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Manchmal ist es

 

MANCHMAL ist es …

Manchmal ist es etwas etwas mehr

 

Wenn aus einer neuen Freundschaft mehr wird.

Wenn ein Abend alles ändert.

Wenn dieser eine Mensch einen so ansah und das Innerstes lesen konnte wie kein zweiter.

Das war alles so nicht geplant. Was plant die Liebe schon?

Das auftauchen des Ex, Aufgewühlte Gefühle. Der Vorschlag eines Kurztrips an die Nordsee. Der Kampf mit sich selbst und den neuen Gefühlen, die sie überforderten. Aber da war viel mehr zwischen diesen beiden Frauen.

Ihre Körper lagen eng und atemlos beieinander. Emma ließ ihre Finger sanft über Caros Brüste gleiten. Die ihr wiederum tief in die Augen schaute. Keine von beiden redete ein Wort. Die letzten Stunden waren mit Lust und Leidenschaft geladen…

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

Manchmal ist es etwas etwas mehr

1.

Die kleine Seitenstraße, nahe dem Zentrum der Stadt, war wie immer belebt. Emma trat vor das Wohnhaus und stand vor dem kleinen Café, welches sie aus einer spontanen Eingebung heraus eröffnet hatte, als sie vor einigen Jahren das Haus erwarb.

Sie liebte diesen kleinen Fleck, hier inmitten der Großstadt. Nach der Sanierung bezog sie die oberste Etage.

Schnell wurde das Café zu einem beliebten Anlaufpunkt für die Bewohner und Ladenbesitzer in der Straße.

Emma schüttelte sich, in freudiger Erwartung einzutreten. Ihre Auszeit hatte ihr gut getan. Die letzten Jahre war das Thema Arbeit an erster Stelle. Sie hatte bereits viel von der Welt gesehen. Mit 34 zog sie einen Schlussstrich unter dieses Kapitel und wagte den Sprung in die Selbstständigkeit. Sie gründete ihre eigene Immobilien-Firma, die seit ihrer Eröffnung gut florierte.

Privat sah es hingegen anders aus. Seit einer unschönen Trennung suchte sie eher unvergängliche Abenteuer. Die meiste Zeit beließ sie es bei zwanglosen Verabredungen. Das Bedürfnis nach etwas festem und engstem war ihr schmerzlich vergangen. Ihre wahren Gefühle zeigte sie nur wenigen Menschen. Sie ging mit den Frauen immer ehrlich um, bevor sich mehr entwickeln konnte. Ihre kleinen Abenteuer waren nicht nur Bettgeschichten und verletzen wollte sie schon gar keinen.

Emma war immer noch in Gedanken. Sie musste über sich selbst schmunzeln. Aus drei Wochen Erholung wurden drei Monate mit dem Motorrad quer durch Europa. Ein kleines Abenteuer in Mitten der Wintermonate. Sie besuchte Freunde aus Kindertagen und aus der Studienzeit. Sie wusste ihre Firma in fähigen Händen. Einige ihrer Mitarbeiter und sie Verband eine enge Freundschaft. Alle freuten sich, als aus jedem Land kleine Pakete ankamen.

Als sie die Tür des Cafés öffnete kam ihr der verführerische Duft nach frisch gebackenem Kuchen und Kaffee entgegen. Sie hatte es vermisst, bemerkte sie beim eintreten.

Ihr Blick ging kurz zu Rico, der sich mit einer jungen Frau an einem der Fenstertische unterhielt. Sie hob ihre Hand zu einem kurzen Gruß. Pablo grüßte sie, als sie an die Theke trat. Er reichte ihr den dicken Stapel Post, mit dem sie Richtung Büro verschwand.

***

„Ich hätte doch irgendetwas bemerken müssen.“ Caro sah kurz aus dem Fenster. Rico merkte, dass es ihr nicht gut ging. Rico trank einen Schluck Tee und schob seiner besten Freundin die andere Tasse hin.

Er hatte geahnt, dass etwas nicht stimmte. Sie wirkte durcheinander, beim Betreten. Er kannte sie lang genug und wusste, sie zu drängen wäre das Falsche gewesen.

Etwas zögerlich begann sie zu erzählen. Innerlich jubilierte er, endlich war es aus zwischen ihr und Eric. Er mochte ihn noch nie. Diese Meinung vertrat nicht nur er. Caros Eltern könnten ihm genauso wenig abgewinnen.

Er hörte ihr aufmerksam zu, so waren Freunde nun einmal. Dennoch machte es ihn fassungslos, dass Caro bereits seit einer Woche in einem Hotel wohnte.

Caro hing kurz ihren Gedanken nach. Rico sah kurz zu Emma, die endlich aus ihrem Urlaub zurück war. Sie sah erholt aus.

***

Caro dachte gerade an den Moment zurück, als sie von Arbeit nach Hause kam. Eric saß auf der Couch. Sie waren zu diesem Zeitpunkt fünf Jahre zusammen. Kurz nach dem Studium hatten sie sich kennen gelernt. Das was er zuerst stammelte und in abgehackten Sätzen von sich gab, kam bei Caro nur durch einen Nebelschleier an. Und das was er sagte hatte nichts mit ihrer gemeinsamen Zukunft zu tun. Er wollte die Trennung aus irgendwelchen banalen Gründen. Caro konnte sich dies nicht weiter anhören. Schnellstmöglich packte sie das Nötigste und verließ die Wohnung. Bald wollte sie ihre anderen Sachen holen.

Auf Arbeit verhielt sie sich normal. Helmut durchschaute sie dennoch. Ihren Eltern musste sie noch von der Trennung erzählen. Das Verhältnis war eh unterkühlt. Laut ihren Eltern war Eric ein selbstverliebter Schnösel. Es stimmte schon, seine Arbeit ging immer vor. Ihre Beziehung kam ohne große Konflikte aus. Wenn sie jetzt darüber nachdachte, hatte sie ihre Bedürfnisse immer hinten angestellt und es einfach akzeptiert.

Jetzt saß sie hier, mit ihren dreißig Jahren und öffnete sich ihrem besten Freund. Ihre Gedanken fuhren seit Tagen ununterbrochen Achterbahn.

Sie musste schmunzeln, als Rico sie in seiner so eigenen Art zu trösten. Sie liebte ihn dafür. Und seine Zurückhaltung in Sachen Eric. Kaum einer ihrer Freunde kannte Eric wirklich.

„Die rosarote Brille hat fliegen gelernt.“

„Ich weiß gerade nicht, wo mir der Kopf steht. Mein Zeug muss aus der Wohnung und ich brauche eine Wohnung.“ Sie merkte selber, dass die Frohnatur abhanden gekommen war.

„Du kannst auf unserem Sofa schlafen.“ Rico grinste über das ganze Gesicht.

„Danke. Ich komm vielleicht darauf zurück. Im Hotel zu wohnen ist keine Dauerlösung.“

 

2.

 

 

Rico saß immer noch da und unterhielt sich mit der Blondine. Emma musterte sie, als sie das Büro verließ. Sie war in seinem Alter, hatte eine süße Nase und wunderschöne Lippen. Emma sah in ihren Augen, dass sie betrübt war.

„Entschuldigung.“ Emma zeigte ihre warmherzige Art und überreichte Rico einen Kuvert.

„Was ist das?“ Er sah Emma skeptisch an.

„Mach auf!“ Emma ließ den Schalk, in ihrem Gesicht, aufblitzen. Sie grinste. Zögerlich zog Rico einige Blätter aus dem Umschlag. Seine Augen wurden immer größer, bis er ohne Vorwarnung aufsprang und Emma stürmisch umarmte. Von Emma kam nur ein Uff.

Er sah sie ungläubig an. „Das … das. Wow.“

Emma verkniff sich ein Lachen, wegen seines Gestammel.

„Wir müssen noch einiges klären.“

Rico schüttelte immer wieder den Kopf. Seine Augen sahen abwechselnd auf die Seiten und zu Emma. Emma blickte zu der Frau, die sie schmunzelnd beobachtete. Rico umarmte sie erneut und gab ihr einen feuchten Kuss, auf die Wange.

„Bin gleich zurück.“ Ohne ein weiteres Wort verschwand er Richtung Personalraum, fasst rannte er eine der Kellnerinnen um. Sie bekam ebenfalls einen Kuss, bevor er jubelnd weiter lief. Die verwirrte Ella sah zu Emma, die sich vor Lachen den Bauch hielt.

„Ihr kennt ihn doch.“ Sie zwinkerte Ella zu. Diese grinste nur wissend und schüttelte den Kopf. Emma widmete sich wieder der jungen Frau.

„Hallo ich bin Emma.“ Emma grinste und reichte ihrer gegenüber die Hand.

***

Caro sah in zwei neugierige und freundliche Augen. Sie konnte auch den Schalk dahinter erkennen. „Caro, freut mich. Was war das gerade?“

Sie merkte, dass sie lächeln müsste. Kleine Lachfältchen machten ihr ihre gegenüber noch sympathischer. Sie war definitiv etwas älter. Emmas Berührung war warm. Langsam zog sie ihre Hand zurück und versuchte sich zu konzentrieren.

„Kennen sie seine Leidenschaft?“ Emma setzte sich auf Ricos Platz. Caro tat es ihr gleich. Sie spürte Emmas Körperwärme.

„Er liebt das Theater und Singen.“

„Genau. Er hatte sich, bei einer Privatschule, für einem Intensivkurs beworben und wurde angenommen. Leider wurde ihm keine Förderung zugesagt. Seine Tochter hat mir davon erzählt. Er selbst hat sich nicht getraut. Jedenfalls ermögliche ich ihm, mit einem Stipendium, die Teilnahme. Es ist mein vorgezogenes Geburtstagsgeschenk und auch Eigennutz.“ Emma führte nicht weiter aus woraus der Eigennutz bestand.

„Das klingt wunderbar. Er liebt das Theater.“ Caro wusste, dass die Teilnahme nicht billig war.

Sie redeten. Rico kam einige Minuten später freudestrahlend aus der Umkleide.

Ihm fiel auf, dass Caro lockerer wirkte. Er dankte Emma innerlich.

„Na, schon Nummern getauscht?“ Neckte er.

„Ist das nicht dein Spezialgebiet?“ Konterte Emma gelassen.

Caro amüsierte sich über das kurze Geplänkel und konnte sich vor Lachen kaum halten. Rico stupste Emma gegen die Schulter. Caro redete eher zu sich selbst, als zu den beiden in nächsten Moment. „Wenn sie nicht gerade eine Idee hat, wie man schnellstmöglich an eine neue Wohnung kommt, noch nicht.“ Kam es eher sarkastisch, als optimistisch.

Emma legte den Kopf leicht schräg und sah ihre gegenüber an. „Zufällig schon.“ Zwei Augenpaare blickten sie verdutzt an.

„Wie das?“ fand Rico, als erster seine Sprache wieder.

„Sogar hier. Über dem Café. Mittelgeschoss. Frau Schubert ist ausgezogen. Sie ist mit ihrem Mann auf Weltreise. Ihre Sachen sind auf den Weg nach Frankreich. Du hast wieder mehr mit den weiblichen Gästen geflirtet, als dies zu bemerken.“ Emma verdrehte die Augen und warf ihre Arme in die Luft.

Eine leichte Röte bildete sich bei Rico. „Keine Ahnung wovon du sprichst.“ Rico schaute Caro an. „Caro, du suchst was Neues.“

„Ja, aber...“ Caro riss ihre Augen auf.

„Was aber? Papperlapapp.“ Unterbrach sie Rico. „Emma zeigt sie dir bestimmt.“ Rico hakte sich bei Emma ein und klimperte mit den Augen. Emma musste losprusten. Rico gab Caro keine Chance noch etwas zu sagen.

„Von mir aus, anschauen kostet ja nix. Und irgendwo muss ich beginnen“, meinte Caro schulterzuckend. Rico hatte ja Recht, besser als ewig im Hotel oder auf seinem Sofa schlafen zu müssen. Sie wusste das Renée und er nichts dagegen hatten. Ihre Gastfreundschaft zu strapazieren war aber auch kein Plan.

Er zog Caro vom Sessel. „Los anschauen gehen! Hopp! Dann hättest du schon einen Abwasch hinter dir.“

„Jawohl, Herr General. Du willst mich wohl loswerden, bevor ich eure Couch besetze? Du bist mir ja ein Freund.“ Caro nahm ihre Tasche und knuffte Rico. Emma lächelte, über die kleine Stichelei. Caro wandte sich an Emma.

„Geht das wirklich?“

„Klar. Die Schlüssel hab ich zufällig dabei.“ Emmas Blick ging zu Rico. „Du mein lieber tust jetzt arbeiten. Draußen sitzen Gäste.“ Sie sagte es neckisch zu ihm.

„Wer ist hier nochmal der General? Und hey, ich bin nicht nur ein Freund, eher der allerbeste Freund den es geben kann.“ er schaute Caro schelmisch an, eh sein Blick zu Emma wechselte. Emma musste sich ein Lachen verkneifen. Kurz darauf ging er zur Theke.

***

Emmas Aussage stimmte vollkommen. Das Café füllte sich. Emma grüßte einige Gäste.

Caro war schon einige Male im `Kiez-Käffchen´. Ricos Chefin hatte sie aber noch nie gesehen. Rico arbeitete seit der Eröffnung hier. Emma schien eine angenehme Chefin zu sein und dazu spendabel. Sie kannte niemand, der jemand so eine Chance ermöglichte. Auch gefiel ihr der familiäre und freundschaftliche Umgang. Auch die Straße hatte etwas. Mann fand alles, einen Bäcker, einen Gemüsehändler, einen kleinen Lebensmittelhandel und zwei Restaurants. Caro fühlte sich nicht mitten in der Großstadt. Der Straßenzug hatte sich gemausert. Anstatt die alten Häuser abzureißen, wurden sie aufwendig saniert.

Rico hatte ihr viel erzählt. Nachbarschaftshilfe gehörte genauso dazu, wie das jährliche Straßenfest und der kleine Weihnachtsmarkt. Im Café gab es hausgemachten Kuchen und Torten. Gerne wurden Anregungen für neue Rezepte entgegen genommen. Abends gab es frische Salate, Quiche und Flammkuchen in allen Variationen. An heißen Sommertagen saßen die Leute bis weit in die Nacht vorm Laden, tranken, unterhielten sich und genossen die angenehme Atmosphäre. Drinnen luden gemütliche Sitzecken zum plaudern ein. In einer befand sich ein Büchertauschregal und eine große Pinnwand. An der großen Theke standen Barhocker. An einigen Tagen im Jahr gab es kleine Veranstaltungen von Musik, über Komödie, Lesungen, sogar Kochkurse, Backkurse und mehr.

Caro blickte zum Himmel. Es war Anfang März und das Wetter zeigte sich von seiner wunderschönsten Seite. Kaum zu glauben, dass vor zwei Wochen noch Schnee lag. Die Sonnenhungrigen saßen auf der Terrasse und ließen sich von der Sonne anstrahlen.

Emma blieb an einer Doppeltür stehen. Es war wirklich nur ein Katzensprung. Zwei Pinscher kamen aus dem Eingang, als Emma gerade öffnen wollte. Sie sprangen an Emma hoch, solange bis sie sich hinkniete und sie streichelte.

„Guten Tag Misses und Mister Bean.“ Emma sah nach oben. „Hallo Herr Schreiber.“ Sie reichte ihm die Hand. Caro musterte den älteren Herrn. Er trug einen rotkarierten Maßanzug und dazu passende dunkle Schuhe. Adrett. Extravagant.

„Hui. Schön sie wieder zu sehen. Aus dem Urlaub zurück? Wie war es denn? Sie müssen unbedingt alles erzählen! Und Bilder! Das mit Frau Schubert ist ja auch so ein Ding.“ Er legte los, ohne Luft zu holen. Die Hunde zogen an ihren Leinen. „Sie müssen entschuldigen. Wir sehen uns sicher im Café.“

„Bestimmt Herr Schreiber.“

Er beäugte noch kurz Caro, grüßte und ging mit seinen Hunden sie Straße Richtung Park.

Emma ließ Caro den Vortritt und schloss die Tür hinter ihnen.

„Ich durfte vorstellen, unsere hauseigene Nachrichtenanstalt. Herr Schreiber weiß über alles und jeden im Umkreis von einem Kilometer bescheid. Er war früher Reporter fürs Radio und Journalist bei einer Fachzeitung.“

„Und extravagant.“

„Er ist ein Urgestein. Weiter geht’s.“ Sie gingen zur eigentlichen massiven Haustür aus Holz. Emma zeigte zum hinteren Tor. „Hinten ist die kleine Oase für die Hausbewohner. An heißen Abenden sitzen gern alle dort, wir grillen oft. Frau Kleinert, aus der ersten Etage, kümmert sich um die Pflege.“ Emma schloss die Tür auf. Beide könnten nebeneinander in die zweite Etage laufen. Emma bräuchte einen Moment um den richtigen Schlüssel zu finden.

„Herein spaziert!“

„Wow.“ Giftgrün sprang es Caro ins Gesicht. Caro bekam jetzt schon Panik vor dem Aufwand, den Teppich zu entfernen. Die Wände des Flures waren dazu noch mit zerbrochenem Spiegelglas übersät. Emma schien es zu bemerken.

„Keine Panik. Die Wohnung wird renoviert übergeben.“ Emma schien unbeeindruckt von dem Aufwand. Caro wusste ehrlich nicht, was sie mit dem eigenwilligen Geschmack der Vormieterin anfangen sollte. „Lass uns weiter gehen. Das war nur der Vorgeschmack.“

Im Wohn- und Essbereich hatte der Urwald Einzug gehalten. Die Wände und Decken zierten Silhouetten von unzähligen Tieren. Emma ging zu einer Tür. Caro sah in ihrem Blick, dass es noch extremer werden würde. Caro schüttelte nur mit dem Kopf, als ihr über der Toilette ein Harlekin entgegenblickte. Die Wände waren feuerrot gestrichen. In den anderen Zimmern ging es ähnlich weiter. Beide lehnten sich nach dem Rundgang an die Kücheninsel.

Emma blickte zu einem der Affen. „Frau Schubert ist Künstlerin. Ihr Lieblingsthema vor einem Jahr war die Tierwelt.“ Caro hatte bemerkt, dass Emma zwischendurch etwas in ihr Smartphone eingegeben hatte.

„Was ist mit der Küche?“ Caro sah auf den Schwarzen Granit.

„Wird auf Wunsch des neuen Mieters geändert. Die Schranktüren sind austauschbar, genauso der Granit.“

„Mich würde interessieren, ob diese Frau Schubert etwas damit verdient hat.“

„Ja. Frau Schubert ist unter dem Namen Fräulein Chi bekannt.“

„Abstrakt ist die Kunst an den Wänden ja, aber expressionistisch?“ Caro drehte sich zu Emma. „Du weißt wer Fräulein Chi ist, oder?“

„Du wie es scheint auch.“

„Warst du bei einer ihrer Ausstellungen?“

„Bei einigen Vernissagen.“

„Sie hat in der Galerie in der ich arbeite ausgestellt. Ihre Werke sind Traumwelten. Alle Jahre wieder dürfen wir eines ihrer Werke verkaufen.“

„Da schwärmt aber jemand. Du arbeitest also in einer Galerie?“

„Ja, bei Meierhofer.“

„Tolle Stücke dort und ein wunderbarer Mix von Kunststilen. Die Vernissage über das Auge der Welt war super.“

„Du schwärmst also auch und warst bereits da. Ich gebe es gern weiter.“ Beide mussten lachen.

„Ich mag es etwas über ein Werk zu erfahren und den Künstler dahinter und was er damit in Verbindung bringt.“

„Komm gern vorbei. Du bekommst eine persönliche Führung.“

„Gern. Wenn du Glück hast lernst du Frau Schubert irgendwann persönlich kennen. So wie ich sie einschätze wird sie oft hier vorbeischauen.“

Caro sah Emma nur fragend an.

„Auch wenn ihr Lebensmittelpunkt jetzt in Frankreich liegt, besitzt sie hier noch ein Atelier.“

„Warum hat sie dann hier gewohnt?“

„Sie ist hier aufgewachsen. Genau in dieser Wohnung. Sie hat über Jahre den Verfall mit angesehen. Dann wurde es verkauft. Bereits vor der Sanierung hat sie sich auf die Wohnung beworben. Sie wollte noch einmal den Charme von früher erleben.“

„Ich würde mich gern offiziell auf diese Wohnung bewerben.“ Caro handelte spontan, was sie selbst etwas überraschte, aber ihr gefiel die Gegend.

Emma schien zuerst erstaunt, bevor sich ein breites Lächeln auf ihren Lippen bildete. „Du wirst dich aber einige Wochen gedulden müssen. Es gibt einigen Papierkram und dann wäre noch die Renovierung. Lass uns Nummern tauschen. Ich besorg dir ein Eckdatenblatt. Die Wohnung hat 79 m², 400€ kalt und 250€ Nebenkosten. Die Aufschlüsselung der Nebenkosten stehen ebenso darauf.“

„Wow, das ist günstig für die Lage. Welche Referenzen brauchst du?“

„Günstig? Im Sommer kann es schon laut werden, wenn spät Abends Leute vor dem Café sitzen. Einen Parkplatz hast du hier auch nicht.“ Emma erhob ihre Hand, als Caro etwas erwidern wollte. „Ich weiß, es ist nicht das übliche Prozedere, aber du arbeitest bei Meierhofer und Rico ist dein bester Freund. Das reicht mir als Referenz.“

Caro gab sich damit zufrieden, wann bekam man schon so eine unverhoffte Möglichkeit. „Kann ich dir die Adresse der Galerie geben.“

Emma schien neugierig, fragte aber nicht. „Klar. Lass uns nach oben gehen. Ich gebe dir die Unterlagen.“ Caro sah verwirrt zu Emma. „Ich wohne oben. Du könntest ins Café gehen, dort ist es um die Zeit jedoch voll.“ Emma lächelte. „Oben gibt es auch Kirsch-Minz-Tee.“

„Woher?“ Emma musste über Caros Mimik herzhaft lachen.

„Spionage oder einfach Beobachtungsgabe.“ Emma ging weiter. Caro nahm zwei Stufen auf einmal um zu ihr aufzuschließen. An der Wohnungstür fiel ihr ein Schild ins Auge.

Für alle Freunde. Hier gibt es immer ein offenes Ohr. Was zu trinken, zu essen und eine Schlafgelegenheit falls nötig.“

Darunter hing ein lachender Smiley.

„Arbeitest du viel von Zuhause aus?“ Emma bemerkte den abwertenden Unterton, als Caro fragte.

„Nein, ich hab Mal Papierkram hier oder eines meiner Projekte. Das hier ist grundsätzlich mein Zuhause. 90% der Arbeit bleiben im Büro. Das verlange ich auch von meinen Immobilien-Verwaltern.“

***

Caro gefiel die Einstellung. Es erinnerte sie an Eric, bei ihm war es das Gegenteil. Es gab keinen Tag, wo er keine Arbeit aus dem Büro mit nach Hause nahm.

Bereits nach den ersten Schritten bemerkte sie den angenehmen Duft von Lavendel. Die Wohnung war leicht anders geschnitten. Der kurze Flur ging über in den offenen hellen Wohnbereich. An den Wänden hingen moderne Kunstdrucke. Alles wirkte einladend.

Emma legte ihren Schlüssel auf einen alten Sekretär und verschwand in die Küche. Caro sah sich weiter um. Vor dem Sofa standen zwei Taschen. Motorradsachen lagen quer darüber verteilt.

„Nimm Platz.“ Emma zeigte auf einen der Barhocker an der Kücheninsel. „Entschuldige das Chaos.“ Routiniert bereitete Emma Caro einen Tee zu. Keine zwei Minuten später stand eine gefüllte Tasse vor Caro. Emma holte noch frische Minze von der Fensterbank und reichte sie ihr.

„Deine Wohnung wirkt einladend und gemütlich.“

„Danke. Meine Familie und Freunde hatten mich zu Beginn für bekloppt gehalten.“

Caro sah sie einfach nur an. „Es gab eine Fotostrecke. Die meisten Häuser in dieser Straße waren in desolaten Zustand und dem Zerfall preisgegeben.“

„Hier lebten viele Hausbesetzer und Leute aus der alternativen Szene. Die Straße und Kanalisation war so marode, wie die Häuser. Es gibt hier immer noch Kultur, nur hat sich das Leben und Wohnen komplett verändert.“

„Ich freue mich darauf hier zu wohnen.“

Emma ging zu einem alten Apothekerschrank und verstaute die Teedose darin. Die ganze Zeit schenkte sie ihr ein warmes Lächeln.

„Ich hole kurz die Unterlagen.“ Sie verschwand über einen weiteren Korridor.

Caro fühlte sich seit langem wohl.

 

3.

 

Drei Wochen waren vergangen. Caro hatte Ricos Couch in Beschlag genommen. Seine Tochter Renée nutzte die Zeit für Frauengespräche. Sie war jetzt in einem Alter, wo es nicht nur mehr um Puppen, Freunde, Schule und Sport ging. Letzte Woche hatten sie ihren vierzehnten Geburtstag im Café gefeiert. Emma hatte sich nicht lumpen lassen und einen Schokokuchen als Laufschuh gebacken und dekoriert. Renée war ehrgeizig. Sie liebte ihren Sport, den Wettkampf und die Herausforderung die mit diesem einherging.

„Happy Birthday to you.“ Sangen alle im Café als Emma mit dem Kuchen aus der Küche kam. Renée, ihre beiden Freunde und Caro schauten nicht schlecht. Rico brachte die Getränke.

„Der sieht noch cooler aus, wie der vom letzten Jahr.“

„Wir steigern uns.“ Emma wirkte zufrieden.

„Danke.“ Renée umarmte Emma nachdem sie den Kuchen abgestellt hatte.

„Moment. Dein Geschenk.“ Emma zog einen Umschlag aus ihrer Gesäßtasche und gab ihn Renée. Caro musterte sie. Heut trug sie eine bequeme Boot-Cut und ein lässiges T-Shirt mit Orikami-Druck, schwere Boots rundeten alles ab. Über einem der Hocker lag ihre Lederjacke samt Motorradhelm. Rico stupste Caro an. Renée öffnete gerade den Umschlag und holte drei VIP-Pässe hervor.

„Lady Gaga? Echt Danke, Danke, Danke.“

„Viel Spaß.“ Emma sah zu Rico und dann zu ihr. In ihrem Blick lag soviel. Emma schnitt den Kuchen auf und verteilte ihn. Sie ging mit ihrem Stück zur Theke und holte sich eine Flasche Wasser. Sie beobachtete die Runde. Rico und Caro gesellten sich zu ihr.

„Genug von dem Hühnerhaufen?“

„Die drei sind vollends mit der Planung was sie zum Konzert anziehen beschäftigt.“ Rico verzog das Gesicht.

Caro war erstaunt. „Wie kommt man an Spezial-Tickets?“

„Meine Eltern. Der eine kennt den, der wiederum jenen kennt und so weiter. Rico hat das vierte Ticket.“ Rico verdrehte die Augen und seufzte.

Caro lächelte „Ich geh gern für dich hin.“ In Ricos Blick lag Erleichterung.

„Ja, bitte. Gehst du für mich mit.“

Caro und Emma bekamen sich kaum ein vor Lachen. Der Rest des Nachmittags verlief ruhig. Renée ging mit ihren Freunden Pizza essen, bevor Rico sie nach Hause brachte.

***

Für Caro war Ricos Sofa, nach der Arbeit, der erste Anlaufpunkt, wenn sie durch die Tür kam. Sie ließ weiter die letzten Wochen Revue passieren. Rico besuchte seine Kurse. Er schien erleichtert eine Frau im Haus zu haben. Caro wusste, dass ihm Frauengespräche unangenehm waren. Er hatte es ihr bei einem Glas Wein gestanden.

Caro ging jetzt öfters ins Café. Emma informierte sie jedes Mal über den Fortschritt. Die meiste Zeit redeten sie. Herr Schreiber und seine Hunde gesellten sich oft hinzu. Caro traf ich mehrmals auf bekannte und Kollegen.

Amüsiert dachte sie an das letzte Wochenende zurück. Sie hatte mit einigen Freunden ihre restlichen Sachen aus Erics Wohnung geholt. Die Wohnung war der reinste Saustall. In der Küche stapelte sich der Abwasch, überall lagen Sachen herum und das Bad hatte auch schon bessere Zeiten erlebt. Zum ersten Mal fiel Caro auf, dass sie die ganzen Jahre seine kostenlose Putze war. Alle waren heilfroh, schnellstmöglich alles hinaus geschafft zu haben.

„Eric sollte sein Geld besser investieren.“ Meinte einer ihrer Freunde nur. Alle mussten losprusten.

Keine zwei Stunden später befand sich alles in ihrer neuen Wohnung. Es roch nach frischer Farbe. Viel hatte sich getan.

„Nice.“ Kam von Ole einem Kollegen und Freund, der gerade den Wohnbereich betrat. Der Tapeziertisch und eine große Leiter standen noch im Raum. „Nachdem was du erzählt hast, wie es hier vorher war. Wow.“ Er grinste, als er an Caro vorbei ging um weitere Kisten nach oben zu holen. Er hatte recht, fast jeder Raum war fertig. Die Küche besaß jetzt helle Fronten. Es fehlte nur die neue Eichenarbeitsplatte. Erst jetzt fiel ihr der Stuck an den Decken auf.

Im angrenzenden Arbeitszimmer stand ihre neue Couch, aus einem Räumungsverkauf. Helmut hatte ihr zwei Leute samt Transporter geschickt. Sie dachte bereits daran, wo sie was platzieren wollte.

Sie stellte die letzte Kiste zu den anderen und sah sich nochmals um. Zum Dank wollte sie mit allen in eine Pizzeria. Später, wenn sie eingezogen war, sollte es eine kleine Einweihungsfeier geben. Sie alberte mit Renée, die sie drängelte endlich zu kommen. Auf halben Weg nach unten kam ihnen Emma entgegen. Ihr Körper war von einem wunderschönen Cocktailkleid umschlossen. Ihre Schuhe baumelten an zwei Fingern. Renée sprang ihr in die Arme und flüsterte etwas. Emma grinste. Sie hob ihren Kopf und lächelte Caro an.

„Hallo die Damen. Ihr seit fleißig.“ Renée bekam noch einen Kuss auf die Stirn, die kicherte nur.

„Wir sehen uns. Beeil dich Caro!“ Renées verschwand nach unten.

Caro musterte Emma weiter. Keine Ahnung wo sie Herman, aber sie wirkte leicht erschlagen.

„Hallo. Ich hoffe die Renovierung verläuft nach deiner Zufriedenheit.“ Emma sah sie erwartungsvoll an.

„Die Wohnung ist nicht wiederzuerkennen.“

Emma nickte nur und brummte etwas. „Wir brauchen noch etwa fünf Tage. Du bekommst noch ein neues Schloss, am Ende.“

„Danke.“ Caro berührte Emmas Hand. Beide verabschiedeten sich, als Renée lautstark nach Caro rief. Beide mussten lachen und verdrehten belustigt die Augen. Emma setzte ihren Weg fort. Sie gähnte, summte nebenbei aber ein Lied. Emma blickte noch einmal zu ihr. Ihr Blick hatte etwas Unergründliches. Sie ging die Treppe hinunter, wo Renée ungeduldig wartete und sie an der Hand aus dem Haus zog.

„Beeil dich! Wir wollen Pizza.“

„Ich komme ja schon.“

Caro war gerade bei diesem letzten Gedanken angekommen, als die Tür aufgeschlossen wurde und eine strahlende Renée herein kam. Gemeinsam machten sie sich ans Essen kochen.

 

4.

 

Die Morgensonne lockte Emma am Sonntagmorgen aus ihrem Bett. In Schlafhose und BH schlurfte sie in die Küche. Sie streckte sich, holte ihren Thermobecher aus dem Schrank und befüllte den Wasserkocher. Emma öffnete das Fenster und atmete die frische Morgenluft ein.

Bewaffnet mit Müslischüssel und Thermobecher machte sie sich auf den Weg in Caros zukünftige Wohnung. Ihre Sachen stellte sie auf die neue Arbeitsfläche, mit einem Hüpfer nahm sie darauf Platz.

Ihr Kopf arbeitete bereits daran, was sie zuerst tun wollte. Kurz dachte sie an Caro. In einem der letzten Gespräche erwähnte sie ihren Ex. Emma war es unverständlich. Caro war kommunikativ, herzlich und mehr als engagiert. Sie hatten es sich zur Gewohnheit gemacht, donnerstags im `Kiez-Käffchen´ zusammen mit Herrn Schreiber zu plaudern. Beide wussten jetzt woher sie Rico und seine Tochter genau kannten, etwas mehr über die Arbeit der Anderen und was sie gern in ihrer Freizeit taten.

Emma aß ihr Frühstück und nahm einen Schluck Tee zu sich, bevor sie sich ans Werk machte. Sie holte ihr Handy aus der Gesäßtasche und steckte ihre Kopfhörer ein bevor sie sich ans Werk machte.

***

Caro ächzte. Sie war froh das Paket vor ihrer Tür abstellen zu können. Am Morgen war sie zu ihren Eltern gefahren, um einige persönliche Sachen zu holen. Sie hätte Ricos Angebot annehmen sollen, jetzt musste sie allein alles nach oben bringen. Glücklich schloss sie die Wohnungstür auf und betrat ihr neues Reich. Das erste was ihr ins Auge fiel, war das abgeschliffene und versiegelte Parkett. Sie schon die Kiste in den Flur, als sie Geräusche vernahm. Jemand sang, in ihrer Wohnung. Nein, es war nicht irgendjemand, es war Emmas Stimme. Sie folgte dem melodischen Klang, blieb an der Kücheninsel stehen und beobachtete Emma. Die stand auf einer hohen Leiter und wippte im Takt der Musik. Plötzlich drehte sich Emmas Kopf und sah sie überrascht an. Für einen Moment geriet sie ins Wanken.

Emma fand schneller ihre Sprache wieder. „Guten Morgen. Beobachtest du gern Menschen?“ Emma stieg die Leiter hinunter und nahm ihre Kopfhörer ab.

„Morgen. Und vielleicht.“ Konterte Caro und grinste. Emma hatte Recht, aber Caro sah viel lieber ihr zu. Ihre enge ausgewaschene Jeans ließ ihren Hintern knackig hervorstehen. Caro musste sich innerlich zurechtweisen. Manchmal fragte sie sich, wo diese neuerlichen Gedanken her kamen. „Wenn du schon hier bist, könnte ich deine Hilfe in Anspruch nehmen?“ Caro klimperte mit ihren langen Wimpern.

Emma stieg darauf ein und kratzte sich nachdenklich am Kinn. „Ich mach das kurz fertig und dann stehe ich zu Diensten.“

„Danke.“ Caro war erleichtert. Emma stieg erneut auf die Leiter und widmete sich der Decke. Caro sah noch einmal zu ihr. Sie kam mit der nächsten Kiste nach oben, als ihr Emma entgegen kam.

„Stehst du in der Einfahrt?“ Caro nickte nur. „Gut. Stell die Kiste auf die Mitteltreppe. Wir räumen erst das Auto aus, dann kannst du parken und dann wird alles hochgebracht.

Das Transporter war schnell geleert. Caro fand einen Parkplatz direkt um die Ecke. Ein Großteil der Kisten war bereits in der zweiten Etage. Caro war über Emmas Effizienz erstaunt. Gemeinsam bewältigten sie die sperrigen Teile. Emma bot sich direkt an, einige der Schränke aufzubauen. In nicht einmal zwei Stunden stand Caros neues Schlafzimmer. Es fehlte nur noch das bezogene Bett. In der ganzen Zeit unterhielten sie sich. Caro berichtete Emma, dass sie ihren Eltern endlich von der Trennung erzählt hatte. Ihre Großmutter hielt sich auf ihre Art dezent zurück.

Caro wischte die Küche und räumte die ersten Sachen in die Schränke, nebenbei bereitete sie frischen Tee zu. Beiden Frauen war nicht bewusst wie viel Zeit vergangen war. Emma holte den großen Hocker, der zu ihrer neuen Couch gehörte. Caro kam mit den beiden Tassen und reichte ihr eine.

„Was kommt an die Wand?“

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Publisher: BookRix GmbH & Co. KG

Publication Date: 02-23-2021
ISBN: 978-3-7487-7533-1

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