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Der Todesengel

Die junge Frau starrte ihn mit weit aufgerissenen Augen an. Aus ihrem Mund kam ein kurzer schmerzvoller Schrei. Mit ihren Händen hielt sie eine blutende Wunde an ihrem Bauch fest. Dann fiel sie langsam auf die Knie. Das Blut aus ihrem Bauch färbte rasend schnell ihre blaue Bluse. Mit einem letzten lauten Atemzug fiel sie zu Boden und war tot. Er hasste es, wenn seine Opfer ihn anstarrten. Die Fragen: „Warum hast du das getan?“, „Warum ich?“, konnte er leider nicht beantworten. Alle seine Opfer standen auf der schwarzen Liste und es war sein Job sie zu töten. Seine schwarzen Flügel schlugen kurz auf. Dann verbarg er sie wieder unter seiner Haut. Auch seine Augen die normalerweise rot waren, färbten sich wieder hell grün. Wenn man ihm draußen begegnen würde, würde man denken, dass er ein ganz normaler 22 jähriger junger Mann war. Aber das war er nicht mehr. Er war nun ein Todesengel. Sein Job war es, Narla die Assistentin des Teufels zu dienen. Doch das war nicht immer so. Auch er war vor zwei Jahren ein normaler junger Mann gewesen der Aaron Lextor hieß.  Er war gerade dabei Musik zu studieren, als er bei einer Klettertour auf den Bergen in die Tiefe stürzte. Als er gerade ins Licht gehen wollte, erschien Narla und machte ihn ein Angebot. Alle Menschen die auf grausame Weise gestorben waren hatten die Chance wieder auf die Erde zurück zukehren. Doch dafür musste er Narla dienen. Und zwar für immer. Das war der Deal und es gab kein zurück. Damals hatte er an seiner Familie und Freunde gedacht, wie schrecklich es für seine Eltern wäre, wenn sie erfahren hätten, dass er tot war. Er hätte auch so gerne weiter studiert, weil er später Musiklehrer werden wollte. Er entschied sich schnell doch erst später bereute er seine Entscheidung. Narla schickte ihn nicht als normaler Mensch auf die Erde, sondern als Todesengel. Sein Job war es neue Diener für die Vorhölle zu holen. Die er auf grausame Weiße mit seinem langen Messer töten musste. Jede Woche wurde eine schwarze Liste erstellt, auf der die Namen der schlechten Menschen geschrieben waren. Auf der Liste standen nur Menschen, die in ihrem Leben etwas sehr schlimmes getan haben. Was sie getan hatten, durfte er aber nicht wissen. Egal ob es Jugendliche, Frauen oder Männer waren sie mussten bestraft werden. Er durfte zwar wieder auf die Erde aber nicht zu seinem alten Leben zurück. Alle Menschen, die ihn jemals gekannt hatten, war er jetzt ein Fremder für sie. Es war als wäre er nie geboren worden. Niemand kannte ihn. Das Einzige, was er seit dieser schrecklichen Entscheidung aufmunterte war, dass er seine Familie wieder sehen konnte. Jeden Tag saß er auf den großen Ahornbaum, der gegenüber seinem Elternhaus stand. Er beobachtete seine Mutter, die meistens in der Küche stand. Sie kochte und backte bis zum Umfallen. Es war ihre Leidenschaft immer neue Rezepte auszuprobieren. Jedes Mal, wenn seine Mutter ein Kuchen auf die Fensterbank legte um es abzukühlen, schloss Aaron kurz die Augen und atmete den süßlichen schokoladigen Geruch ein. Wie gerne würde er in den saftigen Marmorkuchen Hineinbeißen. Doch leider konnte er es nicht. So wie ihm sein Leben genommen wurde, wurde auch sein Geschmackssinn entfernt. Todesengeln aßen, trinken und schliefen nicht. Sein neues Leben war nur zum Dienen und steht’s alle Aufgaben auszuführen. Auch Gefühle hatte er nicht mehr. Er erinnerte sich nur schwach an Freude oder Glücklichkeit. Stattdessen spürte er eine große Leere in sich, dass er nicht füllen konnte. Das einzige Gefühl, das er spürte, war Traurigkeit und Hass. Wenn er sich aber tief genug Konzentrierte verspürte er manchmal wärme und Geborgenheit. Besonders dann wenn er an einer Person dachte, die er im früheren Leben gemocht hatte. Das er das tun konnte, hatte er niemanden erzählt, sonst würde Narla sofort etwas unternehmen und ihn von dem Gefühl befreien. Ein Zimmer weiter saß sein Vater vor dem Fernseher, der aktiv Baseball schaute. Wie gerne würde er sich jetzt daneben setzen und mitschauen. Ein Stockwerk höher tanzte seine kleine Schwester in ihrem Zimmer. Er erinnerte sich wie sie vor kurzem total aufgebracht aus der Schule kam, weil ein Junge sie geärgert und bloß gestellt hatte. Sofort hatten er ihn aufgesucht und ihn gewarnt er solle seine Schwerster in ruhe lassen. Danach hatte der Junge ihr nichts mehr getan. Total glücklich umarmte sie ihn und freute sich so einen tollen Bruder zu haben. Jetzt war sie sechzehn Jahre alt. Wenigstens konnte er egal was passierte seine Familie beschützen. Auch wenn er nur ein Fremder für sie war. Er würde alles tun, um seine Familie zu beschützen. Wenigstens war man als Engel sehr stark. Das war das einzige Positive. Seine schwarzen kurzen Haare bewegten sich kaum im warmen Wind. Wie jeden Tag hörte er eine entfernte Stimme nach ihm rufen. Es war Narla, um ihn die nächste Liste zu überreichen.

Seine Taktik war es, sich mit dem Opfer auf der schwarzen Liste erstmals an zu freunden. Dann brachte er die Opfer dazu, ihn bei sich nachhause einzuladen. Er konnte die Gedanken der Opfer so manipulieren, dass sie  ihn schnell mochten und vertrauten. Schon nach zwei treffen luden die Opfer ihn zu sich nach Hause ein. Er achtete darauf, dass sie immer nur zu zweit im Haus waren. Die Familie musste nicht auch noch mit ansehen, wie er die Leute umbrachte.Der Anblick, den die Familien Mitglieder später sehen würden, war schon genug Schmerz.  Wieder schauten ihn geschockte und aufgerissene Augen an, als er sein Messer aus dem jungen Mann zog. Aaron schloss die Augen und hoffte jedes Mal, dass es schnell vorbei ging. Seine schwarzen Flügel breiteten sich im Zimmer aus. Sobald der Name auf der Liste verschwand, konnte er davon fliegen. Da es immer dunkel war, wenn er seine Opfer in die Vorhölle schickte, hatte er keine Probleme aus dem Fenster zu fliegen. Falls es irgendwie passieren sollte, dass ihn jemand sah oder ihm bei seiner Arbeit überraschte, so musste er das Gedächtnis der Person löschen- und zwar alles! Das war die Vorschrift. Zu groß war die Gefahr, dass noch Erinnerung Fetzen vorhanden waren. Doch zum Glück war, dass Aaron noch nie passiert. Jemanden das Gedächtnis auszulöschen und ihn somit das ganze Leben zu zerstören würde er niemals wollen. Er war anderes als die gewöhnlichen Todesengel. Auch wenn er Menschen töten musste, litt er mit ihnen. Die anderen Todesengel hatten sich abgehärtet, sie hatten sogar spaß daran. Doch das war nun mal jetzt sein Leben. Er zog die Liste aus seiner Jackenseitentasche und schaute auf den nächsten Namen. Er wollte die Liste so schnell wie möglich hinter sich bringen. Als seine Augen den letzten Namen auf der Liste sahen, runzelte er die Stirn. Er schloss mehrmals die Augen und hoffte, dass er sich irrte. Doch er wusste, dass es keine Täuschung war. Er fing an zu zittern. Nervös fuhr er sich durchs Haar.

„Nein! Nein! NEIN! Das kann nicht sein!“, sagte er laut und lief panisch hin und her. Der letzte Name auf der Liste war Cammy Lextor, seine Schwester.

„Bitte, entfernen sie den Namen“, sagte Aaron aufgebracht in Narlas Büro.

„Das kann ich nicht“, antwortete Narla kalt.

„Aber es ist meine Schwester! Können sie denn nicht mal eine Ausnahme machen?“, fragte er mit schriller Stimme und stützte sich mit beiden Händen auf ihren großen Schwarzgefärbten Holzschreibtisch ab. Sie war eine Frau, die man als Chefin auf gar keinen Fall haben möchte. Narla war vor etwa 10 Jahren bei einem Überfall gestorben. Wie er war sie erst ein Todesengel gewesen, dann hatte sie sich hochgearbeitet und wurde prompt als Chefin der Vorhölle befördert. Narla war eine harte Frau die keine schwächen und Fehler akzeptierte. Viele jüngere Todesengel fürchteten sich vor ihr und er selbst auch.

„Weißt du wie viele mich das schon gefragt haben?“, antwortete sie genervt. Arrogant fuhr sie sich durchs dunkle Haar. „Ich kann die Liste nicht ändern. Es ist so, wie es ist!“

„Aber …“, fing er den Satz an und merkte, wie seine Stimme versagte. „Dann sagen sie mir doch wenigstens, was sie so Schlimmes getan hat?“, fragte er mit bebender Stimme. Er war den Tränen nahe.  

„Du weißt, dass ich dir das nicht sagen kann“, sagte Narla streng und kniff dabei ihre giftgrünen Augen zusammen.

„Verkauft sie Drogen?“, fragte er um es vielleicht aus ihrem Gesichtsausdruck zu lesen. „Quält sie Menschen? Oder hat sie jemand getötet?“ Doch Narlas Gesichtsausdruck zuckte bei keiner seiner Vermutungen. Ihr Gesicht blieb hart und kalt.

„Hör auf mit dieser Fragerei!“, sagte Narla genervt und erhob sich aus ihrem roten Sessel.

„Bitte, ich flehe sie an machen sie eine Ausnahme!“, versuchte er es erneut. „Ich tue alles, was sie wollen!“ Narla lief um den Tisch auf ihn zu. Sie streichelte mit ihren langen schwarz lackierten Fingernägeln über Aarons Brust.

„Ich möchte ...“, begann sie und strich jetzt mit der Hand über sein Gesicht. „Das du die Liste vollendest!“, schrie sie plötzlich und gab ihm eine Ohrfeige. Aaron blieb geschockt im Zimmer stehen. Seine Wange schmerzte aber das Narla in Hoffnung gemacht hatte schmerze noch mehr. Sie hatte ihn einfach in der Luft wie ein Stück Papier zerrissen.

„Los, an die Arbeit!“, fügte Narla noch scharf hinzu, als sie merkte, dass Aaron sich kein Zentimeter bewegte. Aaron unterdrückte einen verzweifelten Schrei und verließ mit schwankenden Beinen Narlas Büro. Er war kurz davor zusammenzubrechen. Er hatte andere Todesengeln gesehen die, dass selbe tun mussten aber er hatte immer gehofft, dass es bei ihm nie so weit kommen würde. Und dann ausgerechnet seine kleine Schwester? War sie den in Wirklichkeit so böse? Er wusste das sich das Leben von den einzelnen Personen, die er je gekannt, hatte verändern würden. Aber er hätte nie geglaubt, dass seine Schwester Böses tat. Wenn er die Liste in den nächsten Tagen nicht vollendete, wurde die Liste weitergegeben. Und wer weiß wie die anderen Todesengel Cammy töten würden. Jeder hatte seine eigene kranke Art zu töten. Er fühlte sich überfordert. Hasserfüllt schlug er mit der Faust gegen die Wand. Dabei hinterließ er ein riesiges Loch. Es musste doch eine Lösung geben! dachte er fieberhaft.

Es war eine regnerische Nacht als Aaron wieder vor seinem Elternhaus auf dem Baum saß. Er beobachtete Cammy wie sie ausgelassen telefonierte. Leider hatte er keine Lösung gefunden und er wurde von Narla mehrmals ermahnt. Er beschloss diesmal anders vor zugehen und es schnell hinter sich zu bringen. Auch wenn es hart war, er hatte keine Zeit mehr. Als Cammy das Fenster weit öffnete, nahm Aaron die Chance und flog in ihr Zimmer. Geschockt ließ sie das Telefon auf den Boden fallen. Dann packte er sie und rammte ihr das Messer in die Brust. Er schloss die Augen und hielt sie fest in den Armen, bis sie sich nicht mehr wehrte und immer schwächer wurde. Unter Tränen strich er über ihr Haar. Sie waren so weich. Dann legte er ihren leblosen Körper in ihrem Bett. „Es tut mir leid“, sagte er und strich mit zitternder Hand über ihre Wange. „Ich liebe dich“, sagte er noch, bevor er seine Flügel ausbreitete und aus dem Fenster flog.

Ende

 

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Publication Date: 10-13-2011

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