Auf dem Planeten Genofol herrschte stets rosafarbenes Zwielicht, Dunkelheit und Stille. Kein Leben regte sich auf ihm. Gelegentlich drangen kleine Meteoriten in seinen Bereich ein, die wegen der fehlenden Atmosphäre nicht verglühten, dann aber durch Entladungen der Wolkenkratzer-großen, hexagonalen Säulenkristalle auf der Oberfläche mit Energieblitzen beschossen und pulverisiert wurden. Nur wenige Bereiche bestanden aus Gestein. Meist waren es Inseln aus Schlacke im riesigen Meer der Energiekristalle, aus denen der gesamte Planetoid zu bestehen schien..
Auf einer der größten Schlackeinseln war vor einigen Monaten ein Forschungsteam des Hauses Primus vom Planeten Karnak gelandet und hatte mit der Erforschung der Eigenschaften der Energiekristalle begonnen. Bis zu diesem Zeitpunkt war es unmöglich dort zu landen. Erst nach jahrelangen Experimenten war es den Wissenschaftlern des Hauses Primus endlich gelungen, eine unbemannte Sonde auf der Oberfläche Genofols zu landen, ohne dass sie bei der Annäherung zur Planetenoberfläche ausfiel, oder direkt zerstört wurde. Mit den gewonnenen Daten war es möglich, einen entsprechenden Schutzschild zu entwerfen, der verhinderte, dass alles was sich Genofol näherte durch die Entladungen pulverisiert wurde.
Als Basislager wählte man einen Krater aus geschmolzenem Gestein, wo es anscheinend einem größeren Meteor gelungen war einzuschlagen. Von weitem schon konnte man die glimmende Beleuchtung der Druckkuppel sehen. Dort wohnten und arbeiteten die Wissenschaftler unter der Leitung Dr. Talhi Sungs. Das Team hatte eine große Menge Proben gesammelt und eine Reihe von Tests absolviert, die allesamt höchst erstaunliche Ergebnisse erzielten. Das Potential, das diese Energiekristalle boten, war noch gar nicht abzusehen, regte aber bereits die Fantasie der Mitarbeiter an und motivierte sie um so mehr, immer neue Ideen für weitere Tests zu entwickeln. Dr. Sung sah den Enthusiasmus mit Freude wachsen und ließ seine Leute gerne an der langen Leine, um das Testfeld und somit die gewonnenen Erkenntnisse möglichst weit zu dehnen.
Sung stand gerade an einem vor ihm schwebenden Grav-Tisch und verfasste die letzten Zeilen eines Berichts, den er noch heute an Herzog Limar Primus, seinen Herrn und Arbeitgeber senden wollte, da er schon zwei Wochen überfällig war. Und so war er voller Eifer und überschlug sich so oft mit seinen Worten, während seine Gedanken umherwirbelten, dass das Pad, in dem er den Bericht verfasste, ständig Verbesserungsvorschläge unterbreitete. Genervt rieb er sich die hohe Stirn und die pochende rechte Schläfe, schlug auf den Tisch und schluckte zum tausendsten Mal eine Verwünschung herunter . Doch meist sah er seine Fehler ein und nahm schließlich dankbar die Verbesserungsvorschläge an. Dann schrieb weiter:
...und schlage daher vor, eine Reihe der verschiedensten Größen von Tesla-Kristallen, die wir bereits für weitere Tests gesammelt haben, mit zur Forschungsstation auf Lhinnea zu nehmen. Dort gibt es für uns wesentlich mehr Möglichkeiten, deren Eigenschaften und Verwendungsmöglichkeiten zu erforschen, als hier auf Genofol.
In Erwartung Ihrer Zustimmung,
ergebenst Doktor Talhi Sung
Doktor Sung hatte gar nicht bemerkt, dass er bereits den von ihm geprägten Begriff für die Energiekristalle verwendete. Da sie, anscheinend nie versiegende Energie zu liefern schienen, wählte er den Namen des Mannes, der schon Anfang des 20. Jahrhunderts auf der alten Erde, also 600 Jahre bevor man die Energiekristalle auf Genofol entdeckte, eine Vision von einem technischen Gerät hatte, welches Strom aus der Umgebungsenergie erzeugte. Ein genialer Kopf namens Nikola Tesla.
Schließlich legte er einen Datenordner an, in dem er alle bisherigen Testergebnisse einfügte und den er dann durch den Primus-Verschlüsselungsgenerator schickte. Bisher war nicht bekannt geworden, dass es irgendjemandem gelungen wäre, diesen Veschlüsselungs-Algorythmus zu knacken. Abschließend fügte er noch ein paar spektakuläre Bild- und Videoaufnahmen der zuletzt gefundenen Kristallhöhle hinzu. Doch weiter kam Sung nicht mehr.
Er hörte ein reißendes Geräusch und spürte ein unangenehmes Knacken in seinen Ohren, dem ein lautes schrilles Pfeifen folgte. Sofort war ihm klar, dass etwas ganz und gar nicht stimmte. Vor sich sah er umherwirbelnde Papiere und Gegenstände und die verschreckten Gesichter seiner Assistenten. Sie starrten ungläubig auf Etwas, das sich hinter ihm zutrug. Dann geriet alles außer Kontrolle. Die entweichende Luft zog bereits an seiner Kleidung während er, wohl eher aus Instinkt, die Sendetaste seines Pad betätigte und sich umdrehte um nach der Quelle des Chaos zu sehen.
Er erkannte einen größer werdenden Spalt in der Hülle der Druckkuppel, der aussah wie ein gefräßiges Maul, das sich anschickte, alle in der Kuppel befindlichen Gegenstände in sich hinein zu saugen. Sein Magen krampfte sich zu einem Klumpen zusammen, als er die Folgen blitzschnell abwägte. Er erkannte hinter der semitransparenten Außenwand, dass im rosafarbenen Zwielicht Genofols die Silhouetten mehrerer Druckanzüge zu erkennen waren und ahnte Schlimmes.
Während Sung durch den immer weniger werdenden Sauerstoff die Sinne zu schwinden begannen, beobachtete er, wie eine dieser Silhouetten sich durch einen weiteren Spalt ins Innere der Druckkuppel zwängte. Mit seinen letzten klaren Gedanken erkannte er ein Wappen auf dem Brustpanzer des Eindringlings. Es zeigte einen schwarzen Drachen auf rotem Hintergrund. Das Wappen des Hauses Butin. Hinter ihm schrien seine Assistenten, im Kampf um die verschwindende Atemluft und den geringer werdenden Luftdruck, panisch durcheinander. Einige versuchten noch sich in einen Druckanzug zu retten, doch alles ging viel zu schnell. Viel mehr gab es für Sung nicht mehr. Er drehte sich mit letzter Kraft seinem Pad zu und drückte, während er in sich zusammen zu sinken begann, eine Drei-Tasten-Kombination, die eine Selbstzerstörung des Datenträgers und der Pufferspeicher bewirkte. Dann umfing ihn Kälte und er wurde bewusstlos, ohne den Schmerz zu spüren, als eine Laserlanze in seinen Rücken und durch seinen Brustkorb fuhr um vorne wieder hinaus zu treten.
Die Eindringlinge machten keine Gefangenen. Gnadenlos strichen weitere Laserlanzen durch die Kuppel und zerschnitten dabei Technische Geräte genauso leicht wie Fleisch und Knochen. Nach wenigen Minuten erloschen die Lanzen. Übrig geblieben war ein Haufen aus Schrott und Leichenteilen. Die Angreifer in Druckanzügen entfernten sich aus den Überresten der Forschungskuppel bis auf einen. Dieser eine schaute noch einmal auf den angerichteten Schaden und das verspiegelte Visier verbarg ein teuflisches und äußerst zufriedenes Grinsen. Er beugte sich über die Reste Dr. Sungs, schnitt ihm mit einem Skalpell in die blutverschmierte rechte Schläfe und hebelte anschließend einen kleinen metallischen Gegenstand daraus hervor. Mit einem Ruck war es heraus und die hauchdünnen optischen Glasfaserleitungen abgerissen. Nachdem der geborgene Gegenstand in einer Tasche im Anzug verstaut war, aktivierte er eine faustgroße Mini-Lightium-Granate, stellte den Wirkungsradius ein und warf sie achtlos mitten in das Chaos hinein. Dann drehte er sich um und ging fort, ohne sich noch einmal umzusehen.
Er sah nicht mehr, wie sich das Lightium in der Granate zu entzünden begann. Wie es einen lautlosen Glutball bildete der sich bis auf zwanzig Meter im Durchmesser ausbreitete um dann in sich zusammenzufallen. Mit Ihrem extrem heißen Feuer hatte die Mini-Lightium-Granate alles und jeden geschmolzen und eingeäschert.
Nichts war übrig geblieben. Nur glühende Schlacke.
* * *
In einer kleinen Höhle, etwa 6 Kilometer entfernt von der Forschungskuppel und der Katastrophe, die sich dort abspielte, waren der Geologe Astin Decker und der Techniker Marlo Tuengo gerade dabei, die letzten Kristall- und Gesteinsproben in das Lastenshuttle zu laden und zu sichern, als das Com-Modul in den Helmen ein lautes Knistern von sich gab. Es klang wie statisches Rauschen. Dann folgte ein kurzes, lautes Knacken und dann blinkte die Anzeige die besagte, dass das Signal zum Com-Terminal verloren gegangen war. Es folgte ein automatischer Suchlauf der Com-Hardware und schließlich schaltete sich die Anzug zu Anzug Verbindung an. Auf der rechten Seite des zweigeteilten Displays in seinem Helmvisier sah Decker, dass nur eine der sieben Empfangseinheiten grün blinkte und in Reichweite war. Natürlich die von Tuengo. Er stand ja kaum zwei Meter von ihm entfernt. Doch die Statusanzeige für das Terminal blieb rot. Ebenso die anderen sechs Statusanzeigen. Er stutzte und fragte sich, was das zu bedeuten hatte.
»Was zum Teufel ist denn jetzt los? He Marlo, was zeigt denn dein Com an?«, fragte Decker und drehte sich ihm zu.
»Ich weiß nicht recht. Die Anderen sind nicht mehr da. Ich meine... , äh, … keine Verbindung mehr zu allen Anderen. Sieht aus wie ein Systemausfall der Terminal-Einheit.«
Tuengo drehte sich nun seinerseits Decker zu und bediente sein Armpad. Dann ließ er beide Arme sinken und schaute verwundert zu Decker hinüber.
»Ich kontrolliere die Com-Einheit im Shuttle. Mal sehen was die sagt.«
Decker folgte Tuengo in die Shuttle-Schleuse und sah zu, wie dieser die Kontrolleinheit bediente. Tuengo ließ einen Statuscheck des Bordsystems durchlaufen und startete dann einen manuellen Com Suchlauf. Doch das Ergebnis war das gleiche.
» Was denkst Du? Ist das eine dieser Störungen, die immer mal wieder auftreten?«, fragte Decker.
» Ich habe keine Ahnung, was da los sein könnte. Aber wir sind hier ohnehin fertig. Wir könnten uns also auf den Weg begeben und nachsehen. Vielleicht haben die den Akkumulator wieder überlastet und damit einen Systemausfall herbeigeführt«.
Aber man sah seiner Mimik an, dass er daran nicht wirklich glaubte. »Aber ich glaube nicht, dass es sich um eine Störung handelt wie sie manchmal vorkommen. Das hier scheint ein richtiger Systemausfall zu sein.«
»Aber müssten nicht in diesem Fall deren Anzug-Coms ebenfalls automatisch anspringen?«, fragte Decker.
»Nein. Da die Com-Einheiten der Druckanzüge nur aktiv sind, wenn sie in Benutzung sind. Ohne Träger können sie sich nicht selbstständig hochfahren.«
»Okay. Dann brechen wir auf, wenn wir die letzten beiden Kisten gesichert und registriert haben.«
Gesagt getan. Decker und Tuengo sicherten die Kisten im Laderaum des Shuttles, scannten deren Barcodes ein und luden dann die aktualisierte Ladeliste in den Bordrechner hoch. Somit war alles komplett und es fehlte nur noch, Dr. Sungs so genanntes Handgepäck, das er aber wahrscheinlich mit in die 'Odyssee', den Kleinraumer nehmen würde, mit dem das Wissenschaftliche Team den Rückweg nach Karnak antreten würde. Karnak, die Heimatwelt der Familie Primus.
Schließlich verließen sie die Glitzerwelt der Kristallhöhle und begaben sich auf den Weg zur Kuppel. Sie bestiegen das Grav-Board, mit dem die beiden auch hierher gefahren waren, fuhren die Grav-Einheit und das schützende Sperrfeld hoch. Tuengo übernahm die Steuerung und stand ganz vorne an einem schmalen Pult mit Steuerkonsole. Er löste sein Arm-Pad vom Druckanzug und steckte es in die extra dafür vorgesehene Dockingstation in der Konsole, während sich Decker an einem Stehsitz festgurtete. Als das Grav-Board langsam zu steigen begann, erhöhte Tuengo den Schub und das Board entfernte sich von der Höhle, die sich auf einer kleinen Schlackeinsel befand. Bald befanden sie sich über dem Kristallmeer und schwebten in weiten Bögen um die größten Kristalltürme herum.
Die Kristalle hatten die verschiedensten Größen und flimmerten im Zwielicht. Hier und da waren kleine Lichtbögen zu sehen. Es war ein atemberaubender Anblick. Auch nach Monaten auf Genofol hatte das Schauspiel nichts von seiner Faszination verloren.
Schließlich näherten sie sich dem Krater, in dessen Sole sich die Kuppel befand und Tuengo verlangsamte die Fahrt um besser sehen zu können, denn das Sperrfeld verzerrte die Sicht ein wenig. Er reduzierte den Schub weiter bis das Board schließlich stillstand.
»Oh mein Gott, Decker!«, gab Tuengo mit entsetztem Tonfall von sich.
»Was ist denn los?«, fragte Decker, löste seinen Gurt und stellte sich neben Tuengo, um besser sehen zu können, was Tuengo so erschreckte.
»Was zum Teufel...?«, entfuhr es Decker. Er griff Tuengo in die Steuerung und ließ das Board soweit absinken, dass sie gerade noch sehen konnten, was sich in Ihrem Blickfeld tat. Dann aktivierte er über sein Armpad ein Helmdisplay mit einer vergrößerten Ansicht des Blickfeldes. Er zoomte so nah wie möglich heran und konnte nicht glauben, was er dort sah.
Die Druckkuppel existierte nicht mehr. Dort wo sie gestanden hatte, glühte der Boden und Blitze züngelten darüber hinweg. Im Hintergrund sah er mehrere fremde Druckanzüge in einem Shuttle verschwinden. Deckers Gedanken rasten wild umher und versuchten irgendein Szenario zurecht zu legen, was hier geschehen sein konnte. Vor allem aber fragte er sich, wer die Fremden waren und wie sie hier auf Genofol hatten landen können. Dann rasten seine Gedanken wieder zu der Katastrophe, die sich dort abgespielt haben musste.
Plötzlich baute sich ein Sperrfeld um das fremde Shuttle auf und es hob langsam beschleunigend ab. Es steigerte die Beschleunigung und flog in die entgegengesetzter Richtung von ihnen davon.
Tuengo erwachte aus seiner Starre, schluckte schwer und blickte zu Decker. Seine Hände zitterten stark und er atmete fast keuchend.
»Oh mein Gott. Was ist hier passiert? Wer waren die? Und wo sind Sung und die Anderen?«
Decker schaute seinerseits zu Tuengo. »Vielleicht wurden sie entführt. Aber wer...? Und Sie benutzen unsere Sperrfeldtechnik. Wer könnte das gewesen sein.«
»Lass uns hin fliegen und nachschauen, Decker.« sagte Tuengo und beugte sich über das Steuerfeld.«
Decker blieb nun vorne bei Tuengo stehen und hielt sich fest, während das Board mit einem leichten Summen an Höhe gewann.
Das fremde Shuttle war schon nicht mehr zu sehen. Tuengo flog trotz der Vorkommnisse sehr kontrolliert und nicht zu hastig. Als sie sich der Stelle näherten wo die Kuppel gestanden hatte, hielten sie an und landeten ein paar Meter neben dem noch glühenden Boden. Kleinere und größere Lichtbögen tanzten wie wimmelnde Maden auf einem Kadaver hin und her. Sie stiegen ab und Tuengo nahm sein Pad wieder an sich. Der Widerschein des glühenden Bodens beleuchtete die Druckanzüge. Beide holten sofort ihre Handscanner aus der Brusttasche Ihres Druckanzuges.
Tuengo hatte sein Pad wieder am Arm, kniete sich hin und startete den Scanvorgang, dabei schaute er auf die Anzeige des Armpads. Er wechselte den Scanner in die Hand mit dem Pad am Arm und tippte mit der nun freien Hand auf dem Pad herum.
»Verdammt noch einmal. Das war eine Lightium-Granate. Decker, ist Dir klar was das bedeutet?«
»Du denkst an die Butins? Nicht wahr?« Decker sah zu Tuengo und wieder auf sein eigenes Armpad. »Aber die sind mittlerweile über alle Zivilisationen verteilt. Die Butins verdienen sich mit der Produktion dieser Granaten einen Goldenen Palast.«
Tuengo tippte eine Kombination auf seinem Pad hielt dann inne und sagte, »Aber nicht mit diesen Spezifikationen. Diese sind nur im butinischen Militär in Gebrauch.« Er sendete die Ergebnisse zu Deckers Pad.
Decker stand gebückt über der glühenden Masse und schwenkte seinen Scanner mal hierhin und mal dorthin. Er sah das Symbol für den Dateneingang auf seinem Pad aufleuchten. Doch er hatte gerade seinen eigenen Scann beendet und eine erschütternde Entdeckung gemacht.
» Verdammt!«, entfuhr es ihm. »Oh mein Gott. Die haben alle umgebracht! Diese Bastarde«
Decker wurden die Beine weich und er ging in die Hocke und atmete schwer. Er konnte es nicht fassen. Tuengo entwich ein Stöhnen als er Deckers Worte hörte. Langsam stieg Panik in ihm auf. Er spürte Verzweiflung aufkeimen.
» Was, verdammt noch einmal machen wir jetzt?« fragte Tuengo.
Decker hielt seinen Scanner hoch und in Richtung der Odyssee. Nach einem kurzen Moment drehte er den Kopf zu Tuengo und sah diesen eindringlich an.
» Die Odyssee steht noch an ihrem Platz hinter dem Schlackefels. Lass uns hingehen und zusehen, dass wir hier abhauen.«
Tuengo stand auf. Auch er hielt es für das Beste, schleunigst von hier zu verschwinden. »Okay. Lass uns verschwinden.« Sie begaben sich auf den Weg zum Grav-Board als plötzlich eine heftige Explosion aus Richtung der Odyssee den Horizont zerriss.
Die Odyssee zerbarst in abertausende glühende Teile. Durch die nicht vorhandene Atmosphäre und den damit nicht vorhandenen Luftwiderstand, schossen die Bruchstücke wie Geschosse in alle Richtungen davon. Tuengo schob Decker auf das Board zu und als sie es erreichten, aktivierte er sofort das Sperrfeld. Er schob den Regler bis auf Maximum, um das Sperrfeld als Schutzschirm gegen die umher schießenden Wrackteile zu verwenden.
Sie warfen sich beide auf den Boden und kurz darauf war das reißende Geräusch des Sperrfeldes zu hören, das die umher sausenden Trümmerteile abwehrte. Die Minuten schienen zu Stunden zu werden. Als die Einschläge schließlich nachließen und dann ganz aufhörten, setzten sich die beiden schwerfällig auf und schauten hinüber zu dem schrecklichen Schauspiel, das es so nur hier auf Genofol geben konnte.
Dort wo die Odyssee hinter dem Felsen gestanden hatte, überschlugen sich Lichtbögen, die durch die frei gewordene Energie entstanden. Die Kristalle nahmen diese Energie gierig in sich auf und absorbierten sie. Alle Kristalle im Umfeld der Explosion glimmten hell als feierten sie ein Festmal. Mit zunehmender Energie wurden die Kristalle immer dunkler, bis sie statt rosa, blutrot waren.
So wurde aus der Forschungsmission in nur wenigen Minuten ein Desaster ohne Gleichen. Die Odyssee war verloren und Decker und Tuengo gestrandet.
Der wuchtige, dreistöckige Grav-Kopter mit dem Drachensymbol des Hauses Butin am Bug, überflog gerade eine Hügelkette, etwa 230 Standartkilometer südlich der Hauptstadt Balrock, als die Sonne über den Horizont stieg und ein unüberschaubares grünes Meer aus Baumwipfeln überstrahlte. In tieferen Senken stand noch dichter Nebel über den Wipfeln, was dem Ganzen den surrealen Anblick von grauweißen wabernden Pfützen auf einem Moosteppich gab. Das Fluggefährt erinnerte in seiner Plumpheit an eine Hummel. Es wunderte einen, dass es flugfähig war und nicht in die Tiefen des Urwaldes fiel. Doch in Zeiten der Antigravitationsgeneratoren war es möglich, fast alles fliegen zu lassen.
Nicht weit entfernt in Flugrichtung voraus kam eine künstlich angelegte Lichtung, eine große gerodete Fläche in Sichtweite, in deren Randbereich sich zahllose Holzbaracken und Hallen befanden. Im Zentrum dieser künstlichen Lichtung befand sich eine riesige metallene Apparatur, die an eine frühere Startrampe für Raketen erinnerte, nur deutlich wuchtiger und mit einem völlig anderen Zweck. Es handelte sich um einen butinischen Minen-Bohrturm. Eine Monstrosität mit unglaublich vielen Leitungen und Gängen, Maschinen und Vorrichtungen bis in eine Höhe von einhundertundfünfzig Metern.
Unter Anderem beherbergte er einen Lightium-Fusionsreaktor, der das Herzstück der Anlage bildete und vor allem den Bohrlaser mit Energie versorgte, der für die terminale Bohrung des Hauptschachts einer neuen Mine gebraucht wurde. Die Kühlanlage für den Laser übertraf den Reaktor noch an Größe. Außerdem ließ sich von hier aus eine gesamte Minenanlage mit Strom versorgen und steuern.
Etwa dreihundert Meter von dieser großen Lichtung entfernt, in südwestlicher Richtung, gab es eine weitaus kleinere, zweite künstlich angelegte Lichtung im Wald. Dort befand sich eine kleine Containersiedlung mit den Unterkünften der Minenarbeiter und ein Kopterport, als Landeplatz für Transport- und Versorgungskopter.
Als Baron Jetlo Butins Großkopter langsam auf den Kopterport herabsank und schließlich sanft aufsetzte, stand schon ein dreiköpfiges Empfangskomitee bereit, welches sich aus dem Minenleiter Sirius Blonk, dem Cheftechniker Marin Klurr und der Personalleiterin Aljanka Voiticz zusammensetzte. Nervös und stramm stehend erwarteten sie die Ankunft ihres Herrn und Arbeitgebers. Obwohl bisher alles bestens verlaufen war und es keine negativ erscheinenden Vorkommnisse gab, hatten alle drei das Gefühl für alles Mögliche gewappnet sein zu müssen. Die Launen Baron Butins waren den Meisten bestens bekannt. Schon so mancher Mitarbeiter musste plötzlich und unerwartet ersetzt werden. Manchmal fand man die ersetzten Leute dann unter den niedrigsten Minenarbeitern. Oder sie tauchten nie wieder auf.
Als sich die Koptertür öffnete, trat Leilo Nogi der persönliche Berater des Barons, als erster auf die Kopterrampe, gefolgt von Baron Jetlo Butin selbst und dessen massigen und immer grimmig aussehenden Leibwächter Farank. Alle schienen leicht erhitzt und stiegen mit rötlichen Gesichtern die Rampe herunter. Unten angekommen ließ der Baron durch seinen Berater verlauten:
»Unser Herr und Gebieter, Baron Butin höchst persönlich, erweist Euch die Ehre seines Besuchs und will sofort über den derzeitigen Stand der Dinge informiert werden. Außerdem erwartet er eine Erfrischung und ein persönliches Gespräch mit Minenleiter Sirius Blonk.«
Sirius Blonk, dessen Magen sich unwohl wand, trat vor, verbeugte sich tief und lud die Gäste mit einer ausschweifenden Geste in seinen Container ein.
»Verehrter Baron, Herr über Dasos und andere Welten, wenn ich Euch untertänigst in mein bescheidenes kleines Reich einladen darf. Ich habe bereits Anweisung gegeben, alles für Euch vorzubereiten.«
Der Baron zeigte sich zufrieden, nickte und folgte den Minenleuten in Blonks Gefolge über weitere Rampen und Stege in das großräumige Wohnbüro. Kurz vor dem Eintritt in den Container, trat der Baron zur Seite und ließ Farank, den Leibwächter voran gehen. Dieser ging an Nogi vorbei und betrat den Container mit einem Breitflächenscanner in der linken Hand, während er in seiner rechten eine Laserwaffe hielt. Er schwenkte das Gerät mehrmals durch den Raum und beobachtete dabei die Anzeige seines Armpads.
Blonk staunte über die muskulösen Arme an diesem wuchtigen, muskulösen Körper. Farank schien für alles eine extra große und stabile Ausführung zu haben. Sowohl der Scanner, als auch die Waffe und das Armpad waren überdimensional groß.
Schließlich grunzte Farank, nickte mit seinem halslosen Kopf, trat zur Seite und ließ den Baron und Nogi eintreten. Blonk gab seinen Leuten Anweisung draußen vor der Tür zu warten.
Der Baron setzte sich auf den Grav-Sessel, der sich sofort an sein Gewicht anpasste und schien sich über die auf einer Grav-Theke angerichteten Gaumenfreuden zu freuen, welchen er sich auch sogleich zu wandte. Er schnipste einen Befehl an Nogi, der sofort das Wort an Blonk richtete.
»Informieren Sie uns nun, welche Fortschritte erzielt wurden und wie die zu erwartenden Zahlen aussehen.«
»Sofort Herr.«, erwiderte Blonk in Richtung des Barons und aktivierte einen Datenkristall, der auf einem Sockel mitten im Raum stand. Ein Hologramm wurde aktiv, welches mit Zahlen und Diagrammen eine fast unüberschaubare Menge an Daten auswarf. Blonk deutete mit einem Beamstick hierhin und dorthin und erklärte die Tabellen, Diagramme und Bilder. Er versuchte dabei einen möglichst fundierten Eindruck zu hinterlassen. Doch die Aufmerksamkeit des Barons war schnell abgeebbt und so wandte er sich schließlich selbst an Sirius Blonk.
»Ist gut, ist gut! Ich habe die meisten Daten bereits auf dem Weg hierher im Kopter studiert und bin bereits über das Wichtigste im Bilde. Doch nun zum eigentlichen Punkt, warum ich hier bin. Sag mir, Sirius Blonk, ich hörte, dass es bei deinen Leuten einen gäbe, der ein besonderes Gespür für Gesteine und Mineralien aller Arten besitzen soll. Ist dem so?«
Blonk wurde kalkweiß und schluckte. Dann nickte er vorsichtig.
»Ja Herr. Es handelt sich um meinen Neffen Josef. Josef Nagal. Er ist Mineraloge und arbeitet unter Aljanka Voiticz«
Butin sah zu Leilo Nogi, welcher ihm schweigend zunickte und sich dann schließlich mit Farank aus dem Container zurück zog.
Butin bediente sich an der Theke und stopfte sich noch ein buntes Honiggebäck in den Mund. Er sah Blonk an und begann mit noch vollem Mund zu sprechen.
»Ich will, dass er unverzüglich hier erscheint. Gib entsprechende Anweisung und erzähle mir in der Zwischenzeit mehr über deinen Neffen Josef Nagal.«
Blonk schluckte mit einem vernehmlichen Knacken. Seine Kehle war mit einem Mal ausgetrocknet.
»Wie Ihr wünscht, Herr. Er müsste schon in der Siedlung eingetroffen sein, da die Vorbereitungen für die Terminalbohrung bereits abgeschlossen sind und man nur noch auf meinen Befehl wartet.«
Blonk ging an sein Com Terminal und tat wie ihm der Baron befohlen hatte. Der Baron beschäftigte sich derweil mit den Köstlichkeiten und forderte Blonk anschließend mit einem Wink auf, ihm von Josef Nagal zu berichten.
* * *
Josef Nagal war erst vor wenigen Stunden im Minenlager angekommen und war gerade dabei, sich in seiner Wohneinheit einzurichten. Er hatte sich in der letzten Mine, in der Nähe der Stadt Pagua, von einem Fund in einem der Minenschächte aufhalten lassen. Es schien sich um urzeitliche Fossilien zu handeln. Und da man über die Entstehungsgeschichte von Dasos noch nicht viel wusste, hatte er die Gelegenheit genutzt, um sich die Funde selbst anzusehen. Doch die Zeit spielte gegen ihn und er konnte nicht mehr tun, als einen Blick darüber schweifen zu lassen, denn die Erschließung dieser Mine hier stand bevor. Und er wollte seinen Onkel nicht erzürnen. Schließlich hatte er es nur ihm zu verdanken, dass er in den butinischen Minen arbeiten durfte.
Er hatte es auch dem guten Willen seines Onkels zu verdanken, dass er eine Einzel-Wohneinheit zur Verfügung hatte, während die meisten anderen Minenarbeiter in großen Mehrbettzimmern wohnen mussten. Das bot ihm die Gelegenheit auch trotz des Verbotes hin und wieder mit Leandra Sneider intim zu werden. Sie arbeitete als Sachbearbeiterin im Büro seines Onkels und war ihm von der ersten Minute an sehr zugetan. Sie hatten eine sehr innige Beziehung, auch wenn sie es nicht nach außen hin zeigen durften. Und doch wussten die meisten Bescheid. Sie waren auch nicht die einzigen, die eine solche Beziehung unterhielten.
Josef hatte gerade seine wenigen Habseligkeiten eingeräumt, als seine Com-Einheit summte. Er blickte auf sein Armpad und sah das Symbol der Minenleitung aufleuchten. Sein erster Gedanke tippte auf Lea, die wohl erfahren hatte, dass er angekommen war. Doch dann sah er die Ziffer 1 hinter dem Symbol und er wusste, dass sein Onkel versuchte ihn zu erreichen.
Er seufzte, strich sich durch sein braunes, halblanges Haar und aktivierte das Com.
»Hallo Onkel Sirius. Du scheinst mich vermisst zu haben.«
Doch sein Onkel antwortete schnell und hoch formell.
»Hallo Josef. Unser Herr, Baron Butin beehrt uns mit seinem Besuch und...«
»Ja, ich habe vorhin den Kopter gesehen. Was...«, setzte Josef an, doch sein Onkel unterbrach ihn und sprach weiter.
»Und er will mit dir sprechen. Du sollst unverzüglich hier in meinem Büro erscheinen.«
Josef lief es eiskalt über den Rücken und er beeilte sich seinem Onkel zu antworten.
»Ich bin schon auf dem Weg und werde sofort da sein.«
Josef durchlief eine Schockwelle. Der Baron wollte ihn sprechen. Er machte sich sofort auf den Weg und versuchte sich dabei vergeblich auszumalen, warum der Baron ausgerechnet mit ihm sprechen wollte. Hatte er sich etwas zu Schulden kommen lassen? Oder war er irgendwie anders aufgefallen und in jemandes Missgunst geraten? Vielleicht wegen Lea? Oder wollte der Baron ihn etwa für sich? Verdammt. Alles nur das nicht. Josef waren schon so manche Gräueltaten des Barons zu Ohren gekommen. Er verließ sein Unterkunft und lief strammen Schrittes über die Stege direkt das Büro seines Onkels ansteuernd. Dann sah er Voiticz und Klurr zusammen mit diesem bulligen Wächter und dem verschlagenen Berater vor der Tür stehen. Sein mulmiges Gefühl schlug in leichte Panik um.
»Josef Nagal?«, fragte Nogi ihn beim Näherkommen. Josef antwortete mit einem devoten Nicken.
»Folgen Sie mir.«, sagte Nogi knapp.
Er ging voran und öffnete die Tür zum Büro, blieb dann aber stehen und sah zu Farank. Dieser hatte sich bereits mit seinem Scanner in Position gebracht und begann nun Josef abzutasten. Er grunzte wie vorher im Büro, schritt zur Seite und ließ Josef passieren.
»Herr, Blonks Neffe ist soeben eingetroffen.«
Nachdem Josef eingetreten war, wurde die Tür von außen geschlossen. Josef sah seinen Onkel aus dem Augenwinkel steif an seinem Schreibtisch stehen und trat auf ein Zeichen des Barons, in angemessenem Abstand vor ihn und verbeugte sich.
»Herr, es ist mir eine Ehre vor Euch treten zu dürfen. Mein Name ist Josef Nagal.« Mehr bekam er nicht heraus. Ein Klos verstopfte ihm die Kehle. Er schluckte schwer und sah den Blick des Barons, ihn von oben bis unten taxierend.
Mit einem Blick gab der Baron seinem Berater einen weiteren Befehl, welchen dieser sofort ausführte. Er nahm ein kleines Gerät aus seiner Jackentasche hielt es etwa auf Brusthöhe vor sich und aktivierte es. Dann ließ er es los und es schwebte in der Luft. Genau zwischen dem Baron und Josef. Dann stieg es etwa einen halben Meter höher und schien zu expandieren. Es baute aus sich heraus ein Schutzfeld auf, das Blonk und Nogi ausschloss und nur den Baron und Josef einschloss.
Nogi forderte Blonk auf, ihm aus dem Büro hinaus ins Freie zu folgen.
»Aber..., was geschieht jetzt?«, fragte er besorgt.
»Nichts, das Sie etwas angeht.«, antwortete Nogi und geleitete Blonk mit Nachdruck nach draußen.
Nach etwa 10 Minuten öffnete sich die Tür und Josef erschien mit einem, für seinen Onkel nicht deutbarem Blick. Butin folgte kurz darauf und gab seinem Berater ein Zeichen.
»Lasst die Köstlichkeiten in den Kopter bringen. Die werden mir den Rückweg etwas versüßen.«
Nogi sprach in sein Com und gab entsprechende Anweisungen. Kurz darauf kamen Bedienstete des Barons aus dem Kopter und schafften die komplette Grav-Theke fort.
Der Baron wendete sich an Sirius Blonk.
»Nun, wie ich hörte, steht die Terminalbohrung kurz bevor. Dieses Spektakel möchte ich mir gerne selbst ansehen.«
»Sehr gerne Herr. Wenn Sie mir bitte folgen würden.« Blonk ging gemessenen Schrittes vor. Die gemischte Gesellschaft folgte ihm zu einem großen Grav-Board, das für den Transport der Arbeitskolonnen von Minenarbeiter und größerer Lasten genutzt wurde. Blonk bezog Stellung an der Steuerkontrolle. Der Baron stellte sich breitbeinig neben die Kontroll-Konsole und hielt sich fest. Leilo Nogi und Farank bezogen rechts und links von ihm Stellung. Als die Anderen ebenfalls aufgestiegen waren aktivierte Blonk das Sperrfeld, das Fahrgäste vor dem Herunterfallen schützte. Dann fuhren sie los.
Das Board schwebte durch eine Schneise im Baumbestand auf die große Lichtung zu. Die Luft war kühl und frisch und roch nach Nadelwald. Zu beiden Seiten der Schneise, lagen die abgesägten Baumstämme auf Poldern. Es waren erstaunlich dicke Stämme, die so aufgestapelt wie ein Schutzwall wirkten. Der Boden war mit einer dicken Schicht blutroter Holzspäne und Häckselmaterials dieser besonderen Baumsorte bedeckt. Das Holz der Blutfichte war, wegen der besonderen Farbe und Maserung, auf vielen Planeten sehr begehrt.
Am Rande der großen Lichtung angekommen, ließ Blonk das Board an einem Turm entlang aufsteigen, bis er es auf einer Rampe in fast achtzig Metern Höhe zum Stehen brachte und andockte. Sie entstiegen dem Board und begaben sich in den dortigen Kontrollraum.
Vollgestopft mit Technik und Steuerkonsolen und bar jeglichem Komfort, dafür aber mit einem großen Panoramafenster versehen, welches direkt auf den Bohrturm ausgerichtet war, stand hier die externe Steuereinheit des Bohrturms. Auf dem Hauptdisplay war eine schematische Darstellung des Bohrturms zu sehen. An einigen Punkten waren Daten eingeblendet und Statusanzeigen die allesamt grün leuchteten. Also waren die Kontrollen frei gegeben und der Startvorgang des Lasers stand bevor.
Farank war sehr nervös und versuchte bei der vielen Technik gar nicht erst seinen Scanner einzusetzen. Ein Scan hätte hier sowieso keinen Erfolg erzielt.
Sirius Blonk tippte einen Code in das große Display und aktivierte die Sirene, die den unmittelbar bevorstehenden Start des Lasers ankündigte. Dann sah er sich um und richtete das Wort an den Baron.
»Herr, wollt Ihr uns die Ehre erweisen und den Laser persönlich Starten?«
Der Baron trat, ohne sichtliche Gefühlsregung, nach vorne an die Kontrolleinheit und betätigte das Kontrollfeld, auf das Blonk wies.
Zuerst tat sich nichts. Nach einigen Sekunden jedoch, war ein leises, immer lauter werdendes Summen zu hören, welches auf das Hochfahren des Fusionsreaktors hinwies. Als das Summen seinen Höhepunkt erreicht hatte und man sogar ein leichtes Vibrieren wahrnehmen konnte, zeigte Blonk auf ein erst jetzt grün leuchtendes Feld im Kontrolldisplay. Der Baron betätigte es mit dem fettigen Daumen seiner linken Hand und sah erwartungsvoll aus dem Fenster.
Es gab einen lauten Knall als der Laser startete und die ganze Umgebung in rosafarbenes Licht tauchte. Als sich die Leistung langsam erhöhte, wurde aus dem Leuchten ein Gleißen, was Dank der sich selbst abtönenden Panoramascheibe stark abgemildert wurde. Aus dem Rosa wurde ein Violett, als der Laser seine volle Kapazität erreichte. Riesige Dampfschwaden wirbelten um den Bohrturm und das entstehende Bohrloch. Sie wurden unter Anderem vom aktiven Kühlsystem ausgestoßen, der größte Teil jedoch war das durch den Laser verdampfende Material.
Schließlich kam eine Meldung aus dem Com des Kontrollraumes, die besagte, dass die erforderliche Bohrtiefe in wenigen Minuten erreicht sei. Der Turm war fast schon nicht mehr zu sehen hinter all dem Dampf, als das Getöse, das Fusionsgenerator, Bohrlaser und Kühlsystem verursachten, mit einem Mal aufhörte. Zu hören war dann nur noch das Zischen des Nachkühlsystems, das die Lasereinheit herunter kühlte.
Es war vollbracht. Der Hauptschacht einer weiteren Mine war gebohrt. In wenigen Stunden würden der Bohrturm und das Bohrloch so weit abgekühlt sein, dass man die Fertigbauteile des Schacht-Gerüstes Stück für Stück in die Tiefe ablassen konnte. Automatische Robo-Einheiten würden Anker in die zu Glas geschmolzenen Schachtwände schießen um die Laufschienen anzubringen. Dann konnte der Abbau der Rohstoffe, hauptsächlich des Lightiums beginnen.
Doch davon würde der Baron nichts mehr mitbekommen. Viel mehr interessierte ihn auch nicht, solange alles glatt verlief und es keine besonderen Vorkommnisse gab. Wichtig waren nur die Gewinne, die aus dem Geschäft mit dem Lightium entstanden. Etwa eine halbe Standartstunde später befand sich Baron Jetlo Butin mitsamt Gefolge wieder in seinem Kopter und auf dem Heimweg.
»Kannst oder willst du mir nicht sagen, was das alles zu bedeuten hatte?«, fragte Sirius Blonk seinen Neffen, als sie wieder in dessen Büro waren.
»Ich kann es dir leider nicht sagen. Das Einzige, das ich dir sagen kann, ist, dass mich der Baron in Kürze zu einem, wie er sich ausdrückte, 'Spezialprojekt' abziehen wird.«
Josef sah seinen Onkel betrübt an und seufzte. Dieser hatte den Blick gesenkt und tippte schließlich auf seinem Pad herum.
»Leg dich noch ein bisschen hin. Deine Schicht beginnt in sechs Stunden. Aber sieh zu, dass du auch ein wenig Schlaf bekommst.«, sagte er grinsend.
»Danke Onkel Sirius«, sagte er und schwang sich aus dem Büro hinaus.
»Und nenn' mich nicht immer Onkel.« rief dieser ihm hinterher. Doch dass hörte Josef schon nicht mehr. Er hatte den Wink seines Onkels verstanden und lief schnellen Schrittes zu seiner Wohneinheit. Als er den Türcode eingab, war er bereits aufgeregt und hatte die Begegnung mit dem Baron schon fast vergessen.
Aber nur 'fast'.
Als er die Tür öffnete und eintrat, nahm er schon Leandras Duft war und warf sich mit Anlauf neben die große Wölbung in seinem Bett...
Auf Karnak gab es nur einen großen Kontinent, den man im Gedenken an die alte Erde Terrania genannt hatte. Rund um diesen riesigen Kontinent gab es vereinzelte Inseln, die allerdings kaum von Interesse waren, da es sich meist um kleine Lavabrocken handelte. Nur wenige Atolle und Riffinseln waren unter ihnen. Etwa sechzig Prozent der Landfläche Terranias bestand aus Wüste und Steppe. Im Zentrum des Kontinents befanden sich hunderte kleinerer und größerer Oasen, in denen sich Mensch und Tier angesiedelt hatten. Aus dem Weltraum betrachtet, sahen die vielen kleinen bewohnbaren Flächen fast wie eine zusammenhängende große Fläche aus, mit zum Teil großen Süßwasseroasen und üppiger Vegetation durchzogen.
Der Hauptwohnsitz der Regentenfamilie Primus befand sich an der größten Oase, etwas nördlich vom Zentrum Terranias, ein großes Anwesen am Rande der Siedlung Alexandria.
Alexandria genannt zu Ehren der Begründerin Alexandra Primus, die vor vier Generationen hier mit einem privat finanzierten Saatschiff von der Erde eintraf. Eines der ersten Schiffe das mit Hilfe der Wurmlochtechnik einen solch weiten Sprung ins kalte Wasser gewagt hatte. Und mit ihr kamen fast zweihundert Familien auf diesen einzigartigen Planeten. Die Besiedlung einer neuen und wunderschönen Welt hatte begonnen. Bald wurde Karnak zu Ihrer Heimatwelt.
Limar Primus, der älteste Sohn des Herzogs Agal Primus, war gerade von der Jagd nach Basshühnern zurückgekehrt und parkte sein Solarmobil im großen Vorhof neben weiteren Solarmobilen. Dort koppelte er es an die Energieanlage an, wo es dazu beitrug, mit seiner Solarfläche Energie für die Versorgung des Anwesens und der Siedlung zu produzieren. Auf dem Weg in den Innenhof sah er an sich hinunter, klopfte sich seine staubige Kleidung ab und trat durch das Tor. Im Innenhof war es glücklicherweise deutlich kühler, als draußen in der Steppe.
Die Pego-Palmen mit ihren dicht stehenden Palmwedeln beschatteten den Hof und ein Brunnen sorgte für eine leichte Abkühlung der Luft. Nach der staubigen und heißen Tour in der Steppe draußen, freute sich Limar über das angenehme Klima und ging zu einer der älteren Pego-Palmen um sich eine Lita Frucht zu ernten. Lita Früchte waren blasenartige Auswüchse am Stamm der Pego-Palmen. Sie waren gefüllt mit fruchtigem, leicht süßlich schmeckendem Saft, der aussah wie klares Wasser und auch hauptsächlich daraus bestand.
Er durchstieß mit seinem Daumen die dünne Haut zwischen den harten Lamellen der Frucht und trank genussvoll. Es war eine kleine Frucht, die er mit fünf großen Schlucken leer trank. Dann schüttelte er die letzten Tropfen ab und nahm den leeren Fruchtkörper mit, um ihn auf einer der Fensterbänke zum Trocknen hinzulegen. Seine Schwester Paula würde sich freuen, da sie aus den getrockneten leeren Früchten gerne Himballa-Puppen bastelte. Obwohl sie mit 28 Jahren eigentlich schon aus diesem Alter heraus war. Die Puppen schenkte sie den Kindern der Angestellten, welche sie dann auf dem Wochenmarkt für einem kleinen Obolus verkauften. Diesen wiederum legten die Kinder meist umgehend in Süßigkeiten an.
Als Limar schon fast die Haustür erreicht hatte, wurde diese von innen geöffnet und Agal Primus trat ihm lächelnd entgegen. Wenn sein Vater so versonnen lächelte, hatte er sich meist die Holoalben angeschaut. Seit dem Tot seiner Frau Hild, blieben ihm nur noch die Holofilme und -bilder, die ihm die wundervolle Zeit mit seiner geliebten Frau wieder zurück brachten. Von Zeit zu Zeit vermisste er sie sehr. Limar ging es da nicht anders. Auch er und Paula vermissten ihre Mutter sehr.
Hild Primus, geborene Noric, war während eines Landeanflugs, bei der Rückkehr von der Wissenschaftstation auf Karnaks Mond Lhinnea verunglückt. Es war so tragisch und kam so plötzlich, dass alle Terranier erschüttert waren und tiefste Trauer empfanden. Besonders traf es natürlich die Familien Noric und Primus.
Hild war durch und durch Wissenschaftlerin und hatte ihre Freiheit gebraucht, um ihre Neugier zu befriedigen. Deshalb hatte sie sich dem wissenschaftlichen Team um Doktor Talhi Sung angeschlossen. So sehr sie ihre Familie liebte, so sehr trieb sie der Forscherdrang nach neuen Entdeckungen und Erkenntnissen. Als die ersten Genofol-Daten eintrafen, verbrachte sie mehr Zeit auf Lhinnea als bei ihrer Familie.
Einmal, als sie zurück kam, sprach sie nur noch von den ausgewerteten Daten und die, für sie völlig unumgängliche Forschungsreise nach Genofol. Sie plapperte und plapperte. Irgendwann hielt sie inne und führte Selbstgespräche, in denen es um eine Lösung für ein Problem mit der auf Genofol herrschenden Energie absorbierenden Problematik ging. Keiner verstand so recht was sie damit sagen wollte. Als die Familie sich zum Abendessen im Innenhof versammelte, kam sie erst richtig zu Hause an und genoss wieder den Kreis ihrer Familie.
Agal schien sichtlich erfreut seinen Sohn anzutreffen. Er schaute an ihm herab und stellte fest, dass er mit leeren Händen kam.
»Na, mein Sohn. Hattest wohl soviel Erfolg auf der Jagd, dass du deine Beute im Wagen gelassen hast?«
Limar grinste und sparte sich eine Antwort, da er wusste wie sein Vater das gemeint hatte.
Agal deutete seinem Sohn mit seinem Stock, in Richtung des Brunnens zu schlendern. Dort saß er gerne auf der Bank und genoss die leichte Abkühlung.
»Nicht wirklich, Vater. Die Basshühner scheinen sich schon in ihre Kolonie an der deutschen Oase zurückgezogen zu haben. Die Brutzeit beginnt dieses Jahr wohl etwas eher«
Basshühner waren von der Größe her vergleichbar mit irdischen Truthähnen. Bodenlebende, vogelartige Tiere mit einer gewissen Ähnlichkeit zu irdischen Hühnern. Eine auf Karnak natürlich vorkommende Tierart die nur in größeren Stückzahlen anzutreffen war. Zudem eigneten sie sich hervorragend zur Nahrungsmittelergänzung.
Die nächste Kolonie, von Alexandria aus gesehen, lag nahe der nordöstlich gelegenen, von den meist deutschstämmigen Kolonisten so genannte, deutsche Oase. Dort fanden die Basshühner für die Brut bestens geeignete Bedingungen vor.
Am Brunnen angekommen, setzten sich die beiden in den Schatten einer Pego-Palme.
»Na, welch ein Glück, dass wir nicht auf deine Jagdkünste angewiesen sind. Pedro hat mir heute Morgen erzählt, er hätte gestern mit seinem Vetter in den Kaktushügeln zwei Stück erlegt.« Agal schmunzelte und grinste seinen Sohn schief an. »Ich konnte ihn überreden, mir eines für heute Abend zu überlassen.«
Dann sah er von Limar zum Brunnen und seufzte. »Wir werden Besuch haben. Salis Penk, Doktor Sungs rechte Hand wird heute von Lhinnea eintreffen. Er wollte etwas mit uns besprechen, und ich habe ihn zum Abendessen eingeladen«
Limar bekam ein unbestimmtes komisches Gefühl im Magen und nickte. Obwohl er die Familiengeschäfte bereits offiziell übernommen hatte, war es doch Agal der noch eine Menge Fäden in den Händen hielt. Aber er hatte auch die größere Erfahrung und Limar war sehr dankbar für seine Hilfe. Außerdem wusste Limar, wie wichtig es seinem Vater war, weiterhin
Publisher: BookRix GmbH & Co. KG
Images: Carsten Przygoda_pixelio.de
Publication Date: 10-28-2013
ISBN: 978-3-7309-5818-6
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