschöne Mann meine Gedanken lesen, flüsterte: „ Ja ich heiße wirklich Bruno. 50 Jahre war ich gefangen in einem Bärenkörper. Ein Bär ist ein wunderschönes, mächtiges Tier, das die Freiheit liebt. Aber er hat es schwer in der heutigen Zeit. Ich bin froh wieder ein Mensch zu sein.“ „Ich…Warum..Ich…Warum wolltest du, dass ich gehe an dem Tag wo du mich verwundet hast?“ „Du hast einige Tage davor zu mir gesagt, ich wäre dein bester Freund. Aber ich wollte mehr für dich sein. Dass ich das nicht war, verletzte mich. Durch den Fluch, durfte mich kein Mensch um Mitternacht sehen, wenn ich meine ursprüngliche Gestalt zurückerhalte. Kein Mensch, der mich nicht liebt.“ „Aber ich habe dich geliebt. Ich liebe dich immer noch.“, wisperte ich, von meinem Herz geleitet. Bruno trat auf mich zu und nahm meinen Kopf in seine Hände. Mein Herz schlug wie wild und meine Knie wurden weich. Er strick mir eine braune Locke aus dem Gesicht und flüsterte: „ Du bist das schönste Mädchen, das mir je begegnet ist. Auch mit deiner Narbe. Ich liebe dich, Georgina.“ Und dann küsste er mich. Zwei Herzen, die ihm Einklang schlagen.
Ab da an wurde alles anders. Ivankovic hatte auf geheimnisvolle Weise sein Gedächtnis verloren. Er erinnerte sich nur noch in den Wald gefahren zu sein, aber nicht was er dort wollte. Meine Eltern, Bruno und ich waren nach Hause gefahren. Wir hatten unsere Sachen an unsere Nachbarn verschenkt und waren noch am selben Tag in Stadt gefahren. In unser neues zu Hause. In den Palast, der Bruno´s Urgroßvater gehört hatte. Bruno verfügte immer noch über eine große Summe an Geld. Alles wurde perfekt. Wir lebten im Reichtum. Ich war bei Bruno. Es hätte nicht besser sein können? Oh doch! Das Allerbeste war, dass wir eine Organisation gegen Tanzbären ins Leben riefen. Wir befreiten Tanzbären aus ihren Familien und versuchten sie später wieder auszuwildern. Als Bruno und ich einige Zeit später in meinen alten Heimatort zurückkehrten, um einen Tanzbären abzuholen, trafen wir unterwegs Lenka, Ralle und seine Freunde. Die verwunderten und erstaunten Blicke als sie mich sahen, werde ich in meinem Leben nicht vergessen. Genauso wenig wie die Geschichte, die mein Leben veränderte. Die Geschichte einer Liebe zu einem Bären…
Publication Date: 03-03-2012
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