Anna Z. steigt aus
Es war ein kalter und grauer Novembertag. Anna Z. stand am Bahnsteig des ebenso grauen und zugigen Bahnhofs. Grau schien überhaupt die dominierende Farbe zu sein, die sie umgab. Die Gegend, die den Bahnhof umgab, war öde, trostlos und grau. Selbst die Menschen um sie herum schienen grau zu sein. Auf ihren Gesichtern lag kein freundliches Lächeln. Kein fröhliches Stimmengewirr durchschnitt die Stille des Bahnhofes. Stattdessen, hackten die meisten, verdrossen auf ihren Mobiltelefonen herum. Andere liefen nur grimmig hin und her, während sie auf die Ankunft des Zuges warteten. Anna Z. zog fröstelnd den Kragen ihres Mantels hoch. Sie fror und sie war müde. So müde. Sie konnte sich selbst nicht mehr daran erinnern, wann sie das letzte Mal ausgeschlafen hatte. Der Zug fuhr laut quietschend in den Bahnhof ein. Für einen Moment erwachten die Leute aus ihren stumpfsinnigen Tätigkeiten. Hektik erfasste die Menge. Jeder gierte nach dem besten Platz im Zug. Anna Z. folgte mechanisch dem Sog der Menschenmasse. Ließ sich treiben. Aus einem ihr völlig unerfindlichen Grund heraus, fand sie sogar einen Fensterplatz. Dort ließ sie sich erschöpft auf die Sitzbank fallen. Der Zug fuhr rüttelnd an. Anna Z. gab ihrer Müdigkeit nach und legte den Kopf an die kalte Fensterscheibe und schloss die Augen. Eine halbe Stunde Fahrzeit lag vor ihr. Eine halbe Stunde, in der sie sich etwas entspannen konnte. Bilder stiegen hinter ihren geschlossenen Lidern auf. Erinnerungen aus einer glücklichen Zeit. Als sie noch jung war, dynamisch, und voller Träume. Damals hatte sie eine Arbeit, die gut bezahlt wurde und nicht wie jetzt, wo sie sich mit drei Zusatzjobs über den Monat hangelte. Die Menschen waren fröhlicher. Das Leben machte mehr Freude. Sie konnte sich etwas leisten. Hatte Zeit für Unternehmungen. Heute war sie jeden Tag 14 Stunden auf den Beinen und fiel todmüde in ihr Bett. Damals schien die Sonne für sie. Sie war gesund und tatkräftig. Es gab keine Rückenschmerzen, die sie quälten. Keine Sorgen, die sie um ihre Nachtruhe brachten und trotz ihrer Erschöpfung nicht schlafen ließen. Dorthin wollte sie zurück. Wollte endlich nicht mehr müde sein. Ihr Entschluss stand fest. Sie würde etwas in ihren Leben ändern. Gleich heute. Sie sah seit langer Zeit wieder glücklich aus und ein Lächeln umspielte ihre Lippen, als ihre Hand in die Manteltasche fuhr und mit der Packung Schlaftabletten spielte.
Text: Text und Cover: Alle Rechte liegen bei der Autorin
Publication Date: 01-24-2012
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