Anniara
schloss leise die Tür hinter sich und machte sich auf den Weg. Draußen peitschte ihr die kühle Morgenluft entgegen, die Sonne würde bald aufgehen. Mit einer hastigen Bewegung zog sie sich ihre Kapuze, die ihr halbes Gesicht verdeckte über und ging mit schnellen Schritten davon.
Nie wieder.
Nie wieder würde sie es soweit kommen lassen.
Schon wieder hatte er es geschafft, zum wiederholten Male hatte er sie überrumpelt und ihre Gefühle ausgenutzt. Er wusste nicht einmal, was sie war und er dachte auch nicht, dass sie darauf kommen würde, was er ist. Sie wusste es aber und sie wusste auch wie falsch das alles war, auch wenn es irgendwie auch nun wieder natürlich war.
Wie eine dunkle Gestalt, so wirkte sie jedenfalls in ihrem langen, schwarzen Mantel, eilte sie nun in den kleinen Gassen davon. Er war noch bestimmt nicht wach, sie fragte sich, ob er sie hätte bei sich behalten wollen, wäre er wach gewesen. Gleich im nächsten Moment verfluchte sie sich für diesen Gedanken wieder, es war im sicher herzlich egal, er hatte bekommen was er wollte.
Sie zog den langen Mantel enger um ihren zierlichen, dünnen Körper, es war ziemlich kühl, obwohl es Frühsommer war. Es war nur wenig los auf den Straßen, es waren noch fast keine Menschen wach, kein Wunder, es war sicher erst halb Fünf, da waren die wenigsten schon unterwegs. Trotzdem verschwand sie lieber in eine Seitengase, nicht das jemand dass sah, das nun folgen würde.
Noch einmal sah sie sich um, um sicher zu gehen, dass niemand, auch nicht er sie verfolgt hatte. Dann tauchte sie in die eine kleine Sackgasse unter, in der sie keine Menschenseele sehen würde.
Seufzend machte sie ihren Mantel auf und lies ihn zu Boden fallen. Nun konnte sie es endlich tun, sie musste es nicht mehr unterdrücken. In Sekundenschnelle wuchsen ihr zwei, prachtvolle, weiße Flügel aus dem Rücken. Die ganze Zeit schon wollte sie sie ausbreiten, konnte es aber nicht, da sie nicht wollte dass er es nun auch bemerkte.
Mit einem kräftigen Flügelschlag, erhob sie sich in die Lüfte und flog davon, zu ihrem Lieblingsplatz.
Kyran
schlug die Augen auf und streckte sich erst einmal ausgiebig. Die andere Seite des Bettes war leer, wie sollte es auch anders sein? Es war doch immer so.
Wieso?
Wieso verschwand sie eigentlich immer bevor er aufwachte? Noch nie sind sie zusammen aufgewacht oder hatten gemeinsam gefrühstückt, noch nie! Dabei hatte es genug Möglichkeiten gegeben… Aber immer verschwand sie, und nie hinterließ sie eine Nachricht oder sonst etwas.
Egal wie fest er sie im Schlaf festhielt, immer ging sie und ließ ihn alleine.
„Wie auch immer“, murmelte er.
Sie war bloß ein Mensch, ein unbedeutendes Wesen, versuchte er sich einzureden, aber er wusste tief in sich drinnen, dass das nicht stimmte. Sie war kein normaler Mensch, denn nie hatte ihn eine Menschenfrau interessiert, bei ihr sah es ganz anders aus. Zwar wusste er es, aber eingestehen wollte er es sich nicht.
Noch einmal gähnte er laut und stand dann auf um etwas zu essen.
Wenn er wollte, konnte er jede haben, unter den Menschen war es zumindest so, aber bisher wollte er nur sie. Auch wenn er von Beziehungen nichts hielt, konnte sie doch mindestens einmal bis zum Frühstück bleiben.
Anniara
genoss die ersten Sonnenstrahlen auf ihrem Gesicht. Sie saß auf einer Bank, die sich hoch auf einem Berg befand. Von da hatte sie eine Ansicht auf die ganze Stadt, die gerade zu erwachen schien. Fast jeden Morgen beobachtete sie den Sonnenaufgang von hier. Nur heute waren ihre Gedanken ganz wo anders.
Sie verstand das alles einfach wirklich nicht.
Anniara war ein Engel, ein normaler, reiner, weißer Engel. Und Kyran ein schwarzer und trotzdem fühlten sie sich zueinander hingezogen, ohne dass sie wussten warum. Naja, sie zumindest wusste es jetzt, aber er glaubte noch immer sie sei ein Mensch, sowie sie dasselbe auch früher über ihn glaubte. Obwohl das sie das für total falsch empfand, war dass das natürlichste auf der Welt.
Wenn weiße Engel Kinder bekommen wollten, mussten sie sich einen Partner von den schwarzen Engeln suchen, Kinder erzeugten sie, aber richtig zusammen waren sie nie.
Bei diesem Akt entstanden entweder, ein schwarzer Engel, ein weißer oder ein normaler Mensch. So war es schon immer gewesen und die Engel nahmen das als etwas Selbstverständliches. Bei ihr war es auch nicht anders, ihre Mutter war ein schwarzer Engel und ihr Vater ein weißer, sie lernten sich kennen, begehrten einander, zeugten sie. Dann, als sie schwanger war, verschwand ihre Mutter, neun Monate später, tauchte sie auf und übergab Anniara ihrem Vater und ließ sich nie wieder blicken. Nur an ihrem achtzehnten Geburtstag besuchte sie ihre Tochter, weil sie wissen wollte was aus ihr geworden war.
So war es üblich, entstand ein Mensch, so gaben sie es meistens zur Adoption frei, war es ein schwarzer Engel, zog es der schwarze Elternteil groß, war es weiß, dann der weiße.
Warum das alles so war, stellte nie wer in Frage, aber jetzt, jetzt wollte Anniara wissen warum das so war, denn es verwirrte sie. Wieso bekämpften die Engel sich, wenn sie sich gegenseitig zum Überleben brauchten? Und wie konnte jemand die Mutter seines Kindes umbringen? Sicherlich war das schon passiert. Wie gefühlskalt war ihr Volk eigentlich, wenn man bedachte, dass da nie Gefühle im Spiel waren und es eigentlich keine Liebesbeziehungen zwischen Engeln gab?
Engel hielten die Liebe für etwas, das sei bloß schwächte, es war menschlich und betraf sie also nicht. Ihre Kinder konnten sie lieben und sich liebevoll um sie kümmern, aber einen Partner hatten sie nicht. Engel warne keine Wesen die im Paar geschaffen waren, Menschen hingegen schon. Bei den Menschen war alles in Paar geschaffen. Menschen lebten meistens zusammen, also ein Mann mit einer Frau, obwohl, die Menschen hielten sich nicht immer an das Schema. Aber trotzdem, sie waren immer mindestens zu zweit, die Engel waren Einzelgänger was das betraf.
Das mit den schwarzen und weißen Engeln war ein Ewiges hin und her, sie hassten sich bekämpften sich… Aber wenn bestimme Engel aufeinandertrafen, empfanden sie Interesse, entwickelten bestimmte Gefühle… Gegensätze zogen sich ja bekanntlich an. Dennoch entwickelten sie nicht genug Gefühle um sich nicht zu bekämpfen. Das war alles einfach nur Schlimm.
Aber das aller Schlimmste, was ihre gerade durch den Kopf ging war ja, dass Anniara noch keine Kinder wollte, sie war auch nicht mit Kyran zusammen, aber trotzdem ließ sie sich immer wieder von ihm mitreisen und verführen.
Ob er wohl gerade an sie dachte? Ob er sie wohl vermisste wenn er aufwachte und sie nie neben ihm war?
Anniara schlug sich mit der flachen Hand auf die Stirn, nie im Leben würde er sie vermissen, fürs erste war er ja befriedigt.
Bis jetzt fand sie das alles, was die Engel ausmachte nicht so schlimm, bis vor kurzem dachte sie ja auch, es würde sie nicht betreffen. Sie dachte Kyran wäre ein Mensch, der eben Interesse für sie aufbrachte, das war ja auch nicht unnormal, Engel stachen aus den Menschenmengen immer hinaus, nur durch ihr Aussehen und ihrer Ausstrahlung. Anniara dachte einfach er wäre ein gutaussehender Mensch und so ließ sie sich darauf ein. Sie war zu dumm um zu merken, dass er genau deswegen kein Mensch sein konnte, er war zu attraktiv und sie hatte eine viel zu große Schwäche für ihn entwickelt.
Anniara schüttelte ihren Kopf, sie sollte jetzt nicht darüber nachdenken. Nie wieder würde sie sich mit Kyran einlasen, also war das alles nur mehr Zeitverschwendung. Ihre Flügel hatte sie noch immer ausgebreitet, für den Fall das ein schwarzer Engel auftauchen würde. Aus den Augen von ihren Feinden, war sie jetzt bloß ein Lichtschimmer, ihre Feinde dafür waren aus ihren Augen bloß Schatten. Nur in menschlicher Gestalt konnten sie sich normal sehen.
„Na? Gefällt dir was du siehst?“, meinte plötzlich eine raue Stimme hinter ihr.
Sofort sprang sie auf und ging in Deckung. Nun ging ihr ein Licht auf, in dieser Stadt gab es nur zwei Engel, Kyran und sie. Das hieß, dass er gerade vor ihr stand, aber auch, dass sie schon unzählige Male gegeneinander gekämpft hatten. Fast so oft wie sie sich das Bett teilten, das war doch krank.
„Ich sag es ein letztes Mal, diese Stadt gehört mir. Ich kann mit ihr anstellen was ich will, also verschwinde endlich von hier!“, brüllte er nun, aus ihren Augen sah er noch immer wie ein Schatten aus.
„Du weißt genau, dass jede Stadt beide Seiten braucht. Gut und Böse, sonst kommt sie aus dem Gleichgewicht. Also lass mich in Ruhe meinen Job machen“.
Kyran musste lachen:
„So so, deinen Job hm? Nun ja, zufälliger Weise besteht mein Job darin, dich loszuwerden… Ich habe dich jetzt das letze Mal gebeten, ich bin heute nämlich gut drauf, ausnahmsweise, also verschwinde aus meiner Stadt oder das nächste Mal wie wir uns sehen, werde ich mich dir entledigen“.
Seinen Job erledigte er nicht wirklich gut, wenn man bedachte dass sie noch immer am Leben war, fand Anniara, aber sie persönlich war auch nicht besser, denn er stand ja auch noch immer lebend vor ihr. Genau das war ja das Blöde, nie würde einer von ihnen gewinnen, beide waren gleichstark, sonst würde das Gleichgewicht von Gut und Böse kippen. Das wussten beide, aber beide waren zu stolz dass zuzugeben, als wäre es ein Zeichen von Schwäche die Wahrheit auszusprechen.
Plötzlich rang Anniara nach Luft, sie war soweit in Gedanken vertieft, dass sie nicht einmal bemerkt hatte, dass Kyran sie mit einer Hand am Hals gepackt hatte und sie hochhob.
„Soll ich es wiederhohlen? Verschwinde oder es wird dir leid tun, wenn ich dich noch einmal hier sehe, werde ich dich nicht mehr verschonen“.
Mit Leichtigkeit befreite Anniara sich nun wieder, dass durfte ihr nicht noch einmal passieren, dass sie sich so ablenken lies.
„Ich halte nichts von deiner Gnade, du weist genau dass ich dich genauso gut erlegen könnte, wie du mich“.
Wieder ertönte sein Lachen:
„Das will ich sehen. Los zeig es mir“.
Anniaras Blick glitt zum Boden, sie fühlte sich beklemmt, irgendwie konnte sie ihn nicht mehr angreifen, seit sie wusste wer er wirklich war.
„Ich sagte: Zeig es mir!“, Kyran warf sie zu Boden.
Anniara hob ihren Blick noch immer nicht.
„Sie mich an wenn ich mit dir rede!“, befahl er nun wütend.
Mit immer noch gesenktem Blick stand der weiße Engel auf:
„Ich kämpfe heute nicht“.
Noch bevor er auf diese Aussage reagieren konnte, erhob sie sich in die Lüfte und flog davon.
Kyran sah ihr fragend hinterher, was heute los mit diesem Engel? Bis jetzt hatte sie ihm immer die Stirn geboten… Ein Grinsen stahl sich auf seine Lippen, wenn es so weiter ging, würde er gewinnen.
Oder aber, das war bloß eine neue Strategie. Natürlich war es das, sie wollte dass er unvorsichtig werden würde, das musste es sein!
„Darauf kannst du lange warten“, murmelte er siegessicher und erhob sich ebenfalls in die Lüfte.
Er wollte ihr nicht nachfliegen, erwischen würde er sie sowieso nicht mehr, außerdem würde er ihr einen kleinen Vorsprung lassen, sonst würde es ja keinen Spaß mehr machen.
Kyran
flog erneut die Stadt ab, nirgendwo konnte er sie erkennen. Seit drei Tagen schon fand er sie nicht mehr, obwohl sie sich eigentlich jede Nacht auf den Straßen herumtrieb. Nie hatte er herausgefunden warum eigentlich, es schien sie einfach unerklärlicher weise anzuziehen, denn jede Nacht verlies sie ihre Wohnung und trieb sich einfach in dem Schutz der Nacht herum, obwohl es gefährlich war.
Ob ihr wohl etwas zugestoßen war? Fand er sie deshalb nicht mehr an? Kyran verbannte den Gedanken aus seinem Kopf, dass wollte er sich nicht ausmalen, denn er wusste nicht wie er in dem Fall reagieren würde. Er konnte doch nicht besorgt um sie sein, er konnte keine Gefühle haben, keine die so verliefen.
Doch plötzlich entdeckte er einen Schatten der über die Straße lief, die Umrisse einer Frau, das musste sie sein. In einer Nebenstraße landete er und beobachtete sie aus dem Schatten heraus.
Ihre rotbraunen, lockigen, lange Haare funkelten im Mondlicht. Ihre dunkelgrünen Augen stachen hervor wie der einer Katze, die sich im Dunklen herumtrieb. Sie war ziemlich groß, fast eins siebzig, aber trotzdem war sie noch immer mit einem Kopf kleiner als er. Ihre Statur war groß, schlank und sie hatte reichlich an weiblichen Kurven, die jeden anderen Mann den Verstand rauben würden. Anniara wirkte so wundervoll, so allein in dieser kleinen Gasse, im Mondschein unter dem Sternenhimmel. Wie kam es, dass sie noch nicht verheiratet war oder einen Freund hatte? Naja, vielleicht hatte sie ja schon längst einen Mann und hatte ihm nur nichts davon erzählt? Kurz schäumte sich Eifersucht in ihm auf, sie waren zwar in keiner Beziehung, aber sie sollte trotzdem keine anderen
Männer haben, fand er.
Die Gedanken schüttelte er nun ebenfalls ab, er konnte nicht eifersüchtig sein, denn ihre Beziehung war nur oberflächlich und bezog sich nicht weiter als innerhalb seines Schlafzimmers.
Anniara
jetzt warte doch!“, hörte sie seine Stimme erneut. Wieso war sie auch so dumm gewesen und ist wieder rausgegangen? Drei Tage hatte sie es ausgehalten, nachts in ihrer Wohnung zu bleiben, aber heute Nacht hatte sie es wieder hinausgezogen. Eigentlich wusste sie, dass sie nur rausgegangen war, weil sie gehofft hatte, dass Kyran sie wieder finden würde, aber nie im Leben würde sie sich das eingestehen.
Mit erhobenem Kopf ging sie weiter und ignorierte seine Rufe.
„Anniara, was ist denn los? Hörst du mich nicht?“, plötzlich hielt er sie am Arm fest.
„Lass mich los“.
„Aber wieso denn?“, fragte Kyran verwirrt.
„Weil ich damit aufhöre“, meinte sie nun doch entschlossen.
„Mit was?“, fragte er weiter.
Anniara musterte ihn, mit einem komischen Blick:
„Mit uns“.
Er zog sie näher zu sich:
„Wieso?“.
Anniara befreite sich von seiner Hand:
„Kann dir doch egal sein“.
Schnell drehte sie sich von ihm weg und wollte gehen, doch auch wenn sie sich wehrte, zog Kyran sie in seine Arme und drückte sie gegen die Wand der kleinen Sackgasse, in der sie sich nun befanden.
„Du kannst nicht aufhören und du wirst auch nicht“.
Von einem Augenblick auf den nächsten waren sich ihre Gesichter viel zu nahe, Kyran hielt ihren Blick mit seinen grauen Augen gefangen, nur mehr wenige Millimeter trennten ihre Lippen von einander, Anniara konnte seinen angenehmen Atem auf ihrer Haut spüren.
„Woher willst du das wissen?“, flüsterte sie nun so leise, dass sie sich wunderte dass er es überhaupt gehört hatte.
„Weil ich es nicht dabei belassen werde“, meinte er überzeugt.
Plötzlich drückte er seinen Körper enger an ihren, sodass sie bezweifle dass auch nur ein Blatt Papier zwischen ihnen Platz gehabt hätte. Nun wusste sie auch, dass ihr Widerstand untergehen würde, denn er musste nur mehr seine Lippen auf ihre senken und sie würde aufgeben. Kaum hatte sie diesen Gedanken auch nur durchdacht, hatte er ihn wahr werden lassen.
Außer Atem drehte sie sich von ihm weg, schon wieder waren sie bei ihm im Bett gelandet. Ihr Blick versteifte sich auf seiner Decke, die sie schon so oft angestarrt hatte. Egal wie oft sie sie anstarren würde, wirklich interessant war sie nie, aber es war noch immer besser als ihn anzusehen. In diesem Moment hasste sie sich selbst, wieder hatte sie es geschehen lassen und wollte das alles auch noch. Anniara machte sich bereit, die Decke beiseite zu werfen, aufzustehen, sich anzuziehen und aus seiner Wohnung zu verschwinden, sie wollte sich nichts mehr einreden. Das war sicher nicht das letzte Mal gewesen, denn wie es aussah hatte sie zu wenig Willenskraft.
Doch bevor sie sich auch nur aus der Decke befreien konnte, nahm er sie in seine Arme.
„Wo willst du denn hin?“.
Skeptisch sah sie ihn an, es interessierte ihn doch nicht wirklich, er hatte was er wollte, so wie immer.
„Weg?“.
„Wieso denn?“, er runzelte fragend die Stirn.
„Als ob dich das interessieren würde“.
Sanft strich er ihr durch ihr Haar, als ob er sich wirklich damit beschäftigen würde, was sie wollte:
„Weißt du, du könntest auch ruhig mal bis zum Frühstück bleiben“.
Anniara musste lachen:
„Wozu? Damit wir uns am Frühstückstisch anschweigen können? Wir haben nichts gemein, das einzige was wir uns hin und wieder teilen ist das Bett, mehr nicht, was sollte ich dann hier?“.
Erneut strich er ihr durch ihr Haar, dann begann er plötzlich ihren Hals zu liebkosen, vorsichtig legte er sich wieder auf sie. Anniara musste keuchen, als er mit seinen rauen Händen über ihre Schulter, ihre Arme, ihre Taille und dann über ihre Hüfte strich, wo seine Hände dann verweilten. Seine Lippen wanderten langsam ihren Hals hinauf, dann küsste er ihre Wange, ihre Nase, ihren Mund, ihr Kinn, ihre andere Wange dann wieder ihren Mund, diesmal länger. Automatisch schloss sie ihre Arme um seinen Nacken, mit einem leichten Stoß drehten sie sich und nun lag sie auf ihm. Von wegen, ihn würde es interessieren, sie hätte gleich wissen müssen, dass er sie einfach noch einmal wollte.
Die ersten Sonnenstrahlen schienen durch die Wohnung und weckten Anniara nicht, denn sie war schon längst wach. Immer noch lag sie im Bett, neben ihrem Feind, der sie auch noch in den Arm genommen hatte, während er schlief. Seine schwarzen Locken, standen etwas wild ab, wahrscheinlich weil sie mit ihren Händen letzte Nacht so oft durch sie gefahren hatte. Sie musterte seine markanten Gesichtszüge. Seine flache Stirn, seine geschlossenen Augen, dessen graue Farbe sie sonst immer so gerne betrachtete, seine weder zu lange noch zu kurze Nase, seine vollen, geschwungenen Lippen und sein markantes Kinn. Ein klein wenig war seine Haut schon mit Bartstoppel überseht, er müsste sich heute wieder rasieren, aber irgendwie stand ihm dieser drei Tages Bart, obwohl ihm ja sowieso alles gut stehen musste, das Ziel seines Wesens war es ja anziehend zu wirken.
Schon seit einer ihr unendlich vorkommenden Zeit, spielte sich in ihrem Kopf ein Gedanken ab. Sie könnte ihn jetzt mit Leichtigkeit töten, einfach so, er würde sich nicht wehren, er würde es nicht einmal merken, selbst wenn, dann wäre es schon zu spät. Einfach und ohne Anstrengung könnte sie ihn jetzt einfach im Schlaf ermorden. Bei den anderen Engeln würde sie ein hohes Ansehen dafür erlangen, da normal alle Engel gleich mächtig waren und sie sich so ja nicht umbringen konnten. Außerdem wäre die Stadt von allem Bösen befreit, es gäbe zwar kein Gleichgewicht mehr zwischen Gut und Böse, aber nur Gut würde es doch auch tun oder?
Egal wie verlockend dieser Gedanken auch war, sie konnte ihn einfach nicht in die Tat umsetzen. Es wäre unfair, er hätte nicht einmal die Chance sich zu wehren, es wäre einfach falsch. Aber wenn er wissen würde, was sie ist, würde er diese Gelegenheit doch sicher schamlos ausnützen. Aber… Trotz all dem, konnte sie es einfach nicht und es lag bestimmt nicht daran, dass sie eigentlich das reine Gute verkörpern sollte sonder eher daran, dass sie vielleicht begann, Gefühle für ihn aufzubringen, aber das war unmöglich, denn so etwas war menschlich und passte nicht zu ihrer Rasse. Was also war bloß mit ihr los?!
Plötzlich schlug Kyran die Augen auf, somit war ihre Chance vertan, egal wie sie sich entschieden hätte.
Kyran
musste grinsen, als er die Augen aufmachte. Er hielt Anniara noch immer in seinen Armen, obwohl es schon morgen war. Das war es, was er schon seit einiger Zeit nur allzu sehr wollte, er wollte wissen, wie es sich anfühlte neben ihr aufzuwachen und er musste zugeben, es fühlte sich besser an als gedacht.
„Also hast du es dir doch anders überlegt?“, fragte er.
„Ich will dir beweisen dass ich Recht habe“.
„Worin?“.
„Das es wirklich nichts nützt, dass ich hier bleibe“, meinte sie trotzig.
„Oh… Naja wer weiß?“, Kyran verzog seine Lippen zu einem noch größeren Grinsen, als er daran dachte, was sie noch vor dem Frühstück anstellen könnten.
Lächelnd drehte er sich zu ihr und strich ihre rotbraunen Haare beiseite um ihren Hals liebkosen zu können, er wusste genau dass das ihre empfindlichste Stelle war. Er spürte wie sehr es ihr gefiel, als sie auch noch anfing leise seinen Namen zu stöhnen, konnte er sich nicht mehr halten.
Kyran stand aus dem Bett auf und zog sich an:
„Okay, dann mach ich uns mal Frühstück“.
Anniara sah sich in dem Zimmer um und nickte, sie war bis jetzt immer nur nachts hier gewesen und hatte eigentlich nichts von seiner Wohnung gesehen, abgesehen von seinem Schlafzimmer.
„Kann ich vielleicht duschen gehen?“, fragte sie still.
„Natürlich“.
Ebenfalls stand sie auf, sammelte ihre Sachen zusammen und verschwand Richtung Badezimmer. Kyran ging ihr lachend hinterher:
„Wir könnten auch zu zweit duschen gehen?“.
Als Antwort knallte sie ihm die Tür vor der Nase zu worauf er nur lachen konnte. Sie gefiel ihm einfach, selbst bei so einer Abfuhr sah sie sehr aufreizend aus. Noch immer mit einem großen Grinsen im Gesicht begab er sich in die Küche um das Frühstück zuzubereiten.
Später saßen beide am Tisch und aßen das Rührei das er gemacht hatte. Schweigen war ausgetreten, doch plötzlich fiel Kyran etwas ein, das er sie schon einmal fragen wollte.
„Hast du eigentlich einen Mann oder einen Freund?“.
Anniara hob ihren Blick und sah ihn mit ihren dunkelgrünen Augen verwundert an:
„Wieso fragst du?“.
Ja, wieso fragte er eigentlich? Es ging ihn doch nichts an oder?
„Nur so, wir treffen uns immer nur nachts und… Nie wirklich lange außerhalb meiner Wohnung, also könnte es doch sein oder?“.
Anniara hob ihre Kaffeetasse und nahm einen großen Schluck, antwortete aber nicht auf seine offene Frage. Kyran hatte das noch nie zuvor verspürt, aber plötzlich kam so etwas Ähnliches wie Eifersucht in seinem inneren auf. Sie waren nicht zusammen, es war eine sehr offene und oberflächliche Beziehung die sie hatten, aber trotzdem gefiel ihm die Vorstellung dass sie ein anderer Mann berührte nicht, ihm gefiel nicht einmal die Vorstellung dass andere Männer ihr nachsahen, was aber bei ihrem Aussehen sicher der Fall war.
„Denkst du wirklich, dass wenn ich einen Freund hätte, ich mich nachts raus schleichen würde? Und dann auch noch fremdgehen würde? Wenn ich einen Freund habe, wirst du mich nie wieder sehen“, antwortete sie plötzlich doch auf seine Frage.
„Hey, woher soll ich das wissen? Du wärst nicht die erste Frau die ihren Mann betrügt“.
Anniara blickte ihn schräg an:
„Ja und sicher auch nicht die erste die ihn mit dir betrügt… Wie viele Beziehungen hast du schon kaputt gemacht?“.
„Ich? Nein ich doch nicht! Die sind alle schon hin wenn die Frauen zu mir kommen“, er sah sie unschuldig an.
„Mhm, und… Wie viele “Beziehungen“ hast du momentan?“.
„Wieso willst du das wissen? Bist du eifersüchtig?“.
Anniara fing an zu lachen, was ihn irgendwie einen Stich versetzte:
„Natürlich bin ich das“, meinte sie sarkastisch, „ich wollte es nur wissen weil ich es unfair finde“.
„Was findest du unfair?“, fragte Kyran nun verwirrt.
„Wenn Männer mehrere Frauen auf einmal haben oder jede Nacht eine andere haben, dann ist das okay, dann sind sie einfach Aufreißer, aber Frauen… Die werden gleich als Schlampen oder sonst was beschimpft“.
„Naja, darüber musst du dir keine Sorgen machen, du bist gerade die einzige für mich“, er warf ihr einen vielsagenden Blick zu.
Anniara tat es nur mit einem ungläubigen Kopfschütteln ab.
Sie saßen noch eine lange Zeit am Tisch, frühstückten und schwiegen sich an. Für Kyran war es keine bedrückende Stille, sondern eine wohltuende, ruhige, angenehme Stille, ihr schien es nicht so zu gehen, denn plötzlich stand sie auf.
„Wo willst du hin?“.
„Äh… Weg? Danke für das Frühstück, aber ich glaube das ist nächstes Mal nicht nötig, ich glaube du wirst mich in nächster Zeit sowieso nicht finden“.
Anniara ging Richtung Tür, sofort sprang Kyran auf, drehte sie um und drückte sie mit seinem Körper an die Tür. Er strich mit seiner rauen Hand über ihre Wange.
„Geh noch nicht“, sagte er leise und senkte seinen Kopf zu ihren.
„Wieso?“, ihre Gesichter standen sich ganz nahe, nur noch wenige Millimeter befanden sich zwischen ihren Lippen.
Kyran überbrückte den Abstand und spürte nun endlich wieder ihre Lippen unter seinen. Ihre warmen, weichen, vollen Lippen, die er so mochte, seine Hände wanderten über ihre Taille an ihre Hüfte, wo sie dann liegen blieben. Er mochte es sie zu küssen, sie zu verführen, er liebte einfach ihre Reaktionen, wie sie jedes Mal leise stöhnte wenn er ihren Hals liebkoste, wie sie sich jedes Mal unter ihm Wand, wenn er ihr einen langen, leidenschaftlichen Kuss gab, wie sie mit ihren Händen durch seine Haare fuhr, manchmal leise seinen Namen sagte.
Er drückte sich fester gegen ihren Körper, ihre Hände waren schon in seinen Haaren vergraben, dann fuhren ihre kleinen, weichen Hände über seine Schulter, auf seine muskulöse Brust, dann versuchte sie ihn wegzudrücken, aber Kyran wollte nicht von ihr ablassen, aber als sie aufhörte seine Küsse zu erwidern, gab er auf.
„Du hattest mich jetzt öfter als sonst, es kann nicht sein das du noch immer nicht zufrieden bist“, meinte sie.
Kyran blieb still, er konnte nicht laut sagen, was er gerade dachte, nämlich dass er von ihr nie genug bekommen würde. Sie war einfach anders als alle anderen Frauen, sie war…
Kyran schüttelte seinen Kopf, solche Gedanken durfte er eigentlich nicht haben. Anniara öffnete dir Tür:
„Ich geh jetzt“.
Und schon war sie durch seine Tür verschwunden.
Kyran ging seufzend in sein Wohnzimmer, er verstand das ganze einfach nicht mehr, er fand zu viel Gefallen an ihr. Solche Gefühle wie er sie für sie hatte, kannte seine Rasse doch normal nicht einmal. Er wollte sie ganz, nicht nur als Bettbekanntschaft sondern wirklich ganz, er wollte dass sie sich besser kennen lernten, dass sie mit ihm über ihre Probleme und Wünsche reden konnte. Kyran wollte das sie zusammen lebten, dass sie ihn jeden Tag zu Hause erwartet und ihn dann fragt wie sein Tag war. Das sie manchmal ausgingen und auch einfach so Zeit miteinander verbrachten.
Kyran warf den Kopf in den Nacken und stöhnte genervt, das war einfach unmöglich, irgendwas stimmte nicht mit ihm. Sofort musste er aufhören so über sie zu denken, sie war ein mickriger Mensch, sie war es nicht wert.
Er öffnete seine Terrassentür, breitete seine schwarzen Flügel aus und flog davon, vielleicht würde ihn das ablenken, wenn er diesen weißen Engel finden würde und sie jetzt wirklich endgültig loswerden würde.
Anniara
ließ sich seufzend auf ihrer Lieblingsbank nieder, auf der sie die ganze Stadt sah. Sie verstand das Ganze mit Kyran nicht mehr.
Wieso wollte er sie nicht gehen lassen?
Wieso ging er mit ihr auf einmal so um, als ob ihn ihr wohlergehen interessieren würde?
Und wieso verdammt nochmal küsste er sie so, als ob Gefühle dahinter stecken würden?
Es verwirrte sie einfach alles nur mehr. Sie musste sich eingestehen, dass sie Gefühle für ihn entwickelt hatte, die für einen Engel ihrer Art unnormal sind, die menschlich sind. Denn langsam glaubte sie, dass sie in ihn verliebt war.
Anniara hatte es so lange wie möglich verdrängt auch nur an so etwa zu denken, aber sie musste es sich endlich eingestehen. Sie war ihm verfallen, ihren Erzfeind den sie eigentlich umbringen sollte, der sie umbringen wollte, nur wusste er das nicht einmal. Wie er wohl reagieren wenn er herausfinden würde, dass sie sein Feind war?
Wieso fragte sie eigentlich, seine Reaktion war doch klar:
Er würde es ausnützen und sie noch mehr erlegen wollen.
Anniara sah fluchend in den Himmel, sie konnte ihn nicht mehr bekämpfen, sie konnte es einfach nicht, obwohl es ihre Natur sein sollte. Sie musste ihn bekämpfen konnte aber einfach nicht, sie wollte ihn nicht verletzen, obwohl sie wusste das sie ihm nichts bedeutete. Genau das war ja das Schlimmste, sie konnte nicht mehr kämpfen, aber ihm wäre es egal wenn er es herausfinden würde. Wieso mochte sie ihn eigentlich?
Wieso glaubte sie ihren Erzfeind zu lieben? Nur wegen ein paar Gesten, innigen Berührungen und gefühlvollen Nächten die sie erlebt hatten? Nein, da war einfach mehr dran, aber sie wusste einfach nicht was. Wieso hatte sie solche Gefühle?! Sie war verdammt nochmal kein Mensch also woher kam das?
Sie verfluchte den Tag an dem sie darauf gestoßen war, dass sie Gefühle für ihn hatte. Als sie herausfand wer er war, denn einmal als er geschlafen hatte, hatte er sich kurz nicht unter Kontrolle und breitete im Schlaf seine schwarzen Flügel aus. In dieser Nacht war Anniara verschwunden wie immer, auch wenn sie kurz darüber nachgedacht hatte, ihn an Ort und Stelle zu erlegen oder ihn zu Wecken und ihm zu sagen wer sie war. Als sie ihn dann das nächste Mal begegnet war, als Schatten, bemerkte sie auf einmal, dass sie nicht mehr den Wunsch verspürte ihn umbringen zu wollen.
Nein, plötzlich dachte sie, sie würde es bereuen wenn sie ihm weh tat. Und seit diesem Moment schon war sie unglaublich verwirrt und sauer, sauer auf sich selbst weil sie einfach nicht wusste wie das möglich war. Auch wenn sie es gut verdrängte, kam es jetzt doch wieder hoch.
Und dass nur weil er sie, als sie gegangen ist, so geküsst hatte, dass sie glaubte er hätte Gefühle für sie.
„Schwachsinn“, zischte Anniara sich selbst an.
Kyran
flog die Stadt ab und hielt Ausschau.
Zwei Wochen waren nun vergangen und Kyran hatte Anniara nicht mehr wiedergesehen.
Seine einzige Ablenkung von ihr war, diesen weißen Engel zu finden, aber der ließ sich auch nicht blicken, als ob sich alles gegen ihn verschworen hätte, Kyran bezweifelte stark dass der Engel die Stadt verlassen hatte, er spürte seine Anwesenheit.
Die Sonne ging langsam unter und er zog eine weitere Runde, Anniara würde er nur nach dem Sonnenuntergang finden. Den Engel würde er heute wohl überhaupt nicht mehr finden. Trotzdem flog er zu dem Platz, an dem er ihn so oft gesehen hatte, zu einer abgelegenen Bank am Rande der Stadt. Wirklich glaubte er nicht daran dass er ihn dort finden würde aber dennoch er schaute jeden Tag vorbei, weil er wusste dass er sich oft dort auf befand.
Kyran wollte schon zurück zur Stadt fliegen, als er etwas weißes entdeckte. Er glaubte seinen Augen nicht, also hatte dieser Engel seine Stadt doch nicht verlassen.
Kyran landete genau vor dem weißen Engel der noch immer auf dieser Bank saß:
„Na sieh mal einer an, du bist ja noch immer hier. Du weißt, das ich ab heute kein Erbarmen mehr habe?“.
Der weiße Engel antwortete nichts auf seine Antwort, es schien als ob er ihn nicht einmal bemerken würde.
„Antworte wenn ich schon mit dir rede! Heute kämpfen wir bis zum Ende, so war es doch abgemacht falls wir uns wieder sehen“.
Der weiße Engel stand auf, regte sich noch immer nicht auf seine Aussagen du kehrte ihm den Rücken zu.
„Wo willst du denn hin? Ich sagte wir beenden es jetzt! Sieh mich gefälligst an wenn ich mit dir rede!“, Kyran platzte vor Wut.
Den ganzen der letzen zwei Wochen würde er jetzt an diesem Engel auslassen.
Der Engel drehte sich um und musterte Kyran von oben bis unten, obwohl er wahrscheinlich nur einen schwarzen Schatten sah, sah er dennoch nachdenklich aus.
„Ich werde nicht mehr gegen dich kämpfen“, mit diesem Worten drehte sich Kyrans Feind um und wollte gehen.
„NEIN! Du wirst kämpfen! Mit mir und zwar jetzt sofort!“, brüllte Kyran ihm hinterher, doch sein Feind wirkte wieder so als würde er ihn nicht verstehen.
Kyran zog seinen Dolch hervor, den wandelte er mit seiner Kraft zu einem Sperr um und warf ihn seinem Feind hinterher. Der Sperr durchbohrte den Rücken des weißen Engels und spießte ihn regelrecht auf.
Von einem Moment auf den anderen, lag Kyrans Feind das erste Mal, seit sie sich bekämpften verletzt auf den Boden. Der Engel stöhnte schmerzvoll auf und nahm langsam seine Menschengestallt an, das machten Engel nur wenn sie wirklich schwer verletzt waren.
Die ganze Zeit hatte Kyran gedacht er würde gegen einen Mann kämpfen, er hatte nie etwas anderes in Erwägung gezogen, aber jetzt wurde er eines besseren belehrt. Von weitem sah er, eine dünne, zierliche Frau auf dem Boden liegen, dessen Bluse sich schon mit ihrem roten Blut tränkte. Sie hatte braun rote Locken, genau wie die von…
„Anniara? Nein. Das kann nicht sein!“, Kyran lief sofort auf sie zu, sie lag auf dem Bauch und rührte sich nicht mehr.
„Anniara?! Bist du es wirklich?“, Kyran wusste das er keine Antwort mehr erhalten würde, trotzdem fragte er sie immer wieder.
Langsam und vorsichtig drehte er sie auf den Rücken, ihre wunderbaren Augen waren geschlossen.
Sanft strich er ihr die Haare aus dem Gesicht:
„Wieso unbedingt du?“, er erwartete weiterhin keine Antworten auf seine Frage.
Wenn jemand herausfinden würde, dass er seinem Feind das Leben gerettet hat, würden sie ihn entehren, in seiner Macht berauben und ihn einsperren, dennoch handelte er nun ohne an die Konsequenzen zu denken oder überhaupt zu denken.
Vorsichtig, entfernte er den Sperr, der sich noch in ihrem Körper befand, er versuchte es so ruhig wie möglich zu machen, damit er keinen weiteren Schaden anrichtete. Dann legte er seine Hände auf ihre Wunde und die Wunde begann sich langsam zu schließen. Auch dunkle Engel konnten heilen, aber bei ihnen dauerte es länger, weil sie es so selten anwendeten.
Als ihre Wunde geschlossen war, kam sie noch immer nicht zu Bewusstsein, sie musste sich sicher ausruhen. Er dachte nicht daran, dass sie sein Feind war, er sah sie nun wieder als sei sie ein mickriger Mensch, als sei sie sein Mensch, der einzige Mensch dem er je seine Aufmerksamkeit geschenkt hat, obwohl er es besser wissen müsste.
Aber er war etwas geschockt und es wollte nicht in seinen Kopf rein, dass sie sein Feind war.
Kyran befreite sich von diesen Gedanken und hob sie hoch, mit ihr in seinen Armen flog er dann zurück in seine Wohnung.
In seiner Wohnung, wollte er sie in sein Bett legen damit sie sich ausruhen konnte, da bemerkte er aber das ihre Bluse und ihre Hose immer noch voller Blut war. Kurz überlegte er sich, ob es sie stören würde, wenn sie wüsste das er sie umgezogen hat, aber er glaubte das es kein Problem sein wird, da er ja sowieso schon alles von ihr gesehen hatte. Vorsichtig legte er sie auf sein Bett, zog ihr ihre Bluse und ihre Hose aus und zog ihr dann ein langes Hemd von ihm an.
Danach deckte er sie zu sorgte dafür das sie gut lag.
Kyran war unruhig, er wusste nicht was er machen sollte, nachdem was er heute heraus gefunden hatte. Kurz spielte er mit dem Gedanken, sie im Schlaf zu töten, es wäre doch nett von ihm oder? So würde sie keine Schmerzen erleiden. Aber es wäre auch unfair, wenn er schon einen Engel besiegen wollte, dann richtig.
Er nahm sich etwas zu trinken und setzte sich auf das Sofa gegenüber von seinem Bett, von dem er Anniara beobachtete. Er beobachtete sie stundenlang und dachte über alles erneut nach.
Ob sie wusste, wer er war?
Ob sie deshalb nicht mit ihm kämpfen wollte?
Diese und tausend andere Gedanken gingen ihm durch den Kopf und wollten ihn nicht in Ruhe lassen.
Nach stundenlangem überlegen, zog er sich um und machte sich bettfertig. Mit einer schmeidigen Bewegung ließ er sich im Bett neben ihr unter der Decke nieder. Er legte einen Arm um sie und schmiegte sich an ihren zarten Körper, Anniara murmelte kurz etwas, lächelte dann aber ihm Schlaf.
Kurz küsste er ihren Nacken, das war wohl das letze Mal das sie so nebeneinander liegen konnten, sie würden bis zum Tod kämpfen müssen, denn so ging das nicht weiter. Er wusste genau wer gewinnen wird, Kyran machte sich Gedanken darum, dass er in manchen Nächten ihre Gesellschaft doch irgendwie vermissen wird.
Jetzt wollte er einfach vergessen wer sie war und schlafen, morgen würde er sich sowieso darum kümmern.
Anniara
machte ihre Augen langsam auf, ihre Umgebung kam ihr bekannt vor. Langsam sah sie sich um und bemerkte nun wo sie war, in Kyrans Schlafzimmer.
Starke Kopfschmerzen machten sich bei ihr breit, sie hielt sich den Kopf und fragte sich was gestern passiert war, langsam kamen ihr alle Bilder wieder hoch, sie hatte nicht gegen Kyran kämpfen wollen und ist dann gegangen, als sie plötzlich große Schmerzen wahrgenommen hatte.
Jetzt fiel es ihr wieder ein!
Kyran hatte sie mit einem Sperr durchbohrt! Aber was machte sie dann hier und wieso lebte sie noch?
Schnell fuhr sie mit ihren Händen zu ihrem Bauch, da sah sie keine Anzeichen mehr für ihre schwere Verletzung.
Wie war das möglich? Und wo war Kyran eigentlich?
Kaum hatte sie sich das gefragt kam er auch schon in das Zimmer, mit weit aufgemachten Augen sah sie ihn an.
„D-Du weist jetzt, wer ich bin, nicht wahr?“, fragte sie leise.
„Und du weist wohl, wer ich bin“, meinte er nur.
Anniara nickte:
„Schon länger. Wieso hast du mich geheilt?“.
„Wenn du es schon länger weist, wieso hast du dann das Ganze nicht ein für alle Mal beendet?!“, nun klang er wütend.
„Ich habe es probiert, aber du hast mich ja nicht ziehen lassen!“, Anniara setze sich nun endlich auf.
„Das meinte ich nicht, wieso hast du uns den großen Kampf nicht endlich austragen lassen?“.
„Ich will nicht gegen dich kämpfen“, sie sah ihm nun tief in seine grauen Augen die ihr nur Spot vermittelten, „du hättest es doch beenden können, aber du hast mich stattdessen geheilt, als du gesehen hast wer ich bin, wieso?“.
Kyran stieß verächtlich Luft aus:
„Wieso wohl? Ich sollte zwar das Böse verkörpern, aber wenn ich dich nicht richtig besiegen kann, macht es mir keinen Spaß“.
„Du willst mich besiegen? Mich erlegen und dann damit prallen? Na dann los! Ich lieg hier in deinem Bett, bin immer noch geschwächt und würde mich erst gar nicht dagegen wehren und weist du warum? Ich bin das ewige kämpfen leid“.
„Ich doch auch, genau deswegen sollten wir es endlich zu Ende bringen, aber mit fairen Mitteln, verstehst du? Wenn wir beide vollkommen bereit sind“.
Anniara dachte über seine Worte nach, die letzen Wochen ist sie immer mehr in sich gegangen um sich dann einfach einzugestehen, dass sie ihm wirklich nicht weh tun wollte, dass sie ihn bei sich haben wollte und das immer. Sich irgendwo mit ihm niederlassen, ihn besser kennen lernen, mit ihm reden konnte. Das alles, als wären sie normale Menschen.
Sie würde ihn darüber überzeugen, denn egal was er sagt, er hat sie gerettet und er hat sich bemüht, als er noch nicht gewusst hatte wer sie ist, sie bei sich in seiner Wohnung zu behalten und nicht immer nur für das eine.
Immer mehr Bilder tauchten vor ihrem geistigen Auge auf, die darauf hinweisen könnten, dass er auch Gefühle für sie hat. Es waren zwar nicht so viele, aber immerhin welche. Sie versuchte das alles zusammen zu kratzen und sich ein wenig Hoffnung zu machen, das sie für ihn mehr war, auch wenn sie es früher nie geglaubt hätte war es jetzt Zeit. Wenn sie wirklich dass alles wollte, nach dem sie sich die letzen Wochen so lange gesehnt hatte, dann müsste sie jetzt um ihn kämpfen.
„Nein Kyran. Ich habe dir gesagt, dass ich nicht gegen dich kämpfen will. Ich kann dich einfach nicht töten, wenn das meinen Tod bedeutet, dann ist das halt so, ich werde mich nicht wehren, aber ich werde dir ganz bestimmt kein Leid zufügen“.
„Was für ein Spiel spielst du mit mir? Du willst doch nur erreichen, dass ich unvorsichtig werde, nicht wahr? Und Dann willst du zuschlagen“.
Langsam stand Anniara aus dem Bett auf, ihr war noch etwas schwindlig aber dass ignorierte sie.
Vorsichtig näherte sie sich ihm, streckte ihre Hand nach ihm aus und strich ihm dann sanft über seine Wange:
„Wieso sollte ich? Wir beide wissen, dass wir gleich stark sind, dann ist das doch unnötig oder?“.
Kyran schloss die Augen, atmete tief durch und schob dann ihre Hand weg:
„Was willst du dann?“.
Anniara hatte prompt ein amüsiertes Lächeln auf ihrem Gesicht.
Sie trat ihm zwei Schritte näher, nur mehr wenige Millimeter befanden sich nun zwischen ihnen:
„Was ich will?“, hauchte sie.
„Was ich will bist du“, raunte sie in sein Ohr.
Verwirrt blickte er nun auf sie herab, als würde er fragen:
Wie bitte?
Anniara trat nun wieder einen Schritt zurück und sah ihn ernst an:
„Also Kyran, ich mach es dir jetzt ganz leicht“.
„Wie meinst du das?“, es schien so, als würde er es wirklich nicht verstehen.
Sie streckte ihre Hand erneut aus und strich ihm wieder über sein Gesicht, dieses Mal beließ sie ihre Hand aber gleich dort, es schien ihn ja nicht zu stören.
„Das hier, zwischen uns... Es ist für dich vielleicht unbedeutend, für mich war es das anfangs auch, aber...", sie riss sich zusammen, sie würde ihm jetzt alles sagen und erklären, egal wie sehr sie sich auch danach sehnte einen Rückzug zu starten.
Kyran zog seine Augenbrauen in die Höhe:
„Aber?“.
Anniara atmete tief durch und wollte ihre Hand von ihm nehmen, er hielt diese aber fest und legte sie wieder zurück an seine Wange.
„Du wirst mich jetzt dafür auslachen was ich dir sage, aber das ist mir egal. Unsere Rassen fangen doch nur etwas miteinander an, wenn sie sich fortpflanzen wollen nicht? Bei uns ist es aber nicht so gewesen, das Ganze hat nur als eine oberflächliche Affäre angefangen, aber bei mir... Als ich herausfand, wer du bist, hatte ich keine Lust mehr mit dir zu kämpfen, ich konnte einfach nicht“.
Nun trat Kyran doch einen Schritt zurück und hielt seinen Kopf leicht schief, so blickte er sie an. Es war offensichtlich, dass er nicht verstand worauf sie hinauswollte.
„Was ich damit versuche zu erklären ist, ich habe keine Ahnung, wie es möglich ist, denn sowas gibt es normaler weise nicht, aber...“.
Nun trat sie erneut an ihn ran, schlang langsam ihre Arme um seinen Nacken und näherte sich langsam seinem Gesicht:
„Irgendwann, da habe ich angefangen dich zu lieben“.
Sie flüsterte diese Worte so leise, dass sie zuerst dachte, er hätte es nicht gehört, da er nicht reagierte.
Aber plötzlich schüttelte er den Kopf:
„Die Verletzung hat dir wohl doch mehr zugesetzt als ich dachte“.
„Nein, hat sie nicht. Es ist schon länger so und teils hasse ich mich dafür, dass es so ist und ich hasse mich auch dafür, es dir sagen zu müssen, aber ich kann einfach nicht mehr anders“.
Kyran sah ziemlich wütend aus:
„Du lügst! Das kann unmöglich stimmen! Du willst nur dass ich unvorsichtig werde!“.
Anniara schüttelte nur den Kopf:
„Ich hätte dich unzählige Male töten können. Immer bist du schlafend neben mir gelegen, ich habe auch manchmal mit dem Gedanken gespielt, aber ich konnte und kann es einfach nicht“.
Er musterte sie immer noch ernst:
„Ich muss schon sagen, ich hätte nicht gedacht das ihr reinen Engel auch so gut lügen könnt“.
„Ich sage die Wahrheit“, versicherte sie.
„Achja? Jede Nacht hast du dich aus meiner Wohnung geschlichen, ohne dich zu verabschieden, nie hast du eine Nachricht oder sonst was hinterlassen. Und als du ein Mal zum Frühstück geblieben bist, hast du mich angeschwiegen und dann nur gemeint, dass es nichts bring, so verhalten sich Verliebte nun wirklich nicht“.
Gespannt beobachtete Anniara seine Reaktion weiter:
„Ich wusste nicht, dass dir das alles was ausmacht“.
„Hat es nicht, aber damit will ich sagen das du lügst“.
„Ich wollte dir mit all dem einfach nur Umstände ersparen, hätte ich dir gesagt, das ich langsam Gefühle für dich hätte und wäre ich immer länger geblieben, hättest du mich irgendwann als eine von vielen Frauen abgestempelt, die dir verfallen sind und hättest mich dann rausgeschmissen. Oder etwa nicht? Ich wäre dir doch zu langweilig geworden“.
„Ich glaube dir trotzdem nicht, denn das alles erzählst du mir erst jetzt. Jetzt wo wir beide alles wissen und uns jetzt eigentlich bekämpfen sollten“.
„Was glaubst du, warum ich nicht kämpfen will?“, langsam nervte es sie, das es einfach nicht in seinen sturen, dicken Schädel wollte.
„Naja, du bist geschwächt, versuchst deswegen mich zu verwirren“, spekulierte er.
Anniara stieß einen heftigen Fluch aus, schubste ihn dann an die Wand, warf sich ihm um den Hals und küsste ihn.
Obwohl er ihr anscheinend nicht glaubte, reagierte er ziemlich schnell. Sofort erwiderte er den Kuss, schlang seine Arme um seine um ihre Hüften und wechselte die Positionen, wodurch er nun sie an die Wand drückte.
Der Kuss war anders als die anderen, nicht so gierig und verlangend, sondern viel gefühlvoller. Er war liebevoll, zärtlich, sanft und doch leidenschaftlich, Anniara hatte das Gefühl in diesem Kuss einfach zu versinken, mal wieder wurde ihr bewusst wie stark sie sich zu ihm hingezogen fühlte, egal ob Feind oder nicht. Es fühlte sich so unbeschreiblich schön an, einfach gut und richtig. Wie konnte es dann falsch sein?
Nur leider dauerte er viel zu kurz an, außer Atem sah sie Kyran tief in seine grauen Augen:
„Glaubst du wirklich das da kein Gefühl dahinter steckt?“.
Diese Frage ließ er ohne Antwort und küsste sie einfach erneut, aber diesmal schon etwas wilder, er hob sie hoch und steuerte mit ihr auf seinen Armen auf sein Bett zu, auf das er sie förmlich schmiss, aber bevor er sich zu ihr legen konnte, hielt sie ihn zurück:
„Ich werde nicht mit dir schlafen“.
Nun blickte er sie verwundert an:
„Wieso?“.
„Glaubst du mir, dass ich dich liebe? Und willst du mit mir zusammen sein? Mit mir eine ernste Beziehung führen? Ich werde nicht mehr länger eine von deinen Freundinnen sein, die dir nur im Schlafzimmer gut genug sind“.
„Diese Anforderungen hattest du bis jetzt doch nie“, meinte er.
„Verdammt nochmal! Wie soll ich es sagen dass du mich auch verstehst? Soll ich chinesisch mit dir sprechen? Ich. Liebe. Dich. Und ich will mehr als nur bedeutungslose Nächte, die reichen mir nicht mehr, ich will dich. Und zwar ganz. Nur für mich, ich will dich an meiner Seite wissen, will wissen das du für mich da bist und das auch außerhalb des Bettes. Verstehst du das?“, fragte sie verzweifelt.
„Ja, ich versteh schon. Aber du weist genau, dass ich nicht im Stande bin zu lieben! Was soll ich tun? Soll ich lügen? Du bist außerdem mein Feind“.
Nun stand sie wieder auf:
„Ach darum geht's dir ja? Okay, wie ich schon gesagt habe“.
Anniara lief schnell in die Küche, Kyran folgte ihr natürlich sofort, sie holte ein großes Messer aus einer Schublade hervor und drückte es ihm in die Hand:
„Hier! Töte mich! Erlege mich endlich! Dann hat das alles ein Ende“.
Es war ihr egal, dass sie sterben würde und ihre Aufseher würden sowieso wieder einen neuen Engel schicken, der das Gute vertritt und deshalb machte sie sich auch um die Stadt keine Sorgen.
„Nein Anniara, nicht so“.
„Wieso denn nicht? Empfindest du doch etwas für mich?“.
„Darum geht es nicht, aber der Sieg wäre so kein Erfolg“.
„Nur darum geht es dir. Kyran, wie oft hast du mich in den Arm genommen und mich in den Schlaf gewogen? Wie oft hast du mich gebeten zu bleiben? Das alles soll dir nichts bedeuten? Ich kann das nicht glauben“, immer noch sah sie ihm in seine wunderbaren Augen, sie glaubte fest daran dass irgendwas tief in ihm doch einfach nur ein kleines bisschen Zuneigung zu ihr verspüren musste.
„Ich kann nicht lieben, und das solltest du eigentlich auch nicht können“, sagte er trocken.
„Ich tue es aber Kyran. Und wenn du Hass, Eifersucht, Angst und sonst noch empfinden kannst, dann musst du einfach auch lieben können“.
Nun wirkte er einfach nur in Gedanken vertieft.
Anniara ging wieder auf ihn zu umarmte ihn und küsste ihn, so wie vorhin nur noch kürzer:
„Denk einfach über meine Worte nach, wenn du es dir anders überlegst, dann suche mich, du wirst mich finden. Wenn nicht, dann kannst du mich noch immer erlegen wenn du willst, denn ich werde meine Meinung ganz bestimmt nicht ändern“.
Sie drückte ihm erneut einen Kuss auf:
„Und danke das du mich geheilt hast. Ich glaube ich sollte jetzt gehen“.
Damit ließ sie ihn los, ging zu seinem Balkon und flog das erste Mal seit sie in dieser Wohnung ist, vom Balkon aus nach Hause.
Ein heißes Schaumbad und eine Flasche Wein später, lag Anniara eingekuschelt in ihrem warmen Bett. Sie hatte noch immer das schwarze Hemd von Kyran an, da sie sich darin einfach wohl fühlte, es trug seinen anziehenden und durchaus angenehmen Duft.
Ihr Leben lag nun in seiner Hand, dass war ihr bewusst, denn sie würde keinen Rückzieher machen. Entweder er machte sie glücklich oder er würde sie umbringen, wie es ausgehen würde, das konnte ab jetzt nur mehr er wissen. Sie würde beide akzeptieren, denn ihr war beides Recht.
Sie hatte ihr Leben satt, seit über 250 Jahren, lebte sie nun alleine auf der Erde und hat in diesem langen Leben nie etwas anderes gemacht, als gegen ihre Feinde zu kämpfen und sich verdeckt zu halten. Nie hatte sie Freunde, Bekannte oder Familie. Klar war sie bei ihrem Vater aufgewachsen, aber das war schon so lange her.
Das alles hatte sie nur nie gehabt, weil er für Personen in ihrem Volk unnormal gewesen wäre, aber sie hatte dieses Leben einfach nur satt. Nach über zweihundert Jahren konnte sie wohl auch endlich sagen, dass sie es satt hatte, das Recht sollte sie immer noch haben und wenn sich nichts mehr ändern sollte, wollte sie auch nicht mehr leben.
Anniara hatte kein Problem damit, wenn ihr Leben nun ein Ende haben würde, denn immerhin lebte sie schon länger und sie fand einfach, dass es so nicht weiter gehen konnte. Ihre Zeit war nun abgelaufen, fand sie, wenn Kyran sich also so entscheiden würde, hätte sie keinen Einwand dagegen.
Kyran
lag ausgebreitet auf seiner Couch und machte das, wozu Anniara ihn geraten hatte, er dachte über ihre Worte nach. Er war einfach verwirrt und wütend, das alles war einfach zu kompliziert für ihn, wie konnte sie lieben und was hieß das?
Nie hatte er über seine Gefühle nachgedacht denn in seinem Volk war das einfach ein Zeichen von Schwäche, in ihrem Volk doch auch, wieso sagte sie ihm dann ganz offen das sie Gefühle hatte?
Und dann auch noch das sie ihn lieben würde?
Das alles was sie erzählte stimmte schon irgendwie, er hatte sie oft geblieben zu bleiben, denn er hatte sie gerne in seiner Nähe. Er mochte es, wenn sie da war, wenn sie neben ihm lag und er sie in den Arm nehmen konnte. Immer wenn er ohne sie neben sich aufgewacht war, war er etwas enttäuscht und hatte automatisch schlechte Laune. Ihm gefiel der Gedanke nicht, dass sie jemand anderen hatte und ihm interessierten seit ihr die anderen Frauen einfach nicht mehr. Ihre Nähe mochte er wirklich sehr, genau so mochte er es auch, ihren Duft und ihre Wärme zu spüren oder sie zu küssen und ihr näher zu kommen.
Und nachts, wenn er sie suchte und sie dann endlich fand, beobachtete er sie immer eine Zeit lang, bevor er zu ihr ging, nicht weil er nicht zu ihr konnte, sondern weil er sie gerne beobachtete. Anniara war einfach so schön, sie wirkte zärtlich und verletzlich, hatte aber dennoch Temperament. Selbst wenn sie wütend war, blühte sie in ihrer Wut auf und sah auch dann anbetungswürdig aus.
Das alles stimmte schon, aber hieß das, das er sie liebte?
Konnte es sein, das er sie liebte ohne zu wissen was Liebe überhaupt ist?
Die Tage vergingen und Kyran hockte nur mehr in seiner Wohnung und dachte über seine Gefühle nach, wenn ihn irgendwer so gefunden hätte, hätten sie ihn ausgelacht und höchstwahrscheinlich dafür verprügelt, er musst ja noch selbst manchmal darüber lachen. Das alles war doch absurd.
Draußen war es nun wieder dunkel geworden, er beschloss sich nun wieder aus einer Wohnung raus zu wagen und nach ihr zu suchen, auch wenn er nicht wusste was er nun machen sollte, er wollte sie sehen.
Nach zwei drei Runden hatte er sie auch schon gefunden, wie sie wie jede Nacht durch die Stadt schlich. Noch nie hatte er sie gefragt warum sie eigentlich jede Nacht rausging, er fand es komisch dass er noch nie dazu gekommen war.
Still landete er auf seinen Beine und beobachtete sie aus dem Schatten heraus. Sie sah so wundervoll aus wie immer, mit dem einzigen Unterschied dass ihre Haare diesmal glatt und nicht lockig waren, aber das sah bei ihr auch einfach nur wunderschön aus.
Sie hatte einen langen schwarzen Mantel an, schien sich irgendwohin zu beeilen, plötzlich verschwand sie in einer kleinen Gasse. So leise wie möglich, ging er ihr hinterher und schaute nach ihr. Sie war nicht alleine, in dieser Gasse war ein Mann, der ihr ziemlich ähnlich aussehen zu schien. Auch er hatte einen langen Mantel an. Er war ziemlich groß, gut gebaut, hatte braune kurze Haare und grüne Augen, die gleichen wie Anniara.
Wer war dieser Mann?
Sie hatte doch nicht etwa doch einen Mann oder einen Freund? Hatte sie das alles wirklich nur vorgespielt, dass konnte er nicht glauben. Immerhin hatte sie ihm ein Messer in die Hand gedrückt und ihm gesagt er solle sie töten, sowas spielt man einem nicht einfach so vor.
Die zwei Umarmten sich, nachdem sie für einen längere Zeit geredet hatten, dann verwandelte sich der Mann in einen weißen Engel und flog davon, Anniara hingegen machte sich wieder auf dem Weg aus der Gasse.
Als Anniara an ihm vorbeiging ohne ihn zu bemerken, stürmte er auf sie zu und schlang seine Arme von hinten um ihre Taille. Er wusste genau, dass sie sich nicht umdrehen musste um zu wissen, wer er war. Vorsichtig strich er mit einer Hand ihre Haare beiseite und hauchte ihr einen Kuss auf ihren Hals, dass sie davon Gänsehaut bekam, bemerkte er, deshalb machte er weiter.
Seine Küsse wanderten ihren Hals hinab und wanderten dann an die Stelle hinter ihrem Ohr, dort blieb er dann mit seinen Lippen auch, mit seinen Händen streichelte er sie vorsichtig, er bemerkte genau wie Anniara nun anfing hektischer zu atmen.
„Nur weil ich dich nicht liebe, heißt das nicht das du dich mit anderen treffen darfst. Du gehörst immer noch mir", flüsterte er ihr langsam zu.
Er hörte ihr bezauberndes Lachen, auch wenn nur leise und ganz kurz.
Sie drehte sich in seiner Umarmung um und blickte ihn mit ihren dunkelgrünen Augen direkt entgegen:
„Es mag sein das ich dir gehöre, ich habe immerhin mein Herz und mein Leben in deine Hände gelegt, aber solange du nicht mit mir zusammen sein willst, solange kann ich tun und lassen was ich will".
Kyran musste grinsen, es war wirklich egal ob er nun über ihr Leben entscheiden durfte, einen Teil von ihrer Freiheit würde sie wirklich nie ablegen.
„Aber wieso sagst du das? Bist du eifersüchtig?", fragte sie neugierig.
„Das ich nicht lieben kann, heißt nicht dass ich keine Eifersucht verspüren kann. Ich mag es nicht wenn ich dich mit anderen Männern sehe".
„Wieso magst du das nicht?".
„Ich weiß es nicht".
Anniara sah ihn kopfschüttelnd an und befreite sich aus seinen Armen.
Sie seufzte tief:
„Na schön, das vorhin, das war mein Vater, falls dich das beruhigt. Ich nehme an du hast dich also gegen uns entschieden?".
Kyran blickte sie forschend an, sie versuchte ruhig zu wirken, aber er sah unter ihre Fassade und bemerkte verwundert dass sie verletzt war.
„Anniara, verdammt nochmal du weißt genau, dass ich einfach nicht lieben kann! Ich kann nicht solche Gefühle für jemanden haben, das ist unmöglich".
„Weißt du Kyran, ich glaube du willst es dir selbst einfach nicht eingestehen. Du hast Angst".
Nun wurde er wütend:
„Ich habe keine Angst, ich habe vor nichts Angst und das solltest du wissen!".
„Ach ja? Für mich sieht es aber so aus, als ob du Angst vor dir selbst hast. Es ist neu und ungewöhnlich, es würde dich von den anderen deiner Art ausgrenzen nur deshalb kannst du nicht einsehen dass du mich-".
„Sei Still! Du willst es nicht wahrhaben, dass ich dich nicht liebe, aber es ist so! Ich habe gar keine Gefühle für dich! Hast du das verstanden?", wie konnte sie es wagen so weit zu gehen.
Dass er nur so wütend auf sie war, weil sie die Wahrheit aussprach würde er nie zugeben. Nun wirkte ihr Blick gebrochen:
„Na schön, ich werde sicher nicht Jahrzehnte lang herumsitzen bis du es endlich verstehst. Wenn du glaubst es ist so, na schön, dann soll es so sein. Und jetzt bring es zu Ende! Na los töte mich!", sie streckte die Arme aus, als würde sie wirklich nur darauf warten.
Er konnte nicht anders reagieren als sie verwundert anzublicken, sie wollte wirklich nicht mehr weiterleben, nur weil er sie nicht liebte? Sie war doch noch nie so schwach gewesen, seit wann machte sie sowas? Aber er konnte sie doch nicht töten, auch wenn er sich nicht sicher war, was er für sie fühlte, sie umbringen konnte er einfach nicht.
„Anniara ich werde dich nicht umbringen, vergiss das".
„Wieso denn nicht? Und komm mir nicht wieder mit das wäre kein richtiger Sieg
", äffte sie ihn nach.
Nun sah sie ihm wieder tief in die Augen:
„Nenn mir einen Grund warum du es nicht machen willst".
„Das ist nicht meine Art", im nächsten Moment verfluchte er sich für diese Aussage, das war die lausigste Ausrede die er je jemandem erzählt hatte.
„Nicht deine Art hm? Na schön, wenn du es nicht machst, dann mach ich es eben", damit drehte sie sich um und wollte loslaufen.
Sofort nahm er ihre Hand und zog sie zurück:
„Willst du dich wirklich umbringen, nur weil ich dich nicht liebe?".
Trotzig hob sie ihr Kinn:
„Nein, ich will es weil du zu feige dazu bist".
Er konnte doch nicht zulassen das sie sich umbrachte oder? Für immer würde er sich dann dafür die Schuld geben, Mensch was war nur mit ihm los? Früher hätte ihm sowas nicht etwas ausgemacht und Schuldgefühle hatte er doch sowieso nie gehabt.
„Wieso willst du, dass ich es mache?".
Anniara schien sich wieder beruhigt zu haben, sie schritt auf ihn zu, schlang die Arme um ihn und küsste ihn zärtlich.
„Du bist nicht der einzige Grund, ich habe mehrere, auch wenn du alles aufhalten könntest, aber egal. Ich liebe dich und ich will dass du es tust, weil ich mir keinen schöneren Tod vorstellen kann".
Kyran schloss die Augen und überlegte, irgendetwas musste ihm doch einfallen, wie er sie davon abhalten konnte! Das konnte er nicht zulassen!
„Bitte Kyran, auch wenn ich dir nichts bedeute, erfülle mir nur diesen Wunsch", als er die Augen aufmachte, sah er Tränen in ihren Augen, noch nie hatte er sie weinen sehen, er hätte sich auch nicht vorstellen können das sie überhaupt weinen konnte.
„Bitte, nur das", meinte sie weiter.
Wie konnte er zu so einer Bitte nein sagen?
Ihm zerriss es das Herz sie so zu sehen.
„Na schön, ich tu es", dafür würde er sich ab jetzt ewig hassen.
Sie fiel ihm um den Hals:
„Danke".
Als sie sich von ihm löste sah er sie verwundert an:
„Wie kannst du dich nur für sowas bedanken?".
Anniara überging seine Frage und blickte ihm nun tief in die Augen:
„Ich möchte das du es in deiner menschlichen Gestalt tust".
„Wieso?".
„Weil ich durch die Hand der Person sterben will, die ich lieben gelernt habe. Ich möchte, dass es an meinem Lieblingsplatz passiert, am Hügel unter dem Baum in einer Nacht, nicht am Tag. Mach es bitte so schnell und so schmerzlos wie nur möglich und tu mir dann den letzen Gefallen und halte mich in deinen Armen bis ich tot bin".
Kyran war geschockt, hatte sie wirklich ihren Tod so genau verplant?
„Ich weiß nicht ob-".
„Bitte Kyran, das ist mein letzter Wunsch. Ob du mich liebst oder nicht, ich liebe dich und deshalb will ich dass es so passiert".
Er hatte Angst, dass sie wieder anfangen würde zu weinen, also sagte er ja dazu.
Wenn er es nicht machen würde, würde sie es alleine machen. So war er in ihren letzten Momenten wenigstens noch bei ihr und so würde sie sich wohler fühlen, denn so wünschte sie es sich.
Auch wenn er sich fragte, wie er es schaffen sollte sie zu töten, denn er wusste nicht ob er das konnte.
„Na schön. Ich mache es, ich mache alles so wie du es dir wünscht, unter einer Bedingung".
Ihr Blick wurde fragend:
„Welche?".
„Ich will eine letzte Nacht mit dir".
„Ich weiß nicht ob ich das kann, wenn ich dabei genau weiß, dass du nichts für mich-".
Kyran unterbrach sie:
„Komm schon, eine letzte Nacht, nur wir beide. So wie bis jetzt auch immer, sag nicht es würde dir nicht gefallen. Bis jetzt hat es dir immer gefallen, das habe ich sehr deutlich mitbekommen".
Sie schien eine Weile nachzudenken, aber dann küsste sie ihn:
„Okay, aber diesmal gehen wir in meine Wohnung, wenn es schon die letzte ist, kann sie bei mir stattfinden".
Später lag Anniara ruhig neben ihm, sie wirkte müde. Wie immer hatte er sie in den Arm genommen, das war selbstverständlich, das machte er immer. Er wurde den Gedanken nicht los, das er sie in ein paar Tagen, auch in den Armen halten würde, während sie starb.
Dieser Gedanke gefiel ihm einfach absolut nicht, wieso musste er auch zusagen? Aber selbst wenn er nein gesagt hätte, hätte sie sich selbst das Leben genommen.
„Anniara?“.
„Hm?“, sie wirkte so ruhig und entspannt, wie konnte sie nur, wenn sie wissen würde, dass sie bald sterben würde?
Wieso wollte sie das überhaupt?
„Sag mal, wieso planst du deinen eigenen Tod so genau?“.
„Naja, wie viele Personen haben schon die Möglichkeit ihren Tod zu planen? Ich will das meine letzen Momente auf der Erde so schön wie möglich sind, deshalb habe ich so verplant“.
„Wieso willst du eigentlich sterben? Ich verstehe das nicht“.
Nun drehte sie sich zu ihm und mustere ihn genau:
„Kyran, wie alt bist du eigentlich?“.
Die Frage überraschte ihn, was wollte sie damit?
„282, wieso fragst du?“.
„Ich bin 254 Jahre alt und habe das Leben jetzt einfach satt, verstehst du? Solche Leute wie wir, sind dazu verdammt einsam zu Leben, alleine immer verdeckt unter den Menschen… Wir sind immer, verdammt noch mal wirklich immer alleine und wurden dazu erzogen selbständig und ohne Freunde, Bekannte oder sonst wen zu Leben. Mir geht das alles auf die Nerven“.
Nachdenklich sah er sie nun an:
„Und nur deswegen willst du, oder besser gesagt hofftest du das wir-“.
„Nein, das mit dir… ich kann es nicht erklären, es war einfach auf einmal so. Als ich rausgefunden habe wer du bist, da musste ich mir eben eingestehen dass ich Gefühle für dich habe, so wie die Menschen es immer haben“, nun hatte sie ein Lächeln in ihrem Gesicht.
„Ich kann mir ehrlich gesagt nicht vorstellen, wie du dich fühlst. Ich habe das alles noch nie so gesehen, also das mit dem alleine sein“.
„Ach ja? Hattest du noch nie das Verlangen danach, wenn du nachts alleine in deinem Bett liegst, du hättest jemanden, der bei dir ist. Jemandem der immer für dich da ist, dem du alles erzählen kannst, jemanden der dir gerne zu hört und dir bei deinen Problemen helfen will“.
Darauf konnte er keine Antwort geben, immer wenn seine Gedanken irgendwie in diese oder eine ähnliche Richtung verlaufen waren, hatte er bis jetzt immer abgeblockt, Gefühle waren nun mal eine Schwäche.
Nun sah ihr Blick wieder gebrochen und verletzt aus:
„Ach was, dafür hast du ja deine Betthäschen“.
Sanft strich er ihr die Haare aus dem Gesicht und sah ihr tief in ihre wundervollen grünen Augen:
„Die habe ich schon lange nicht mehr, mein letzter One-Night-Stand ist sicher schon zwanzig Jahre her, bevor das mit dir angefangen hat, war ich lange ganz ohne Frauen unterwegs“.
„Wieso sagst du das?“.
„Weil es stimmt, wenn ich dich schon bald nicht mehr wieder sehe, kann ich dir ja die Wahrheit sagen, ich bin schon lange kein Playboy mehr“.
Dass sie sich darüber freute, sah er in ihrem Blick, aber sonst wollte sie es nicht anmerken lassen.
„Wieso hast du damals aufgehört?“.
„Kein Ahnung, es hat mir alles keinen Spaß mehr gemacht. Alle Frauen die ich hatte, waren recht dumm und leicht zu kriegen“.
„Und wieso hast du dann das mit mir angefangen?“.
„Naja… du bist anders, das hat mir gefallen, tut es immer noch, aber jetzt weiß ich ja, warum das so ist“.
Lange herrschte Stille, bis es Kyran es einfach aussprechen musste, was er die ganze Zeit dachte:
„Aber Anniara, wieso musst du unbedingt sterben? Du könntest doch irgendwo anders hinziehen, neu anfangen und dort eben Kontakte schließen, dann müsstest du auch nicht alleine leben“.
„Ich könnte dich nie vergessen, deshalb. Außerdem, ich fühle dass meine Zeit einfach gekommen ist, ich habe genug gelebt, ich bin müde, ich will nicht mehr“, sie wirkte so ruhig und ausgeglichen, sie hatte sich wohl wirklich damit abgefunden.
Wie konnte sie nur?
Wie konnte sie ihn alleine zurücklassen?
Kyran schüttelte den Kopf um diesen Gedanken zu verscheuchen, er war doch schuld daran, nur weil er sie nicht liebte, aber er konnte doch nichts dafür!
Er war nicht fähig zu lieben oder?
War er das vielleicht doch?
Tief atmete er durch, das waren einfach zu viele Gedanken auf einmal.
Jetzt erst bemerkte er, das sie eingeschlafen war. Lange beobachtete er sie und machte sich nur darum Gedanken was für eine Frau sie eigentlich war.
Die ganze Nacht lang, hielt er sie im Arm und sah ihr beim Schlafen zu, er konnte keine Ruhe finden, wenn er genau wusste, dass es das letze Mal war, das sie so zusammen in einem Bett lagen. Der Gedanke machte ihn verrückt, war das es etwa was sie empfand?
Sollte dieses Verlangen nach ihr, das weit aus über sexuelles Verlangen hinaus ging, Liebe sein?
Als er aus dem Fenster sah, sah er dass die Sonne bald aufgehen würde, das würde heißen, dass sie bald aufwachte. Das wiederum würde heißen, dass sie ihn fragen würde, wann er es denn nun machen würde. Würde sie wollen, dass es gleich in dieser Nacht passiert?
Das konnte er nicht, eine Weile lang hielt er sie noch im Arm, behütete sie wie einen Schatz, gab ihr noch einen sanften Kuss auf die Stirn und stand dann schweren Herzens aus dem Bett auf.
Es war nun vorbei, das nächste Mal wenn er sie sehen würde, müsste er seinem Engel das Leben nehmen.
Schnell schnappe er sich noch ein Blatt Papier und einen Stift, schrieb ihr eilig einen Brief und verschwand dann aus ihrer Wohnung.
Diese ganzen Gedanken die in seinem Kopf herum irrten und die ganzen Gefühle die ihn plötzlich übermannten machten ihn fertig, er wusste nicht was er mit ihnen machen sollte.
Anniara
schlug die Augen auf und hatte ein Lächeln im Gesicht, doch als sie sah, dass Kyran schon weg war, verschwand ihr Lächeln wieder. Enttäuscht setzte sie sich auf und streckte sich ausgiebig, dabei fiel ihr Blick auf den Nachtkasten auf dem ein Zettel lag. Mit hochgezogenen Augenbrauen nahm sie ihn in die Hand.
Hey Anniara,
ich bin früher aufgewacht als du. Ich dachte du willst deine letzten Tage genießen, also beschloss ich dich alleine zu lassen. In vier Tagen, an deinem Lieblingsplatzt nach Sonnenuntergang treffen wir uns. Ich werde da sein, ich hoffe du überlegst es dir bis dahin noch anders
-Kyran
Es nervte sie einfach nur mehr, immer wieder machte er Andeutungen darauf, dass er das nicht wollte, was sie vorhatte und um das sie ihn gebeten hatte.
Anniara wusste genau, dass er Gefühle für sie hatte, aber das würde er nie zugeben. Und eben genau deshalb, weil er zu viel Angst hatte, der Wahrheit in's Gesicht zu sehen, sollte er ihre Entscheidung endlich akzeptieren. Sie hatte es versucht, versucht ihm alles klar zu machen, aber sie würde sicher nicht Jahrzehnte lang tatenlos rumsitzen bis er es einsah, soviel Kraft hatte sie nicht mehr.
Müde stand sie auf und ging in die Küche, zuerst brauchte sie erst mal einen Kaffee. Etwas verträumt nahm sie an ihrem Küchentisch Platz und dachte an vergangene Nacht zurück. Jene Nacht war schöner als alle davor, er war viel liebevoller gewesen als sonst, hatte sie noch mehr verwöhnt als gewohnt, obwohl das Gewohnte auch immer wundervoll war, hatte er sich nun selbst übertroffen.
Sofort trat wieder ein Lächeln auf ihr Gesicht, ihre letzte gemeinsame Nacht war definitiv ihre schönste Nacht gewesen. Augenblicklich hatte sie wieder gute Laune, so stürzte sie sich nun zufrieden auf ihr Frühstück. Ab jetzt konnte sie essen was sie wollte und so viel sie wollte, denn sie musste wirklich nicht mehr auf ihre Figur achten.
Ihre letzen Tage verbrachte Anniara damit, Sachen zu erdledigen, die sie immer schon machen wollte, aber nie dazu gekommen war. Sie las Bücher, die sie schon immer einmal lesen wollte, machte ein paar Ausflüge und sah sich Filme an, die sie schon lange sehen wollte.
Und in der Nacht, da schlich sie sich in das Krankenhaus in der Stadt und heilte Menschen, während sie schliefen. Normal durften Engel das nicht machen, weil es zu viel Aufsehen erregen würde, wenn in einer Stadt plötzlich alle kranken Menschen gesund wurden, aber da sie sowieso bald weg sein würde, würde das kein Problem mehr sein.
Die Tage verstrichen und Anniara war noch immer der festen Überzeugung dass sie das wollte.
Am letzen Tag, vor Sonnenuntergang, flog sie los zu ihrem Lieblingsplatz, als sie ankam, war er noch nicht da, also setzte sie sich unter dem Baum und sah sich ein letztes Mal den Sonnenuntergang über ihrer Stadt an.
Sie durfte lange warten, er tauchte erst auf, als es schon dunkel war und die Sterne herausgekommen waren. Er kam zu Fuß den Hügel hinauf, nicht wie erwartet angeflogen. So wie er aussah, wirkte er ganz schön in Gedanken vertieft.
Als er oben ankam, sah er ihr direkt in die Augen, er strahlte Entschlossenheit aus.
„Also, du hast dich nicht anders entschieden?“.
Anniara schüttelte den Kopf:
„Du weist genau, ich halte mich an das was ich gesagt habe“.
„Also schön, willst du, dass es gleich jetzt passiert oder willst du noch etwas warten?“:
Sie musterte ihn von oben bis unten, wieso schien er jetzt wieder so gefühlskalt geworden zu sein? Bei ihrem letzen Treffen war er noch so anders, so nett, als wäre er ein anderer Mensch, obwohl er zwar kein Mensch, war aber er eine ganz andere Person war.
„Ich will es nicht länger hinauszögern, von mir aus hätte es schon vor vier Tagen passieren können“.
„Okay“, sicher ging er auf sie zu und setzte sich neben sie.
„Willst du an einem bestimmten Ort begraben werden oder überlässt du diese Entscheidung mir?“.
„Wenn du mir den Gefallen noch tun würdest, würde ich gerne hier unter dem Baum begraben werden“.
„Wie du willst“, er schien anteillos, als ob ihm das alles nichts mehr ausmachen würde.
Anniara holte einen silbernen Dolch hervor, sofort fixierte sich sein Blick darauf:
„Soll ich damit…?“.
Sie nickte, es verletze sie etwas, dass er jetzt auf einmal wieder so gefühlskalt war, aber sie wusste genau, dass er nur so tat, damit es für ihn leichter war, sie war sich noch immer sicher, dass er sie liebte und es bloß nicht wahrhaben wollte.
„Aber eines muss ich noch machen, bevor du es tust“, Anniara schlang die Arme um seinen Nacken und zog ihn zu sich runter. Sie küsste ihn nun mit all ihrer Leidenschaft, sie versuchte so viel Gefühl in diesen Kuss zu bringen wie nur möglich, denn sie wusste das es ihr letzter war.
Der Kuss war überhaupt nicht gierig oder verlangend, er war einfach sanft und liebevoll, sie verlor sich sofort darin und wollte nicht mehr aufhören, denn es war einfach nur himmlisch, auch wenn er so tat, als würde ihm das alles nichts ausmachen, so spürte sie doch, dass er es noch immer nicht machen wollte.
Irgendwann aber löste sie sich von ihn, machte die Augen auf und sah ihm tief in die Augen:
„Ich muss es noch einmal sagen bevor ich sterbe. Ich liebe dich Kyran, ich liebe alles an dir. Jede Faser, jede noch so kleine Eigenschaft die dich ausmacht, jeden Teil von dir.
Anfangs war das alles nur ein Spaß für mich, ich dachte du seist ein arrogantes Arschloch, ein selbstverliebter Typ der jede Nacht eine andere Frau in seinem Bett hat, aber irgendwann, während dieser vielen Nächte und diesen süchtig machenden Küssen, hab ich angefangen dich zu lieben.
All meine negativen Gedanken über dich sind einfach weg, ich könnte dir nie wehtun oder dir was schlechtes Wünschen, denn das würde mir nur selbst schaden. Ich weiß noch immer nicht, wie es möglich ist, aber es ist so. Und deshalb bin ich dir auch dankbar, für die Zeit, auch wenn sie nicht immer schön war und“, sie küsste ihn erneut, nur diesmal leider nicht so lange „Und danke dir, dass du mir meinen letzten Willen erfüllst“.
Sein Blick wurde für einen kurzen Moment etwas weicher, aber wie gesagt nur für einen kurzen Moment.
Anniara drückte ihm das Messer in die Hand:
„Und jetzt, erlöse mich“.
Anniara legte sich in das Gras und schloss die Augen, sie wollte nicht sehen wie das passiert. Plötzlich spürte sie die Spitze des Dolches, an ihrem Hals, dann fuhr die Spitze zu ihrem Schlüsselbein hinunter bis zu ihrem Bauch, doch plötzlich verschwand der Dolch von ihrer Haut.
Noch stärker kniff sie die Augen zu, da sie sicher war, dass er jetzt gleich zustechen würde. Ihr Herz raste, sie spürte wie es gegen ihre Brust klopfte, sie war froh zu liegen, weil sie spürte wie ihre Knie weich wurden und eine Lähmung sich um ihren Körper ausbreitete. Sich versuchte sich etwas zu beruhigen, konzentrierte sich nun nur mehr auf ihre Atmung und auf Kyrans Präsens, dabei wartete sie auf einen Schmerz, der nicht kam.
„Ich kann das einfach nicht“, hörte sie Kyran murmeln.
Als Anniara die Augen aufmachte, sah sie wie Kyran den Dolch fallen ließ.
Kyran setzte sich ein Stück von ihr weg und wirkte aufgelöst. Die nächsten Worte schienen nur aus ihm so heraus zu sprudeln.
„Verdammt! Ich kann es einfach nicht! Ich weiß nicht, ob ich dich liebe, ich weiß nur, dass... ich gar nichts weiß.
Ich bin die letzten Tage verrückt geworden, weil ich mir mein Leben ohne dich nicht mehr vorstellen kann, wir haben nur Nächte miteinander verbracht, aber ich weiß nicht... Jeden Morgen als ich dann aufgewacht bin und du nicht mehr da warst, da war ich wütend und hab es verdrängt, ich wollte das du geblieben wärst, neben mir aufwachst, mich anlächelst und mir einen guten Morgen wünscht.
Aber jedes Mal warst du weg und ich habe ignoriert, dass mich das verletzt. Ich weiß nicht warum, aber am liebsten wäre ich einfach immer bei dir, ich wünschte du würdest nicht von meiner Seite weichen und dass ich dich nie wieder loslassen müsste. Mir geht es nie so gut, wie wenn du bei mir bist und wenn du nicht da bist dann muss ich dauernd an dich denken, egal wie sehr ich es auch ignorieren will.
Jedes Mal bin ich krank vor Eifersucht wenn ich daran denke dass du bei einem anderen Mann sein könntest und mit ihm sonst was anstellen könntest. Wenn ich mich mit anderen Frauen ablenken will, klappt das nicht, weil egal welche Frau mich anredet ich an allen was auszusetzen habe, an allen Frauen nur an dir nicht.
Ich weiß nicht was das ist, ich weiß nicht ob das Liebe ist, ob das das ist, von dem du da sprichst, ich weiß nur, dass diese drei kleinen Worte ich liebe dich ein viel zu... Erbärmlicher Ausdruck für das wäre, was ich wegen dir fühle und durchmache.
Und ich weiß, dass ich dich einfach nicht töten kann, denn ich würde mich für immer dafür hassen. Das ist alles schön und gut aber ich kann nicht glauben, dass ich das alles empfinden kann.
Ich habe es so lange verdrängt weil ich dachte das sind alles nur Schwachpunkte und das wäre Blödsinn, aber in den letzten Tagen, habe ich nichts anderes gemacht als das alles Ausbrechen zu lassen verstehst du? Als hätte sich alles angesammelt um-“.
Anniara fiel ihm strahlend um den Hals und umarmte ihn ganz fest, weshalb er nicht mehr weiterreden konnte.
„Genau das, was du da alles gesagt hast, ganz genau das nennen die Menschen Liebe“, meinte sie.
„Und ganz genau das, empfinde ich auch alles für dich“, flüsterte sie ihm in sein Ohr.
Nun legte auch er die Arme um sie:
„Es tut mir leid, aber normal blocke ich immer ab, bevor ich an so etwas ähnliches auch nur denken kann, aber die letzten Tage… da habe ich nichts anderes gemacht, als darüber nachzudenken“.
„Dafür kannst du nichts, du wurdest so erzogen“.
Er nickte:
„Ja, vielleicht wurde ich das, aber jetzt, habe ich es ja vor dir zugegeben“.
Sie nickte lächelnd:
„Hast du und deshalb bin ich überglücklich, ich hätte nie gedacht das du über deinen Schatten springst“.
„Anniara?“.
Fragend sah sie auf:
„Ja?“.
„Nichts“, murmelte er und küsste sie.
Der Vollmond war am Himmel aufgegangen, man sah ihn, obwohl die ersten Wolken sich ausgebreitet hatten und es ganz langsam anfing zu regnen. Die beiden saßen unter dem Baum, Anniara hatte sich an seine Brust gelehnt und er hielt sie in seinen Armen.
„Und was machen wir jetzt?“, fragte er sie.
„Was wir machen? Wir machen das alles, was du dir vorhin gewünscht hast. Wir verbringen mehr Zeit miteinander, lernen uns noch besser kennen, sind glücklich miteinander, treffen uns mit keinen anderen und… wenn wir das nächste Mal im Bett landen, frühstücken wir am nächsten Tag zu zweit und verbringen dann den Tag miteinander… Was du was viele Paare machen, wenn sie frisch zu einander gefunden haben?“.
„Was?“, fragte er nach.
Sie grinste ihn an:
„Sie verbringen die nächsten drei Tage gemeinsam im Bett“.
Kyran musste lachen:
„Das könnten wir machen… Aber ich meinte eigentlich, was wir jetzt machen, wegen deinen und meinen Aufsehern, wir sind eigentlich noch immer Feinde“.
Anniara seufzte tief:
„Ich weiß es nicht“.
„Weißt du, was ich mir dachte? Zuerst fliegen wir gemeinsam wohin und machen dort Urlaub, am Meer oder so, ein wenig entspannen, dass hatte ich schon lange nicht mehr und dann… Dann könnten wir uns eine Stadt suchen, er der sich keine Engel herumtreiben, eine werden wir schon finden und ich kenn da ein paar Rituale, so kann uns auch keiner mehr finden“.
Verwundert setzte sie sich auf und sah ihn an:
„Das alles würdest du für mich machen?“.
Er zuckte mit den Schultern:
„Jetzt, da ich dir sowieso schon die Wahrheit gesagt habe, würde ich es machen, ich glaube du würdest mich zu allem kriegen was du willst, nur umbringen könnte ich dich einfach nie“.
Nun strahlte sie, was ihn zu freuen schien:
„Das musst du auch nicht“.
Kyran stand auf und zog sie hoch:
„Na schön, dann las uns losfliegen“.
„Jetzt schon?“, fragte sie verwundert.
Er schlang seine Arme um ihre Taille uns sah sie eine Weile an:
„Ich will so schnell wie möglich ein neues Leben mit dir anfangen, aber wenn du noch warten willst, verstehe ich das“.
„Mich hält nichts hier, wenn du mitkommst… Also gut, las uns losfliegen“, sie lächelte ihn an.
Einige Leser fragen sich vielleicht, wo das andere Ende hin ist oder wo die restlichen Seiten hin verschwunden sind.
Ich habe sehr lange überlegt, wie ich an diesem Buch weiter schreiben soll und habe mir dabei sehr schwer getan. Eigentlich wollte ich es ja als Kurzgeschichte lassen, aber viele wollten weiter lesen, deshalb habe ich versucht, es weiter auszubauen.
Das war ein großer Fehler.
Da es für mich „nur“ eine Kurzgeschichte war, habe ich es nie richtig ausbauen können. Nach langem überlegen habe ich mir gedacht, dass ich einfach das offene Ende lasse, so wie ich es mir von Anfang an gedacht habe.
Deshalb habe ich die restlichen Seiten geslöscht und das ende so gelassen, wie es eigentlich ursprünglich gedacht war.
Damit kann ich endlich Seelenfrieden mit diesem Buch schließen und es offiziell als beendet bezeichnen.
Danke dafür, dass ihr es bis hierhin gelesen habt.
LG DarkShadow
Text: Alle Ideen stammen von mir und wurden auch von mir niedergeschrieben
Images: Das Bild habe ich von der Seite
Publication Date: 08-09-2012
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