Cover

Introduction und Inhalt

 

Carmen Sevilla

Madleine und mein Freund Manni

Neue Sonne in Rainers Leben

 

Erzählung

 

 

Wende dich immer der Sonne zu, dann

allen die Schatten hinter Dich.

China

Als wir eines Morgens mal wieder eine kleine Pause auf einer Parkbank eingelegt hatten, schaute sie mich tief an und sagte: „Nu küss mich doch mal endlich.“ Mich quälte es. Madleine war immer Mannis Frau gewesen. Grundsätzlich, bei aller Sympathie die ich für sie hatte. Obwohl ich Madleine als attrak­tive Frau wahrnahm, ihr Äußeres mir sehr gefiel, löste es nie irgendeine Art von erotischen oder sexuellen Assoziationen aus. Mein Unbewusstes hatte festgelegt, dass Madleine nicht als Frau, als geschlechtliches Wesen femininer Art in meinem Bewusstsein in Erscheinung treten sollte, sondern nur als die Frau meines Freundes, Manni. Was sollte ich ma­chen? Sie küssen weil sie es gern wollte. Nein das machte ich Madleine gegen­über nicht. „Ich kann das nicht, Madleine.“ sagte ich und wollte ihr wortreich erklären, warum nicht. Madleine stand auf. Sie wollte anscheinend nichts hö­ren. Nach einiger Zeit begann sie über etwas anderes zu sprechen. Am nächs­ten Morgen kam sie nicht zum Spazierengehen und rief auch nicht vorher an. Zum Frühstück erschien sie aber. Am darauffolgenden Morgen das Gleiche. „Madleine, wir haben offensichtlich Familienstreit, oder wie siehst du das?“ fragte ich sie bei Udo. Ich bekam mein liebstes Lächeln. Milde, verstehend und wunderschön mit den kleinen ge­schwungenen Fältchen neben ihren Augen. „Hieltest du es für völlig falsch, wenn wir versuchten, die Dissonanzen zu bereinigen?“ fragte ich nach. Wieder das Lächeln und ein langgezogenes „Nöh.“, als ob es sie nur marginal berühre. Ich sah es aber eher als Scherz und schlug vor, morgen früh an der Regatta­bahn darüber zu reden. Mit einem „Mm-Mm“ und Kopfschütteln wies sie mei­nen Vorschlag zurück. „Wo denn?“ wollte ich wissen. „Bei dir“ legte sie katego­risch fest. „Und wann?“ erkundigte ich mich nach ihren Vorstellungen. „Jetzt gleich, anschließend“ erfuhr ich.

 

Madleine und mein Freund Manni - Inhalt

 

Madleine und mein Freund Manni 4

Tote Hose 4

Erst mal raus hier 4

Lokale Prägung 5

Kein Eremitentyp 6

Ein bisschen Mühe geben 6

Lebe deinen Traum? 7

Le Bistro 8

Männerfreundschaften und Madleine 8

Späte Erkenntnis 9

Kleines Glück 10

La Madeleine 10

Madleines Problem 11

Mannis Andropause 13

Sommerferien 13

Beratung mit Lucia 14

Desperate 15

Schlussstrich 16

Vertrauensverhältnis 17

Nu küss mich doch 18

Familienstreit 19

Anschließend zum Küssen 19

Hell strahlender Stern 20

Residenz 21

Erwartungen 22

Weihnachtsplanungen 22

Seid ihr denn alle blind? 23

Neue Nomenklatur für Verwandte 24

Frohe Botschaft 24

Weihnachtsspaziergang 25

Garten mit Sonne 27

 

Madleine und mein Freund Manni

„Und liebst du mich fast fünfzig Jahre später immer noch?“ fragte ich scherzhaft. „Oh, Rainer, wir leben in einer völlig anderen Welt. Ich bin glücklich verheiratet, habe erwachsene Kinder. Auf der Schule bin ich nicht mehr.“ antwortete sie, aber ein direktes klares Nein hatte Madeleine nicht ausgesprochen, dass ich für sie mehr bedeutete, als irgendjemand sonst aus der alten Primanerclique, war mir auch schon vorher aufgefallen.

Tote Hose


Diese Stadt zählt doch zu den größten im Land, und trotzdem: „Hier ist nichts los.“ denkst du oft. Auch Städte, die noch mehr Einwohner haben, teilen dieses Schicksal. Tote Hose, trotz Hektik, großer Fabriken, breiter Straßen und Auto­bahnen. Wirtschaft, Industrie und Arbeit haben alles fest im Griff? Das kultu­relle Ambiente fehlt? Keineswegs, tolle Opernaufführungen, eine Philharmonie und exquisite Kunstausstellungen kann sich die Stadt leisten, nur ich habe oft keine Lust hinzugehen, weil sie mir wie Fremdkörper vorkommen, die nicht aus dieser Stadt gewachsen sind, nicht aus der Geschichte dieser Stadt. Diese Stadt hat keine spürbare Geschichte, und was Geschichte war im Stadtkern und all den Einzelorten aus denen sie zusammengesetzt wurde, zerstörten die Bomben des zweiten Weltkriegs wegen der industriellen Bedeutung. Wenn ich hier in die Kneipe gehe, stört mich nichts. Ich fahre in andere Städte ins Thea­ter, selbstverständlich. Hier frage ich mich jedes Mal, ob ich auch wirklich Lust auf die Oper habe. Natürlich gibt es alles, was es in einer Stadt dieser Größe zu geben hat, aber kann das ein Grund sein, sie zu lieben? Es gibt viele singu­läre Elemente, die bewundernswert sind, die mir gefallen und die ich mag, aber etwas fehlt. Vielleicht ein harmonischer Rahmen, in dem es sich zu einem Ge­samtbild fügt. Wünscht du dir dein Zuhause hierher? Trotzdem lebe ich, bis auf die Zeit des Studiums, immer in dieser Stadt. Warum? Früher habe ich mich das oft gefragt, gedacht „Du musst raus hier.“, geträumt vom Leben an ande­ren Orten, die mir gefielen. Nicht vom Land, ich mag Natur und Land sehr, aber absolut nicht als Lebensperspektive. Was hält mich hier fest, warum komme ich hier nicht weg? Warum darf ich meinen Traum in München oder Hamburg, in Freiburg oder Bremen nicht leben?


Erst mal raus hier


Udo weiß es auch nicht. Neununddreißig Jahre lang hat er es versucht in Paris und an mehreren Orten in der Provence. Seit fünf Jahren ist er wieder hier und versucht sich mit seinem kuriosen Bistro „Baguette“ über Wasser zu halten. Redest du mit ihm über Frankreich, erhältst du immer eine Vorlesung in Philo­sophie, Lebensphilosophie unter besonderer Berücksichtigung Frankreichs, die­ser Stadt und der Welt im Allgemeinen. Ich besuche Udo täglich gegen elf Uhr, außer an Wochenenden. Udo ist mit mir zur Schule gegangen, war mein Klas­senkamerad. Er hat direkt nach dem Abitur entschieden, das Wichtigste ist „Erst mal raus hier“ und das war Paris. Einfach beantworten kann er es nicht, warum er wieder zurückgekommen ist. Lange Vorträge löst eine Frage danach aus, aber warum genau seine art de vivre ihn wieder hierher zurückgeführt hat, weißt du am Ende doch nicht. Genauso blumig, beziehungsweise vorge­schoben sind die Begründungen der anderen sieben Jungs aus meiner Klasse, die entweder auch wie ich hier kleben geblieben sind oder wie Udo den Weg zurück gefunden haben. Der eine hat sich verliebt, der andere etwas geerbt, der nächste eine günstige Beschäftigung gefunden etc., alles ausgerechnet hier. Von den Mädchen lebt niemand hier, aber es waren ja auch nur drei bei uns in der Klasse, weil man als junge Dame gewöhnlich das Mädchengymnasium besuchte. Mannis Frau war auch bei uns auf der Schule, allerdings zwei Klassen tiefer.


Lokale Prägung


Gegenüber der Atmosphäre bei unserem regelmäßigen Stammtisch am Diens­tag, wirkte das Verhalten bei den meisten Familientreffen sicher distanziert. Was sich vor über fünfzig Jahren entwickelt und eingebrannt hatte, war sofort präsent, auch wenn man sich wie Udo über vierzig Jahre nicht gesehen hatte. Ein richtig ordentlicher Stammtisch mit viel Bier trinken, grobe Witze erzählen und kluge Phrasen dreschen waren unsere Treffen wohl nicht. Es war schlicht ein Zusammensein meistens mit Gattinnen oder Lebensgefährtinnen, bei dem die meisten auch etwas aßen und sich über irgendetwas unterhielten. Bis auf Rolf und Hartmut, die schon damals in der Schule ein wenig distanzierter wa­ren, nahmen alle fast regelmäßig an den Dienstagstreffen teil. Udo hatte auch schon mal Probleme, eine Bedienung für's 'Baguette' geregelt zu bekommen.


Manchmal mutete es mich gespenstisch an. Keiner pries die Stadt in lyrischen Hymnen, allenfalls in einem „Ach, leben kann man hier doch schon.“ gipfelte der Ausdruck ihrer höchsten Verbundenheit. Sollte Manni gar nicht mal völlig Unrecht haben mit seinem Joke, mit dem er Udos Rückkehr begründete? „On revient toujours à ses premières amours“ erklärte er es für ihn, der ja Reißaus genommen hatte vor seiner ersten Liebe, wenn es denn überhaupt jemals eine gewesen sein sollte. Bargen wir vielleicht alle im Unterbewusstsein eine gewis­se Art Zuneigung für diese Stadt, die wir aber nicht wahrhaben wollten und vor uns selbst nicht eingestehen durften? Hatten sich in unserer frühen Gehirnent­wicklung als Ort unserer Residenz diese Lokalitäten schon unauslöschlich ein­geprägt und waren während der Kindheit und frühen Jugend, als es noch keine Vorbehalte gegen diese Stadt gab, weiter verfestigt worden. Hatte sich dieser Ort wie eine Art Urvertrauen im Sozialen im Lokalen eingebrannt und blieb ra­tionalen Erwägungen gegenüber prinzipiell unzugänglich? Zog es uns hierher, selbst wenn wir es gar nicht wollten? Wer wollte das herausfinden? Der Psych­iater vielleicht, aber der wusste ja selbst auch nicht, was an dieser Stadt so schön sein sollte.


Man wollte doch erwachsen sein, sich von seiner alten schützenden Umgebung abgenabelt haben und ein eigenständiges Leben führen. Hatten wir ja auch al­les gemacht und jetzt mit über sechzig wäre es wohl ein wenig spät dafür ge­wesen, aber im Kreise der Primaner war's einfach vertrauter, angenehmer und gemütlicher. Und auch die Frauen schienen es zu goutieren. Ihre gute Laune und Freude gaben den Treffen erst ihr Gesicht. Hätten sich nur die Männer ge­troffen, ich bin mir nicht ganz sicher, ob das über zehn Jahre hätte bestehen können.


Kein Eremitentyp


Ich führte mein eigenständiges Leben allein, seit sieben Jahren schon. Da hat­ten meine Frau und ich uns getrennt. Einsam fühlte ich mich keineswegs, nur Gedanken machte ich mir immer noch darüber. Auch wenn's völlig müßig war, sinnierte ich öfter, ob und unter welchen Bedingungen ein weiteres Zusammen­leben doch hätte möglich und sinnvoll sein können. Margot, meine Frau, war eben mein Leben gewesen. Trotz aller Auseinandersetzungen und Missver­ständnisse, trotz unserer Leben, die sich, wie wir meinten, auseinanderentwi­ckelt hätten. Auch wenn zum Schluss alles sehr unangenehm gewesen war, fast dreißig Jahre hatten wir ein gemeinsames Leben geführt. Du magst es mit unterschiedlichen emotionalen Assoziationen erinnern, aber wie sollte es nicht mehr präsent, so gut wie vergessen sein? Das ist unmöglich.

„Du bist nicht der einzige. Millionen anderer ehemaliger Partner trifft das glei­che Schicksal, aber die meisten schauen in die Zukunft und grübeln nicht über Vergangenes, das sowieso nicht mehr zu ändern ist.“ lautete Silkes Vorwurf. Silke war meine Tochter und studierte jetzt in München Pharmazie. Warum Pharmazie und warum in München? Ich hörte ihre Argumente, aber mein Herz akzeptierte sie nicht. Silke war immer Daddys Daughter gewesen. Auf alle Mit­arbeiter im Betrieb gelang es mir, meinen Einfluss auszuüben, aber bei meiner Allerliebsten war ich chancenlos. Durch die weite Entfernung sahen wir uns viel zu selten. Was sie hier alles hätte studieren können und im Nachbarort auch Pharmazie, wir hätten uns immer treffen können, aber nein, ihr schien die er­forderliche frühkindliche lokale Prägung wohl zu fehlen. Bei Udo war die Wir­kung ja auch erst nach neununddreißig Jahren eingetreten. Silke vertrat die Ansicht, es sei ungesund für mich, allein zu leben. Ich sei kein Eremitentyp, ich brauche eine Freundin. Als ich ihr die Probleme aufzeigte, erklärte sie, dass für solche Fälle extra die Partnervermittlungsagenturen existierten. Obwohl das überhaupt nicht mein Fall ist, habe ich mich dreimal mit Frauen getroffen, bis auch Silke der Überzeugung war, so macht es keinen Sinn. Ich kann das nicht. Wenn ich eine Frau treffe und dabei denke, dass ich mit der eventuell zusam­menleben soll, möchte ich immer sofort flüchten. Ihr Reden, ihr Verhalten, ihr Aussehen sagen mir nichts mehr. Wie phobisch reagiert mein Kopf jedes Mal. Keine weiteren Kontakte. Bei mir hat es noch nie Peng gemacht, wenn ich eine Frau sehe. Liebe auf den ersten Blick oder Ähnliches, für mich unvorstellbar. Die Liebe wächst, je besser ich jemanden kenne. Von meiner Cousine, die ich immer in den Ferien traf, habe ich früher geträumt und meine Frau kannte ich aus langer Verbundenheit als Kommilitonin, bevor das Verlangen in mir er­wachte. Unser Haus würde schon eine Einsiedelei bleiben müssen.


Ein bisschen Mühe geben


Vielleicht hätte ja Bruno Lust, sich mit mir zusammen zu tun, aber der hatte selber auch ein Haus. Unabhängig davon befand sich Bruno krampfhaft auf permanenter Brautschau und hatte ständig etwas, wohl primär, weil der femini­ne Phänotyp nicht zu verkennen war. Nach ein paar Wochen oder Monaten war es dann auch wieder vorüber. Warum er das, was er als Begründung nannte, nicht schon sofort oder zumindest doch am zweiten Tag festgestellt hatte, blieb ein Rätsel. Wenn die Frauen sich in der Pflicht sahen, Bruno gute Ratschläge für's nächste und weitere Male zu erteilen, entwickelte sich der Dienstagabend meistens in Richtung bunter Abend. Mir auch mal ein paar gute Tips für meine Situation zu geben, löste nur ein „Ach, Rainer, musst dir mal ein bisschen Mühe geben.“ aus. So wurde es wohl gesehen. Wenn ich mich ein wenig kümmern würde, könne es für mich doch keine Probleme geben. Für unsympathisch wurde ich auch in der Regel wohl nicht gehalten. Häufig bekam ich ein freundliches Lächeln geschenkt, aber was sollte ich denn damit anfangen?


Wenn sich auch keine Liebe zeigte, aber einschätzen würde ich mein Gegen­über doch wie alle Menschen auch auf den ersten Blick. Üblicherweise wurde dabei zwischen Mann und Frau auch immer die Qualität als potenzieller Sexual­partner gecheckt. Das wurde den anderen in der Regel genauso gut nicht be­wusst, sie orientierten nur ihr Verhalten daran. Dass ich derartiges auch sah, will ich nicht bezweifeln, doch mein Bewusstsein erreichte es nie, und an mei­nem Verhalten fiel mir auch nichts auf.


Lebe deinen Traum?


Aber es existierte auch keine Art von Leidensdruck für mich, obwohl ich es schon als angenehmer empfunden hätte, mit einer geliebten Partnerin zusam­menzuleben. War es ein Traum, ein schöner Traum, den ich eigentlich hätte verwirklichen und leben sollen? Träume waren meine Freunde nur nachts im Bett und beim Einschlafen, eine feste Absicht, meine Träume zu leben, habe ich nie gehabt. Was du träumen kannst, kommt auch nur aus dir selber, sind Gebilde aus dem, was in dir ist, was du weißt, erfahren und kombiniert hast. Grundsätzlich Neues kommt darin nicht vor. Das kann dir nur dein Leben selber bieten, und da kann es vieles geben, was du gern geträumt, sofern du es denn gekannt hättest. Zum Beispiel das Glück, wie ich es im Zusammenleben mit den Kindern erfahren habe, hätte ich nicht im Voraus träumen können. Und auch manch freudige Überraschung und Erfahrung in der Firma hätte ich mir nicht vorher erträumen und dann realisieren können. Lebe deinen Traum? Das Leben hat manchmal traumhaftere Erfahrungen für dich bereit, als deine eige­nen Träume zustandebringen können. Sorge dafür, dass du glücklich sein kannst, dann hat das Leben mehr zu bieten als Träume.


Udo hatte fast vierzig Jahre danach gesucht, seinen Traum oder seine Träume leben zu können. Er hat bestimmt manch schöne Tage gehabt, doch sein Traum war eine Phantasmagorie. Mittellos ist er zurückgekommen, muss sich quälen, um seinen Unterhalt zu verdienen, lebt in einer kleinen Wohnung mit einer Studentin zusammen, die ihn liebt und ist glücklich. Fritz und Volker haben ja auch die längste Zeit ihres Lebens nicht hier verbracht, bis sich eine Gelegen­heit bot, zurückzukehren. Fritz hätte das geerbte Haus verkaufen können. Vol­ker und seine neue Lebensgefährtin wohnten beide nicht hier. Warum war nicht der eine nach Köln gezogen oder die andere nach Dortmund? Sie nannten Gründe, nur klangen die sehr sonderbar. Volkers Unterbewusstsein hatte sich durchgesetzt, dass sie beide hier ihr Glück finden würden.


Le Bistro


Ich ging morgens immer von zehn bis elf an der Regattabahn spazieren. Auch wenn das Wetter nicht zu einem schönen Tag passte, ich liebte es. Ich mochte den Wald, das Wasser und auch die Begegnungen mit den eifrig hechelnden und schwitzenden Joggern. Ich war gern draußen in der Natur, und völlig falsch sein konnte es ja auch nicht, sich ein wenig zu bewegen. Anschließend ging ich zu Udo frühstücken. Mir gefiel Udos etwas eigenwilliges Bistro sehr. Natürlich gab es unterschiedlich präparierte Baguettes, aber man konnte sich auch alles selbst zusammenstellen und sein Baguette mit den anderen Zutaten à la ma­nière française fleißig überall eintunken. Er kochte das Frühstücksei einzeln, mit Sicherheit war es zu billig. Auch Crêpe konnte mann bekommen, und es hätte nicht Udos Bistro sein können, wenn es nicht über eine reichhaltige Käse­platte verfügt hätte. Weine verkaufte er nur au goût du Udo. In den Bierlanden hat man in den Kneipen normalerweise ein oder zwei Rotweine zur Wahl, die die Beurteilung 'noch genießbar' meist kaum erreichen, Udo hatte immer sie­ben bis zehn, über deren Geschmack man diskutieren konnte, deren Qualität aber unstrittig war. Wie wollte er das alles finanzieren? Angemessene Preise konnte er nicht nehmen, er lebte ja von den Studenten als Kunden. Die wuss­ten zwar das Ambiente zu schätzen, liebten auch das Angebot, hatten aber meistens nur wenig Geld. Anderswo als in Uninähe hätte er überhaupt nicht existieren können. So lebte er hauptsächlich von fertigen Baguettes und Crê­pes und musste damit nicht nur sich selbst sondern auch noch einige Verlust­geschäfte finanzieren, aber ohne Käse, Wein und Libération hätte wahrschein­lich Udos Seele geweint. So hatte er morgens die Möglichkeit, sich bei mir be­freiend auszuweinen. Ich mochte Udo, hatte ihn schon früher in der Schule ge­mocht, obwohl er ein ganz anderer Typ war als ich. Vielleicht weil er vieles ein­schätzte und tat, was ich auch gern so gekonnt hätte, mich aber nicht traute. Das war heute sicher nicht mehr der Fall, aber ich bewunderte ihn schon im­mer noch ein wenig. Nicht nur die Einrichtung seines Bistros, auch dass er mit Nina, einer Studentin zusammenlebte, wäre für mich nicht denkbar gewesen. Vielleicht hoffte mein Unterbewusstsein ja, in Udos Bistro auch eine Studentin kennen zu lernen, die sich dann in mich verliebte. Mein Bewusstsein ließ mich allerdings wissen, das dies für mich eher mit Angst als mit Wunsch in Verbin­dung zu bringen sei.


Männerfreundschaften und Madleine


Madleine, Mannis Frau, hatte sich erkundigt, ob ich denn jeden Morgen um die gleiche Uhrzeit bei Udo sei. Sie säße morgens immer allein zu Hause. Manni musste noch drei Jahre zur Schule, er war Lehrer und wurde erst zum Ab­schluss des Schuljahres, in dem er fünfundsechzig geworden war, pensioniert. „Wenn's euch nicht stört, würde ich vielleicht ganz gern dazu kommen, aber ihr müsst offen sagen, wenn ihr lieber unter euch sein möchtet.“ erkundigte sich Madleine. Ihre Anwesenheit würden wir begrüßen, falls ihre Beiträge und Kom­mentare aber auf die Dauer störend wirken sollten, würden wir es sie wissen lassen, erklärte ich scherzend. „Ha, nu bleib mal auf dem Teppich, Junge. Ich will mir das erst mal anschauen. Weiß ich denn was ihr da treibt? Dass eure Gespräche nicht viel deprimierender wirken, als allein zu Haus am Tisch zu sitzen, steht ja noch gar nicht fest.“ reagierte Madleine. Dass Madleine kam war angenehm und belebend, aber die Gesprächsstruktur veränderte es schon. Im Grunde ist es ja sehr ungewöhnlich. In welcher Tierart gibt es das, wo können Männchen auch in Zeiten der Brunft gute Freunde sein. Männer zeigen sich zwar permanent in Kampfpose und Fighten auch ständig dort, wo es gar nicht um die Verbreitung ihres Samens geht, aber wenn sie einmal gute Freunde sind, wird das Kampfgen oder der verantwortliche Sozialisationsbereich abgeschaltet. Viele Worte sind da fehl am Platz. „Ich mag dich. Du bedeutest mir sehr viel. Unsere Freundschaft ist mir sehr wichtig.“ so etwas sagen Männer nicht. Da braucht man sich nur wie Jungs nach einer Spaßrauferei einmal zuzuzwinkern, das sagt alles. Das Wesentliche soll man nicht zerreden, ist eine Grundsatzregel für Männerfreundschaften. Die Mimik kann so vielsagend sein, da reichen kurze Zwei- bis Drei-Wort-Fragen und Antworten. Die Vielfalt der Sprache ist für das, was sonst auf der Welt geschieht, vorgesehen, aber nicht für die Beziehung untereinander. Die Anwesenheit einer Frau stört diesen kumpelhaften Konsens, für sie trifft er nicht zu. Keinesfalls muss sie die Männer zum Balzverhalten animieren, nur sie eröffnet die Möglichkeit, das auch über etwas anderes gesprochen werden kann. So geschah es mit Madleine auch. Wir sprachen nicht selten von früher, von der Schule oder Sonstigem aus unseren Lebenswegen. Dienstagsabends redete man nicht über Biographisches. Es erschien einem unausgesprochenen Tabu gleich, nur es lag schlicht daran, dass niemand Lust hatte, sich Geschichten aus dem Leben anzuhören. Sehr selten wurden mal Details erwähnt, wenn sie in anderem Zusammenhang von Interesse waren. Natürlich kannte jeder die Vita des anderen. Zu Beginn oder wenn er dazugekommen war, musste er sie natürlich erzählen, aber sonst generierten sich die Themen so gut wie ausschließlich aus dem gegenwärtigen Leben. Zwischen Udo und mir hatte sich das morgens zwischen elf und halb zwölf kaum anders abgespielt, aber Madeleine erzählte nicht nur viel, wie sie wann was erlebt hatte, sie war auch daran interessiert, es von uns zu hören. Unangenehm war es nicht. Wann hatte ich mal jemandem erzählen können, wie überrascht ich war, dass es mir gelang, einen Untergebenen dazu zu bringen, sich mit der Firma zu identifizieren und er gleiche Weg immer wieder funktionierte, meine Abteilung hohes Ansehen genoss und mir bis zuletzt Anerkennung verschaffte. Anerkennung für etwas, dessen ich mich vor mir selber schämte. Ich hatte andere Menschen dazu motiviert, sich für die Firma auszubeuten. Über Erlebnisse, die uns emotional bewegt hatten, sprachen wir. Langweilig und uninteressant wurde uns dabei nicht, und wir lernten eben vieles gegenseitig von uns kennen, dass uns sonst verborgen geblieben wäre.


Späte Erkenntnis


„Ich finde, du bist eine ganz tolle Frau, Madeleine.“ erklärte ich, weil ihre Selbsteinschätzungen nicht selten despektierliche Züge aufwiesen. „Ein biss­chen spät, dass dir das auffällt.“ reagierte sie darauf. Ich verstand nichts. „Ja, in der Schule damals gefielst du mir außergewöhnlich gut. Es war mein Traum, dass wir beide etwas miteinander zu tun hätten, aber du beachtetest mich gar nicht. Warst mit Lydia zusammen, die viel doofer und hässlicher war als ich. Ärgerlich und wütend war ich auf dich. Mit deinem Freund Manni habe ich geflirtet und dachte, dadurch deine Aufmerksamkeit zu erreichen. Hat aber nicht funktioniert, sondern sich anders entwickelt, wie du ja weißt.“ erklärte Madeleine. „Und liebst du mich fast fünfzig Jahre später immer noch?“ fragte ich scherzhaft. „Oh, Rainer, wir leben in einer völlig anderen Welt. Ich bin glücklich verheiratet, habe erwachsene Kinder. Auf der Schule bin ich nicht mehr.“ antwortete sie, aber ein direktes klares Nein hatte Madeleine nicht ausgesprochen, dass ich für sie mehr bedeutete, als irgendjemand aus der Primanerclique, war mir auch schon vorher aufgefallen.


Kleines Glück


Es war das kleine Glück, besonders jetzt im März, wenn die Luft dich spüren lässt, dass sie auch Wärme übertragen kann und die Sonne beginnt, die Tage nicht nur heller zu machen, sondern allem was du siehst auch neue leuchtend bunte Farben zu geben. Nicht nur deine Augen sehen es, auch dein Gemüt nimmt es wahr, wie die vielen kleinen gelben Blüten und zart grünen Blättchen, die ein anderes Gesamtbild der Natur prägen. Das zu erleben und sich an­schließend mit lieben Menschen bei Udo zum Frühstück zu treffen, kann ein Tag glücklicher beginnen? Sonst hatte ich immer eine halbe Stunde bei Udo verbracht, mit Madleine hatte es sich ausgedehnt und wir verließen Udo kaum jemals vor Zwölf. „Ich bin ja um jede Minute froh, die ich da raus bin.“ ließ Ma­deleine mal auf dem Weg zum Auto so nebenbei fallen. Ich wollte wissen, was sie meinte. „Ich bin ja nicht nur morgens allein, wenn Manni zur Schule ist. Aber nein, nein, nein, darüber spreche ich nicht.“ sprach's und schwang sich ins Auto. Es war Freitag und ich hatte das Wochenende Zeit, darüber zu sinnie­ren. Offensichtlich gab's Probleme zwischen den beiden. Das Manni mir noch nichts davon erzählt hatte, wunderte mich. Wir beide waren wie Brüder, in der Schule schon dicke Freunde gewesen und hatten ansonsten auch das ganze Leben hier verbracht. Mir hätte Manni es wahrscheinlich eher anvertraut als seinem Psychiater, aber er hatte nichts von Problemen verlauten lassen. Diens­tagsabends konnte man bei ihm auch nichts verspüren.


La Madeleine


Da musste Madleine doch etwas darüber erzählen. „Madeleine, du hast mich verwirrt, mit dem, was du am Freitag gesagt hast. Bei mir gibt es sicher auch etwas, dass ich dir nicht erzählen würde. Nur es scheint dich doch zu be­drücken. Willst du es dann einfach runterschlucken, als ob nichts gewesen wäre? Das wird nicht funktionieren. Es wird dich mehr und mehr quälen, bis du es allein nicht mehr ertragen kannst und Hilfe suchst. Ich denke, es wäre am besten, du würdest so früh wie möglich darüber reden. Mit wem denn wohl an­ders als Mannis bestem Freund und deinem guten Freund.“ erklärte ich ihr am Montagmorgen, als Udo gerade eine Kundin bediente. Madleine schien viel überlegen zu müssen. Ihre Mimik, die sonst stets einem Lächeln nahe war, si­gnalisierte Skepsis und Zweifel. Ihre Augen starrten ins Bistro, aber sie sah Fil­me, die sich in ihr selbst abspielten. „Ja, o. k., aber nicht hier. Du gehst doch vorher spazieren, kann ich da nicht mitkommen und mich mit dir unterhalten?“ fragte sie, als Udo kassierte. „Natürlich, schon, nur weiß du, da sind auch im­mer einige andere Leute, und da würde es schon attraktiver wirken, wenn die Absätze von deinen Stöckelschuhen ein wenig höher sein könnten.“ reagierte ich und veranlasste Madeleine zu smilen. Sie war wieder hier und nicht mehr bei dem, worüber wir morgen an der Regattabahn reden wollten. „Udo bleib sofort vorne. Ich brauche unbedingt noch einen Espresso und einen Digestif, die Brioche liegt mir viel zu schwer im Magen.“ rief ich ihm zu. Ich musste mich auch wieder zurückholen, und zu Madelein gewandt: „Isst du eigentlich gerne Kuchen? Die Brioches sind ja im Prinzip auch Kuchen. Marie Antoinette hat sie der Bevölkerung empfohlen, als ihr berichtet wurde, dass es dem Volk an Brot mangele. Da halte ich mich strikt dran. Völlig kurios, eigentlich mag ich am liebsten saures Roggenbrot und keinen Kuchen. Ich schau auch immer die Reklame von Aldi in der Zeitung an, ob es wieder Gâche gibt. Dafür müsstest du ja sonst nach Düsseldorf fahren. Hier braucht man so etwas in der Regel nicht.“ „Das ist eine sehr unhöfliche Frage, Monsieur.“ antwortete Madeleine darauf, „Erwecke ich den Anschein, als ob ich jeden Nachmittag meine fünf Stückchen Butterkremtorte vertilgen müsste?“ „Ich habe ja nicht gefragt, ob du's wirklich tust, ich wollte mich doch nur nach deinen Bedürfnissen erkundi­gen.“ war meine Replik. Madleine grinste schelmisch und meinte zu Udo ge­wandt: „Dein Freund ist der deutschen Sprache nicht ganz mächtig. Sag du ihm doch mal, wie er formulieren müsste, was er zu fragen beabsichtigt.“ Wir scherzten ein wenig weiter, und Madeleine musste noch erklären, wie sie schon damals in dieser Stadt zu ihrem französisch Namen gekommen sei. Ihre Groß­mutter sollte Taufpatin werden, und es sei nicht ungewöhnlich gewesen, deren Namen an die Enkelkinder weiter zu geben. „Nur die hieß Magda, richtig Mag­dalene. Das konnte man einem Kind auch damals nicht antun. Meine Mutter schwärmte immer von Paris, das sie nur aus Büchern und von Bildern kannte. Da fiel ihr 'La Madeleine' ein und sie war begeistert. Nur sie haben sich ver­schrieben und das E in der Mitte vergessen. So einfach ist das.“ erklärte Ma­dleine. Wenn jemand 'La Madeleine' erwähnte, wurde natürlich über Paris gere­det. Madleine selbst hatte die Kirche auch schon eingehend inspiziert und war mit ihrer Namenspatronin vollauf zufrieden.


Madleines Problem


Am nächsten Morgen an der Regattabahn umarmten wir uns zur Begrüßung. Das geschah sonst nicht, aber wenn du das Bedürfnis verspürst, ein vertrautes Empfinden zu erzeugen, drängt es dich dazu. Wir besangen das schöne Früh­lingswetter und Madleine übertrug es: „Ich könnte die wechselnden Jahreszei­ten ja auch ertragen, würde Herbst und Winter überstehen, wenn ich wüsste, es käme danach ein Frühling, der die Sonne wieder für mich scheinen ließ und mir die Welt wieder bunt machte, aber es ist wie ein permanenter Herbst ab in­finitum, immer nur grau.“ „Madleine, du bist traurig und unzufrieden. Was ist es, das dazu führt?“ fragte ich sie. „Rainer, manchmal zweifle ich an mir, über­lege ob ich mir nicht etwas zusammen spinne, aber ich weiß doch, wie es an­ders war, das sind doch keine Fantasiegebilde und mit euch erlebe ich es ja auch jeden Tag. Ob Manni zu Hause ist oder nicht, spielt für mich im Grunde gar keine Rolle. Er scheint mich nicht wahrzunehmen. Ich könnte der Kleiderschrank, die Küchenfrau oder eine Gardine sein. Als ob ich, Madleine persönlich, für ihn überhaupt nicht existierte. Kein Stückchen Aufmerksamkeit, kein Stückchen Beachtung von Zuneigung ganz zu schweigen. Es ist entwürdigend für mich, diesen Mann zu bitten, doch mal von mir Notiz zu nehmen, ihm in den Hintern kriechen zu müssen. In mir kommt Wut hoch, richtig aggressive Wut. Ich könnte ihm in die Fresse hauen. Er selbst scheint ein Idiot geworden zu sein. Versteht angeblich nicht, was ich meine. Hält alles für ganz normal. Wir würden uns doch verstehen, es gäbe doch keinen Streit, und die wilden Begehrlichkeiten des Liebesrausches würden sich im Alter nun mal legen. Das sei doch ganz natürlich. Manchmal frage ich mich tatsächlich, ob er nicht sogar Recht hat, ob nicht bei vielen Paaren, wenn sie älter werden alles abstumpft und stirbt und ich nicht überdreht bin, etwas will, das es für mich nicht mehr gibt. Aber wenn ich euch morgens treffe, merke ich immer, dass ich noch lebe und dass ich es darf und dass ich es will. Nur Manni wird es nie verstehen.“ stellte Madleine ihre Situation dar. Vielleicht verstand ich etwas von dem, was Madleine gesagt hatte. Ich versuchte mir Manni vorzustellen, von dem ich meinte, ihn so gut zu kennen. Er war doch Pädagoge. Sein Leben lang war er damit konfrontiert worden, dass seine Schülerinnen und Schüler vordringlich Aufmerksamkeit und Beachtung einforderten, er praktizierte es jeden Tag, musste es beachten, weil es konstitutiv für seinen pädagogischen Erfolg war. Und zu Hause sollte er sich davon erholen müssen. Waren seine Kapazitäten dafür erschöpft. So war es wohl nicht. Aber wie konnte er das, was für seine Schüler selbstverständlich war, im Zusammenhang mit Madleine für überflüssig halten. Vielleicht hatte sie für ihn gar nicht mehr den Status einer anderen Person, die der Aufmerksamkeit bedurfte. War sie nicht eventuell wie der Kleiderschrank zum selbstverständlichen Mobiliar seiner eigenen psychosozialen Wohnung mutiert. Sie gehörte einfach zu ihm, zu seiner Welt dazu. „Madleine, was du erzählst, verwirrt mich, ist mir unverständlich, ich kann es nicht nachvollziehen. Ich weiß auch nicht, wie ich euch helfen könnte, wie ihr da raus kommen wollt. Ich brauchte bei so etwas Hilfe von außen, von Leuten, die sich mit Derartigem auskennen. Mehr fällt mir dazu gar nicht ein, außer dass ich dich sehr bedauere.“ kommentierte ich es. Wir gingen schweigend neben einander her. Ob ich Manni mal darauf ansprechen sollte? Nein, nein, das wäre nicht günstig. „Ich würde euch ganz dringend raten, doch etwas in Richtung Paartherapie oder Ähnlichem zu unternehmen, denn für ziemlich verfahren halte ich euer System schon.“ wies ich Madleine hin. „Weiß du, Rainer, oft möchte ich da einfach nur raus. Weglaufen, wenn ich wüsste wohin. Von allem nichts mehr sehen und hören müssen, kann es einfach nicht ertragen. Es sind ja nicht unangenehme beklemmende fünf Minuten, es ist ja der ganze Tag, permanent, und du weißt, dass es morgen nicht anders sein wird. Deine Grundstimmung soll es sein, mit der du alle Tage zu verbringen hast. Wenn du eine Therapie machst, willst du etwas reparieren, du siehst eine Perspektive, auf die du dich freuen kannst. Wie soll das denn mit Manni aussehen? Dass alles wieder so wird wie früher?“ Madleine lachte, „Soll ich das glauben? Vorstellen kann ich es mir nicht.“ Bei Udo hielt sich die Stimmung heute bedeckter. Morgen wollten wir nochmal gemeinsam spazieren gehen.


Mannis Andropause


Zunächst unterhielten wir uns ausschließlich über Madleines und Mannis Bezie­hung, bis Madleine es auch so sah, dass es keinen anderen Weg aus ihrer jetzi­gen Situation gäbe, außer sich zu trennen oder eine Therapie zu beginnen. Ob­wohl wir über ihre Beziehung nicht mehr redeten, gingen wir weiter gemein­sam morgens spazieren. Wenn ihr das Wetter als zu schlecht erschien, wollte Madleine mich vorher anrufen. Es schien ihr Spaß zu machen, mich das häufig wissen zu lassen, um von mir zu hören, dass und wie es trotzdem möglich sei. Sie stelle alberne und dämliche Fragen und konnte sich schief dabei lachen. Beim Spazierengehen sprachen wir meist ernsthaft und seriös über Themen, die mit unserem Leben zusammenhingen. Wir erzählten uns keine Geschich­ten, sondern diskutierten zum Beispiel über unsere Vorstellungen zu feministi­schen Fragen oder wie ich meine revolutionären Erlebnisse aus dem Studium in meinem späteren Leben verarbeitet hätte und Dergleichen. Bei Udo tobten wir uns anschließend beim Frühstück aus.


Manni rief mich an. Ob wir uns mal treffen könnten. Er kam zu mir. Madleine wolle ihn zum Therapeuten schleppen. Er hatte absolut keine Lust darauf und auch keine Lust darauf, sich mit all dem zu beschäftigen. „Vielleicht hat mich die Andropause ja so verändert, aber mich reizt in der Richtung überhaupt nichts mehr. Wie ne lästige Pflicht kommt es mir vor. Ich beneide dich oft, und die arme Madleine kann doch nichts dazu. Ich dachte bei Frauen würde sich das mit dem Wechsel schon eher so entwickeln, aber Madleine scheint da nichts von mitbekommen zu haben.“ erläuterte er. „Manni, dein Beruf ist es doch, aus Kindern gebildete junge Menschen werden zu lassen. Warum nimmst du dich selber davon aus. Was du über's Klimakterium erzählst ist ein Konglo­merat von halbwahren On dits, zusammengenommen ist es absoluter Schwachsinn. Ich bin kein Experte in diesen Dingen, aber dass keine Bezie­hung wegen der hormonalen Umstellung der Partner zwangsläufig zerbrechen muss, das weiß ich sicher. Du kannst ja mal zum Arzt gehen und bei dir die physiologischen Bedingungen untersuchen lassen. Es gibt doch Andrologen, die können dir auch sicher ein paar gescheite Takte zur Andropause sagen. Nur ich denke, das da auch noch mehr ist. Wenn du was verändern willst, wird es kei­nen Weg am Therapeuten vorbei geben.“ machte ich ihm deutlich. Wir redeten noch länger. Ob es speziell Madleine oder die permanente Anwesenheit einer anderen Person überhaupt war, die ihm lästig schien, konnte ich nicht genau herausfinden.


Sommerferien


„Ja, ja, Manni geht mit zum Therapeuten.“ jubilierte Madleine freudig. Primär handelte es sich wohl um die Freude, ihn davon überzeugt zu haben. Realisti­sche Freude über die zu erwartende Perspektive hätte sehr viel gedämpfter ausfallen müssen. „Madleines Berichte über die Sitzungen klangen dann auch bei weitem nicht so hoffnungsvoll und schlossen immer mit dem Satz: „Na ja, aber das ist ja auch erst der Anfang.“ Im Sommer wollte sie nicht in Urlaub fahren. Über lange Jahre hatten sie regelmäßig die Ferien in einem Haus in der Nähe von Tavira an der Ostalgarve verbracht, jetzt wollte Madleine nicht. Sie habe keine Lust, erklärte sie stereotyp, das hieß, sie wollte über den wahren Hintergrund nicht reden. Seitdem die Kinder nicht mehr in der Schule waren, fuhr ich sowieso nicht in der Hauptsaison. Richtiggehenden Relaxurlaub machte ich nie. Den konnte ich bei mir täglich auf der Terrasse haben. Städtetouren, Urlaub mit Bildung tat so dringend Not. In den Ferien wollte ich auch gern zu Hause sein, weil ich da meine 'Süßen' auch schon mal länger bei mir verweilten. Silke sowieso aber auch Pascal konnte vierzehn Tage bleiben. In seine Freundin hätte ich mich bestimmt verlieben können, wenn sie mich bei Udo angesprochen hätte. Nach meinem Empfinden sah sie nicht nur wunderbar aus, sondern war vor allem eine intelligente, verständnisvolle und lustige junge Frau. Viel zu schade für Pascal. Wenn die Kinder da waren, Freundinnen und Freunde mitgebracht hatten, fand wieder ein buntes Leben statt, ein buntes Sommerleben. Sie sorgten dafür, dass es auch noch bunt blieb, wenn die Sonne schon lange untergegangen war. Ebenso wenn wir trotz Nieselregens morgens alle gemeinsam zur Regattabahn und anschließend zu Udo gingen. Silke kannte Madleine natürlich schon lange, während Pascal sich einen Scherz daraus machte, fest davon überzeugt zu sein, dass es sich um meine neue Freundin handle. Ich hatte es wohl zu engagiert bestritten. Diskussionen über die prinzipielle Monotonie des geraden Weges und ob das erkenntnisleitende Interesse beim Spazierengehen eher die geometrische Betrachtung der Verbindung von Start und Ziel sei oder eher die freudige Erwartung, mit der man auf akzidentelle Ereignisse abseits des Weges gespannt sei und ähnlich Absurdes bildeten morgens unsere Gesprächsthemen und nicht selten wurde Udo anschließend auch noch in den Unfug einbezogen.


Beratung mit Lucia


Als wir mittags von Udo nach Hause kamen, fragte Lucia, Pascals Freundin, ob sie mich mal allein sprechen könne. Wenn Silke etwas vertrat oder praktizierte, das meine Zustimmung nicht fand, war es ein berechtigtes Zeichen ihrer Indi­vidualität, bei Pascal war es Dummheit und Naivität. Schon früh war mir das bewusst geworden. Warum sah ich sie so unterschiedlich. Ich mochte und lieb­te Pascal, ohne jeden Zweifel, nur dass sein Verhalten oft nicht meinen Vorstel­lungen entsprach, störte mich sehr, während ich es bei Silke ohne Probleme akzeptieren konnte. Dass Silke Pharmazie studierte, hielt ich zwar trotz all ih­rer Begründungen auch weiterhin für absolut bescheuert, aber es störte mich nicht. Es war ihre berechtigte Entscheidung und somit o. k., aber dass Pascal seinen MBA machen wollte, tat mir immer weh. Das alles passte doch gar nicht zu ihm. Er war doch so ein feinfühlig musisch begabter Junge gewesen und dann wählte er diesen Weg, um seine Persönlichkeit zu foltern und voraussicht­lich ein vermurkstes Leben zu beginnen. Bei ihm ließ es mich nicht los, und ich hatte Angst um ihn. Warum fiel es mir leicht, bei Silke zu akzeptieren, dass sie nicht ich war, sondern eine andere Person, während ich bei Pascal unbeabsich­tigt stets ein Okkupationsbedürfnis entwickelte?

Was wollte Lucia von mir über ihn wissen? Gar nichts. Offensichtlich wollte sie von mir viel mehr über sich selbst erfahren. „Rainer, ich habe den Eindruck, dass man mit dir gut reden kann. Es gibt bei uns nämlich einige Probleme.“ be­gann sie. Nur die gab es gar nicht. Lucia war mit sich selbst in Zweifeln. „Ich wollte das alles nie. Dass ich ein selbstbestimmtes Leben führen könnte, ist mir immer äußerst wichtig gewesen, und dazu gehörte eben auch und vor allem mich nicht in einer festen Paarbeziehung vom Partner abhängig zu machen. Das stand für mich absolut fest und stellte auch kein Problem dar. Kannst du das verstehen?“ fragte sie mich, „Als ich Pascal kennen lernte und nach kurzer Zeit ungewöhnliche Verhaltensweisen bei mir feststellte, habe ich Schluss mit ihm gemacht. Nur bei ihm funktionierte das nicht. Nach einer Woche konnte ich's nicht mehr ertragen. Es gab keine andere Möglichkeit, als ihn wiederzuse­hen.“ berichtete Lucia und erzählte so erstaunt von ihrer Verliebtheit, als ob sie die einzige Frau auf der Welt sei, der jemals so etwas widerfahren wäre. Sie wollte es für sich nicht zulassen. Immer wieder hatten sie sich aufs Neue ge­trennt, bis Pascal erklärt hätte, dass er sich so etwas nicht als Dauerzustand wünsche und sie jetzt eine Entscheidung treffen müsse. Sie hatte zwar einge­sehen, dass sie gegen ihre Liebe zu Pascal ohnmächtig war, aber die Frage der Paarbindung war damit nicht geklärt. Lucia wollte von mir Rechtfertigungen hö­ren, die ihre Beziehung zu Pascal für sie sanktionierten. Direkt mit Pascal oder ihrer Beziehung hatte das nichts zu tun. Wir diskutierten allgemeine Fragen zu Beziehung, Liebe und dem gegenseitigen Verhalten untereinander. Wir spra­chen über menschliche Bedürfnisse, Identität und Genderfragen. Wir erörterten die Bedeutung von Anerkennung für den einzelnen, seine Psyche und seine Identität und wodurch und wie sie in Paarbeziehungen erfolge und was sie stö­re. Bis zum Abendbrot redeten wir miteinander. Lucia war eine außerordentlich kluge Frau und es war ein Vergnügen, sich mit ihr zu unterhalten. Bei Medizi­nerinnen hätte ich das gar nicht für möglich gehalten. „Ich werd' den Pascal in Zukunft öfter nach Hause schicken, damit wir mal wieder miteinander reden können.“ meinte Lucia lächelnd zum Schluss. „Ja, ja, der Pascal ist ein schwe­res Problem. Das weiß ich schon lange.“ scherzte Silke über unser ungewöhn­lich langes Gespräch. „Der ist doch uninteressant. Über Pascal haben wir kein Wort verloren.“ reagierte ich. Der betroffene Pascal lächelte gequält generös, als ob er demonstrieren wolle, dass ihn alles überhaupt nicht tangiere.


Desperate


Madleine meinte, als wir beide allein spazieren gingen über unsere gemeinsa­men Spaziergänge sinnierend: „So sieht mein Traum vom Leben aus. Das ist Sonne, die ganz tief in mein Herz scheint, warmes Empfinden erzeugt und alles erstrahlen lässt, erstrahlen in bunten und leuchtenden Farben. Das ist doch le­bensbejahend und fördert es. Warum hat die Evolution nicht Menschen hervor­gebracht, die selbstverständlich, genetisch bedingt so leben? Warum sind die Tristesse produzierenden in ihrer lebensfeindlichen Art nicht längst ausgestor­ben?“ und fügte dem unvermittelt hinzu, „Kannst Du mich nicht einmal umar­men?“ Ich stutzte kurz, schloss sie aber dann in meine Arme. Sie lächelte, als wir uns lösten und strich mir über die Wange. Wir schwiegen. Mir fiel nichts dazu ein. „Das tut gut, sehr gut.“ erklärte Madleine, „kannst du das verstehen?“ Als sie weiterreden wollte, begann sie zu weinen. Ich nahm sie wieder in den Arm. „Das hat doch alles keinen Sinn.“ begann sie und weinte erneut. Wir setzten uns auf eine Bank und Madleine erläuterte ihre Perspektivlosigkeit: „Die Situation ist pervers. Der (womit sie Manni meinte) sitzt da, weil er sich von dir hat überzeugen lassen, das tun zu müssen. Eigene Motivation hat der nicht die Bohne, sitzt da, als ob er gar nicht weiß, was er hier eigentlich soll, lässt im Grunde nur alles brav über sich ergehen. Ich weiß überhaupt nicht, was ich machen soll. Du spürst die Situation und sollst dir ehrlich Mühe geben? Lächerlich kommst du dir vor und weist selbst nicht mehr, was du hier willst. Eine Farce ist es und wird es bleiben. Ein Alibi für Manni, dass er ja alles versucht habe. Ich sehe keine Chance mehr.“ Warum es Madleine gut tut, sich umarmen zu lassen? Dumme Frage, jeder hat es gern, von einem Menschen, den man mag, sich in den Arm nehmen zu lassen. Altes Ritual, haben alle schon bei Mutti gelernt. Nur dass Madleine es sich von mir wünschte, war vorher noch nicht passiert. Wahrscheinlich sollte es als Trost für den Schmerz dienen, den ihr zerrissenes Leben ihr bereitete. Nach meiner Einschätzung hätte ich ihr raten müssen, dass es nur die eine sinnvolle Lösung gebe, nämlich sich zu trennen. Niemand konnte sagen, welche Wunder sich morgen ereignen würden, aber dass Manni, nachdem was ich gehört hatte, morgen wieder Lust auf Madleine entwickeln würde, lag außerhalb meiner Vorstellungskraft. Trotzdem war es eine Entscheidung, zu der Madleine schon selber finden musste, aber unabhängig davon hätte ich es auch voraussichtlich gar nicht über meine Lippen bringen können. Es hätte ja nicht nur das Ende ihrer Beziehung bedeutet, sondern auch mein Bild wäre zerstört worden. Manni und Madleine waren für mich immer das Musterbild einer glücklichen Beziehung gewesen. Ein Beispiel dafür, wie vernünftige Menschen es schafften, eine glückliche Paarbeziehung zu leben. In meiner Krisenzeit hatte ich mich oft mit Manni unterhalten. Wollte ihr System erkennen, wollte herausfinden, ob es nur für sie zutreffe oder Allgemeingültigkeitswert besitze. In völligem Widerspruch stand es zu dem, was ich von Madleine erfahren hatte, aber dieses Bild konnte ich nicht sofort vernichten. Es war einfach neben dem der Zerrüttung stehen geblieben. Wieso konnte Manni es verdrängt haben, wenn es für mich noch gegenwärtig war. Offensichtlich ist die Vergangenheit für die kommunikative Interaktion relativ irrelevant, das aktuelle Empfinden dominiert. Frühere Emotionen kannst du erinnern, aber nicht wiederbeleben. Ein Zurück zu alten Zeiten gibt es nie. Zwangsläufig sind es immer neue.


Schlussstrich


Madleine hatte ja öfter bekundet, dass sie aus der Situation raus wolle, keine Perspektive mehr sehe. Warum machte sie nicht Schluss, warum kam kein 'Fini, es hat keinen Zweck'? Rational war es unverständlich, aber emotional fiel es eben nicht leicht, einen Schlussstrich zu ziehen, einen Schlussstrich unter das gesamte bisherige Leben als erwachsener Mensch, unter all die Erfahrun­gen und das Erlebte, unter all das, was schließlich einen selbst ausmachte, die eigene Identität darstellte. Dass sich Madleine all ihre Qualen, die sie mit einer Trennung verband, aufdrängten, war nur zu verständlich. „Ich will ja mit Manni leben. Es war ja in Ordnung über all die Jahre, nur wie es sich jetzt entwickelt hat, ist es unerträglich. Ich kann gar nicht genau sagen, wann es begonnen hat. Als mir bewusst wurde, dass es mich nervte, lief es ja schon lange in diese Richtung. Dabei war er es, der mich vergötterte, der völlig verknallt war in mich. Ich mochte ihn auch, hatte ihn auch gern, nur so crazy verliebt, dass ich es keine Minute ohne ihn aushalten konnte, das gab es bei mir nicht. Für mich hatte es sich auch ziemlich soft entwickelt. Dass ich mich in ihn verlieben wollte, war ja zu Anfang gar nicht beabsichtigt.“ erläuterte Madleine. „Kannst du denn sonst noch mit jemandem darüber reden?“ erkundigte ich mich. „Mit wem denn?“ reagierte sie, „Dienstagsabends zerreißen sie sich zwar auch das Maul über die Männer, musst mal hören, was die Alexandra von Fritz erzählt, aber dann ist doch im Grunde alles in Ordnung. Dass ist nicht die Ebene für mich und meine Probleme. Ich bin überzeugt, dass von den anderen auch keine Dienstagsabends von ihren tatsächlichen Problemen erzählt oder erzählen würde. Sind zwar alles die besten Freundinnen, aber das gehört da nicht hin. Ich kenne zwar auch noch andere, aber niemanden, von dem ich meine, mit ihr darüber reden zu können. Andere könnten so etwas vielleicht. Sich laut und schimpfend bei allen darüber beklagen. Dem Partner sagen: 'Hör mal, Bürschen, stell das ab, sonst sind wir die längste Zeit Freunde gewesen.'. Aber so ein Typ bin ich nicht. Ich sehe mich nicht als besonders introvertiert, aber diese auffällige Extraversion ist meiner Ansicht nach auch immer mit Oberflächlichkeit verbunden.“ „Das ist nicht extravertiert, das ist einfach großmäulig, bescheuert und dumm. Ich halte dich für ausgesprochen extravertiert. Du suchst doch Gesellschaft, liebst es heiter und herzlich zu sein, quatscht gern und bist immer aktiv. Wo soll denn deine Introvertiertheit sein? Hartmut und auch Rolf, die haben eher etwas in der Richtung an sich, aber du doch nicht. Du musst doch nicht deine Situation wie eine Bagatelle behandeln und es allen auf dem Marktplatz verkünden. Ich denke nicht, dass wir dann Freunde sein könnten.“ kommentierte ich. „Ich stell mir immer vor, dass extravertierte Menschen viel aufgedrehter wären, ständig auf der Suche nach Hully Gully, immer Kirmes um sich brauchten.“ reagierte Madleine lächelnd. „Bei dir im Unterbewusstsein wird das auch so sein. Du traust dich nur nicht. Deine Libido will es, aber dein Ego verbietet es. Daraus entstehen deine Konflikte.“ erklärte ich scherzend. „Wenn du wüsstest was meine Libido will und was meine Konflikte sind …“ vollendete den Satz nicht, lachte und fiel mir um den Hals.


Vertrauensverhältnis


Ich hatte meine Tage immer unbedacht gelebt und mich wohl dabei gefühlt, hatte mir gar keine Gedanken darüber gemacht, was es bedeutete jeden Mor­gen zwei Stunden mit Madleine zusammen zu sein. Hatte es nur als angenehm empfunden. Was es für Madleine bedeuten konnte, daran hatte ich erstrecht nicht gedacht. Wer war Madleine eigentlich für mich, was bedeutete sie mir und wie sah sie mich, nahm sie mich wahr? Es wurde mir deutlich, dass sich zwischen uns ein Vertrauensverhältnis entwickelt hatte, wie ich es wohl noch nie zu einer anderen erwachsenen Person gehabt hatte, auch zu Margot, mei­ner Frau, nicht. Selbst in den Zeiten größter Verliebtheit, war sie doch immer die Frau und ich der Mann. Das ist vielleicht normal und die Regel, nur zwi­schen Madleine und mir existierte diese aus der Rollendifferenz resultierende Distanziertheit nicht. Sie hatte eine Position, wie ich sie mir für eine imaginierte geliebte Schwester vorstellen könnte. War es nicht ein unvergleichliches Geschenk, so eine gute Freundin zu haben? Müsste ich es sie nicht mal wissen lassen, was sie mir bedeutete? Meine Psyche wusste es ja bestimmt schon länger und hatte es ihr in unseren kommunikativen Begegnungen vermittelt. Dass sie mir sehr viel bedeutete, würde sie sicher schon gespürt haben, aber es direkt zu formulieren und auszusprechen, verstärkte und bestätigte dies sicher noch. Ich freute mich aber nicht darauf, es ihr sagen zu können, hatte ein unsicheres Empfinden, ein leichtes Unbehagen. Meiner Ansicht nach passte es nicht zu unserer Kommunikation. Es käme mir vor wie eine förmliche Laudatio, wie das Lob des Lehrers für eine fleißige Schülerin. Ich musste andere Wege finden, es sie wissen zu lassen.


Nu küss mich doch


Manni und die Trennungsprobleme spielten eine immer geringere Rolle. Die Therapie hatten sie abgebrochen, das heißt Madleine hatte Manni unter hefti­gen Vorwürfen und Beschimpfungen klar gemacht, dass sie für einen derarti­gen Zirkus nicht länger zur Verfügung stehe. Entschieden hatte Madleine noch nichts und an Mannis Verhalten hatte sich auch nichts geändert. Nur sie hatten jetzt öfter Streit. Vor allem aber erweckte es den Eindruck, dass Madleine nicht nur unter Mannis fehlender Anerkennung weniger litt, sondern überhaupt kei­nen Wert mehr darauf legte. Sie hatte ihn anscheinend auch zum Mobiliar er­klärt, von dem sie nichts mehr erwartete. Unsere Unterhaltungen beflügelte das sehr. Verklemmt oder bedrückt war mir Madleine außer, wenn wir ihre Pro­bleme besprachen, zwar nie vorgekommen, jetzt erweckt sie aber den Ein­druck, aufgeblüht zu sein. Sie entwickelte Freude und Lust auf neue Ideen. Wollte sich hippe Klamotten zulegen und mich zum Einkaufen mitnehmen. Als wir eines Morgens mal wieder eine kleine Pause auf einer Parkbank eingelegt hatten, schaute sie mich tief an und sagte: „Nu küss mich doch mal endlich.“ Mich quälte es. Madleine war immer Mannis Frau gewesen. Grundsätzlich, bei aller Sympathie die ich für sie hatte. Das bedeutete nicht nur rational ein Ver­bot, irgendwelche Begehrlichkeiten zu entwickeln, ich hatte es so internalisiert, dass nichts von dem was meine Wahrnehmung über Madleine erkannte, jemals an meine Libido weitergeleitet werden konnte. Obwohl ich Madleine als attrak­tive Frau wahrnahm, ihr Äußeres mir sehr gefiel, löste es nie irgendeine Art von erotischen oder sexuellen Assoziationen aus. Mein Unterbewusstsein hatte festgelegt, dass Madleine nicht als Frau, als geschlechtliches Wesen femininer Art in meinem Bewusstsein in Erscheinung treten sollte. Was sollte ich ma­chen? Sie küssen weil sie es gern wollte. Nein das machte ich Madleine gegen­über nicht. „Ich kann das nicht, Madleine.“ sagte ich und wollte ihr wortreich erklären, warum nicht. Madleine stand auf. Sie wollte anscheinend nichts hö­ren. Nach einiger Zeit begann sie über etwas anderes zu sprechen. Am nächs­ten Morgen kam sie nicht zum Spazierengehen und rief auch nicht vorher an. Zum Frühstück erschien sie aber.


Familienstreit


Am darauffolgenden Morgen das Gleiche. „Madleine, wir haben offensichtlich Familienstreit, oder wie siehst du das? fragte ich sie bei Udo. Ich bekam mein liebstes Lächeln. Milde, verstehend und wunderschön mit den kleinen ge­schwungenen Fältchen neben ihren Augen. „Hieltest du es für völlig falsch, wenn wir versuchten, die Dissonanzen zu bereinigen?“ fragte ich nach. Wieder das Lächeln und ein langgezogenes „Nöh.“, als ob es sie nur marginal berühre. Ich sah es aber eher als Scherz und schlug vor, morgen früh an der Regatta­bahn darüber zu reden. Mit einem „Mm-Mm“ und Kopfschütteln wies sie mei­nen Vorschlag zurück. „Wo denn?“ wollte ich wissen. „Bei dir“ legte sie katego­risch fest. „Und wann?“ erkundigte ich mich nach ihren Vorstellungen. „Jetzt gleich, anschließend“ erfuhr ich. Dass es Madleine generell daran mangelte, zügig Entscheidungen zu treffen und dass sie nicht klare Vorstellungen davon hatte, was sie wollte, konnte man ihr nicht nachsagen. Ich war gespannt.


„Ich war sauer, enttäuscht und beleidigt, aber jetzt will ich es hören.“ begann Madleine. Ich erläuterte es ihr und sagte ihr jetzt auch, was sie für mich be­deute. Sie streichelte mir die Wange. „Ich bin aber nicht mehr Udos Frau oder Gardine oder was weiß ich. Ich bin jetzt nur noch ich selber. Du wirst bei dir ei­niges umstellen müssen, mein Lieber, sonst wirst du mich immer völlig falsch sehen.“ reagierte Madleine, „Ich glaube schon, dich verstanden zu haben, aber denkst du denn gar nicht daran, was es für mich bedeutet. Für mich als Frau ist es schon sehr ungewöhnlich, dich als Mann zu bitten, mich zu küssen. Für mich stand fest, wir sind so gute Freunde und du traust dich nur nicht. Und dann lässt du mich sitzen und sagst, du kannst nicht. Ich schäme mich. Das ist entwürdigend für mich. Außerdem hast du meine festen Glückserwartungen einfach mit einem Satz zerstört. „Komm runter. Klär das zu Hause.“ hab ich mir gesagt. Ich wollte dich nicht mehr sehen, konnte es nicht ertragen, mich in dir so getäuscht zu haben. Aber so ganz ohne, wäre ein noch viel verdorbenerer Tag gewesen.“ Den ganzen Nachmittag haben wir uns erklärt, wie viel wir uns gegenseitig bedeuteten. Der Glanz der Sonne verblasste gegenüber dem Glori­enschein mit dem wir den Anderen beziehungsweise die Andere umgaben. Mein Lustzentrum schien jedoch eher einer trägen Masse zu entsprechen und ließ sich einstweilen davon noch nicht bewegen. Trotzdem haben wir uns ge­küsst, richtig, und ich fand es auch toll und vor allem aufregend. Das sollten wir öfter machen. Das würde meine Libido doch nicht permanent ignorieren können.


Anschließend zum Küssen


So hielten wir's dann auch. Jetzt gingen wir nicht nur gemeinsam wandern und frühstücken, sondern auch anschließend zu mir zum Küssen. Dass wir uns nicht nur umarmten, einige Male küssten und Madleine dann nach Hause fuhr, war nicht nur zufällig so, sondern auch beabsichtigt. Es gefiel uns, machte Freude, war schon mal sehr komisch lustig. Trotzdem tat sich die Erotik schwer mit mir, und konnte erst in einem mühsamen, langwierigen Prozess nach zwei Monaten erreichen, dass wir beiden vor Erregung unbedingt miteinander schla­fen wollten. Dann allerdings wollte sie diesen Platz auch nicht mehr räumen, und Madleine war der Ansicht, ihren Traum vom Leben korrigieren zu müssen. Sie habe ihn nur auf Regattabahnen bezogen und dabei die Schlafzimmer ganz vergessen. Sie blieb immer länger bei mir und legte Manni nur einen Zettel hin, dass es voraussichtlich später würde. Madleine erklärte ihm nichts und er trau­te sich nicht zu fragen. Er konnte es sich natürlich denken, wenn er sie gefragt hätte, was würde Madleine ihm gesagt haben? „Das geht dich nichts an.“ oder etwas Ähnliches von gleicher Bedeutung. Als der Sommer zu Ende ging, blieb Madleine auch über Nacht bei mir.


Ich befürchtete, Manni nicht mehr vor die Augen treten zu können, als Madlei­ne sich zum ersten Mal mit mir küssen wollte. Jetzt war es fast so, als ob nie et­was geschehen wäre. Alle gingen weiterhin davon aus, das Madleine Mannis Frau wäre, und sich alles wie eh und je verhalte. Nur Udo, der wusste natürlich Bescheid, aber was sollte ihn dazu motivieren, es verbreiten zu wollen. Manni merkte man auch nichts an, nur ich bekam schon manchmal einen vielsagen­den Blick. Einen Anlass, mit seinem besten Freund über seine Frau zu reden, gab es offensichtlich nicht.


Hell strahlender Stern


Man sagt, dass ältere Männer gern mit jungen Frauen zusammen sind, um das Gefühl zu bekommen, ein Stück ihrer Jugend zurück zu erhalten. Ich war mir nicht sicher, ob man dazu eine junge Frau benötigte. Ein Stück meiner Jugend erhielt ich wohl auch nicht zurück, mir fiel nur auf, wie häufig es mir Spaß machte, kindisch doof zu sein. Madleine amüsierte sich köstlich. „Weißt du, Rai­ner“ wenn Aschenputtel den jungen Königssohn zum Mann bekommt, dann weiß man, er ist etwas Besseres, ist reich und auch vielleicht noch ein kleiner Held obendrein. Eigentlich langweilig. Wenn man sich aber gern hat und liebt und sich hinterher herausstellt, das der Liebste auch noch außergewöhnlich lustig sein kann, dann ist das schon eine tolle Überraschung. Wirst du mich morgen mit weiteren Überraschungen verwöhnen?“ „Würde ich schon gern, aber es ist das Zusammensein mit dir, das mich dazu befähigt und beflügelt. Wenn du möchtest, dass ich dir etwas vor singen kann, gib dir Mühe. Bis jetzt fällt mir nur manchmal ein: „O selig, o selig, ein Kind noch zu sein.“


Nach den Mühen der Liebe saßen wir meistens am Kopfende des Bettes und er­zählten uns was. Madleine smilte, es war ein Lächeln der kleinen Lust und des Wohlgefühls. Ich hatte meinen Kopf an Madleines Schulter gelehnt, erzählte ihr eine Nonsensgeschichte von den weisen alten Männern aus dem Lande, das man das Sauere nannte und spielte mit meiner Hand an ihren Brüsten. Es war mehr als die Sonne, die alles bunt macht und zum Leuchten bringt, es war eine Harmonie, sie ließ eine Melodie erklingen, die mehr als nur unsere Augen ver­wöhnte. Sie war es letztlich, die das Empfinden von Glück aufkommen ließ.


Wir redeten oft über Glück, mal ernsthaft, aber auch unsinnig. Das Glück und Unsinn zusammengehören mussten, war ja Nietzsche schon aufgefallen. Wor­über konnte man vielfältiger, unsinniger und glücklicher reden als über das Glück. Es kam uns vor wie ein heller strahlender Stern, den alle kannten, den aber niemand genau beschreiben konnte. Er musste viele Planeten haben. Freude und Lust waren zwei von ihnen, die ihn ganz nah umkreisten. Sicher war für uns nur, dass wir unser Eudaimonion hier finden wollten und keinen gesteigerten Wert auf irdische Qualen legten, um eschatologisch auf das große Glück im Jenseits zu hoffen. Ich erinnerte ein altes Gemälde, bei dem einem zunächst die vielen nackten und spärlich bekleideten Frauen mit einem gierig im Vordergrund knienden nackten alten Mann ins Auge vielen. Madleine beruhigte mich. Meine Allegorie des Glücks könne das nicht sein, da wäre sie sich absolut sicher. Natürlich stören dich die Verluste des Alterns, aber ich denke nicht, dass du dir tatsächlich deine Jugend oder Kindheit zurück wünscht, es gibt nur vieles, was du für dein Leben gelernt hast und dir immer wünschen wirst, manches davon passt aber nicht zu dem Bild, das du als seriöser Erwachsener von dir haben willst. Mit dem Empfinden von Glück wächst auch das Gefühl der Freiheit, und du kannst vieles zulassen, was du dir sonst versagt hättest.


Residenz


Silke kam. Madleine wollte zu Hause bleiben. „Du wirst mich nie verstehen.“ war eine Floskel, mit der wir häufig Erklärungen begannen oder abschlossen, „Kannst du dir vorstellen, dass es mich freut, dich meiner Tochter vorstellen zu können?“ Silke hatte alles schnell gecheckt, beschwerte sich, nicht telefonisch schon früher informiert worden zu sein, dass wir die Eremitage in Little Paradi­se verwandelt hätten und wollte wissen, warum Madleine denn nicht komplett hier wohne. Das konnten wir so genau auch nicht sagen. Das war eben so und störte nicht. Nachmittags fuhr Madleine öfter zu sich, aber abends, nachts und morgens war sie sowieso immer hier. „Und wie macht ihr das Weihnachten? Ist Madleine dann auch hier und fährt Manni am zweiten Weihnachtstag mit einem kleinen Geschenk besuchen?“ fragte Silke, „Ich kenne ja eure weisen Ratschlüsse nicht, aber was dich daran hindert, dich für einen Wohnort zu ent­scheiden, kann ich nicht nachvollziehen, Madleine.“ Ich glaubte das schon eher zu können. Rationale Argumente gab es sicher nicht. Es war ja nicht nur Man­ni, mit dem sie ihr Leben verbracht hatte, es war ja auch, dieser Ort, an dem es stattgefunden hatte, ihr Ort, der Platz ihres Lebens, der gewiss auch in ihrer Identität einen Platz hatte. Hier war sie Madleine gewesen, den weitaus über­wiegenden Teil ihres Lebens. Dass es für sie schwer sein würde, diesen Ort aufzugeben, meinte ich nachvollziehen zu können. Wenn sie nicht grundsätzlich geklärt hätte, dass sie mit mir zusammen lebe und bei mir wohne, würde sie Weihnachten bei sich verbringen. Für die Kinder insenzierten sie ja jetzt auch immer schon Fakes, wenn jemand zu Besuch kam, wurde happy family ge­spielt. Sehr pervers, die eigenen Kinder zu verarschen. Wenn es Madleine dar­um gehen sollte, für sich selbst ein eigenes Domizil zu haben, dann sollte sie sich eine eigene Wohnung nehmen, oder Manni rausschmeißen. Ich wollte es mal mit Madleine überdenken, aber Manni sprach mich am folgenden Dienstag an. Er wolle nicht über Madleine reden. Gegen die Liebe sei man ja sowieso machtlos. Das sei schon alles o. k., ließ er mich generös wissen. Nur der Zu­stand so sei doch verrückt. Er wolle sie keinesfalls loswerden. Selbstverständ­lich könne sie wohnen bleiben solange sie wolle, er könne es nur nicht verste­hen. Ich hätte doch ein großes Haus mit viel mehr Platz für sie als in ihrer Wohnung. Diese ewige Hin- und Her-Fahrerei, warum sie sich das denn antäte. Ob ich denn schon mal mit ihr darüber gesprochen hätte. „Weißt du, Rainer, es ist ja so widersinnig. Sie kann tun und lassen was sie will und trotzdem bin ich das größte Arschloch für sie. Was ich auch immer sage, ist falsch oder absolu­ter Unsinn. Ich müsste ihr sagen: „Du bleibst hier wohnen und ziehst nicht aus.“ dann wäre sie morgen verschwunden. Vernünftig reden kann ich kein Wort mehr mit ihr.“ jammerte Manni. Ich hätte ihm schon etwas dazu sagen können, hielt es aber in Anbetracht unserer Freundschaft für geboten, zu schweigen.


Erwartungen


Madleine erklärte es so ähnlich, wie ich es vermutet hatte. Das sei der Ort ih­res gemeinsamen Lebens gewesen, das Manni zerstört habe. Er gehöre da nicht mehr hin. Es bedurfte eines langen Gesprächs, aber letztendlich waren die Bedingungen für die Kinder ausschlaggebend. Sie rief beide auch sofort nach unserem Gespräch an. „Der arme Manni wird Weihnachten ganz allein sein, Judith und Marielle (Madleines Töchter) werden ihn doch höchstens mal für ein paar Stunden besuchen. Sie hatten ein absolut gutes Verhältnis zu Man­ni, aber ihr Bezugspunkt war immer ich. Können sie denn um Weihnachten auch mal einen Tag länger hier bleiben?“ erkundigte sich Madleine. „Ich werde dich nie verstehen Madleine. Wenn du hier wohnst, ist es doch dein Haus. Wie kannst du mich so etwas fragen?“ reagierte ich. „Ich werde es lernen müssen. Wie du mich lieben gelernt hast, werde ich mein neues Zuhause lieben lernen. Vielleicht geht es ja sogar ein wenig schneller als bei dir.“ frotzelte sie. In der zweiten Adventswoche zog Madleine um. Jetzt wohnte und lebte sie richtig und ganz mit mir zusammen. Ausschließlich mit Freude war es für mich belegt, aber es ließ mich auch ins Sinnieren kommen über den Wert von Erwartungen und Vorstellungen, die man entwickelte. Dass Madleine und ich einmal zusam­menleben und äußerst glücklich sein würden, hätte so fernab von meiner Vor­stellungswelt gelegen, dass dann auch alle Märchen und Wunder hätten reali­sierbar sein können. Welchen Wert haben deine Erwartungen und Perspektiven überhaupt. Wie deine Träume bestehen sie aus dem was du bist, was deiner Identität entspricht. Deine Allmachtsfantasien möchten sie gern als etwas Um­fassendes, Allgemeingültiges sehen, aber sie sind nur Teil deiner spezifischen Auseinandersetzung mit der Welt. Was du für möglich und realisierbar hältst ist deshalb nicht unbedeutend, nur ablehnen solltest du etwas Darüberhinausge­hendes nicht. Dadurch würdest du deine Persönlichkeit und Entwicklung einen­gen und beschneiden, und das wünschen sich auch selbst die, die es tun, im Alter nicht.


Weihnachtsplanungen


Pascal kündigte ich an, mein Bild von ihm grundlegend revidieren zu wollen, nachdem ich hätte zugeben müssen, dass er mich besser kenne als ich mich selbst. Er lachte, wollte aber auf jeden Fall Weihnachten seine neuen Geschwis­ter kennenlernen wie alle anderen auch. Silke hatte sich trotz Lucas – ihres Freundes – Flehen und Schwärmen unerbittlich für uns durchgesetzt. Sie wäre schon gern in die Schweiz gefahren, aber was waren Berge und Schnee gegen neue Familienmitglieder. „Madleine, wir werden Weihnachten eine große Gesell­schaft haben und nicht umhin können, uns dazu einige Gedanken zu machen.“ gab ich zu bedenken. Judith und Marielle kamen allein. Madleine ließ ihre Bet­ten und eine Doppelschlafcouch aus dem Gästezimmer von Manni holen. Sie brauche das jetzt, hatte sie Manni lapidar erklärt. Was sollte er dazu schon sa­gen. Jetzt waren zwar ausreichend Übernachtungsmöglichkeiten vorhanden, aber alles andere veranlasste uns noch zu Gedanken und Planungen wie sie bei Staatsempfängen sicherlich nicht viel intensiver sein konnten. Wir freuten uns eben beide mächtig.


Seid ihr denn alle blind?


Nachdem Madleine eingezogen war, erklärte ich am Dienstagabend: „Ich wollte euch sagen, dass Madleine jetzt bei mir wohnt, damit ihr Bescheid wisst.“ Aber was er sagen sollte, wusste Keiner. Alle schauten mich, Madleine und Manni an, nur gab das keine Antwort. Klaus machte als erster den Mund auf: „Also hab ich das richtig verstanden? Du und Madleine, ihr seid jetzt zusammen und nicht mehr mit Manni?“ „Genauso hab ich's gesagt. Madleine und ich leben jetzt zusammen, wohnen zusammen und lieben uns. So ist es.“ bestätigte ich ihn. Allen kam es wahrscheinlich genauso ungeheuerlich vor, wie es für mich selbst vor einem Jahr auch noch geklungen hätte. Nur ich hatte Zeit, mich langsam daran zu gewöhnen, für die anderen war es natürlich ein Schock. Ju­liane starrte mit offenem Mund. Für sie war ja auch vor einer Woche noch alles eindeutig beim Alten gewesen, und innerhalb einer Woche liierte sich die Frau mit einem anderen. War das jetzt der Beginn zum Frauentausch? Sollte man sich mal umsehen, ob nicht einer von den anderen Jungs mehr zu bieten hätte als der eigene? Udo der einzig Sehende mischte sich ein: „Man, ihr macht Ge­sichter. Das ist doch schon ne alte Kiste. Habt ihr denn überhaupt nichts gese­hen? Seid ihr denn alle komplett blind?“ Jetzt hatten natürlich alle schon längst etwas bemerkt, und sich auch irgendwie Gedanken dabei gemacht. Also dieses Lächeln und dieser Blick... und darüber konnte man den ganzen Abend reden. Die uralten Schulfreunde kannten sich so gut, dass sie nicht merkten, wenn sich zwei von ihnen verliebten und konnten sich einen ganzen Abend über et­was unterhalten, was sie vorgeblich gesehen haben wollten. Enttäuscht war ich nicht. Dass mir meine Freunde nicht mehr so viel bedeuten wie sonst, konnte ich auch nicht direkt behaupten. Es schien mir nur so, als ob ich, solange ich allein lebte, stärker auf sie angewiesen gewesen wäre. Dass ich von Mannis Si­tuation erst durch Madleine erfuhr, hatte mich stutzig gemacht und verwun­dert. Wieso hatte er nicht mit mir darüber gesprochen? Von dem besten Freund hätte ich es eigentlich für selbstverständlich gehalten. Stellte ich zu hohe Anforderungen an die Freundschaft? Ich denke, es war eher das, was den Unterschied in meinem Verhältnis zu Silke und Pascal ausmachte. Ich konnte ihn nicht als den anderen außerhalb von mir akzeptieren, sondern forderte in der Freundschaft eine Identifikation für die Anerkennung. Auch wenn die ande­ren nicht alle meine besten Freunde waren, aber meine Vorstellungen, Erwar­tungen und Ansprüche, waren in ihrer Struktur sicher denen an Manni ver­gleichbar. Ich habe mir meine alten Schoolmates ebenso einverleibt. Nur bei Udo war das nicht der Fall, trotzdem oder gerade deshalb war er mir wohl der Liebste.


Neue Nomenklatur für Verwandte


„Du bist also nicht meine neue Schwester oder Stiefschwester, aber was bist du dann?“ wollte Silke von Judith wissen, die beide schon zwei Tage vor Hei­ligabend gekommen waren. „Judith, nur Judith, sonst nichts. Wir können Freundinnen sein, aber für die Verwandtschaft müssten die beiden zuerst hei­raten.“ antwortete sie. „Ach Judith, das ist doch Stuss. Von so antiquierten Vorstellungen lassen wir uns doch nichts diktieren. Dass die beiden sich lieben ist doch das Entscheidende, und daraus ziehen wir unsere Schlüsse, aber doch nicht daraus, ob sie uns einen Trauschein vorzeigen können oder nicht.“ meinte Silke dazu. Es war ja nichts besonders Lustiges, aber die beiden lachten unent­wegt. Vielleicht half auch der Wein, den sie schon nachmittags zur Begrüßung geöffnet hatten, ein wenig dabei. „Ja, ja,“ reagierte Judith sinnierend, „ich hab deinen Dad als Kind ja schon gekannt. Ich find ihn voll in Ordnung, aber sein Stiefkind möchte ich trotzdem nicht sein. Niemandens Stiefkind möchte ich sein.“ „Judith, du wirst kein Stiefkind werden und ich werde keine böse Stief­mutter bekommen, das wollen wir nicht. Wir werden die Verwandtschafts- und Beziehungsverhältnisse gegenwartskompatibel machen.“ erklärte Silke katego­risch. Ich wurde gefragt, ob ich lieber Judiths Liebesvater, Rainervater oder Freundesvater sein wolle. Es sei mir schon recht, wenn Judith mich in allen drei Versionen sehen würde, aber zu Verbalisierung schiene Freundesvater doch am geeignetsten. Unter Lachen aber doch in ernster Absicht wurde die neue No­menklatur festgelegt. 'Freund' sollte das 'Stief' ersetzen und war auch ohne Vorlage eines Trauscheins anzuerkennen und gültig. Luca saß nur lächelnd und staunend dabei und unterhielt sich am Rande manchmal mit mir. Judith und Silke hatten nicht nur das neue Verwandtschaftsverhältnis konstituiert, sondern auch die Atmosphäre für die weihnachtliche Begegnung geprägt. Pascal und Lucia kamen als letzte Heiligabend morgens. Udo hatte eigentlich gar nicht ge­öffnet, nur wusste ich das nicht, als ich ihn fragte. Er bestand aber darauf, dass wir bei ihm zu frühstücken hätten. Zum Dank kauften wir ihm noch ein paar Weine ab, nahmen die meisten Käsevorräte mit und luden ihn und Nina zu einer kleinen Fète am zweiten Weihnachtstag ein.


Frohe Botschaft


Heiligabend wurde es besinnlich. Marielle spielte Klavier und Lucia Geige. Sie hatten sich vorher telefonisch abgestimmt, was sie spielen könnten und woll­ten. Pascal vertrat die Ansicht, dass es zwingend notwendig sei, gemeinsam Weihnachtslieder zu singen. Dem Wunsch sollte entsprochen werden. Durch unser ständiges Lachen und Marielles Spiel, die die Lieder im Stil einer Barpia­nistin intonierte, war die Beschaulichkeit schnell dahin. Wir konstatierten, dass sich in Bethlehem gegenüber unseren Niederkünften doch recht wenig abgespielt habe. Uns sei nicht nur ein Sohn geschenkt worden, sondern Brüder, Schwestern, Mütter und Väter, ein ganzes Konglomerat an neuen Beziehungen sei zu verteilen. Luca gab zu bedenken, dass das Ereignis von Bethlehem doch nicht aus der Menge resultiere, sonder in der hier verkündeten Botschaft zu suchen sei. „Luca, Luca, du wirst der einzige sein, der die Botschaft nicht gehört hat, die hier allenthalben im Raum steht. 'Liebet euch, ihr sollt einander lieben, lieben wie ihr es bei Madleine und Rainer erkennen könnt'. Bekommst du das denn gar nicht mit?“ fragte Silke erstaunt und ließ alle schmunzeln. „Das ist ja schön und gut, aber ich weiß auch nur, dass ihr euch heiß und innig liebt. Mehr kenne ich von der Frohen Botschaft gar nicht. Ich würde sie dann aber auch schon in der heiligen Nacht gern richtig verkündet haben wollen.“ monierte Pascal. Madleine und ich sollten erzählen, das sahen alle so. Bis drei Uhr in der Nacht erzählten wir uns alle unsere Liebesgeschichten. Ich hätte mir gar nicht denken können, wie spannend, amüsant aber auch sehr ernsthaft und nachdenklich es sein kann, andere Menschen die Geschichte ihrer Liebe erzählen zu hören. Betroffenheit und Bedeutung verleihen den Berichtenden Authentizität, Stil und Manière, die faszinieren. Lucia würde voraussichtlich immer von der Ungeheuerlichkeit ihrer Verliebtheitsentwicklung fasziniert bleiben, versuchte dies auch jetzt zu vermitteln und erzeugte dadurch nicht nur nachhaltigen Eindruck, sondern auch die lustigsten Diskussionen und Kommentare.


Als wir ins Bett gingen, legte Madleine sich an mich und ihren Kopf auf meine Schulter. Ich streichelte ihr Haar und ihre Wange und merkte, wie sich meine Schulter befeuchtete. „Ich weiß es nicht.“ sagte sie zum Grund ihrer Tränen, „Traurig bin auf keinen Fall. Ob es ein Glück ist, das zu groß ist für mein ge­wöhnliches Fassungsvermögen. Glück ist es ganz bestimmt, aber es ist auch noch etwas anderes. Ich sehe dabei auch mein ganzes Leben. Wie ein Ultra­kurzfilm zeigt es sich. Ob wir immer und heute auch noch so glücklich gewesen wären, wenn ich bei dir damals in der Schule nicht das Handtuch geworfen hät­te? Was meinst du?“ fragte Madleine. „Ich könnte darauf etwas Dummes ant­worten, aber alle Antwortversuche dazu würden dumm sein, weil es eine Frage ist, die niemand beantworten kann. Vielleicht willst du dass ja auch gar nicht wissen, sondern nur sagen, dass du doch ein bisschen traurig bist, weil du dei­nen Kopf nicht schon vor dreißig Jahren auf meine Schulter legen konntest. Im Nachhinein finde ich es auch sehr schade. Nur wir können nicht zurückreisen. Wir werden alles nachholen müssen. Sehr, sehr vieles haben wir noch nachzu­holen.“ meinte ich dazu. Madleine hob ihren Kopf, lächelte und wir küssten uns. „Weihnachten muss das wohl so sein. Alles nur Frohe Botschaften.“ sin­nierte Madleine noch, als sie sich wieder zum Einschlafen an mich kuschelte.


Weihnachtsspaziergang


Gegen elf Uhr kamen auch die letzten aus den Federn gekrochen. Die anderen hatten schon lange diskutiert, ob ein Weihnachtsspaziergang doch noch nötig und sinnvoll sei. Mit Pascal und Lucia, die zu berücksichtigen forderte, dass sie auch nicht mehr die Jüngste sei, begann die Diskussion erneut. Auch wenn man einsah, dass frische Luft und ein wenig Bewegung an diesem wunderschö­nen klaren Weihnachtsmorgen überhaupt nicht falsch sein könnten, schien den Physiologien und Emotionen ein gemächliches Verharren bei Kaffee, kleinen Häppchen und launigen Gesprächen am Küchentisch näher zu liegen. „Was soll das denn für einen Tag werden? Mir kommt es so vor, als ob wir bis heute Abend hier so sitzen bleiben wollten.“ beschwerte ich mich und veranlasste alle sich zu erheben. Luca erklärte mir beim Spazierengehen, das ihn alles sehr nachdenklich mache. „Ich freute mich, Silke alles bei mir zu Hause zeigen zu können. Sie war ja noch nie in der Schweiz. Was habe ich mir dabei eigentlich gedacht. 'Sie wird staunen und etwas bewundern, das ich ihr gezeigt habe, das zu mir gehört.' Das sie mich dafür bewundern wird, werde ich wohl empfunden haben. So ein Mensch will ich überhaupt nicht sein. Im Prinzip ist es ja nichts anderes, als wenn du von deiner Freundin Zuneigung erwartest, weil du so ein dickes Auto hast. Natürlich würde ich sie gerne wissen lassen, wo ich herkom­me, aber ich verstehe jetzt, warum sie unbedingt nach Hause wollte. Euer Zu­sammenleben und wie ihr miteinander umgeht, hat mich vom ersten Moment an fasziniert. Ich kannte so etwas nicht und wusste nicht, was es für mich be­deuten kann. Dagegen sind der höchste Berg und die unheimlichste Schlucht nur Spielereien. Hohe Berge, große Häuser, wilde Flüsse, das sind alles schöne Bilder, aber doch von geringem Wert, bedeutsam für dich und deine Person ist es, wie du andere Menschen erfährst, wie du mit ihnen kommunizierst, was du dabei erlebst und empfindest, das gestaltet deine Welt in dir und nicht hohe Berge mit viel Schnee. Das Leben bei euch hat mir das bewusst gemacht und es mich erkennen lassen. Ein Weihnachtsgeschenk, wie es größer nicht sein könnte.“ bedankte sich Luca. Anstatt Silke mit der Schweiz zu erstaunen, hatte sie ihn mit ihrem Social Family Environment fasziniert. Judith und Marielle ver­deutlichte Madleine, das dies der gerade Weg zum Ziel gewesen sei, den wir täglich immer und immer wieder beschritten hätten, was Marielle zu dem Ein­wand veranlasste, dass es zu den meisten Zielen aber doch viele Wege gebe, die dort hin führten. „Aber immer nur einen geraden.“ erklärte Madleine kate­gorisch und lachte dabei.


Lucia war nicht nur schön, intelligent, gebildet und freundlich, sie war eine Elfe. Eigentlich esse sie ja gar kein Fleisch, aber Weihnachten würde doch auch so erklärt, das Gott selber Fleisch geworden sei, als Incarnation, und göttliches Fleisch, das caro divina, was man denn da noch gegen einwenden wolle. „Oder bist du der Ansicht, dass es nicht mit Judiths Verständnis von Körper und Spra­che in Einklang zu bringen ist am Weihnachtstage Fleisch zu essen?“ fragte sie Silke, mit der sie sich beim Spazierengehen über etwas von Judith Butler un­terhalten hatte. „Doch, doch, schon“ erklärte Silke die sich vor Lachen bog, „Ich sehe es auch so, das Judith Körper nicht vorrangig in der Form des Schweinebratens definiert wissen möchte.“ Lucias Humor brachte Unsinn her­vor, der mir ein Glücksempfinden vermittelte.


Glücksempfindungen hatten diese Weihnachtstage wohl für alle aufkommen lassen. „Ich werde sie bestimmt in Zukunft öfter sehen. Dicke Freundschaften sind zwischen Silke, Lucia, Judith und Marielle entstanden, als ob sie wirklich in den wenigen Tagen so etwas wie Schwestern geworden wären. Es kommt mir auch so vor, als ob sie sich gern so empfinden möchten. Marielle und Judith sind absolut begeistert. Auch wenn sie schon erwachsen und eigenständig sind, sehe ich es so, dass auch für sie ein neues, anderes Leben beginnt. Sie haben ein neues zu Hause bekommen, in dem sie sich wohler fühlen können, als in dem vorherigen, und das tut in jedem Alter gut.“ erklärte es Madleine.


Garten mit Sonne

 

Im Januar schon begann Madleine mit Planungen für einen Garten. Seit eh und jeh bestand der Garten aus einer größeren Rasenfläche mit Sträuchern drum­herum, die ab und an beschnitten wurden. Trostlos sei das und passe nicht zu uns, hatte Madleine festgestellt. Wo Erde sei, müssten auch Blumen wachsen können. „Die Sonne verschenkt ganz viele Farben, das ist das wunderschöne an ihr und Blumen können sie in ihrer Vielfalt und Pracht zeigen. Der Garten jetzt braucht nur die Magentastrahlen, ist eintönig. Ein Garten kann eine Meta­pher der Natur für dein Leben sein. Aber einen philosophischen Garten will ich ja gar nicht, nur ein bisschen passen sollte er zu uns schon. Unser Leben ist vielgestaltig, bunt, lebhaft und zärtlich, kannst das da draußen irgendwo er­kennen?“ fragte Madleine rhetorisch. „Madleine, ich höre, was du sagst und habe schon Vorstellungen von Gärten, die schön sein können, aber ich habe überhaupt keine Ahnung von so etwas. Ich denke, jede Pflanze, die ich in die Erde bringen würde, stürbe ab, statt Blüten hervor zu bringen“ war meine Sicht. „Rainer, ich habe doch auch noch nie gesät, gepflanzt und Gartenarbeit gemacht. Warum sollen wir es nicht lernen und probieren können. Für uns ist doch alles frei und offen. Wir versuchen gemeinsam den Garten unseres Le­bens zu entwickeln und zu gestalten. Sicher wird er sehr viele Blumen enthal­ten müssen, die die Sonne bunt leuchten lässt so wie wir uns gegenseitig zu buntem Strahlen veranlassen.“ war Madleines Ansicht, wozu ich meinte: „Ich bin mir fast sicher, Madleine, dass deine Sonne, die für mich scheint, viel, viel mehr Farben haben muss, als die da oben. Sie kann nicht nur Blumen bunt strahlen lassen, alles erleuchtet sie und lässt es bunt werden. Die graue Stadt, das triste Ambiente, die hässlichen Fabriken, alles scheint in mir nicht mehr zu existieren, solange deine Sonne meine Bilder davon bestrahlt und sie bunt wer­den lässt. Die Stadt selbst ist es nicht, es ist die Sonne, die in dir leuchtet und dich empfinden lässt, ob du hier glücklich sein kannst oder nicht, denn Glück ist immer bunt.“

 

 

FIN

 

 

Wende dich immer der Sonne zu, dann fallen die Schatten
hinter Dich.

China

 

Als wir eines Morgens mal wieder eine kleine Pause auf einer Parkbank eingelegt hatten, schaute sie mich tief an und sagte: „Nu küss mich doch mal endlich.“ Mich quälte es. Madleine war immer Mannis Frau gewesen. Grundsätzlich, bei aller Sympathie die ich für sie hatte. Obwohl ich Madleine als attrak­tive Frau wahrnahm, ihr Äußeres mir sehr gefiel, löste es nie irgendeine Art von erotischen oder sexuellen Assoziationen aus. Mein Unbewusstes hatte festgelegt, dass Madleine nicht als Frau, als geschlechtliches Wesen femininer Art in meinem Bewusstsein in Erscheinung treten sollte, sondern nur als die Frau meines Freundes, Manni. Was sollte ich ma­chen? Sie küssen weil sie es gern wollte. Nein das machte ich Madleine gegen­über nicht. „Ich kann das nicht, Madleine.“ sagte ich und wollte ihr wortreich erklären, warum nicht. Madleine stand auf. Sie wollte anscheinend nichts hö­ren. Nach einiger Zeit begann sie über etwas anderes zu sprechen. Am nächs­ten Morgen kam sie nicht zum Spazierengehen und rief auch nicht vorher an. Zum Frühstück erschien sie aber. Am darauffolgenden Morgen das Gleiche. „Madleine, wir haben offensichtlich Familienstreit, oder wie siehst du das?“ fragte ich sie bei Udo. Ich bekam mein liebstes Lächeln. Milde, verstehend und wunderschön mit den kleinen ge­schwungenen Fältchen neben ihren Augen. „Hieltest du es für völlig falsch, wenn wir versuchten, die Dissonanzen zu bereinigen?“ fragte ich nach. Wieder das Lächeln und ein langgezogenes „Nöh.“, als ob es sie nur marginal berühre. Ich sah es aber eher als Scherz und schlug vor, morgen früh an der Regatta­bahn darüber zu reden. Mit einem „Mm-Mm“ und Kopfschütteln wies sie mei­nen Vorschlag zurück. „Wo denn?“ wollte ich wissen. „Bei dir“ legte sie katego­risch fest. „Und wann?“ erkundigte ich mich nach ihren Vorstellungen. „Jetzt gleich, anschließend“ erfuhr ich.

Madleine und mein Freund Manni – Seite 26 von 26

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Publication Date: 05-17-2013

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