Carlotta, die Stolze, die Boshafte, lag vor ihm am Boden. Ihre Arme und Beine waren verdreht und im Todeskampf erstarrt, der Mund, der ihn so oft gedemütigt hatte, stand halb offen.
Ludwig beugte sich über das verhasste Gesicht und versank im Anblick ihrer Augen. Jede der Pupillen glich einem runden schwarzen Körper, von dem unzählige dünne Beine abgingen.
Das Paket mit seinem Namen darauf lag leer neben Carlotta. Neugierig wie immer hatte sie es geöffnet und ihr schlimmster Albtraum war ihr daraus engegengekrabbelt.
„Angeborener Herzfehler“ würde die wissenschaftliche Erklärung lauten – nur eine winzige Spitze der Wahrheit. Carlotta war am Anblick von etwas gestorben, das ihre Seele noch an Hässlichkeit übertraf.
Ja, sein Plan war perfekt aufgegangen – fast perfekt, denn eine Kleinigkeit fehlte. Wohin war denn die Spinne gekrabbelt, dieses Monster, größer als seine Hand, das Carlotta ganz ohne Gewalt getötet hatte? Wirklich? Was, wenn man doch Bissspuren an ihrem Körper fand? Er tastete die Leiche ab, zog und schüttelte an ihren Kleidern, doch das Vieh war verschwunden. An dieses Problem hatte er nicht gedacht beim Austüfteln seines schlauen Mordanschlags.
Die nächsten Stunden vergingen mit Möbelrücken, Besenstielstochern und ängstlichem Lauschen.
Dazwischen kam der Notarzt, bestätigte Carlottas Tod durch Herzstillstand und versuchte den völlig aufgelösten Witwer zu beruhigen.
„Soll ich Ihnen wirklich kein Sedativum geben?“
„Nein, nein, nicht nötig.“ Was, wenn das Vieh dem Arzt jetzt um die Füße krabbelte? Würde der ihm abnehmen, das sei sein freilaufendes Schmusetier? Ludwig musste nicht schauspielern, er schwitzte, zitterte und hielt nur mühsam die Tränen zurück.
Totenweberin hieß die Vogelspinne aus dem finsteren Herzen Afrikas. Die Eingeborenen verehrten sie als heiliges Tier. Hatte ihm jedenfalls der zwielichtige Exotenhändler erzählt. Ein ganzes Schauermärchen hatte er noch drangehängt, aber die Einzelheiten waren Ludwig entfallen.
Wie durch einen Urwaldnebel sah er dem Sarg nach, der durch die Tür getragen wurde.
„Es geht schon, ich brauche keine Hilfe, vielen Dank. Meine Schwester kommt gleich, ich bin nicht allein.“
Endlich verschwanden sie alle, aber allein war er dennoch nicht, das wusste er.
Und wenn das Vieh in Carlottas Mund gekrochen war und von dort in ihre Eingeweide, wo man es bei der Obduktion entdecken würde? Ach was! Das war ja noch blödsinniger als die Spinnereien dieses Händlers.
Wie um alles in der Welt sollte er schlafen, wenn in einer der Ritzen das Grauen lauerte? Um Mitternacht hatte Ludwig jede einzelne Ecke seines Kleiderschranks durchwühlt und jeden Winkel des Schlafzimmers mit der Taschenlampe ausgeleuchtet. Türritzen und Schlüsselloch verstopfte er.
Dann legte er sich hin und löschte das Licht. Schlaf ein, alter Mann! Das Tierchen tut dir doch gar nichts. Denk dran, was der Händler gesagt hat: „Die Dame ist eigentlich ganz sanftmütig, beißt nicht gleich zu, und wenn, stirbt man nicht gleich dran. Da gibt’s Giftigere.“
Morgen bei Tageslicht würde er sie suchen. Bestimmt hing sie dann friedlich über ihm an der Decke und ließ sich an einem seidenen Faden auf seine Schulter herab. Fäden spinnen war doch ihre Stärke, hatte der Händler ihm erklärt, deshalb auch der Name „Totenweberin“.
Ludwig dämmerte in einen Traum von Trommeln und schwüler Hitze hinüber. Die Luft war klebrig und feucht, so dass er kaum atmen konnte. Carlottas spitzer Schrei zerriss ihm fast das Trommelfell, und plötzlich lag sie auf ihm und umfing ihn mit tausenden von Armen, viel stärker, als sie zu Lebzeiten gewesen war.
Ludwig wollte schreien, doch sein Mund war von klebrigen Fäden umschlossen. Er konnte die Augen nicht öffnen, den Kopf nicht bewegen. Er wollte strampeln und um sich schlagen, doch die Fäden hielten seinen ganzen Körper wie ein Paket zusammen, er war nicht imstande, ein Glied zu rühren.
Wehrlos eingesponnen lag er da und erinnerte sich wieder ganz deutlich an die Worte des Händlers: „Wenn bei diesem Urwaldvolk ein Mensch stirbt, legt man ihn zusammen mit einer Totenweberin in einen Bambussarg. Die Spinne webt ihn dann in eine Art Kokon ein. Der zerfällt irgendwann, und wenn der Mensch gut war, entweicht seine Seele und steigt zum Himmel auf. War er aber böse, dann kriecht er als Spinne heraus und muss so lange in dieser Gestalt umherirren, bis er selbst einen Toten eingesponnen hat. Schon komisch, was diese Primitiven alles glauben!“
Schreien konnte Ludwig nicht mehr, nur noch ein paar Mal heftig ein- und ausatmen, dann waren auch die Nasenlöcher verklebt.
Die Spinne hatte ihr Werk vollendet. Sie ließ sich darauf nieder und wartete geduldig, was aus dem Kokon schlüpfen würde.
Text: Text: © melpomeneTitelbild: © Gerhard Frassa / PIXELIO
Publication Date: 10-08-2010
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