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Wallfahrt


Dann goss er Wasser in eine Schüssel und begann, den Jüngern die Füße zu waschen und mit dem Leinentuch abzutrocknen, mit dem er umgürtet war. (Joh 13:5)


Die beiden waren noch nicht lange verheiratet. Am Anfang war alles so schön gewesen. Einer glücklichen Zukunft schien nichts im Wege zu stehen.
Aber jetzt, ein halbes Jahr später, schmeckte ihm das Essen nicht mehr, weil es nicht wie früher mit Liebe zubereitet war. Auch seine Arbeit, die er früher so gern gemacht hatte, wurde ihm immer mehr zur Qual. 'Wozu das Ganze?' Meist kam er missmutig nach Hause und wenn seine Frau ihn ansprach reagierte er nur mit einem Brummen. Für so einen Brummbär hatte sie keine Lust die Wäsche zu waschen. So war die Beziehung auf dem Nullpunkt. Sie war ganz einfach eingefroren.

Und zu allem Überdruss sollten sie jetzt auch noch auf eine Wallfahrt gehen. Sie hatten sich vor über fünf Monaten begeistert angemeldet und sie dann fast vergessen. Jetzt war es zu spät um sich abzumelden. Es war für sie eine schreckliche Vorstellung: Jeden Tag weite Fußmärsche, am Abend müde Füße, Unterkünfte ohne jeden Luxus und dann noch ständig den Partner in der Nähe, dem man am liebsten aus dem Weg gegangen wäre.

Die anderen Wallfahrer waren alles fröhliche Leute und die beiden verdarben ihnen fast die ganze Freude. Der Wallfahrtsbegleiter konnte sich noch so bemühen – sie hörten kaum zu.

Einmal kamen sie spät abends in eine Herberge. Da las ihnen der Wirt Joh 13,3-17 vor.
Wie immer waren sie weit fort mit ihren Gedanken und nahmen kaum wahr was sie da hörten. Dann begann der Herbergsvater jedem die Füße zu waschen. Sie empfanden das als furchtbar peinlich und wären am liebsten davon gelaufen. Aber es gehörte wohl zum Programm, das man über sich ergehen lassen musste.
Doch als ihnen die Füße gewaschen wurden, da fühlten sie sich plötzlich tief berührt. Es war als wenn da jemand den Schmutz von ihren Herzen waschen würde. Nun war es wieder frei und konnte die Wärme der Sonne annehmen. Ihre erkalteten Herzen wurden wieder warm. So recht verstanden sie nicht was da mit ihnen geschah. Sie merkten, dass sie viel Zeit benötigen würden, um sich darüber klar zu werden und um noch einmal über den vorgelesenen Text nachzudenken. So waren sie den restlichen Abend ganz in sich gekehrt und sprachen kaum ein Wort.
Auch am nächsten Tag waren sie noch sehr ruhig und nachdenklich. Aber beim Frühstückt fiel den anderen Wallfahrern auf, dass sich die beiden tief in die Augen schauten und sich anstrahlten. Diese Blicke hatten Tiefe – sie kamen aus dem Herzen. Die anderen konnten es nicht verstehen: Diese missmutigen Menschen schienen plötzlich ein Glück zu erleben, nach den sie sich selbst immer noch sehnten.

Als die beiden dann auf ihr Zimmer gingen um alles für das Weiterwandern zu packen, nahm die Frau die Hände ihres Mannes und sagte ganz leise aber sehr bestimmt:
„Ich möchte Dir dienen.“ Erleichtert erwiderte er: „Ich Dir auch.“

Die Wallfahrt wurde jetzt für beiden zu einer richtigen Hochzeitsreise.Unterwegs steckten sie die andern immer wieder mit ihrer Fröhlichkeit und Freundlichkeit an.
Am Ziel angekommen standen sie Mitten in der Nacht auf und besuchten die leere Kirche, die nur spärlich mit Kerzen beleuchtet war, und dankten gemeinsam Gott.

Das kranke Herz



Ich werde euch nicht als Waisen zurücklassen, sondern ich komme wieder zu euch. (Joh 14:18)



Das Heim



Achim und Hans waren Zwillingsbrüder. Ihre Mutter war früh gestorben. Ihr Vater hatte sich immer sehr bemüht, ihnen die Mutter zu ersetzen. Sie waren zwar arm und hatten nur soviel, dass sie nicht zu hungern brauchten, aber sie waren trotzdem glücklich und zufrieden. Sie hatten den besten Papa auf der ganzen Welt.
Eines Tages jedoch hatten sie ein sehr ernstes Gespräch: „Wünscht ihr euch nicht oft auch, so viel zu besitzen wie die anderen Kindern und nicht immer nur das Notwendigste?“ „Ja das wäre toll.“ meine Hans dazu. „Dann könnten wir auf die Schule gehen und etwas Gescheites lernen, damit wir später einen guten Beruf ergreifen könnten und nicht länger in Armut leben müssten.“ begeisterte sich Achim. Nachdenklich meinte der Vater dazu: „Ich habe ein einmaliges Angebot bekommen. Es wäre wirklich möglich, dass wir unser Leben verändern und es genauso genießen können wie andere Leute.“


„Super!“ meinte Hans „Dann nimm es doch an und wir werden uns endlich auch mal was leisten können.“ Da wurde der Vater ziemlich betrübt: „Aber ich müsste dann weit weg ziehen und könnte euch erst mal nicht mitnehmen. Denn der Anfang wird sehr schwer werden.“ Achim war ganz entsetzt: „Nein! Du darfst uns nicht allein lassen. Wir brauchen Dich. Du bist für uns wichtiger wie alles andere. Wir wollen lieber arm bleiben, wenn Du nur bei uns bleibst.“ „Aber ich kann einfach nicht mit ansehen, dass ihr, wenn ihr erwachsen seid, wieder nur ein so armseliges Leben führen könnt wie ich. Ich darf die Gelegenheit nicht versäumen, die unser Leben ändern kann.“
Trotz allen Protestes der Kinder war nichts mehr am Entschluss des Vater zu ändern. So brachte er sie in ein Waisenhaus und versprach ihnen, sie so bald wie möglich wieder zu sich zu nehmen. Sie hatten dort alles, was sie zum Leben brauchten und litten keine Not. Jedoch immer, wenn die beiden allein waren, flossen viele Tränen, aber sie trösteten sich damit, dass ihr Vater sie ja bald abholen würde. Das erzählten sie auch den anderen Kindern. Die wurden ganz neidisch.


Aber nachdem ein Monat vergangen war, konnte Achim nicht mehr daran glauben. Aber Hans hielt daran fest und es machte ihm nichts aus, wenn die anderen Kinder ihn deswegen verspotteten. Sogar die Erwachsenen ermahnten sie: „Hört endlich auf, etwas Besseres sein zu wollen. Das bringt euch nur Kummer und Leid. Ihr müsst jetzt endlich lernen ohne Eltern auszukommen.“ Wenn sie solche Worte hörten, dann wurde es ihnen ganz schwer ums Herz. Sie hatten doch einen Vater. Warum kam er denn nicht?


Der Vater




Ihr Vater war in eine ferne Stadt gezogen. Er musste sich gegen viele, die bessere Startbedingungen wie er hatten, durchsetzten. Mit zähem Fleiß, Ausdauer und Geduld schaffte er es. Tagtäglich arbeitete er viel länger wie die anderen und er erreichte tatsächlich sein Ziel. Er hatte es viel weiter gebracht wie die meisten anderen, aber er war damit nicht mehr zufrieden. Jetzt wollte er ganz an die Spitzte und er war überzeugt, dass er es schaffen könnte. Es gab für ihn nichts mehr anderes wie Arbeit, totalen Einsatz bis zum Umfallen. Nie verzagen, nie nachgeben, sich immer wieder selbst überwin-
den, immer wieder sich selbst übertreffen und noch besser werden.
Doch da kam es von einem Tag auf den anderen: Burnout. All seine Träume waren zunichte geworden. Trotzdem hatte er eine sehr gute Stellung, die er nach seiner Genesung wieder einnehmen konnte. Aber er wollte nicht so recht gesund werden. Trotz seines großen Erfolges kam er sich wie ein Versager vor. Obwohl er eigentlich genau das erreicht hatte, was er sich ursprünglich vorgenommen hatte.


Glücklicherweise lernte er eine junge Frau kennen. Sie verliebten sich ineinander und sie konnte ihm helfen, dass er wieder arbeiten und leben konnte. Sie waren sehr glücklich miteinander. Doch sie wollte ihn nicht heiraten und sie wollte auch keine Kinder. Er vermutete, dass sie ihre Freiheit und Unabhängigkeit so sehr liebte. So konnte er ihr natürlich nichts von seinen Kindern erzählen. Er redete sich ein: Sie sind inzwischen in einem sehr guten Internat. Ich habe mein Versprechen gehalten, ihnen ein besseres Leben zu ermögli-
chen. Nun ja, zurückgekommen bin ich nicht, aber ich muss mein eigenes Leben leben. Auch ich habe Anspruch auf ein gutes und glückliches Leben.
Er versuchte seine Vergangenheit einfach zu vergessen und sich ganz der Gegenwart hinzugeben.


Die Kinder



Die beiden Kinder hatten gerade Ferien und waren die einzigen, die noch im Internat waren. Jetzt führten sie ihren Plan aus, den sie schon so lange vorbereitet hatten. Sie verschwanden ganz heimlich. Durch langes Nachforschen hatten sie herausbe-
kommen, in welcher Stadt ihr Vater wohnte. Also machten sie sich auf den Weg. Es gab viele Hindernisse und Schwierigkei-
ten, besonders am Schluss, als sie ihn in dieser großen Stadt finden wollten. Aber letztendlich war es ihnen gelungen.
Ganz aufgeregt drückte Achim die Türklingel. Nach kurzem kam eine fremde Frau heraus. Sie sagten ihr wen sie sprechen wollten und sie führte sie ins Wohnzimmer. Kurz darauf erschien ein Mann. Ja es war zweifellos ihr Vater. Aber er schien ihnen mächtig gealtert zu sein. Wie groß war ihre Enttäuschung als sie ihr Vater überhaupt nicht willkommen hieß, sondern ein sehr betrübtes Gesicht machte. Er konnte für seine Kinder nichts mehr empfinden, sie waren ihm so fremd, er konnte nichts mit ihnen anfangen – das Ganze war ihm nur unendlich peinlich.
Die Frau brachte die Kinder ins Bett. Im Gästezimmer gab es ein großes und weiches Bett, in dem sie beide schliefen. Ganz bedrückt fragte Hans:


„Warum hat sich unser Vater so verändert? Er war doch früher so gut zu uns. Ob das an der Frau liegt?“ „Nein, das glaube ich nicht.“ erwiderte Achim „Sie scheint doch ganz nett zu sein. Ich kann es auch nicht verstehen was da passiert ist.“ Da kam der ganze Schmerz ihres Lebens wieder hoch und sie begannen bitterlich zu weinen. Kurz darauf kam die fremde Frau ins Zimmer und setzte sich zu den beiden. Aber sie sprach kein Wort und fing plötzlich auch zu heulen an.
Als sie alle drei schließlich keine Tränen mehr hatten und sich etwas beruhigten, frage Achim: „Warum weinst Du? Magst Du unseren Vater jetzt nicht mehr, weil wir hier sind?“ „Nein ich werde ihn immer mögen, aber ...“ und da versagte ihr die Stimme. „Wie heißt Du eigentlich?“ wollte jetzt Hans wissen. „Maria.“ Achim fragte sie nun neugierig: „Kannst Du uns sagen, was unseren Vater so verändert hat. Wir erkennen ihn ja kaum wieder.“ Da begann Maria zu erzählen, wie schwer es für ihren Vater war, sich durchsetzten, wie er noch so vieles erreichen wollte und dann plötzlich krank wurde. „Ich konnte ihm helfen, wieder gesund zu werden.


Aber sein Herz konnte ich nicht heilen.“ Die beiden Brüder hatten aufmerksam zugehört und sie hatten verstanden. Im Hinausgehen sprach Maria noch so vor sich hin: „Das war auch der Grund, warum ich ihn nicht heiratete und keine Kinder haben wollte.“ Als sie schon an der Tür war, hörte sie noch die kräftige und bestimmte Stimme von Hans: „Dann müssen wir das Herz unseres Vaters heilen.“


Ferien



Als sie alle am nächsten Morgen um den Frühstückstisch saßen, war der Vater ganz verwundert. Alle waren so freundlich zu ihm und Maria schien sich auch gut mit den Kindern zu verstehen. Das alles verwirrte ihn sehr und er war froh als er endlich ins Büro flüchten konnte.
Maria lächelte den Kindern zu und erklärte ihnen: „Wir machen heute einen Ausflug und Picknick im Grünen.“ Das fanden die beiden ganz toll. So etwas hatten sie noch nie erlebt. Als sie gemütlich in der grünen Wiese saßen und alles aufgegessen hatten, fragte Maria: „Und wie geht es jetzt weiter? Habt ihr irgendeine Idee, wie wir ihm helfen könnten.“ Die beiden überlegten angestrengt und dann meine Hans: „Wir müssten mehr Zeit haben. Sicherlich schickt er uns heute noch zurück.“ Da lächelte Maria: „Ich habe in eurem Internat angerufen und Bescheid gegeben, dass ihr die Ferien bei uns verbringt.“ Die Brüder sprangen vor Freude auf und brachen in Jubel aus. Aber dann wurden sie wieder ganz ruhig und still, denn die Lage war ja immer noch sehr ernst. Achim meinte erst mal ganz sachlich: „Dann hätten wir ja das erste Problem schon gelöst. Wie machen wir weiter?“ Ganz spontan antwortete Hans: „Ist doch klar. Papa braucht auch Ferien.


Wenn er nie da ist, können wir ihm doch nicht helfen.“ Da schaute Maria ganz traurig: „Freiwillig wird er nie Urlaub machen. Er hat noch den ganzen Urlaub vom vorigen Jahr.“ Doch jetzt war Achim mit einer Antwort nicht verlegen: „Dann muss ihn halt sein Chef in Urlaub schicken. Dem muss er ja schließlich folgen." Da lächelte Maria: „Der ist doch froh, wenn seine Leute möglichst viel arbeiten. Warum sollte er ihn in Urlaub schicken?“ „Wir müssen halt mit ihm sprechen.“ meinte Hans ganz aufgeregt. „Oh weh.“ meinte da Maria „Der ist so hoch oben, dass niemand zu ihm vordringen kann. Man würde euch sofort wegschicken. „Dann müssen wir ihn halt beobachten wie Detektive und einen günstigen Moment ab-
warten, an dem wir ihn ansprechen können.“ Maria sah wie die Augen der Kinder leuchteten. Detektiv spielen schien für sie das Schönst zu sein, was sie sich vorstellen konnten. Sie hielt die beiden für sehr selbstständig und warum sollte sie ihnen die Freude verderben? Also stimmte sie zu. Sofort wurde sie einem Verhör unterzogen, was sie alles über den Chef wisse. Achim und Hans waren mit den Auskünften zufrieden und zu Hause ließen sie sich noch ein Foto zeigen, auf dem ihr Vater mit seinem Chef abgebildet war.


Sie waren also bestens vorbereitet und standen zum Dienst-
schluss auf Beobachtungsposten. Zuerst verließen viele Mitarbeiter das Gebäude und schließlich auch ihr Vater. Sie waren stolz darauf, dass er sie nicht bemerkte. Es dauerte noch eine ganze Weile bis letztendlich auch der Chef kam. Sie wussten bereits, dass er in der Nähe wohnte und deshalb zu Fuß ging. So konnten sie ihm gut folgen. Doch dann standen sie gut versteckt ewig lange vor seinem Haus. „Vielleicht kommt er heute überhaupt nicht mehr heraus.“ gab Hans zu bedenken. „Doch.“ meinte Achim ganz sicher „Er hat keine Frau und auch keine Köchin. Also muss er doch zum Abendessen aus gehen.“ Das leuchtete Hans ein und er bemühte sich um Geduld, was ihm gar nicht so leicht fiel. Es fing schon an zu dämmern als der Chef tatsächlich das Haus verließ. Langsam und gelangweilt schlenderte er durch die Straßen und nach einer viertel Stunde betrat er ein vornehmes Restaurant.
„Das ist der richtige Augenblick.“ meinte Hans der sich kaum mehr still halten konnte. „Warte noch bis er seine Bestellung aufgegeben hat! Dann können wir ungestört mit ihm reden.“ Also geduldeten sie sich noch einige Augenblicke und schritten dann ernst und feierlich auf den Tisch zu an dem der Chef saß.


Sie verbeugten sich artig, begrüßten den alten ehrwürdigen Herrn und machten ihm dann ganz eindringlich klar, dass sie in einer ganz wichtigen Sache mit ihm sprechen müssten. Der Chef war belustigt und meinte: „Ob ich hier sitze und sinnlos vor mich hingrüble oder euch zuhöre ist ja egal. Bestellt euch erst mal was zu essen. „Ich denke wir werden zu Hause noch etwas bekommen.“ lehnte Achim dankend ab. Aber den Vorschlag, sich etwas zum Trinken zu bestellen, nahmen sie freudig an. „Also, was kann ich für euch tun?“ eröffnete der Chef das Gespräch. Die beiden machten ihm klar, um wen es ging. „Ja, das ist mein bester Mitarbeiter.“ lobte der Chef. „Woher kennt ihr ihn?“ „Er ist unser Vater.“ „Ich wusste gar nicht, dass er verheiratet ist und Kinder hat.“ „Er ist nicht verheiratet. Unsere Mutter ist schon sehr früh gestorben.“ „Das tut mir leid. Und wer macht euch dann Essen, wenn ihr nach Hause kommt?“ „Seine Freundin. Aber wir sind nur während den Ferien hier. Das erste Mal. Bisher sind wir aus dem Internat nie raus gekommen.“ „Schön und gut. Aber jetzt weiß ich immer noch nicht um was es geht. Er braucht ja sicher keine Gehaltserhöhung, um heiraten zu können.“ scherzte der Chef.


„Nein, aber er braucht Urlaub, damit seine Arbeitskraft erhalten bleibt und wir ihn heilen können.“ verkündete Hans ganz aufgeregt, aber mit sehr viel Nachdruck. Der Chef wurde ganz nachdenklich:„Da habt ihr recht. Ich dachte gar nicht daran, dass er sich wieder überarbeiten könnte.“ Feierlich bestellte der alte Mann bei der Bedienung Briefpapier und einen Umschlag. Dann zog er einen goldenen Füllfederhalter aus seiner Brusttasche und begann zu schreiben. Danach legte er den Brief ein und verschloss das Kuvert. Dann schrieb er noch den Namen des Vaters darauf und übergab ihn den beiden. „So das vertraue ich jetzt euch an, damit ihr es ihm überreicht.“ Die beiden bedankten sich überschwänglich und waren ganz außer sich, als ihnen der Chef anbot, sie mit seinem Auto heimfahren zu lassen. Vor allen Leuten zog er sein Handy aus der Tasche und bestellte den Chauffeur für die Jungs. Sie fühlten sich wie Prinzen, als sie in der Limousine heimgefahren wurden. Leider war der Weg viel zu kurz.


Der Plan



Als sie freudestrahlend das Haus betraten, trafen sie auf eine total zerknirschte Maria. Sie umarmten sie und fragten was denn vorgefallen sei. „Euer Vater ist nicht nach Hause gekommen. Das ist das erste Mal. Das hab ich noch nie erlebt.“ „Aber wir haben ihn doch erst vor drei Stunden gesehen und es hat ihm nichts gefehlt. Ihm wird doch nichts passiert sein.“ Auch die Kinder waren plötzlich in Panik. Maria versuchte sie zu beruhigten: „Er kann gut auf sich selbst aufpassen. Es wird ihm schon nichts passiert sein,“ Aber es klang nicht sehr überzeugend. Dann brachte sie die Kinder nach dem Abendes-
sen ins Bett. Sie musste aber versprechen sofort Bescheid zu sagen, wenn ihr Vater wieder da sei. Eine panische Angst stieg in ihnen auf, dass sie ihr Vater wieder verlassen haben könnte und sie schluchzten vor sich hin. Es war schon lang nach Mitternacht, als sie plötzlich Lärm hörten. Da alle Türen geschlossen waren, konnten sie nichts Genaues wahrneh-
men. Aber schon bald kam Maria und teilte ihnen mit: „Er war noch in einer Kneipe, um über alles nachzudenken. Und weil er normalerweise keinen Alkohol trinkt, hat er wohl zu viel erwischt. Aber ihr braucht euch keine Sorgen zu machen. Es geht ihm gut.“


Beim Frühstück waren ihm die Nachwirkungen der letzten Nacht noch deutlich anzusehen. Er war einfach mit allem überfordert. Er musste sich jetzt der Wahrheit stellen und konnte nicht länger von ihr davonlaufen. „Ruf im Büro an, dass ich heute nicht kommen kann.“ „Nicht nötig.“ meinte Hans strahlend „Das haben wir alles schon geregelt.“ und Achim überreichte ihm feierlich den Brief. Als er den Brief gelesen hatte, wollte er zu toben anfangen, aber sein Kopfweh verhinderte es. Nach dem Frühstück meinte Maria: „Leg Dich noch etwas hin. Heute Nachmittag machen wir gemeinsam eine Bootsfahrt zu einer Insel. Das wird euch bestimmt Spaß machen und aufheitern.“ Brummend folgte er ihrem Ratschlag. Er konnte sich nicht vorstellen, dass ihn irgend etwas aufheitern könnte.
Das Wetter war stark bewölkt, so dass nur wenige Menschen auf dem Schiff waren und niemand außer ihnen auf der Insel ausstieg. Die Erwachsenen setzten sich auf eine Parkbank und die Kinder erkundeten die Insel. „Wie kamst Du nur auf die Idee, dass sie die ganzen Ferien über hier bleiben sollen? Das halt ich nicht aus. Die Situation wächst mir über den Kopf. Wir müssen sie nach Haus schicken. Ich werde sonst noch verrückt. So was wie gestern Abend darf nicht nochmal passieren.


Aber vielleicht fällt es ihnen jetzt leichter, wieder zu gehen, nachdem sie gesehen haben, dass ihr Vater ein Säufer ist und mit dem Vater, den sie kannten nichts mehr zu tun hat.“ „Jetzt übertreibe nicht so maßlos. Kannst Du nicht wenigstens etwas freundlich zu ihnen sein. Sie wollen alles für Dich tun. Sie wollen sogar Dein Herz heilen.“ Er stöhnte: „Das kann niemand mehr. Dazu ist es zu spät. Ich kann mich nicht mehr ändern. Wir machen es uns doch nur unnötig schwer. Desto länger sie da sind, desto schwerer fällt ihnen der Abschied. Und ihre Heilungsversuche können doch nur in Enttäuschung enden. Was soll das Ganze? Lass uns Schluss damit machen.“ „Mensch, die Kinder glauben an Dich. Kannst Du das nicht auch wenigstens ein bisschen versuchen? Du hast so viel in Deinem Leben erreicht und jetzt, wo es wirklich wichtig ist, willst Du aufgeben?“
Das Gespräch führt zu nichts und plötzlich tauchten die Kinder auf. Man konnte ihnen ansehen, dass sie wieder mal etwas ganz Wichtiges beschlossen hatten und sie näherten sich mit viel Würde und Ernst. Maria musste sich das Lachen verknei-
fen. Feierlich teilte Achim seinem Vater mit: „Du musst heute für uns kochen.“ „Ich kann nicht kochen.“ meinte der Vater. „Du hast früher immer so toll gekocht.“ fiel Hans ins Gespräch ein.


"Da gab es auch nicht viel zu kochen. Auf jeden Fall hab ich es schon längst verlernt.“ war die brummige Antwort. Aber Achim ließ nicht nicht entmutigen: „Maria darf Dir dabei helfen. Aber kochen musst Du!“ meinte er klar und bestimmt. Jeder merkte, dass er keine Widerrede zulassen würde. „Was soll denn dieser Unfug?“ fragte der Vater ganz verzweifelt. Hans klärte ihn auf: „Wenn Du für uns kochst, dann zeigst Du uns, dass Du uns ein wenig lieb hast – und dann kann Dein Herz heilen.“ „Ach, so einfach ist das.“ war die ironische, aber resignierte Antwort. „Überhaupt nicht leicht. Aber es wird funktionieren.“ meinte Achim ganz überzeugt. Seine Sicherheit war fast ansteckend.

Als sie beim Abendessen saßen, bedankte sich Hans dafür herzlich bei seinem Vater und Achim meinte: „Schau Papa, wie lieb wir Dich haben, dass wir das essen.“ Da konnte er sich ein Grinsen nicht mehr verkneifen: „Solltet ihr das Unmögliche doch noch schaffen? Ihr seid auf jeden Fall gute Herzchirurgen.“ Irgendetwas hatte ihn angerührt und plötzlich freute er sich darauf, die Ferien mit seinen Kindern zu verbringen.

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Text: ®MicMam 2012
Publication Date: 04-01-2012

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