»Miss Winters?« Albert Corey, unser Geschichtslehrer, hatte sich zu der Klasse umgedreht und starrte mich mit Kreide in der Hand erwartungsvoll an.
»Habend Sie gehört was ich gesagt habe oder befinden Sie sich mal wieder in einem Delirium?« In der Klasse war es totenstill, alle Augenpaare richteten sich auf mich und mein ausdrucksloses Gesicht. Die einen waren so gelangweilt, dass sie sich in ihre Sitze fallen ließen und die anderen warteten nur darauf bis ich etwas falsches sagte. Das passierte mir so gut wie jede Geschichtsstunde. Die übrigen Lehrer ließen mich aber zum Glück in Ruhe, nachdem sie etliche Versuche unternommen hatten mich zum reden zu bringen.
»Nun, auch heute wieder Stille, wie erwartet.« Mr. Corey drehte sich wieder zur Tafel und schrieb etwas auf, das mir sehr gut bekannt war. Auch seine Frage hätte ich ganz leicht beantworten können, wären da nicht die dutzende Augenpaare, die mich anstarrten und wie Löwen darauf warteten das Lamm schlachten zu können. Vermutlich war ich ich einfach nur verrückt, litt an Selbstzweifel oder auch beides. Ich wüsste nicht was geschehen würde, käme ich auf eine gemischte Schule, wo ich dem Gespött des männlichen Geschlechts ausgesetzt wäre. Zumindest hatte ich eine Freundin, Irma. Sie saß meistens jede Stunde, die wir zusammen hatten, neben mir. Nur heute war sie krank, was hieße, dass mir nichts anderes übrig blieb als mich alleine tapfer durch den Tag zu kämpfen.
Nachdem Mr.Corey seinen Monolog beendet hatte, fingen alle an in ihren Taschen herum zu kramen und sich von ihren Sesseln zu erheben. Wir hatte jetzt Mittagspause. Wieder eine Stunde, in der ich mich verstecken musste, um von den anderen nicht angesprochen zu werden, denn ich hasste es, wenn sie es taten. Meistens wollten sie sehen wie ich auf sie reagierte. Ich blieb gern für mich allein, besonders in unseren Schlossgarten. Es hatte etwas sehr poetisches in dem dichten Gras unter der Sonne zu liegen und die Wolken zu betrachten. Irma meinte, dass es eher melancholisch als poetisch war, aber ich liebte die Stille.
Ich fand ein schönes Plätzchen unter einem großen Baum, dessen Äste so dicht miteinander verknüpft waren, dass es wie eine Pilzkuppel aussah. Ich hatte mich an die Rinde des Stammes gelehnt, die Beine übereinander geschlagen und mein Buch „1984“ ausgepackt. Heute war es sehr sonnig, windstill. Mein knielanger Kreisrock schmiegte sich eng an meine nackten Beine, der Stoff war kühl und luftig, passend für den Sommer. Im Hintergrund, weit von mir entfernt, hörte ich lautes Gelächter, es waren Mädchen aus meinem Jahrgang. Ich drehte mich um und beobachtete wie sie sich mit ihren Wasserflaschen gegenseitig bespritzten und dabei kreischten. Es sah sehr lustig aus und ich hätte zu gern mitgemacht, wenn ich nicht so feige gewesen wäre sie zu fragen. Also widmete ich mich wieder meinem George Orwell Roman und ließ mich in seine dystopische Welt entführen. Zumindest bis jemand um meinen Baum herumlief und sich gegen ihn lehnte. Es war Izzy, ein Mädchen aus meiner Klasse. Sie hielt eine 1 Liter Flasche in ihren Händen umklammert und atmete schwer.
»Sorry, ich wusste nicht, dass jemand hier sitzt«, sagte sie hechelnd und sah auf mich hinunter. Ich zuckte mit den Schultern. »Izzy!«, rief eine Stimme vom weitem und ließ sie aufhorchen.
»Hör zu, du darfst mich nicht verraten.« Ich sah sie fragend an und sie zeigte auf ihre klatsch nasse short und T-shirt. Ihre Kinn langen dunkel braunen Haare waren gänzlich mit Wasser durchtränkt und durch das Top sah man jetzt einen schwarzen BH durchscheinen. Meiner Meinung nach war Izzy eindeutig zu dünn, aber was wusste ich den schon. Ich war stinknormal, nicht dick und nicht dünn, eben Durchschnitt.
Es rief wieder eine Stimme nach Izzy, dieses mal ganz nah. Sie hockte sich neben mir hin und beteuerte mir keinen Murks von mir zu geben. Es war schon sehr komisch, weil sie ja wusste, dass ich nichts sagte und trotzdem darauf bestand. Izzy war eine sehr direkte Person, nicht so labil wie ich. Sie verstand sich einfach mit jedem. Ein Geräusch ertönte und von beiden Seiten des Baumes strömte Izzy und mir Wasser entgegen. Ein großer, nicht endender kalter Strahl spritzte in mein Gesicht und auf meine Kleidung. Ich schrie erschrocken auf. Mein Buch war durchnässt und der Stoff des Rockes klebte unangenehm auf meiner bleichen Haut.
»Seit ihr bescheuert! Jetzt ist Claire auch nass«, schrie Izzy Stacy und Lana an. Die zwei Schwestern rümpften die Nase.
»Hätten wir wissen sollen, dass sie hier herum hockt«, sagte Stacy bissig.
»Selbst Schuld, würd ich sagen«, entgegnete Lana und schloss ihre Wasserflasche mit einem blauen Deckel.
»Alles okay?« sagte Izzy und streckte mir ihre Hand entgegen. Ich war noch vom kalten Schock etwas benommen und reagierte nicht sofort auf ihre Hilfe. Stacy und Lana lachten hämisch.
»Sie wird schon wieder, ist ja nicht aus Zucker. Komm, gehen wir«, sagte eine von ihnen, aber Izzy hörte nicht auf sie. Sie nahm mir das nasse Buch vom Schoß und legte es aufs Gras.
»Wie du willst, komm«, sagte Lana zu ihrer Schwester und beide verschwanden im Schritttempo aus meinem Sichtfeld.
Izzy betrachtete das Buch ausgiebig und lächelte mich an. »George Orwell, hab ich auch schon gelesen.« Ich richtete mich auf und betrachtete es. »Geht es gut aus?« fragte ich sie.
»Das werd ich dir doch nicht sagen«, antwortete sie und half mir auf. »Sonst geht die ganze Spannung kaputt«, zwinkerte sie mir zu. Während sie auch ihre Kleidung richtete, kam ich nicht drum herum, zu fragen, wieso sie so nett zu mir war. Nicht das ich mich beschwerte, aber wir sprachen nie ein Wort zueinander.
»Na komm, wir werden erst mal die Sachen trocknen gehen, es sei den du willst so zum Unterricht.«
»Nicht wirklich«, lächelte ich schüchtern zurück.
»Na dann gehen wir« Izzy hielt mir ihre ausgestreckte Hand entgegen. Ich betrachtete sie kurz. Ihre Finger waren schmal, die Nägel kurz. Auf dem Daumen saß ein Ring aus Metall, deren Mitte ein Eulenkopf zierte.
»Aber wohin gehen wir den?« Nachdem ich mein Buch in der Tasche verstaut und mir diese um die Schulter geworfen hatte, wurde ich prompt von Izzy in Richtung Schulgebäude geführt. Komischerweise fühlte sich ihre Hand gar nicht kalt an, wie ich es erwartet hatte. Sie war warm und weich.
»In die Umkleidekabine des Turnsaals.« Ich sah etwas unsicher auf mich herunter, während wir in den langen Flur einbogen und spürte wie sich hinter mir die Schüler nach uns umdrehten und kicherten.
Izzy war vor der Eingangstür zum Umkleideraum stehen geblieben. Meine Hand hatte sie losgelassen, um durch den Türspalt zu schauen. Es dauerte nur eine Sekunde bis sie sich sicher war, dass niemand uns sah. Es war eine nicht besonders große Umkleide, links und rechts ein Paar Bänke mit Hacken und ein großer Spiegel an der Wand, mehr war es nicht. Ich sah etwas unsicher auf die Uhr, in 30 Minuten musste ich wieder zum Unterricht und mein Rock hat mehr abgekriegt als ich gedacht hatte. Izzy spazierte zu dem Föhn, der an der Wand hing und stellte sich drunter. Das laute Geräusch hallte durch den Raum. Ich deponierte meine Tasche auf dem Boden und stellte mich ebenfalls zu einem der Föhns neben Izzy. Die Luft blies heiß auf meine Bluse. Ich nahm den Rock in beide Hände und hob es zum Föhn etwas an. Izzy lachte auf.
»So bringts aber nicht viel. Du musst ihn ausziehen.« Wie zur Demonstration zog sie sich ihr shirt von den Schultern und entledigte sich auch noch der kurzen Hose. Ich wusste ich sollte sie nicht so anstarren, aber sie hatte einfach eine gewisse Ausstrahlung, die jeden anzog.
Ich überlegte lange, bis ich dann schließlich meinen Mut zusammen genommen hatte und mir den Rock abstreifte. Izzys Lächeln wurde breiter.
»Warum du diesen Hintern immer unter Röcken verstecken musst versteh ich nicht.« Ich starrte sie entgeistert an. So etwas hatte mir bisher noch niemand gesagt, ganz zu schweigen von einem Mädchen. Eigentlich hatte ich keinen Grund dazu, aber wie mechanisch schützte ich mit dem feuchten Rock meine nackte untere Hälfte vor ihrem Blick. Vermutlich musste ich rot geworden sein, denn jetzt grinste sie mich hämisch an. Da wusste ich warum wir keine Freundinnen waren, sie und ich waren schlicht weg zu unterschiedlich.
»Kannst du bitte woanders hinsehen?« sagte ich grimmig.
»Sorry, du bist einfach zu süß, so unschuldig. Ich mein allein die Tatsache, wie du da stehst. Hast du Angst vor mir oder schämst du dich wirklich?« Sie hatte den Föhn ausgeschaltet und war zu mir rüber gegangen. Ich hatte das unweigerliche Bedürfnis einen Schritt zurück zu weichen, aber ich blieb wo ich war.
»Ich schäme mich nicht«, entgegnete ich entschlossen, was nicht so selbstsicher geklungen hatte wie gewollt.
»Dann macht dir das doch sicher nichts aus.« Izzy griff nach meinem Rock, den ich immer noch vor meinem Unterleib hielt, und zog es langsam aus meinen Händen. Ihr Blick war so direkt, dass ich auf den Boden sehen musste. Sie griff nach meinem Kinn und hob meinen Kopf zu sich an.
»Hey, sei mal etwas selbstsicherer und sag doch was dich stört.« Sie machte eine kurze Pause. »Sonst wird das immer wieder jemand mit dir machen.« Als ich direkt in ihre Augen sah, bemerkte ich wie Pech schwarz sie waren. Es gab kein make up, das sie umgab.
Izzy ließ von mir ab und streckte mir den Rock entgegen. Ich fasste danach und berührte dabei für eine Sekunde ihre Fingerspitzen. Ihre Augen trafen auf meine. Jetzt war ich mir sicher, dass wir niemals Freundinnen sein konnten.
Wir wurden beide von einem lauten Geräusch wieder in den Schulalltag zurückversetzt, der Klingel. Für mich hieß das in der nächsten Stunde mein Biologiebuch herauszuholen und mich mit dem Thema tierische und pflanzliche Zellen vertraut zu machen, was mir jetzt schon Kopfschmerzen bereitete. Biologie war das Einzige Fach, das ich ganz und gar nicht beherrschte und die Tatsache, dass wieder Referate vor der Tür standen, machten die Sache unerträglich.
Ich zog mir eilig meinen noch etwas feuchten Rock an und schnappte mir meine Tasche. Izzy hatte den Föhn angestellt, sodass ich sie fragend ansehen musste. Sie hob den Kopf und grinste.
»Ich mach blau.«
»Aber dann kriegst du Fehlstunden.« Sie zuckte mit den Schulter als wäre es ihr gleichgültig.
»Hab keine Lust auf Bio. Außerdem sind meine Sachen noch nicht trocken. Ich setzt mich doch nicht ernsthaft zwei Stunden auf meine nassen vier Buchstaben und hol mir eine Erkältung ein.« Ich machte den Mund auf und wollte etwas sagen, aber als ich begriff, dass es sowieso Zeitverschwendung war, ließ ich es bleiben und trat den Rückweg an.
»Na dann, bis nachher und danke für deine, ähm, Hilfe«, sagte ich, als ich schon bei der Tür war. Izzy nickte mit dem Kopf und widmete sich wieder dem Trocknen ihrer Kleidung. Ich kannte Izzy eigentlich schon recht lange, aber noch nie hatten wir uns so unterhalten wie heute. Ich fragte mich woran das wohl liegen mochte. Warum ausgerechnet jetzt? Ich konnte mir schwer vorstellen, dass es an dem Wasser gelegen hatte.
Ich versuchte mir nicht weiter den Kopf darüber zu zerbrechen und machte mich auf den Weg in die Biologiestunde.
»Kannst du das bitte nicht direkt vor meiner Nase machen? Ich muss mich konzentrieren«, sagte ich zu Irma, die sich gerade lautstark neben mir schnäuzte. Sie war immer noch erkältet.
»Entschuldige, es war nicht meine Idee heute zu kommen. Meine Ma meinte ich wäre gesund genug um wieder in die Schule zu gehen. Da konnte ich ja wohl schlecht nein sagen.« Sie schniefte und nahm ein neues Taschentuch aus der Verpackung.
»Also für mich hört sich das sehr nach krank an.« Ich steckte meine Nase tief in das Biologiebuch und versuchte mich halbwegs auf die Wiederholung vorzubereiten. Da Irma aber jede Sekunde nach ihrer Nase griff, wurde ich dabei ständig unterbrochen. Eigentlich verstand ich auch so nicht was in dem blöden Buch stand. Ich brauchte nur einen Sündenbock, dem ich mein Versagen in die Schuhe schieben konnte.Zumindest Mental.
»Du hast wirklich Glück, dass du nicht da warst«, sagte ich und stützte mein Kinn auf dem Handrücken ab.
»Ja«, lachte sie und nieste sofort wieder. »Weist du was ich von Tara gehört habe?« Ich horchte nicht auf, sondern blickte immer noch in die Lektüre. Sie rümpfte die Nase über mein Desinteresse.
»Lana soll jetzt einen festen Freund haben und sie sollen schon weiter gegangen sein als bis zum Kuss. Kannst du dir das vorstellen?« Ich hob den Kopf vom Buch und sah meine Freundin verständnislos an. Ihre Augen hatten vor Freude aufgeblitzt.
»Eigentlich habe ich jetzt keinen Kopf dafür. Ich muss lernen.«
»Es gibt auch noch wichtigere Dinge als Schule«, sagte Irma trotzig und schob sich ein Bonbon in den Mund. Irma war sehr träumerisch und schwebte dauernd mit dem Kopf in den Wolken. Sie wusste zwar nicht viel über Geschichtsepochen oder der tierischen und pflanzlichen Zelle, aber dafür alles über die neusten Trends, das neuste Handy oder die aufregendsten Plätze. Sie war wie eine Pinata, die man heftig zu schütteln brauchte und schon sprudelte alles aus ihr heraus. Der Einzige Grund warum Irma nur sehr wenige Leute aushielten waren ihr ungewöhnlicher Kleidungsstil und ihre Redseligkeit.
»Zum Beispiel?«
»Zum Beispiel der erste Kuss, das erste Date, die erste Nacht.« zwinkerte sie mir zu und lächelte dabei. Allmählich fing dieses Gespräch mich an zu nerven. Irma beäugte mich ein paar Sekunden lang, als ich keine Reaktion zeigte und formte ein gewaltiges „O“ mit ihrem Mund.
»Du warst noch nie verliebt, ist doch so?« Sie hatte den Nagel auf den Kopf getroffen, aber es war mir echt peinlich.
»Doch sicher war ich schon mal verliebt«, sagte ich dann grimmig.
»Ahja und in wen?« fragte Irma mich schief lächelnd.
»In einen Jungen.«
»Ach ne, wär mir jetzt nicht eingefallen.« Ich wurde rot und senkte den Blick. Es hatte keinen Sinn sie anzulügen, sie durchschaute mich zu schnell. »Nicht mal im Kindergarten?«
»Nein, und jetzt hör bitte auf das laut zu sagen. Es ist mir peinlich.«
»Das sollte es auch sein. Jeder war schon mal verliebt.« Jeder außer mir, sagte ich still und seufzte.
»Ich will nicht mehr über das Thema reden.« Irma sah mich lange an und nahm sich noch ein Bonbon aus ihrer Schachtel. Ich kannte diesen Gesichtsausdruck, der besagte nämlich, dass sie gerade in einem tiefschürfendem Gedanken festsaß. Das gefiel mir ganz und gar nicht. Ich wollte sie unterbrechen, aber sie kam mir zuvor.
»Dann weis ich ja jetzt was zu tun ist. Ich muss für dich jemanden finden, in den du dich verlieben kannst. Genau, das wird meine Mission«, sagte sie stolz und klopfte sich auf die Brust. Ich seufzte laut, weil wenn Irma sich etwas in den Kopf gesetzt hatte, dann hielt sie nichts und niemand auf.
»Vergiss aber nicht für deine Prüfungen zu lernen.«
»Ach, die, die braucht doch kein Mensch«, grinste sie breit. Es klingelte und Irma hatte mich tatsächlich in dieses Gespräch vertieft, sodass ich mir nichts mehr anschauen konnte. Ich zitterte vor Angst. Meine Härchen standen mir zu Berge und überall in meinem Körper schien sich pure Kälte auszubreiten. Ich erhob mich blitzschnell vom Sessel, ohne auf Irma zu achten, und eilte in den Unterricht. Wovor ich noch mehr Angst hatte, als vor mündlichen Wiederholungen, waren zu spät kommen. Es machte mich nervös, wenn mich alle anstarrten.
Gerade noch pünktlich saß ich kerzengerade auf meinem Sitzplatz und hoffte, dass mich Mrs. Bricks heute verschonte. In der Klasse rumorte es, überall hörte man Taschen fallen und Leute reden. Irma hatte sich mit wütendem Gesichtsaudruck neben mir auf den Stuhl fallen lassen.
»Das war nicht nett, so einfach abzuhauen«, sagte sie, aber ich starrte unentwegt auf die Tür und ignorierte sie.
»Du bist geflüchtet, so ist das nämlich«, flüsterte sie, als die Lehrerin den Klassenraum betrat. Ich zitterte wie Espenlaub und rutschte nervös auf meinem Stuhl hin und her.
Irma war klug genug jetzt still zu sein, sonst hätte ich ihr bald den Mund mit Klebeband verschlossen. Mrs.Bricks sagte etwas über den bevorstehenden Testtermin und kündigte dann die Stundenwiederholung an. Alle im Raum wurden still, keiner wagte es auch nur zu atmen. Mrs.Bricks sah kurz auf ihre Liste und sagte laut meinen Namen. Alle Augenpaare richteten sich auf mich. Warum hatte ich immer so ein Pech?
»Was sind die genauen Unterschiede zwischen der pflanzlichen und der tierischen Zelle?« Ich hatte mir das Thema etliche Male durchgelesen, aber egal, wie oft ich es tat, es wollte einfach nicht in meinen Kopf gehen. Es wurde ganz still, Mrs.Bricks sah mich direkt an und wartete. Ihr Gesichtsausdruck war streng, was mich noch nervöser machte. Ich versuchte alles Wissen aus dem hintersten Winkel meines Gedächtnisses hervorzuholen.
»Ähm, also die tierische hat Mitochondrien, die...« Die Tür ging auf und jemand war mit einem lauten »Sorry« hereingetreten. Izzy lächelte Mrs. Bricks entschuldigend an und eilte zu ihrem Platz. Unsere Blicke begegneten sich flüchtig, eher sie sich setzte. Das brachte mich völlig aus dem Konzept. Alles was ich sagen wollte, war weg, wie ausradiert. Ich hatte einen Blackout. Nicht das ich schon davor mehr gewusst hätte, aber jetzt wusste ich gar nichts.
»Gut, fahren Sie fort«, sagte Mr.Bricks und verschränkte die Hände vor der Brust.
»Ähm, also, ich..ich wollte sagen, dass...« Sie sah mich gelangweilt an und seufzte. Wäre Izzy nicht gewesen, dann hätte ich es gekonnt. Alle warteten darauf, dass ich was sagte, aber ich schwieg. Da meldete sich mir eine sehr bekannte Stimme und rettete mich aus meiner Situation.
»Ich weiß zwar nicht was gefragt wurde, aber ich will mich freiwillig melden«, sagte Izzy. Mrs. Bricks dreht den Kopf in ihre Richtung und lächelte verschmitzt.
»Nun, da Mrs, Winters nicht dazu in der Lage ist, bitte, erfreuen sie uns mit ihrem Wissen.« So dankbar ich Izzy dafür war, aber eigentlich war sie für meine Misere verantwortlich. Ich sah sie finster an und hörte wie sie den ganzen Stoff problemlos wiedergab. Die Lehrerin lächelte und sagte , was für ein perfekter Vortrag das war. Ich war nicht neidisch, das war ich ganz und gar nicht, aber wie konnte Izzy denn das alles wissen ohne da gewesen zu sein? Sie zwinkerte mir zu.
»Da schuldest du jemanden aber einen großen Gefallen«, flüsterte Irma mir ins Ohr. Der Unterricht hatte wieder seine Normalität eingenommen und alle starrten gebannt auf die Tafel, die Mrs.Bricks jetzt mit Wörtern füllte.
»Hm« Ich schrieb alles mit, um nicht wieder über Izzy nachdenken zu müssen. So verging die Stunde, ohne dass ich öfters als nötig, von meinem Heft aufgesehen hatte. Der Unterricht war vorbei und die Hälfte der Schülerinnen war in die Pause spaziert. Irma und ich blieben auf unseren Plätzen und schwiegen uns an. Heute war wieder so ein schöner Tag, an dem ich lieber draußen gesessen wäre, aber jetzt hatte ich keine Lust darauf. Ich wollte einfach nur da sitzen, aus dem Fenster schauen und hoffen, dass dieser Tag bald vorbei sein würde. Irma war es neben mir zu langweilig geworden, weshalb sie in die Mensa gegangen war um sich etwas zu essen zu holen. Sie meinte vom dem ganzen Husten, kriegte sie großen Hunger. Ich lehnte mich in ihrer Abwesenheit mit den Armen auf den Fenstersims und starrte nach draußen. Die Mädchen, die im Garten herum liefen, sich unterhielten, waren einen Jahrgang unter mir. Sie hatten jetzt große Pause.
»Hi«, ertönte eine Stimme direkt neben mir. Ich erschrak so heftig, dass ich beinah vom Stuhl fiel.
»Sorry, ich wollte dich nicht erschrecken«, sagte Izzy besorgt. Heute trug sie ein einfarbiges schwarzes Top und Röhrenjeans, die eng an ihrer Hüfte saßen. Die Haare hatte sie zu einem Pferdeschwanz zusammengebunden, der wie ein kleines Schwänzchen von ihrem Hinterkopf hervor lugte.
»Ja?« Ich hatte mir die Hand auf meine Brust gelegt und sah sie fragend an.
»Ich wollte dir meine Hilfe anbieten.« Ich sah sie immer noch verständnislos an. Sie grinste.
»In Biologie. Ich weiß, dass du damit deine Probleme hast und bald sind doch die Prüfungen.« Dass ausgerechnet sie mir das anbot, hatte ich als allerletztes gedacht. Aber andererseits war sie nun mal sehr gut und ich brauchte wirklich Hilfe.
»Hat Mrs. Bricks dir das gesagt?« Sie lächelte nicht mehr.
»Nein, ganz und gar nicht. Die kümmert sich doch nur ums Nötigste. Es war meine Idee.« Ich war etwas skeptisch.
»Naja...« Ich drehte meinen Körper in ihre Richtung, sodass meine Beine fast an ihre stießen.
»Da gibt’s nichts zu überlegen. Sag einfach ja.«
»Ok, wie viel für eine Stunde?« Izzy griff nach meiner Hand.
»Oh gott, ich verlang doch von dir kein Geld dafür.« Ihr Händedruck verstärkte sich, sodass ich mich schnell von ihm löste. Diese Nähe war mir unangenehm.
»Und warum tust du es dann?« Mir war sehr wohl bewusst, dass so etwas niemand ohne Hintergedanken tat, ich war nicht blöd.
»Zu zweit lernen macht viel mehr Spaß als allein. Wir helfen uns also sozusagen gegenseitig.« Ich wusste nicht was ich sagen sollte und starrte Izzy deshalb nur ausdruckslos an. Ihre ganze Erscheinung war beinah hypnotisch, oder zumindest hatte sie diese Wirkung auf mich. Selbst wenn ich gewollt hätte, wäre es mir unmöglich gewesen in ihre großen, dunklen Augen zu schauen und sie abzuweisen. Es war doch total verrückt. Warum machte ich mir so einen Kopf darüber, was Izzy von mir dachte. Immerhin kannte sie mich schon seit ein paar Jahren und wusste genau wer ich war. Wenn da nicht...diese absurde Situation von gestern wäre, die mich sehr irritiert hatte.
Izzy lächelte mich an, als wäre heute der glücklichste Tag auf Erden. Nur ich saß schüchtern mit gefalteten Händen in meinem Schoß dar und war sprachlos.
»Ok.«, sagte ich und presste meine Lippen zu einer Linie aufeinander. Sie griff hastig nach ihrem Handy und fragte nach meiner Telefonnummer, die ich ihr, trotz meiner Bedenken, auch gab. Izzy schien sich sehr über meine Kooperation zu freuen, denn sie strahlte über beide Ohren.
»Ich schreibe dir die Adresse per SMS, also halte die Ohren offen« ,sagt sie und tippte etwas in ihr Handy ein, was ich nicht sehen konnte. Dieses Mädchen war wirklich komisch, dachte ich und beobachtete wie sie das Telefon amüsiert wieder in ihre enge Röhrenjeans packte und mich ansah.
»Also, ich muss wieder los, aber wir bleiben ja in Kontakt«. Ihre Stimme klang etwas heiser, als sie den Satz beendete, aufstand und die Klasse verließ. Ich sah ihr wie gebannt nach und dachte etwas, was ich eigentlich nicht denken dürfte – nämlich wie anziehend ich sie fand. Nicht zwangsläufig ihr Aussehen, dass sicherlich auch eine spielte, sondern die Art wie sie einen ansah. Als sehe sie in mein Innerstes, in den Teil von mir, den andere nicht sahen. Mir war das früher gar nicht aufgefallen.
Als Izzy gegangen war, saß ich noch Minutenlang wie versteinert dar und überlegte. Wenn ich jetzt schon so über sie dachte, was würde passieren, wenn wir mehr Zeit miteinander verbringen würden? So ein Unsinn, sagte ich zu mir selbst. Ich fantasierte schon wieder und hörte wie die Glocke die Nächste Stunde ankündigte.
Es war endlich Wochenende, zwei Tage voller Ruhe. Aber das Wichtigste war, dass ich mich weit weg von den Menschen, die mich eigentlich gar nicht richtig kannten und für die ich nur das schüchterne Mädchen war, befand. In meinen eigenen vier Wänden konnte ich tun was ich wollte, ohne mich sofort fragen zu müssen ob andere mein Verhalten als komisch empfinden könnten. Zuhause fühlte ich mich wohl. Ich hatte meine Eltern, die beide im Finanzwesen arbeiteten und eine jüngere Schwester, die mich zwar ganz schön nervte, aber die ich trotzdem sehr liebte. Das war meine kleine Welt und ich fühlte mich glücklich.
»Mama, sag Kathy sie soll nicht so herumschreien. Ich muss lernen«, rief ich aus dem Esszimmer. Ich hatte es mir gemütlich gemacht und mich so sehr auf dem Esszimmertisch ausgebreitet, dass er vor Schulbüchern und Heften fast überquoll.
»Mama, sag Claire sie soll nicht so ein Streber sein.« Kathy war drei Jahre jünger als ich und gerade in einer Phase, in der man wie Zuckerwatte an seinem Handy kleben musste.
»Deine Schwester muss für ihre Prüfungen lernen, du solltest dir an ihr ein Beispiel nehmen und endlich dieses Ding aus der Hand legen«, rief unsere Mutter aus der Küche. Sie hatte gerade das Geschirr gewaschen, weshalb ihre Hände noch ganz feucht waren.
»Das ist kein einfaches Ding, das ist ein Iphone, der heilige Gral.«
»Es ist mir egal was das ist, wenn du dich nicht an deine Hausaufgaben setzt, kommt es in den Müll.« Kathy gab noch kurze Wortfetzen von sich, die ihr Missfallen zum Ausdruck brachten und verschwand schließlich in ihrem Zimmer. Meine Mutter sah mich zufrieden an.
»Immer diese Streitereien. Warum lernst du nicht in deinem Zimmer?«
»Du siehst ja was ich alles machen muss und mein Tisch ist dafür nicht groß genug. Außerdem war es kein Streit, nur zwei Schwestern, die sich sehr lieb haben«, lächelte ich beschwichtigend.
In dem Moment hatte mein Handy angefangen wie wild auf dem Tisch zu vibrieren. »Oh, Claire, nicht du auch noch, Dieses Geräusch kann ich langsam nicht mehr hören.«
»Das ist bestimmt wegen den Hausaufgaben.« Ich wusste, dass sie bei dieser Ausrede immer anbiss und seufzend von Dannen zog. Erleichtert sah ich auf das Display und entdeckte eine Nachricht von Irma.
Hats du Lust auf eine kleine Lernpause?
Ich sah auf meine Bücher und dachte nur daran wie erschöpft ich war.
Du weist, dass ich nie auf Partys gehe. Außerdem sind nächste Woche Prüfungen und ich sollte mich wirklich darauf konzentrieren.
Komm, du hast dir eine Auszeit verdient. Außerdem ist keine richtige Party, nur ein kleines intimes Treffen von Leuten.
Welche Leute?
Na aus der Schule und vielleicht noch Freunde von Freunden. Ich weis es selber nicht so genau. Gibt dir einen Ruck und komm mit. Sie hatte am Ende des Satzes drei schmollende Smileys hinzugefügt, die mich überzeugen sollten. Ich musste lange überlegen, aber schließlich sagte ich zu.
Super, dann komme ich um 6 bei dir vorbei, damit wir für dich ein cooles Outfit aussuchen.
Ich versank seufzend in meinem Stuhl und war so nervös, dass ich beinah vergessen hatte meiner Mutter Bescheid zu sagen. Nach langer Diskussion hatte sie mir ihr Einverständnis gegeben, unter der Bedingung, dass ich pünktlich um halb eins zuhause sein würde.
»Soll ich doch lieber das gelbe Teil anziehen?« Irmas Augen verengten sich zu kleinen Schlitzen.
»Nein, damit siehst du aus wie eine dürre Zitrone. Die schwarze durchsichtige Bluse sieht toll aus.«
»Genau das ist ja das Problem, sie ist zu durchsichtig. Was sollen sie den von mir denken. Ich zieh lieber das graue Top mit dem Kapuzenpulli an.«
»Claire, das ist nicht dein ernst! Kapuzenpulli? Also wirklich.« Irma hatte mir das Top aus der Hand genommen und wühlte jetzt wie wild in meinem Kleiderschrank.
»Was trägt man auf einer Party?« fragte ich sie.
»Wenn du mal mit mir mitgekommen wärst, als ich dich gefragt hatte, dann wüsstest du das.« Ich sah sie flehentlich an.
»Ich bin kein Partymensch.«
»Und warum entscheidest du dich ausgerechnet jetzt hinzugehen?«
»Einfach nur so.«
»Oder bist du doch vernünftig geworden und willst ein bisschen Erfahrungen sammeln?« Ich sah sie irritiert an.
»Warum klingt bei dir immer alles so unanständig.« Irma rollte mit den Augen und stellte sich vor den Spiegel.
»Hier, du kannst das Top unter die Bluse anziehen, dann bleibt deine Jungfräulichkeit erhalten«, zwinkerte sie mir zu. Irma selbst trug eine weite Bluse im Ethno Style, unter der man ihren BH durchschimmern sah. Ihr knielanger Jeansrock passte erstaunlicherweise gut dazu.
Ich nahm die Sachen an mich und zog mich um. Ehrlicherweise fühlte ich mich darin wirklich wohl und würde vermutlich nicht so viel auffallen. Ich wollte auf keinen Fall der Mittelpunkt von irgendwas sein. Irma hatte mich ausgiebig begutachtet und für gut befunden. Hier und da korrigierte sie mein Make up, das für sie nicht aufreizend genug sein konnte. Ich musste sie bremsen, um nicht vollkommen zu gekleistert meiner Mutter entgegenzutreten. Als wir nämlich ausgehfertig zur Tür marschierten, hatte sie mich noch länger als nötig zurecht gezupft. Ich konnte es ihr nicht verübeln, denn ich war noch nie spät abends ausgegangen, schon gar nicht auf eine Party. Auch Kathy hatte sich wieder aus ihrem Zimmer getraut, um mir, was mein Outfit betraf, einen respektvollen Blick zu zuwerfen. Irma hatte mal zu mir gesagt, dass sie Kathy in einer Bar gesehen hatte. Das hatte mir damals einen mentalen Stich versetzt, weil sie meine kleine Schwester war und mehr Erfahrungen sammelte als ich. Das musste endlich ein Ende haben. Ich war die Ältere und es lag an mir alles als Erste auszuprobieren.
Wir hatten bereits im Stiegenhaus leise Musik hören können, die Eingangstür war nicht verschlossen und niemand kam, um uns zu begrüßen, wie ich es erwartet hatte. Der Boden des Vorzimmers hatte etwas von einem Schlachtfeld, der dünne Teppich lag halb zerknüllt in einer Ecke, ein paar große Taschen standen offen daneben und am Spiegel klebte ein roter Lippenstiftabdruck. Der Geruch von Tabak, Hitze und etwas modrigem wehte uns entgegen.
»Schmeiß deine Sachen einfach irgendwohin.« Irma warf ihre Jeansjacke auf einen gepolsterten Sessel, behielt ihre Tasche jedoch bei sich. Ich hatte meinen schwarzen Pulli ausgezogen, entschied mich jedoch dafür ihn in meiner Tasche zu deponieren. Ich wusste weder wem diese Wohnung gehörte, noch wie sicher es war seine Sachen unbeaufsichtigt liegen zu lassen. Deshalb setzte ich es mir zum Ziel vernünftig an diese Situation heranzugehen, denn jetzt wo ich da war und keinen Rückzieher machen konnte, musste ich das Beste daraus machen.
Gemeinsam mit Irma folgte ich der Musik, die aus dem Wohnzimmer kam. Es war kein sonderlich beeindruckender Anblick, was ich zu meiner Enttäuschung feststellen musste. Ich hatte es mir vor allem lebendiger vorgestellt, aber stattdessen sah ich Leute, die quer im Raum verstreut da saßen, rauchten, lachten und sich unterhielten. Irma hatte recht gehabt, es sah nicht wirklich nach einer Party aus.
Umzingelt von Leuten, die ich gar nicht oder nur vom sehen kannte, war ich froh ein bekanntes Gesicht ausfindig zu machen, auch wenn es nur Lana war. Sie saß in einer gemütlichen Polsterecke und hatte sich eng an ihren Sitznachbarn geschmiegt. Auch Stacy war mit von der Partie. Allerdings schien ihr der Minirock, den sie trug, große Probleme beim sitzen zu bereiten. Sie versuchte ihn unbemerkt nach unten zu schieben.
»Versuch so zu wirken als wäre es für dich ganz normal, bleib gelassen.« Ich sah sie etwas unsicher an und nickte.
»Das gibt es nicht, Claire?« Stacy war vom Sofa aufgesprungen, als hätte sie gerade etwas gestochen. Vermutlich hatte sie nur einen Grund gesucht, um sich von den zwei Jungs losreißen zu können, die sie schmachtend ansahen.
»Ich wusste gar nicht, dass du auch hier sein würdest.« Stacy hatte ein nicht zu übersehen üppiges Dekolletee, das sie gekonnt in ein bedrucktes blaues Top verpackte. Dagegen sah ich mehr als unscheinbar aus.
»Ich habe sie eingeladen, was dagegen?«
»Ich war nur überrascht sie hier zu sehen. Sonst kommst du doch immer allein.«
»Entschuldigst du uns bitte, Claire und ich wollen uns noch was zu trinken holen.« Irma hatte hastig nach meiner Hand gegriffen und führte mich weg von Stacy in die Küche. Ich war froh, dass sie das getan hatte, denn mich mit Stacy zu unterhalten war so als befände man sich auf einem Minenfeld und ich wollte ungern etwas sagen, was ich vielleicht später bereuen würde.
»Hi, Irma, wer ist den deine Freundin?« Der blonde Kerl vor uns hatte ein Glas mit hellbrauner Flüssigkeit in der Hand. Meiner Einschätzung nach konnte er kaum älter sein als 17.
»Das ist Claire, Claire Josh.« Ich hatte ihm die Hand ausgestreckt, weil ich nicht genau wusste was ich sonst in dieser Situation machen sollte. Doch er hatte meine Geste mit schiefem Lächeln angesehen und mir ohne Vorwarnung einen Kuss auf die Wange gegeben. Ich spürte wie Irma neben mir das Gesicht zu einer Grimasse verzog.
»Freut mich dich kennenzulernen Claire.« Er hatte mich mit einem Blick gemustert, denn ich wohl unter normalen Umständen als unhöflich eingestuft hätte, aber hier und jetzt fand ich es recht prickelnd so ausgiebig betrachtet zu werden.
»Uns ist das Bier ausgegangen, aber Tyler müsste hier noch irgendwo eine extra Flasche gebunkert haben, nur für dich. « Er hatte Irma dabei angelächelt als hätten sie beide ein Geheimnis.
»Claire, entschuldigst du mich ganz kurz. Ich muss kurz wohin«, sagte sie plötzlich. Ich sah ihr etwas unsicher nach. Josh war ihr nicht gefolgt, wie ich es erwartet hatte. Stattdessen nam er einen Schluck aus seinem Glas und wandte sich an mich.
»Tja, dann warens nur wir zwei. Willst du was trinken?«
»Hm, einwenig vielleicht.« Ich hatte bisher nur einmal etwas stärkeres als Wein egtrunken und das war Rum an Irmas 15 Geburtstag.
Josh hatte sich eine Wodkaflasche, die auf dem Küchentresen stand, gegriffen, um damit die Hälfte eines herumstehenden Glases zu füllen. Die andere Hälfte bestand aus einem Softgetränk, dessen Plastikflasche offen auf einem Tisch stand. Er hielt mir das volle Glas lächelnd entgegen.
»Ich trinke normalerweise nicht so viel.«
»Nimm erst mal ein Schluck, das wird dich locker machen.« Josh hatte mir einen Arm um die Schulter gelegt, während ich vorsichtig an dem Getränk nippte.
»Na, versuchst du wieder unschuldige Mädchen abzufüllen?« Izzy´s Stimme hätte ich unter Hunderten erkannt.
»Ich bin heute ganz brav. Hey, kennst du meine Freundin Claire schon?« In den pechschwarzen Sachen, die weder aufreizend noch bieder wirkten, hätte ich sie fast nicht erkannt. Izzy´s Kleidungsstil war stets gewagt und ausgefallen, sie hätte nie etwas getragen, was alle anderen nicht auch trugen. Aber heute schien sie sich keine großen Gedanken um ihre Garderobe gemacht zu haben.
»Ja, wir kennen uns. Ach Josh, sei doch so nett und nimm die Hand da weg, ich will nicht, dass du Claire am Ende noch versaust«, sagte sie lächelnd. Mir war gar nicht aufgefallen, dass sein Arm immer noch um meinen Hals gewickelt war, wie der eines Affens.
»Nimms ihm nicht übel, er ist eben sehr anhänglich.« Er hatte mich losgelassen und war einen halben Schritt zurückgewichen.
»Ach, schon okay.« Unsicher über die aufkommende Stille hatte ich einen viel zu großen Schluck von der Wodkamischung genommen. Ich musste leicht husten.
»Geht´s?« Izzy war an meine Seite getreten und hatte mir die Hand auf die Schulter gelegt.
»Es ist nur sehr stark.«
»Du musst es nicht trinken, wenn du nicht willst.« Ich sah das Getränk vor mir als eine Art Beschäftigung. Ich wollte nämlich auf keinen Fall einfach nur so herumstehen und in die Luft starren, wie ein stummer Fisch. Das würde nur den Eindruck erwecken, als wäre ich ein Mauerblümchen und das wollte heute Abend nicht sein. Mein Ziel war es Erfahrungen zu sammeln und mich der sozialen Gruppe anzupassen oder wenigstens so tun als ob.
»Es schmeckt gar nicht so schlecht.« Sie sah mich mit geweiteten Augen fraglich an.
»Ehrlich, das ist sogar wirklich gut.« Ich nahm einen weiteren Schluck, ohne dieses mal das Gesicht zu verziehen. Izzy glaubte mir nicht, was sonst. Sie kannte mich schließlich ganz anders, nämlich als schüchternes ruhiges Mädchen, dass ich ja im Grunde auch war. Nur heute wollte ich meine Schale mal abwerfen und spontan sein.
»Ich werd mal nach der Musik sehen.« Josh hatte uns beide alleine gelassen, was mich jetzt ziemlich nervös machte. Izzy stand viel zu nah neben mir und durch den Alkohol, den ich nicht gewohnt war, wurde mir plötzlich ganz heiß.
»Bist du alleine hier?«, fragte sie mich und strich sich eine Strähne aus dem Gesicht.
»Nein, Irma ist...eigentlich weis ich nicht genau wo sie ist.«
»Ist eigentlich auch egal, komm, ich stell dich ein paar Leuten vor.«
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Publication Date: 09-15-2014
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