Vor vielen, vielen Jahren lebte in dem Dorf am Fluss ein Bauer mit seiner Frau. Neben Schafen, Schweinen, Hühnern, Enten und Gänsen gab es auch noch die Hündin Thyra auf dem Gehöft. Ihre Aufgabe war es, zu wachen und den Hof vor unliebsamen Besuchern zu schützen.
Eines Tages bekam sie vier Junge. Bezaubernde Welpen, die genau so aussahen wie ihre Mutter: grau, mit einer weissen Schwanzspitze, weißen Pfötchen, braunen Knopfaugen und einer dunkelbraunen Schnauze.
Thyra war eine sehr gute Mutter. Sie kümmerte sich liebevoll um ihre Kinder, säugte sie und hielt sie mit ihrem Körper warm, denn auf der Diele, in der ihre Kiste stand war es sehr
zugig.
Nach einigen Tagen sagte der Bauer zu seiner Frau, dass er die jungen Hunde am nächsten Morgen zum Fluss bringen und ersäufen wolle. "Was sollen wir mit den zusätzlichen Essern. Es wird Zeit, dass Thyra wieder ihre Arbeit übernimmt und den Hof bewacht," meinte er. Seiner Frau war es Recht, denn beide Bauersleute hatten ein hartes Herz.
Diese Worte hörte Hans, der Knecht, der auf der Ofenbank lag und so tat als schliefe er. Ihm taten die jungen Hunde Leid. Am nächsten Morgen stand er in Aller-Herrgotts-Frühe auf und ging in die Diele zu Thyra. Was musste er da sehen? In der Kiste lag noch ein fünftes Hundebaby, ganz entzückend anzusehen. Es hatte ein kastanienbraunes Fell, schwarze Augen und helle Pfötchen. Dieses kleine Hundekind zitterte vor Kälte und kuschelte sich ganz eng an die anderen Welpen.
Hans erzählte Thyra ganz leise von dem Vorhaben des Bauern. Er schlug ihr vor, die Jungen zu seiner Tante, die am Waldrand wohnte, zu bringen. Die würde sich um die Kleinen kümmern.
Wie oft hatte Hans der Hündin etwas von seinem kargen Mahl abgegeben, wenn die Bauersleute meinten, die Hündin brauche nicht immer etwas zu fressen bekommen, schließlich hätte sie ja ein gemütliches Leben auf dem Hof und müsse nicht ständig arbeiten.
Weil Thyra Hans vertraute, war sie einverstanden mit diesem Plan. Schweren Herzens nahm sie Abschied von ihren Welpen. Hans versprach, jeden Sonntag mit ihr seine Tante zu besuchen, so dass sie Kontakt zu ihren Jungen halten konnte.
Hans machte sich mit den fünf Hundebabys, die noch ihre Augen geschlossen hatten, auf den Weg zu seiner Tante, die ebenso liebevoll war wie er. Sie war damit einverstanden, sich um die kleinen Hunde zu kümmern. Er versprach ihr, sie jeden Sonntag zu besuchen und ihr etwas von seinem Lohn zu bringen.
Als er zurück zum Hof kam, war der Bauer gerade aufgestanden. Er wollte in die Diele gehen um seine böse Tat zu vollbringen. Hans erklärte ihm, dass er die Angelegenheit schon erledigt hätte.
Der Bauer war zufrieden und ging erst einmal in die Küche um zu frühstücken.
Hans hielt sein Wort und jeden Sonntag, es war sein freier Tag, besuchte er mit Thyra seine Tante und brachte ihr etwas von seinem Lohn.
Die Welpen gediehen prächtig. Aus ihnen wurden kräftige, wunderschöne Hunde. Als sie alt genug waren, selbst als Wachhunde zu arbeiten, fand Hans für jeden Hund einen Platz, an dem er willkommen war und weiterhin ein glückliches Hundeleben führen konnte.
Braunfellchen aber, die sich zu einer wahren Schönheit entwickelt hatte, behielt Hans für sich. Er konnte es nicht übers Herz bringen, sie auch wegzugeben. Auch Braunfellchen hing sehr an ihm. Sie folgte ihm auf Schritt und Tritt. Als er sie von seiner Tante abgeholt hatte und mit ihr auf den Hof kam, wurde der Bauer sehr zornig. Er wollte keinen zweiten Hund auf seinem Hof dulden. Obwohl Hans versprach, sich allein um den Hund zu kümmern, wurde er aus seinen Diensten entlassen. Jetzt musste sich Hans eine neue Arbeit suchen. Einige Zeit klappte das auch ganz gut. Er fand hier und da Arbeit bei Leuten, die nichts gegen einen Hund einzuwenden hatten. Aber als es Winter wurde, gab es keine Arbeit mehr für den Knecht. Das gesparte Geld würde nicht mehr lange reichen. So weit sie auch umherzogen es gab einfach nichts für ihn zu tun.
Eines Tages kamen sie an einen großen Wald. Hier waren Braunfellchen und ihr Herrchen noch nie gewesen. Vielleicht gab es auf der anderen Seite des Waldes das eine oder andere Gehöft, auf dem Arbeit zu finden war. Also gingen sie in den Wald hinein. Aber so weit sie auch liefen, sie fanden nicht wieder hinaus. Dieser Wald war nämlich ein Zauberwald, in dem eine Hexe wohnte. Nach endlosen Stunden des Herumirrens, Hans war schon recht mutlos geworden, standen sie plötzlich vor einem prachtvollen Haus. Hans klopfte beherzt an die Tür und von innen fragte eine Stimme, wer er sei und was er wolle. Hans erzählte von seinem Unglück und dass er Arbeit und Unterkunft für sich und seinen Hund suche. Die Tür wurde geöffnet und eine alte Frau kam heraus. Ganz dringend suche sie jemanden, der ihr einige Reparaturen an ihrem Haus erledigen würde. Ausserdem müsse ein riesiger Berg Holz gehackt werden. Der Hund dürfe auch bleiben versprach die Alte. Für die Nacht bot ihnen die Frau einen gemütlichen Schlafplatz an und ein gutes Essen gab es auch.
Am nächsten Morgen machte sich Hans sogleich an die Arbeit. Ein guter Lohn war ausgemacht worden und Braunfellchen bekam reichlich Futter.
Nach einigen Wochen, die Arbeit war fast erledigt, ging die alte Frau in den Wald, um Beeren und Pilze zu sammeln. Plötzlich kam der Rabe, der meistens auf der Lehne des Lieblingssessels der Alten saß angeflogen, setzte sich zu Hans auf den Holzstapel, der noch gehackt werden musste und fing an zu sprechen. Er berichtete, dass die Alte eine böse Hexe wäre und nur so freundlich täte, weil sie die Arbeit gemacht haben wollte. Jetzt aber, da alles repariert und das Holz gespalten wäre, würde sie Hans nicht mehr benötigen. Sie wollte Hans in einen Baumstamm verwandeln und aus Braunfellchen, die sie mästen würde, einen Braten zubereiten. Aber es gäbe einen Weg, die Hexe zu vernichten, erklärte der Rabe. In ihrem Haar stecke ein Giftpfeil, der herausgezogen werden müsse, dann sei ihre Zauberkraft dahin. Nach diesen Worten flog der Rabe wieder auf seinen Sessel und sprach nicht mehr.
Nach mehreren Stunden kam die Hexe mit einem Korb voller Beeren und Pilze zurück. Da sie von dem Suchen erschöpft war, setzte sie sich in ihren Sessel um sich auszuruhen. Der Rabe flog sogleich auf ihre Schulter und sang ihr ins Ohr: "Krah, krah,krah, schlaf, schlaf, schlaf." Alsbald war die Alte eingeschlafen. Das Kopftuch war verrutscht und Hans konnte den Giftpfeil in ihren Haaren sehen. Mit einem Ruck zog er ihn heraus und warf ihn aus dem Fenster. Vor seinen Augen zerfiel die Alte zu Staub. Der Rabe flog schnell aus dem Fenster, packte den Pfeil, trug ihn zum Brunnen und liess ihn an der tiefsten Stelle hineinfallen.
Hans stand im Wohnzimmer, als hinter ihm die Tür aufging und ein bildschönes junges Mädchen hereinkam. Sie hatte lange kastanienfarbene Locken, die ihr bis auf den Rücken fielen. Mit ihren dunkelbraunen Augen strahlte sie ihn glücklich an. "Du hast mich gerettet," sagte sie zu Hans, "ich bin Braunfellchen gewesen. Als ich vor fünf Jahren mit meinem Vater, durch diesen Wald geritten bin, hat die Hexe mich hundert Kilometer weit weg, zu einer Hündin, die gerade Junge bekommen hatte, in die Kiste gezaubert. Mein Vater ist ein König und mein Name ist Jula.
Der Rabe kam wieder ins Haus geflogen und bot Hans und Jula an, ihnen den Weg aus dem Wald zu zeigen.
Hans nahm sich aus der Schatzkiste noch den ihm zustehenden Lohn und folgte mit Jula dem Raben, der ihnen vorausflog. Am Waldesrand verabschiedeten sie sich voneinander und der Rabe flog davon.
Jula und Hans wanderten weiter auf der Suche nach dem Königreich, in dem Julas Vater regierte.
Sie zogen von Nord nach Süd und von Ost nach West und hatten es selbst nach einem Jahr noch nicht gefunden. Jula war sehr traurig und hatte die Hoffnung, das Reich ihres Vaters jemals zu finden schon aufgegeben. Hans machte ihr Mut. "Die Welt ist so groß. Glaube mir, eines Tages stehst du wieder vor deinem Vater. Bisher haben wir ja nur ein winziges Stück von der Erde gesehen," tröstete er sie.
Am nächsten Morgen machten sie sich wieder auf den Weg. Als sie die Grenze zu einem Reich überschritten, in dem sie bisher noch nicht gewesen waren, fingen plötzlich im ganzen Land die Glocken an zu läuten. Auch der König hörte es. Er liess seinen Berater rufen und fragte ihn, was das zu bedeuten habe. "Eure Hoheit, jemand, der Eurem Herzen sehr nahe steht, hat die Grenze des Reiches überschritten," antwortete der Berater.
Da wusste der König, dass es nur Jula sein konnte. Er liess seine Ritter in alle Richtungen seines Landes ausreiten, um nach Jula zu suchen. Jeder nahm ein zweites Pferd mit, damit Jula, falls sie gefunden würde, nicht laufen müsste. Endlich wurden die Prinzessin und ihr Begleiter entdeckt.
Der Ritter, der Jula schon als Kind kannte und ihr immer Märchen erzählt hatte, fand sie. Jula erinnerte sich noch gut an Ritter Hubertus. Er war ihr von allen Rittern ihres Vaters immer der Liebste gewesen. Die Freude war riesengross. Jula stellte Hans und Ritter Hubertus einander vor und sie machten sich auf, zurück zum Schloss zu reiten.
Als sie am Schloss ankamen, wartete der König mit Tränen in den Augen auf sein lange vermisstes Töchterchen. Auch Jula konnte ihre Tränen des Glücks nicht länger zurückhalten. Voller Seligkeit warf sie sich ihrem Vater in die Arme. Dann drehte sie sich um und stellte Hans ihrem Vater vor. Sie erzählte ihm, wie liebevoll er zu ihr gewesen war, als sie noch als Braunfellchen lebte. Und dann hatte er sie auch noch errettet.
Der König war so dankbar, dass er Hans mit Ländereien und Reichtum belohnte, ausserdem machte er ihn zum Grafen.
Da er jetzt kein Knecht mehr war, fragte er Jula, ob sie seine Frau werden wolle. Weil Jula Hans von Herzen lieb hatte, willigte sie ein. Sie feierten eine wunderschöne Hochzeit und als der alte König abdankte, wurden Jula und Hans das neue Königspaar.
Text: Helga Hauch
Publication Date: 11-15-2012
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