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Teil 1

Wer bist du?

von Artslove
#wirschreibenzuhause

 

Es war ruhig und kalt um mich herum. Im Hintergrund vernahm ich leise das Radio. Die Nitrilhandschuhe beschränkten trotz des dünnen Materials das Tastsinngefühl. Das Messer in meiner Hand kam auf halber Höhe zum Stillstand. Mit gerunzelter Stirn betrachtete ich die Narbe vor mir. Sie war frisch. Ich beugte mich näher an sie heran und inspizierte sie von allen Seiten. Offenbar war sie erst kürzlich beigefügt worden, vielleicht nur Stunden her.

„Martin?“, rief ich nach meinem Kollegen. Der Angesprochene drehte sich und schaute mich fragend von seinem Platz aus an. Mit dem Stift in der Hand war er bereit gewesen alles zu notieren, was ich ihm sagte. Was mir die Leiche alles preisgab. „Kommst du mal kurz?“ Tiefe Furchen zierten seine Stirn jetzt. Das war auch verständlich. Normalerweise bat ich ihn nie zu mir. Er wusste, dass ich meine Arbeit als Gerichtsmediziner sorgfältig und gut machte. Deshalb war es auch für ihn ungewohnt, dass ich ihn nun zu mir bat. Er folgte meinem Blick, der wieder auf der Narbe war. Als er nun das gleiche wie ich sah, schnellten seine Augenbrauen in die Höhe.

„Nun, das ist sehr ungewöhnlich. Vor allem mit der Tatsache, dass dies kaum die Todesursache ist.“ Nach einem weiteren kurzen Blick verkrümelte er sich wieder auf seinen Platz und notierte hastig etwas. Währenddessen untersuchte ich den Fund und dachte dabei laut mit.

„Die Naht ist sorgfältig und präzise ausgeführt worden. Es muss jemand aus dem medizinischen Bereich gewesen sein, der bereits jahrelange Übung darin hatte. Aufgrund des fehlenden Blutes und fehlenden Anzeichen von Wundschliessung kann man davon ausgehen, dass die Wunde nach dem Tod zugenäht worden war. Aber weshalb sollte man einer Leiche eine Naht zufügen?“ Auf diese Frage hatte wohl auch Martin keine Antwort. So wies er mich nur an, einige Fotos davon zu machen, bevor ich die Naht öffnen sollte. Nach einigen Beweisfotos machte ich mich ans Werk. Was ich hinter der Hautschicht vorfand, liess mich noch verwirrter zurück, als ich es schon war. Da lag tatsächlich ein Handy, verpackt in einem Plastikbeutel.

„Was zum Henker…“ Vorsichtig entnahm ich aus dem Körper den durchsichtigen Beutel und hielt ihn hoch. Selbst Martin war so überrascht, dass ihm der Kiefer für wenige Sekunden offen hing. Wir haben ja während unserer Karriere so einiges gesehen. Aber ein Handy im Körper der Leiche vernäht? Nein, so etwas Seltsames gab es wirklich noch nie. Nun, noch nie bis jetzt.

„Ist das wirklich ein Handy in dem Beutel?“ Schon stand Martin neben mir, und zusammen schauten wir beide das Objekt in der durchsichtigen Tasche an. Wir mussten ein Bild für die Götter abgeben, wie wir da vor einer offenen Leiche standen und mit mehr als ein wenig Überraschung unseren aussergewöhnlichen Fund ansahen, welche ich auf Augenhöhe hielt.

„Darum sollten sich besser die Techniker kümmern.“ Obwohl wir beide wussten, dass diese Entscheidung das Beste war, konnten wir nichts gegen die Neugier machen. Bevor wir aber eine Dummheit begingen, legte ich die Tasche in eine leere Nierenschale und wandte mich wieder der Leiche zu. Ich merkte, wie die Konzentration von Martin schwand, denn er war nicht mehr ganz bei der Sache. Ich spürte, dass er seine Wissbegierigkeit kaum zügeln konnte.

„Was könnte auf dem Handy sein? Warum ist es in einer Leiche versteckt? Sind wichtige Daten darauf? Ist es eine Falle für uns? Oder doch eher ein Hinweis? Will der Täter die Polizei verhöhnen?“ Weitere Fragen lagen auf seiner Zunge. Aber ich unterbrach ihn.

„All diese Spekulationen bringen uns auch nicht weiter. Wir erledigen unseren Auftrag und bringen danach das Fundstück zu den Technikern. Dann werden wir schon erfahren, was es auf sich hat.“ Ich widmete mich der offenen Bauchdecke zu und setzte meine Autopsie fort.


 

 

„Hey Riley, kommst du mal kurz?“ Ich sah vom Tisch auf und sah meinen Kollegen an der Türe.

„Klar, was gibt’s?“ Ich zog meine Handschuhe aus und legte sie mit dem Tuch auf die Seite. Das Saubermachen konnte ich auch später. Es würde mir schon nicht weglaufen.

„Komm einfach kurz mit“, sagte Martin nur und hatte dabei ein besorgtes Gesicht. Bevor ich weiter nachfragen konnte, lief er schon voraus und ich beeilte mich, ihm hinter her zu kommen. Die Besorgnis verwirrte mich umso mehr und auch in mir wuchs sie nun. Unterwegs nahm ich mir eine Tablette aus der Kitteltasche und schluckte sie trocken hinunter. Im Büro des Technikers kam er schliesslich zu stehen und ich sah in die Gesichter einiger Kollegen. Es war ziemlich ungewöhnlich. Normalerweise traf ich mich höchstens mit meinem Vorgesetzten und übergab ihm den Bericht und fasste kurz zusammen, was darinstand. Aber hier stand ich nun mit fünf anderen Leuten im Raum und alle trugen ein anderes Gesicht zur Schau: Misstrauen, Bedauern, Skepsis, Verwirrung und nicht zuletzt Neugier. Was war hier los?

„Riley, ihr habt uns heute Morgen ein Handy gegeben, dass du deiner Aussage nach im Oberschenkel des Verstorbenen gefunden hast. Stimmt das?“ Immer noch im Unklaren nickte ich. „Vielleicht mag das jetzt seltsam klingen, aber kanntest du das Opfer?“

Eine tiefe Furche bildete sich auf meiner Stirn. Ich hatte mit der Person auf dem Leichentisch sicherlich keine intimen Details getauscht. Was sollte die Frage also? Verwirrt schüttelte ich den Kopf und verneinte die Frage meines Chefs. „Nein, ich habe ihn nicht gekannt. Warum? Was ist denn los?“ Jetzt schaute ich auch die anderen nacheinander an, aber die Gesichter zeichneten immer noch alle die gleichen Mienen.

Mit einem Nicken deutete Herr Glen auf den Techniker und dieser öffnete ein Fenster auf dem Bildschirm. Was ich da sah, liess mich stocksteif dastehen. Ich war mir sicher, dass jeder das Entsetzen auf meinem Gesicht ablesen konnte.

„Dieses Bild haben wir auf dem Handy gefunden.“ Auf dem Bild war ich zu sehen. Ich fuhr mit der Hand durch das Haar und blickte lächelnd in die Kamera.

„Wissen Sie, wann es aufgenommen wurde?“ Herr Glens Stimme rückte in den Hintergrund. Es rauschte in den Ohren und mein Atem ging plötzlich hektisch. Mein Herz schlug viel zu schnell und ich hatte das Gefühl mich übergeben zu müssen. Zwei Sekunden später wurde mir schwarz vor den Augen.


„Riley? Riley? Holt bitte jemand Wasser her! Schnell! Rückt den Stuhl hier rüber!“ Ich vernahm Herr Glen, wie er anderen Befehle erteilte. Langsam öffnete ich die Augen und blinzelte einige Male, bis ich wieder eine klare Sicht hatte. Ich sah wie alle im Raum mich wiedermal betrachteten. „Riley? Kommen Sie langsam hoch. Lehnen Sie sich an den Stuhl an. Ist alles in Ordnung mit Ihnen?“

„Sah ich denn in Ordnung aus?“, wollte ich ihn am liebsten ankeifen. Aber gerade so biss ich mir auf die Zunge, um den Kommentar herunterzuschlucken. Eine Wasserflasche wurde mir überreicht und gierig trank ich die halbe Flasche leer. Nur langsam kam mein Puls wieder hinunter.

„Das Bild...“, setzte ich an zu sprechen. Jedoch kam nur ein Krächzen heraus. Nach einem Räuspern versuchte ich es erneut. „Das Bild wurde gestern im Café nebenan aufgenommen. Kurz bevor ich zur Arbeit kam.“ Ich erinnerte mich noch gut daran, dass ich vor der Arbeit eine Freundin getroffen habe und wir zusammen kurz einen Kaffee getrunken haben. Aber ich konnte mich nicht daran erinnern, in eine Kamera geblickt zu haben, und schon gar nicht extra für das Bild noch gelächelt zu haben. Und dennoch sah es so aus, als hätte ich genau das getan. Der Beweis starrte mich aus dem Bildschirm heraus an. Meine grünen Augen funkelten in der Sonne und blickten mich nun belustigt an. Aber die wichtigste Information kannten meine Kollegen noch gar nicht.
„Es wurde gestern Morgen aufgenommen. Nur Stunden bevor mir die Leiche gebracht wurde, in dessen Körper das Handy sich befand.“ Gegen Schluss brachte ich die Worte nur noch als Wispern heraus. Dennoch schienen alle im Raum die Worte gehört zu haben. Eine Sekunde herrschte eisiges Schweigen, in der die Worte zu allen wirklich durchdrang und sie die Bedeutung davon verstehen konnten.

„Sie sagen, dass man mit dem Handy ein Foto von Ihnen geschossen und es anschliessend in die Leiche eingenäht hatte?“ Das Entsetzen auf Herr Glens Gesicht war nichts im Vergleich zu der Panik, den die anderen mir ansehen konnten. Ich blickte auf zu Martin. Mit geweiteten Augen blickte er mich an. „Woran ist die Person gestorben?“

„Wir haben einen Laborbericht angefordert und eine Probe der Toxikologie geschickt. Die Nieren und die Leber haben eine Farbveränderung und auch sonst zeigt die Lunge Lähmungserscheinungen. Die Muskeln sind stark verkrampft. Wir vermuten, dass es eine Vergiftung war. Aber nur durch das Studieren des Körpers konnten wir auf keinen Fall feststellen, um welches Gift es sich handelt. Deshalb haben wir eine Blutprobe und einen Teil des Mageninhalts zur Pathologie geschickt. Wir warten auf das Ergebnis, um den Bericht zu vervollständigen und abschliessen zu können.“
Nachdenklich blickte Herr Glen auf den Bildschirm, nachdem er Martins Worte gehört hatte. „Heisst das, man wird auch Riley vergiften wollen?“ Sorge und Angst um mein Leben brachte Martin dazu, diese Frage zu stellen. Aber niemand konnte diese Frage beantworten. Nicht in diesem Stadium der Ermittlungen.

„Und Sie kennen das Opfer wirklich nicht?“, überging Herr Glen stattdessen Martins Frage schliesslich. Abermals verneinte ich die Frage. Ich war ja nicht für meine sozialen Fähigkeiten bekannt. Aber selbst, wenn ich jedermann freundlich begrüssen würde, hiess es ja lange noch nicht, dass ich deren Tagesablauf kannte. Ich meine, wer konnte schon behaupten, den anderen wirklich von Grund aus zu verstehen und zu kennen? Nach allem, was ich in meinem Beruf schon erlebt hatte, bezweifelte ich stark, dass man einen Menschen jemals von Grund auf kennen würde. Nicht nur einmal hatte ich eine Leiche auf dem Tisch, wobei dessen Ehepartner oder Familienmitglied der Angeklagte war. Da fragte man sich schon, wie gut man über eine Person informiert war, wenn der engste Vertraute der eigene Mörder war.

„Habt ihr denn sonst noch irgendetwas auf dem Smartphone gefunden?“, hakte ich nach. Ich bezweifelte doch stark, dass das Handy nichts Weiteres als mein eigenes Antlitz darauf gespeichert hatte. Sicherlich gab es doch auch etwas anderes, oder? Möglicherweise irgendwelche brauchbaren Hinweise? Ich hoffte sehr stark darauf.

„Wir konnten neben Ihrem Bild auch viele Fotos anderer Leute aufrufen. Nach kurzer Suche und Abklärung konnten wir feststellen, dass sie alle verstorben sind. Einige starben durch einen natürlichen Tod, andere wurden ermordet, wobei der Täter noch nicht gefasst wurde. Diese Morde geschahen erst kürzlich und sind noch alle ungeklärt, sodass die Polizei immer noch alles daransetzt, den Mörder hinter Gitter zu bringen.“

„Alle sind tot?“ Die Brüchigkeit in meiner Stimme war schwer unter Kontrolle zu kriegen. Mitleid schwamm in seinen Augen, welches ich gerade nicht gebrauchen konnte. Nein, ich brauchte definitiv kein Mitleid, sondern Antworten. Antworten, die meine Angst wegnahmen. Antworten, die mir weiterhelfen würden und mein Überleben sicherten. Antworten, die mir ein schönes langes Leben garantierten.

„Ja, sie sind alle verstorben, bis auf Sie“, antwortete mir stattdessen mein Vorgesetzter, zu dem ich nun rüber blickte. In seinem Gesicht konnte ich Sorge ablesen.

„Heisst das… heisst das etwa, dass ich…“ Den Satz konnte und wollte ich nicht zu Ende bringen. Aber die anderen verstanden auch so, was ich zu sagen versuchte. Plötzlich umgab eine Stille das Zimmer und niemand schien das Wort erheben zu wollen. Jeder von uns hing unseren Gedanken nach, wobei meine wie ein Wirbelsturm herumkreisten. Am liebsten wäre es mir, wenn ich aufwachen würde und alles als einen Albtraum abtun konnte. Leider stand dies aber ausser Frage.

„Was war die Mordwaffe? Wie sind die anderen gestorben?“, fragte ich mit zitternder Stimme nach.

„Wie gesagt sind zwei natürlich gestorben. Aber bei den anderen haben wir die ganze Bandbreite. Einmal ist es ein Schlag auf den Kopf, ein anderes Mal ist es Gift, und der letzte Mord war sogar durch einen Eismesser verübt worden. Ich frage mich heute noch, wie die Polizei die Mordwaffe identifizieren konnte.“ So etwas wie Bewunderung klang aus seiner Stimme heraus und unwillkürlich musste ich einen Schritt zurück machen. Ich fragte mich, ob die Bewunderung der Polizei galt, welche diesen beinahe unmöglichen Fall aufklären konnte, oder diesem Mörder, der solch eine Waffe gewählt hatte.

„Womit wurden die anderen denn vergiftet?“ Vielleicht konnte ich mir eine Dosis von Gegengiften bereithalten, sodass ich diese schon bei kleinsten Symptomen einnehmen und mich damit schützen konnte.

„Es gab bisher zwei Giftmorde, eines war mit Rizin, zu dem es heute noch kein Gegengift gibt, und das andere war eher ein langsamer, qualvoller Tod mit Arsen, wie die Frauen es im letzten Jahrhundert gern benutzthatten.“ Wenn es kein Gegengift gab, musste ich nun umso vorsichtiger sein. Ich musste alles kontrollieren, was ich essen und trinken werde, wer mit mir unterwegs sein wird und wohin ich gehen werde. Es gab so vieles, dass ich bedenken musste. Ein leises Pochen fing hinter den Schläfen an, die ersten Zeichen für anschleichende Kopfschmerzen. Ich nahm mir erneut einer dieser Tabletten und steckte sie in den Mund. Die anderen konnten es mir wohl kaum verdenken, nicht in dieser Situation. Aber niemand schien auch nur Kenntnis davon zu nehmen. Sie waren alle viel zu sehr mit ihren Gedanken beschäftigt. Erst die Stimme meines Vorgesetzten unterbrach die Stille und schreckte sie aus den Gedanken auf.

„Martin, können Sie kurz in die Toxikologie gehen und mal fragen, wie weit sie schon mit der Untersuchung sind? Manchmal haben unsere Kollegen ja die Arbeit gemacht, aber noch keine Zeit, es zu uns hinüberzubringen. Schreiben Sie ausserdem einen ausführlichen Bericht darüber, wie sie die Leiche gestern vorfanden und was sie alles am Tatort gesehen haben. Jedes Detail zählt.“ Nach einem kurzen Nicken verschwand Martin in den Flur und Herr Glen wandte sich der nächsten Person zu. „Michelle, du trägst alle Informationen der Opfer zusammen. Wie sie gestorben sind, welcher Detektiv zuständig ist und wie weit sie schon mit der Suche sind. Welche Beweise, Indizien und Verdächtigen haben sie schon? Wo sind sie gestorben und ist es ein Mörder oder haben wir es hier mit einer Gruppe von Killern zu tun? Und am wichtigsten, was hatte Detektiv Brosius mit all den Opfern zu tun?“ Ich stand völlig hilflos da, während Herr Glen die Befehle erteilte. Michelle indessen notierte sich etwas auf ihrem kleinen Notizblock und bestätigte mit einem Nicken, dass sie verstanden hätte.

„Warten Sie, was meinen Sie mit Detektiv Brosius? Ist… war das Opfer von gestern etwa einer unserer Kollegen?“, fragte Raphael nach.

„Ja, Nein. Ich meine, ja er war ein Detektiv. Aber nicht wirklich direkt unser Kollege. Er war nicht bei uns angestellt, sondern arbeitete bei der Dienststelle in der Stadt. Wir kannten uns flüchtig, aber er schien ein guter Kerl zu sein.“ Jetzt konnte ich die Trauer und das Bedauern spüren. Aber er hatte sich schnell wieder unter Kontrolle und war wieder ganz der Polizist, den ich schon am ersten Arbeitstag erlebt hatte.
„Raphael, Sie suchen weiterhin, was noch auf dem Handy zu finden ist. Schon das kleinste Detail kann wichtig sein. Versuchen Sie, die Telefongesellschaft ausfindig zu machen und fragen Sie nach der Anruferliste. Gibt es weitere Bilder, Dokumente, Dateien? Es muss sicherlich irgendetwas Brauchbares noch zu finden sein. Finden Sie auch heraus, ob es das Telefon von Detektiv Brosius ist.“

„Alles klar, Chef!“ Trotz der ernsten Lage versuchte er die Stimmung mit seiner Geste etwas zu lockern. Vielleicht war es genau wegen der angespannten Stimmung, dass er es versuchte. Aber niemand reagierte darauf, sodass er mit einem Seufzen wieder sich dem Bildschirm zuwandte.

„Dana, Sie arbeiten zusammen mit Michelle und den Detektiven, welche an den Fällen dran sitzen. Versuchen Sie wenn möglich ein Profil des Täters oder der Täter zu erstellen. Gehen Sie alle Spuren durch, die wir bisher haben. Jagen Sie jede kleinste Probe durch das System, untersuchen Sie jede einzelne Faser, die man gefunden hatte. Ich will, dass man den Dreckskerl fasst. Ich werde jetzt meine Kollegen über unseren Fund und unsere ersten Schritte informieren. Riley, Sie werden mit mir mitkommen müssen. Die Kollegen werden sicherlich einige Fragen an Sie haben.“

Nur wenige Sekunden bevor er zu Ende sprach, war Martin mit einem dünnen Mäppchen in der Hand wieder in das Zimmer getreten. Herr Glen kam wieder aus seinen Gedanken „Das ging aber schnell. Und? Was haben sie im Labor gesagt?“ Auf Herr Glens Frage hin, drehten wir uns alle zu Martin um.

„Sie haben bestätigt, dass das Opfer tatsächlich vergiftet wurde. Aconitin soll die tödliche Substanz sein. Sie vermuteten, dass es vom Eisenhut stammt. Obwohl Eisenhut einen ganzen Cocktail an Gifte beinhaltet, sollte Aconitin die Stärkste sein. Wahrscheinlich wurden wenige Gramme in das Blut gespritzt, wodurch das Opfer innert einer Stunde schon gestorben ist. Da Riley und ich bei der Untersuchung keine Ausschläge an der Haut vorfanden, kann es nicht sein, dass das Opfer das Eisenhut berührt hatte. Leider haben wir aber auch keine eindeutige Einstichsstelle gefunden. Deshalb ist die Theorie mit der Spritze etwas fragwürdig.“ Nachdenklich blickte er auf den Bericht in seiner Hand und auch ich ging die Untersuchung im Kopf noch einmal durch. Hatte ich etwas übersehen?

„Eisenhut?“, unterbrach Herr Glen unsere Grübelei. „Das ist doch diese violette Pflanze, nicht? Meine Pflanzenkunde hält sich sehr in Grenzen.“ Ohne das kleinste Bisschen verlegen zu sein, gab er sein Unwissen offen zu.

„Ja, Eisenhut ist eine relativ giftige Pflanze und führt unbehandelt zu einem schnellen Tod. Dennoch ist sie schön anzusehen und dank ihrer leuchtenden Blüten ist sie eine beliebte Gartenpflanze. Sie ist in Mittel- und Westeuropa weit verbreitet und wächst eher in höheren Gebieten. Manchmal ist sie auch auf Weiden oder Bachufern zu finden. Sie gilt als die giftigste Pflanze in Europa.“ Herr Glen nickte nur, nachdem ich meinen Monolog beendet hatte. Auch die anderen schienen gar nicht überrascht über mein ganzes Wissen vom Eisenhut zu sein. Vielleicht wussten sie auch einfach nur, dass ich in meiner Freizeit gerne verschiedenen Dokumentationen über alles Mögliche anschaute.

„Nun, das erleichtert die Suche nach dem Täter nicht. Er oder sie könnte das Eisenhut von überall herhaben und wir können unmöglich jeden Quadratmeter von all den Wäldern und Weiden durchkämmen. Das wäre wie die berühmte Suche nach der Nadel im Heuhaufen. Eisenhut! Natürlich musste von allen möglich Giften unser Opfer das Gift intus haben, welches so stark verbreitet war! Wir haben doch keine Chance die richtige Stelle zu finden! Herrgott nochmals! Wo bist du da nur reingeraten, Brosius?“ Herr Glen bekundete mit einigen Flüchen seine Frustration und verstohlen blickten wir andere uns an. Ich überlegte mir gerade, langsam den Rückzug anzutreten und aus dem Zimmer zu verschwinden, als er aufblickte und mir direkt in die Augen sah. Plötzlich lief mir eisig ein Schauer den Rücken hinab. Der Grund dafür? Nun, den suchte ich auch gerade. Vielleicht lag es an seinen hellen blauen Augen oder vielleicht lag es auch allgemein an der Situation. Sicher sein konnte ich mir nicht.

„Riley, haben Sie die anderen Opfer einmal angesehen? Erkennen Sie vielleicht jemanden davon? Raphael zeigen Sie mal die Fotos!“ Ich blickte auf den Bildschirm und sah mir die einzelnen Bilder an. Auf einer Art und Weise kamen die Gesichter mir bekannt vor. Aber ich konnte nicht meinen Finger darauflegen und sagen, wo ich sie gesehen hatte.

„Nein, ich habe sie vielleicht mal irgendwo gesehen, aber nicht wirklich Kontakt mit ihnen gehabt.“ Stirnrunzelnd betrachtete ich auch die restlichen Fotos. Irgendetwas summte in meinem Gehirn beim Betrachten der Gesichter. Auch die Kollegen im Raum sahen sich die Bilder an. Erst beim vorletzten Bild schaute ich mit einem Ruck Martin an. Mit geweiteten Augen blickte er mich an und konnte in meinen Augen die Erkenntnis und das Entsetzen ablesen.

„Was haben all die Opfer denn gemeinsam? Es wirkt alles so zufällig und wahllos“, sinnierte Herr Glen.

„Sie alle…“, fing Martin an, brachte aber den Satz nicht zu Ende. Herr Glen blickte nun Martin an und folgte seinem Blick und schaute mich an. Seine Stirn lag in Falten, als er zwischen uns hin und her blickte. Die unausgesprochene Frage lag im Raum.

„Sie alle lagen als Leiche auf meinem Tisch. Ich habe sie untersucht und den Totenschein unterschrieben“, löste ich das Rätsel in einem Gewisper auf. Trotz meiner leisen Stimme hatten alle im Raum meine Worte verstanden. Schockiert blickten sie nun alle zu mir hinüber. Den Wirbelsturm an Emotionen kriegte ich kaum unter Kontrolle. Die Überforderung war zu gross, sodass ich mich auf den nächstgelegenen Stuhl wieder fallen liess. Die Wasserflasche in der Hand hielt ich wie einen Anker fest. Er war der einzige Fels in diesem Sturm von Emotionen, das einzige, das mich an das Hier und Jetzt verband, damit ich nicht in den Strudel in meinem Inneren gezogen wurde.

„Ach du heilige Kacke. Meinst du etwa...“ Weiter kam Raphael gar nicht. Denn Dana warf ihm einen eindringlichen Blick zu und sofort schloss sich sein Mund. Raphael war einfach einer dieser Leute, die den Mund aufmachten, bevor sie nachdachten. So kam es, dass ihm auch jetzt erst nach Danas Blick klar wurde, was er genau sagen wollte. Nämlich, dass ich beobachtet wurde und aus einem bestimmten Grund das nächste Opfer sein sollte. Er warf mir einen entschuldigenden Blick zu, bevor er vorgab geschäftig auf der Tastatur herum zu werkeln. Dass er rein gar nichts schrieb und nur der unangenehmen Situation entkommen wollte, konnte man mit einem Blick auf den Bildschirm feststellen. Denn immer noch war das Bild des vorletzten Opfers darauf zu erkennen.

Es war, als hätte mir jemand einen Kübel Eiswasser über den Kopf geschüttet. Die Klauen der Furcht gruben sich tief in meinem Fleisch und dachten gar nicht darüber nach, mich je wieder loszulassen. Denn erst jetzt wurde mir meine Situation wahrhaftig bewusst. Ich sollte allem Anschein nach, das nächste Opfer sein. Wir sprachen hier nicht von fremden Menschen, die ich nicht kannte. Es ging hier tatsächlich um mein Leben. Der Täter lief immer noch frei herum und selbst die erfahrensten Polizisten wussten nicht, was die nächsten Schritte waren, geschweige denn wie er oder sie aussah. Man wusste ja absolut nichts über den Täter. Ich meine, sie wussten ja nicht einmal, ob es eine Gruppe war oder ob eine einzige Person all diese Leute umgebracht hatte. Das Schlimmste war, dass das letzte Opfer ein Detektiv gewesen war. Wenn er schon getötet wurde, ohne dass ein kleinster Beweis auf den Täter zurückgeführt werden konnte, was konnte ich dann erwarten? Die Zweifel wuchsen, der Glaube an die Polizisten schrumpfte, verschwand allmählich, bis nur noch ein kleiner Funken übrigblieb. Ich bezweifelte, dass dieser Funke je wieder zu einem Feuer, schon gar nicht zu einem Brand entfachen konnte.

 


Das Gespräch mit Herr Glen und seinen anderen Kollegen verlief eher ereignislos. Viele Fragen wurden gestellt, es wurden viele Theorien aufgestellt und doch war nichts Brauchbares dabei. Das einzig Neue, das ich dort erfahren hatte, war, dass Detektiv Brosius auf eigene Faust gegen diesen Mörder ermittelt hatte. Dass er dann selbst nun als Leiche bei uns unten auf der Trage lag, sagte ja wohl alles über den Mörder aus. Die Panik wuchs in mir stetig und Furcht kroch aus jeder Pore. Nicht nur ich hatte Angst. Auch die anderen bekamen es langsam mit der Angst zu tun. Angst, dass der Mörder jemand weiteres aus ihrem Departement töten könnte. Schon die Tatsache, dass ein Kollege aus den gleichen Kreisen getötet wurde, versetzte sie in Aufruhr. Dabei war es noch in der Stadt gewesen. Aber hier, in der ländlichen Gegend jemanden zu töten und dabei noch davon zu kommen? Nein, so etwas war unvorstellbar. Zumindest bis jetzt. Jetzt gab es eine unterschwellige Drohung und selbst das Opfer soll bekannt sein, nämlich ich. Ich konnte ab jetzt unmöglich jemanden vertrauen. Jeder konnte der potenzielle Mörder sein. Plötzlich nahm ich meine Umgebung ganz anders war. Bei jeder Berührung zuckte ich zusammen. In jedem sah ich einen Verräter. Jeder schien, mich anders zu sehen. Dass bereits das ganze Präsidium über diesen Fall nun Bescheid wusste und gut informiert war, minderte nicht im Mindesten meine Unsicherheit. Nein, stattdessen sorgte es nur noch mehr dafür, dass mich jeder beim Durchgehen anschaute und sich darauf etwas zusammenreimte. Ich dachte immer, dass ich bisher zurückgezogen gelebt hatte. Aber dies bekam ab jetzt eine ganz neue Bedeutung. Ich würde noch weniger ausgehen und mein Haus nur noch unter Umständen verlassen. Natürlich haben mir meine Kollegen Schutz zusichern wollen. Aber ich habe es sofort verneint. Quasi fremde Leute ständig, um mich zu haben, würde meine Sorge nicht im Geringsten mindern. Das würde es nur noch verschlimmern. Nein, ich brauchte keinen Personenschutz. Okay, vielleicht nicht ganz so korrekte Wortwahl. Ich wollte keinen Personenschutz. Selbst wenn ich in Lebensgefahr war, meinen persönlichen Freiraum brauchte ich dennoch. Ständig umzingelt von irgendwelchen Personen zu sein, nein, das war unvorstellbar. So schnell wie möglich verschwand ich wieder in den Leichenraum und liess mich von den Toten umgeben. Diese konnten mir nichts mehr anhaben. Sie konnten mir ein Gefühl der Sicherheit geben, wie kein anderer Lebender es je tun konnte. So wurde der Leichenraum zu meinem persönlichen Rückzugsort, in dem ich gerne verweilte. Ob das seltsam war? Ziemlich wahrscheinlich. Ob es mich scherte? Absolut nicht!

 

 


 

Erschöpft lief ich die letzten Meter zur Haustür und schnappte mir dabei die Post aus dem Briefkasten. Ich ging sie kurz durch, bevor ich die Treppe hinaufschlurfte. Das Klirren der Schlüssel war das einzige Geräusch in der Stille des Abends. Obwohl ich im ländlichen Gebiet arbeitete, lebte ich am Rande der nächsten Stadt. Die Privatsphäre war mir hier sehr lieb, aber ich hatte es nicht weit bis zur Stadt, wenn ich mal dringend zu einem Grossgeschäft musste. Was an manchen Tagen wie ein Segen erschien, war an anderen Tag eher ein Fluch. Denn auch wenn man ab und zu die Ruhe vor schreienden Kindern oder lärmenden Partygängern genoss, waren es doch die stillen Nächte, die einem Angst einjagen konnten. Im Haus angekommen, liess ich die Tasche und die Briefe auf der Kommode neben der Türe fallen und zog mir die Schuhe und die Jacke aus. Ich wollte mir zuerst die Anstrengungen des Tages abwaschen, weshalb ich mich ohne Umwege in die Dusche begab. Der Tag hatte mir genug zu bieten gehabt, aber ich wollte es nicht mehr länger an mir spüren.

 

 

Frisch geduscht stand ich in einer grauen Jogginghose und einem schwarzen T-shirt in der Küche. Schnell hatte ich ein Glas aus dem Küchenschrank entnommen und schenkte mir zwei fingerbreit Vodka ein und füllte den Rest mit Sprite auf. Mit dem Glas ging ich ins Wohnzimmer und stellte es auf den Beistelltisch ab. Um die Kälte zu vertreiben, entnahm ich schnell einige Holzscheite aus der kleinen Schachtel und legte sie in den Kamin. Schon wenige Minute später brannte ein kleines Feuer und wärmte das Zimmer auf. Ich war noch immer nicht bereit, mich in den Sessel vor dem Kamin zu setzen. Viele hatten sich damals gefragt, was ich denn alleine in diesem grossen Haus machen wollte. Dabei hatte ich meine alte Wohnung nicht schnell genug verlassen können. Das Appartement war schön und schlicht gewesen. Aber es waren eher meine Nachbarn gewesen, die kaum zum Aushalten waren. Öfters am Tag hatte ich Gestöhne und Rumsen gehört. Ich konnte mir sehr gut vorstellen, was da hinter verschlossenen Türen stattfand. Dass ich ab und zu mal sogar selbst davon erregt wurde, hatte mich mehr als nur einmal schockiert. Der einzige Vorteil war, dass man dabei nicht so auf mich geachtet hatte, weil ich wahrscheinlich die unscheinbarste Person in diesem Gebäudekomplex gewesen war. Die Nachteile waren jedoch zahlreicher gewesen. Angefangen von den Geräuschen aus dem Nachbarsappartment bis hin zu den krummen Geschäften der anderen Mieter. Da kam mir dieses Haus nur gelegen. Das Erbe meiner Grossmutter auszuschlagen stand ausser Frage. Schneller als man hinsehen konnte, war ich umgezogen und gewöhnte mich an das riesige Haus, indem ich alleine leben würde. Schnell fand ich jedoch Nutzen für die vielen leeren Zimmern im Haus. Aus genau solch einem kam ich mit einem Stapel voller Blätter wieder. Mit den Blättern in der Hand nahm ich endlich Platz vor dem Kamin. Mit der freien Hand angelte ich nach meinem Drink und nahm einen kleinen Schluck daraus. Das leichte Brennen in der Kehle war mir gerade sehr willkommen. Lange betrachtete ich die Bilder in meiner Hand, bevor ich sie langsam in das Feuer warf und damit die Beweise vernichtete. Mit einem Zischen und leisem Knistern verkohlten die Blätter. Keine Zeugen, keine Beweise, gar nichts mehr. Ein diabolisches Lächeln stahl sich auf meine Lippen. Nun, niemand würde das nächste potenzielle Opfer verdächtigen.

 

Teil 2

1 Jahr später…

 

Seit gefühlten drei Stunden sass ich nun schon auf diesem Stuhl und langweilte mich zu Tode. Womit bitteschön konnten meine Kollegen - ab heute wohl eher Ex-Kollegen - so beschäftigt sein? Meine Miene verriet jedoch absolut nichts. Nein, stattdessen hatte ich eher einen sorgenvollen Gesichtsausdruck. Ich hatte genug Erfahrungen gesammelt, um zu wissen, dass ich nicht unbeobachtet war. Ich könnte alles, was ich besass, darauf wetten, dass sie schon seit einer geraumen Zeit hinter dem Spiegel standen und auf irgendeine Reaktion meinerseits warteten, dass ihnen irgendeinen Beweis lieferte. Doch da musste ich sie herb enttäuschen. Ich war noch nie gut darin gewesen, anderen das zu geben, was sie wollten. Ich habe mich selten den Erwartungen gerecht verhalten. Ich hatte schon immer meinen Kopf durchgesetzt. Ob jemand dabei zu Schaden kam, nun das kümmerte mich schlichtwegs nicht. Schliesslich hatte wohl irgendjemand Erbarmen mit mir und kam durch die Tür geschlendert. Was für eine Überraschung, es war tatsächlich mein ehemaliger Vorgesetzter Herr Glen. Da ich meine Rolle überzeugend spielen musste, sprang ich sogleich auf und startete meine Schauspielerei.

„Herr Glen! Was ist denn los? Weshalb sitze ich denn hier? Hat man etwa den Täter von damals gefunden? Hat man neue Informationen bezüglich seiner Identität?“ Der Angesprochene warf mir jedoch nur einen Blick zu und setzte sich seelenruhig hin und legte eine dicke Mappe vor sich auf den Tisch. Stirnrunzelnd betrachtete ich ihn. Er entnahm einige Bilder aus seiner Mappe und legte sie vor mir hin.

„Erkennen Sie die Personen auf den Bildern?“ Ich nahm das erste Bild in die Hand und betrachtete es eingehender. Es war mein erstes Opfer. Als ich meinen Blick auf die anderen Bilder schweifen liess, sah ich, dass es meine nächsten Opfer waren. Aber meine Rolle erforderte es unwissend zu sein. Ich legte das Foto zurück und schaute ihn an.

„Das waren Opfer, die ich damals untersucht habe. Ihre Fotos waren auch auf dem Smartphone gewesen.“

„Haben Sie davor schon einmal Kontakt mit ihnen gehabt? Mit den Opfern gesprochen?“ Offenbar hatte er mit meiner Antwort gerechnet. Ich tat so, als müsste ich lange überlegen. Tat so, als kämmte ich meine Erinnerungen danach, ob ich je mit den Personen Kontakt hatte. Mit einem Schulterzucken antwortete ich schliesslich seine Frage.

„Ich denke, ich habe ein oder zweimal vielleicht mit ihnen gesprochen. Aber es waren eher zufällige Begegnungen, so in der Art, wo man jemanden auf der Strasse nach einer Wegbeschreibung fragt.“

„Und was ist mit ihm?“ Er knallte ein Bild von Detektiv Brosius auf den Tisch. Offenbar machte ihm der Verlust eines Kollegen immer noch zu schaffen. Stirnrunzelnd nahm ich das Bild in die Hand. Selbstverständlich war er nicht rein zufällig von mir ausgewählt worden. Er hatte mich tagelang beobachtet und verhindert, meiner Leidenschaft nachzugehen. So ganz ohne Eigennutz hatte er es auch nicht gemacht. Er war der Ehemann einer meiner früheren Opfer gewesen. Natürlich hat ihn der Tod seiner Frau erschüttert. Und als Detektiv hatte er den Drang gespürt, dem Mörder auf die Schliche zu kommen. Es war fast schon lachhaft, wie vorhersehbar seine Taten waren. Leider hatte ich ohne Namen nicht nach ihm recherchieren können. Ansonsten hätte ich sicherlich seinen Beruf herausgefunden und ihm sicherlich nicht das Handy eingenäht. Ein Handy, mit dem er ein Foto von mir gemacht hatte. Er war ein Hindernis gewesen, den ich beseitigen musste. Also habe ich es getan. Kurz und leicht. Ich musste mich dafür nicht einmal mit ihm unterhalten. Im Vorbeigehen ein Piksen und Schwups, tat das Gift den Rest. Ich hatte die Polizei damals verhöhnen wollen. Nun war ich seinetwegen, seiner Rachepläne wegen hier, im Verhörraum. Denn genau das war es gewesen, dass ihn zu mir getrieben hat. Rache für den Mord an seiner Frau. Zu seinem Pech war ich schneller gewesen. Aber all das würde ich auf keinen Fall Herr Glen erzählen. Nein, er musste von meinem makabren Hobby nichts wissen.

„Er war das letzte Opfer, das ich untersucht hatte. In ihm haben wir das Handy gefunden. Aber wieso stellen Sie mir diese Fragen erneut? Ich habe sie alle doch damals schon beantwortet. Also seid ihr jetzt beim Fall weitergekommen?“ Gespannt rutschte ich nach vorne und sass auf der Stuhlkante. Meine Hände hatte ich verschränkt auf die Tischplatte gelegt. Mit einem Seufzen klappte er die Mappe zu und ahmte meine Position nach.

„Hören Sie doch auf Riley. Wir wissen, dass Sie es waren. Wir wissen, dass Sie all die Leute umgebracht haben.“ Er blickte mir in die Augen und hoffte auf ein verräterisches Zeichen. Doch darauf konnte er Äonen warten. Ich war doch nicht so hirnlos wie die anderen Killer, die alle erwischt wurden. Nein, ich war gewiefter und hatte die ganze Sache von Anfang bis Ende durchdacht. Dabei habe ich alle Variablen mitberechnet und mir alle erdenklichen Situationen ausgemalt. Auf diese Weise konnte ich Überraschungen entgehen und mein Leben unbeschwert geniessen.

„Ist das Ihr Ernst? Herr Glen? Sie können doch nicht ernsthaft denken, ich… ich hätte all diese Leute…“, weitersprach ich nicht, um den dramatischen Effekt zu erhöhen. Entsetzt schaute ich ihn an. Ich musste zugeben, mein schauspielerisches Talent hätte in Hollywood Karriere machen können. Stattdessen nutzte ich es hier, um mit multiplen Morden davon zu kommen. Solange ich dabei meinen Spass hatte, war es mir aber reichlich egal. Bei meinem Ausbruch war ich so abrupt aufgestanden, dass der Stuhl nach hinten kippte und mit einem lauten Geräusch auf den Boden aufkam. Mit ruhiger Miene beobachtete Herr Glen mich. „Sie glauben, ich wäre hier der Bösewicht? Ernsthaft? Das ist doch völlig verrückt. Sie verhören mich! Statt auf der Suche nach dem Assassine zu sein, verschwenden Sie hier Ihre Zeit mit mir! Ist das wirklich Ihr Ernst?“ Entrüstet schaute ich ihn wieder an und liess ihm spüren, was ich von dieser ganzen Sache hielt. Obwohl er es zu vertuschen versuchte, konnte ich dennoch in seinen Augen ein kurzes Auflodern von Unsicherheit sehen. Es war schnell vorüber, aber dennoch konnte ich es sehen. Das war meine Chance. Ein wenig mehr Dramatik und er würde meinem schauspielerischem Können verfallen. „Herr Glen, Sie kennen mich. Ich würde keiner Fliege weh tun. Und Sie glauben, ich wäre fähig, all diese Leute…“ Abermals unterbrach ich mich selbst und täuschte ein Würgen vor. So, als würde mir schon der Gedanke allein Übelkeiten verursachen. „Ich habe mich zurückgezogen aus Angst, den Killer auf mich aufmerksam zu machen. Ich habe seit diesem Vorfall keinen Totenschein mehr unterschrieben, sondern alles Martin überlassen. Denken Sie wirklich, ich würde all das machen, wenn ich selbst für die Morde verantwortlich war? Ausserdem, wie hätte ich ein Bild von mir selbst machen sollen? Weshalb hätte ich dann das Handy auch noch in den Körper einnähen sollen, mit dem Wissen, dass dann der Verdacht früher oder später auf mich fallen würde? Das ergibt doch von vorne und hinten keinen Sinn.“ Frustriert stützte ich mich mit den Händen am Tisch ab und liess meinen Kopf hängen. Ich kniff die Augen fest zusammen. Beim Aufblicken schwammen einige Tränen in den Augen, die aber keinen Weg hinausfanden. „Denken Sie wirklich das von mir? Dass ich das Monster bin?“ Wie erwartet wurden seine Augen weicher. Er hatte immer schon eine Art Vaterrolle gehabt und nun nutzte ich genau dies aus, um meine Ziele zu erreichen. Ohne ein weiters Wort nahm er die Mappe in die Hand und verschwand wieder durch die Türe. Ich wusste, dass der Raum Kameras enthielt und hinter dem Spiegel etliche Leute standen und zuschauten. Deshalb konnte ich mit der Schauspielerei jetzt auch nicht aufhören. Ich tat so, als wäre ich überwältigt und liess meinen Kopf wieder hängen. Ich schniefte übertrieben dramatisch, damit man mir das Ganze auch abkaufte. Ich stellte den Stuhl wieder auf und setzte mich hin. Einige Minuten später ging die Türe erneut auf und ein anderer Herr kam herein. Wo waren nur all die Frauen? Spielte ja auch keine Rolle. Ich musste nur überzeugend genug sein, damit ich ohne Anklagen wieder aus diesem Gebäude verschwinden konnte.

„Riley, hören Sie doch mit diesem Drama auf. Wir wissen, dass Sie für die Morde zuständig sind. Sie können sich Ihr Leben einfach machen und alles gestehen. Ansonsten werden Sie die ganzen Konsequenzen spüren.“ Kalte Augen blickten mich an und ich wusste, dass mein ganzes Drama mich so nicht weiterbrachte. Beim ihm würde die Strategie mit dem Unschuldslamm nicht funktionieren. Egal wie lange und fest ich auch auf meine Unschuld verharren würde, diese kalten Augen würden sich davon nicht erweichen lassen. Dazu brauchte es etwa anderes. Ob ich deshalb mit der Wahrheit herausrücken sollte? Folglich wechselte ich meine Maske und seufzte genervt auf.

„Was wollen Sie?“ Ich lehnte mich nach hinten und kratzte mit einem Finger auf der Tischplatte herum.

„Geben Sie ein Geständnis ab und schreiben Sie alles hier auf. Vielleicht können wir einen Deal mit der Staatsanwaltschaft eingehen.“ Er schob mir einen Block Papier und einen Kugelschreiber zu. Eine ganze Weile blieb es still im Raum und nur das Atmen verursachte leise Geräusche. Ich erwog einzurenken. Würde ich dann die Sympathie auf meiner Seite haben? Mit grosser Wahrscheinlichkeit schon. Einen Versuch war es ja wert. Ich nestelte weiterhin am Tisch herum und blickte schliesslich nachdenklich auf.

„Meine Schwester“, flüsterte ich so leise, dass nur er es knapp hören konnte. Keine Kamera konnte das aufzeichnen, dafür war es zu leise. Mein Kopf war so weit von den Kameras abgewandt, sodass man auf keinem der Bilder meine Lippen sehen konnte. „Das waren alles Dreckskerle. Diese Opfer, um die sie hier trauern. Denken Sie wirklich, das waren Unschuldige Seelen? Denken Sie wirklich, das waren alle Unschuldsengel? Nein, überhaupt nicht. Der eine betrog seine Ehefrau mit jungen Damen, die er wie die Unterhosen wechselte. Schamlos nutzte er sein Aussehen dafür aus und gab sich als Single aus. Die jüngste seiner Eroberungen hätte die Klassenkameradin seiner Tochter sein können. Und dann der andere: machte anzügliche Bemerkungen gegenüber seinen Assistentinnen und begrapschte sie obendrauf noch. Wo lebte dieser Scheisskerl? Wie hätte er sich wohl gefühlt, wenn man ihn ständig an den Schritt gefasst oder beim Vorbeigehen einen Klaps auf seinen Arsch gegeben hätte? Hätte er dann auch noch so laut und dreckig gelacht? Wiederum ein anderer zwang seine Angestellten zu Sex mit ihm, sonst drohte er ihnen die Kündigung. Diese Frauen waren so schon verzweifelt genug und kämpften um ihr Überleben. Sie mussten dem Job nachgehen und die Demütigungen über sich ergehen lassen, wenn sie ihre Existenz sichern wollten. Und dieses Scheusal nutzte die Situation aus und befriedigte seine Gelüste. Meine Schwester musste all das ertragen. Denken Sie, ich würde da wirklich stillsitzen? Nein, definitiv nicht. Sie hätten auch die Gerechtigkeit in die Hand genommen. Sie hätten auch Rache an diese Pestfetzen genommen. Sie hätten genau dasselbe gemacht.“ Mein feuriger Blick traf auf seine kalten Augen. Dies erlaubte es mir zu beobachten, wie er langsam weich wurde und nachgab. Wie schon Herr Glen zuvor stand er schweigend auf und verliess das Zimmer. Ich lehnte mich im Stuhl zurück und versuchte meine Atmung wieder unter Kontrolle zu bringen. Das war immer schon am schwierigsten gewesen. Meine Atmung kontrolliert hoch und runter zu bringen. Damals hatte ich ja noch meine Effortil-Tabletten, mit denen ich meinen Puls und Blutdruck hochjagen konnte. Durch Meditation hatte ich gelernt, schnell alles wieder unter Kontrolle zu bringen. Nur das Aufregen hat sich immer als etwas Schwieriges gestaltet. Aber inzwischen hatte ich genug Zeit, auch dies zu perfektionieren und schaffte es mit Lockerheit meinen Körper in den gewünschten Zustand zu bringen. Als selbst nach fünf Minuten niemand mehr in den Raum kam, stand ich auf und lief im Raum hin und her. Ich war nicht aufgeregt oder nervös. Nein, überhaupt nicht. Aber dieses Hin- und Herlaufen liess sie im Glauben, dass sie mich genau dort hätten, wo sie mich haben wollten. Dabei wussten sie nicht im Mindesten, dass ich die Katze war, die mit der Maus spielte und nicht umgekehrt. Nicht sie spielten mit mir, sondern ich manipulierte sie nach meinem Belieben. Ich hatte die Kontrolle über das Ganze hier. Nicht vor meinen Taten mussten sie sich Acht nehmen. Nein, hier spielte der Verstand die wichtigere Rolle. Um ihr geistliches Wohlbefinden sollte sie sich achten. Sie dachten, ich hätte gestanden und sie könnten mich hinter Gittern bringen. Selbst wenn mein Motiv bewegend gewesen war. Dabei haben sie sich dermassen darauf konzentriert, aus mir etwas zu herauszulocken, dass sie nicht geachtet haben, was ich gesagt hatte. Welche Worte ich gebraucht hatte. Sie haben meine Geschichte angehört, aber nicht meine Worte wahrgenommen. Mein höhnisches Lächeln konnte ich mir gerade noch so verkneifen. Ich durfte jetzt nicht schlapp machen. Also machte ich mit meiner Farce einfach weiter. Nach weiteren fünf Minuten ging die Türe wieder auf und diesmal kam Martin herein. Jetzt schickten sie schon eine dritte Person, dazu noch meinen jahrelangen Partner hier rein? Am liebsten hätte ich eine Augenbraue hochgezogen und laut geschnaubt. Das hätte aber meine so schön konstruierte Geschichte zunichte gemacht. Also spielte ich meine Rolle.

 

„Martin, was machst du denn hier? Du dürftest doch gar nicht hier sein?“ Stirnrunzelnd blickte ich ihn an. Sie dachten wohl, dass ich bei ihm einknicken würde, weil wir so viel Zeit miteinander verbracht hatten und er mich am besten kannte, von all den anderen Leute auf diesem Präsidium. Wenn sie nur wüssten. Martin deutete nur schweigend auf den Tisch, sodass ich mich auf den Stuhl setzte und gespannt auf seine Erklärung wartete. Er nahm mir gegenüber Platz und schaute mir in die Augen.

„Ich weiss, dass du keine Schwester hast. Dass du nie eine hattest. Also was soll dieser Scheiss? Warum diese Lügerei?“ Seine Augen blitzten mich wütend an. Ein klein bisschen Respekt musste ich schon zollen. Obwohl die erfahrensten Polizisten hier mir alles abgekauft hatten, hatte er mich zumindest ein bisschen durchschauen können. Aber war nicht genau das mein Ziel gewesen? Dass er letztendlich hierherkam, um mit mir zu sprechen? „Denkst du wirklich diese nette Geschichte hätte mich täuschen können? Was ist nur los mit dir?“ Zorn funkelte in seinen Augen. Aber verschleiert dahinter lag nichtsdestotrotz Sorge. Fast hätte ich gelacht. Wie berechenbar doch die Menschen alle waren. Ich schielte kurz auf die Uhr und stellte fest, dass es noch einige Minuten dauerte. Bis dahin musste ich sie hinhalten. Ihn hinhalten. Als ich auf seine Frage weiterhin mit Schweigen antwortete, stand er genervt auf. Ich dachte bereits, dass er aufgab und wieder hinauswollte. Ich war ja fast schon enttäuscht. Aber da ging er in jede Ecke und schaltete mit geübten Handgriffen die Kameras aus und nahm wieder Platz auf seinen Stuhl. Ohne Zweifel, meine Taktik ging auf. „Also, die Kameras sind alle aus. Sag mir jetzt, wieso du das getan hast. Und wage es nicht mich anzulügen!“ So erzürnt kannte ich ihn gar nicht. Aber das spielte absolut keine Rolle. Er konnte doch nicht wirklich denken, er würde mich zu einem Geständnis bringen können? So naiv konnte er doch wirklich nicht sein. Oder etwa doch?! „Riley, komm schon. Ich will dich doch nur da rausholen. Wie kann ich dir helfen, wenn du mir nicht verrätst, was los ist? Wir haben uns immer über alles unterhalten können. Haben uns gegenseitig alles anvertraut. Und jetzt willst du mir nicht verraten, was los ist? Du lässt dir nicht von mir helfen?“ Inzwischen war sein Blick voller Verzweiflung. Das Mikrofon wurde mit einer unauffälligen Geste von meiner Hand verdeckt, sodass dieses Gespräch wirklich nur unter uns blieb. Kurz überlegte ich sogar, dass er ja vielleicht verkabelt war. Aber nach einem schnellen Blick über seine Gestalt konnte ich das ausschliessen. Dennoch wählte ich meine Worte mit Bedacht aus. Ich konnte einfach kein Risiko eingehen, egal wie sicher ich auch mit meinen Beobachtungen war.

„Was willst du hören? Dass es mir leidtut? Wenn ja, dann muss ich dich enttäuschen. Denn mir tut es absolut nicht leid.“ Diesmal hielt ich seinen Blick gefangen, damit ich wirklich auch die kleinste Regung sehen konnte.

„Wie hast du das ganze gemacht?“ Den Abscheu auf seinem Gesicht versuchte er gar nicht erst zu verstecken. Ob der Abscheu auch ihm selbst galt? Immerhin hatte er so viele Jahre unwissend mit einem Assassine gearbeitet.

„Das wüsstest du wohl gerne. Das ist und bleibt ein Rätsel. Ich kann doch nicht die ganze Arbeit für euch übernehmen. Ihr könnt euch alle schön die Köpfe darüber zerbrechen.“ Ein hämisches Lächeln konnte ich mir nicht verkneifen.

„Wieso hast du all die Leute umgebracht?“ Als Antwort zuckte ich nur mit der Schulter. Das kam bei ihm überhaupt nicht gut an. „Verdammt nochmals, Riley! Es geht hier um Menschenleben! Um dein Leben! Willst du es wirklich einfach so wegschmeissen?“ Inzwischen loderte der Zorn nur so aus ihm heraus und aufgebracht stand er auf. Den Stuhl schmiss er dabei zu Boden und fuhr sich wieder und wieder durch die Haare. Ich warf ihm nur ein belustigtes Lächeln zu und behielt mein Schweigen bei. Gerade als er zu einer weiteren Tirade ansetzen wollte - ob zum Schimpfen oder zum Fluchen konnte ich nicht sagen - ging die Türe auf. Perfektes Timing! Eine Frau im mittleren Alter durchquerte den Raum und stellte sich neben mich hin. Sie hatte eine bestimmende Art, wodurch sie automatisch den Respekt der anderen immer gewann. Ihre aufrechte Haltung und das dominante Auftreten tat ihr übriges. Ihre schwarzen glatten Haare, die streng blickenden Augen und das enge Kleid hatten natürlich auch ihren Effekt.

„Sie haben hier nichts verloren und haben kein Recht mit der Person, die Sie zu Unrecht für die Morde bezichtigen, zu sprechen. Das Gespräch, das zwischen euch stattgefunden hatte, wird vor Gericht als Beweismittel nicht zugelassen, wenn Sie überhaupt mit einer Anklage durchkommen. Sie halten meinen Schützling ohne stichhaltige Beweise fest. Oder haben Sie etwas Handfestes?“ Demonstrativ tappte sie mit den Füssen auf dem Boden und brachte ihre Ungeduld zum Ausdruck. Der arme Martin hatte kaum etwas auszusetzen. Sie wartete nicht einmal eine Sekunde, bevor sie fortfuhr. „Offenbar ist das ja nicht der Fall. Dann sind wir ja hier fertig. Wenn Sie uns nun bitte entschuldigen würden. Wir haben reichlich besseres zu tun, als unnötig in einem Raum eingesperrt zu sein.“ Ein herablassender Blick und ein lautes Schnauben. Mit einem Wink gab sie mir zu verstehen, dass wir verschwinden würden und schnell stand ich auf. Mit einem kleinen Nicken und einem triumphierenden Lächeln auf den Lippen verliess ich das Zimmer. Stolz wie ein Pfau schritt ich mit erhobenem Haupt in den Gang und verliess das Präsidium. Die Polizei hatte absolut keine Beweise gegen mich. Mit keinem Wort hatte ich bei all den Gesprächen zugegeben, dass ich wahrhaftig für all diese Morde zuständig war. Es gab viele Andeutungen, ja. Aber nie hatte ich es wörtlich gesagt oder aufgeschrieben. Das Beste von allem? Bei jedem zukünftigen Mord werden sie sich fragen, ob ich es war oder ob es jemand anderes war. Denn sie werden auch in der Zukunft es nicht schaffen, mir diese und weitere Morde anzuhängen. All ihre Indizien würden von meiner Anwältin zunichte gemacht werden. Sie war wirklich sehr gut, weshalb ich sie auch als meine Verteidigerin gewählt hatte. Sie würde die Anklage in der Luft zerfetzen.

Aus unerklärlichen Gründen kreiste mir die eine Frage im Kopf, die mir Martin zuletzt gestellt hatte. Weshalb habe ich die Leute umgebracht? Er glaubte, er könnte mich retten. Dass ich es aus Rache gemacht habe, oder dass ich einen tieferen Grund darin sah. Dass ich die Gerechtigkeit selbst in die Hand genommen hatte. Die Wahrheit war jedoch ziemlich simpel. Die Opfer waren nicht böse. Ob sie wirklich ihre Frauen betrogen, Frauen schlugen oder sie zu Sex zwangen? Keine Ahnung. Die weiblichen Opfer hatte ich nicht einmal erwähnt. Hätte die nette kleine Story zerstört. Nein, ich kannte die Leute überhaupt nicht und habe sie alle auch nicht gestalkt. Sie waren schlichtwegs zur falschen Zeit am falschen Ort. Sie waren alle völlig zufällig gewählt worden. Sie hatten das Pech mir hinhalten zu müssen. Damit ich meiner Leidenschaft nachgehen konnte. Es bereitete mir eine grosse Freude zu sehen, wie das Leben aus ihren Augen verschwand. Wie das Leuchten und Funkeln langsam erlöschte und nur noch ein Körper übrigblieb. Es gab absolut keinen Grund, wieso ich die Leute nicht töten sollte. Da mich niemand hindern konnte, tat ich es auch und werde es auch weiterhin tun. Brosius war wohl der einzige, den ich aus einem Grund getötet hatte. Seine Rachegedanken hatte sein Todesurteil unterschrieben. Oh ja, mit Genugtuung habe ich aus der Ferne beobachtet, wie er um sein Leben gekämpft hat. Wenn er heute gelebt hätte, würde er immer noch unter dem Verlust seiner Frau leiden. In diesem Sinne war ich gnädig gewesen, ihm einen schnellen Tod zu gewähren. Dass ich mit seinem Tod der Polizei unabsichtlich einen Hinweis geschickt hatte, konnte ich nun auch nicht mehr ändern. Aber immerhin hatte mir das ermöglicht, die Polizei sowohl aus der Ferne als auch von der Nähe aus zu verhöhnen. Ihnen vor den Augen vorzuführen, dass ihnen die Hände gebunden sind. Dass sie letztendlich auch nur machtlose Menschen waren, wenn es wirklich darauf ankommt. Das diabolische Grinsen auf meinen Lippen versprach noch viele weitere ungeklärte Morde, die das ländliche Gebiet in Aufruhr versetzen wird. Oh ja, das wird mir ein höllischer Spass sein. Das nächste Opfer konnte ich bereits sehen. Womit ich sie umbringen wollte? Ich brauchte nichts weiter als meine Finger. Das Wissen über die Anwendung hatte ich schon viele Jahre zuvor erlernt. Dim Mak zu erlernen war wahrscheinlich die beste Sache gewesen, die ich je getan hatte. Ich hatte es auch schon benutzt, damit alle die Todesfälle für einen natürlichen Tod hielten. Mit mir als untersuchender Gerichtsmediziner meiner eigenen Opfer war es noch einfacher meine Taten zu vertuschen. Wie dumm sie doch waren. Das Grinsen vertiefte sich nur noch mehr und meine Vorfreude war grenzenlos.

Weshalb ich die Leute in Wahrheit tötete? Einfach weil ich es konnte.

 

ENDE

 

Imprint

Text: Alle Rechte für die Geschichte gehören mir.
Publication Date: 12-14-2020

All Rights Reserved

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