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Das stetige Piepsen der Anzeigen und das Raunen der Atommotoren erzeugten eine leichte Gänsehaut auf Flips Schulter. Deimos, den kleinen, hatten sie schon vor gut einer Stunde passiert. Der Kapitän der kleinen Raumstation, hatte ihnen gratuliert – Sie würden die Ersten sein, die so weit gekommen waren. Raumstation Deimos 1, (Die Eins war ein Witz, es würde niemals eine zweite auf diesem Krümel im All gebaut!), existierte nun schon gute zwei Jahre auf die­sem unfreundlichen Marstrabanten. Auf ihrem Rückweg, würden Flip und seine Leute dort anhalten und sich mit Vorräten bestücken lassen.
Sie würden die Ersten sein!
Ein Kribbeln kroch über Flips Rücken. Die Crew der Spacehawk würden die ersten Menschen auf dem Nachbarplaneten ihrer Heimat sein, Hundert Jahre nachdem Neal Armstrong seinen Fuß auf Mondstaub setzte. Flip schaute in die strahlenden Augen seiner Steuerfrau, Tränen liefen über ihre schokoladenfarbenen Wangen und ein Lächeln breitete sich über das ganze Gesicht aus. Wanda nickte ihm glücklich zu. So glücklich hatte sie die letzten Monate nie drein gesehen, nicht einmal, als er ihr ihren ersten Orgasmus hinterm Mond gleich rechts verpasste. Wanda wusste genauso wie er, dass sie auf der Erde wie Helden gefeiert werden würden. Sie waren Helden! Pioniere. Sie waren aufgebrochen, um die Menschheit vor dem Untergang zu bewahren. Wanda, Harris, Marcel, Luc und Flip.
„Seht! Da ist Phobos!“ Harris staunte übers komplette Antlitz, seine Augen wollten heraus fallen und in dem kleinen Bullauge vor ihm kullern.
Vor dem Spaceship Spacehawk kroch der größere der beiden Marsmonde. Sein Äquatordurchmesser lag bei etwa 22 km und war der Stützpunkt der Chinesen. Die Spacehawk und das chinesische Schiff hatten sich ein erbarmungsloses Rennen geliefert, welches für die Asia­ten aber schon hinterm Mond aufhörte, da ihre Maschinen versagten.
„Ja!“ Flip lachte. „Sieht ziemlich ramponiert aus! Wow, was für ein riesen Krater!“
Der schiefergraue Satellit des Mars hatte wohl mehrere Einschläge von riesigen Asteroiden, oder vielleicht sogar Kometen überlebt. In dem größten Krater schien ein schwaches Licht.
„He!“ Marcel klopfte gegen die Scheibe. „Da ist die Station der Schlitzaugen!“
„Sieht von hier wie ein Edelpuff, oder eine Spielhölle aus!“ Luc schlug Flip gegen das Schulterblatt.
Flip schaute seinen Bordmechaniker mahnend an. „Es kommt nicht darauf an, wer uns rettet, sondern das wir gerettet werden!“
„Ich weiß nicht! Mit fünfzehn Milliarden Chinesen ist der Mars doch recht voll! Wo sollen wir dann leben?“
„Besser dreißig Milliarden Chinesen, als überhaupt keine Menschen im All!“
„Stell dir mal vor, Spok landet hier und trifft nur auf Quermösen und…“
„Mr Baison ich erlaube auf meinem Schiff keinen Rassismus!“ polterte Flip. „Überhaupt kannst du drauf wetten, dass gerade mal vierzig Prozent der Weltbevölkerung übergesiedelt werden. Auch wenn die Chinesen die Ersten gewesen wären, könnten sie nicht ihr ganzes Volk evakuieren. Viele Menschen werden sterben – sterben gerade in diesem Moment – und es ist noch gar nicht heraus, ob unser Unterfangen auf fruchtbaren Boden stößt!“
Für einige Minuten herrschte betroffenes Schweigen an Bord, nur das monotone Piepsen war zu hören. Luc starrte aus dem Bullauge und beobachtet das kleine Licht, welches die Station ins düstere All sendete. Wie viele Menschen – Chinesen – wohl dort leben würden? Luc wusste es nicht und es war ihm auch egal. Diese Jungs und Mädels da unten würde ein besseres Schicksal ereilen, als ihren Genossen in der Heimat. Ein atmosphärischer Ton unterbrach sei­ne Gedanken.
„Flip!“ Harris nickte seinem Kapitän zu. „Kommandeur Song auf B1!“
„Auf den Schirm!“ Flip liebte diesen Satz. Captain Picard aus der Next Generation sagte ihn immer und Flip hatte diesen Charakter immer irgendwie als Vorbild betrachtet, obwohl der Holländer ganz anders aussah.
Der Bildschirm vor seinem Stuhl flackerte kurz und ein recht junges Gesicht, zu jung für einen Kommandeur, grinste ihn mit einer gesunden etwas gelblichen Farbe an. „Captain Van­denbergh, schön Sie zu sehen, obwohl ich mich mehr über meinen Mann gefreut hätte. Den­noch: Herzlich willkommen am Mars. Sind sie alle gesund?“
„Natürlich! Genau wie Sie produzieren wir unsere eigene Luft!“
„Sicher, sicher!“ Der Chinese kicherte leicht berauscht. „O2 welch ein herrliches Gas! Gibt es auf der guten alten Erde noch genug davon?“
„Nicht so gesund wie unseres!“ meinte Flip. Er begutachtet das Gesicht auf dem Bildschirm genau und auch die Umgebung hinter ihm. Nirgends war auch nur eine rote Fahne, noch ein Bild von Mao zusehen, mit dem sich die Chinesen auf der Erde immer noch brüsteten. Auch sah Flip nicht den Ansatz eines Uniformkragens, der Kommandeur trug einfache Kleidung, ein Sakko vielleicht, oder ein Blazer?
„Ja, ja! Das ist schlimm! Nun, wir haben hier bessere Luft und vielleicht sogar das bessere Leben, wer weiß? Stimmt irgend etwas nicht?“
„Kommandeur Song, ist bei Ihnen alles in Ordnung? Sie kommen mir nicht gerade vor, wie ein Offizier der Volksarmee!“
„Die ist weit weg, Captain Vandenbergh! Hier ist – ja, wie soll ich sagen? – alles weit weg! Wir sind die demokratische Raumstation Chinas, wenn Sie so wollen!“
„Und was sagt Peking dazu?“
Der Chinese lachte herzlich. „Was die nicht wissen, brauchen die auch nicht zu wissen! Ich glaube nicht, dass eines ihrer neuen Schiffe hier ankommt. Wir haben damals fünf Jahre ge-braucht und diese Stümper, mit der neuen Technik schaffen es gerade mal bis hinter dem Mond. Solange die keinen Sprengkopf haben, der es bis hier schafft, können die feinen Ge­nossen mir den Arsch lecken! Der wie ich sagen darf, um einiges jünger ist, als die von mei­nen gleich alten Kameraden. Man altert hier draußen viel langsamer, womit die nächste Frage beantwortet ist.“
Flip lächelte. „Haben Sie nie versucht unten zu landen?“
„Wir sind Kommunisten! Wir machen nie etwas ohne Befehl!“ Song setzte ein breites Lä­cheln auf. „Außerdem, was soll ich da? Um Rum zu ernten müsste ich wieder nach hause und wer will da schon hin? Wir haben hier doch alles. Unseren Reis, der wächst in unseren Hallen sehr gut und unseren Soja! Also, wenn sie zurück fliegen, landen Sie kurz bei uns. Wir wür­den uns freuen! Wir haben ein fantastisches Erholungsprogramm, sehen Sie mich an, ich benutze es den ganzen Tag!“
„Spielhölle!“ grunzte Luc.
Flip blickte ihn erbost an und bedankte sich bei Song. „Aber ich glaube wir halten wohl bei Deimos 1.“
„Bei den Amis? Die sind verdammt langweilig! Haben Sie einen an Bord?“
„Ja, mein taktischer Offizier, Harris Whitemore!“
„Und? Ein Langweiler? Fragen Sie ihn wie toll die Cowboys feiern!“
Niemand sagte etwas, doch alle hatten ein Grinsen auf den Lippen, bis auf Harris selbst, der sich beleidigt weg drehte. Der Kapitän verabschiedete sich freundlich von dem Chinesen. Er hatte schon lange nicht mehr gelacht. Auf der Erde gab es nichts zu lachen. Das Jahr 2069 hatte nichts mehr zu lachen. Es gab nicht genügend saubere Luft, die man dafür hätte einatmen können. Der Meeresspiegel war gestiegen, seine Heimat gab es nicht mehr – sie lag auf dem Grund der Nordsee- und Stürme, Erdbeben und sonstige Katastrophen machten einem das Leben auf der Erde zur Hölle. Der blaue Planet lag in seinen letzten Zuckungen und niemand würde ihn wieder beleben können.
Menschen wie er, die bei der Raumfahrtbehörde arbeiteten, hatten da schon bessere Karten. Sie konnten in klimatisierten Räumen arbeiten und vor allem leben, doch die Menschen in den Megacitys hatten ganz schlechte Karten. Die Weltgesundheitsbehörde konnte nicht einmal ahnen, wie viele Menschen täglich in dem giftigen Smok umkamen. Kohlenmonoxid und Kohlendioxid verpesteten die Luft, genau wie Stickstoff und sonstige Abgase. Die Regierungen, die, die noch arbeiteten konnten, hatten die Erde längst aufgegeben. Das neue Wort war jetzt Terraforming. Der Mars, der wunderbare, rote Nachbar, der für die Römer nur ein Kriegsgott war, sollte für die Menschheit des 21. Jahrhunderts zur letzten Rettung werden. Er sollte besiedelt werden und Flip und seine Mannschaft sollten die ersten sein, die ihn betraten. Sie sollten die Vorhut sein, sie sollten ein Basislager errichten und den nachkommenden Leuten eine Heimat. Es würde noch Jahrzehnte dauern, bis die ersten Siedler eintrafen, aber sie waren jetzt ganz nah.


*


Die Landung war ein Kinderspiel. Wanda hatte sie schon x- mal auf dem Mond hingelegt, die wesentlich leichter war, da der Mars eine höhere Anziehungskraft hatte. Sogar 0,38 mal stärker, als die auf der Erde. Sie hatten sich die südliche Halbkugel zur Landung ausgesucht, dort war das Gelände nicht so hügelig und es gab nicht soviel Sand wie auf der nördlichen, dafür war der Boden auch nicht rot sondern irgendwie zwischen grün und graublau.
Die Triebwerke dröhnten laut und schüttelten die Besatzung heftig durch, doch das Schiff landete genau auf seinen Kufen. Flip schaute kurz aus dem großen Fenster und gab befehl alles für den Ausstieg vorzubereiten.
Wanda tippte einige Daten in den PC und bekam prompt Rückmeldung.
„Wir freuen uns, das Sie mit Wandaair geflogen sind. Der Flug hat jetzt genau sechs Monate gedauert, unter uns gesagt neuer Rekord, die Flughöhe lag im All, unsere Ankunfts-zeit nach MSE ist 23:24 Uhr. Die Außentemperatur beträgt angenehme 21 Grad Celsius es herrscht zur Zeit Sommer auf dem Mars, keine Sandstürme zu befürchten, bitte denken Sie daran ihre Uhren auf Marsianerzeit umzustellen!“
Flip ging ihr liebevoll durchs Gesicht. „Hast du toll gemacht, Schätzchen!“
„Keine Intimitäten mit dem Piloten, Sir!“ Sie lachte, öffnete ihren Gurt und gab ihm einen Kuss.
Flip streichelte sie noch einmal flüchtig, dann presste er sich aus seinem Sitz und klaubte die kleine Digitalkamera aus dem Fach über seinem Kopf. Harris ging zu der Konsole, die Wanda noch vor einer Minuten betätigt hatte und schnaufte: „Atmosphäre 95 Prozent CO2, der Rest Wasserdampf, Stickstoff, Argon, Kohlenmonoxid und etwas O2, der Bodendruck liegt bei sechs Hectorpascal!“
„Mist verdammter! Ich hab die Sonnencreme vergessen!“
Alle lachten, bis auf Harris. Marcel ging zu einem Schrank und öffnet ihn. In diesem Schrank befanden sich Raumanzüge mit Helmen, sie waren superleicht und die neuste Erfindung der NASA. Man brauchte keine schweren Sauerstofftanks mehr, da ein winziger Mechanismus auf der Rückseite, aus der Marsatmosphäre den Sauerstoff absorbierte und für den Menschen atembare Luft herstellte. Die Helme waren ehr eine Art Kappe, sie erinnerten irgendwie an die Ätherbälle in Krankenhäusern, man stülpte sie sich einfach über den Kopf und schon atmete man die frischste und gesündeste Luft.
Flip streifte sich einen über, danach Harris und dann Marcel. Luc und Wanda schauten ihnen dabei zu und halfen ihnen hin und wieder. Flip gab Marcel die Kamera. Er nahm sie mit einem Lächeln an sich und rief: „Action!“
„Mach keinen Blödsinn!“ knurrte Harris. Er ging an den nächsten Schrank, tippte einen komplizierten und geheimen Code ein und die Türe schob sich unter einem Zischen auf. In dem Schrank befanden sich schwere Waffen – Maschinengewehre, Mörser und sonstiges Kriegswerkzeug.
„Wir sind allein!“ Luc verzog das Gesicht zu einer Grimasse.
Wanda versuchte sich krampfhaft ein Lachen zu verkneifen. Harris schaute sie und Luc verächtlich an und meinte: „Wenn ihr glaubt! Ich denke mit dem Ding sind wir sicherer!“
Er nahm ein schweres Sturmgewehr heraus und guckte Flip und Marcel auffordernd an. Beide Männer schüttelten die Köpfe unter den Plastikhauben.
„Nun, dann nicht! Kapitän, Ihnen gehört die Ehre!“ Harris stellte sich vor den Ausgang.
Flip nickte und drückte einen Knopf. Ein Schott öffnete sich und die drei Männer betraten den kleinen Raum dahinter. Marcel filmte alles. Das Schott schloss sich direkt hinter ihm und ein weiterer Mechanismus öffnete das Außenschott. Es surrte laut und eine kleine Gangway schob sich unter dem Schott heraus und bohrte sich nach wenigen Metern in die dunkle Erde des Planeten. Flip betrat die Gangway und ging sie hinunter, Harris folgte ihm schützend, mit dem Gewehr im Anschlag. Marcel trabte filmend hinterher.
Als Flip fast den Boden berührte drehte er sich um und sagte in die Kamera: „Mir fallen nur die Worte Armstrongs ein! Ein kleiner Schritt für einen Menschen, ein großer für die Menschheit!“
„Oder so?“ Marcel kicherte.
„Habt ihr das?“ fragte Flip Wanda über Funk.
Ein kurzes Knacken. „Ja!“
„Schickt das per SMS nach Houston! Vielleicht kriegen wir ja in sechs Monaten schon Antwort?“
„Aye, aye! Captain!“
Der Marsboden war hart und trocken, er fühlte sich fast wie zu Hause an, nur etwas kiesiger. Ein Wind wehte den drei Männern entgegen, Staub und ganz feiner Sand, fast Quarzsand, rieselte gegen ihre Schutzhauben. Ihre Knochen drückten etwas, was wohl an den unterschied- lichen atmosphärischen Bedingungen lag, die Sonne schien blass von einem trüben Firmament Sie hatte irgendetwas von der Sonne in Barcelona an diesem verdammten Tag. Als sie von dem Staub und dem Rauch, der verbrannten Leichen bedeckt worden war. Damals… Barcelona!
Zehn Jahre war das nun her. Er war gerade bei der Weltraumbehörde genommen worden und war für diesen Flug in die größere Auswahl gekommen. Natürlich hatte er nicht erwartet das er fliegen durfte, aber in Barcelona war die Luft besser und vor allem war das Klima gut für Kip. Kip war Flips Sohn und ganzer Stolz und natürlich der von seiner Frau. Fatima und er waren seit gut fünf Jahren verheiratet, Kip war schon sieben, was natürlich zu Differenzen mit Fatimas Familie geführt hatte. Nun, ja es war halt geschehen. Für Flip war es egal, da er seit seiner Kindheit ein staatenloser Umherwanderer war. Holland hatte sich das Meer geholt, während Flip geboren wurde und er und seine Eltern wurden nie wirklich ansässig. Zigeunerdasein.
Seit Kip auf der Welt war, hatte er Probleme mit seinen Atemwegen, was bei der Umweltverschmutzung auch kein Wunder war. Der Junge hustet ständig und musste künstlich beatmet werden. Erst seit sie in Barcelona lebten, ging es ihm besser. Aus einem unerfindlichen Grund, war die Luft in Barcelona besser, als anderswo. Flip war es egal, er war nur glücklich, dass sein Junge keine Probleme mehr hatte.
Sie hatten ein kleines Haus am Rande der Stadt und wenn Flip zur WRB musste, saßen Fatima und Kip in der Sonne, oder im Pool. Doch an diesem gottverdammten Tag taten sie es nicht.
Es war Anfang Mai, die Temperatur betrag fast dreißig Grad und seine Frau und sein Sohn wollten ihn abholen und mit ihm ein Eis essen gehen. Danach wollten sie ins Moslemgetto. Fatima hatte ihre Wurzeln im Islam und sie wollte ihrem Sohn einmal eine Mosche von Innen zeigen. Seit sich die kulturellen Differenzen der Moslems und Christen in Spanien Anfangs des neuen Jahrtausends verschlimmert hatten, war Spanien der Überzeugung, dass man die beiden Kulturen wieder trennen sollten. Man lebte sowieso in Parallelgeselschaften, also dachten sich die Politiker, trennen wir die doch direkt. Natürlich konnte man in einem demokratischem Europa nicht einfach hingehen und Leute einsperren, oder in ein Getto abschieben, schließlich war man nicht im 3. Reich, aber spitzfindige Advokaten und Politiker verabschiedeten Gesetze, die die radikalen Islamisten von den ängstlichen Bürgern trennten. Flip hatte mit sich selbst genug zu tun und hatte nie nachgefragt, wie es soweit kam. Er hatte es einfach akzeptiert bis er Fatima getroffen hatte. Fatima war eine so genannte Gemäßigte, dies hieß sie hatte schriftlich erklärt zur Demokratie des Westens zustehen. Sie bekam einen Chip unter die Haut und einen besonderen Ausweis. So konnte sie im demokratischen Teil Brüssels leben und arbeiten, den die Idee Spaniens hatte in ganz Europa gezündet. Später, als Flip sie geheiratet hatte, verfiel ihr Pass und sie wurde Holländerin, doch der Chip blieb, denn man traute keinem Moslem.
Kip und Fatima standen an der großen Mauer zum Getto von Barcelona. Es hatte nichts gemein mit den Gettos in Krakau, aber der bittere Nachgeschmack blieb.
Flip war noch gute dreihundert Meter von der Mauer entfernt, als die Explosion alles in ihm auslöschte. Mit fünfundzwanzig verlor er seine Familie.
Mit fünfunddreißig ging er als Erster auf dem Mars spazieren.
Der Boden war steinern, schimmerte blau und Reste von Etwas, was irgendwann einmal Moos hätte sein können schimmerte versteinert durch das aschfahle Blau. Wo die Spacehawk gelandet war, gab es nur wenig Sand, der würde sich wohl ehr auf der nördlichen Halbkugel finden, genauso wie die riesigen Gebirge und die Canyons. Plötzlich hielt Flip inne und starrte auf das seltsame Gebilde vor ihm. Harris war von dem Stopp so überrascht, dass er sein Gewehr anhob und mit großen Augen nach einem vermeintlichen Feind suchte.
„Was’ n los?“ Harris drehte sich um die eigene Achse.
„Da!“ Flip deutete auf das seltsame Gerippe vor ihm.
„Wow!“ machte Marcel dessen Neugierde als Biologe geweckt war und er ging mit erhoben-er Kamera auf das Objekt zu. Ein Lächeln bildete sich auf seinen Lippen, dann wurde es zu einem schiefen Grinsen. „Das ist ein Baum!“
„Sieht für mich wie ein Stein aus!“ meinte Harris.
„Jetzt schon, aber dieser Stein war einmal ein Baum! Vor Millionen von Jahren, so genau kann ich das erst sagen, wenn ich eine Analyse gemacht habe.“ Er beugte sich nieder und folgte den Linien in dem steinernen Mahnbild. „Ich würde sagen, so was wie ein Josuahbaum!“
„Das würde beweisen, dass es auf dem Mars einmal Leben gegeben hatte!“ stellte Flip fest. „Und wenn einmal Leben hier existiert hat, dann kann es wieder existieren!“
Ja, so würde es sein. Die Menschheit hatte eine Chance gefunden, weiter zu existieren, ihren Weg fortzusetzen. Nicht auf der Erde, aber in ihrem Sonnensystem, auf einem Planeten, der in wenigen Jahren alle Voraussetzungen erfüllen würde. Sie würden neu anfangen können! Ohne Kriege, ohne Verschmutzungen und Hass. Die Regierungen der Welt würden sich vereinigen und ihre Pilger losschicken. Ein neues Leben in einer besseren Welt, einer friedlichen Welt. Gut, es würde nicht die gleiche sein, hier gab es keine Meere und nur wenig vereiste Pole, aber das Terraforming – Programm könnte dies in wenigen Jahrzehnten bewerkstelligen. Frische Luft für alle, für alle die überleben würden.
In der alten Heimat herrschte Chaos, dies könnte man ausschließen. Nur klare Köpfe, keine Philosophen, keine Religionen, nur mathematische, wissenschaftliche Genies, die die Menschheit in eine goldenes Zeitalter führen werden. Menschen, mit seinen Grundeinstellungen. Die das selbe Verständnis für Ethik hatten wie er. Alle waren gleich, egal ob Moslem, Jude, Christ, Hindu, Buddhist, oder Atheist. Auf dieser neuen Welt, wo es kein Kreuz, keine Klagemauer, keine Knochen in Mekka, keine Schreine und keine Tempel gab, konnten die Menschen neu, ganz neu anfangen. Niemand müsste mehr so leiden wie er.
Er roch noch den Gestank von dem verbrannten Fleisch. Er spürte den Schmerz nicht mehr, seit er diese Emotionen aus seinem Gedächtnis hatte löschen lassen, aber um das Geschehene wusste er noch und er roch immer das verbrannte Fleisch. Die Krankenwagen standen vor dem Getto und auch die Rettungskräfte des Gettos hatten sich versammelt, um die jeweiligen Angehörigen zu bergen, oder zu versorgen. Flip stand einfach nur da, die Hitze der Explosion hatte ihm die Augenbrauen verbrannt und seine Arme hingen herunter, wie die toten Tentakel eines Kalmars. Sein Blick war finster auf den einzelnen Pumps seiner Frau gerichtet, in dem noch der abgerisse Fuß steckte. Gott hatte in seiner gewaltigen Gnade aus dem Rest seiner Familie einen Fetzenregen gemacht, der sich mit Haut und Knochen von andren Menschen vermischte. Doch der Pumps blieb als letzte Anklage zurück und glotzte Flip verächtlich an.
Er stand da wie einst Aeneas vor den verbrannten Mauern Trojas, ohne Heimat, ohne Familie und von dem Tage an wusste er, dass er in Zukunft ein Sternenvagabund sein würde, bis er den neuen Hafen ansteuern konnte, der ihm ein zu hause und ein neues Leben geben würde.
Der Fuß und das verbrannte Fleisch würden ihn auf Ewig anklagen, die Hautfetzen seines Sohnes würden ihm nie aus der Erinnerung gerissen, aber die Gefühle dieses Tages hatte er sich entfernen lassen; mit ihnen konnte und wollte Flip nicht leben. Er sah immer wieder das Gesicht seines Sohnes. Weiße, fast porzellanfarbene Haut, engelsgleiche Züge und verspielte Sommersprossen auf der Stupsnase und unter den pechschwarzen Augen. Die blonden Haare standen in krausen Locken in alle Richtungen ab. Fatimas Gene waren bis auf die Augen nicht durchgedrungen, was eigentlich schade gewesen war, dann wäre der Junge wohl nur noch schöner geworden.
„Zuhause flippen die aus!“ Marcel lief mit der Kamera um den versteinerten Josuahbaum.
Flip war aus seinen Gedanken gerissen worden. Er blinzelte in die stumpfe Sonne , drehte sich einmal um sich selbst und schaute über das Ödland.
„Hier werden wir unser Basislager aufschlagen!“ intrigierte er.
„Hier?“ Harris schaute ihn verständnislos an. „Es gibt hier keinen Schutz! Keine Berge, keine Schluchten – Wir sitzen hier auf dem Präsentierteller!“
„Vor wem?“ Flip schaute ihn fragend an. „Harris, wir sind alleine hier! Was glaubst du kommt hier her? Irgendein eidechsenähnliches Alien, das Säure spuckt und uns Eier in den Wanst legt? Oder vielleicht eine Gruppe von jagenden Aliens, die durchs All düsen, um Trophäen zu erbeuten? Oder gar ein kleines, verschrumpeltes Männlein mit einem leuchtenden Zeigefinger, das nach hause telefonieren will? Harris! Bei allem was wir wissen, sind wir alleine in unserem System!“
„Europäer! Ihr habt auch gesagt, man könnte mit den Kamelfickern verhandeln! Meine Leute sterben in den verdammten Wüsten! Unser Präsident ist von denen ermordet worden, Los Angeles ist seit zwanzig Jahren verseucht und Mutanten treiben dort ihr Unwesen. Seid ihr euch eigentlich im klaren, dass man einer Gefahr nicht erst begegnen sollte, wenn sie auf einem zukommt, sonder wenn sie von zu Hause aus ihrem verkackten Sessel aufsteht?“
„Wow, Mann Flip meint doch…“
Harris schnitt Marcel das Wort ab: „Hey! Wer hat euch verkackte Deutsche gefragt? Im letzten Jahrhundert habt ihr die Welt zwei Mal vor den Abgrund gestellt, ihr wolltet die Weltherrschaft! Seit dem haltet ihr euch aus allem raus und guckt mal hier, mal da und gebt euren Senf zu allem! Aber etwas tun wollt ihr nicht!“
„Jo Cowboy halt mal den Ball flach! Wir sind halt Pazifisten! Die Weltherrschaft versucht ihr Amis doch schon immer an euch zu reißen, nur habt ihr die moderne Demokratie erfunden und kommt nur sehr schwer davon weg! Wenn ihr mal richtig auf die Kacke hauen wollt, nimmt euch ein anderen den Wind aus den Segeln. Ihr seid wie eine Horde Bremsen, die einen Bären die ganze Zeit über nerven und seid dann überrascht, wenn euch dieser Bär mit einem Flammenwerfer platt macht. Selbst auf dem scheiß Mars rennt ein beknackter Ami mit `ner Bleispritze rum! Hallo! John Wayne ist tot verdammt!“
Flip ging dazwischen. „Hey Jungs! Wir sind doch in den letzten sechs Monaten richtige Freunde geworden. Wir sollten nicht streiten. Hier sollten wir nicht streiten!“
„Ist klar, das du keinen Nationalstolz hast!“ zischte Harris.
„Was soll das Harris?“ Flip hielt ihm am Ärmel des Anzugs fest. „Sei froh, das von deiner Heimat noch soviel übrig ist. Ihr wollt nicht einmal heute das Protokoll von Kioto unterschreiben, dabei liegt euer eigenes Land in Schutt und Asche.“
„Ja, und damit es nicht untergeht wie deines, bin ich hier!“
Flip drehte sich weg von ihm. Es hatte keinen Sinn mit ihm zu debattieren, Harris war schon die ganze Zeit anders gewesen. Es fehlte ihm der europäische Esprit. Sich zusammen zu setzen und eine Lösung finden, statt mit einem Maschinengewehr durch eine Wüste zu rennen. Nun was sollte Flip tun? Die WRB hatte den Flug finanziert und die NASA hatte die Ausstattung gesponsert, deshalb mussten sie auch einen Sicherheitschef an Bord nehmen. Amerika hatte nicht mehr die Mittel, die Erde zu retten, aber das Know how.
Flip überlegte sich, ob das ganze Unterfangen mit den Russen nicht besser gelaufen wäre, aber das hätte erstens die Amis auf die Palme gebracht und zweitens hätte die freie Welt mit einem Regime verhandeln müssen. Russland hatte sich seit dem globalen Chaos von der Welt verabschiedet. Niemand kam raus, niemand kam rein. Gräueltaten wurden begangen, aber nichts was sich beweisen ließ. Die Welt wurde verrückt und brach in sich zusammen, das Chaos herrschte und ließ den Verstand ausmerzen.
Flip schüttelte verträumt den Kopf. Er hatte keine Lust mit Harris zu diskutieren, er drehte sich um und kehrte zum Schiff zurück. In Barcelona war es jetzt 1:00 Uhr morgens, Zeit um schlafen zugehen. Die Besatzung der Spacehawk hatte sich auf die mitteleuropäische Zeitzone festgelegt, wem sollten sie auch hier damit auf die Nerven gehen? Die Marsianer hatten wohl keine Teatime? Die mattglühende Sonne stand fast parallel zur Spacehawk, es würde noch gut zwei Stunden dauern, bis sie hinter ihr untergehen würde, aber Flip war es gewöhnt im Hellen zu schlafen. Marcel folgte ihm filmend, Harris blieb trotzig zurück.


*


Am nächsten Morgen, nach der europäischen Zeitrechnung, wachte Flip in den Armen Wandas auf. Die Engländerin, jamaikanischer Herkunft, schnarchte sanft vor sich hin. Er liebte sie, nicht so stark, wie er Fatima geliebt hatte, aber das könnte ja noch kommen. Mit ihr konnte er vielleicht wieder…? Er verdrängte den Gedanken, dafür war es noch zu früh, viel zu früh und außerdem wie könnte er Fatima je vergessen. In seinem Herzen zog es sanft. War es wegen den Gefühlen, oder wegen eines zu hohen Cholesterinspiegels? Er wusste es nicht, es war ihm auch egal, er schrieb Geschichte.
Wanda stöhnte leise, dann ein Pfeifen beim Ausatmen und ein Schnarchen beim Luftholen. Seine Augen brannten, Tränen wollten sich bilden, doch er unterdrückte sie.
Die Kapitänskajüte war die größte an Bord, genügend Platz für Intimitäten und ein kleines Stück Zuhause. Er hatte eine Espressomaschine, einen Toaster, seinen eigenen PC und in der hinteren Ecke befand sich sogar eine kleine Duschkabine. Wasser produzierte das Schiff selbst und so waren die Kosmonauten der Erde zwar Zigeuner, aber zu mindestens sauber.
Flip pellte sich aus der Decke und den Armen der dunkelhäutigen Frau und schupste sich von der Bettkante. Als er die Füße am Boden spürte, wurde ihm Schwindelig, die Kabine drehte sich kurz vor seinen Augen. Er schüttelte seine nackenlangen Haare kräftig durch, dann ging es wieder. Er ging zur Espressomaschine und stellte sie auf Cafe o' Lait. Die kleine Krupps begann zu summen. Müde schlurfte er zur Duschkabine und stellte heißes Wasser an. Er stellte sich unter den weichen Strahl und ließ das Wasser auf sich einwirken. Er drückte auf kalt und der Schock weckte ihn völlig. Nass trat er aus der Dusche und lächelte Wanda an, die gerade zwei Scheiben Toast hinunterfahren ließ. Auf dem Tisch platzierte sie Kaffeetassen, Butter und englisches Jam. Flip setzte sich und die ersten beiden Brotscheiben schossen aus dem Toaster.
„Morgen Schatz!“
„Du riechst gut!“ Sie ging ihm durch das nasse Haar.

Eine Stunde später betrat Flip die Kommandobrücke. Luc und Harris waren schon da, sie starrten aus dem Fenster und schauten den Androiden bei der Arbeit zu. Auf dem Platz, auf dem Flip am letzten Abend gestanden hatte, herrschte reges Treiben. Die modernen Sklaven, Roboter mit Armen, Beinen und Greifern waren emsig damit beschäftigt Rohre, Plexiglas, Metallstücke, Schrauben und Bolzen ineinander zustecken, oder zuschrauben. Flip zählte mindestens dreißig Einheiten.
„Wie geht’ s voran?“
„Sie sind verdammt fix!“ Luc lachte. Der Franzose begrüßte Flip mit einem Händedruck.
„Die hättet ihr damals gebraucht, als ihr den Westen fruchtbar gemacht habt, was?“ Flip lächelte versöhnend, doch Harris ignorierte den Versuch eines Gespräches.
Der Amerikaner war stolz. So stolz, wie sein ganzes Land, doch die Zeiten hatten sich verändert. Die Welt hatte sich weiter gedreht, wie Stephen King einmal in einen seiner Roma-ne schrieb. Doch in unserer Welt gibt es keine Revolvermänner, dachte Flip bitter. Amerika war nur noch ein Schatten seiner selbst. Wirtschaftlich und kulturell. Europa hatte das ganze Chaos besser überstanden, obwohl es auch für Europa zu spät war, die Welt lag in ihren letz-ten Zügen. Die Menschen hatten Mutter Erde so lange in den Arsch gefickt, bis sie die Scheiße nicht mehr halten konnte und nun floss der ganze Ausfluss über die Menschheit hinweg. Nach Öl bohren, Kohle abbauen, Uran, Eisenerz, Gas, Erdwärme, Verbrennungsanlagen, Kraftwerke, Fabriken, Luftverschmutzung, Wasserverschmutzung, Kriege. Mutter Erde wurde nicht nur ein riesiger Schwanz in den Anus geschoben, nein, die komplette zur Faust geballte Hand.
Die Roboter waren wie ein kleines Ameisenvolk, das emsig alles an Ort und Stelle brachte, was zum Bau ihres Unterschlupfes diente. Für Flip hatten sie Ähnlichkeit, mit den Hilfskräften in Barcelona.
Er wusste nicht wie lange er da gestanden hatte und den abgerissenen Fuß seiner Frau begaffte, aber es musste eine lange Zeit verstrichen sein. Er kam erst wieder zu sich, als ein Notarzt den blutigen Schuh in eine kleine Plastiktüte stecken wollte.
„Lassen Sie ihn sofort los!“ hatte Flip geknurrt.
„Aber guter Mann, das ist doch nur…“
„Das ist meine Frau du verdammter Hurensohn!“ schrie Flip und griff den Mann an.
Er hätte den jungen Notfallmediziner bestimmt erschlagen, wenn ihm nicht zwei Polizisten in die Quere gekommen wären. Die Polizeibeamten hatten ihn von dem blutigen Mann gerissen und drückten sein Gesicht in den Staub, dabei blieben seine Augen auf den blutigen Klumpen Fleisch fixiert und Flip rief immer wieder den Namen seiner Frau und den seines Sohnes. Die spanische Polizei, fackelte nicht lange und drei weitere Beamte kamen hinzu. Sie schlugen ihn mit Gummiknüppeln sooft auf Rücken und auf seine Nieren, das der blonde Mann nur noch vor Schmerz schrie und sich Sabber mit Blut und Staub vermischte.
Wanda trat hinter ihn und legte ihm ihre Arme um die Hüften. Luc lächelte der jungen Frau zu, Harris rang sich ein kurzes Nicken ab. Flip verspannte sich für einen winzigen Augenblick dann ließ er es zu und lehnte sich an seine neue Lebensgefährtin an. Er spürte sie sanft atmen und der warme Hauch in seinem Nacken überflutete ihn mit Wohlbefinden. Luc hörte seinen Vorgesetzten sanft seufzen und der Mechaniker sehnte sich nach seiner Frau.
„Die sind schnell!“ meinte Wanda knapp.
„Dafür wurden sie gebaut!“ Harris gab ihr einfach eine Antwort.
Für einen langen Moment herrschte ein Schweigen zwischen der Besatzung der Spacehawk. Ein ungemütliches, zum Teil verachtendes Schweigen. Eigentlich war die Stimmung an Bord immer recht gut gewesen, aber Harris überspannte den Bogen in den letzten Tagen erheblich. Je näher sie dem roten Planeten kamen, desto unzugänglicher wurde der Amerikaner. Er schien sich immer mehr von den anderen abzukapseln. Niemand von den Anderen hätte sagen können warum, aber sie spürten es alle am eigenen Leibe. Er wollte für sich sein. Der Mars sollte ihm gehören, zu mindestens die Eindrücke. Marcel erschütterte die Stille mit seiner Stimme: „ Flip ich habe gerade die ersten Antworten!“
„Antworten wo rauf?“ Der Kapitän der Spacehawk verstand nicht.
„Unsere Rambo hier hat gestern noch einen Brocken von dem Josuahbaum abgeschlagen – Manchmal ist unser Freund ja doch zu gebrauchen! - hab das gute Stück die ganze Nacht analysiert und ihr werdet es nicht glauben!“
„Was denn?“ Flip löste sich aus Wandas Umarmung.
„Das Teil ist tatsächlich ein Josuahbaum! Dieselbe Art, wie sie einst in der Nähe von LA gewachsen ist. Der gleiche genetische Code! Wow! Nur das Teil ist mindesten 10 Millionen Jahre alt.“
„Soll das heißen…?“
„Ich weiß es nicht! Ich sag dir nur was die Analyse aussagt! Es ist die gleiche Spezies, die auf der Erde existiert hat. Ich weiß nicht warum? Vielleicht sind Gesteinsbrocken auf der Erde vor Millionen von Jahren gelandet und hatten noch keimfähige Samen dabei? Ich hab absolut keine Ahnung wie das möglich ist? Theorien werden wohl aufgestellt, altes Wissen wird dann wohl beseitigt werden, aber es ist die gottverdammte gleiche Art! Jedes Chromosom stimmt überein!“
Das Wort Chromosom ließ Flip merklich zusammen zucken. Nur durch eine Genanalyse konnten sie damals seine Familie identifizieren. Er griff nach Wandas Hand und fragte sie: „Kannst du unser Vehikel fahr’ n?“
„Den Buggy?“ Ein breites Grinsen stand in ihrem Gesicht. „Klar, ich fahr alles was sich bewegt!“

Eine halbe Stunde später brauste der Buggy an der Kolonie von Robotern vorbei. Die Elekrtoturbine des seltsamen Vehikels summte wie eine Wespe im Spätsommer und Wanda saß mit leuchtenden Augen hinter dem Steuer. Zum ersten Mal trug sie ihren Raumanzug und sie hatte das Gaspedal des Buggys voll durchgetreten. Die Reifen des Fahrzeugs wirbelten Staub, Dreck und Steinchen auf. Flip hatte sich in den Sitz neben sie gesetzt und Marcel und Harris saßen im hinteren Teil des futuristischen Wagens und hielten sich an Stangen und Rohren fest, die um die Fahrerkabine gebaut worden waren. Wandas Fahrstiel schien ihnen Angst zu machen. Das Hinterteil des Vehikels scherte ein paar Mal aus, aber Wanda lenke immer wieder dagegen.
Die Sonne stand im Nordwesten und Phobos schimmerte im Nordosten durch den rötlich, matten Himmel. Wanda hielt auf die Sonne zu. Nichts. Es war nur eine blassgrüne, bis grau- blaue Steinwüste, in der nichts wuchs. Die Temperatur betrug knappe achtzehn Grad, doch die Sonne war von Staubwolken bedeckt. Hier lebte nichts mehr, wenn es hier einmal Leben gegeben hatte, so war es mit samt dem Wasser verschwunden. Eine öde Landschaft, die sich auf einen öden Horizont hinschlängelte. An diesem Horizont entdeckte Flip die roten Sand-steinberge, für die der Mars bekannt war. Nichts, kein weiterer Josuahbaum, oder sonst ein Zeichen für früheres Leben. Einfach nur dunkel leuchtendes Ödland, in dem es nicht das geringste Geräusch gab, außer dem Summen des Vehikels und der Ton, den der Wind macht, wenn er an einem vorbeirauscht. Ansonsten war auch er still, da es nicht viel gab, an dem er vorbeirauschen konnte.
Die Stille und das Summen kannte Flip zu genüge. Einen Monat hatte er nichts gehört, außer ein Summen und Stille. Die Explosion hatte alle Töne ausgeschaltet. In der Nervenklinik war er froh darüber, er wollte die Schreie und die verrückten Geschichten nicht hören. Er wollte nicht wissen, dass es einem militanten Arm einer christlichen Organisation gelungen war, an der Gettomauer Barcelonas 500 Menschen zutöten. Er wollte nicht hören, wie sehr es den Stadtvätern Leid tat, dass seine Familie bei diesem Anschlag ums Leben gekommen war, er wollte nicht erfahren, dass man die Drahtzieher verhaftet hatte. Er würde nie wieder etwas hören, außer der Stille und dem Summen. Diesem Summen, das wie eine Hummel im Tiefflug klang. Das Summen, welches von einem lauten Knall verursacht wurde, obwohl das Ge-schehene um Tage zurück lag, vibrierte das Trommelfell noch immer und gab verspätete Phantomsignale an das Gehirn weiter. Der Pumps hatte sich in sein Gehirn eingebrannt, wie der Geruch des verbrannten Fleisches und dieses verdammte Summen. Die Stille, die einst Lot umgeben haben musste, nach dem seine Stadt dem Erdboden gleich gemacht worden war. Flips Frau war nicht zur Salzsäule erstarrt, sonder sie war nur noch ein Stück Fleisch und Knochen in einem Stück Leder. Gott hatte ihn in eine Stille verdammt in der es nichts mehr gab außer diesem Summen.
Der Elektromotor arbeitete hervorragend. Das Vehikel schoss über die Marslandschaft immer in Richtung Sonne und ließ den Trabanten hinter sich. So wie Flip seine Vergangenheit hinter sich ließ, doch wie der Satellit würde sie nie verschwinden. Sie war immer da, wie ein Metallsplitter unter der Hornhaut einer Fingerkuppe. Hin und wieder schmerzte er.
„Stopp!“ rief Marcel und deute auf etwas das rechts neben ihnen aufgetaucht war.
„Ein Felsen? Na und?“ Harris grunzte verächtlich.
„Das ist kein Felsen! Schau dir seine Form mal bitte genau an! Die ist sehr unnatürlich!“
„Wie alles hier!“
Marcel Kellermann ignorierte den Amerikaner einfach und tippte der Engländerin auf die rechte Schulter. „Komm schon Süße, fahr mal hin!“
Der Buggy rollte fünf Meter vor diesem grauen Etwas aus und die Turbine erstarb. Die Männer und die Frau stiegen aus und gingen auf den lastergroßen Gegenstand zu. Harris hielt auch an dem Tag sein Sturmgewehr im Anschlag. Er sondierte die ganze Gegend und suchte förmlich nach einem Feind, dem er sein gesamtes Magazin in dem Pelz jagen konnte. Selbst wenn es nur ein marsianisches Erdhörnchen wäre.
„Definitiv kein Felsen!“ gab Harris dann zu.
Der Amerikaner schlug kurz mit dem Kolben seines Gewehres dagegen. Plomp! Machte es.
„Hohl! Irgendwas wie Stahl?“
Die kleine Gruppe Menschen lief einmal um das seltsame Teil und begutachtete es von allen Seiten. Harris schlug alle halbe Meter gegen die metallene Haut des Dings und wunderte sich darüber, das sich der Ton fast jedes Mal veränderte, bis er an eine Stelle kam, die ein Plink von sich gab.
„Das klingt aber jetzt irgendwie nach Stein!“
Marcel kam zu ihm rüber und ließ sich das Geräusch ein weiteres Mal vorführen. „Stein! Allerdings sehr dünn. Schlag mal etwas davon ab!“
Harris holte aus und dreschte den Kolben dagegen, dann noch einmal und noch mal. Unter einem Knirschen gab irgendetwas nach und eine zwei Mal zwei Meter große Steinplatte, fiel von dem Ding ab. Marcel und Harris sprangen bei Seite und die Platte zersprang in vier Stücken auf dem harten Marsboden. Etwas wie eine Scheibe glänzte in der Sonne.

*

Wanda hielt Flip bei den Händen, der Holländer konnte sie durch die Kappe schwer atmen hören, ihr Blick war auf die Scheibe gerichtet, Neugierde, aber auch Unglauben konnte er in ihren Augen sehen.
„Dahinter ist etwas!“
Flip trat näher an die Scheibe heran und starrte hindurch. „Ich sehe nichts! Warte ich wich mal den Staub und den ganzen Dreck weg.“
Mit kreisförmigen Bewegungen, so wie ein Angestellter bei einem Car Wash reinigte der Mann die große Scheibe und schaute anschließend wieder hindurch. Dieses Mal stockte ihm der Atem. Hinter einer verschmierten Scheibe aus einer Art Plexiglas saßen zwei Gestalten, sie saßen da, die Kopfe aneinander gekuschelt und die verwesten Münder weit geöffnet zum ewig stillen Schrei. Diese Gestalten schienen human, ja gar terrarestich, obwohl man dies nach der starken Mumifizierung der Leichen nicht so genau sagen konnte. Die Kleidung hing ihnen in Fetzen an den knochigen Körpern und sie hielten sich bei den Händen. Vielleicht ein Liebespaar im Autokino, schoss es Flip makaber durchs Hirn.
Harris trat neben ihn. „Ach du Scheiße!“
Marcel stand hinter den Beiden und lugte zwischen ihnen hindurch. „Verdammt!“
„Was hat das zu bedeuten?“ Wanda bebete innerlich.
„Ich weiß es nicht!“ hauchte Flip fast. „Humane Lebewesen in einem Transportmittel? Ich bin ratlos!“
„Wow!“ Marcel drückte Harris etwas bei Seite und ging näher ran. „Wenn ich ein paar Proben kriegen könnte, das wäre…“
Harris starrte ihn an, zuckte kurz mit den Schultern und schlug mit dem schweren Kolben gegen das Fenster.
Es hatte auf Flip einen sehr stabilen Eindruck gemacht, vielleicht so etwas wie Panzerglas, aber es implodierte nach dem ersten Hieb des Amerikaners. Marcel rief noch etwas, was aber niemand mehr hörte und alle sahen, wie die Gestallten in sich zusammen fielen. Sie wurden einfach zu Staub rieselten auf die Sitze des Fahrzeugs und flogen Teilweise einfach aus dem Fenster davon.
„Du Arsch!“ polterte Flip.
„Was denn…? Ich…?“ Harris stand da wie ein geprügelter Hund.
„Was ist denn da geschehen?“ fragte Wanda Marcel.
„Sie sind einfach zerfallen! Die Atmosphäre hat sie…? Sie waren wohl da drin konserviert, oder so? Der Wind, die Luft hat sie einfach zersetzt. Sie müssen mehrer Jahrhunderte alt gewesen sein? Vielleicht älter als der Josuahbaum, wenn sie von hier waren? Ich… Mein Gott das würde…“ Marcel sprach es nicht aus.
„Du meinst, es hat auf dem Mars vor Millionen von Jahren eine Gesellschaft gegeben?“ Flip starrte ihn fasziniert an.
„Entweder das, oder wir haben es hier mit uralten Raumfahrern zutun.“ Marcel sah wie ein Leichentuch hinter seiner Kappe aus.
Der Kapitän der Spacehawk starrte seinen Wissenschaftsoffizier skeptisch an, Millionen von Gedanken rasten durch sein Gehirn, in wenigen Sekunden. Sie waren ausgesandt worden, um die Menschheit zuretten und nun hatte sie sogar exterraristisches Leben entdeckt und die Idee von der Einzigkeit des Menschen war dahin. Die WRB und die NASA würden sie nicht nur wie Helden feiern, wenn sie in fünf Jahren wieder zurückkehren würden, sondern auch als Entdecker einer neuen Spezies, falls sie noch mehr Marsianer finden würden. Aber viele würden wahrscheinlich auch die Ketzer in ihnen sehen – die Menschheit als Krönung der Schöpfung, diese Theorie war dahin.
„Stellt euch vor, die Marsianer hatten vor mehreren Millionen Jahren schon Raumschiffe, dann haben sie vielleicht die Erde besucht, als es bei uns noch Dinosaurier gab? Oder als unsere Vorfahren gerade von den Bäumen gestiegen waren? Mein Gott…“ Flip war sprach- los.
Er schaute Wanda mit einem Lächeln an, das auch von einem Dreijährigen stammen könnte. Seine Phantasie zeigte ihm Bilder von Weltraumexkursionen, Abstecher in anderen Galaxien, bunte Planeten mit verschiedenen Lebensformen, (Froschwesen, Echsenwesen, Gammawesen) Fossile von untergegangen Kulturen und und und.
Marcel klaubte aus seinem Gürtel ein kleines Reagenzglas und eine Art Spachtel, kroch durch die eingeschlagene Scheibe und füllte den Rest des Staubes in das Reagens. Rückwärts schob er sich wieder heraus, hielt das Glas gegen die Sonne und begutachtete die pulverisierten Überreste der Marsbewohner, oder vielleicht die von Weltraumreisenden. Flip las in sein-en Augen, dass er am liebsten wieder zur Spacehawk wollte um seinen Fund im Labor zu analysieren, als Marcel sich umdrehte und sich das Gesicht des Biologen veränderte.
„Shit!“ fauchte der Deutsche leise und glotzte in die Richtung, aus der sie gekommen waren. Flip folgte seinen Blick und er erstarrte fast in seiner Bewegung. Vor ihnen, in gut fünf Kilometern Entfernung, schoss ein Zyklon genau auf sie zu, der Rüssel des Tornados sprang hektisch hin und her und sog alles auf, was ihm in die Quere kam. Flip sah riesige Gesteinsbrocken umherwirbeln und am blassbraunen Himmel hatten sich große weiß schimmernde Wolken gesammelt, aus denen grell blitzende, elektrische Entladungen herausschossen. Ein Donner knallte nach dem andren und die Atmosphäre war plötzlich so aufgeladen, dass sich die Härchen auf Flips Nacken aufstellten. Eine zweite Windhose bildete sich nur wenige Meter neben der ersten, zuerst ihr Auge, dann die Wirbel, die bis runter in den Rüssel reichten. Der zweite Zyklon tanzte mindestens genauso hektisch, wie der Erste. Donner erschütterte den Marsboden, Staub und feiner Sand prasselten auf die Schutzhauben, Flip gab Wanda ein Zeichen, und die drei Männer und die Frau liefen zu dem Vehikel. Ein drittes Auge öffnete sich an dem mit Blitzen überzogenen Himmel.
Wanda sprang hinter das Lenkrad und startete den Motor des Vehikels, die Turbine pfiff kurz und noch bevor die Männer sich richtig hinsetzten, trat die Frau das Gaspedal durch. Steine, Dreck und Staub stoben auf und das Marsauto raste davon.
„Was ist los bei euch?“ Lucs Stimme wurde durch Rauschen gestört.
„Ein Orkan! Ein Wirbelsturm ist gerade losgebrochen. Drei Twister haben sich gerade in unserer Nähe aufgebaut und…“
„Flip, da aus Nordwesten ein Vierter!“ Wanda änderte den Kurs des Vehikels.
Vor ihnen tauchte ein vierter Tornado auf, er war größer als die drei andren und er war ganz rot. Er musste sich in der nördlichen Halbkugel gebildet habe, den er brachte eine Unmenge an roten Sand mit sich.
„Das klingt ja übel Leute!“ in Lucs Stimme spiegelte sich die Angst der andren wieder.
„Hör zu!“ brüllte Flip in sein Mikrophon. „Sollten wir es nicht schaffen, musst du Houston informieren! Schick am besten einen Bergungsandroiden los, vielleicht haben wir ja Glück?“
„Mach ich Cap!“ es rauschte noch einmal kurz, dann war die Verbindung unterbrochen.
Aus dem Norden des Planeten schoss ein fünfter Twiester, rotbraun und so groß wie drei Wolkenkratzer in New York, auf das Vehikel zu, Wanda drehte ihren Kopf hin und her und steuerte dann auf den Süden zu. Sie rasten eine halbe Stunde mit Tempo 100 über den Mars, als sich der Boden wieder veränderte. Die Erde war nun schwarz wie Schiefer, und granitähnlicher Schotter flog um die Seiten des Vehikels. Die Zyklonen folgten ihnen, jetzt zwar in größerem Abstand, dafür hatten sich noch drei Weiter zu ihnen gesellt. Der kleinste der Tornados, eigentlich nicht mehr als eine Windhose, löste sich plötzlich auf, dann einer der größeren.
„Sie scheinen sich auf…“
Ein greller Kugelblitz schlug neben den rechten Vorderreifen des Vehikels ein und unter-brach Flip. Ein Zweiter sauste an einer der Querstangen vorbei und Harris konnte die Spannung fast schmecken. Wanda lenkte abermals gegen und das Fahrzeug heulte kurz auf, bevor es von einer Orkanböe kräftig durchgeschüttelt wurde. Die Vorderräder bäumten sich auf und die beiden Männer im Heck schlugen hart mit den Köpfen nach hinten. Harris zischte etwas, was aber niemand verstand und der Biologe kreischte kurz, als ihm die Hände gegen die Turbine geschleudert wurden. Kurz hinter dem Marsfahrzeug huschte der Rüssel eines entstehen-den Twiesters vorbei und ein Blitz versenkte den Boden, wo noch vor einer Sekunde Harris Kopf gewesen war. Wanda drückte das Pedal noch härter durch und sie beschleunigten noch einmal. Flip wurde in den Sitz gedrückt und er spürte, wie sein Frühstück wieder hochkommen wollte. Unbewusst griff er nach Wandas Arm, die ihn geschickt abschüttelte, damit er ihr nicht ins Lenkrad fasste.
Vor ihnen ragte eine Anhöhe auf, das Gefährt bockte kurz, katapultierte sie dann aber in die Höhe und wie ein Geschoss jagten sie über einen schmalen Spalt in der Erde. Marcel, dessen Hände entsetzlich schmerzten, seine Handschuhe waren mit Teilen seiner Haut verschmolzen, hielt sich nicht mehr fest und wurde nach dem Aufsetzen aus dem Vehikel geschleudert. Er machte drei Salto rückwärts, ehe er auf dem harten Marsboden aufschlug und regungslos lie-gen blieb.
„Stopp!“ schrie Harris. „Wir haben einen verloren!“
Wanda drehte sich gereizt um und starrte dem Amerikaner direkt in die Augen. Der Mann, der wie tot auf dem Steinboden lag, hatte einen Namen und dieser Stinker hinter ihr, weigerte sich ihn auszusprechen. Sie lenkte hart nach links und vollzog eine 180 Grad Drehung und steuerte auf den am Boden Liegenden zu. Marcel hob angestrengt seinen Kopf, seine Beine bewegten sich nicht, er stützte sich auf die Ellenbogen und schielte auf die blutigen Dinger, die einmal seine Hände waren. Flip konnte ihn genau sehen. Der Schock musste seine Schmerzempfindungen ausgeschaltet haben, Blut sickerte aus seinen Augen und so wie er da lag, musste er sich das Rückgrad gebrochen haben. Sie waren gute fünfzehn Meter von dem Mann aus Deutschland entfernt, als ein gewaltiger Rüssel eines Zyklons ihn aufsaugte und von dem schwarzen Boden riss. Flip sah ihn davon wirbeln, die Arme winkten wie zum Abschied und die blutigen Augen glotzten verschreckt und hilflos.
Wanda trat auf die Bremse, schaute dem wegfliegenden Mann hinterher und drehte den Wagen in den Moment um, als ein erneuter Blitz einschlug. Die Anzeigen des Vehikels flackerten kurz auf, so das die Insassen für einen Moment dachten, die Motoren würden ausgehen. Wanda trat hart auf das Pedal und das Gefährt raste vor dem Unwetter davon. Niemand von ihnen sprach, keiner von ihnen hätte etwas für Marcel tun können.
Flip schaute auf die tödliche Umgebung des Mars. Vor ihnen tauchte plötzlich wie aus dem Nichts das versteinerte Gerippe eines Josuahbaumes auf. Flip presste seine Hände auf die Stütze vor ihm und rief: „Wanda!“
Die Frau hatte das Hindernis längst erblickt und riss das Steuer hart herum, so das Harris hinten hart umhergeschleudert wurde und sich den Kopf stieß. Dann war auf einmal der Bo-den weg! Das Vehikel stürzte in ein schwarzes Loch und Flip spürte wie er in der Dunkelheit fiel und fiel, ein Rums beendete den Fall und keiner der Insassen spürte noch irgendetwas. Ü-ber ihnen schossen die Twiester vorbei und verwüsteten den todbringenden Planeten.


*


Marcel winkte ihm zum Abschied, Flip fühlte sich in seine Jugend zurückversetzt: Damals hatte er einen alten Film mit Gregory Peck gesehen, Moby Dick, Peck spielte den Kapitän Ahab, der am Ende des Films an dem riesigen Buckelwal hing und seiner Crew zum Abschied zuwinkte, genauso wie Marcel. Flip öffnete die Augen, alles tat ihm weh und er sah… nichts!
Alles war dunkel, war er vielleicht tot?
Er holte tief Atem, die feinste Luft füllte seine Lungen, er tastete in sein Gesicht und er fühl-te, dass er immer noch seine Handschuhe und die Atemmaske trug. Er lebte also noch! Seine Knochen schmerzten und sein Kopf brummte, nirgendwo war ein Licht zusehen, also mussten sie tief unter der Marserde sein. Etwas berührte ihm im Nacken.
„Alles in Ordnung Captain Vandenbergh?“ fragte Harris.
Der Amerikaner war eingeklemmt, nicht stark, aber doch so , dass es erstens weh tat und zweitens, dass er nicht aus dem senkrecht stehenden Vehikel fiel. Die Schnauze des Fahrzeuges hatte sich in den dunklen Marsboden gebohrt. Flip drückte die Stütze schwer in die Rippen, doch sie schienen nicht gebrochen. Neben dem Holländer rührte sich die Frau, sie stöhnte leise und Flip hörte sie schwer atmen.
„Geht’s dir gut Liebes?“
„Weiß ich noch nicht!“
„Mir geht es prima!“ faselte Harris, der immer noch auf Flips Antwort wartete.
Es war totenstill in… dem Loch (Der Gruft!). Flip glaubte, dass sie mindestens zwei Minuten gefallen waren, was bei der schwere ihrer Masse und der erhöhten Anziehungskraft des Planeten verdammt viel Zeit war und was vor allem verdammt tief sein musste. Die Konstruktion des Vehikels hatte sie wohl vor dem sicherem Tod gerettet.
Wanda hielt in ihrer rechten Hand ihre große Stablampe, die sie aus ihrem Gürtel gezogen hatte und blendete für einen Augenblick ihren Freund. Flip blinzelte kurz, dann griff er zu seiner Lampe und stellte fest, dass sie zerbrochen war.
„Meine Lampe ist kaputt!“ meldete Harris von hinten.
Wanda lenkte den Strahl ihrer Lampe auf den Mann und die beiden sahen, dass sich der Amerikaner zwischen zwei Haltestangen verkeilt hatte, seine Beine baumelten draußen und seine Arme hielten das M3 fest umklammert. Sein Gesicht wirkte verzerrt, es war leicht rot und es glich einem Erdbeertart. Flip fragte sich, ob dies aus Wut, oder Schmerz geschah. – So wie er Harris kannte, vermutete er ehr ersteres. Harris Augen verdrehten sich genervt.
„Kommt schon, holt mich hier runter!“
Als sie Harris befreit hatten, stellten sie fest, dass der Sicherheitsoffizier eine Fraktur am rechten Knöchel hatte, sie stützten ihn und setzten ihn neben das schrottreife Fahrzeug, danach versuchte Flip mit Luc in Verbindung zutreten.
„Nichts! Absolute Funkstille, wir können nur hoffen, das uns der Androide findet. Vielleicht funktionieren ja die Peilsender?“
„Ich liebe dich!“ Wanda nahm ihm bei der Hand.
Flip nickte und schaute zu Harris, der starrte abwesend in die Dunkelheit, der Strahl der Lampe fiel genau auf die linke Hälfte seines Gesichtes.
„Das war’ s!“ meinte er knapp. „Mission gescheitert! Hätten wir nicht einfach im All explodieren können, das wäre schneller gegangen! Verhungern werden wir, wie Ratten.“
Flip hasste Pessimismus, er war seither eine Frohnatur gewesen, hatte immer ein Lächeln auf den Lippen und selbst nach dem Tod seiner kleinen Familie hatte er immer an ein Weiterleben geglaubt. Er wusste noch, selbst als der Inspektor vor ihm stand und ihm erklärte, dass niemand diese Terroristen hätte aufhalten können, da regte sich in ihm der Lebensfunke. Natürlich hatte er sich während der Detonation gewünscht, er wäre mit seiner Familie gestorben, doch schon auf dem Friedhof in Barcelona wusste er, er würde weiter machen, weiter machen müssen, für Kip und für Fatima. Diese Menschen sollten nicht gewinnen, sie wollten ihn zu einem ruhelosen Monster machen, was sie zum Teil auch geschafft hatten (Schließlich war er auf dem Mars!), aber seinen Willen zum Überleben, zum Weitermachen konnten sie nicht brechen. Er würde die Menschheit in eine neue Hoffnung führen, weg von so versponnenen Illusionen, wie Religion und unterschiedlichen Kulturen – Sie waren nur Ballast! In jedem Menschen floss das selbe, rote Blut, alle Menschen waren gleich, nur der Verstand unter-schied sie und dabei auch nur das, was der Verstand im Laufe seines Daseins gelernt hatte. Wie Religion und Kultur. Er würde jede Religion und jede Kultur ausmerzen, nur noch eine Masse von Menschen, die auf dem Mars überleben würde, gleich welcher Hautfarbe, ohne Ballast! Mit Hilfe der Roboter…! Der Gedanke manifestierte sich in seinem Geist, er würde die Herrschaft über den Mars ergreifen und den Regierungen der Erde diktieren, welche Menschen einen Fuß auf den Mars setzten. Nur intelligente und abgeklärte! Keine Priester, keine Mullahs, keine Mönche, keine Heiligen und vor allem keine Terroristen. Der Mars würde laizistisch sein und Flip würde mit seiner Frau, seiner neuen Frau und seinem neuem Sohn in Frieden und als gerechter König leben. Er würde leben und nicht in dieser dunklen Höhle ster- ben. Er würde leben, er wollte leben!
Harris kauerte am Boden und rieb sich seinen Knöchel, der Strahl aus Wandas Lampe streifte ihn und er glotzte wie ein erschrecktes Reh in den Lichtkegel. Flip erwachte wie aus einem Rausch aus seiner Vision und sah seine beiden Crewman abschätzend an. Würden sie mitmachen, würden sie zu ihm halten? Wanda bestimmt, aber was war mit Harris? Er verfolgte seine eigenen Ziele, er wollte den Mars für die Vereinigten Staaten von Amerika erobern. Die Amis konnten auf der Erde kaum noch leben, sie hatten alles vergiftet und über die Hälfte ihres Landes war verwüstet, teils durch Naturkatastrophen, teils durch terroristische Anschläge. Harris könnte eine Problem werden und …
„Da Vorne ist ein Gang!“ Wanda riss Flip aus seinen Gedanken.
Der Holländer nahm ihr die Stablampe ab und hielt ihren Strahl in das enge Loch in der Wand, es war gerade mal so groß, dass ein Mann hindurchpasste. Flip trat hinein und sah, das es ein verdammt langer Gang war, der Lichtkegel verschwand in der atemlosen Dunkelheit und zeigte ihm kein Ende. Er und Wanda würden einfach hindurch gehen können, aber Harris? Konnte er sich auf Flip stützen und mit ihm hindurch humpeln? Er glaubte kaum, so konnte er ihn…
„Er ist sehr lang! Ich kann kein Ende entdecken!“ erörterte er den Anderen. „Ich werde mir das mal ansehen!“
„Und wir bleiben in der Dunkelheit zurück?“ Wanda sah ihn entsetzt an.
„Nun, ich brauche die Lampe! Vielleicht gibt es einen Ausgang und ich kann Luc…“
„Auf keinen Fall ich komme mit!“
Flip wollte etwas erwidern, als er das Knacken des M3 vernahm!
„Keiner geht hier weg! Wir warten, wir werden gerettet, oder wir sterben hier!“ Harris hatte die Mündung des Sturmgewehrs auf seinen Kapitän gerichtet und der blonde Mann war mit seiner Lampe ein prima Ziel.
„Harris! Waffe runter! Sofort!“ Flips Stimme war streng, aber gleichzeitig auch ruhig.
„Nein Kapitän Vandenbergh! Ich werde nicht zu… Hey was?“
Flip löschte einfach das Licht, der Amerikaner, der die ganze Zeit in ihren Strahl gesehen hatte, war auf einmal Blind. Flip merkte sich die Stelle, auf der er saß und stürmte auf den am Boden sitzenden Mann zu und riss den Lauf des Gewehrs hoch.
Das Rattern des Maschinengewehrs war ohrenbetäubend, Wanda ließ sich auf den Boden fallen und sie fühlte, das eine Kugel nur ganz knapp an ihr vorüber flog. Im Flackerlicht des Aufleuchtfeuers, das sich um den Lauf drehte, erkannte sie Flips Gestalt, der Harris das Ge-wehr zu entziehen versuchte und mit der Stablampe auf dem am Boden kauernden Amerikaner einschlug. Als das Magazin leer geschossen war, glühte der Lauf zart rot und Flip knipste die Lampe wieder an. Er hielt das M3 in seiner zitternden Hand und sah schwer atmend auf Harris. Die Arme des Amerikaners hingen schlaff herunter, sein Kopf hing haltlos an seinem Hals, fiel fast auf seine Brust und ein Strom von Blut quoll aus seiner zer-trümmerten Maske. Flip hatte ihn getötet, doch Wanda erkannte keine Schuld in den Blick ihres Liebhabers, ehe so etwas wie Befriedigung, ja fast Erleichterung.
Wenn der Mann nicht an den Kopfverletzungen gestorben war, dann war er an der Marsatmosphäre erstickt. Flip schien es egal zu sein, er trat gegen den Fuß des Mannes und drehte sich zu der dunkelhäutigen Frau um. „Gehen wir!“


*


Wanda ging hinter ihm. Sie zwängten sich durch den engen Tunnel, der vor ihnen lag und sie im schlechtesten Fall immer tiefer in den Mars führte. Wanda hielt Abstand zu ihm. Flip wusste nicht, ob aus Angst, das sie stürzen könnte, oder weil er Harris er… getötet hatte. Was sollte er tun? Der US Amerikaner hatte beide mit dem Gewehr bedroht, hätte Flip nicht gehandelt, dann lägen sie jetzt beide in ihrem Blut im Innern des Mars. Flip hatte Harris nicht ermordet, er hatte sich lediglich verteidigt, sich und seine neue Frau, auch wenn diese es wohl etwas anders sah. Nun ja, sie würde sich schon daran gewöhnen. Wenn man Pläne hatte, mus-ste man diese auch verteidigen, koste es was es wolle, selbst wenn ein Menschenleben dafür geopfert werden musste. Und um Harris war es bei… (Gott?) nicht schade!
Er war Bürger eines Landes, das, wenn es nach Flip ging, gar nicht erst auf den Mars gelassen werden durfte. Die Amerikaner hatten diesen seltsamen Drang sich alles zueigen machen zu wollen, selbst heute noch trachteten sie nach der Machtposition auf dem Mars, der Hoffnung der Erde, die sie unter anderen zerstört hatten. Flip sah es gar nicht ein, dieses Volk auf seinem Planeten zulassen. Sie waren kriegerisch, machthaberisch, intrigierten bloß und beuteten die Erde schon seit über einem Jahrhundert aus, sie zettelten Kriege an und legten überall ihr Veto ein. In Flips Königreich war kein Platz für sie, er war der neue David und er würde ein Land erschaffen, in dem nur rechtschaffene Menschen leben würden, hier sollte eine Welt entstehen, das gelobte Land, der gelobte Planet und er Flip Vandenbergh würde ihr König sein. Er würde dafür sorgen, dass kein Vater jemals seinen Sohn verlieren würde, kein Mann seine Frau, kein Kind seine Eltern. Er…
Wanda war gestolpert und holte ihn aus seinen verwirrten Visionen, erschrocken schüttelte er den Kopf. Was war nur aus ihm geworden er war doch immer so…? Liberal?
Sein Liberalismus hatte ihm das Leben seiner Frau und das seines Sohnes gekostet!
Er fing Wanda bei ihrem nächsten Patzer ab und hielt sie in seinen Armen. „Schatz alles Okay?“
„Lass mich! Es geht schon!“
Flip konnte die Angst, aber auch die Kälte zu ihm deutlich spüren, die junge Frau schien angewidert zu sein.
„Ich musste es tun, sonst hätte er uns erschossen!“ Er guckte ihr mit festem Blick in ihre Augen. „Schatz glaub mir ich bin doch kein Mörder!“
„’Tschuldige! Es hat mich nur mitgenommen, wozu du fähig bist!“
Ich bin noch zu viel mehr fähig! Mir gehört dieser Planet und wer nicht nach meiner Pfeife tanzt, der tanzt gar nicht! „Ich hätte auch nicht gedacht… Es tut mir leid, doch was…?“
Er drehte sich von ihr weg und richtete den Lichtkegel wieder in das scheinbar unendliche Nichts des engen Tunnels. Es hätte ihn nicht gewundert, wenn dieser Tunnel immer schmaler werden würde und sich am Ende in ein Termitenloch verwandelte und sie könnten den ganzen Weg wieder zurück marschieren, doch wie durch einen Quantensprung standen sie plötzlich vor dem Ende des Tunnels und schauten in eine riesige Halle. Die Zwerge in Tolkiens Romanen hätten nicht pompösere Hallen unter der Erde erbauen können, was sich den beiden darbot, war höchste Architekturkunst. Der Stein war geschliffen, abgerundet und zurecht geschlagen worden, ein riesiger Platz, mit einer Art Brunnen in der Mitte und einem riesigem Bauwerk am hinterem Ende, wo die Halle endete. Es waren wunderschöne Bauwerke!
Sie hatten mit nichts auf der Erde Ähnlichkeit. Sie waren nicht römisch, nicht gotisch, nicht griechisch, noch venezianisch, noch modern, nicht barock und auch in Hollywoodfilmen hatte man solche Bauwerke noch nicht gesehen. Atlantis, schoss es Flip durch den Verstand, so mussten die Gebäude in dem untergegangenen Kontinent ausgesehen haben.
Flip und Wanda betraten den Platz, er war bestimmt so groß wie sechs Fußballfelder, (Flip war ein Verehrer von Real Madrid!) und sie fühlten sich so klein und hilflos, wie Ameisen die einen entvölkerten Bau durchwanderten. Auf der Ummauerung des Brunnens konnte Flip Buchstaben erkennen. CTS TV. Was dies wohl zu bedeuten hatte? Waren es Zahlen wie die römischen, oder gar Buchstaben wie auf der guten alten Erde?
Sie gingen weiter auf das gigantische Gebäude zu, es hatte Türen aus Glas! Flip drückte da-gegen, ja, es war tatsächlich Glas, er ließ die Stablampe umherkreisen und auf den Türen standen auch die Buchstaben C, T und S, darunter etwas was er zwar verstand, aber nicht begreifen wollte: TELEVISION! Darunter Buchstaben, die er ebenfalls lesen konnte, doch die Sprache ergab für ihn nur einen geringen Sinn. Flip hatte sein Abitur vor knapp sechzehn Jahren gemacht, ohne Latinum, doch er sah sofort, dass es sich um Latein handelte.
„Schau dir das an! Latein!“ Er war absolut verblüfft.
Wanda trat neben ihn. Sie ließ die Finger über die Schrift gleiten. „Das ergibt keinen Sinn!“
„Du sprichst also Latein!“
„Ja, ja, aber das hier ergibt keinen Sinn! Es ist zum Teil Latein, aber einige Wörter sind fremd, oder Sinn entfremdet. Hier steht: Seit willkommen bei dem größten Zulieferung der Welt wir bringen euch das beste Ablauf des Tages!“
„Hört sich wie ein Werbejingle an! Zulieferung? – Hm? Eine Zulieferung ist doch eine Sendung, könnte das Wort Sender bedeuten, früher gab es noch keine Sender, also kennst du das Wort für Sender natürlich nicht und…“
„Ja, dann bekommt es einen Sinn! Sender und Programm! Scheiße Flip – das ist ein marsianischer Fernsehsender! Television bedeutet das selbe wie bei uns… das…“ Wanda stockte der Atem.
„Glaubst du, dass dies wirklich ein Fernsehsender ist?“
„Warum nicht? Evolution führt vielleicht direkt zu Fernsehprogramm?“
„Na, na, dann würde der Satz ja nicht heißen: Nur der Stärkste überlebt! Sondern: Nur der Langweiligste übersteht alle Übel der Welt!“
„Sarkasmus passt irgendwie nicht zu dir! Aber Spaß bei Seite, warum sollten nur wir uns so weit entwickeln, dass wir nach einem harten Tag Ablenkung brauchen?“
Flip schmunzelte. „Das gibt dem Wort MTV direkt eine andere Bedeutung!“
„Werd’ erwachsen! Aber wenn wir länger hier draußen stehen bleiben, erfahren wir es nie!“
„Du hast recht!“ Flip legte seine Hände wieder gegen das Glas und drückte hart dagegen. „Hier tut sich was, es geht auf!“
Die Beiden stolperten in eine Art Empfangshalle, die Türe schloss sich hinter ihnen, wie von Geisterhand und ein Surren erklang.
„Mist, das Ding verriegelt sich! Und was ist jetzt?“ Flip lud die Waffe durch, als sich ein weiterer Mechanismus in Gang setzte. „Wir sind in die Falle…“
Licht erleuchtet die Eingangshalle und eine Art Musik erklang, sie war absolut fremd, aber nicht un melodiös. Sie klang nach sehr experimenteller Fahrstuhlmusik, vielleicht so, wie man sie in Advangardeläden auf der Erde fand. Irgendwo wurde eine Turbine in Gang gesetzt, Flip und Wanda spürten einen Windzug, der an ihren Astronautenanzügen zerrte, nach wenigen Minuten piepte die Erkennung an ihren Ärmeln. Auf den kleinen Displays leuchtete ein grünes Licht, es bedeutete, dass atembare Luft in dem Gebäude herrschte.
„Verstehst du das?“
Wanda wollte ihm antworten, als von überallher eine weibliche Stimme erklang, auf Latein, wie Flip sofort merkte. Die Stimme erinnerte ihn an die Durchsage auf Bahnhöfen, oder Kaufhäusern, er guckte Wanda fragend an, die bereits ihre Maske abgenommen hatte und ihren Kopf etwas schräg hielt.
„Wir werden bei CTS begrüßt! Die Stimme bedauert, dass wir nicht persönlich begrüßt wer-den, aber seit… das habe ich nicht verstanden… habe sie schon keine Menschen mehr erfasst. Wir sollen den leuchtenden Zeichen folgen und sie wünscht uns viel Spaß bei unserem Ausflug?“
Flip stülpte seine Maske vom Gesicht und grinste verschmitzt. „Nun, dann sollten wir das doch tun! Ob es hier Popcorn, oder der gleichen gibt?“
Er war seltsam berührt. Das mächtige Gebäude, tief unter der Erde, lenkte ihn von seinen Gedanken ab, führte aber auch neue hinzu. Er sah sich als Führer, der neuen Welt, sein Machtimperium würde er über den ganzen Planeten ausbreiten, weil er als erster einen Fernsehsender besaß! Alle mussten sein Programm schauen! Alle… Er stockte, Wanda folgte schon dem ersten leuchtenden Pfeil und verschwand hinter einer Biegung. Flip wäre fast in ihren Rücken gelaufen, als sie direkt hinter der nächsten Wand stand und etwas beschaute, was sie zu faszinieren schien.
„Das ist ja… unglaublich!“ hauchte Flip hinter ihr.
Er starrte genau wie sie auf das große digitale Bild eines Mannes, dem man weder das Alter noch seine Rasse ansah, aber er war eindeutig ein Mensch. Flip hätte nicht sagen können, ob er Europäer, Asiat, Afrikaner, oder Indio war, er hatte von keiner der Rassen irgendwelche Merkmale, dennoch fand man sie alle wieder. Die Haut war nicht weiß, nicht schwarz, nicht rot, noch gelb, sie war seltsam strahlend und schien alle Fassetten in sich zu tragen. Wie ein Chamäleon, dachte Flip verwirrt.
„Das ist Marcus Anthreus, er ist der Chef von dem ganzen, oder besser war!“ erklärte Wanda, nachdem sie die Inschrift gedeutet hatte.
„Klingt ja fast wie ein römischer Kaiser!“
„Klingt!“ wiederholte die Computerstimme, denn nicht mehr war sie.
„Hey, könnte es sein, dass dieses Ding über künstliche Intelligenz verfügt?“
„Künstliche Intelligenz!“ äffte die Stimme nach.
Wanda drehte sich herum und fand den nächsten leuchtenden Pfeil. „Da weiter!“
Flip folgte ihr und beide stiegen in eine Art Fahrstuhl. Die sechste Etage wurde angezeigt und Flip schloss die Flügeltüren. Ein flaues Gefühl machte sich in Flips Magen breit, einmal von der Geschwindigkeit, die der Fahrstuhl an den Tag legte, andererseits fühlte er sich jetzt wie eine Ratte in der Falle. Klaustrophobie. Bing!, machte es und die Türen sprangen auf.
„Treten Sie heraus!“
Flip und Wanda waren erstaunt, als sie die englischen Wörter vernahmen. Wanda zuckte sogar merklich zusammen. „Wie hast du so schnell unsere Sprache gelernt?“
„Ich habe Ihnen zugehört und einige Hypothesen aufgestellt, linguistische Verknüpfungen erstellt und ich denke, ich habe Ihre Sprache komplett analysiert!“
„Respekt!“


*


Der Computer verstand sie also. Flip malte sich in seinem Verstand aus, wie er mit Hilfe der Künstlichen Intelligenz den ganzen Mars beobachten könne und jeden sofort verhaften lassen könne, der sich gegen seine Grundsätze stellte. Der große Bruder wird euch alle kontrollieren!
Wanda stieß ihm sanft an die Schulter. „Träumst du?“
Flip schüttelte sich wieder und tauchte aus seinen Visionen auf. Er starrte sie von weit weg an. Die Afrobritin ließ ihn stehen und begutachtet die vielen Bildschirme auf dem Flur. Sie flimmerten, doch nirgends war ein Bild zusehen.
„Seit ihr Wiederkehrende?“ fragte der Computer.
„Wie?“
„Seid ihr die, die wieder kommen wollten?“
„Tut mir leid, ich weiß nicht was du meinst!“ sagte Flip sanft. „Wir kommen von der Erde!“
Der Computer schwieg. Es war so, als wolle er über das Gesagte nachdenken. Ein Summen kam von den Wänden und Flip spürte ein Kribbeln über seinen Körper wandern. Es war nicht unangenehm, aber es verunsicherte ihn doch.
„Was tust du da?“
„Ich analysiere eure DNA! Augenblick ich habe es gleich!“
„Ist das gefährlich?“ Wandas Augen wurden groß und sie umarmte sich selbst. „Ich meine…“
„Mach dir keine Sorgen Frau. Ich bin schon fertig! Die Strahlung war nur gering. Seltsam, ihr seit definitiv keine Wiederkehrer, doch finde ich Spüren von ihnen in eurer DNA. Wie passt das zusammen?“
Wieder das leise Summen. „Seid ihr Menschen?“
„So nennen wir uns!“ gab Flip die Antwort.
„Seltsam! Ich weiß nicht was ich darüber denken soll. Aber es ist ja eine Menge Zeit vergangen. Aber kann Evolution sich umkehren? Ah, ja, da liegt die Antwort.“
Die Bildschirme flackerten kurz auf und ein Bild von einem Dschungel erschien. Die Kamera fuhr durch die Baumstämme und vor das Bild stellte sich einer der farbenprächtigen Männer dieses Planeten. Er sagte etwas auf Latein und die Stimme des Computers übersetzte gleichzeitig: „Diese Luft ist so frisch, man kann sie fast schmecken! Wir nähern uns ihrem Lagerplatz. Wir müssen sehr leise sein, wenn sie uns gewahr werden, dürfte dies ein Schock für diese Ureinwohner sein.“
Die Kamera wühlte sich durch ein Gewirr von Farnblättern und Gestrüpp und gab dann den Blick auf eine Gruppe Urmenschen frei, die an einem Feuer saßen und verkohlte Speisen aßen.
„Ich denke dies ist die Antwort!“ intrigierte der Computer. „Doktor Atlatus hatte mit verschiedenen Rassen auf dem neuen Planeten experimentiert. Deren DNA passt zur eueren. Und sie schienen die einzigen die kompertiebel waren…“
„Kompertiebel womit?“
„Mit den Menschen!“
„Wie bitte?“
„Ich werde es euch erklären!“ der Computer war sanft, so wie eine Mutter, die ihr dummes Kind aufklären wollte. „Vor zirka drei Tekronen, dies ist die Zeitrechnung auf diesem Planeten, was bedeutet, dass Millionen von Wintern auf diesem Planeten vergangen sind, bekamen die Menschen, meine Erbauer, Probleme mit der Umwelt auf diesem Planeten. Sie hatten in weniger als einem Tikron von dem Landschaftsbau auf etwas umgestellt, was sie Industrialisierung nannten. Gebilde, die sie Fabrikate nannten, produzierten alles für sie, was sie sich wünschten. Da es ihnen besser ging, explodierte ihre Population und der gesamte Planet wurde in wenigen Ticks überbevölkert. Sie bauten Gebäude, die bis in den Himmel reichten und bis tief in die Erde, wobei sie alle fossilen Brennstoffe abbauten, die sie finden konnten, um ihre Fabrikationen zu betreiben. Sie lebten für sich glücklich und scherten sich nicht um ihre Umwelt, doch nach zwei Tikronen wurde ihnen klar, dass sie den Planeten soweit geschädigt hatten, dass es nicht mehr rückgängig gemacht werden konnte.
Sie hatten Maschinen erfunden, die sie von A nach B brachten, die durch ihre Wohntürme flogen und sie auch in andere Städte und Staaten transportierten. Also setzten sich nach Monaten des Verhandelns die beiden großen Mächte des Planeten, die Nanons und die Muraner an die Tische und überlegten sich, wie man diese Miesere lösen konnte. Ihr müsst wissen, das die beiden Völker in ihrer politischen Auffassung sehr unterschiedlich waren. Die Nanons waren ein militärischer Staatenverbund, die sich aber nicht für die Muraner interessierten, da sie nur auf ihrer Halbkugel wirkten. Die Muraner waren ein freier Verbund von Städten und Staaten, die Handel trieben und das Leben liebten. Sie hatten viele Feste und feierten gerne, während bei den Nanons alles seinen geregelten Lauf hatte. Nur im Handel trafen sie sich hin und wieder, oder im Streit, wenn es um die Reserven des Planeten ging. Doch vor allem misstrauten sie sich.
Doktor Atlatus’ Großvater entwickelte mich zusammen mit einem Muraner Namens Tyklon. So wurde ich geboren. Es dauerte zwei Menschenleben, bis wir Maschinen entwickelten, die den Planeten verlassen konnten. Währenddessen hatte sich aber das Klima auf dem Planeten drastisch verändert. Die Erde trocknete aus, Flüsse und Meere versiegten und das Wasser wurde knapp. Die Nanons überfielen die Barons, ein naturliebendes Volk an dem Nordpol, die Wasser an die Anderen Menschen verkauften. Die Nanons wollten nicht mehr zahlen, so überfielen sie das Land und es gab einen Krieg zwischen den beiden Großen, da sich die Muraner nicht den Nanons unterwerfen wollten. Gemeinden, Städte und ganze Länder wurden dem Erdboden gleich gemacht und Milliarden von Menschen hauchten ihr Leben aus. Nach dem Krieg versuchten die Menschen, eine neue Ordnung zu schaffen. Doch die Luft war schon verpesstet und auch die Pole schmolzen.
Doktor Atlatus flog mit fünf Hundert Männer und Frauen zu unserem Nachbarplaneten, euerer Heimat, und sendete Bilder und Reportagen zurück, die die Euphorie der Menschen beflügelte. Die Nanons waren aus dem Häuschen, sahen sie sich doch als die Retter der Menschheit. Die Muraner fühlten sich wieder zurückgesetzt und eröffneten ihrerseits einen neuen Krieg, der dann den ganzen Planten in Schutt und Asche verwandelte. Die paar Menschen, die überlebten, starben an den Folgen der verwüsteten Natur. Ich schickte Atlatus und seinen Leuten die Nachricht, dass auf ihrem Planeten niemand mehr am Leben sei und sie sollten da bleiben wo sie waren. Zwei Trikonen blieb ich mit den Menschen auf dem anderem Planeten in Verbindung, sie schickten mir Daten, Bilder und sagten das sie sich mit den Eingeborenen angefreundet hätten und das einige von ihnen neue Familien mit ihnen gegründet hätten. Das letzte Bild das mich erreichte war der Ausbruch eines riesigen Vulkans. Danach habe ich nie wieder etwas von ihnen erfahren. Und jetzt seid ihr hier!“
Sollte der Computer wirklich etwas wie Freude empfinden? Er klang fast so. Flip ließ seinen Kopf hängen, die Geschichte, die der Computer erzählte, war ihm nur zu vertraut.
„Was ist aus den anderen Rassen geworden?“ Auf dem Bildschirm erschien das Gesicht eines Wesens, das ein Bär hätte sein können, mit einem verdammt intelligenten Blick.
„Ist mir nicht bekannt!“ stellte Wanda erstaunt fest.
Ein weiters zeigte ein humanes Wesen, hinter einem Josuahbaum, welches aber eigentlich eine Echse sein musste. Wieder schüttelte Wanda den Kopf. Dann ein menschenähnliches Wesen, welches Flip und Wanda nur zu gut kannten. Es war dem Menschen wie ein behinderter Bruder gleich. Zöpfe hingen in die wulstige Stirn und die gütigen Augen schauten freundlich in die Kamera. Ein Neandertaler!
Flip schluckte. Als er ein Kind war, hatten sie ihm in der Schule erklärt, dass der Neandertaler einfach so ausgestorben sei. Darwins Erklärung : Nur der Stärkste überlebt. Als Kip in den Kindergarten kam, hatten die Gelehrten eine andere Meinung.
„Unsere Vorfahren haben sie umgebracht!“
Flip erzählte dem Computer, die Geschichte der Menschheit und der Erde, in knappen Worten und so gut er sie wusste. Am Ende kam er zu einer Schlussfolgerung.
„Wir sind Nachfahren der Nanons! Ein kriegerisches Volk, das steckt tief in unseren Genen, in unserer DNA! Ich wollte die Menschheit retten, dabei hat sie sich schon einmal fast selbst ausgerottet. Nur durch einen Trick hat sie es geschafft auf einem anderen Planeten weiter zumachen und friedliche Ureinwohner abgeschlachtet.“
Er brach zusammen wie ein betrunkener.
„Flip von der Erde,“ der Computer klang freundlich. „denkst du ihr habt eine dritte Chance verdient?“


*


Luc saß im Cockpit des Raumschiffes. Er hatte die Drohne losgeschickt um seine Leute zusuchen, die Androiden hatten bereits ein riesiges Gebäude gebaut. Sie installierten bereits die Solardetektoren zur Energiegewinnung. Er hatte Houston die Nachricht übermittelt, das er seit Stunden keinen Kontakt mehr zum Außenteam hatte. In vierzehn Tagen würde er wohl eine Antwort erhalten, vielleicht waren sie dann schon wieder da und lachten über alles. Der Franzose trank einen Schluck Wasser und schaute weiter auf die Anzeigen. Plötzlich rumpelte der Marsboden.
Das Letzte was Luc in seinem Leben sah, war eine riesige Feuerseule die auf ihn zuraste.
Auf der Erde registrierten Wissenschaftler, das der Mars auseinander gebrochen war und sie vermochten noch nicht zusagen, wie der Planet Erde auf diese Katastrophe reagieren würde.
In Jerusalem, Rom und in Mekka beteten die Menschen um Rettung.


Imprint

Text: Copyright by Michael Masomi 2004
Publication Date: 10-11-2008

All Rights Reserved

Dedication:
Für Hariwa, Samira und Junus A. G.. Ihr seid mein Hafen. M.M.

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