Ich stand am Fenster in meinem Zimmer. Draußen war es düster, das Anzeichen eines Gewitters, dass um diese Jahreszeit nicht selten ist. Die Bäume bewegten sich mit dem orkanartigen Wind und die Straßenlaternen flackerten nur noch wild. Ich konnte eine schemenhafte Gestalt erkennen, die sich auf unser Haus zu bewegte. Als sie näher kam, konnte ich auch ihr Gesicht erkennen. Eine grauenvolle Fratze, bei dessen Anblick mir das Blut in den Adern gefror. Ich hatte schon Angst, nur weil ich in ihr Gesicht gesehen hatte. Die Gestalt bewegte sich immer weiter auf uns zu, bis sie irgendwann so nah an unserem Haus war, dass ich sie nicht mehr sehen konnte. Ich bekam es mit der Angst zu tun. Plötzlich wirkte auch alles so kalt und frostig, als würde das von der Gestalt kommen. Dann hörte ich, wie meine Zimmertür langsam aufgeschoben wurde und zum Vorschein kam die Gestalt. Jetzt hatte ich noch mehr Angst. Nicht, dass das irgendetwas ändern würde. Die Gestalt kam auf mich zu. Ich versuchte, abzuhauen, doch ich konnte mich nicht bewegen. Es war, als hätte mich etwas am Boden festgenagelt. Ich schlug um mich und strampelte und versuchte, mich zu befreien, aber alles half nichts, die Gestalt kam immer näher. Dann beschloss ich, mein Schicksal hinzunehmen und mich damit abzufinden, gleich zu sterben. Es kam immer weiter auf mich zu, bis …
Ich schreckte auf. Offenbar war ich eingeschlafen und hatte, wie schon die letzten Tage, diesen Traum gehabt. Komischerweise war es jeden Abend derselbe. Ich schaute auf die Uhr. 6.59Uhr. "Schule!" seufzte ich und quälte mich aus dem Bett.
"Emilia! Aufstehen!" rief meine Mutter von unten. Sie konnte ja nicht wissen, dass ich schon auf war. Ich schüttelte noch einmal den Kopf, dann zog ich mich um und ging nach unten in die Küche. "Morgen Mum!" grüßte ich meine Mutter verschlafen.
"Gut geschlafen, Schatz?" Bei dem Wort 'Schatz' horchte ich auf. Das Wort bedeutete meistens irgendeinen Ärger.
"Mum, was ist los?" fragte ich unsicher.
"Nichts. Iss schön. Ich muss nach der Schule mal mit dir reden, also komm nicht zu spät nach Hause, ja?" Ich nickte langsam. Was immer mir meine Mutter nachher erzählen wollte, war offensichtlich nicht unbedingt gut. Denn sonst hätte sie es mir ja jetzt schon erzählen können. Nach einer halben Stunde und fünf Scheiben Brot, sprintete ich in mein Zimmer hoch und schnappte mir meine Schultasche. Hoffentlich hatte ich alles drin, dachte ich und und rannte aus der Tür.
"Bis nachher, Mum!" rief ich noch im Vorbeirennen.
In der Schule traf ich wie immer meine Erzfeindin.
"Na, hat die feine Dame sich nicht für zu schade gehalten?" fragte das rot-Haarige Mädchen zuckersüß. Rachel hieß sie. Sie war an der Schule sozusagen das beliebteste Mädchen, da sie durchaus hübsch aussah, allerdings war ihre arrogante Art mehr als gewöhnungsbedürftig.
"Verpiss dich einfach, okay? Oder siehst du nicht, dass dich hier keiner haben will?" konterte ich. Sie schüttelte noch einmal den Kopf und verschwand in der Menge der jetzt eintreffenden Schüler. Ich mischte mich unter die Menge und begab mich ins Klassenzimmer. Der Lehrer war schon da und so war es dementsprechend leise im Klassenzimmer. Ich schaute mich um und entspannte mich. Rachel war noch nicht aufgetaucht.
"Setzen Sie sich bitte!" rief der Lehrer durch das Zimmer. Als alle auf ihren Plätzen saßen, sprach er weiter: „Danke! Also erstmal herzlich Willkommen im neuen Schuljahr. Freut mich, dass ihr alle die 4.Klasse bestanden habt. Dann fangen wir auch direkt mal an." Er nickte und schrieb etwas auf die Tafel.
Plötzlich klingelte ein Handy und es hörte sich so an, als würde es aus meinem Umkreis kommen. Ich sah mich um. Keiner machte Anstalten, sein Handy zu zücken. Alle sahen nur mich mitleidig an. Bevor ich überhaupt registrierte, was hier passierte, schrie Rachel, gemein wie sie war: "Emilia hat ihr Handy an!"
"Ey das ist gar nicht wahr! Ich wette, du hast mir ein Handy untergeschoben!" wehrte ich mich.
"Ja sicher. So bin ich nicht! Ich hab damit nichts zu tun!"
"Das glaubst auch nur du! Du verarschst mich hier doch die ganze Zeit!" schrie ich sie jetzt an, so wütend war ich. Normal bin ich ein wirklich friedliebender Mensch, aber bei dieser Person war das ganz anders.
"Herr Lehrer, Emilia unterstellt mir Sachen, die ich doch nie machen würde!" Das spielte sie so gut, dass der Lehrer verständnisvoll nickte.
"Zwei Stunde Nachsitzen und ein Verweis." ordnete mir der Lehrer an.
"Schlampe!" murmelte ich leise, doch der Lehrer hatte es offenbar gehört. "Und noch ein Verweis wegen Beleidigung!" Ich seufzte. Ändern konnte ich jetzt eh nichts mehr. Versuchen, den Lehrer von meiner Unschuld zu überzeugen, würde nur mehr Ärger geben. Um meinem Ärger Luft zu machen, schlug ich einmal mehr oder weniger sanft auf den Tisch.
"Raus! Und zwar sofort! Du kannst dich abmelden und nach Hause gehen!" schrie der Lehrer jetzt deutlich wütend. Der musste mich ja für den Teufel persönlich halten. Obwohl ich nicht einverstanden war, schon in der ersten Stunde rauszufliegen, ging ich ohne Bemerkung aus dem Zimmer. Ich hatte den Lehrer und besonders Rachel echt so langsam satt. Die konnten mich mal ...
Sollte ich jetzt schon nach Hause gehen? Meine Mutter wäre bestimmt nicht begeistert, wenn sie erfährt, dass ich schon am ersten Tag nach den Ferien aus dem Unterricht geworfen wurde … Na ja, eigentlich kannte sie das ja aber schon. Schließlich war es für mich ja nicht das erste Mal, dass ich aus dem Unterricht geworfen werde. Das passierte mir öfter. Der Arzt meinte, es läge daran, dass ich ADHS habe, was auch immer das ist. Dennoch hatte ich Schuldgefühle, wenn ich immer so viel Ärger in der Schule bekam, schließlich dachte mittlerweile auch das ganze Dorf, ich wäre ein Problemkind, da ich von meiner letzten Schule geflogen bin und deswegen hier hin musste.
Doch ich hatte keine Schuld daran, dass ich von der Schule geflogen bin. Es war ganz allein die Schuld von meinem Lehrer gewesen. Er hatte mich aufgerufen, was nicht weiter schlimm war, doch einige Mitschüler hatten spöttische Bemerkungen abgelassen und ich war wütend geworden, da er auch nichts unternommen hatte, schließlich ist es doch seine Aufgabe als Lehrer, für das Wohl der Schüler zu sorgen, oder? Na ja, plötzlich lief im Klassenzimmer dann eine riesige Spinne herum, niemand weiß, wo die hergekommen war, denn sie war überdimensional groß, und ist auf die Schüler geklettert, die spöttische Bemerkungen gemacht hatten. Der Lehrer hat mir doch tatsächlich dafür einen Verweis gegeben, wo ich der festen Überzeugung war, dass ich keine Spinne im Klassenzimmer laufen gelassen habe. Jedenfalls sah meine Mutter das wie ich und ist deswegen beim Schulleiter gewesen, der jedoch hatte nur gemeint, wenn der Lehrer meinte, ich sei es gewesen, wird es wohl so stimmen. Er war auch nicht dabei gewesen! Meine Mutter hatte sich später so mit ihm gestritten, dass der Schulleiter kurzerhand beschlossen hatte, mich von der Schule zu schmeißen. Wie ihr seht, kann ich eigentlich nichts dafür, dass ich geflogen bin.
Nun ja, jetzt gelte ich in dem kleinen Dorf, in dem ich mit meiner Mutter wohne, als 'Problemkind', nur weil so gut wie alle Leute hier meine Vergangenheit kannten. Und deswegen habe ich auch keine Freunde.
Ich beschloss, noch nicht nach Hause zu gehen und lieber noch ein bisschen Zeit zu schinden und in der Gegend umherlaufen. Ein bisschen frische Luft konnte ja nicht schaden. Vielleicht kam ich so ja sogar auf andere, positivere, Gedanken.
Doch das war nichts. Denn einige aus meiner Klasse, die jetzt eine Freistunde hatten, waren mir unauffällig gefolgt. Wobei unauffällig heißt, ich habe sie weder gehört noch gesehen, aber ich weiß, dass sie hinter mir sind und mir nachgehen. Schnell verschwand ich in einem Laden, auch wenn ich nicht mal Geld dabei hatte, doch offenbar hatten sie mich verloren, denn meine Verfolger gingen weiter in Richtung meines Zuhauses, wie ich mit Erleichterung feststellen musste, als ich im Laden unauffällig am Fenster stand und sie beobachtete. Froh, dass ich ihnen für diesen Moment entkommen war, machte ich mich wieder auf den Weg nach Hause, zwar mit ein paar Umwegen durch den Park, das Shopping-Centre und über einen Spielplatz, auf dem einige kleine wunderbare Kinder spielten. Ich wünschte, ich könnte noch einmal so alt sein wie sie, dann hätte ich wenigstens die Probleme mit meinen Mitschülern nicht. Kurz vor dem eigentlichen Schulschluss erreichte ich dann mein Zuhause, wobei ich der Bande, die mich verfolgt haben, nicht weiter begegnet war.
Schnell schloss ich die Tür auf und trat ein. Sofort erfüllte der leckere Geruch von Spaghetti den Raum. Riecht lecker, dachte ich, ob meine Mum wohl schon gekocht hat? Bestimmt! Sonst würde es nicht so riechen.
„Mum! Ich bin zu Hause!“ rief ich quer durchs Haus. Ich dachte mir schon, dass sie in ihrem Büro am Arbeiten war, denn wann war sie mal nicht am Arbeiten? Na ja, eigentlich machte sie fast nichts anderes mehr als Arbeiten seit mein Vater, ihr Mann, bei einem Autounfall ums Leben kam. Ich warf meine Schultasche weg und ging in die Küche. Tatsächlich stand schon das Essen auf dem Herd. Mir lief das Wasser im Mund zusammen.
„Hallo, Schatz, was machst du denn schon hier? Ich dachte, du hast erst in fünf Minuten Schulschluss.“ Meine Mutter kam in die Küche, bepackt mit ihrem Aktenkoffer, den sie nie aus den Augen ließ, und mit ein paar vermutlich wichtigen Zetteln. Sie hatte sich hübsch zurecht gemacht, geschminkt und hatte ihre Haare hochgesteckt. Sie trug wie immer einen schwarzen Rock und eine weiße Bluse. Geschäftsessen, stöhnte ich innerlich.
„Ähm ja … Hatte ich eigentlich auch. Aber da gab es so ein kleines Problem.“ murmelte ich und holte schon einmal ein paar Teller aus dem Schrank und stellte sie auf dem Tisch ab. Meine Mutter legte ihre Papiere und den Aktenkoffer zur Seite und stellte den Topf mit dem Essen auf den Tisch.
„Erzähl!“ sagte sie und holte noch Besteck für uns beide, dann setzte sie sich. Ich setzte mich auf den Stuhl ihr gegenüber und sah sie an.
„Rachel hat mich beleidigt. Dann hat sie ein Handy in meinen Sachen versteckt und es klingeln lassen. Dafür habe ich den Verweis bekommen. Na ja, ich war halt sauer, hab mich darüber aufgeregt, dass sie es mir untergeschoben hat, und ich hab sie beleidigt und daraufhin gab es noch einen Verweis … Also insgesamt ein echt mieser Tag heute. Nachsitzen, zwei Verweise und ich wurde nach Hause geschickt. Toll, oder?“ fragte ich. Doch es war eher ironisch gemeint als ernst. Ich jedenfalls fand es ganz und gar nicht toll.
Meine Mutter schüttelte entsetzt den Kopf. „Das können die doch nicht machen!“ und stopfte sich ein Löffel voll Spaghetti in den Mund.
„Siehst du ja.“ murmelte ich undeutlich und stampfte in meinem Essen herum. Ich hatte jetzt gerade so überhaupt keinen Hunger, mir war der Appetit eben vergangen …
„Worüber wolltest du eigentlich mit mir reden?“ fragte ich neugierig. Ich erinnerte mich gerade an unser Gespräch heute morgen, wo sie mir irgendetwas hatte sagen wollen.
„Ich habe eine Bitte an dich. Es ist wirklich wichtig für mich.“ Sie schaufelte sich einen Löffel Spaghetti in den Mund. „Du wirst ja bald 11 Jahre alt. Und ich finde, du bist alt genug, deswegen konnte ich nicht ablehnen. Ich bekomme heute Abend Besuch von meinem Chef – er möchte dich kennen lernen.“
Ich starrte sie mit offenem Mund an. Sie fragte mich zum ersten Mal, ob ich ihren Chef kennen lernen möchte. Natürlich war ich nicht scharf darauf, ein langweiliges Essen mit Erwachsenen, aber ich war unendlich stolz, dass sie mich für alt genug dafür hielt. Schließlich war ihr Chef ein ziemlich einflussreicher, hochgestellter Mann. Ich hatte keine Ahnung, wer er war, nie hatte ich seinen Namen gehört. So peinlich und dumm es vielleicht auch klingen mag, ich wusste nicht einmal, als was meine Mutter arbeitete. Sie hatte nie etwas davon erzählt und ich hielt es nie für so wirklich wichtig. Ich war davon ausgegangen, dass ich den Beruf sowieso nicht kennen würde.
„Wow. Danke. Wer ist denn dein Chef?“ fragte ich neugierig.
„William Hawkins heißt er. Wer er ist, wird er dir genauer erklären, wenn er hier ist.“ meinte sie und erhob sich von ihrem Stuhl, um das Geschirr wegzubringen. Ich sah ihr dabei zu und dachte nach.
William Hawkins. Den Namen hatte ich wirklich noch nie gehört. Und wenn er hier in Britannien so eine große Nummer war, wieso kannte ich ihn nicht? Und wieso konnte meine Mutter mir nicht sagen, was er machte? War es etwa so schrecklich geheim, dass ich es nur mit persönlicher Erlaubnis von ihm erfahren durfte?
„Emilia … Bitte sei höflich zu ihm. Er ist mein Chef und ich möchte meinen Job gern noch etwas länger behalten.“ sagte sie mit einem eher gezwungenen Lächeln und sah mich an. „Und zieh dir bitte etwas anderes an!“
Ich nickte, erhob mich und ging gelangweilt nach oben in mein Zimmer. Dort angekommen schmiss ich mich in hohem Bogen auf mein Bett und blickte an die Decke. Eine Weile lag ich nur so da und zählte die schwarzen Punkte, die an meiner Decke noch von vor ein paar Jahren war. Irgendwann – nach einer Ewigkeit – wurde mir auch das etwas zu langweilig und ermüdend, dass ich beschloss, mir schon mal Klamotten für heute Abend heraus zu suchen. Schließlich sollte ich vorzeigbar sein, hatte sie gemeint. Auch wenn ich es nicht toll fand, so bevormundet zu werden, gab ich ihr unbewusst auch ein wenig Recht.
Ich suchte mir eine schwarze Jeans und ein grünes, weit ausgeschnittenes T-Shirt mit einem grauen Blazer heraus und legte es auf meinen Schreibtischstuhl.
Sollte ich jetzt vielleicht meine Mitschüler fragen, was wir aufhatten? Schließlich hieß es sonst wieder, ich sei zu faul und hätte nicht einmal versucht, mich zu erkundigen. Doch ich wusste bereits die Antworten meiner Mitschüler: Nein, sie konnte mir nicht eben schnell die Hausaufgaben sagen. Das wäre einfach zu viel Arbeit. Und ehrlich gesagt hatte ich Angst, dass sie mir etwas falsches erzählen würden und ich dann nächsten Tag in der Schule dumm da stehe …
„Schatz? Mein Chef kommt in einer halben Stunde!“ rief meine Mutter von unten herauf. Ich erschrak. Schon so spät? Wo war all die Zeit hin? Ich schüttelte den Kopf. Ich hatte gar nicht gemerkt, wie lange ich die Decke angestarrt hatte.
Verwirrt ging ich zu meinem Schreibtischstuhl und zog mir meine neu herausgesuchten Klamotten an. Dann sah ich in den Spiegel und stellte fest, dass ich schon ewig nicht mehr so ordentlich ausgesehen hatte. Warum auch? Es gab nie einen Anlass, sich so schick zu machen. Denn für meine Mitschüler machte ich so etwas bestimmt nicht freiwillig.
Ich sah auf die Uhr. Ich hatte noch etwa zwanzig Minuten und war eigentlich schon fertig. Also wanderte ich wieder nach unten und half meiner Mutter, die Küche sauber zu machen. Schließlich sollte das Haus ja einen guten Eindruck bei ihrem Chef lassen.
„Du siehst gut aus! Danke, Schatz!“ murmelte meine Mutter und hauchte mir einen Kuss auf die Backe. „Und dieses Mal ist nicht einmal ein Brandloch drin!“
Ich musste lachen. Das war eine der besten Erinnerungen an eine ziemlich komische Situation. Und von komischen Situationen hatte ich schon wirklich viele erlebt.
Meine Mutter war gerade auf ihrer Arbeit gewesen – ausnahmsweise mal, denn für gewöhnlich arbeitete sie ja von zu Hause – als ich von draußen ein seltsames Geräusch hörte. Zuerst dachte ich, ich hätte es mir eingebildet, doch als ich es immer und immer wieder hörte, verlor ich langsam meinen Glauben. Ich rannte also nach draußen in unseren kleinen Schuppen, da ich vermutete, dass das Geräusch daher komme. Doch ich lag falsch. Im Schuppen fand ich nichts ungewöhnliches. Aber das war mein Fehler, wie ich später feststellte! Denn ich ging beruhigt und mit dem Glauben, da draußen wäre nichts, wieder ins Haus und setzte mich vor den Fernseher. Von dem Lärm, der draußen herrschte, bekam ich nicht wirklich viel mit. Erst als unsere Nachbarin mich darüber informierte, dass draußen etwas gefährliches lauere, sie sich aber nicht traute nachzusehen, bekam auch ich es mit der Angst zu tun. Was wäre, wenn draußen ein Mörder in unserem Garten war? Was sollte ich nun machen? Da ich selbst viel zu viel Angst hatte, alleine nach draußen zu gehen, verstrich eine weitere halbe Stunde, bis mich meine Nachbarin überredet hatte, doch nachzusehen. Sie war so in Panik geraten, dass ich ihr einfach helfen musste. Ich ging also wieder nach draußen und sah mich dann plötzlich einem Mann gegenüber stehen. Er war schwarz gekleidet, hatte schwarze Haare, sah also modern aus, doch irgendwie auch etwas unheimlich. Der Mann sah mich einfach nur an. Ich starrte zurück. Dann hob er einen Stock oder ähnliches, das konnte ich nicht genau erkennen, und murmelte einige Wort. Mein T-Shirt fing an zu brennen. Ich war so in Panik, das Feuer zu löschen, dass ich nicht mitbekam, wie der Mann rückwärts flog. Ich hatte nur ein Kribbeln im Bauch, das ich nicht zuordnen konnte … Ich bin noch immer davon überzeugt, dass ich ihn hatte rückwärts fliegen lassen, doch meine Mutter hatte mir nie geglaubt. Sie hielt mich wohl noch immer für verrückt, auch wenn sie das nie zugeben würde.
Solche seltsamen Situationen hatte ich schon öfters erlebt, zum Beispiel neulich, als ich aus dem Unterricht geflogen war.
Ich hatte nichts getan. Nur war ich leider der einzige, der das glaubte. Alle anderen glauben noch immer, ich wäre verrückt und deswegen wurde ich auch aus dem Unterricht geschmissen. Denn unsere Schule ist nicht gerade die sozialste, wenn man das so ausdrücken kann. Ich meine, es gibt hier ziemlich viel Gewalt unter den Schülern und auch die Lehrer sind manchmal beteiligt, wobei die ja eigentlich ein 'gutes' Vorbild sein sollten. Jedenfalls war ich gerade mit dem Bus in der Schule angekommen, als ich eine Schlägerei auf dem Gang bemerkte. Zwei Jungs, aus den höheren Stufen, prügelten sich und einige Schüler standen im Kreis um sie herum und jubelten. Ich drängelte mich durch die Menge und sah, wie sich die zwei Jungs schon ziemlich stark gegenseitig verletzt hatten. Beide bluteten, hatten ziemlich dicke Backen und ihre Augen waren generell schon grün und blau geschlagen.
„Hört auf! Das ist keine Lösung!“ hatte ich noch geschrien, doch die beiden hörten mich gar nicht. Oder sie wollten mich nicht hören. Also ging ich zwischen die beiden und schob sie auseinander. Dass ich mich das traute, hätte ich nie gedacht, aber ich musste die beiden unbedingt auseinander bringen. Ich drückte die beiden auseinander. Sie wehrten sich, stellten jedoch schnell fest, dass das nichts brachte. Die beiden mussten sich wohl mit den Augen lautlos verständigt haben, denn beide griffen mich dann gleichzeitig an. Das Gute: Die zwei hatten aufgehört, sich gegenseitig zu schlagen. Das schlechte: Jetzt waren sie beide sauer auf mich. Die beiden drängten mich bis an die Wände zurück, wo ich dann festhing. Die Schüler, die eben noch zugeschaut hatten, waren jetzt weiter zurückgewichen, um mir Platz zu machen. Ich hatte Angst. Wie sollte ich mit meinen fast 11Jahren denn gegen zwei 17 – jährige Jungs ankommen? Das konnte ich nicht! Sie konnten also machen, was sie wollten. Ich könnte mich nicht wehren. Die beiden kamen, die Hände zu Fäusten geballt, immer weiter auf mich zu. Ich machte mich so klein, wie es nur ging, doch schnell hatten sie sich dicht vor mich gestellt und sahen mich mit einem Blick an, der „Du bist jetzt dran, Kleiner!“ heißen könnte. Einer streckte seine Hände nach mit aus, um mich zu schlagen, doch ich schlug sie noch tapfer weg. Und auch diesmal spürte ich Wut und Angst in mir, doch plötzlich kribbelte mein Bauch und ich wusste, es würde alles gut werden. Denn wie auch bei der anderen Erinnerung flogen die beiden bis zur gegenüber liegenden Wand, wo sie beide reglos liegen blieben. Meine Mitschüler sahen mich mit Abscheu und Unglauben an.
Seit dieser Geschichte galt ich in meiner Schule als Weichei. Obwohl ich mich doch recht gut geschlagen hatte gegen die beiden, wie ich fand.
„Sie kommen!“ hauchte meine Mutter nervös und rannte zur Tür. Ich saß noch immer auf meinem Stuhl und starrte die Wand an.
„Mr. Hawkings! Haben sie gut hergefunden?“ fragte meine Mutter und man merkte ihr deutlich an, wie nervös sie war. Ich dagegen war die Ruhe in Person, als ich aufstand und ebenfalls zur Tür ging.
Außer dem Chef meiner Mutter stand dort noch eine mir unbekannte Frau, vermutlich die Frau vom Chef, und schüttelte meiner Mutter gerade die Hand. Dann kam sie zu mir und gab mir ebenfalls die Hand.
„Isabelle Hawkings.“ stellte sie sich vor.
„Emilia … „ murmelte ich und ließ ihre Hand los, denn plötzlich hatte ich einen heftigen Schlag bekommen, so in etwa wie wenn man einen Stromschlag bekommt. Es tat eben weh. Ich sah meine Mutter schief an. Dann betrachtete ich die beiden Personen genauer.
Der Mann trug eine lange schwarze Robe und eine Art Umhang. Er hatte außerdem kurze schwarze Haare und sah auch etwas unheimlich aus.Er war nicht unbedingt dünn, man sah ihm deutlich an, dass es ihm an Geld bestimmt nicht mangelte. Sein Gesicht war eher markant und er hatte einen kleinen schwarzen Bart.
Die Frau trug ebenfalls eine lange Robe. Sie war grau und sah etwas mitgenommen aus, denn die Robe hatte keine Ärmel. Isabelle hatte lange blonde Haare, die sie offen trug, blaue Augen und schien, genau wie ihr Mann, so um die Mitte 30 zu sein.
„Wollen Sie einen Tee?“ fragte meine Mutter höflich, um die Stille zu überbrücken. Die beiden nickten eifrig und meine Mutter verschwand wortlos in der Küche, wo sie auch schon zu werken anfing.
„Setzen Sie sich doch. Es ist doch bestimmt unbequem, die ganze Zeit zu stehen.“ murmelte ich und deutete auf das Sofa im Wohnzimmer, wo sie sich setzen konnten. Ich ging vor und setzte mich in den Sessel gegenüber der Couch. Die beiden folgten mir auf dem Fuße und begaben sich auf das Sofa.
„Was arbeiten Sie denn so, Mr. Hawkings?“ fragte ich neugierig. Ich hatte nämlich noch immer keine Ahnung, wer er war oder was er machte.
„Ich bin Minister und arbeite im britischen Ministerium.“ antwortete er. „Genau wie meine Frau hier.“ fügte er noch hinzu und deutete auf seine Frau. Dann trat wieder Stille ein. Es schien nicht so, als wäre er gerade zum Reden aufgelegt. Also schwieg ich auch, ich wollte ja auch nicht unhöflich sein. Nach einigen Minuten kam meine Mutter mit drei Tassen Tee aus der Küche und lächelte mich an, als sie sah, dass wir bereits auf dem Sofa saßen. Sie stellt jeweils eine Tasse zu Isabelle und die andere zu William. Dann setzte sie sich in den Sessel neben mir und sah ihren Chef an.
„Emely, Sie wissen, warum ich hier bin?“ fragte Mr. Hawkings und sah meine Mutter an, die nickte. „Haben Sie Ihrer Tochter schon etwas gesagt?“ fragte er weiter.
„Nein Sir, ich dachte, das würde sie nur unnötig in Gefahr bringen.“ murmelte meine Mutter und sah gar nicht glücklich mit der Situation aus.
„Redet ihr über mich?“ fragte ich vorsichtig. Ich wollte nichts falsches sagen, war aber dennoch neugierig. Außerdem glaubte ich nicht, dass Mr. Hawkings mir vorhin bei seinem Job alles gesagt hatte. Er war nervös gewesen, als würde er etwas verheimlichen. Nur was?
„Ja Emilia. Vorhin – als du mich nach meinem Job gefragt hast – habe ich etwas weggelassen. Und zwar arbeite ich nicht im britischen Ministerium, denn wie du sicher weißt, gibt es so etwas auch nicht. Ich arbeite im britischen Zaubereiministerium.“ erklärte Mr. Hawkings.
„Zauberei?“ fragte ich verwirrt. „Wollen Sie mir gerade erzählen, dass es so etwas wie Zauberei wirklich gibt?“
„Genau das will ich. Und du, Emilia, bist Teil davon. Auch du bist ein Zauberer.“ Ich starrte ihn an. Mit offenem Mund und weit aufgerissenen Augen sah ich ihn an.
„Meinen Sie das Ernst?“ fragte ich. „Es gibt wirklich Zauberei?“
Mr. Hawkings nickt. „Ich bin der Zaubereiminister. Der Oberste der Zauberei, der, der alles bestimmen darf.“ Sprachlos sah ich meine Mutter an, die einfach nur nickte und mich anlächelte.
„Machen Sie das immer? Bei den jungen Zauberern vorbeischauen und ihnen sagen, sie sind Zauberer?“ fragte ich neugierig.
„Nein. Du bist eine Ausnahme. Warum, wirst du eines Tages verstehen, noch ist es zu früh.“ erklärte er mir und sah mich aufmunternd an. „Ich habe mir auch die Freiheit genommen, und mir von Hogwarts, Schule für Hexerei und Zauberei, den Brief für dich zukommen lassen. Ich wollte ihn dir persönlich geben!“ Er suchte in seinem langen Umhang, der wahnsinnig viele Taschen hatte, wie ich feststellte, bis er einen blauen Brief herauszog und ihn mir in die Hand drückte. Auf der einen Seite stand meine Adresse mit smaragdgrüner Tinte geschrieben, auf der anderen war ein purpurnes Siegel aus Wachs. Auf dem Siegel war ein Wappenschild eingeprägt: ein Löwe, ein Adler, ein Dachs und eine Schlange, die einen Kreis um den Buchstaben 'H' schlossen. Ich drehte den Brief um bis ich mir sicher war, ihn genug angestarrt zu haben. Dann machte ich ihn auf und holte drei Blätter aus dem Umschlag. Ein Brief, ein Zettel, auf dem einige Sachen draufstanden, und noch ein anderer Brief.
Ich las mir den ersten Brief durch:
Hogwarts-Schule für Hexerei und Zauberei
Schulleiter: Minerva McGonagall
Sehr geehrte Mrs. Sheppard,
wir freuen uns, Ihnen mitteilen zu können, dass Sie in der Hogwarts-Schule für Hexerei und Zauberei aufgenommen sind. Beigelegt finden Sie eine Liste aller benötigten Bücher und Ausrüstungsgegenstände, und in Ihrem Fall auch noch einen Brief des ehemaligen (gestorbenen) Schulleiters Albus Dumbledore.
Das Schuljahr beginnt am 1.September. Wir erwarten Ihre Eule spätestens am 31. Juli.
Mit freundlichen Grüßen
Minerva McGonagall
Schulleiterin
Ich schaute sprachlos zu dem Zaubereiminister. Er sah mich lächelnd an.
„Ja. Du bist wirklich dort aufgenommen.“ meinte er, als hätte er gewusst, was ich gerade dachte.
„Ich kann es kaum glauben!“ murmelte ich und sah mir den Brief wieder an. Dann erinnerte ich mich daran, dass dort noch ein anderer Brief war. Der von Albus Dumbledore.
„Wenn Albus Dumbledore tot ist, wie kann er mir dann schreiben?“ fragte ich den Zaubereiminister verwirrt.
„Weißt du, es gibt einige Leute, die sterben nicht. Sie werden dann zu Geistern. Und Albus Dumbledore ist einer von ihnen. Er wird dich in Hogwarts mit etwas Glück auch unterrichten.“ erklärte mir der Zaubereiminister. Ich nickte nur und zog dann den Brief von Albus aus dem Umschlag.
Liebe Emilia,
Du hast die Ehre, persönlich von mir angeschrieben zu werden, weil ich dir einen Vorschlag machen werde. Ich sorge mich bereits seit einigen Jahren um deine Sicherheit, und befürchte schon seit langem einen Angriff. Warum, und wie es dazu gekommen ist, dass ich mir Sorgen um dich mache, wirst du nach und nach in Hogwarts erfahren. Vorausgesetzt, du kommst nach Hogwarts. Hier mein Vorschlag: Ich habe einige Vertraute, die deine Lebensgeschichte kennen, doch ich kann ihnen nicht genug vertrauen, dass ich dich zu ihnen schicken kann. Deswegen habe ich mir überlegt, du wirst ab sofort bei einem von mir eher unbeliebten Mann wohnen. Ich bin mir sicher, er kann hervorragend auf dich aufpassen und vor allem wird dich dort auch niemand suchen. Überlege es dir! Der Zaubereiminister ist eingeweiht, erzähl ihm, wie du dich entschieden hast.
Albus Dumbledore
Ich atmete tief ein. Albus Dumbledore, der mich wohl nicht einmal kannte, sorgte sich um meine Sicherheit. Sollte das etwa ein Scherz sein? Wenn ja, dann ein schlechter. Ich wollte nicht weg von hier. Auch wenn meine Mutter kaum Zeit für mich hatte, zuhause war es doch immer am Schönsten.
„Was steht drin?“ erkundigte sich meine Mutter, als sie meinen Gesichtsausdruck sah.
„Albus Dumbledore möchte, dass ich bei einer anderen Zauberfamilie wohne, bis ich nach Hogwarts kann.“ murmelte ich. Doch meine Mutter nickte nur kurz. Sie schien es gewusst zu haben.
„Du wusstest es.“ sagte ich und sah ihr dabei tief in die Augen.
„Ich wusste, dass es irgendwann mal so kommen würde.“ meinte sie abwehrend und verschränkte ihre Arme vor der Brust. „Du musst das machen. Hier, bei mir, bist du nicht sicher. Ich kann dich nicht beschützen.“
„Wieso denn nicht?“ flüsterte ich leise.
„Ich habe meine Zaubererausbildung damals abgebrochen. Ich bin keine ausgebildete Hexe. Du musst das tun, hörst du!“ sagte sie laut und redete wild auf mich ein. Ich nickte bloß.
„Du wirst es also machen?“ fragte der Zaubereiminister und stand auf. Er lief nervös am Fenster herum und sah die ganze Zeit nach draußen, als lauerte dort etwas ganz gefährliches. Doch ich glaubte, er brauchte einfach nur etwas zu tun.
„Ja, werde ich.“ sagte ich mit fester Stimme, was ich von mir gar nicht erwartet hätte. Meine Mutter lief ebenso nervös im Zimmer umher und so langsam begann ich daran zu zweifeln, dass wir nicht doch beobachtet wurden. Von wem auch immer, aber auch ich spürte die seltsame Bedrohung auf einmal.
„Wir müssen hier weg.“ entschied der Zaubereiminister und packte mich am Handgelenk. „Pack deine Sachen. Schnell!“ rief er und ging wieder zum Fenster. Meine Mutter und seine Frau waren ebenso zum Fenster gerannt und blickten nach draußen. Eilig rannte ich in mein Zimmer, zog meinen Koffer unter dem Bett hervor und stopfte einige Kleidungsstücke rein. Inzwischen war ich mir relativ sicher, dass dort unten etwas gefährliches lauerte. Auch wenn ich nicht sagen konnte, was oder wieso. Als nichts mehr in die Tasche hineinpasste, nahm ich sie mit und sprintete nach unten, wo sie immer noch am Fenster standen. Unverwandt blickten sie hinaus in den Garten.
„Ich bin soweit!“ rief ich und sprang die letzten beiden Treppenstufen hinunter. Der Zaubereiminister drehte sich um und deutete auf den Kamin. „Ist der mit dem Flohnetzwerk verbunden?“ fragte er meine Mutter. Sie nickte abwesend und starrte weiterhin aus dem Fenster.
„Flohnetzwerk?“ fragte ich neugierig.
„Damit kannst du von einem Kamin in den anderen reisen. Ist fast wie Apparieren. Nur eben mit einem Kamin.“ erklärte meine Mutter, ohne vom Fenster wegzuschauen.
„Bella, kannst du vorgehen?“ fragte der Zaubereiminister seine Frau. Diese nickte nur, zog einen kleinen weichen Beutel aus ihren Taschen und nahm sich eine Hand voll. Es sah von weitem aus wie Sand.
Dann ging sie zu unserem Kamin, ich folgte ihr, weil ich neugierig war, was als nächstes passieren würde. Isabelle stellte sich in den dreckigen Kamin, was ich ehrlich gesagt niemals von ihr erwartet hätte, und sagte „Winkelgasse!“, während sie ihre Handvoll auf den Boden des Kamins fallen ließ. Es macht nur 'Puff' und schon war sie nicht mehr da. Ich starrte mit offenem Mund zu der Stelle, wo sie eben noch gestanden hatte.
„Wo ist sie hin?“ fragte ich geschockt und sah den Zaubereiminister an.
„In die Winkelgasse. Am besten gehst du als nächstes. Mach genau das, was auch meine Frau getan hat. Und immer schön deutlich sprechen!“ murmelte er, drehte sich um und ging zum Fenster. Dann fiel ihm wohl ein, dass ich keinen Sand hatte und zog seinen eigenen Beutel heraus, den er mir hinhielt. Ich nahm mir wie auch seine Frau eine Handvoll und ging zum Kamin. Dann betrachtete ich ihn argwöhnisch und etwas ängstlich. Wo würde ich ankommen? Würde es überhaupt funktionieren?
Langsam ging ich in den Kamin hinein und sah ein letztes Mal zu meiner Mutter und dem Zaubereiminister.
„Winkelgasse!“ rief ich dann laut und ließ den Sand fallen. Vorsichtigshalber schloss ich meine Augen. Ich wollte gar nichts sehen. Ich spürte, wie ich hochgehoben wurde und es um einige Ecken ging, wie in einem Fahrstuhl, der allerdings nicht nur hoch und runter fahren kann, sondern auch noch nach links und rechts. Nach einigen Sekunden war es dann vorbei. Ich hatte wieder festen Boden unter den Füßen. Erleichtert riss ich meine Augen auf und sah mich um.
In der Winkelgasse herrschte ein reges Treiben. Viele Zauberer, also Menschen mit seltsamen Hüten, zu denen ich auch gehören würde, liefen mit ihren Kindern umher und sahen sich Waren im Schaufenster an. In einem Fenster konnte ich Besen erkennen, um das Fenster standen viele Kinder herum. Auf einem großen Laden, der an der Ecke stand, stand mit großen Buchstaben Ollivander geschrieben. Auf einem anderen Weasleys Zauberhafte Zauberscherze.
Ich suchte nach Isabelle. Ich fühlte mich hier zwar irgendwie zu Hause, doch fühlte ich mich ein bisschen allein gelassen und fehl am Platz. Schließlich war ich das erste Mal hier und ich kannte weder die Läden, noch die Menschen hier.
Langsam wanderte ich durch die Menge der Leute. Oft wurde ich angerempelt oder jemand schubste mich, doch das war nicht weiter schlimm. Natürlich hätte es mich aufregen müssen, aber ich war in diesem Moment einfach glücklich, dass ich bald nach Hogwarts gehen würde und ein neues Leben anfangen könnte. Unbeabsichtigt landete ich dann vor einem Laden, der den Namen Molly's beste Besen hatte. Ich quetschte mich durch die Kinder, die vor dem Schaufenster standen, und betrachtete die Besen, die dort ausgestellt waren. Nimbus 2002 stand in großen Buchstaben auf einem. Auf einem anderen stand Feuerblitz 1001 drauf.
„Der Feuerblitz ist der schnellste Rennbesen auf der Welt!“ behauptete ein Junge neben mir.
„Aber auch der teuerste! Den kann sich doch niemand leisten!“ empörte sich ein anderer.
„Was macht man denn mit den Besen?“ fragte ich und fühlte mich leicht dumm. Alle wussten so viel über Hogwarts, nur ich wusste bisher kaum etwas.
Der Junge, der als erstes gesprochen hatte, sah mich schief an. „Du weißt nicht, was man mit einem Besen macht?“ fragte er erstaunt. Mit seinen schwarzen Haaren und dem schmalen, dunklen Gesicht und dem ernsten Ausdruck im Gesicht sah er älter aus, als er war. Wahrscheinlich war er so in meinem Alter.
Ich schüttelte den Kopf. „Ich weiß gar nichts über Hogwarts. Nur, dass es eine Zauberschule ist und dass dort nur Zauberer und Hexen hingehen.“
Der Junge nickte. „Du stammst von Muggeln ab?“ fragte er.
„Muggeln?“ erwiderte ich neugierig.
„Nichtmagische Menschen. Leute, die nicht zaubern können.“ murmelte der Junge, der sich vorhin empört hatte. Er hatte blonde, lockige Haare und eine schwarze Brille. Er sah aus wie ein Streber.
„Nein. Meine Mutter ist eine Hexe. Und mein Vater war auch in Hogwarts, also muss er auch ein Zauberer gewesen sein.“ erklärte ich. „Ich bin nur eben ohne Zauberei aufgewachsen …“
„Meine Familie besteht nur aus Hexen und Zauberern. Alle meine Vorfahren waren in Hogwarts. Und alle in Ravenclaw!“ meldete sich der erste Junge wieder zu Wort. Er schien stolz darauf zu sein, dass seine Vorfahren in Ravenclaw waren.
„Ravenclaw?“ fragte ich verwirrt.
„Ja Hogwarts ist in vier Häuser eingeteilt. Ravenclaw, Hufflepuff, Slytherin und Gryffindor. Du wirst am Anfang des Jahres in ein Haus eingeteilt und in dem bleibst du die sieben Jahre, wenn du UTZ machen willst.“
Ich nickte. Verstanden hatte ich noch längst nicht alles, doch ich wollte auch nicht zu blöd dastehen. Ich wollte ja schließlich noch Freunde finden in Hogwarts.
„Wie heißt du eigentlich?“ fragte ich den schwarz haarigen Jungen.
„Logan Thomas. Und du?“ erwiderte er und zog mich etwas aus der Menge. Denn um das Schaufenster scharrten sich immer mehr Kinder.
„Emilia Sheppard.“ lächelte ich ihn an. Ich war froh, schon jemanden zu kennen. „Bist du auch neu?“
„Erste Jahr Hogwarts. Vielleicht kommen wir ja in dasselbe Haus.“ meinte er zwinkernd.
„Fände ich echt cool. Ich kenne nämlich noch niemanden hier!“ murmelte ich und sah mich um. Ich hatte Isabelle und den Zaubereiminister noch immer nicht gefunden. Beziehungsweise, sie hatten mich noch nicht gefunden. Ich konnte sie ja schlecht suchen gehen, denn dann würde ich mich wahrscheinlich verlaufen.
„Ich kenne schon einige hier. Wie gesagt, meine ganze Familie war in Hogwarts und meine Eltern haben wirklich viele Freunde. Aber eigentlich sind alle ganz nett. Man kann sich mit allen ziemlich schnell anfreunden!“ lachte er. „Was macht denn der Zaubereiminister hier?“ fragte er dann verwirrt.
„Oh … ich glaube, er sucht mich. Komm mit!“ sagte ich zu ihm und rannte zu Mr. Hawkings. Logan folgte mir etwas verwirrt.
„Emilia! Meine Frau hat dich überall gesucht.“ sagte der Zaubereiminister vorwurfsvoll.
„Tut mir Leid. Ich hab sie ja auch gesucht. Aber nicht gefunden und dann bin ich halt zu den Besen gegangen …“ ich schaute ihn entschuldigend an. „Ich hab jemanden kennen gelernt und hab mich dann noch mit ihm unterhalten …“ ich zeigte auf Logan.
Der Zaubereiminister nickte nur. „Logan Thomas, richtig? Ich kenne deinen Vater.“
Logan nickte. „Und ich kenne Sie, Sir!“ Er lächelte mich angriffslustig an.
Auch der Zaubereiminister lächelte leicht. „Emilia, wir müssen noch deine Sachen besorgen, kommst du?“ fragte er an mich gewandt. Logan drehte sich zu mir um und sein Gesicht sagte ungefähr: „Du gehst mit dem Zaubereiminister shoppen!? Wie geil!“
Ich nickte dem Zaubereiminister zu. Dann wandte ich mich an Logan: „Wir sehen uns in Hogwarts!“
Er lächelte mich an. „Aber klar doch!“ Dann ging er wieder zurück zu dem Schaufenster mit den Besen.
Ich lief schnell Mr. Hawkings hinterher, damit ich ihn nicht wieder verlieren konnte. Wir blieben vor einem Laden mit dem Namen Flourish & Blotts stehen. So viel ich durch das Fenster erkennen konnte, war es ein Buchladen. Zusammen gingen wir hinein und schon umfing uns ein mir bestens bekannter Geruch. Der Geruch nach neuen und alten Büchern – nach Wissen. Und ich liebte diesen Geruch.
In dem Laden waren Reihe um Reihe Bücherregale aufgestellt, bis oben hin mit Büchern voll gestellt. Ich lief kreuz und quer durch die Regale und nahm alle interessant klingenden Bücher mit. Der Zaubereiminister holte währenddessen meine normalen Schulbücher, die ich für den Unterricht brauchte. Nach einer halben Stunde trafen wir uns dann wieder vorne an der Kasse. Er sah mich überrascht an. „So viele Bücher ließt du?“ fragte er erstaunt.
Ich nickte. „Ich liebe lesen. Und ich muss doch so viel aufholen. Die anderen wissen alle so viel über Hogwarts!“
Der Zaubereiminister stimmte mir zu und nahm mir meine Bücher ab. Damit ging er dann zur Kasse und bezahlte.
Bisher war mir gar nicht so aufgefallen, dass seine Frau fehlte, doch irgendwie hatte ich das Gefühl, sie würde auch erst einmal nicht wiederkommen …
Ich war so in Gedanken, dass ich erst gar nicht merkte, wie der Zaubereiminister aus dem Laden kam. Ich hatte nicht mal gewusst, dass ich aus dem Laden gegangen war.
„Irgendetwas ist hier komisch … Unheimlich!“ murmelte ich. Mr. Hawkings sah mich an.
„Was meinst du?“ fragte er unsicher.
„Wo ist Ihre Frau?“ erwiderte ich.
„Ich weiß es nicht … Sie wollte hier her kommen und uns treffen, doch irgendwie habe ich auch das Gefühl, sie wird nicht hier auftauchen.“ meinte er jetzt auch beunruhigt.
„Sehen Sie! Etwas ist unheimlich hier.“ meinte ich und ging weiter weg von der Tür, denn andauernd wurde ich von Leuten angerempelt, die Bücher kaufen wollten.
„Dann sollten wir uns wohl beeilen.“ murmelte der Zaubereiminister und ging zum nächsten Laden.
Ollivanders stand mit großen Buchstaben oben drüber.
Ich folgte dem Zaubereiminister nach drinnen und stellte mich vor die Theke. In dem Laden roch es muffig, überall klebte Staub dran und es leuchtete nur eine einzige kleine Kerze, die den gesamten Raum erhellen musste. Ich wartete, und als keiner kam, drückte ich einmal kurz auf die Klingel, die auf der Theke stand, und schon fing es hinten im Laden an zu rumoren.
„Hallo?“ rief ich durch den Laden.
„Ahh Mrs. Sheppard. Ich habe mich schon gefragt, wann Sie hier auftauchen würden.“ kam da ein alter Zauberer von dem hinteren Teil des Ladens angerannt. Seine sanfte Stimme hallte durch den kleinen Laden und seine leuchtenden, blasssilbernen Augen sahen mich forschend an.
„Woher kennen Sie mich, Sir?“ fragte ich verwirrt. Ich konnte mich nicht erinnern, ihn schon einmal gesehen zu haben.
„Man munkelte, Sie würden dieses Jahr ihren Weg nach Hogwarts antreten. Außerdem kannte ich Ihren Vater. Sehr kluger Mann, wenn Sie mich fragen.“ murmelte er, dann verschwand er wieder nach hinten. Nach einigen Sekunden kam er mit einer braunen, älteren Box wieder nach vorne und holte eine Art Stab heraus. Ein Zauberstab, wie ich annahm.
Aber wofür brauchte man einen Zauberstab, wenn man auch so zaubern konnte?
„Schauen wir mal, ob der hier für Sie bestimmt ist. Englische Eiche, Phönixfeder, 11 Zoll.“ Der Mann gab mir den Zauberstab in die Hand und sah mich aufmerksam an. Mich durchflutete eine innere Wärme, wohlig warm, als könnte mir niemand etwas anhaben. Ich war mir ziemlich sicher, den richtigen Zauberstab gefunden zu haben.
„Du musst ihn schwingen.“ meinte er, als ich nichts machte. Ich schwang ihn. Sofort kamen bunte Farben aus meinem Zauberstab und explodierten wie bei einem Feuerwerk. Es war ein wunderschöner Anblick.
„Das ist Ihr Zauberstab. Seltsamerweise haben Sie eine Mischung aus dem Zauberstab Ihres Vaters und dem Ihres stärksten Feindes. Das ist durchaus ungewöhnlich. Und ich spüre, dass Sie besser zu Ihrem Zauberstab passen, als es bisher jemand getan hat.“ murmelte er hektisch. Dann kam der Zaubereiminister, der sich bisher im Hintergrund gehalten hatte, zu uns an die Theke und legte ein paar Goldstücke auf den Tresen. Ich ging schon mal mit meinem neuen Zauberstab nach draußen, denn dort drin frische Luft zu bekommen, gestaltete sich wirklich zunehmend immer schwerer. Während ich auf den Zaubereiminister wartete, beobachtete ich die anderen Kinder und hielt weiterhin Ausschau nach Isabelle. Doch als Mr. Hawkings aus dem Laden kam, hatte ich sie noch immer nicht gefunden.
„Wir müssen noch dort drüben rein!“ murmelte er hektisch und rannte nach drüben. Madame Malkins Anzüge für alle Gelegenheiten. Ich sprintete hinter ihm her und machte die Tür auf. Ein wohlig warmer Duft empfing mich, als ich rein ging. Alles wirkte so schön ordentlich und gepflegt, ganz anders wie bei Ollivanders. Und darüber war ich wirklich froh.
Eine kleine, stämmige Frau mit einer wirklich hohen Stimme piepste, die von Kopf bis Fuß malvenfarben gekleidet war: „Hogwarts, meine Liebe?“
Ich nickte bloß, wusste nicht, was ich sonst hätte sagen sollen. Sie zog mich nach hinten in den Laden hindurch und dirigierte mich dann auf einen an der Wand stehenden Hocker, wo ich mich daraufstellen sollte. Dann kam sie mit Maßband und Schere wieder und ließ einen Umhang über meinen Kopf gleiten. Dann steckte sie mit Nadeln die richtige Länge ab und musterte mich.
„Du bist ein wirklich hübsches Mädchen, weißt du das?“ fragte sie mich in Gedanken. Dann verschwand sie mit dem abgesteckten Umhang und ging wieder nach vorne in den Laden, wo der Zaubereiminister vor der Tür stehen geblieben war.
Nach einiger Zeit ging die Tür vom Laden erneut auf und ein blonder Mann kam mit einem blonden Jungen herein, der wohl auch in etwa in meinem Alter war.
„Dad, musst du mit reinkommen? Ich kann das auch allein!“ maulte der Junge und ich fand ihn von Anfang an sympathisch.
„Ja, mein Sohn, das muss ich! Und jetzt mach!“ murmelte er, doch ich konnte ihn perfekt verstehen. Der braunhaarige, blasse Junge nickte nur und kam auf mich zu. Dann stellte er sich auf den Hocker neben mir und sah mich an.
„Auch neu?“ fragte er mich neugierig.
Ich nickte. „Ganz neu. Diese Welt ist etwas ganz neues für mich!“ lächelte ich ihn an.
Er lächelte zurück. „Für mich nicht. Ich bin damit aufgewachsen. Aber es ist auch mein erstes Jahr in Hogwarts. Ich hoffe natürlich, ich komme nach Slytherin. Meine ganzen Vorfahren waren dort: Mein Dad, meine Mum, mein großer Bruder. Alle waren dort. In welches Haus möchtest du?“
„Weiß ich ehrlich gesagt noch nicht. Ich kenne ja alle nicht, also ist mir das eigentlich egal.“ murmelte ich. Ich verstand nicht mal so wirklich, wozu die Häuser überhaupt gut waren oder welche es überhaupt gab. Von alldem hatte ich keine Ahnung.
„Ist das dort draußen nicht der Zaubereiminister? Der Typ, der sich mit meinem Dad unterhält?“ fragte der Junge irritiert. „Was macht denn der Zaubereiminister hier?“ Er runzelte die Stirn.
„Er ist wegen mir hier. Er geht mit mir meine Sachen für Hogwarts einkaufen.“ sagte ich und zeigte auf Mr. Hawkings, der draußen vor der Tür noch immer angelehnt am Fenster stand und sich gerade mit dem Vater des Jungen unterhielt.
„Wie heißt du eigentlich?“ fragte ich ihn, um von dem Thema abzulenken. Allzu viel durfte ich ihm über den Ausflug mit dem Zaubereiminister nicht erzählen.
„Scorpius. Scorpius Malfoy.“ antwortete er und sah sich um, wann denn endlich Madam Malkins wieder kommen würde.
„Emilia Sheppard.“ murmelte ich. „Wann kommt denn die Verkäuferin endlich wieder? Ich stehe hier schon seit einer halben Stunde!“
„Die lässt sich immer Zeit.“ lachte Scorpius. „Mit deiner Art würdest du wirklich perfekt nach Slytherin passen.“
Ich zuckte mit den Schultern. Mir war das eigentlich egal, in welches Haus ich kommen würde. Hauptsache ich würde ein paar nette Leute treffen.
„Moment … Malfoy, sagtest du? War da nicht irgendwas mit Harry Potter? Und Dumbledore?“ fragte ich hellhörig.
Er nickte. „Leider. Damit ist mein Dad gemeint. Er hat Dumbledore umgebracht, na ja mehr oder weniger. Jedenfalls war es seine Schuld, dass Dumbledore gestorben ist. Er bereut es … Aber mittlerweile sind Dumbledore und mein Dad Freunde geworden, glaube ich.“ erklärte mir Scorpius und sah mich an. In seinem Gesicht spiegelte sich Angst.
„Okay. Das war im Krieg oder?“ fragte ich.
„Genau. Woher weißt du so viel, wenn du doch bis vor ein paar Stunden gar nicht wusstest, dass du ein Zauberer bist?“ erwiderte Scorpius.
„Schon mal ein Buch von hinten betrachtet?“ lachte ich und schüttelte den Kopf. Er sah mich verwirrt an. „Hinten auf Büchern steht immer ein Inhaltsverzeichnis. Ich war gerade Bücher kaufen und da hab ich eins über den Krieg gefunden.“ erklärte ich noch immer grinsend.
„Du liest Bücher?“ fragte mich Scorpius spöttisch.
„Stell dir vor!“ Ich rollte mit den Augen.
Da kam endlich Madam Malkins von vorne und hielt mir ein Stück Stoff in die Hand. Es war mein neuer Umhang. Er war ganz in schwarz und fühlte sich von innen wohlig warm an.
Ich nickte Scorpius nochmal zu. „Wir sehen uns im Zug!“ rief ich, dann ging ich aus der Tür. Mr. Hawkings und Scorpius' Dad unterhielten sich angeregt miteinander. Ich räusperte mich und trat dann neben die beiden.
„Fertig.“ sagte ich und hielt meinen Umhang hoch. Der Zaubereiminister nickte.
„Du bist also Emilia?“ fragte mich dann Scorpius' Dad.
„Genau die bin ich. Und Sie sind Scorpius' Dad!“ murmelte ich.
„Nenne mich doch Draco.“ sagte er. „Du weißt, was Dumbledore mit dir vorhat?“
„Zum Teil. Wieso denn?“ fragte ich neugierig. Vielleicht wusste er ja etwas mehr als ich. Schließlich war er anscheinend ja mit Dumbledore befreundet … was ich mir nicht vorstellen konnte, bei der Tatsache, dass Draco Dumbledore umgebracht hatte. Wie konnte Dumbledore Draco das denn verzeihen?
„Weil du die nächsten Tage, bis zum Schulanfang, bei mir wohnen wirst, sofern du es möchtest.“ sagte er und lächelte mich herzlich an. Ich war hin- und hergerissen. Einerseits war er nett und höflich, andererseits hatte er aber Dumbledore umgebracht …
„Klar. Würde ich echt gern. Danke!“ sagte ich dennoch. Einfach weil ich so Scorpius besser kennen lernen konnte. Und weil ich nicht mehr zu meiner Mutter zurückkonnte, schließlich war ja … Ein Schock durchzuckte mich. Was war mit meiner Mutter? Hatte sie den Angriff von wem auch immer überlebt? Wenn ja, wie ging es ihr jetzt?
Ich machte mir Sorgen um sie.
„Sir, was ist mit meiner Mutter?“ fragte ich vorsichtig an den Zaubereiminister gewandt.
„Sie ist in Sicherheit. Ihr geht es gut.“ beruhigte er mich. Ich nickte und ich fühlte mich auch schon ein wenig besser.
„Ich muss dann auch los, Mr. Malfoy, Sie werden sie doch noch schnell ins Eulenkaufhaus begleiten, nehme ich an?“ fragte der Zaubereiminister.
„Aber natürlich! Mein Sohn muss dort auch noch hin.“ antwortete Draco. Ich konnte mich noch immer nicht ganz mit dem Gedanken anfreunden, dass ich jetzt bei einem 'Mörder' wohnen würde, bis das Schuljahr in Hogwarts beginnt.
Mr. Hawkings nickte. „Emilia, ich werde dich ab und zu besuchen kommen. Um sicher zu gehen, ob es dir gut geht. Bis dahin, viel Glück!“ Kurz winkte der Zaubereiminister noch, dann war er auch schon in der Menschenmenge verschwunden. Vielleicht geht er ja jetzt seine Frau suchen, überlegte ich.
Eine unangenehme Stille machte sich bei uns breit. Keiner wusste so recht, was er sagen sollte.
„Wann geht das Schuljahr in Hogwarts los?“ fragte ich.
„Am 1.September. Um 11Uhr fährt der Hogwarts Express am Gleis 9 ¾ ab.“ erklärte er langsam.
Ich nickte und überlegte, den wievielten wir heute wohl hatten. Wir hatten heute, glaubte ich zumindest, den 20. Juli. Das heißt, ich würde so um die zehn Tage bei den Malfoys wohnen. Wer wohl Scorpius Mutter war …
Ich sah mich um. Was anderes fiel mir gerade nicht ein und mir war furchtbar langweilig.
Noch immer rannten viele Leute mit komischen Hüten umher, auch wenn es schon fast Nacht sein musste. 'Musste' weil ich nicht wirklich wusste, wie spät es war. In der Winkelgasse war es noch taghell, aber dennoch konnte es ja Nacht sein.
„Wie spät ist es?“ fragte ich in Gedanken.
„Kurz nach 23Uhr.“ murmelte Draco und versetzte sein Gewicht immer wieder von einem Bein auf das andere. Es wirkte, als sei er nervös. Mehr als nervös. Er schien sich wirklich unbehaglich zu fühlen.
Endlich kam dann Scorpius aus dem Laden und hielt genau wie ich einen schwarzen Umhang in der Hand.
„Die hatte es wirklich nicht eilig.“ stöhnte Scorpius. „Sie war mal wieder extra langsam!“
„Ich denke, sie ist immer so langsam?“ fragte ich belustigt.
„Ja ist sie ja auch!“ maulte Scorpius. Ich musste lachen. Es hatte sich gerade wirklich albern angehört.
„Wo ist denn der Zaubereiminister hin? Hat er dich stehen lassen?“ fragte er geschockt.
„Nein. Emilia wird bis zum Schuljahresanfang bei uns wohnen. Es wäre für sie zu gefährlich, weiterhin bei ihrer Mutter zu leben.“ murmelte Draco und setzte zum Gehen an. Wir rannten hinter ihm her. Scorpius starrte mich ungläubig an, doch ich zuckte nur mit den Schultern.
„Dachte, deine Mutter ist eine Hexe?“ fragte Scorpius.
„Ist sie ja auch. Aber sie hat ihre Zaubererausbildung abgebrochen. Also meinte sie, sie sei nicht in der Lage, mich zu beschützen, vor was auch immer.“ erklärte ich ihm ungeduldig. Ich wusste fast genauso wenig über meine Mutter wie er. Und das fand ich gar nicht gut, immerhin war sie meine Mutter!
„Wo gehen wir hin, Dad?“ fragte Scorpius.
„Eulenkaufhaus!“ kam es von vorne und wir mussten beide einige Schritte zulegen, damit wir Draco nicht verlieren würden. Wobei sich Scorpius hier bestimmt auch gut auskannte …
„Was bitte ist ein Eulenkaufhaus?“ fragte ich leise, damit es sein Vater nicht mitbekam.
„Da kannst du Eulen kaufen.“ murmelte Scorpius grinsend. Er musste sich wirklich zurückhalten, um nicht gleich loszuprusten. Ich fand das gar nicht witzig.
„Eulen? Wofür denn Eulen?“ fragte ich neugierig.
„Warte's ab. Du wirst schon sehen.“ grinste er noch immer und blieb dann stehen. Ich stellte mich neben Draco und sah dann den Laden an, vor dem wir standen.
Eylops Eulenkaufhaus
Draco sah mich noch kurz an, dann drückte er die Tür auf und ging hinein. Wir beide anderen folgten ihm auf dem Fuße. Drinnen angekommen flogen uns Unmengen Eulen um die Ohren. Doch keine versuchte zu fliehen.
Staunend stand ich an der Theke und bewunderte die Vögel. Am liebsten würde ich jetzt auch fliegen können.
„Was darf es denn für eine Eule sein?“ fragte uns eine ziemlich junge, blonde Frau und beugte sich über den Tresen.
„Einen dunklen Steinkauz bitte!“ sagte Scorpius und zeigte dabei aber auf eine ganz bestimmte Eule. Die Frau am Tresen zog ihren Zauberstab und holte die Eule widerstandslos aus der Luft. Dann übergab sie Scorpius seine Eule.
„Und du?“ fragte sie nun mich.
„Ein Waldkauz bitte.“ Auch ich hatte mittlerweile einen schönen kleinen Waldkauz gefunden. Meine Hand kribbelte, als ich mit meinem Finger auf die Eule zeigte.
Auch diese holte sie leicht herunter und gab sie mir.
Ich streichelte sie sanft und drückte sie an mich. Ich spürte, dass es ihr gefiel, da sie ihren Kopf immer weiter an meine Schulter drückte.
Draco bezahlte und zusammen gingen wir dann hinaus. Ich beschloss, meine Eule Hunter zu nennen. Ich fand den Namen hübsch und es drückte auch ein wenig ihre Haltung aus: Jäger. Sie sah aus, als wäre sie immer auf der Lauer und wäre sofort zum Angriff bereit.
„Fertig? Oder brauchst du noch etwas, Emilia?“ fragte Draco mich.
Ich schüttelte den Kopf. „Nein, Sir. Ich habe vorhin schon alles andere besorgt.“
„Gut. Dann gehen wir jetzt nach Hause.“ murmelte er und ging schnellen Schrittes zu einem Haus, als wäre es seines. Doch wie sich herausstellte, kam man von dort zu ihrem Haus und deswegen hatten sie die Erlaubnis, das Haus betreten zu dürfen. Ich jetzt natürlich auch.
Draco blieb vor einem Kamin stehen und ich ahnte schon, was jetzt kommen würde.
„Flohpulver!“ stöhnte ich laut auf.
„Nicht gerade deine Art zu reisen, was?“ zog er mich grinsend auf. Ich streckte ihm die Zunge raus. Er hatte es verdient.
„Ich dreh mich da immer in alle möglichen Richtungen. Zumindest fühlt es sich so an.“ murmelte ich leise. Draco bekam nichts von unserem Gespräch mit, er war zu sehr damit beschäftigt, das Flohpulver aus seiner Tasche zu ziehen. Als er es gefunden hatte, hielt er uns beiden den Beutel hin und wir nahmen uns jeder eine Handvoll. Dann trat Scorpius an den Kamin und sagte: „Villa der Malfoy's!“ Und weg war er.
„Du weißt, wie es geht?“ fragte mich Draco.
Ich nickte und ging dann in den Kamin. Ich atmete nochmal kurz durch und sagte dann deutlich: „Villa der Malfoy's!“, während ich das Flohpulver fallen ließ. Wieder drehte ich mich in sämtliche Richtungen und es fühlte sich an, als wären noch mehr Ecken da als letztes Mal. Als ich glaubte, mich gleich übergeben zu müssen, hatte ich plötzlich wieder festen Boden unter den Füßen. Erleichtert seufzte ich. Da erst bemerkte ich, dass Scorpius und eine Frau, vermutlich Scorpius' Mutter, mich beobachteten. Instinktiv ging ich ein paar Schritte vom Kamin weg und sah mich um.
Wir waren in einem eher altmodischen Haus, die Wände waren teilweise schon richtig zerfetzt, als hätte hier mal ein richtig schlimmer Kampf stattgefunden. Der Boden quietschte und knartschte bei jedem Schritt. „Du bist also Emilia?“ fragte mich die Frau und lächelte mich aufmunternd an.
Ich nickte. „Emilia Sheppard.“
„Mein Mann hat mir schon viel von dir erzählt. Er kannte deine Mutter.“ sagte sie freundlich. „Mich kannst du einfach Astoria nennen.“
Plötzlich knallte es einfach kurz und schon stand Draco vor dem Kamin. Er wischte sich seine staubigen Sachen ab und kam dann zu uns. Kurz küsste er seine Frau, dann sah er uns beide an.
„Wollt ihr beide nicht mal Quidditch versuchen?“ fragte er uns. Ich wusste, dass er einfach nur mit seiner Frau alleine sein wollte.
Ich nickte und zog Scorpius mit mir, der aber nicht wirklich einverstanden war, denn er wehrte sich. Erst als wir draußen standen, hörte er auf und ich sah dieses Glitzern in seinen Augen.
„Ich bring dir jetzt Quidditch bei! Zumindest fliegen, Quidditch geht schlecht zu zweit.“ sagte er und verschwand dann hinter dem im Sonnenlicht glänzenden Haus. Einige Minuten später kam er mit zwei Besen in der Hand zurück. Er lächelte mich an und gab mir einen der beiden. Dann drehte er sich um, drückte seinen Besen nach unten und hüpfte hinauf. Ich staunte, wie vertraut er mit seinem Besen war. Ich hatte noch keinerlei Vertrauen darein und wusste nicht einmal, wie ich jetzt in die Luft kommen sollte.
Da Scorpius aber schon viel zu hoch flog, um mich überhaupt zu hören, beschloss ich, dass ich es einfach mal mit der herkömmlichen Methode versuchte: Draufsetzen. Also nahm ich meinen Besen in die rechte Hand und setzte mich drauf. Als ich merkte, dass es gar nicht so schlimm war, hob ich ein Bein vom Boden weg. Ich hatte das Gefühl zu schweben, auch wenn ich noch ein Bein auf dem Boden hatte.
„Komm hoch, ist wirklich toll hier!“ schrie Scorpius von oben.
Ich konzentrierte mich auf den Besen und zog meinen zweiten Fuß vom Boden weg. Und tatsächlich, ich flog. Ich lehnte mich nach vorne, um weiter nach oben zu fliegen. Scorpius war wirklich hoch, denn ich hatte noch nicht mal die Hälfte der Höhe und hatte schon Angst.
Dann warf er etwas auf mich, ich konnte nicht mal sehen, was, doch ich reagierte so schnell und streckte einfach meine Hand aus. Ohne Nachzudenken hatte ich etwas gefangen. Ich machte meine Handflächen wir auf und zum Vorschein kam ein rundes Etwas. Ein etwas größeres rundes Etwas.
„Was ist das?“ fragte ich und warf es wieder zu ihm zurück. Zu meiner Überraschung konnte er es nicht fangen und musste es erst wieder holen, bevor er mir antworten konnte.
„Das ist ein Quaffel. Emilia, du würdest dich wirklich gut als Hüter machen. Ich hätte nie gedacht, dass du den fängst, vor allem, weil du zum ersten Mal auf einem Besen sitzt …“ murmelte er und schmiss den Quaffel ein kleines Stück hoch, um ihn dann wieder zu fangen.
„Was macht ein Hüter denn?“ fragte ich.
„Er muss aufpassen, dass keine Bälle durch unsere Torringe fliegen.“ meinte er. Sehr aufschlussreich, dachte ich mir.
„Ah.“ sagte ich und flog ein kleines Stückchen höher. Ich fand es super, auf einem Besen zu sitzen, aber dennoch etwas ungewohnt. Langsam versuchte ich auch ein paar Kunststücke, und dabei möglichst nicht herunterzufallen. Tatsächlich schaffte ich es in der Luft, mich mit meinem Besen einmal um meine Achse zu drehen. Sozusagen eine Rolle seitwärts.
Scorpius staunte nur. „Du bist sicher, dass du noch nie auf einem Besen gesessen hast?“ fragte er mich verblüfft.
„Ziemlich sicher.“ lachte ich. „Aber ich finde es super!“
„Das dachte ich mir. Das ist bei fast jedem so.“ lächelte er mich an. Dann flog auch er ein paar Runden, um sich warm zu machen. Als ich gerade einmal wegschaute und nicht ahnte, was er vorhatte, schmiss er den Quaffel auf mich so. Doch zum Glück verfehlte er mich, sodass ich in Ruhe zu dem Quaffel fliegen konnte, um ihn zu holen.
So spielten wir noch eine Weile lang Quidditch und immer wieder flog einer von uns vom Besen, was nicht weiter schlimm war, denn wir spielten nur knapp über dem Boden, sodass es nicht so wehtat. Ich fand dieses Spiel einfach toll. Es gab nichts schöneres als hoch oben zu fliegen.
Doch irgendwann wurde es dann selbst dafür schon zu dunkel und wir gingen ins Haus. Während Scorpius voraus lief, lief ich langsam hinter ihm her und sah mich um.
Das Haus war eigentlich doch recht schön eingerichtet, wenn auch etwas altmodisch. Der Flur bestand aus einem langen Gang, der in einer Treppe endete, die nach oben führte, und aus ein paar Schränken, die am Rand standen. Die Schränke waren meist verziert, mit Schnörkeln.
Scorpius jedoch lief schnurstracks nach oben, ich vermutete, dass dort wohl sein Zimmer liegen musste. Als wir die Treppe hochgestiegen waren, bog er gleich rechts ab und öffnete eine Tür, die wirklich in sein eher schlicht eingerichtetes Zimmer führte. Es stand nicht viel mehr drin, als ein Bett, ein Schrank und ein Schreibtisch. Offenbar brauchte er nicht mehr.
„Das ist mein Zimmer.“ meinte Scorpius und bestätigte somit meine Vermutungen.
„Cool. Bist du oft hier?“ fragte ich ihn.
Er schüttelte den Kopf. „Eher selten. Wenn ich zuhause bin, dann spiele ich meistens Quidditch. Allein im Zimmer zu sitzen ist sonst wirklich wahnsinnig öde.“ meinte er und setzte sich auf sein Bett. Ich setzte mich neben ihn und sah mich um.
Er hatte viele Poster an der Wand kleben, oder Bilder, die sich bewegen konnten. Ich hatte noch nie ein Bild gesehen, dass sich bewegen konnte.
„Wieso bewegen sich hier alle Bilder?“ fragte ich neugierig.
„Wir sind Zauberer. Da ist das eben so. Das wirkt irgendwie … lebendiger, finde ich.“ murmelte Scorpius und sah mich belustigt an.
„Was ist denn jetzt so lustig?“ fragte ich ihn und sah ihn mit hochgezogenen Augenbrauen an.
„Gar nichts. Wirklich. Ist schon gut.“ meinte er und schmiss sich jetzt endgültig weg vor Lachen. Ich schüttelte nur den Kopf und sah ihn mit einem Stirnrunzeln an. Was lachte er nur so? Was fand er so witzig?
Plötzlich ging die Tür auf und Draco kam hinein spaziert.
„Was ist denn hier los?“ fragte er und zeigte auf seinen Sohn.
Ich zuckte nur mit den Schultern. Ich wusste es ja selbst nicht.
„Ihr solltet langsam mal ins Bett gehen. Wir müssen morgen früh raus.“ meinte Draco und schloss dann die Tür wieder hinter sich.
„Wieso müssen wir morgen früh aufstehen?“ fragte ich verwirrt.
„Dad will, dass wir ihn auf ein Treffen begleiten. Treffen mit irgendwelchen reichen und einflussreichen Leuten, dessen Namen ich nicht mal kenne.“ murmelte er und streckte sich einmal. Dann musste er gähnen. „Ich glaube, wir gehen wirklich mal besser schlafen.“
Er stand auf und nahm sich ein paar Kleidungsstücke in die Hand, dann verschwand er. Nach einigen Minuten kam er dann in seinem Schlafanzug wieder und schickte mich ins Bad. Ich packte meinen Rucksack aus und nahm einige der wenigen Sachen heraus. Dann lief ich den beschriebenen Weg zum Bad und zog mich um. Gähnend lief ich wieder zurück in Scorpius' Zimmer, wo er schon ungeduldig auf mich wartete.
„Auch mal fertig?“ spottete er. Ich nickte nur.
„Dad sagt, du kannst auf dem Bett dort drüben schlafen!“ sagte er und zeigte in eine Ecke neben der Tür. Dort stand tatsächlich ein Bett, obwohl ich mir sicher war, dass das dort noch nicht gestanden hatte, als ich ins Bad gegangen war. Vermutlich Zauberei. Kopfschüttelnd legte ich mich in das Bett und schon nach wenigen Minuten war ich in einen traumlosen Schlaf gesunken.
Als ich erwachte, dachte ich erstmal, alles wäre nur ein Traum gewesen. Ich wäre noch zuhause bei meiner Mutter und meiner Schwester und alles wäre super. Keiner würde mich suchen, mich umbringen wollen. Doch nach ein paar Minuten, in denen sich meine Augen an das Licht gewöhnten, wusste ich alles wieder und erkannte auch Scorpius' Zimmer wieder.
Müde streckte ich mich und sah zu Scorpius. Er schlief noch, obwohl sein Vater doch gesagt hatte, wir müssten früh aufstehen. Jetzt war es aber schon fast Mittag – also meiner Meinung nach nicht mehr früh, sondern eher schon ziemlich spät. Ich beschloss, noch auf Scorpius zu warten, ehe ich heruntergehen würde. Allein traute ich mich das nicht.
Ich vertraue Draco nur in einem gewissen Maß: er würde nie etwas dummes vor seinem Sohn machen. Deswegen wollte ich auf keinen Fall mit ihm alleine in einem Raum sein, auch wenn er wohl im Moment nicht einmal zu Hause war. Schließlich wollte er ja zu einem Treffen gehen.
"Morgen." murmelte Scorpius und icu erschrak.
"Guten Morgen." murmelte ich und sah ihn an. "Wollte dein Dad nicht eigentlich mit uns zu einem Treffen?"
"Eigentlich... Vielleicht wurde es ja abgesagt!" meinte er hoffnungsvoll und krabbelte aus seinem Bett. Ich nickte nur, weil ich nicht wusste, was ich sonst hätte sagen sollen.
"Gehen wir mal nachschauen." schlug Scorpius vor und zog sich schnell um. Ich tat es ihm gleich.
"Meinst du, dein Dad wartet unten?" fragte ich ihn verwirrt, weil er so schnell war.
"Wohl kaum. Aber wenn schönes Wetter ist, können wir wieder fliegen gehen." sagte er fröhlich und rannte nach unten in die Küche. Ich schüttelte nur den Kopf und folgte ihm etwas langsamer. Wie erwartet fanden wir nur Astoria, die in der Küche herumwerkelte, und nicht Draco.
"Ist Dad schon weg?" fragte Scorpius und nahm sich ein Brötchen, das auf dem Tisch lag. Dann sah er seine Mutter an.
"Ja. Er ist früh aufgebrochen. Aber da hat sich irgendetwas geändert, deswegen dachte er, es wäre besser, euch nicht mitzunehmen." erklärte Astoria. Sie war nett, fand ich. Das Gegenteil von Draco.
"Bei ihm ändert sich ständig irgendetwas." murmelte Scorpius und verdrehte theatralisch seine Augen. Bei diesem Anblick musste ich grinsen.
"Okay gehen wir raus, Kumpel!" sagte er und klopfte mir auf den Rücken. Dann nahm er sich noch ein Brötchen und hielt es mir hin. Dankend nahm ich an und folgte ihm dann nach draußen.
Auf dem Besen zu sitzen, war das schönste Gefühl der Welt. Man fühlte sich frei, stark und dachte immer, nichts könne einem etwas anhaben. Das dem nicht so war, wusste ich natürlich, dennoch liebte ich fliegen.
„Neun Tage noch, dann sind wir endlich in Hogwarts.“ jubelte Scorpius, der neben mir flog.
„Ich freue mich auch schon!“ sagte ich grinsend und flog Scorpius hinterher.
„Welches Haus willst du?“ fragte mich Scorpius. Ich starrte ihn verwirrt an. Was gab es nochmal für Häuser? Wozu brauchte man überhaupt eines?
„Es gibt vier Häuser in Hogwarts: Slytherin, Hufflepuff, Gryffindor, Ravenclaw. Ravenclaw ist aber wirklich das Streberhaus schlechthin. Die sind den ganzen Tag nur am Lernen. Das sagte zumindest mein Cousin.“ murmelte Scorpius. „Gryffindor ist der Erzfeind von Slytherin, die verstehen sich gar nicht. Und nach Hufflepuff … nun ja, dort kommen die hin, die sonst nirgends reinpassen.“
„Ich glaube, am besten passe ich nach Slytherin oder Gryffindor.“ meinte ich. Das wären die beiden Häuser, wo ich am liebsten hin mochte.
„Slytherin ist viel besser, glaub mir. Ich wette, du kommst nach Slytherin.“ grinste Scorpius. Dann flog er davon, hoch in den Himmel, dorthin, wo ich mich nicht hintraute. Das war mir viel zu hoch. Ich seufzte. Er wollte mich unbedingt dort oben sehen, warum auch immer. Doch ich wollte nicht, ich hatte Angst.
„Komm hoch!“ rief Scorpius von oben. Er war circa zehn Meter höher als ich. Eine beachtliche Höhe.
Ich sah zu Boden, wägte die Gefahren ab, und kam schließlich zu dem Ergebnis, dass meine Angst völlig unbegründet war. Also stieg ich höher in die Luft und war schon bald neben Scorpius. Am besten nicht runterschauen, sagte ich mir immer wieder.
„Na bitte! Ist das jetzt so schlimm?“ grinste er mich an.
Ich schüttelte den Kopf. „Nein. Aber es ist trotzdem ziemlich hoch.“ murmelte ich leise.
„In dieser Höhe spielt man Quidditch, falls es dich interessiert. Wenn du hier oben Angst hast, solltest du wohl besser nicht Quidditch spielen.“ meinte er.
Ich nickte. „Dann lass ich das wohl lieber sein.“
Scorpius zuckte mit den Schultern. „Aber wenn du schon mal hier oben bist …“ Er rammte mich so schnell, dass ich gar nicht mehr reagieren konnte und schon hing ich nur noch mit einem Arm an meinem Besen. Ich versuchte, die aufkommende Panik zu unterdrücken und meine zweite Hand wieder an den Besen zu bekommen, doch mein Arm war wie gelähmt. Vielleicht gebrochen, dachte ich.
„Wieso hast du das gemacht?“ schrie ich Scorpius an.
„Damit du lernst, dass es hier oben kein bisschen gefährlich ist.“ sagte er ganz ruhig. Normal müsste er mir helfen, dachte ich bitter. Doch er blieb, wo er war, und sah mich nur amüsiert an. So langsam ließ auch die Kraft in meinem anderen Arm, mit dem ich mich noch festhielt, nach und ich merkte, dass ich nicht mehr lange konnte.
„Sieht das hier bitte ungefährlich aus!? Ich fall hier jeden Moment runter!“ schrie ich verzweifelt. In Anbetracht der Situation sollte ich ihn wohl eigentlich fragen, ob er mir hoch helfen konnte, doch dafür war ich doch noch zu stolz.
„Ja, tut es. Du müsstest dich nur wieder hochziehen!“ sagte er und zeigte auf meinen Besen. Ich schüttelte den Kopf. Ich konnte einen meiner Arme nicht mehr spüren, wie sollte ich mich mit dem dann festhalten?
„Na dann, auf wiedersehen.“ murmelte ich und ließ los. Mein Arm, mit dem ich mich festgehalten hatte, schmerzte höllisch, doch das bekam ich gar nicht mehr mit. Ich wusste, ich würde jeden Moment auf dem Boden aufschlagen. Und ich wusste, es würde nicht mehr wehtun. Doch ich flog und flog und flog, irgendwie schlug ich niemals am Boden auf. Meine Augen hatte ich geschlossen, seit ich mich hatte fallen lassen. Jetzt machte ich sie wieder auf und bemerkte, dass ich nicht weiter sank, sondern in der Luft schwebte. Ohne, dass ich etwas gemacht hatte, schwebte ich in der Luft. Ein Teil von mir war froh, nie auf dem Boden aufgeschlagen zu sein, ein anderer Teil war kurz davor, dass Bewusstsein zu verlieren. Ich sah nach unten. Ich war noch immer erschreckend hoch, es würde durchaus wehtun, wenn ich von hier auf dem Boden aufkommen würde.
Ich kann nicht mehr … , war das letzte, was mir durch den Kopf ging, als ich das Bewusstsein verlor.
Scorpius POV
Emilia rutschte ab von ihrem Besen, oder besser gesagt, sie ließ los. Einfach so. Das hatte Scorpius damit aber nicht bezweckt. Er wollte Emilia lediglich lernen, dass es hier oben wirklich nichts gab, wovor man Angst haben musste. Als er sah, wie sie in der Luft schwebte, machte er große Augen. Noch nie hatte er jemanden schweben sehen, ohne Besen. Das war nicht normal. Auch für Zauberer nicht. Aber bevor Scorpius weiter darüber nachdenken konnte, war es schon passiert …
Emilia war bewusstlos geworden. Sie schien wohl schwerer verletzt, als er, Scorpius, geglaubt hatte. Emilia flog nach unten, nun schwebte sie auch nicht mehr. Scorpius setzte zum Sturzflug an, doch er wusste, er war nicht so schnell. Scorpius schloss die Augen, schoss auf Emilia zu und hatte sie fast erreicht, als diese mit einem beängstigenden 'Knacks' auf dem Boden aufschlug. Scorpius landete neben ihr, schmiss seinen Besen weg und beugte sich über sie. Scorpius hatte Angst, es war schließlich seine Schuld, dass seine neue Freundin nun hier lag.
„Mum! Mum, komm schnell!“ schrie er durch den Garten. Hoffentlich hatte ihn seine Mutter gehört. Er hatte Glück, seine Mutter erschien innerhalb weniger Sekunden an der Tür und schrie auf, als sie sah, wie Emilia wie tot am Boden lag.
„Was ist passiert?“ schrie sie Scorpius an, während sie zu Emilia rannte. Scorpius erzählte ihr, dass es seine Schuld sei, dass seine Freundin nun hier lag, und dass er das ganz bestimmt nicht gewollte hatte. Die Mutter tastete bei Emilia nach dem Puls, und, welch ein Glück, sie lebte noch. Sie war nur bewusstlos und hatte einige Knochen gebrochen, die aber schnell wieder heilen würden. Erleichtert nahm Scorpius Mutter Emilia auf den Arm und trug sie ins Haus, wo sie Emilia dann auf die Couch legte. Dann gab sie ihr einige Medikamente und deckte sie sachte zu.
„Es tut mir wirklich Leid!“ entschuldigte sich Scorpius immer wieder. Die Mutter schüttelte nur den Kopf, zog ihren Sohn mit und ging ins Nachbarzimmer.
„Was hast du dir nur dabei gedacht?“ schrie sie ihn an. „Du hättest sie umbringen können! Sie hatte Glück, dass sie bewusstlos war, als sie unten aufgeschlagen ist. Ihr Herz hatte kurzzeitig aufgehört zu schlagen. Scorpius, sie war TOT!“ Scorpius zuckte zusammen. Seine Mutter war immer lauter geworden und kam ihm auch immer näher. „Du bekommst nachher Ärger, mein Freundchen! Wenn dein Vater nach Hause kommt und das hört, wird er dir persönlich verbieten, jemals wieder Quidditch zu spielen. Er wird dich in Hogwarts bewachen lassen!“ Kopfschüttelnd und mit rotem Kopf verließ sie das Zimmer und ging zurück zu Emilia, die noch immer wie tot auf der Couch lag.
Scorpius bliebt erst einmal, wo er war. Überall anders würde er sowieso nur Ärger bekommen und nicht erwünscht sein. Plötzlich schlug jemand die Haustür zu.
„Shit!“ Hektisch sah sich Scorpius um. Sein Vater war gerade nach Hause gekommen und er musste sich verstecken. Obwohl … eigentlich machte das Verstecken es nur noch schlimmer, als wenn er es seinem Vater gleich sagen würde. Langsam und mit gesenktem Kopf ging er durch das Wohnzimmer hinauf in sein Zimmer. Er hörte seinen Vater schon, wie er gerade seine Mutter anschrie, was er alles mit seinem Sohn anstellen würde. Natürlich verteidigte Astoria ihren Sohn. Auch wenn er nicht gerade richtig gehandelt hatte.
Draco hingegen schien das ganz anders zu sehen. Kein Quidditch, wie Scorpius Mutter vorhergesagt hatte. Das alles hörte Scorpius aus dem Gespräch zwischen seinen Eltern raus. Er wollte abhauen. So tun, als wäre nie etwas passiert, aber er hatte nunmal etwas schlechtes getan. Er hatte seine einzige Freundin beinahe umgebracht.
Die Tür zu seinem Zimmer ging auf, und Scorpius musste gar nicht hinschauen, um zu wissen, dass sein Vater im Türrahmen stand.
„DU!“ schrie er Scorpius an. So fing es immer wieder an. „Du hast Emilia fast UMGEBRACHT!“ schrie er weiter und kam bedrohlich nahe.
„Ich weiß es!“ sagte Scorpius trotzig. Er hatte keine Lust auf das Gerede seines Vaters. Er hatte nie Lust auf das Gerede seines Vaters. Und doch musste er es jeden Tag tolerieren, weil hier im Haus so etwas wie Rangordnung herrschte.
„Ich hätte dich nie alleine mit ihr lassen sollen. Man sieht ja, was dabei rauskommt.“ fauchte sein Vater.
„Sei du mal ruhig! Du hast einen der berühmtesten Zauberer umgebracht, die es jemals gab!“ gab Scorpius zurück.
Sein Vater wollte etwas erwidern, konnte aber nicht. Er durfte das Geheimnis von Emilia nicht einmal seinem Sohn anvertrauen. Niemand durfte es wissen. Nicht einmal seine Frau war eingeweiht.
Deswegen ging er ohne ein weiteres Wort aus dem Zimmer seines Sohnes, schlug die Tür noch einmal demonstrativ hart zu und lief zu Emilia und seiner Frau.
Die nächsten Tage waren für Scorpius die Hölle. Seine Eltern redeten kaum noch mit ihm, nur noch das Nötigste und auch das nur in bissigen Tönen. Sie waren die ganze Zeit damit beschäftigt, Emilia, die noch immer nicht wach war, gut zu versorgen, damit sie möglichst schnell wieder auf die Beine kam. Scorpius durfte sich ihr nicht mehr nähern, hatten seine Eltern gesagt. Deswegen blieb er auch die ganze Zeit über in seinem Zimmer und freute sich schon, wenn er endlich weg war von seinen Eltern. Er konnte es kaum erwarten. Endlich würde er nach Hogwarts gehen. Dennoch war seine Stimmung durch den Vorfall fast auf den Nullpunkt gesunken. Er war immer total deprimiert, saß den ganzen Tag im Bett und starrte die Decke an. Sogar seine Mutter machte sich langsam Sorgen um ihn. Doch sie durfte nicht mit ihrem Sohn reden, so hatte es ihr Mann gewollt. Und Astoria wollte auf keinen Fall noch mehr Ärger im Haus verursachen. Deswegen hielt sie brav den Mund, wie es ihr Mann von ihr verlangte.
Emilia wurde von ihnen beiden gepflegt, doch die beiden machten sich Sorgen, dass sie nicht mehr aufwachen würde, da ihr Herz nur noch ganz schwach schlug. Und es wurde mit jedem Tag schwächer, wie die beiden verzweifelt feststellen mussten.
Draco hatte einen Plan, dazu musste er nur seine Frau loswerden. Er sagte ihr, er benötigte eine spezielle Medizin, die sie leider nicht im Haus hatten, und schickte sie zur Apotheke in die Winkelgasse. So war sie lange genug weg, dass Draco seinen Plan durchziehen konnte.
Er rief seinen Freund zu sich und sagte ihm, Emilia liege im Sterben. Natürlich ging sein Plan auf. Sein Freund kam, wie verabredet.
Als Draco hörte, wie jemand in seinem Garten appariert war, rannte er schnell nach draußen und begrüßte seinen Freund.
„Draco, wo ist meine Tochter?“ fragte ihn dieser sogleich. Es war der Vater des Mädchens.
„Folge mir.“ murmelte Draco und ging ins Wohnzimmer, wo Emilia auf der Couch lag.
Sein Freund ging auf seine Tochter zu und berührte mit der Hand die seiner Tochter.
„Ihr Herz schlägt kaum noch. Was ist passiert?“ fragte er und schloss seine Augen. Eine grüne Aura umgab ihn jetzt und Draco wusste, er war dabei, seine Tochter zu heilen.
„Das erzähl ich dir ein anderes Mal. Meine Frau kann jeden Moment wiederkommen. Du musst so schnell wie möglich verschwinden.“ sagte Draco. Er sollte nicht so klingen, als würde Draco seinen Freund rauswerfen, aber es gab ihn ja eigentlich auch gar nicht. Es würde Aufsehen erregen, wenn seine Frau ihn sehen würde.
„Natürlich. Wo ist dein Sohn?“ fragte sein Freund ablenkend. Er wollte noch nicht gehen.
„Oben in seinem Zimmer. Er wird uns nicht stören.“ murmelte Draco und sah zu Boden. Ihm war das ganze unangenehm. Schließlich hatte sein Sohn die Tochter seines Freundes fast umgebracht. Draco beobachtete seinen Freund genau. Ständig wechselte dessen Aura, mal war sie grün, mal rot, manchmal auch gelb. Er war froh, dass sein Freund ihm seine Aura zeigte. Denn Draco wusste, dass sein Freund auch seine Aura vor ihm verstecken könnte. Er war ihm dankbar dafür, auch wenn er meistens nicht wusste, was die Farbe der Aura nun genau hieß.
„Wie geht es deiner Tochter?“ fragte Draco seinen Freund.
„Im Moment gut. Ich habe sie geheilt. Dennoch muss sie vorsichtig sein, sie wird mit der Zeit immer mehr Stärke bekommen. Mehr als gut für sie ist.“ murmelte Draco's Freund und strich seiner Tochter über das Gesicht.
„Ich muss gehen. Deine Frau kommt.“ sagte dieser und verschwand, bevor Draco auch nur den Mund öffnen konnte. Und tatsächlich, zwei Minuten später stand seine Frau neben ihm und umarmte ihn von hinten.
„Wie geht es ihr?“ fragte sie leise und zeigte auf Emilia.
„Besser, denke ich. Ihr Herz schlägt wieder richtig.“ murmelte er, obwohl er sich nicht sicher war, dass das stimmte. Ihr ging es besser, das hatte sein Freund ja gesagt, aber ob ihr Herz wieder so schlug wie es sollte, wusste er nicht. Seine Frau ließ ihn los und ging zu Emilia, fühlte den Puls und nickte.
„Du hast Recht!“ meinte sie und ging in die Küche, um die Medikamente, die sie gekauft hatte, zu verstauen. Die würden sie ihr noch nicht geben, erst einmal mussten sie schauen, ob sie auch so wieder gesund wurde.
Weitere Tage vergingen und Emilia wachte nicht auf. Die Eltern kümmerten sich Tag und Nacht wirklich sehr um sie und hofften, sie würde wach werden, denn in zwei Tagen sollte sie nach Hogwarts gehen.
Scorpius ließ sich weiterhin nicht bei seinen Eltern blicken, nicht einmal zum Essen ging er noch herunter. Nein, er aß einfach nichts mehr. Dort unten war er sowieso nicht erwünscht, also was soll's? Meistens lag er nur auf seinem Bett und starrte die Decke an, oder er lernte für das kommende Jahr in Hogwarts. Das langweilte ihn aber ziemlich schnell weshalb er lieber die Decke anstarrte.
Außerdem machte er sich noch immer riesen Vorwürfe, wie es nur dazu kommen konnte, dass er seine Freundin fast umbrachte. Er konnte es selbst nicht fassen, dass er das wirklich getan hatte. Aber er konnte es auch nicht mehr ändern. Es war eben passiert. Er musste es so hinnehmen.
Emilia's POV
Schmerzen. Schmerzen. Überall diese Schmerzen. Besonders mein linker Arm schien davon betroffen zu sein, wenn mich mein Gefühl nicht trübte.
Ich wusste, ich war bewusstlos. Doch ich konnte mich nicht mehr an das davor erinnern. Nur kleine Erinnerungsfetzen hatten sich in mein Gehirn eingeschweißt. Ich konnte mich ziemlich gut an die letzten Tage erinnern, obwohl ich bewusstlos war. Es ist ungefähr so, wie wenn der Verstand schläft, deine Augen aber noch funktionieren. Ich habe also so gut wie alles mitbekommen. Dachte ich zumindest.
Ich versuchte, wenigstens meine Augen zu öffnen, doch auch das schmerzte schon. Ich verdrängte den Schmerz und öffnete meine Augen. Grelles Tageslicht empfing mich und ich musste meine Augen schnell wieder zukneifen und warten, bis sie sich an das Licht gewöhnt hatten.
Ich sah mich um. Astoria und Draco standen nicht weit entfernt von mir. Sie unterhielten sich gerade flüsternd, über was konnte ich nicht verstehen. Scorpius konnte ich nicht entdecken. Er war wohl entweder draußen auf seinem Besen oder oben in seinem Zimmer.
Astoria drehte sich um und sah mich an. Als sie sah, dass ich wach war, weiteten sich ihre Augen und sie stupste ihren Mann an. Auch dieser drehte sich zu mir und starrte mich an, als wäre ich ein Alien.
„Wir dachten, du würdest nie wieder aufwachen.“ keuchte Astoria. Doch sie kam schnell auf mich zu und zog mich in eine kräftige Umarmung. Auch wenn ich wahnsinnige Schmerzen dadurch hatte, ich genoss es. Noch nie hatte mich jemand so umarmt.
„Wie geht es dir?“ fragte sie besorgt, nachdem sie mich losgelassen hatte.
„Schmerzen …“ brachte ich noch heraus, dann brachte mich ein schmerzhafter Stich in die Seite zum Verstummen.
Astoria nickte und ging in die Küche. Nach ein paar Minuten kam sie mit etwas Medizin zurück und flößte es mir ein. Augenblicklich waren die Schmerzen wie weggeblasen. Doch dafür brachen die Erinnerungen über mich ein. Scorpius, der mich vom Besen geschubst hatte, ich war bewusstlos geworden und auf dem Boden aufgekommen. Seitdem musste ich wohl bewusstlos gewesen sein.
„Der wievielte ist heute?“ krächzte ich. Meine Stimme war noch nicht wieder ganz fit.
„Morgen fährt der Hogwarts-Express. Du kannst dich bis heute Abend entscheiden, ob du trotz Verletzungen dorthin möchtest.“ mischte sich jetzt Draco ein.
„Ich will. Ich muss einfach dorthin. Das ist meine Bestimmung.“ murmelte ich. Ich musste dorthin. Ich spürte, dass Hogwarts ein wichtiger Teil für mich sein würde. Und immerhin war mein Vater auch dort gewesen.
„Wie viel weißt du noch?“ fragte mich Draco unruhig.
„Alles … Ich weiß sowohl über mein Absturz alles, wie auch von der Zeit, wo ich eigentlich bewusstlos war, schätze ich.“ erklärte ich. Draco sah mich abschätzend an.
„Was genau weißt du davon, was hier passiert ist?“ fragte er ruhig.
„Nun ja, ihr standet eben fast den ganzen Tag hier herum und habt mich gepflegt. Danke dafür!“ sagte ich. Ich meinte, dass Draco's Gesicht etwas sanfter wurde und er alles wusste, was er hatte wissen wollen. Ich versuchte, aufzustehen, doch ich brauchte zwei Anläufe, bis ich es endlich allein schaffte, mich hinzusetzen. Natürlich mit Lehne.
Mein Arm tat noch immer weh, doch das war das einzige. Ich betrachtete meinen Arm genauer und suchte die Ursache des Schmerzes. Auf meinem Unterarm sah ich ein schwarzes Zeichen, das ich aber nicht zuordnen konnte.
„Was ist das für ein Zeichen?“ fragte ich und hielt Draco meinen Arm unter die Nase. Er sah sich skeptisch die Wunde, die das Zeichen gemacht hatte, an und sah mich dann mit großen Augen an. Es war offensichtlich, dass er wusste, was das Zeichen zu bedeuten hatte.
„Ich weiß nicht. Zeig es niemandem, ja?“ erwiderte er und ging aus dem Zimmer, bevor ich überhaupt noch etwas sagen konnte. Neugierig, wie ich war, dachte ich noch eine ganze Zeit darüber nach und merkte gar nicht, dass es schon fast Mitternacht war. Erst als Astoria sich zu mir setzte und sagte, ich sollte schlafen, merkte ich, wie müde ich wirklich war. Man konnte ja denken, ich wäre nicht müde, nachdem ich fast sechs Tage geschlafen hatte, aber falsch gedacht! Ich war totmüde. Aber morgen würde ich nach Hogwarts fahren und da musste ich unbedingt wieder fit sein, deswegen legte ich mich schlafen.
Nächsten Morgen war es endlich soweit. Die Schmerzen in meinem Arm hatten nachgelassen und ich war auch ansonsten wieder so fit, dass ich zumindest ein bisschen schon laufen konnte. Scorpius ignorierte mich, es musste für ihn wahnsinnig schlimm gewesen sein in der letzten Zeit. Denn eigentlich hatte ich ihn als fröhlichen Jungen kennen gelernt und jetzt sah er total bleich aus, hatte schwarze Ringe unter den Augen und redete auch sonst kaum etwas. Irgendetwas musste passiert sein, als ich ohnmächtig gewesen war.
Ich stand seit etwa zehn Minuten schon draußen in der Kälte und wartete darauf, dass Astoria endlich mit dem Schlüssel kam und das Auto aufschloss, damit ich einsteigen konnte. Auch Draco war sichtlich nervös und er sah sich ständig um. Warum auch immer. Scorpius stand etwas abseits von uns und scharrte mit seinen Füßen in einer Pfütze. Doch ich traute mich nicht, seinen Vater nach ihm zu fragen. Der würde mir vermutlich sowieso nicht viel sagen, sondern eher abweisend sein, wie er es immer war, wenn das Gespräch auf seinen Sohn fiel.
Endlich kam auch Astoria in ihrem Wintermantel nach draußen. Sie hatte eine Handtasche bei sich und schloss gerade die Tür ab. Auch sie wirkte etwas hektisch und abwesend. Was war nur heute mit allen los? Als wir im Auto saßen, wurde es schlagartig richtig schön warm. Scorpius saß neben mir auf der Rückbank, redete aber kein Wort mit mir und starrte nur teilnahmslos aus dem Fenster. Ich war viel zu aufgeregt, um aus dem Fenster zu schauen. Ich spielte lieber mit meiner Eule.
Die Zeit im Auto verging wie im Flug. Obwohl wir immerhin zwei Stunden Auto gefahren waren, kam es mir viel weniger vor. Draco half mir, meinen Koffer aus dem Auto zu holen, während Scorpius mit seinem Koffer schon einmal vorging zum Gleis. Ich wusste nicht so wirklich, wohin wir mussten, deswegen lief ich einfach nur Draco hinterher. Dieser blieb zwischen Gleis 9 und 10 stehen und zeigte auf eine sehr stabil wirkende Absperrung. „Da müssen wir einfach durchrennen.“ murmelte er dazu. Ich dachte, ich hörte nicht richtig. Durch eine Absperrung rennen? Das ging doch gar nicht. Man lief doch höchstens dagegen.
Doch als Scorpius sah, dass ich mit seinen Eltern näher kam, machte er genau das. Er rannte mit geschlossenen Augen und seinem Koffer mit enormer Geschwindigkeit auf die Absperrung zu. Gerade, als ich dachte, er würde dagegen rennen, verschwand er und war wie durch den Erdboden verschluckt einfach weg.
„Wenn du Angst hast, mach lieber die Augen zu.“ meinte Astoria hilfsbereit. Ich lächelte sie dankbar an.
„Wir müssen los, Emilia. Wir können dich leider nicht mehr bis zum Gleis begleiten, aber ich bin sicher, du schaffst das.“ Draco zwinkerte mir zu.
Ich nickte. „Danke für alles, was ihr für mich getan habt. Das weiß ich wirklich zu schätzen.“ Und das war wirklich ehrlich gemeint. Ich war den beiden wirklich dankbar für alles.
„Nicht der Rede wert.“ sagte Astoria und tätschelte mir die Schulter. „Du kannst uns ja mal besuchen kommen, wenn du möchtest.“
„Gerne!“ sagte ich lächelnd.
„Na dann, du solltest gehen. Pass auf dich auf!“ meinte sie noch, dann drehte sie sich um und ging Hand in Hand mit ihrem Mann weg. Ich stand nun alleine da. Ich atmete einmal tief durch, dann fing ich an zu rennen und schloss meine Augen. Ich rannte und rannte. Bis ich auf einmal kurz schwerelos war und einige Sekunden später hatte ich wieder festen Boden unter den Füßen. Ich machte meine Augen vorsichtig wieder auf.
Vor mir stand ein roter Zug mit der Aufschrift 'Hogwarts-Express' und daneben standen etliche Paare mit ihren Kindern. Andere Kinder standen in Gruppen zusammen oder gingen schon in den Zug. Ich staunte. Alles hier wirkte so unglaublich. Ich stand auf einem großen Bahnsteig mit der Nummer 9 ¾. Ich war überglücklich.
Langsam nahm ich mein Gepäck und bahnte mir einen Weg durch die Menge. Da ich hier außer Scorpius sowieso niemanden kannte, ging ich in den Zug und suchte mir ein freies Abteil. Doch ich hatte Pech, denn in wirklich jedem Abteil war schon jemand. Deswegen nahm ich all meinen Mut zusammen und klopfte an eine Abteiltür. Sofort öffnete sie sich und ich sah ein Mädchen dort sitzen. Sie hatte hellbraune lockige Haare, Sommersprossen und sah wirklich gut aus. Ihre blauen Augen fixierten mich.
„Tut mir Leid, wenn ich störe, kann ich mich zu dir setzen?“ fragte ich unsicher.
„Nein, hier ist bereits besetzt.“ meinte sie nur und schickte mich mit einem Wink wieder hinaus auf den Gang. Ah ja, so lief das hier also. Dann klopfe ich halt an der daneben liegenden Tür, dachte ich. Gesagt, getan.
Hier saß ein Junge drin, zusammen mit einem anderen Mädchen. Das Mädchen hatte schwarze Haare, grüne Augen und war doch ziemlich braun im Gesicht. Sie kam wohl nicht aus Großbritannien. Ansonsten war sie eher schlank, sah aber auch sportlich aus. Der Junge hatte blaue, durchstechende Augen, schwarze Haare und war ebenfalls ein eher sportlicher Typ.
„Hey, darf ich mich vielleicht zu euch setzen?“ fragte ich vorsichtig. Ich wollte auf keinen Fall schon wieder rausgeschmissen werden. Doch zu meiner Überraschung nickten die beiden und halfen mir sogar, mein Gepäck auf das Fach oben zu legen. Ich setzte mich beiden gegenüber.
„Ich bin übrigens Emilia.“ stellte ich mich vor. Ich wollte ja einige Leute kennen lernen, also musste ich mich mal mit einigen unterhalten.
„Logan.“ „Lucie!“ sagten beide gleichzeitig und grinsten sich an.
„Seid ihr beiden Geschwister? Zwillinge oder so?“ fragte ich lächelnd.
„Nein.“ lachte Logan. „Wir sind nicht einmal miteinander verwandt.“
„Stimmt. Aber wir kennen uns schon ewig.“ lachte auch Lucie jetzt. Dann sah sie mich wieder an. „Kennst du hier jemanden?“
Ich schüttelte den Kopf. „Nur Scorpius. Und nun ja, wir verstehen uns nicht besonders, denke ich.“
„Kann ich durchaus nachvollziehen.“ murmelte Logan. „Aber mal unter uns, ich würde mich lieber nicht mit ihm anlegen. Er und Lily haben vermutlich das Sagen. Die beiden sind die bekanntesten Leute hier.“
„Bekannt. Obwohl sie kein Stück besser sind als wir.“ schnaubte Lucie. „Die beiden haben einfach nur bekannte Eltern!“
Ich nickte. Ich kannte ja die Geschichte vom Krieg gegen Voldemort. Voldemort war einst der mächtigste Zauberer der Welt, zusammen mit Dumbledore, den Draco Malfoy umgebracht hatte. Deshalb war er bekannt, nicht beliebt, aber immerhin bekannt. Harry Potter alias 'der Junge, der überlebt hat', hat Voldemort umgebracht. Er hat sich ihm im Kampf gestellt und gewonnen. Und Lily war die Tochter von Harry Potter.
„Aber ich kenne ihre Brüder, die beiden sind so nett. Warum sie also nicht?“ fragte Logan.
„Weil sie verwöhnt wurde. Sie ist eine Zicke, wie ihr Bruder Albus immer so schön sagt.“ meinte Lucie.
„Kennt ihr euch alle schon untereinander?“ fragte ich neugierig.
„Die meisten kenne ich. Also eben die aus Zaubererfamilien. Meine Eltern schleppen mich oft zu irgendwelchen Freunden ihrerseits, da lernt man dann auch viele Kinder kennen.“ erklärte Lucie. „Keine Ahnung, ob das nun von Vorteil ist. Ich denke nicht, denn in Hogwarts ist das Kennenlernen einfach anders. Nicht so gezwungen, denke ich. Schließlich gehe ich nicht oft freiwillig mit zu den Freunden meiner Eltern.“
„Also ich kenne noch niemanden hier!“ sagte ich. „Ich lasse mich einfach mal überraschen, in welches Haus ich kommen werde. Ich bin schon total gespannt.“ lächelte ich.
„Ich komme bestimmt nach Gryffindor!“ meinte Logan. „Meine ganze Familie war da.“
„Ich will unbedingt nach Gryffindor. Mein Dad war da!“ sagte Lucie und kramte in ihrem Rucksack.
„Oh ja, hoffentlich kommen wir drei in das gleiche Haus!“ sagte Logan und strahlte.
„Das hoffe ich auch.“ meinte ich und grinste ihn an. „Warts ab, nachher kommen wir alle nach Hufflepuff.“ lachte ich. Auch die anderen fielen mit ein.
„Obwohl … wenn ich es mir so recht überlege, ist Hufflepuff eigentlich gar nicht so schlecht. Immerhin haben wir da weder Lily noch Scorpius im Haus, das ist sicher.“ meinte Lucie. Ich stimmte ihr da vollkommen zu.
Unbewusst strich ich wieder über das Zeichen auf meinem Arm. Ich wusste noch immer nicht, was es bedeutete und ich wusste auch nicht, wie ich es verheimlichen sollte. Auch einige Narben von dem Unfall waren geblieben, nicht so gut zu sehen, aber wenn man genauer hinsah, dann sah man auch im Gesicht eine ziemlich große Narbe. Ich bedeckte sie so gut es ging mit meinen Haaren, aber so wirklich gut funktionierte das auch nicht.
„Woher hast du denn die Narbe dort?“ fragte Lucie auf einmal. Ich hatte mich verraten, indem ich unbewusst über die Narbe in meinem Gesicht gestrichen hatte.
„Die habe ich von einem kleinen Unfall. Das ist erst ein paar Tage her.“ murmelte ich abweisend. Doch Lucie ließ nicht locker.
„Was ist denn passiert?“ fragte sie mich neugierig.
„Halb so schlimm. Ich bin vom Besen gefallen, mehr nicht. Meine Schuld.“ Ich sah aus dem Fenster. Das eindeutige Zeichen, dass ich nicht mehr darüber reden wollte. Natürlich konnte sie sich so denken, dass es noch nicht alles war, was ich ihr erzählt hatte, aber wir kannten uns ja auch noch nicht wirklich und so ließ sie mich in Ruhe. Stattdessen unterhielt sie sich mit Logan über Quidditch und einige Leute, die in unserem Jahrgang sein werden, die ich aber noch nicht kannte. Ich schwieg den Rest der Fahrt und starrte nur aus dem Fenster. Die Landschaft wurde immer hügeliger und schon bald tauchten große Berge am Horizont auf. Ich war total gespannt, wie Hogwarts aussehen würde.
Plötzlich klopfte es an unsere Tür und ein braunhaariger Lockenkopf schaute herein.
„James!“ riefen die beiden glücklich und winkten ihm. Er öffnete die Tür ganz und setzte sich neben mich. Ich musterte ihn. Er hatte dunkle braune Haare, ein eher rundliches Gesicht und schwarze Augen. Er sah irgendwie düster aus.
„Hey ihr drei.“ grinste er.
„Was ist los?“ fragten die beiden sofort alarmiert.
„Ich bin Schülersprecher und habe den Auftrag, euch zu sagen, dass ihr euch umziehen sollt. Wir sind gleich da.“ Dann entdeckte er mich.
„Auch neu hier?“ fragte er. Ich nickte nur. „Ich bin James Potter. Wie heißt du?“ fragte er freundlich.
„Emilia Sheppard.“ stellte ich mich vor.
Er nickte. „Schön, dich kennen zu lernen.“ lachte er und verschwand dann aus der Tür.
„War das Lily's Bruder?“ fragte ich erstaunt. Er war wirklich nett, ganz anders als seine Schwester.
„Ja. Seltsam, oder? Wie zwei Geschwister so unterschiedlich sein können.“ lachte Lucie und sah mich an. Ich lachte mit. Dann zogen wir uns unsere Umhänge an und warteten gespannt darauf, dass wir endlich in Hogwarts eintreffen würden. Wir waren jetzt alle drei viel zu aufgeregt, um wirklich ein Gespräch zu führen.
Dann war es endlich soweit. Der Zug hielt und alle Schüler stürmten nach draußen. Auch Lucie, Logan und ich versuchte es, wurden aber leider getrennt. Verwirrt ließ ich mich einfach mit der Menge treiben, erst einmal musste ich ja schließlich aus dem Zug raus. Ich drängelte mich an einigen älteren Schülern vorbei und blieb vor einem großen Mann stehen. Er war im wahrsten Sinne des Wortes riesig. An die zwei ½ Meter hoch. Fast dreimal so groß wie ich auf jeden Fall. Auch andere Erstklässler stellten sich nun neben mich und hinter mich. Ich wusste nicht, was ich jetzt tun sollte, also blieb ich einfach stehen und wartete darauf, dass mal jemand eine Ansage machte, wie es nun weitergehen würde.
„Erstklässler zu mir!“ schrie der Riese und ich wusste, dass ich hier richtig war. Jetzt kamen auch andere Erstklässler, die eben noch verwirrt irgendwo hatten rumgestanden, und stellten sich vor dem Riesen auf. Ich wich ein Stück zurück und versteckte mich in der Menge der Erstklässler.
„Folgt mir.“ sagte der Riese. Er lief los, und wir hatten große Schwierigkeiten, ihm hinterher zu kommen, da er einfach zu schnell für uns lief. Davon etwas genervt rannte ich, wie viele andere auch, dem Riesen hinterher, bis er nach er Ewigkeit endlich mal stehen blieb. Und zwar vor einem großen See. Auf dem See sah ich eine Menge Paddelbote liegen und hoffte nur, dass wir nicht auch noch über den gesamten See paddeln mussten. Dazu hatte ich eigentlich nicht so die große Lust.
„Immer zu zweit in ein Boot!“ rief der Riese wieder und ging voraus. Er setzte sich in das Boot in der Mitte und so langsam verteilten sich auch die anderen. Ich setzte mich allein in ein Boot, bis Logan zu mir kam und sich zu mir setzte.
„Hey.“ lächelte ich ihn an. Er nickte nur.
„Gleich musst du schauen. Irgendwann kommt Hogwarts in Sicht und Dad sagt, der erste Eindruck ist immer der beste.“ sagte Logan und zeigte auf den Horizont.
Ich drehte mich um, sodass ich auch wirklich Hogwarts nachher sehen konnte und schon setzten sich die Bote in Bewegung. Ich erschrak. Ich dachte, wir müssten selbst paddeln, aber offenbar waren die Bote so verzaubert, dass sie von allein fahren konnten. Nach einer Ewigkeit dann tauchten endlich die ersten Umrisse eines riesigen Gebäudes auf. Es glich einem Schloss. Viele Türme erhoben sich von einem großen Felsen und in der Abendsonne schimmerte Hogwarts einfach nur atemberaubend.
„Wow.“ brachte ich noch heraus. Einige anderen staunten genauso wie ich und ich genoss den Gedanken, dass ich ab jetzt dort wohnen würde für etwa sieben Jahre. Ich fand den Gedanken einfach nur toll. Ich bekam gar nicht mit, dass wir schon ziemlich bald das Ufer erreicht hatten. Erst als das Boot hielt, merkte ich, wie lange ich das Schloss angestarrt hatte. Ich stieg aus dem Boot, Logan folgte mir, und zusammen gingen wir zu dem Riesen, der durch eine große Tür ging. Wohl die Eingangstür, dachte ich mir. Dann bogen wir nach rechts ab und stiegen einige Treppen hoch. Viele unterhielten sich noch leise mit ihren Freunden, doch ich war viel zu aufgeregt, um irgendetwas zu sagen.
Plötzlich blieben alle stehen und auch ich ordnete mich hinter den anderen ein. Wir sollten eine zweireihige Schlange bilden. Logan stellte sich neben mich und sah neugierig zu dem Riesen, der sich nun eilig aus dem Staub machte. Kaum war er weg, wurde das Gerede lauter und ich konnte hören, über wen gesprochen wurde: Lily Potter. Alle hatten Respekt vor ihr, alle außer ich und Scorpius. Ich betrachtete Scorpius eingehend. Er sah noch immer nicht besser aus als am Morgen. Noch immer wirkte er blass und traurig. Plötzlich tauchte eine große Frau vor uns auf. Ich nahm an, es wäre die Schulleiterin Professor McGonagall. Sie sah streng aus und hatte schwarze straff zu einem Knoten frisierte Haare. Ihre ganze Erscheinung strahlte Überlegenheit und Respekt aus. Vermutlich war sie eine der wenigen Professoren, die das Talent hatten, eine Klasse mühelos ruhig zu halten.
„Guten Abend. Ich bin Professor McGonagall, die stellvertretende Schulleiterin. Ich möchte Sie bitten, so lange ich weg bin, leise zu sein. Die Schüler sammeln sich gerade in der Großen Halle. Ich werde Sie hier abholen, wenn alles soweit ist.“ Damit verließ die Professorin wieder den Raum und wir standen allein da.
Das Getuschel wurde wieder lauter. Dieses Mal ging es um die Auswahlzeremonie.
„Hoffentlich müssen wir keinen Zauberspruch aufsagen!“ murmelte ein schlaksiger Junge hinter mir. Das hoffte ich auch. Sehr sogar. Ich konnte nämlich nicht einen Spruch. Ich hatte noch nicht einmal in meine Schulbücher hineingeschaut.
„Mein Bruder meinte, wir müssen irgendeine Prüfung bestehen. Aber daran glaube ich nicht. Er erzählt mir immer so einen Mist!“ warf ein etwas größerer Junge, der ganz hinten in der Reihe stand, ein.
Ich versuchte mich zu beruhigen, doch meine Anspannung stieg mit jeder Sekunde, die ich länger hier stehen musste.
„Nun ja, wir müssen es ja vor allen Schülern machen, kann also nicht so schlimm sein!“ meinte Logan, der wie ich, bisher geschwiegen hatte. So etwas ähnliches hatte auch ich mir gedacht, auch wenn ich noch immer nicht so wirklich beruhigt war.
„Wieso sagte Professor McGonagall vorhin 'Stellvertretende Schulleiterin'? Bei mir auf dem Brief stand sie als Schulleiterin drauf!“ fragte ich die anderen.
„Bei mir auch.“ murmelte einige. Andere überlegten sich die Antwort auf meine Frage, schienen sie aber dennoch nicht zu finden.
Dann endlich kam Professor McGonagall wieder. In ihrer langen Robe kam sie den Gang entlang gerannt und stellte sich drohend vor uns.
„Ich werde Sie jetzt alle in die Große Halle führen. Folgen Sie mir einfach, bis ich etwas anderes sage.“
Aufgeregt stellten wir uns wieder in eine Reihe auf und sahen gespannt auf die Tür, die sich langsam öffnete. Dahinter kamen vier Tische zum Vorschein und eine Halle, die größer war als alles, was ich bisher gesehen hatte. Vier Tische, wo vermutlich die vier Häuser aufgeteilt saßen, standen im Saal und waren verziert mit goldenen Trinkbechern und Tellern. An den Wänden hingen, wie auch sonst überall in Hogwarts, Fackeln, die den Raum irgendwie in ein dämmriges Licht hüllte. Das Flackern war irgendwie beruhigend und wirkte beinahe geheimnisvoll. Die Decke sah aus wie der normale Himmel draußen, und war, wie ein Junge hinter mir die ganze Zeit murmelte, während wir nach vorne gingen, magisch verzaubert worden, damit sie immer das jeweilige Wetter draußen widerspiegelt. „Wow!“ Mehr brachte ich nicht heraus, als wir unseren Weg durch die Große Halle fortsetzten. Ganz hinten durch saßen die Lehrer an einem Tisch und musterten uns Neulinge. Die Schüler starrten uns an, das war auch mir klar. Ich mochte diese Blicke auf mir nicht, doch ich konnte es nicht ändern.
McGonagall blieb vor dem Tisch der Lehrer stehen und übergab die Leitung an einen jungen Mann. Dann setzte sie sich, lächelte uns aufmunternd an und unterhielt sich dann leise mit einem anderen Professor.
Der junge Mann wanderte währenddessen um den Tisch herum und blieb vor uns stehen. Dann sah er sich in der Großen Halle um.
„Ich bin Alistair Deyrock. Ich war bis vor kurzem noch der Schulleiter der Durmstrang-Zauberschule. Heute freue ich mich, Ihnen alle sagen zu können, dass ich dieses Jahr in Hogwarts Schulleiter sein werde. Außerdem werde ich noch Arithmantik unterrichten.“ sagte der junge Mann glücklich. Er sah immerhin freundlich aus und wirkte auch so. Höflicher Applaus folgte auf die kleine Rede des Schulleiters.
„Nun. Kommen wir zu den Häuserverteilungen. Wir ihr seht, steht hier ein Stuhl. Wenn ich euch Erstklässler aufrufe, kommt ihr nach vorne und setzt euch einfach den Hut auf.“ Er lächelte uns freundlich an. Ich betrachtete den Stuhl. Es war ein alter Vierbeiner, sah schon ziemlich kaputt aus und ganz und gar nicht danach, dass er uns alle noch halten wollte. Der Hut, der auf ihm lag, sah dagegen aber noch schlimmer aus. Total verschlissen. Es war ein brauner Spitzhut, wie ihn Hexen und Zauberer eben tragen.
„Beckham, Tony.“ sagte der neue Schulleiter.
Ein kleiner braun-haariger Junge schritt nach vorne und setzte sich ängstlich unter den Hut. Dann begann sich der Hut zu verändern. Es tat sich eine Spalte auf so groß wie ein Mund.
Als der Hut dann auch noch anfing zu reden, erschrak nicht nur der Junge auf dem Stuhl vorne sondern auch wir anderen Erstklässler.
„RAVENCLAW!“ rief der Hut laut durch die Halle. Der Tisch links in der Mitte jubelte laut und Tony sprang glücklich zu seinem Haus.
„Dantes, Tom.“ ging es weiter. Ein stämmiger Junge tauchte von hinten auf und drängte sich an mir vorbei. Auch ihm stand die Angst ins Gesicht geschrieben.
Kaum hatte er den Hut aufgesetzt, brüllte dieser auch schon: „GRYFFINDOR!“
Der ängstliche Ausdruck auf seinem Gesicht wich purer Freude. Auch er wurde von seinem Tisch ganz rechts lautstark bejubelt.
„Delacours, Louis.“ rief der Schulleiter als nächstes.
„HUFFLEPUFF!“ rief der Hut. Der Hufflepuff-Tisch jubelte laut.
„Johnson, Roxanne!“ Ein zierliches Mädchen mit grünen Haaren trat hinter mir hervor und ging selbstbewusst zu dem Hut. Gleich nachdem sie ihn aufgesetzt hatte, rief er: „HUFFLEPUFF!“ Wieder jubelte das Haus und Roxanne schritt gemächlich zu ihrem Tisch.
„Jordan, Lucie.“ kam als nächstes dran. Ein kleines zierliches Mädchen, welches im Zug noxh so selbstbewusst mir gegenüber gesessen hatte, trat etwas ängstlich, aber dennoch zielstrebig, vor den Hut und setzte sich auf den Stuhl. Dann setzte sie den Hut auf und als erstes passierte gar nichts.
Dann jedoch rief der Hut laut: „SLYTHERIN!“ und ein Grinsen stahl sich auf das Gesicht des schwarz-haarigen Mädchens.
„Longbottom, Amy!“ rief der Schulleiter weiter auf. Ich wurde immer aufgeregter, denn man konnte nie voraus sehen, in welches Haus man kam. Das entschied offenbar wirklich der Hut. Und ich vertraute ihm, auch wenn er ziemlich zerschlissen aussah.
„GRYFFINDOR!“ rief der Hut, kaum dass Amy den Hut aufgesetzt hatte. Glücklich rannte sie zu ihrem Haus und umarmte alle einmal kurz, bevor sie sich dort hinsetzte.
„Lovegood, Vivien.“
„RAVENCLAW“ Das jeweilige Haus jubelte lautstark.
„Malfoy, Scorpius.“ rief der Schulleiter auf und sah sich um. McGonagall nickte ihm unauffällig zu. Scorpius marschiert zu dem Hut. Er hatte ein selbstgefälliges Grinsen aufgesetzt, doch trotzdem sah ich ihm an, dass es ihm alles andere als gut ging.
Der Hut überlegte kurz. „SLYTHERIN!“ rief er dann laut und das genannte Haus brach in Beifall aus. Scorpius ging grinsend zu seinem Tisch, ohne mich auch nur eines Blickes zu würdigen.
„McLaggen, Josh!“
„RAVENCLAW!“ Wieder jubelte das Hasu Ravenclaw laut.
„McMillen, Amanda.“
„HUFFLEPUFF!“ rief der Hut. Amanda rannte glücklich zu ihrem Haus.
„Patil, Lorena.“ Ein kleines Mädchen trat aus der Menge und setzte sich den Hut auf.
„SLYTHERIN!“ schrie dieser gleich und Lorena ging fröhlich zu ihrem Tisch.
„Potter, Lily!“ rief der Schulleiter und schaute sich noch einmal verwirrt den Namen an. Dann schüttelte er kaum merklich den Kopf und widmete sich wieder dem Geschehen. Lily stolziert auf den Hut zu und setzte sich ihn auf.
Sofort schrie der Hut: „GRYFFINDOR!“ Und der Tisch brach in lauten Jubel aus und schrie: „Wir haben Potter! Wir haben Potter!“ Ich rollte mit den Augen. So kindisch, dachte ich.
„Pyghor, Neison.“
„GRYFFINDOR!“ schrie der Hut gleich und wieder brach Jubel am Gryffindor-Tisch aus.
Dann … „Sheppard, Emilia.“ Langsam ging ich nach vorne und setzte mich auf den brüchigen Stuhl. Dann nahm ich den Hut in die Hand und setzte ihn auf.
„Na sowas … Ein ganz mächtiger Zauberer, was? Ja, das spüre ich. Du hast mächtiges Blut in dir, Slytherin wäre bestimmt sehr hilfreich für dich.“ sagte der Hut leise zu mir, sodass nur ich es hören konnte. Ansonsten hielt die ganze Halle den Atem an. „Dein Vater war auch in Slytherin, weißt du. Und er hat es zu etwas ganz großem gebracht.“ Ich biss die Zähne zusammen. Entweder Gryffindor oder Slytherin. Auf keinen Fall in eines der anderen Häuser. Und am liebsten nach Slytherin zu Scorpius …
„Nun denn, dann SLYTHERIN!“ rief der Hut laut und mir fiel ein riesen Stein vom Herzen. Mit zitternden Knien und pochendem Herzen ging ich zu meinem Tisch nach links. Ich war glücklich, dass ich jetzt nach Slytherin gekommen war. So wie ich es gehofft hatte.
Außerdem kannte ich jetzt immerhin schon zwei Leute in Slytherin: Lucie und Scorpius.
Glücklich lief ich zu Lucie und setzte mich neben sie. Auch sie strahlte mich an. „Willkommen in Slytherin!“ sagte sie und umarmte mich. Ich lächelte sie an.
Scorpius schien dagegen eher weniger begeistert zu sein, dass auch ich nach Slytherin gekommen war.
„Thomas, Logan.“ rief der Schulleiter auf. Logan, dachte ich und drehte mich wieder zum Geschehen. Hoffentlich kam auch er nach Slytherin. Dann wären wir alle drei zusammen, so wie wir es gehofft hatten.
Logan trat auf den Hut zu und setzte ihn auf.
„SLYTHERIN!“ sagte dieser bestimmt und Logan hüpfte glücklich zu uns. Wir jubelten und hießen ihn herzlich Willkommen in unserem Haus.
„Weasley, Hugo.“ hieß es. Ein kleiner Junge mit roten Haaren und Sommersprossen bahnte sich einen Weg nach vorne, wo er sich den Hut aufsetzte.
„GRYFFINDOR!“ rief dieser. Lächelnd ging dieser Hugo zu seinem Tisch und setzte sich dorthin.
„Willkommen bei uns in Slytherin.“ sagte ein älterer Junge zu uns.
„Danke.“ murmelte ich glücklich.
„Ich bin euer Vertrauensschüler, falls ihr also Fragen haben solltet, stellt sie mir ruhig. Dazu bin ich da.“ grinste er. „Ach ja … ihr könnt mich Dylan nennen.“
„Danke, Dylan. Wie vieltes Jahr bist du?“ fragte ich ihn neugierig.
„Sechstes. Also jetzt bin ich in der sechsten, meine ich.“
Ich nickte. „Es gibt sieben Jahre, richtig?“
„Genau. Im Fünften machst du ZAG und im siebten dann UTZ Das sind so Prüfungen.“ erklärte er uns allen, denn auch die anderen hörten ihm ununterbrochen zu. Auch sie waren neugierig.
„ALLE mal herhören!“ rief plötzlich der neue Schulleiter mit magisch verstärkter Stimme durch den Saal. „Ich habe noch etwas anzukündigen.“ Sofort wurde es still und alle sahen aufgeregt zum Schulleiter. Die Spannung konnte man förmlich spüren.
„Zunächst einmal möchte ich noch anmerken, dass der Verbotene Wald wie jedes Jahr VERBOTEN ist. Keiner darf dort rein, ohne Ausnahmen!
Desweiteren möchte ich nun, bevor ich Sie entlasse, noch kundtun, dass dieses Jahr aufgrund der regen Nachfrage auch ein Weihnachtsball stattfinden wird. Dieser wird am Abend des 23. Dezembers um 18Uhr anfangen.
Folgen Sie nun bitte alle den Vertrauensschülern! Und dass mir ja niemand verloren geht!“ drohte er noch, doch es war schon zu laut, um zu verstehen, was er als nächstes sagte. Alle drängelten sich durch die kleine Tür nach draußen auf den Gang und besonders die Vertrauensschüler hatten damit zu kämpfen, alle aus ihrem Haus beisammen zu halten.
Mein Vertrauensschüler, Dylan, bedeutete uns allen, sitzen zu bleiben und zu warten, bis der große Ansturm vorbei war. Auch die Älteren durften noch nicht aufstehen.
Hier und da hörte ich Gemaule oder Geschreie, doch das interessierte mich recht wenig. Ich konzentrierte mich mehr darauf, mir zu merken, wer so alles in meinem Haus war.
Da war ein zierliches blondes Mädchen, vielleicht ein Jahr älter als ich und ansonsten saßen alle zu weit weg, um einige aus der Nähe betrachten zu können. Außerdem noch Scorpius, Lucie, Logan und Dylan. Ich war froh, die meisten aus meinem Jahrgang schon zu kennen, jedenfalls die in meiner Stufe. Vielleicht konnte ich sogar ein paar wirklich gute Freunde hier finden.
Nachdem die Große Halle dann fast leer war und nur noch vereinzelt einige Schüler umher liefen, gingen auch wir Slytherins zu unserem Gemeinschaftsraum. Der Weg dorthin bewies sich als eher beschwerlich, denn es gab so viele Treppen und Ecken in Hogwarts, dass ich schon nach zwei Minuten die Orientierung verlor. Außerdem änderten die Treppen auch immer die Richtung und so versuchte ich mir, den Weg anhand der Bilder an den Wänden zu merken. Doch auch das scheiterte kläglich, denn wie ich schnell feststellen musste, verließen die Leute auf den Bildern ihre Plätze und gingen andere Leute in anderen Bildern besuchen, um mit ihnen Tee zu trinken. Das alles konnte schon ziemlich verwirrend sein.
„Das werde ich mir doch nie merken können!“ stöhnte Lucie und sah mich traurig an. Auch ich hatte das Gefühl, dass ich noch etliche Zeit brauchen würde, um mir den Weg merken zu können.
Wir gingen einige Treppen hinunter und ich konnte schon gar nicht mehr sagen, wie viele Treppen das waren und in welchem Stockwerk wir uns nun befanden, als Dylan plötzlich vor einem großen Bild stehen blieb.
„Ratzeldidumm!“ sagte er stolz und drehte sich zu uns um. Dann scheuchte er uns Erstklässler von der Tür weg, die das Bild freigegeben hatte, als es wegschwang, damit die anderen Schüler schon einmal reingehen konnten.
„Wir werden gleich gemeinsam durch diesen Gang gehen. Dadurch kommen wir in den Slytherin-Gemeinschaftsraum. Die Schlafsäle sind jeweils links, für die Mädchen, und rechts für die Jungs. Euer Gepäck steht schon oben. Aber vielleicht sollte ich mich erst einmal vorstellen … Ich bin Dylan. Ich bin seit zwei Jahren Vertrauensschüler des Hauses Slytherin. Wenn ihr Fragen habt, kommt ruhig zu mir und fragt mich.“ Damit drehte er sich um, bedeutete uns ihm zu folgen, und ging durch die kleine Öffnung in der Wand. Der Gang war eng und dunkel und dauernd stieß ich mit meinem Vordermann zusammen, was uns beide ein paar blaue Flecken einbrachte.
Dann kamen wir in ein hell gehaltenes Zimmer, größer als mein Zimmer. Überall hingen Flaggen mit dem Wappen des Hauses Slytherin, einer Schlange, die einen grünen Hintergrund hatten. In der Mitte des Raumes stand eine Ecke mit einigen Sofas aneinander gereiht, alle in dunkelgrün gehalten, und ein Tisch daneben. Außerdem gab es noch einen recht gemütlich aussehenden Kamin, der aber in dieser Jahreszeit noch nicht brannte. Links und rechts gingen von dem Raum jeweils zwei Treppen hoch, ich vermutete, dass es dorthin zu den Schlafsälen ging.
„Wow!“ und „So hab ich mir das vorgestellt!“ hörte ich aus allen Ecken und ich war selbst erstaunt, wie schön das Zimmer aussah. Hätte ich echt nicht gedacht.
„Emilia, komm mit!“ Lucie zog mich am Ärmel mit sich und rannte eine der Treppen auf der linken Seite nach oben. Als ich mich noch einmal umschaute, sah ich, dass sich auch die anderen bereits aufmachten und uns hinterher kamen. Ich schlug die Tür auf, durch die Lucie gerade gegangen war und fand mich in einem kleinen Zimmer mit fünf Betten wider. Auf einem lag Lucie schon ausgestreckt. Sie hatte es sich auf dem Bett mit der besten Aussicht reserviert und sah mich nun belustigt an.
„Geiles Zimmer!“ meinte ich und legte mich in das Bett neben Lucie. „Ob wir wohl mehrere Zimmer haben oder nur eins?“ fragte ich.
„Für jede Stufe eins, würde ich sagen. Also werden wir wohl mit allen Mädchen der ersten Klasse Slytherin in diesem Zimmer schlafen.“ meinte sie und zuckte die Schultern, dann widmete sie sich dem Fenster hinter ihrem Bett und sah hinaus. Auch ich schaute kurz hinaus und konnte den Verbotenen Wald und eine kleine Hütte etwas abseits gelegen sehen. Daneben lag noch ein großer See, den ich aber nicht vollständig sehen konnte.
Dann wandte ich mich ab und widmete mich meinem Koffer, den ich ausräumen wollte. Erst stellte ich einige Fotos auf den Beistelltisch neben meinem Bett, dann legte ich meine Bücher und den Zauberstab daneben und der restliche Inhalt meines Koffers landete ich einem kleinen Schränkchen, genannt Kleiderschrank. Lucie sah mir gespannt dabei zu und kommentierte das ein oder andere Mal meine Handlung.
„Du hast auch nichts besseres zu tun, oder?“ fragte ich sie lachend. Sie schüttelte nur den Kopf und fing aber an, ihre eigenen Sachen auszupacken. Sie machte es ähnlich wie ich, die wichtigen Sachen stellte sie auf den Tisch neben ihrem Bett und den Koffer schob sie unter ihr Bett, wobei sie die Kleidung aber ordentlich im Schrank verstaute. Ich nahm mir vor, bei Gelegenheit mal meinen Kleiderschrank zu sortieren wie es Lucie gemacht hatte.
„Was machen wir jetzt? Wir haben noch bis zehn Zeit, dann sollten wir vielleicht ins Bett gehen!“ fragte ich und sah nach draußen. Nach draußen gehen wollte ich bei der Dunkelheit bestimmt nicht, wo wir uns doch schon bei Tageslicht verlaufen würden.
„Gehen wir doch runter in den Gemeinschaftsraum. Vielleicht ist dort ja etwas los.“ schlug Lucie gerade vor, als ein Mädchen unser Zimmer betrat. Sie hatte blonde, gewellt Haare und ein zierliches Gesicht. Außerdem blaue Augen, die einen immer durchdringend ansahen.
„Kann ich zu euch kommen?“ fragte sie schüchtern.
„Klar!“ rief ich glücklich, noch eine Zimmergenossin zu haben. Sie lächelte uns schüchtern an, dann ging sie zu einem Bett eher abseits von unseren und fing an, ihre Sachen in den Schrank zu räumen.
„Sollen wir dir helfen?“ fragte ich hilfsbereit. Doch sie schüttelte nur den Kopf und räumte weiter ihre Sachen ein.
„Wie heißt du denn?“ mischte sich jetzt auch Lucie mit ein.
„Lorena. Und ihr?“ fragte sie unsicher und sah uns neugierig an.
„Lucie.“ murmelte meine Freundin und lächelte Lorena an.
„Emilia.“ sagte ich noch immer glücklich. „Was meinst du? Sollen wir nun noch nach unten gehen oder bleiben wir hier?“ fragte ich an Lucie gewandt.
„Ich bin dafür, dass wir hierbleiben. Ich bin totmüde und würde am liebsten sofort ins Bett fallen und einschlafen.“ Bestätigt wurde dies durch ihr Gähnen, wodurch ich lachen musste.
„Dann geh doch schlafen!“ riet ich ihr noch immer lachend.
„Neee später. Ich bin noch viel zu aufgedreht.“ murmelte sie und lächelte mich an.
Plötzlich fühlte ich einen stechenden Schmerz in meiner rechten Seite. „Au!“ presste ich zwischen den Lippen heraus und drückte mit beiden Händen gegen den Schmerz an. Doch es wurde nicht besser. Meine Sicht verschwamm leicht und ich bekam Panik. Waren das noch Auswirkungen von dem Sturz? Oder was sollte es sonst sein?
„Emilia!“ schrie Lucie und ich fühlte zwei Hände, die mich hielten, damit ich nicht hart auf dem Boden aufschlug. Dann wurde es noch schlimmer. Mein Arm, dort, wo das Zeichen gewesen war, brannte höllisch und ich war kurz davor, mir meinen Ärmel wegzureißen, als der Schmerz in meiner rechten Seite so plötzlich versiegte, wie er gekommen war. Stöhnend und nach Luft ringend presste ich meine Hand auf das Zeichen an meinem Arm.
„Alles okay?“ fragte mich Lucie besorgt. Meine Sicht wurde mit jedem Atemzug klarer und je mehr ich mich beruhigte, umso besser ging es mir wieder.
„Ja. Alles bestens.“ murmelte ich und wollte aufstehen, doch Lucie hielt mich fest.
„Nein, was ist los?“ fragte sie mich ernst. Ich schüttelte den Kopf. Ich wollte nicht darüber reden.
„Ist bestimmt eine Folge von meinem Sturz.“ erklärte ich, hatte aber keinerlei Lust, das weiter auszuführen. Und ich hatte Glück, denn sie fragte nicht weiter nach.
"Dir geht es wirklich wieder gut? Du solltest in das Krankenzimmer gehen, wirklich." riet sie mir.
Ich schüttelte den Kopf. "Mir geht es gut. Das habe ich öfter mal." log ich und legte mich ins Bett. Ich bekam die nächsten Minuten, bis ich eingeschlafen war, auch nicht mehr viel mit, denn ich schloss einfach nur meine Augen und dachte nach.
Ich wachte früh auf. Lucie und Lorena schliefen noch, als ich aufstand und mich fertig machte. Nachdem ich mich geschminkt und angezogen hatte, schnappte ich mir meinen Zauberstab, steckte ihn in eine Tasche und ging nach unten in den Gemeinschaftsraum. Der Gemeinschaftsraum war fast leer, bis auf ein paar ältere Slytherins und Dylan, der auf dem Sofa saß und gerade Löcher in die Luft starrte.
"Hey." murmelte ich und setzte mich neben ihn auf das Sofa. Er lächelte mich verhalten an.
"Hallo Emilia. Gut geschlafen?" fragte er.
Ich nickte. "Sehr gut, ja. Ich wollte eigentlich jetzt nach unten Essen gehen, aber ich weiß nicht, wie ich da hinkomme ..." murmelte ich und hoffte, er würde mir den Weg zeigen.
"Wenn du willst, können wir zusammen gehen." schlug er hilfsbereit vor und stellte sich vor mich. Dann lächelte er mich an und bot mir seine Hand an. Ich zog mich dankend an seiner Hand hoch und zusammen gingen wir aus dem Portraitloch auf den Gang. Schon nach einigen Minuten wusste ich nicht mehr, wo wir waren und dementsprechend überascht war ich, als wir tatsächlich in der Großen Halle ankamen.
"Den Weg werde ich mir doch nie merken können!" klagte ich Dylan mein Leid.
"Das wird schon. Es ist gar nicht so schwer, wie es aussieht." sagte er aufmunternd und zog mich zum Slytherintisch. In der großen Halle war noch nicht besonders viel los, deswegen war es so leise, dass man alles hörte.
"Ahh Miss Sheppard! Ihr Stundenplan!" hörte ixh eine Stimme hinter mir sagen. McGonagall stand hinter mir und hielt mir einen Zettel hin.
"Ihren habe ich auch hier irgendwo." wandte sich Professor McGonagall an Dylan und suchte in ihrem Stapel Zettel nach dem Stundenplan von Dylan. Nach einigen Sekunden gab sie Dylan seinen Stundenplan und ging weiter zu den anderen Schülern, die gekommen waren.
"Was hast du gleich?" fragte Dylan mich freundlich.
"Kräuterkunde mit den Gryffindors. Und dann Fliegen ebenfalls mit den Gryffindors." las ich ab.
"Dann kann ich dich hinbringen. Meine Klassenzimmer liegen immer neben deinen." lächelte Dylan mich an. "Zumindest in den ersten Stunden."
Ich lächelte glücklich. Immerhin musste ich nicht allein versuchen, die Klassenzimmer zu finden.
"Was lernt man denn in Fliegen?" fragte ich neugierig.
"Fliegen eben." lachte Dylan. "Du lernst, wie du mit dem Besen umgehen musst."
"Das kann ich doch schon." stellte ich fest. Ich dachte mir, dass Fliegen vermutlich die leichteste aller Stunden hier werden würde. Dazu brauchte man zumindest keine Theorie, was ja nur gut sein konnte.
"Hey ihr zwei. Ich hab dich schon gesucht, Emilia!" sagte Lucie, die sich gerade zu uns setzte.
"Tut mir Leid. Ich bin so früh aufgewacht und wollte nicht so lange da rumliegen." erklärte ich langsam. "Also bin ich mit Dylan schon zum Essen gegangen."
McGonagall, die gerade an uns vorbei kam, legte Lucie's Stundenplan vor ihr auf den Tisch und ging ohne ein Wort weiter.
"Oh cool. Wir haben heute in der zweiten Stunde Fliegen. Ich freu mich schon total!" fröhlich studierte Lucie ihren Stundenplan.
"Hast du schon mal auf einem Besen gesessen?" fragte ich sie neugierig.
"Nein. Deswegen freue ich mich ja so!" erwiderte Lucie und aß ihr Brot auf.
"Ich saß einmal auf einem ... " murmelte ich leise. "Wollen wir gehen?"
"Klar. Zu Kräuterkunde. Wo müssen wir hin, Dylan?" fragte Lucie.
"Ich bring euch hin, habe ich Emilia vorhin auch schon gesagt." strahlte er und ging aus der Großen Halle. Wir folgten ihm und fanden uns schon bald draußen wider. Es war nicht so kalt, aber trotzdem fror ich ein wenig. Dylan führte uns über einen kleinen Trampelpfad am See entlang und hielt vor einem Gewächshaus. Es gab einige Gewächshäuser, die mit Zahlen nummeriert waren.
"Ihr müsst in Nummer 1!" erklärte er uns und zeigte auf das Gewächshaus mit der Nummer 1. "Viel Spaß euch zwei. Ich hole euch nachher wieder ab." sagte er, dann bog er um die Ecke und war verschwunden. Wir hatten gar nicht die Gelegenheit, etwas zu erwidern.
Also gingen wir in das Gewächshaus und schon beim reinkommen fiel ich beinahe ohnmächtig um, denn in diesem Gewächshaus war eine so stickige Luft, dass man es eigentlich schon gar nicht mehr Luft nennen konnte.
Als wir hereinkamen sahen uns die Gryffindors alle nur abschätzig an.
"Hey." lächelte ich die Gryffindors an, doch nur wenigen lächelten zurück.
"Dein hey kannst du dir sparen!" schnauzte Lily.
"Ich wollte nur nett sein. Tut mir Leid." meinte ich, obwohl es mir nicht einmal Leid tat, doch nur so konnte ich erreichen, dass sie mich in Ruhe ließ.
"Es tut dir nicht Leid, das merkt man!" maulte sie weiter. Man, dachte ich, ist das eine Zicke.
"Kannst du jetzt bitte deinen Mund halten? Oder willst du mich provozieren?" fragte ich Lily mit hochgezogenen Augen. Lucie und die anderen, die schon da waren, sahen Lily ebenfalls eher ängstlich an. Ich hatte keine Angst vor ihr, wieso auch? Sie konnte mir nichts.
"Du willst ja wohl mich provozieren, schließlich redest du hier so einen Blödsinn!" meinte sie und sah mich abfällig an.
"Das ist nur die Wahrheit. Wenn du die nicht verträgst, tut es mir echt Leid für dich." murmelte ich und wandte mich von Lily ab. Diese sah mich nur spöttisch und gedemütig an, als Professor Sprout den Raum betrat.
"Was war das eben, Miss Sheppard? 5 Punkte Abzug für Slytherin!" rief sie und widmete sich ihren Blumen und Pflanzen. In der nächsten Stunde nahm sie die ganze Zeit die Gryffindors dran, egal ob wir uns meldeten oder nicht. Wir waren für sie unsichtbar.
Außerdem war Kräuterkunde so ziemlich das langweiligste Fach der Welt. Professor Sprout hielt uns eine ellenlange Rede, in der sie sehr oft betonte, Kräuterkunde sei eine Kunst für sich und nicht viele würden sie beherrschen. Ich hatte mir unter Kräuterkunde eher so praktische Aufgaben vorgestellt, nicht so eine langweilige Stunde der Theorie. Noch dazu behandelte sie uns Slytherins einfach so wie Luft und keiner konnte sich darauf einen Reim machen.
Ich war froh, als ich endlich das Gewächshaus verlassen durfte und ich war nicht die einzige, die sich über diese Professorin beschwerte. Ich hatte während des Unterrichts immer wieder zu Scorpius geschielt, doch der beteiligte sich kein bisschen am Unterricht und schien auch sonst eher in Gedanken zu sein.
"Dylan!" rief ich, als ich sah, dass Dylan auf uns zu kam. Sofort strahlte er über das ganze Gesicht.
"Na ihr zwei! Wie war's?" fragte er neugierig und bedeutete uns, ihm zu folgen.
"Schrecklich. Professor Sprout hat uns doch glatt 5 Punkte abgezogen, weil ich mich mit Lily unterhalten habe! Und dann hat sie uns die ganze Stunde lang ignoriert!" regte ich mich auf.
Dylan nickte nur. "So ist sie manchmal, wenn sie einen schlechten Tag hat. Seit froh, dass die Gryffindors da waren und nicht die Hufflepuffs. Das wäre weitaus schlimmer gewesen." erklärte er uns. Dann zeigte er auf ein großen Stadion am Horizont. "Da müsst ihr hin. Dort lernt ihr Fliegen." murmelte er und sah uns neugierig an.
"Ich hab irgendwie etwas Angst davor!" meinte Lucie.
"Musst du nicht. Es ist wirklich nicht schlimm. Und ihr müsst doch unsere nächste Generation Quidditchspieler sein!" sagte Dylan. Wir nickten lächelnd. In einem waren wir uns einig: Wir wollten auf jeden Fall irgendwann mal Quidditch spielen. Auch wenn wir beide nicht so recht wussten, wie das geht. Aber das lernte man ja ziemlich schnell.
"Da wären wir. Ich muss auch schon los. Ich hab jetzt Zaubertränke. Viel spaß!" rief er und entfernte sich. Als er fast nicht mehr zu sehen war, drehte er sich noch einmal um und winkte uns zu.
Vorsichtig betraten wir das Stadion und waren überrascht, wie groß es von innen war, wo es von außen so winzig wirkte. Eine Professorin mit gelben Augen und einem Besen in der Hand wartete bereits auf uns und wies uns an, uns in zwei Reihen gegenüber aufzustellen. Jeder musste neben einem Besen stehen. Die Professorin sah streng aus und ich glaubte nicht, dass sie besonders viel Spaß verstehen würde.
Alle taten schnell, was sie sollten und die Professorin begann den Unterricht.
"Nun, erst einmal herzlich Willkommen im ersten Schuljahr. Ich bin Madam Hooch, eure Fliegenlehrerin und Quidditchspielleiter. Zu eurer Information: Erstklässler können unter bestimmten Umständen durchaus ins Quidditch Team kommen, doch bedarf es dafür jede Menge Talent und Können. Wer saß denn schon einmal auf einem Besen?" fragte Madame Hooch.
Ich meldete mich und auch Scorpius meldete sich. Außerdem noch Lily und jemanden, den ich nicht kannte.
"Wollen Sie einzeln vorkommen und zeigen, wie es geht?" fragte sie und sah dabei aber mich an. "Nur einer kann vormachen. Sie können sich selbst aussuchen, wer es macht." sagte sie und sah uns diesmal alle der Reihe nach an.
"Ich mach!" erklärte ich bereitwillig, da offenbar niemand anders wollte. "Was genau soll ich denn machen?" fragte ich.
"Etwas herumfliegen, wenn du kannst." meinte sie und sah mich neugierig an.
Ich stellte mich vor meinen Besen, ließ ihn zu mir hochfliegen mithilfe meiner Gedanken und setzte mich dann darauf. Kurz atmete ich noch einmal kurz durch, dann drückte ich mich mit meinen Füßen vom Boden ab und schwang in die Luft. Die anderen aus der Klasse hielten den Atem an und sahen mir gespannt zu, wie ich ein paar Runden drehte. Aus dem Augenwinkel sah ich noch, wie Lily etwas mit ihrem Zauberstab machte, dann entdeckte ich etwas auf mich zufliegen. Es war ein kleines silbernes rundes Etwas und war kaum zu sehen, so schnell flog es auf mich zu. Instinktiv streckte ich die Hand danach aus und fing es auf, unten jubelten einige Schüler, der Rest sah mich entgeistert an. Ich sah, dass es eine Kette war und in der Kette konnte ich, während ich wieder auf den Boden zuflog, ein Bild erkennen, wo Lily zu sehen war. Sie hatte das also tatsächlich geworfen um mich dumm dastehen zu lassen. Das würde sie auf jeden Fall zurück bekommen. Egal wie.
"Madam Hooch, mich hat jemand mit dieser Kette hier abgeschossen." sagte ich und zeigte ihr die Kette, die ich oben gefangen hatte. Die Professorin untersuchte die Kette und rief Lily Potter her.
"Ihr beide kommt mal mit mir mit. Der Rest der Klasse bleibt so wie er ist. Wer fliegt, wird sofort aus der Schule verwiesen!" drohte sie und wandte sich dann von den anderen ab. Sie bedeutete uns, ihr zu folgen und zusammen gingen wir dann ins Schulhaus. Sie führte uns durch jede Menge Gänge und machte vor einer alt aussehenden Tür Halt. Dann klopfte sie.
"Sie, Mrs. Potter, warten hier!" befahl sie und machte die Tür auf. Als ich ebenfalls im Raum war, schloss sie die Tür wieder und widmete sich dem Professor, der am Pult saß und uns aufmerksam musterte.
"Horace, ich glaube, ich habe hier einen wirklich guten Quidditchspieler für Ihr Team." sagte Madam Hooch. Quidditch, ich? Ich sollte ins Team?
"Nun, darf ich sie testen?" erwiderte er und sah mich skeptisch an. Ich glaubte, ich höre nicht richtig. Er wollte mich testen? Wieso denn?
"Sie ist für den Rest der Stunde befreit, Horace." Damit ging sie hinaus, wo Lily auf sie wartete, und schloss die Tür hinter sich. Ich fühlte mich unwohl, mit einem Lehrer allein in einem Klassenzimmer zu sein.
"Professor, was haben Sie jetzt vor?" fragte ich neugierig.
Lange sah er mich einfach nur an. "Du bist im Team. Als Sucher. Ich werde dem Kapitän Bescheid geben." murmelte er mehr zu sich selbst.„Du wirst ab nächste Woche regulär mit allen anderen trainieren. Ich werde Blake zu dir schicken.“ Er nickte mir zu und lächelte leicht.
„Dein Name kommt mir bekannt vor …“ sagte Horace und versuchte, sich daran zu erinnern, wo er den Namen schon einmal gehört hatte.
„Draco, stimmt's?“ fragte er leise.
Ich nickte. Ich fand diesen Professor immer noch mehr als angsteinflößend und wollte eigentlich nur noch so schnell wie möglich weg.
„Wer sind Sie?“ fragte ich, es war mir egal, ob das nun unhöflich war oder nicht, ich war neugierig.
„Horace Slughorn. Professor für Zaubertränke und Hauslehrer von Slytherin.“ erklärte er mir hilfsbereit und sah mich aufmunternd an, was eher wie eine komische Grimasse aussah.
„Schon mal auf einem Besen gesessen?“ fragte er.
„Ja, bei den Malfoys. Ich habe eher … unangenehme Erfahrungen damit gemacht.“ erklärte ich langsam, und er schien zu merken, dass ich darüber nicht weiter reden wollte. Er wechselte sogleich das Thema.
„Wollen wir es mal versuchen?“ fragte er vorsichtig. „Zu zweit ein wenig Quidditch spielen, damit ich dir alles nötige erklären kann?“
„Natürlich!“ rief ich fröhlich. Ich liebte Fliegen, trotz des Unfalls.
„Nun gut. Dann folgen Sie mir!“ meinte er und ging aus dem Klassenzimmer. Offenbar hatte er gerade eh nichts zu tun, und ich fand es gut. Am besten fand ich, dass ich mit ihm nicht mehr in einem Raum sein musste, denn er machte mir wirklich Angst. Er erinnerte mich an jemanden aus meiner Kindheit. Doch ich konnte ihn nicht zuordnen. Als kleines Baby hatte ich ihn zumindest mal gesehen, soweit mich meine Erinnerung nicht täuschte.
Langsam und mit etwas Abstand folgte ich ihm nach draußen, wo er schnell zwei Besen herzauberte. Ich schaute ihn erstaunt und mit großen Augen an.
„Versuch mal, den Besen in deine Hand fliegen zu lassen.“ meinte er. Ich nickte und versuchte mich auf das Rauschen des Windes zu konzentrieren. Instinktiv hob ich meine Hand und machte meine Augen zu. Dann stellte ich mir vor, dass der Besen in meiner Hand war und als ich meine Augen wieder öffnete, musste ich mit Verblüffung feststellen, dass ich es tatsächlich geschafft hatte, den Besen fliegen zu lassen. Auch Professor Slughorn sah begeistert aus.
„Wie haben Sie das denn gemacht?“ fragte er mich erstaunt.
Ich zuckte mit den Schultern.
„Ich meinte, dass Sie den Besen mit 'Accio' herzaubern sollten, aber ich verstehe nicht recht, wie Sie es gemacht haben …“ murmelte er.
„Konzentrieren auf den Wind. Und dann einfach Hand ausstrecken und schon war der Besen da … Ist etwas schwer zu erklären.“ sagte ich und versuchte mein bestes, bloß nicht durch noch mehr Talent aufzufallen. Ich war jetzt mit Quidditch aufgefallen und meine magischen Fähigkeiten waren wohl auch ganz passabel … wenn man vom Gesichtsausdruck des Professors ausging, doch ziemlich viel mehr als passabel.
„Unausgesprochene Zauber … die lernt man normalerweise in der sechsten …“ stellte er fest.
„Professor, waren wir nicht wegen Quidditch hier?“ fragte ich, um vom Thema abzulenken. Bloß nicht noch mehr Unklarheiten, davon hatte ich nun wirklich schon genug.
„Oh ja, natürlich.“ murmelte er etwas verwirrt. „Fliegen Sie erst einmal eine Runde.“
Ich nickte und schwang mich und meinen Besen in die Lüfte. Sogleich spürte ich den Wind, der mich trug und die Sonne, die auf mein Gesicht schien und mich etwas blendete. Ich liebte es, so frei in der Luft fliegen zu können, das war das schönste Gefühl der Welt, da war ich mir sicher. Jetzt traute ich mich auch, noch höher zu fliegen als zehn Meter, was ich beim Quidditch ja eh können müsste.
„Sie müssen wissen, dass jede Mannschaft sieben Spieler hat – drei davon sind Jäger, zwei Treiber, ein Hüter und ein Sucher.“ Der Professor war mittlerweile ebenfalls mit seinem Besen hoch gekommen und zeigte mir jetzt einen hellroten Ball in der Größe eines Fußballs. „Das ist der Quaffel. Die drei Jäger werfen sich die Quaffel zu und versuchen ihn in die gegnerischen Torringe zu bekommen. Dafür gibt es pro Quaffel dann zehn Punkte. Soweit verstanden?“ fragte Professor Slughorn.
Ich nickte. Drei Jäger, die die Quaffel fingen und sie in die Tore werfen. Ganz leicht zu verstehen.
„Dann gibt es noch einen Hüter in jeder Mannschaft. Dieser bewacht die Tore und versucht alles zu halten, was auf dem Weg dorthin ist.“ erklärte mein Hauslehrer. So langsam fing ich doch an, ihn sympathisch zu finden.
„Hier!“ Slughorn warf mir ein kleines Schlagholz hin und ich fing es, während ich mich fragte, was ich damit tun sollte. Es war ähnlich einem Baseballschläger. Vermutlich musste ich jetzt irgendwas schlagen, dachte ich. Das konnte ich noch nie besonders gut.
Der Professor warf den Quaffel wieder auf den Boden, wo er dann liegen blieb, und nahm einen anderen Ball in die Hand. Dieser war wesentlich kleiner als der Quaffel, und war auch ganz tiefschwarz. Außerdem versuchte der kleine Ball immer, der Hand des Professors zu entkommen. Staunend schaute ich dem Professor zu, der mit dem Ball in der Hand etwas weiter weg von mir flog. Ich blieb, wo ich war und wartete ab.
„Schlagen Sie diesen Ball einfach mit dem Schlagstock und versuchen Sie dabei, mich zu treffen.“ brüllte der Professor mir zu und ich machte mich bereit. Slughorn warf den Ball mit voller Wucht in meine Richtung. Panisch schlug ich mit dem Baseballschläger auf den fliegenden Ball, hörte noch ein 'Bumm' und schon flog der Ball dahin zurück, wo er herkam. Nämlich auf Slughorn zu, der den Ball nur mit größter Mühe fangen konnte. Als er den Ball endlich wieder unter Kontrolle hatte, kam er zu mir geflogen und erklärte mir, was man mit dem Ball machen musste.
„Das war ein Klatscher. Die Treiber arbeiten mit ihnen und versuchen einfach, sie von ihrer Mannschaft fernzuhalten und sie auf die gegnerische Mannschaft zu lenken. Sie müssen wissen, dass Klatscher sehr gefährlich sein können, die versuchen während des ganzen Spiels, die anderen im Team spielunfähig zu machen.“ erklärte er mir.
Ich nickte. „Klingt ja eigentlich gar nicht schwer. Aber was muss ich denn machen?“ fragte ich neugierig.
„Sie sind der Sucher, vermutlich. Sie müssen diesen hier fangen.“ Er hielt mir einen kleinen goldenen Ball mit Flügeln vor die Nase, der etwas kleiner war als die Quaffel und die Klatscher. Er war in etwa so groß wie eine Walnuss und man konnte ihn nur ganz leicht sehen in der Mittagssonne.
„Dieser Ball heißt Schnatz. Wenn dieser Ball von einem Sucher gefunden wurde, bekommt die Mannschaft 150 Punkte und das Spiel ist vorbei. Sie dürfen sich also nicht von den Treibern, Jägern, Klatschern und Quaffel ablenken lassen, denn Sie müssen den Schnatz unbedingt vor dem anderen Sucher fangen. Bis dahin ist es meist besser, Sie halten sich aus dem Spiel raus, bis Sie den Schnatz gesichtet haben.“ erklärte Slughorn eingehend und sah mich musternd an. Er schien in mich hinein schauen zu können, zumidnest hatte ich das Gefühl.
„Alles verstanden?“ fragte er mich.
Ich nickte. „Ich denke ja, Professor.“ murmelte ich leise und sah mich um. Die schöne Aussicht, die sich mir bot, hatte ich noch gar nicht bemerkt, so sehr war ich mit Quidditch beschäftigt gewesen. Ich konnte sogar die anderen aus meiner Klasse beobachten, die offenbar noch immer nicht fliegen durften, sondern noch Theorie machen mussten. Ich freute mich, dass ich nicht dabei war, wobei ich da wohl einiges würde aufarbeiten müssen, wenn ich das alles verpasst hatte. Außerdem konnte ich den Verbotenen Wald sehen und den großen See, durch den wir mit den Booten nach Hogwarts gekommen waren.
„Ich denke, Sie sollten nun wieder in Ihren Unterricht gehen. Was haben Sie denn jetzt, Miss Sheppard?“ fragte mich Slughorn freundlich.
Meinen Stundenplan hatte ich hier oben natürlich nicht, dennoch meinte ich, mich daran erinnern zu können, dass ich jetzt gleich Zauberkunst haben würde.
„Zauberkunst, glaube ich.“ sagte ich und setzte wieder mit meinem Besen am Boden auf.
„Nun, dann bringe ich Sie noch zu Ihrem Klassenzimmer, damit Sie sich nicht verlaufen. Natürlich nur, wenn Sie es möchten.“ bot er an. Ich fand die Idee super und sagte auch gleich zu. Ansonsten hätte ich mich sowieso nur verlaufen und wäre dann womöglich noch zu spät gekommen. Und noch eine Stunde wollte ich auf keinen Fall verpassen. Nicht schon an meinem ersten Tag.
„Danke, Professor.“ murmelte ich, als wir ins Schloss gingen.
„Nicht der Rede Wert!“ erwiderte Slughorn und sah dauernd zu mir nach unten.
„Professor … Sie schauen mich schon die ganze Zeit über seltsam an, was ist los?“ fragte ich alarmiert.
„Ich kannte Ihre Eltern. Ihre ganze Familie.“ murmelte dieser und blieb stehen. Ich sah ihn nur neugierig an.
„Sie kennen Emely Graves?“ fragte ich erstaunt.
Doch zu meiner Überraschung schüttelte er nur den Kopf und sah mich forschend an. „Ihre Mutter heißt Emely Graves?“ fragte er irritiert.
Ich nickte. „Was ist daran so seltsam?“ fragte ich.
„Nun, gar nichts. Ich habe Sie wohl mit jemandem anders verwechselt.“ murmelte Slughorn. Dann blieb er stehen und deutete auf eine Tür. „Der Zauberkunst-Raum.“ Ich nickte und verabschiedete mich von ihm, dann betrat ich den Zauberkunst-Raum. Gespannt setzte ich mich in die erste Reihe und sah mich in dem großen Raum um. Die Sitzbänke waren in U-Form im Klassenzimmer verteilt und in der Mitte stand ein großes Pult. Dahinter waren eine Reihe von Büchern aufgestapelt, ich hoffte mal nicht, dass er damit demonstrieren wollte, was wir alles noch lernen mussten. Ich war fünf Minuten zu früh im Zimmer gewesen, sodass weder ein Lehrer, noch die Schüler zu sehen waren. Erst nach und nach traten immer wieder kleine Gruppen von Schülern in den Raum und musterten mich verwirrt. Ich warte ungeduldig darauf, dass Lucie endlich kam. Und ich musste wirklich lange warten, denn Lucie war so ziemlich eine der letzten. Sie setzte sich leise neben mich und packte ihre Sachen aus.
„Was ist passiert zwischen Lily und dir?“ fragte sie mich neugierig, als sie sich gesetzt hatte.
„Ich weiß nicht. Madam Hooch brachte mich zu meinem Hauslehrer und nun ja, dieser brachte mir dann das Quidditchspielen bei. Ich soll ins Team.“ erklärte ich leise. „Aber nicht weiter sagen!“ warnte ich sie.
„Mein Mund ist versiegelt. Madam Hooch hat etwas erstaunt und verwirrt geschaut, als sie wieder kam. Lily ist immer noch nicht wieder da.“ meinte sie.
„Alle mal leise!“ schrie ein kleiner Mann durch das Zimmer, der gerade zur Hintertür hereinkam. Er hatte weiße Haare und sah von der Größe her aus wie ein Kobold. Die Klasse wurde leiser und beruhigte sich dann ganz, als der Professor auf den Stapel Bücher kletterte, und uns alle der Reihe nach musterte.
„Filius Flitwick mein Name! Ich werde euch die nächsten Jahre durch das Fach Zauberkunst begleiten.“ erklärte er und sah besonders Scorpius komisch an. Dieser hielt dem Blick stand und unterhielt sich weiterhin mit einem anderen Slytherin.
„Fangen wir mit dem leichten Schwebezauber an! Macht die Bewegung nach.“ Er bewegte seine Hand etwa fünfmal von links nach rechts und wieder zurück. „Das nennt man Wutscheln und Wedeln. Dem Ausdruck werdet ihr noch öfter begegnen.“ erklärte er stolz und sah uns dabei zu, wie wir die Bewegungen machten. Einige Minuten lang geschah gar nichts.
„Nun, haben alle eine Feder vor sich liegen?“ fragte Professor Flitwick. Alle hielten ihre Federn nach oben und er nickte sichtlich erfreut.
„Nun. Zuerst macht ihr die Bewegung, die wir eben geübt haben. Dann zeigt ihr mit eurem Zauberstab auf die Feder und sagt: 'Wingardium Leviosa'“ Wir versuchten es alle und probierten auch, das Wort genauso zu betonen, wie der Professor es getan hatte, doch das gelang nur wenigen. Scorpius ließ seine Feder mit einem höhnischen Grinsen fliegen und der Professor quiekte vor Freude.
„Nehmen Sie sich ein Beispiel an Mr. Malfoy!“ rief er durch das Zimmer und beobachtete uns.
Ich probierte es noch einmal. Diesmal klappte es auch bei mir. Ich ließ die Feder einmal quer durch das Klassenzimmer fliegen und dann wieder auf meinem Platz landen. Logan hatte nicht so viel Glück – er schaffte es, seine Feder explodieren zu lassen, wie auch immer er es gemacht hatte, es schien nicht richtig gewesen zu sein. Am Ende der Stunde hatte es fast jeder zumindest einmal geschafft, die Feder zum Fliegen zu bringen und besonders Logan war stolz darauf, dass er es geschafft hatte.
„Zauberkunst ist toll.“ sagte Logan gerade zu mir, als mich Scorpius von der Seite anrempelte und mir fast seinen Arm ins Gesicht schlug.
„Jetzt reicht's aber!“ schrie ich wütend und lief Scorpius schnell hinterher. Dieser versuchte noch, sich in einem Klassenzimmer zu verstecken, doch ich war nur kurz hinter ihm. Ich hielt ihn am Arm fest, als er gerade flüchten wollte.
„Du sagst mir jetzt gefälligst, was mit dir los ist!“ zischte ich und sah ihn wütend an. Wenn Blicke töten könnten, wäre ich jetzt tot. Denn Scorpius starrte mindestens ebenso genervt zurück.
„Halt einfach deine Klappe!“ rief er und wollte sich losreißen, doch ich hielt ihn weiterhin fest.
„Ich dachte, wie sind Freunde.“ stellte ich wütend fest.
„Das waren wir. Bis zu deinem Unfall.“ sagte er und ich sah, wie das alte Blitzen in seinen Augen kurz durchschimmerte. Doch gleich darauf verschwand es wieder.
„Was haben deine Eltern gemacht?“ zischte ich leise. Scorpius schüttelte nur den Kopf und riss sich diesmal endgültig von mir los. Dann rannte er davon.
Deprimiert machte ich mich jetzt auf zur nächsten Stunde. Lucie hatte in sicherer Entfernung auf mich gewartet und zusammen gingen wir zum nächsten Unterricht. Wir hatten zusammen mit den Ravenclaws Pflege magischer Geschöpfe. Als Lucie und ich im Klassenzimmer ankamen, warteten bereits alle ungeduldig auf uns beide. Schnell setzten wir uns unter den Blicken der anderen in die letzte Reihe. Leider saß auch Scorpius in der letzten Reihe – und zwar neben mir. Es war aber auch kein anderer Platz frei, also musste ich mich wohl mit dem Gedanken anfreunden. Auch Scorpius schien es gar nicht toll zu finden, dass ich jetzt neben ihm saß. Ich rückte soweit es nur ging näher an Lucie heran und tat, als würde ich aufmerksam dem Unterricht folgen. Natürlich tat ich genau das nicht, denn ich dachte immer noch darüber nach, was denn nun zwischen ihm und seinen Eltern gewesen war. Irgendwann würde ich es schon aus ihm heraus bekommen.
„Nicht einschlafen!“ zischte Lucie und zeigte nach vorne, wo Hagrid, wie er sich am Anfang der Stunde vorgestellt hatte, gerade etwas an die Tafel schrieb. Ich mochte Pflege magischer Geschöpfe schon jetzt nicht mehr. Gelangweilt schrieb ich das ab, was er aufgeschrieben hatte, und widmete mich dann wieder meinen eigenen Gedanken.
Am Ende der Stunde konnte ich sagen, ich hatte wirklich nichts gelernt, obwohl es ja eigentlich meine eigene Schuld war.
„Dieser Typ ist ja wohl einfach nur grauenvoll! Finden die denn keinen besseren Lehrer?“ regte ich mich auf.
„Nein. Wie es scheint nicht. Der Typ, Hagrid, wurde früher mal von Hogwarts geschmissen, seit dem hatte er als Wildhüter gearbeitet.“ sagte Logan spöttisch. Wir mochten Hagrid also alle nicht sonderlich. Was auch kein Wunder war. Er mochte uns Slytherins nämlich auch nicht so. Wenn sich jemand von den Slytherins meldete, nahm er schon aus Prinzip die Ravenclaws dran.
„Und der hat uns schon am ersten Tag einen Haufen an Hausaufgaben gegeben!“ beschwerte ich mich. Die beiden anderen nickten. Für heute hatten wir dann frei. Keine langweiligen Unterrichtsstunden mehr für heute – nur noch die Hausaufgaben. Schon bei dem Wort stöhnte ich innerlich.
Plötzlich hielt mir jemand von hinten die Augen zu. Ich konnte mir schon sehr gut denken, wer es gewesen war. Dylan.
„Dylan!“ rief ich freudig aus, drehte mich um und fiel ihm in die Arme. Dylan lachte nur und drückte mich kurz. Dann schob er uns weiter und zusammen gingen wir in unseren Gemeinschaftsraum.
„Wie war euer Unterricht?“ fragte er neugierig auf dem Weg zum Gemeinschaftsraum.
„Schrecklich!“ stöhnte ich. „Wir wurden die ganze Zeit über benachteiligt.“
Dylan grinste. „Genau so kann ich mich auch an meinen ersten Tag erinnern. Aber wenn dich die Lehrer erst einmal kennen, werden sie auch netter. Ganz sicher!“ versuchte er, uns aufzumuntern. Und es klappte.
Am Abend saßen wir alle zusammen im Gemeinschaftsraum und machten unsere Hausaufgaben. Jeder von uns machte das Fach, was er am besten konnte, und ließ dann die jeweils beiden anderen abschreiben. Dylan machte seine eigenen Hausaufgaben und half uns, wenn wir nicht weiterkamen.
„Ihr müsst unbedingt mal Geschichte Hogwarts lesen, Leute!“ sagte Dylan zum hundertsten Mal zu uns, als er uns helfen musste.
Wir lachten nur und widmeten uns wieder unseren Hausaufgaben. Ich war als erstes fertig und setzte mich, solange die anderen drei noch arbeiteten, in den gemütlichen Sessel, und sah den anderen zu. Hin und wieder gab ich Kommentare wie „Schneller!“ und „Los, du schaffst das!“ ab. Ich machte mir einen Spaß daraus, die anderen damit aufzuziehen, dass ich schneller war als sie.
„Endlich fertig!“ jubelte Dylan und kam zu mir auf den Sessel. „Aah, von hier oben hat man ja wirklich eine tolle Aussicht auf die beiden da unten.“ lachte er.
„Toll, oder?“ fragte ich ebenfalls lachend. „Ich habe mir Hogwarts immer so schön vorgestellt … und nie an die Hausaufgaben gedacht. Das war ein riesen Fehler!“ murmelte ich leise, sodass es nur Dylan hören konnte.
„Du gewöhnst dich dran. Es wird nicht schöner, aber du musst es eben machen. Trotzdem finde ich, ist es in Hogwarts allemal besser als zu Hause.“ sagte er.
„Sind deine Eltern Zauberer?“ fragte ich neugierig und setzte mich so, dass ich ihm ins Gesicht schauen konnte.
Er nickte. „Beide, ja. Doch beide hassen mich. Ich bin nach Slytherin gekommen, meine Eltern waren beide in Gryffindor.“ murmelte er.
„Das ist doch nicht fair! Slytherin ist doch genauso gut wie Gryffindor und solange du dich wohlfühlst und gute Noten hast, ist doch alles gut!“ erwiderte ich entschieden.
„So einfach ist das nicht. Ich habe seit circa vier Jahren keinen Kontakt mehr zu meinen Eltern. Ich wohne bei meinem Onkel.“ sagte er und sah mich ernst an. Ich wollte etwas sagen, war mir aber nicht sicher, ob das in dieser Situation gut wäre und ließ es dann lieber bleiben.
„Du kannst doch deine Eltern mal anschreiben. Sie werden bestimmt antworten.“ riet ich ihm, war mir aber ziemlich sicher, dass er das nie machen würde. Er nickte nur, erwiderte aber nichts mehr.
„Ich geh mal schlafen. Gute Nacht, meine Kleine.“ murmelte er und winkte mir.
„Gute Nacht, Dylan.“ flüsterte ich nur, doch ich wusste, er hatte mich trotzdem gehört, denn er lächelte leicht.
Nach einigen Minuten Langeweile beschloss auch ich, langsam mal ins Bett zu gehen und verabschiedete mich von meinen Freunden, die noch immer an den Hausaufgaben saßen. Dann ging ich hoch in den Schlafsaal und zog mir meinen Lieblingsschlafanzug an. Gleich nachdem ich mich ins Bett gelegt hatte, fielen mir die Augen zu und ich schlief ein.
Am 13.Oktober war es endlich soweit. Ich hatte mein erstes Quidditchtraining und war schon morgens hibbelig und nervös. Meine Freunde versuchten mich abzulenken, aber das gelang ihnen nur zum Teil.
„Emilia, iss etwas. Du musst doch stark sein heute Abend.“ sagte Dylan morgens beim Frühstück. Immer wieder nahm ich einen Bissen, um wenigstens meine Freunde zu beruhigen.
„Ich kann gar nicht fassen, dass wir schon einen ganzen Monat hier sind!“ meinte Logan, der wie jeden Tag alles aß, was er kriegen konnte.
„Sogar länger als einen Monat.“ sagte Lucie und sah mich noch immer komisch an. Sie beobachtete mich, stellte ich fest. Ich muss mich endlich zusammenreißen, dachte ich mir, und nahm noch einen Bissen. Jetzt, wo ich nicht mehr das Gesprächsthema war, ging es mir besser.
„In einem Monat ist schon das erste Quidditchspiel. Gryffindor gegen Hufflepuff. Ich hoffe, Hufflepuff gewinnt.“ meinte Dylan und lächelte uns an. „Gryffindor hat den Quidditchpokal seit zwei Jahren und wir konnten nichts dagegen machen!“
„Diesmal schaffen wir es. Wir machen Gryffindor fertig.“ lächelte ich etwas gezwungen in die Runde. Wirklich überzeugend musste ich wohl nicht aussehen, doch sie beließen es dabei.
„Habt ihr von euren Eltern schon die Formulare für Hogsmead unterschreiben lassen?“ fragte uns Dylan.
„Wann dürfen wir denn nach Hogsmead? Ich dachte, dafür haben wir noch Zeit, also für das Ausfüllen von diesem Formular.“ murmelte ich und aß mein Brot auf.
„Nächsten Samstag. Deswegen ist es wichtig, dass ihr es bald ausfüllen lasst.“ Wir nickten alle brav. „Ich muss dir dann unbedingt etwas dort zeigen, Emilia!“ meinte Dylan lächelnd.
„Was denn?“ fragte ich neugierig.
„Wirst du schon sehen.“ behauptete er fröhlich.
„Komm schon, sag's mir. Du weißt, ich bin ungeduldig!“ flehte ich. Dylan musste grinsen.
„Also gut, ich sag es dir nachher. Aber nur, weil du es bist.“ erwiderte er und stand auf. Dann wünschte er uns noch einen schönen Tag und ging zum Unterricht.
„Sollen wir auch gehen?“ fragte ich nach einer Weile. Die beiden nickten und durchquerten die Halle. Irgendwie benahmen sich die beiden heute schon etwas seltsam, fiel mir auf. Ich war mir ziemlich sicher, dass irgendetwas vorgefallen sein musste. Aber ich wollte auch nicht aufdringlich wirken. Der Unterricht verlief wie immer. Langweilig. Mein Problem war, dass ich alles immer viel zu schnell konnte. Auswendig lernen musste ich nichts, sofern ich im Unterricht aufpasste. Neue Zauber zu lernen war für mich auch kein Problem, bei mir saßen alle schon nach dem zweiten Versuch perfekt. Natürlich wunderte ich mich manchmal, wieso ich so viel besser war als alle anderen, doch ich machte mir darüber nicht so wirklich viel Gedanken. Es war eben so. Manche lernten eben schneller als andere. Und ich gehörte zu den Schnelleren.
„Eure Eltern sind doch alle Zauberer, oder?“ fragte Logan uns und sah uns aufmerksam an, als wir wieder zu viert in der Großen Halle saßen. Wir hatten alle gerade eine Freistunde.
„Ich weiß nicht.“ antwortete ich wahrheitsgemäß. Ich kannte meinen Vater ja nicht und ob das stimmte, was der Sprechende Hut gesagt hatte, wusste ich auch nicht.
„Du kennst deine Eltern nicht?“ fragte er erstaunt.
„Doch. Meine Mutter. Von meinem Vater habe ich nicht einmal einen Namen.“ murmelte ich mit belegter Stimme. Sie sollten nicht sehen, wie sehr es mir zu schaffen machte, nicht zu wissen, wer mein Vater ist.
„Sieh mal! Da kommt eine Eule auf uns zu!“ rief Lucie aufgeregt. Tatsächlich landete sie direkt vor mir, wie ich mit Erstaunen feststellte. Dann klopfte sie mit ihrem Schnabel auf den Tisch. Ich schob ihr mein Frühstück hin und nahm den Brief aus ihrem Schnabel.
Ich drehte den grünen Umschlag dreimal um, in der Hoffnung, einen Absender zu finden, doch niemand hatte unterschrieben. Seufzend öffnete ich den Brief und holte ein Stück Papier heraus.
Liebe Emilia,
wie geht es dir? Ich habe ja schon lange nichts mehr von dir gehört – seit du zu den Malfoys gezogen bist. Wie gefällt es dir in Hogwarts? Hast du viele Freunde gefunden?
Mir geht es so weit auch ganz gut. Der Verfolger hat sich nicht blicken lassen, nachdem ihr in die Winkelgasse verschwunden seid … Ich hoffe, wir sehen uns bald!
Mum
Wütend auf mich selbst schlug ich meine Faust auf den Tisch. Wie hatte ich nur meine Mutter vergessen können? Wieso hatte ich ihr so lange nicht geschrieben, wo ich es ihr doch versprochen hatte? Ich wusste es nicht … Ich konnte mir einfach keinen Reim darauf machen.
Frustriert nahm ich einen Stift aus meiner Jackentasche – ja, ich schleppte immer für Notfälle wie diesen einen Stift mit mir rum – und kritzelte eine Antwort auf das Blatt.
Hallo Mum,
Mir geht es auch gut. Es ist echt toll hier in Hogwarts und ich habe auch schon viele Freunde gefunden. Ich bin nach Slytherin gekommen. Die einzige, die ich überhaupt nicht leiden kann, ist Lily Potter. Sie ist einfach so … arghh. Meine besten Freunde hier sind Dylan, ein Sechstklässler aus meinem Haus, und Logan und Lucie, beide in meiner Klasse. Kann ich in den Weihnachtsferien zu dir kommen? Wäre echt toll, ich muss nämlich mit dir reden!
Deine Emilia
Ich musste ganz dringend mit ihr reden. Über meinen Vater. Ich musste einfach wissen, wer er ist. Vorher hatte ich einfach keine Ruhe. Außerdem hatte ich ja wohl ein Recht darauf zu wissen, wer mein Vater war! Ich wollte zumindest einen Namen von ihr haben … Auch wenn es schwierig werden würde, den zu bekommen. Von früher wusste ich, dass sie immer abblockte, wenn es um meinen Vater ging. Sie brach immer gleich in Tränen aus, warum auch immer. Und dann tat sie mir immer so Leid, dass ich es bleiben ließ und sie nicht weiter ausfragte … Andererseits wollte ich das auch auf keinen Fall per Brief klären, dafür war es einfach zu persönlich.
Ich faltete den Brief wieder zusammen und packte ihn zurück in den Umschlag. Dann gab ich ihn der Eule wieder in den Schnabel und scheuchte sie weg. Protestierend flog sie weg.
„Was macht ihr eigentlich in den Weihnachtsferien?“ fragte ich neugierig.
„Ich bleibe.“ sagte Dylan ruhig.
„Ich gehe vermutlich zu meinen Eltern. Und die gehen mit mir dann zu irgendwelchen Freunden und feiern dort Weihnachten. Natürlich erst nach dem Weihnachtsball.“ grinste Logan.
„Ich bleibe ebenfalls, denke ich.“ murmelte Lucie. „Apropos Weihnachtsball, wisst ihr schon, wen ihr fragt?“
„Ich warte, bis mich jemand fragt.“ sagte ich lachend und verschränkte meine Arme vor der Brust.
„Mal schauen, wen ich noch frage …“ murmelte Dylan geheimnisvoll und sah mich dabei aufmerksam an. Ich wurde rot. Ich hatte irgendwie das Gefühl, als würde er mich fragen wollen, verdrängte den Gedanken aber schnell wieder.
„Ich geh vielleicht mit einem Mädchen aus Ravenclaw. Mal schauen.“ sagte Logan und grinste uns verschämt an.
„Wie heißt sie denn?“ fragte ich neugierig und streckte ihm die Zunge raus.
„Ihr werdet es noch früh genug sehen!“ sagte er und meinte, er würde erstmal keine weiteren Kommentare zu diesem Thema abgeben. Wir alle drei lachten nur und widmeten uns wieder Vermutungen, wer mit wem gehen würde.
Scorpius sollte mit Lorena gehen und Lily, so beschlossen wir, würde mit Louis gehen, einem kleinen rundlichen Hufflepuff. Die anderen kannten wir zum Teil nicht einmal mit Namen und so konnten wir auch keine richtigen Vermutungen aufstellen.
„Gleich haben wir wieder Slughorn!“ stöhnte Lucie.
„Ich finde ihn gar nicht so schlecht.“ grinste ich. „Außerdem ist er unser Hauslehrer. Da sollten wir ihn wohl nicht unbedingt hassen!“ murmelte ich.
„Trotzdem. Er bevorzugt Scorpius total! Wir haben keine Chance! Und er gibt immer so wahnsinnig viele Hausaufgaben auf.“ meinte Logan genervt. „Ich mag ihn auch nicht besonders.“
"Gehen wir schon mal. Nicht, dass wir noch zu spät kommen." murmelte ich und stand von meinem Platz auf. Ich umarmte Dylan noch kurz und ging dann mit Lucie und Logan zu Zaubertränke. Professor Slughorn war schon im Klassenzimmer, sodass wir uns schon einmal setzen konnte.
"Guten Morgen, Professor." sagte ich höflich und setzte mich in die letzte Reihe.
"Was wir wohl heute machen müssen ..." flüsterte Lucie mir zu. Ich nickte nur und sah mich um. Scorpius saß ebenfalls schon im Klassenzimmer, doch er war so zusammen gekauert und ängstlich auf seinem Platz, dass ich mir trotz meiner Wut Sorgen um ihn machte. Was war nur los mit ihm? Er sah in letzter Zeit immer so ängstlich aus. Ich beschloss, nach der Stunde noch einmal mit ihm zu reden, auch wenn er vermutlich abblocken würde. Lucie hatte wohl meinen Blick auf Scorpius bemerkt, denn sie fragte: "Warum schaust du ihn so an?"
"Nichts ... Ich mache mir nur furchtbare Sorgen um ihn. Er sieht in letzter Zeit so mitgenommen aus ..." flüsterte ich. Ich wollte nicht, dass gleich die ganze Klasse von meinen Problemen erfährt.
"Er sah doch von Anfang an so aus!" bemerkte Lucie und musterte ihn noch einmal genauer.
"Nein. Du verstehst das nicht. Du hast ihn vor Hogwarts nicht gekannt. Er war ein fröhlicher Junge und jetzt ..." Ich atmete einmal tief durch. "Es ist meine Schuld."
"Nein ist es nicht. Wie kommst du darauf?" fragte Lucie. Plötzlich klopfte jemand auf unseren Tisch und ich bemerkte, dass Slughorn vor uns stand.
"Wollen Sie uns an Ihren Gespräch nicht teilhaben lassen, Miss Sheppard?" fragte er mich laut und sah mich durch ernste Augen an. Wie er so vor mir stand, war irgendwie bedrohlich.
"Nein, Professor." murmelte ich. Ich wusste, ich hätte lieber sagen sollen, dass ich jetzt nicht weiterrede, aber das wollte ich nicht. Ich hatte nicht vor, Ruhe zu geben.
Zu meiner Überraschung wandte sich Slughorn nur von uns ab und ging wieder nach vorne, wo er mit seinem Unterricht fortfuhr. Irgendetwas über Affodillwurzeln redete er, doch ich hörte schon nicht mehr zu. Ich war wieder viel zu sehr mit meinen Gedanken beschäftigt.
Als Slughorn uns gehen ließ, rannte ich zu Tür und postierte mich so, dass ich Scorpius auf keinen Fall verpassen konnte.
"Scor!" rief ich und zog ihn am Ärmel zu mir. Erstaunt fiel seine traurige Fassade ab und er schaute mich wieder aus glänzenden Augen an. Doch kurze Zeit später war das Glitzern wieder verschwunden.
"Scor ... wir müssen reden." sagte ich erst. Er nickte nur und zog mich hinter sich her. Als wir weit genug von den anderen weg waren, begann ich zu reden.
"Scor! Was ist los mit dir? Du siehst in letzter Zeit so mitgenommen aus." Ich blieb stehen und sah ihm in die Augen. In ihnen spiegelte sich Angst.
"Es ist nichts. Wieso beobachtest du mich immer?" fragte er. Er war so kalt ... so abweisend.
"Weil ich dich mag und weil ich mir Sorgen um dich mache!" sagte ich leise und sah zu Boden. "Wenn es etwas mit dem Sturz zu tun hat, das spielt keine Rolle mehr! Das ist doch schon längst vergessen."
"Du bist wegen mir tot gewesen!" schrie er und schlug mit Gewalt gegen die Wand. Ich war tot? Wieso lebte ich dann noch? Selbst durch Zauberei konnte man keine Leute wiederbeleben, wenn sie tot waren, oder doch?
"Ich war t-tot?" fragte ich entsetzt. "Wieso lebe ich dann noch?"
"Da war so ein Mann. Er sah seltsam aus. Und er hat irgendwas mit dir gemacht. Ich hab nur zugeschaut, nicht hören können, was mein Dad mit ihm geredet hat. Verstehst du, du warst tot! Ich habe dich umgebracht. Ich bin nicht besser als mein Vater." murmelte er und es lag Reue und Verbitterung in seiner Stimme.
"Doch, Scor. Das bist du. Dein Vater bereut nicht, was er Dumbledore angetan hat, du jedoch schon. Und ich war nie sauer auf dich. Im Gegenteil!" meinte ich. "Du warst mein Freund und bist es auch immer noch."
"Wieso?" flüsterte er mir zu. "Du müsstest mich jetzt hassen."
Ich schüttelte den Kopf. "Nein Scor. Ich hasse dich nicht. Glaub mir, bitte."
Dann tat ich etwas, was ich schon vorher geplant hatte. Ich umarmte ihn und drückte ihn fest an mich. Er wehrte sich nicht, er ließ es einfach nur geschehen.
"Danke." sagte ich lächelnd.
"Nein. Ich sollte dir danken. Ohne dich stünden wir nicht hier." murmelte er, lächelte aber auch leicht, wenn aucz noch etwas gezwungen. Immerhin ein Anfang.
"Wir sollten zum Unterricht. McGonagall flippt sonst wieder aus. Wir kommrn eh schon zu spät." Ich wandte mich zum Gehen um und Scor folgte mir.
"Du kannst doch eh schon alles." stellte Scor fest.
"Vielleicht. Aber wieso weißt dz das denn?" fragte ich irritiert.
"Nicht nur du hast mich beobachtet." stellte Scor grinsend fest.
"Duuu!" Ich zeigte mit dem Zeigefinger drohend auf ihn. Er lächelte und irgendwie fand ich das ja süß. Emilia, schalt ich mich, sei nicht so verweichlicht! Er ist nur ein Freund, mehr nicht.
Ich nahm meinen Finger wieder runter und marschierte weiter in Richtung Klassenzimmer. Schweigend verlief der ganze Weg und als wir endlich beim Klassenzimmer ankamen, waren wir beide etwas erleichtert. Zwischen uns war immer noch so eine Spannung.
"Wo kommen Sie beide denn her?" fragte McGonagall sogleich, als wir das Klassenzimmer betraten.
"Wir.. ehm Wir ... Wir mussten etwas klären." sagte ich deprimiert. Wir hätten uns wirklich eine plausible Lüge einfallen lassen sollen. Doch zu unserem Erstaunen nickte die Professorin und wies uns an, uns zu setzen. Ich setzte mich zu Lucie und formte mit den Lippen das Wort 'nachher'. Ich wusste, ich würde ihr das nachher erklären müssen. Sie nickte und widmete sich wieder dem Unterricht. Auch ich hörte dieses Mal ohne Hintergedanken dem Unterricht zu, war aber trotzdem froh, als wir endlich freihatten.
"Also, was ist passiert?" fragte Lucie mich neugierig, als wir nach oben zu unserem Gemeinschaftsraum gingen.
Ich erzählte ihr von dem Gespräch mit Scorpius, ließ aber den Teil mit dem Unfall weg. Es musste ja wirklich keiner wissen, was damals passiert war. Das würde nur unnötigen Stress geben.
Wir setzten uns schweigend an den Kamin im Gemeinschaftsraum, auch wenn er nicht an war, ist das noch immer der schönste Platz von allen.
Vorsichtig fuhr ich immer wieder mit meinem Finger über das Zeichen auf meinem Arm. Mittlerweile war es gut verheilt, und man konnte das Zeichen jetzt noch besser sehen. Doch ich wusste immer noch nicht, was es bedeutete, aber wenn ich ehrlich war, wollte ixh das vielleicht auch gar nicht so wissen. Was, wenn es nicht gut war? Und davon ging ich stark aus, denn wie Draco geschaut hatte, als er das Zeichen gesehen hatte ... das war schon erschüttert gewesen. Das konnte ja nichts sonderlich gutes bedeuten, oder?
"Worüber denkst du nach?" fragte Lucie und riss mich aus meinen Gedanken.
"Gar nichts." sagte ich viel zu schnell. Sie sah mich mit hochgezogenen Augenbrauen an.
"Okay ... Ich habe gerade über meinen Vater nachgedacht." murmelte ich. Es entsprach nicht ganz der Wahrheit, war aber auch nicht völlig gelogen, denn ich hatte ja indirekt schon über ihn nachgedacht.
"Willst du wissen, wer er ist?" fragte sie besorgt.
"Vielleicht. Ich weiß es nicht. Er hat sich nie blicken lassen, hat meine Mum verlassen. Aber was ist, wenn er dafür wirklich einen guten Grund hatte?" fragte ich unsicher.
Lucie dachte kurz darüber nach. "Kann aber auch sein, dass er einfach nicht mehr bei euch bleiben konnte. Oder wollte."
Ich nickte. "Richtig ... Irgendwie bin ich ja schon neugierig und will wissen, wer er ist. Irgendwie habe ich aber auch Angst, es zu erfahren. Meine Mum wird einen guten Grund haben, warum sie schweigt." murmelte ich leise. Ich sah mich um. Außer uns saß niemand mehr im Gemeinschaftsraum, alle waren sie wohl in den letzten Minuten gegangen.
Plötzlich gellte ein Schrei durch die Nachmittagssonne. Ich riss vor Schreck meinen Mund auf und wollte schreien, als ich mir schnell meine Hand auf den Mund hielt. Das passierte innerhalb weniger Sekunden. Lucie sah mich komisch an, das war mir klar, doch der Schrei hörte nicht auf und ich presste mir jetzt beide Hände auf die Ohren. Es half nichts, der Schrei war noch immer zu hören. Panisch drückte ich immer fester auf meine Ohren, als auch mein Arm noch zu schmerzen begann. Ich presste meine Hand auf meinen Arm, mit der anderen drückte ich noch immer auf mein Ohr. Doch der Schrei erklang noch immer. Erschöpft sackte ich auf meinem Sitz zusammen und auch meine Griffe wurden immer lockerer, bis auf einmal alles schwarz um mich herum wurde.
Wo war ich? Das war die erste Frage, die mir durxh den Kopf ging, als ich aufwachte. Langsam öffnete ich die Augen und sah in das blasse erschrockene Gesicht von Lucie. Sie wollte mir wohl gerade ein nasses Tuch auf die Stirn halten, doch als sie sah, dass ich wach war, erstarrte sie in ihrer Bewegung.
"Was ist passiert?" fragte ich leise und schwer atmend. Ich war wohl nur ein paar Minuten bewusstlos gewesen, denn meine Atmung ging noch immer unregelmäßig.
"Du hast dir plötzlich die Hände auf die Ohren gedrückt und dann auf deinen Arm. Ich hab erst überlegt, ob ich dich zu Madam Pomfrey bringen soll ..." verlegen sah sie mich an. Ich lächelte ihr schief zu.
"Gut, dass du es nicht getan hast. Ich darf da nicht hin." murmelte ich leise.
"Warum nicht?" fragte Lucie ernst.
"Niemand darf davon wissen. Und bitte rede mit niemandem darüber." flüsterte ich.
Sie nickte. "Aber dann rede wenigstens mit mir. Ich mache mir Sorgen um dich."
"Bitte, ich kann noch nicht. Du wirst es noch früh genug erfahren, glaub mir." Ich sah sie durchdringend an. "Das muss unter uns bleiben!" beharrte ich.
"Natürlich. Das wird es." Sie lächelte mich noch einmal an, dann machte sie auf dem Absatz kehrt und verschwand Richtung Schlafsäle.
Erschöpft ließ ich mich noch weiter in das Sofa sinken und war auch schon bald darauf eingeschlafen.
"Aufwachen!" Jemand rüttelte mich und ich machte verschlafen die Augen auf.
"Was denn?" murmelte ich schläfrig.
"Quidditch! Los, komm. Blake wird sonst wütend." Dylan nahm mich an die Hand und führte mich durch einige Gänge. Ich hatte komplett die Orientierung verloren.
"Wer ist Blake?" fragte ich neugierig. Obwohl ich mir denken konnte, dass es der Quidditchkapitän sein musste.
"Der Kapitän. Vierte Klasse. Adrian Blake." murmelte Dylan und sah mich unsicher an. "Was ist mit dir passiert?"
"Ach ... nichts. Ich bin einfach nur hundemüde, mehr nicht!" Sagte ich zwischen bei Gähnen. Ich grinste ihn an.
Er zuckte nur die Schultern und führte mich nach draußen, wo es um diese Zeit schon ziemlich kühl war.
Als wir das Quidditchfeld betraten, staunte ich. Ich dachte, es würden nur sieben Leute kommen, doch es kam mir so vor, als wäre das halbe Haus hier versammelt.
"Wieso sind so viele hier?" flüsterte ich Dylan zu.
"Auswahlspiele. Du musst dich noch gegen die anderen beweisen." Er zeigte auf eine Reihe stämmiger Jungs. Nervös näherte ich mich den anderen und stellte mich mit Dylan zusammen etwas abseits auf.
"Nun, da wir nun vollzählig sind" Ein braunhaariger großer Junge nickte Dylan zu. " -beginnen wir doch einfach mal. Stellt euch bitte einfach eurer Position nach auf. Jäger dorthin." Er zeigte von sich aus nach rechts. "Treiber daneben. Sucher in die Mitte und die Hüter links von mir."
Alle stellten sich an ihre jeweilige Position, für die sie sich beworben hatte, doch ich blieb stehen. Ich wusste nicht, wohin ich mich stellen sollte. Als Adrian mich sah, kam er lächelnd auf mich zu.
"Du musst Emilia sein." sagte er höflich. Ich nickte. "Ich bin Adrian Blake, Quidditchkapitän. Am besten stellst du dich zu den Suchern, ich werde mir überlegen, wofür du am Geeignetsten bist." Er zwinkterte mir zu und ich ging langsam zu der kleinen Reihe der Sucher. Die Reihe bestand aus zwei anderen Leuten und mir. Noch weniger standen nur bei den Hütern, am meisten standen aber immer noch bei den Jägern. Alle beobachteten mich genau und schienen verwirrt zu sein, mich hier zu sehen, doch ich ließ mir meine Unsicherheit nicht anmerken.
Blake machte der Reihe nach immer zwei Teams, die gegeneinander spielten, und suchte sich dann die besten aus dem Durchgang heraus. Ich war am zweiten Durchgang dabei und hatte auch gleich den ältesten Sucher als Gegner. Sein Vorteil war auch, dass er einen eigenen Besen hatte, der um einiges schneller war als mein Schulbesen. Doch ich hielt mich eigentlich ziemlich lange. Ruhig wartete ich über dem Spielgeschehen auf den Schnatz und schaute dabei den anderen beim Spielen zu. Es stand 70:50 für die gegnerische Mannschaft. Plötzlich nahm ich aus den Augenwinkeln einen Schatten wahr. Erst dachte ich, es wäre der Schnatz, bis ich bemerkte, dass es sich um den anderen Sucher handelte, der auf mich zuraste. Ich ließ mich etwas sinken und der Sucher raste mit voller Geschwindigkeit an mir vorbei. Auf einmal sah ich etwas goldenes hinter mir. Schnell drehte ich mich um und flog dem Glänzen hinterher, doch bald schon merkte ich, dass auch der andere Sucher nicht mehr weit entfernt war. Dann wagte ich einen Sprung. Ich stellte mich auf mein Besen, streckte die Hand aus und sprang ab, als ich den Schnatz fast in der Hand hatte. Ich schnappte mir den Schnatz, hatte aber das Problem, jetzt runter zu fallen. Hektisch suchte ich meine Umgebung nach meinem Besen ab und als ich ihn gefunden hatte, streckte ich die Hand aus und konzentrierte mich auf den Besen. Sofort kam er angeflogen und ich landete auf ihm. Ein wenig schmerzhaft war die Landung schon, aber dennoch besser als auf dem Boden auf zu kommen. Glücklich hob ich dann die Hand und zeigte den Schnatz, den ich aus Glück gefangen hatte. Ich hatte gar nicht bemerkt, dass sowieso keiner mehr gespielt hatte, sondern alle mich und den anderen Sucher beobachtet hatten.
Unsicher landete ich auf dem Boden und stellte mich wieder zu Dylan, der ebenfalls in meiner Mannschaft als Treiber gespielt hatte. Er sah mich besorgt, aber auch entsetzt an. War das verboten, was ich gemacht hatte? Oder war es nur einfach zu gefährlich gewesen?
"Ich habe mich entschieden, wer dieses Jahr ins Team kommt." Andrian sah uns nacheinander an, sein Blick blieb auf mir hängen. "Emilia, ich habe mich dafür entschieden, dich als Sucher ins Team aufzunehmen!" Er lächelte mich herzlich an und streckte seine Hand zu mir aus. Perplex ergriff ich sie und ging zu ihm. Die anderen Sucher sahen mich neidisch und auch etwas wütend an. Doch mir war das egal.
"Als Hüter würde ich gerne Leyla wieder ins Team haben. Und Ersatzhüter ist Niall geworden." Einige klatschten und die beiden kamen erfreut zu mir nach vorne und stellten sich hinter den Kapitän.
"Treiber werden Dylan und Lacy!" Ich grinste Dylan an, der glücklich zu mir nach vorne kam und mich umarmte. Wir hatten es beide geschafft. "Ersatz für sie werden Tom und Tim machen!" Zwei Jungs kamen heraus. Zwillinge, dachte ich. Die beiden sahen sich wirklich zum Verwechseln ähnlich.
"Kommen wir zu den Jägern. Da habe ich mich für Chris und Anna entschieden, sie werden mit mir zusammen die drei Jäger spielen." Einige der Slytherins jubelten und zwei Drittklässler kamen nach vorne. Sie sahen sich ebenfalls ziemlich ähnlich und ich fragte mich, ob das wohl auch Zwillinge waren. "Ersatz werden Tony, Zac und Dean sein." Drei Jungs kamen grinsend aus der Menge heraus. Die genaue Aufstellung werdet ihr im Laufe des Schuljahres beim Training bekommen." erklärte er. "Training wird jede Woche Freitag, Samstag und Dienstag stattfinden, vor den Spielen öfter, das werden wir dann aber besprechen. Jeweils um 17Uhr!" Wir nickten alle und wollten gerade alle gehen, als er mich zurückrief. Dylan ging schon mal vor.
"Was gibt's, Captain?" fragte ich lächelnd.
"Du hast super gespielt. Hast du schon mal auf einem Besen gesessen?" fragte er mich und sah mich neugierig an.
"Ja hab ich. Bei den Malfoys. Scorpius hat mir das Fliegen beigebracht und nun ja, ich finde, es gibt nichts schöneres, als bei strahlendem Sonnenschein durch die Luft zu fliegen." erklärte ich schief lächelnd.
"Da hast du Recht. Aber du bist wirklich talentiert. Du könntest auf so gut wie jeder Position besser spielen als die meisten hier." behauptete er.
Ich nickte. "Das ist echt unglaublich ..." murmelte ich leise.
"Was denn?" fragte er ernst.
"Mein Leben lang stand ich im Schatten von irgendjemandem. Immer. Und hier in Hogwarts bin ich auf einmal in allem die beste. Ich muss nichts mehr auswendig lernen, ich kanns einfach. Ich muss keine Zauber üben, es klappt einfach immer. Und ich bin in Quidditch besser als alle anderen, obwohl ich noch nie gespielt habe." Er sah mich neugierig an. "Wie meinst du das, du musst Zauber nicht mehr üben?"
"Ich kann sie nach dem ersten Mal immer perfekt ausführen." erklärte ich.
Er nickte. "Was sagen die Lehrer dazu?"
"Gar nichts." meinte ich verwirrt. "Die haben noch nichts gesagt. Vielleicht halten die es für normal."
"Ich würde mal mit McGonagall darüber reden." Er zwinkerte mir wieder zu. "Ich muss auch los jetzt. Zum Gemeinschaftsraum schaffst du es allein?" fragte er.
Ich nickte. "Na dann, Gute Nacht, Emilia." sagte er und verschwand um die Ecke. Hatte ich ihm gerade wirklich meine ganzen Gefühle offenbart? Wie konnte ich nur so dumm sein!?
Kopfschüttelnd ging ich in den Gemeinschaftsraum, wo schon fast nichts mehr los war. Kein Wunder, dachte ich, ist ja auch schon ziemlich spät. Gähnend ging ich in den Schlafsaal und zog mixh schnell um. Dann legte ich mich schnell ins Bett und war auch schon gleich darauf eingeschlafen.
Langsam wachte ich auf und machte meine Augen auf. Verschlafen sah ich mich um und musste feststellen, dass ich die einzige war, die noch im Bett lag. Hoffentlich hatte ich nicht verschlafen, schoss es mir durch den Kopf. Schnell sprang ich aus dem Bett und ging zum Fenster, als mir auffiel, dass ja heute Samstag war. Ich konnte also nicht verschlafen haben, stellte ich erleichtert fest. Draußen sah ich Logan und Lucie herumrennen, gefolgt von einigen Hufflepuffs. Sie genossen wohl die letzten Sonnenstrahlen, denn bald würde Winter sein. Ich konnte nicht nach draußen, ich hatte mir für heute fest vorgenommen, mal in der Bibliothek nach dem Zeichen auf meinem Arm zu suchen, auch wenn ich mir ziemlich sicher war, dass ich nicht sehr viel Erfolg haben würde. Ich wusste nicht einmal, wonach genau ich suchen musste.
Seufzend ging ich nach unten in die Große Halle. Alle Köpfe fuhren herum und sahen mich komisch an, als ich in Richtung Slytherin-Tisch spazierte und mich neben Dylan setzte.
"Morgen!" murrte ich noch verschlafen.
"Du siehst ja wirklich gar nicht gut aus!" stellte Dylan mit einem Blick auf mich fest. Ich sah ihn verwirrt an. Was war denn? "Du hast dort am Hals so einen seltsamen schwarzen Strich. Geht es dir gut?"
"Ja... Ja, mir geht es gut. Ich muss auch schon wieder los." Schnell nahm ich mir mein Frühstück in die Hand und ging aus der Großen Halle zielstrebig auf eine der Mädchentoilletten, wo ich mich schnell auf den Spiegel stürzte. Tatsächlich .... Dort prangte ein schwarzer Strich und ich wusste genau, warum. Ich hatte ein weiteres Zeichen bekommen, warum auch immer. Erschrocken schob ich mein Pullover von den Schultern und betrachtete das Zeichen. Oh nein, schoss es mir durch den Kopf. Das Zeichen war auch noch so offensichtlich ... Aber es war nicht das gleiche wie das auf meinem Arm ... Es sah anders aus. Das letzte Zeichen bestand aus zwei verschiedenen, dieses hier nur aus einem.
Beunruhigt zog ich meinen Pullover so weit nach oben, dass man den schwarzen Strich auf keinen Fall noch sehen konnte.
Wieso bekam ich nur solche seltsamen Zeichen? Was bedeuteten sie? Unsicher wagte ich mich wieder aus der Toilette heraus und ging nach oben in die Bibliothek, wo einige Fünftklässler für ihr ZAG lernten. Langsam durchschritt ich die einzelnen Abteilung, wusste aber immer noch nicht, nach was genau ich eigentlich suchte. Also nahm ich mir ein Runenbuch und verzog mich in eine dunkle Ecke, wo mich keiner sehen konnte. Vorsichtig schlug ich das Buch auf und begann zu lesen:
Wollen Sie etwas über Runen wissen? Haben Sie seltsame Zeichen gesehen, die sie erforschen möchten? Ja? Dann lesen Sie dieses Buch, ich garantiere, es wird Ihnen mit Sicherheit helfen.
Neugierig las ich auch die nächsten paar Zeilen und suchte dann hinten im Inhaltsverzeichnis alle möglichen Stichwörter ab. Ich fing bei Liebe, Geborgenheit an und hörte beim Hass auf. Nichts passte auch nur annähernd auf eines der beiden Zeichen bei mir. Deprimiert schlug ich das Buch zu und legte es zurück an seinen Platz, dann schappte ich mir ein anderes Runenbuch. Auch hier stand aber nichts wirklich brauchbares drin, weswegen ich auch das schnell wieder Beiseite legte.
"Was suchst du denn hier, Emilia?" fragte mich jemand hinter mir. Ich drehte mich um und sah Scorpius vor mir stehen. Ich konnte ihm nicht sagen, wonach ich suchte... Ich wusste es ja selbst nicht so wirklich genau.
"Ähm nichts. Und du?" fragte ich, um von mir abzulenken.
Er zuckte die Schultern. "Ich hatte nichts zu tun." Nach einige Zeit sprach er weiter:" Kennst du einen gewissen Danny Bourn?"
Ich nickte. Ich hatte ihn schon ein paar Mal bei uns im Gemeinschaftsraum gesehen, ansonsten hatte ich aber nie wirklich mit ihm gesprochen.
"Was ist mit dem?" fragte ich abgelenkt von einem Buch. Mein Blick war zufällig darauf gefallen. Irgendwas an diesem Buch kam mir bekannt vor.
"Er ist tot." sagte Scorpius.
"Was?" zischte ich. "Wie ist er gestorben?"
"Keiner weiß es. Ist wohl einfach so tot umgefallen, das sagen zumindest alle. Es ist im Unterricht gestern passiert." murmelte er. Gestern ... Gestern hatte ich doch diese Schmerzen in meinem Arm gehabt und dieses Zeichen auf meiner Schulter war gekommen... Ob das wohl zusammenhing? Plötzlich kam mir eine Idee. Schnell suchte ich mir ein Runenbuch heraus, welches vielleicht passen könnte. Ich zog ein Buch mit einem roten Einband und blauer Schrift aus dem Regal und schlug es auf. Sofort fiel mein Blick im Inhaltsverzeichnis auf den Buchstaben T.
T wie Tod. Schnell blätterte ich die angegebene Seite auf und erschrak. Die Seite zeigte GENAU das Zeichen, welches ich auf der Schulter hatte. Erschrocken ließ ich das Buch fallen und taumelte zurück.
"Das kann doch nicht sein. Das darf nicht sein." murmelte ich und fühlte mich wie leer. Ich war nur noch eine leere Hülle.
"Emilia! Was ist los?" flüsterte Scorpius besorgt und schnappte sich das Buch, wo er die Seite aufschlug, die ich eben angeschaut hatte.
"Was ist mit diesem Zeichen?" fragte er beinahe drohend.
"Kann ich dir vertrauen?" flüsterte ich leise und sah ihm in die Augen. Er nickte nur und starrte weiterhin das Zeichen im Buch an.
"Komm mit und nimm das Buch mit." sagte ich kalt und ging voraus aus der Bibliothek, wo ich noch auf Scorpius wartete. Zusammen gingen wir durch einige Gänge, bis ich mir überlegte, in einen dunklen Gang zu gehen und es ihm dort zu zeigen. Natürlich nur das auf meiner Schulter. Das auf meinem Arm wollte ich noch immer geheim halten, ich hatte das Gefühl, es hatte etwas mit meinem Vater zu tun.
"Schlag die Seite auf." sagte ich, als wir in einer verlassenen und dunklen Ecke standen. Er tat, was ich wollte und schlug das Buch auf. Dann nahm ich mit meiner zitternden Hand langsam meinen Pullover von den Schultern und offenbarte ihm das Zeichen auf meinem Körper. Das Zeichen des Todes. Jemand war gestorben, und ich hatte das Zeichen bekommen. Das musste doch irgendwie zusammenhängen. Nur wie?
Scorpius schnappte nach Luft. "Wie ist das möglich?" fragte er erschrocken. "Das ist haargenau dasselbe Zeichen!"
Ich nickte. "Der Tod des Jungen und das Zeichen hängen irgendwie zusammen, denke ich."
"Das ist ... seltsam. Ich meine, hast du noch mehr von solchen Zeichen?" fragte er vorsichtig.
Ich schüttelte demonstrativ den Kopf, konnte ihm bei meiner Lüge aber nicht in die Augen sehen und das schien er zu merken. "Wo?" flüsterte er.
Ich schob meinen Ärmel nach oben und zeigte ihm auch das Zeichen. Vielleicht konnte er ja mehr damit anfangen als ich selbst. Wieder trat ein erschrockener Ausdruck auf sein Gesicht. "Das ist ... unmöglich!" murmelte er. "Das ist unmöglich." Immer wieder sagte er diesen kurzen Satz vor sich hin. "Du musst zu jemandem gehen und fragen, was das Zeichen genau bedeutet!" murmelte er.
Ich schüttelte den Kopf. "Ich darf nicht."
"Du musst, hörst du! Ich kenne niemanden, der bisher solche Zeichen einfach so bekommen hat. Niemanden! Das ist nicht normal, weißt du." versuchte er mich zu überzeugen.
"Scorpius, ich weiß, dass es nicht normal ist! Aber dein Dad hat gesagt, ich soll es niemandem zeigen!" brachte ich aus zusammen gekniffenen Zähnen heraus. Ich wollte auf keinen Fall wütend werden.
"Mein Dad? Er weiß davon?" fragte er leise.
Ich nickte. "Er weiß auch, was das Zeichen bedeutet." murmelte ich. Nur er will es eben nicht sagen, dachte ich den Satz in Gedanken zuende.
"Ich werde meinem Dad einen Brief schreiben. Ich will Antworten von ihm. Und danach gehen wir zu jemanden und fragen um Hilfe." sagte er fest und drehte sich damit um und ging. Ich sah ihm noch lange hinterher. Als er um die Ecke verschwunden war, ging ich wieder nach unten in die Große Halle zum Abendessen. Die Halle war schon ziemlich voll und laut, als ich dort ankam. Ich setzte mich leise in eine abgeschiedene Ecke des Slytherin-Tisches und nahm schweigend mein Mahl ein. Scorpius setzte sich irgendwann zu mir und sah mich lange forschend an.
"Ich schreibe jetzt den Brief an meinen Dad. Hilfst du mir?" fragte er mich und nahm Feder und Pergament heraus.
Ich nickte noch immer schweigend.
Scorpius schrieb drauf los und hielt mir später den Brief unter die Nase.
"Lies." Er bestand darauf, dass ich den Brief laß und so machte ich mich an das Lesen.
Hey Dad,
ich muss dringend mit dir reden. Emilia und ich haben uns wieder vertragen und sie hat mir so einiges erzählt, was eigentlich du mir hättest erzählen müssen. Zuerst einmal: Wieso hast du nie was von dem Zeichen erwähnt, was Emilia auf ihrem Arm hat? Und was bedeutet es? Emilia will es wissen, nicht ich. Wenn du es uns nicht sagst, gehen wir zu einem Lehrer und fragen den um Rat. Willst du das?
Emilia hat dir auch noch einiges zu sagen, aber ich denke, das möchte sie dir lieber persönlich sagen.
Apropos Emilia, wer ist ihr Vater? Ich bin mir sicher, dass du es ganz genau weißt, also wie wär's, wenn du es uns einfach verraten würdest? Dann müssten wir auch nicht mal aus Versehen die Schulregeln brechen ....
Wir sehen uns in den Ferien, nehme ich an.
Scorpius
Geschockt sah ich Scorpius an. War das sein Ernst? Wollte er seinen Vater wirklich bedrohen? Wieso tat er das?
"Du bedrohst deinen eigenen Vater?" fragte ich geschockt.
"Ja. Er ist ein Depp. Aus ihm bekommt man nur Informationen, wenn man ihn bedroht. Eine der ersten Lektionen, die ich bei ihm gelernt habe." murmelte Scorpius. Er schien seine Familie wirklich nicht zu mögen, auch wenn ich sie eigentlich ganz nett fand. Aber ich hatte ja auch noch nicht mein ganzes Leben lang mit ihnen zu tun, sodass es möglich war, dass ich sie eigentlich gar nicht richtig kannte. Dennoch war ich geschockt von Scorpius's Verhalten.
"Was haben deine Eltern mit dir gemacht? In der Zeit, wo ich bewusstlos war?" fragte ich entsetzt.
Er starrte auf den Boden. Das konnte einfach nichts gutes heißen, auch wenn ich gern glauben würde, es wäre in der Zeit nichts passiert. Irgendetwas musste ihm passiert sein, schließlich hatte er sich so sehr verändert ... "Scorpius! Raus mit der Sprache!" sagte ich ungeduldig.
Er nickte kurz und begann dann zu erzählen. "Erst hat meine Mutter mich ziemlich fertig gemacht. Naja, du weißt schon, Standpauke gehalten und so weiter. Aber dabei blieb es nicht ... Als mein Vater nach Hause kam und gehört hatte, was passiert war, ist er zu mir in mein Zimmer gekommen.. und ... " Er kniff seine Zähne zusammen und ich wusste, er versuchte Tränen zu unterdrücken. Ganz gelang es ihm nicht. Mit zitternder Hand wischte ich ihm eine Träne aus dem Gesicht und er sprach weiter. "Er hat mich gefoltert. Immer wieder und immer wieder." Er schloss seine Augen, wohl um die Erinnerungen zu unterdrücken. "Und erst als dieser seltsame Mann da war ... Da hat er aufgehört. Das war weniger Tage, bevor du aufgewacht bist." murmelte er bedrückt. Ich wusste, dass er mir die ganze Zeit lang etwas verschwiegen hatte, doch ich wollte es wohl nicht so recht wahrhaben, sodass ich das immer ein wenig verdrängt hatte. "Ich wollte es dir nicht erzählen, weil ich meinen Vater nicht in Schwierigkeiten bringen wollte. Ich bin bei ihm sowieso schon so verhasst, da muss ich es ja nicht auch noch schlimmer machen..." murmelte er weiter. Wieder kullerten einzelne Tränen seine Wange herunter. Ich strich sie sanft weg. Eigentlich war diese Situation ja zu komisch ... Vor ein paar Tagen haben wir uns noch ignoriert und jetzt standen wir eng beieinander und erzählten uns gegenseitig Geheimnisse.
"Du darfst deinen Vater nicht mehr schützen! Er wird so weitermachen bis du dich gegen ihn zur Wehr setzt!" sagte ich eindringlich, nachdem ich kurz nachgedacht hatte, was wohl am angebrachtesten wäre in dieser Situation.
"Ich weiß. Aber es ist nur ... Wenn ich jetzt auch noch meinen Vater anschwärze, dann habe ich gar keine Familie mehr." Er sah mich aus traurigen Augen an. Ich hatte noch nie bemerkt, wie schön seine Augen eigentlich waren ... Schluss, Emilia, ermahnte ich mich. Ich durfte nicht so von ihm denken, das durfte ich einfach nicht.
"Du hast aber deine Freunde. Und die helfen dir, wo sie nur können. Du hast doch nicht vor, so weiter zu machen, oder?" fragte ich mit hochgezogenen Augenbrauen.
Er schüttelte den Kopf. "Nein, das nicht. Aber ich weiß auch nicht, was ich tun soll." Ich dachte kurz nach ... "Wir gehen in den Ferien ins Zaubereiministerium und zeigen deinen Vater an." erklärte ich entschlossen. "Oder besser noch, wir gehen zum Schulleiter und der regelt das." Stolz auf mich sah ich ihn abwartend an. Er schien zumindest darüber nachzudenken, immerhin ein Anfang.
"Okay. Wir gehen zum Schulleiter. Aber niemand erfährt davon, ja?" fragte er vorsichtig. Ich nickte schnell. "Versprochen!" Ich lächelte ihn erleichtert an.
"Ich glaube, wir haben seit circa 10min Unterricht ... " setzte Scor an, doch er hatte noch gar nicht zu Ende gesprochen, da rannte ich auch schon los. Zauberkunst! Wo war nochmal das verdammte Zauberkunstklassenzimmer? Hustend und nach Luft ringend rannte ich ziellos durch die Gänge, bis ich vor einem mir bekannten Zimmer Halt machte. Ich hatte das Zimmer gefunden. Scor stoppte auch nach Atem ringend vor mir und sah mich vorwurfsvoll an. "Wieso musst du nur so rennen?" fragte er hustend.
Ich zuckte mit den Schultern. "Warum nicht?" grinste ich.
"Weil ich mich gerade totgerannt haben, um dir folgen zu können. Nicht jeder kann so schnell rennen wie du, weißt du." Er streckte mir die Zunge heraus, bis er dann plötzlich wieder anfing zu husten und ich kichern musste. Kopfschüttelnd öffnete ich leise die Tür und schlich mich mit Scor ins Klassenzimmer, wo wir wie angewurzelt stehen blieben, als wir in die wütenden Augen von Professor Flitwick blickten.
"WO - KOMMEN - SIE - HER?" donnerte er von seinem Bücherstabel aus, auf dem er stand und sah uns wütend an. Wenn Blicke töten könnten, wären wir jetzt bestimmt tot ...
"Entschuldigen Sie, Professor, es gab ... einige Probleme, die ich zunächst einmal klären musste." sagte ich zuckersüß lächelnd. "Sie beide kommen nachher nach vorne!" Wir nickten schnell und ließen uns auf die freien Plätze in der letzten Reihe fallen. Besser hätte es sowieso nicht ausgehen können ... Hätten wir widersprochen, wäre alles nur schlimmer gekommen.
Ich sah mich um. Neben mir saß eine Ravenclaw namens Amy. Ich hatte sie schon einige Male gesehen, doch eigentlich war sie immer eher unauffällig. Ich hatte auch noch nie mit ihr gesprochen. Neben mir saß Scor, auch er hatte nicht darauf geachtet, wo er sich hinsetzte. Aber ihm schien das genauso wenig wie mir etwas auszumachen, neben einem Ravenclaw zu sitzen. "Das ist nochmal gut gegangen!" flüsterte ich Scor zu und rückte mit meinem Stuhl unauffällig näher an ihn heran. Er nickte, schien aber nicht sehr viel Lust auf Smalltalk zu haben, weshalb ich einfach weiterredete. "Was meinst du, was Flitwick nachher noch von uns will?"
"Ich weiß nicht. Vielleicht mal wieder eine Standpauke halten!" grinste er. Ich verstand nicht so recht, was er damit meinte, aber ich lächelte ebenso. "Kommst du nachher noch mit nach draußen?" fragte er und sah mich durchdringend an.
"Klar. Was macht ihr draußen?" fragte ich neugierig.
"Vielleicht einige Zauber wiederholen oder baden gehen im See. Mal schauen!" Er starrte mich an.
"Miss Sheppard?" fragte da Professor Flitwick und ich biss mir auf meine Unterlippe. Dann beugte ich mich Augenrollend wieder zu meinem Tisch und betrachte ihn herausfordernd.
"Ja, Sir?" fragte ich betont höflich. Eigentlich mochte ich diesen Lehrer, wirklich, aber manchmal konnte eben auch er nervenaufreibend sein. Jetzt war wieder mal ein solcher Moment gekommen, wo er lieber seinen Mund halten sollte.
"Meine Frage war, ob Sie kurz für eine Vorführung rauskommen würden." sagte Flitwick ungeduldig. Man merkte ihm an, dass auch er von mir genervt war. Unwillkürlich musste ich grinsen, nickte aber trotzdem widerwillig und ging langsam nach vorne. Ich sah in die gespannten Gesichter der anderen und blieb neben Flitwick stehen. Scor beobachtete mich aufmerksam und sah mich mitleidig an.
"Stellen Sie sich bitte dort drüben auf. Wir werden uns einmal kurz duellieren." meinte er und ging in die andere Richtung als ich. Nun standen wir uns gegenüber, jeder seinen Zauberstab erhoben. "Verbeugen!" sagte er und verbeugte sich vor mir. Ich tat es ihm gleich.
"Wenn ich auf null gezählt habe, schießen Sie Ihren Fluch ab!" erklärte er. Ich nickte nur. "Lovegood, zählen Sie bitte!"
Ich machte mich bereit und hielt meinen Zauberstab auf Flitwick gerichtet. Welchen Zaubespruch sollte ich nehmen?
"3"
Fieberhaft überlegte ich mir, welcher Zauberspruch wohl am nützlichsten ist. Doch so nervös, wie ich im Moment war, wollte mir einfach kein nützlicher Zauber einfallen.
"2"
Panik machte sich in mir breit. Ich wusste noch immer nicht, was ich gleich sagen sollte. Hektisch sah ich mich im Klassenzimmer um und entdeckte hinter Flitwick eine Feder, die er wohl noch von unserer ersten Stunde Zauberkunst liegen hatte. Und da kam mir die Idee...
"1"
Ich ging noch einmal meinen Plan durch. Hoffentlich funktionierte er auch, sonst wusste ich nicht, was ich tun sollte.
"0"
"Expelliarmus!" rief ich laut.
"Stupor!" - "Protego!" rief ich und wendete den Fluch vom Professor ab. Jetzt oder nie ... Ich blendete die Klasse und Flitwick kurzzeitig aus und konzentrierte mich nur noch auf die Feder, die dort hinten unschuldig herumlag. Zu meiner Überraschung erhob sich die Feder ohne Zauberformel in die Luft und schwebte ganz nach meinem Willen zu Flitwick hinüber, der gerade dabei war, seinen nächsten Fluch abzufeuern. Gerade rechtzeitig erreichte ihn die Feder und fing an, ihn an den Stellen, wo ich es wollte, zu kitzeln. Den Zauber rief er trotzdem - Leider. Doch ich wischte schnell mit meinem Zauberstab durch die Luft, rief "Protego!" und schon war der Zauber nutzlos. Meine Konzentration jedoch galt der Feder. Sie kitzelte den Zauberkunstlehrer und so konnte er zum Glück keine Flüche mehr aussprechen. Also beendeten wir das Duell.
"Sehr schön!" sagte Professor Flitwick und lächelte mich freundlich an. Ich ging einfach wortlos wieder nach hinten und pflanzte mich auf meinen Platz. Das Duell war mal eine willkommene Abwechslung. Ich schmiedete schon tolle Pläne, wie ich den Rest der Stunde verschlafen konnte. Leider wurde daraus nichts, denn Josh McLaggen, ein Ravenclaw, meldete sich.
"Woher kam denn eben der eine Fluch? Ich hab nicht gehört, dass sie Wingardium Leviosa gesagt hätte." fragte er.
Ich mischte mich ein. "Du kannst es auch nicht gehört haben, denn ich habe es nicht gesagt." Ganz klares logisches Denken, stellte ich fest. Manchmal glaubte ich, ich war unter Idioten gelandet ...
"Wie konntest du denn dann den Zauber wirken?" fragte er und runzelte die Stirn. Diesmal hatte er direkt mit mir gesprochen.
"Konzentration, mein Lieber. Mit ein wenig Konzentration klappt alles." Ich schüttelte den Kopf. "Wieso machen die denn jetzt so einen Aufstand?" flüsterte ich Scor zu.
"Weil normalerweise niemand, und erst recht nicht Erstklässler, unausgesprochene Zaubersprüche wirken können." erklärte er mir ebenfalls leise flüsternd.
"Professor, stimmt das? Ist es nicht normal, so etwas zu können?" fragte ich etwas irritiert, wenn sogar Scorpius das so sah, dann musste es stimmen. Er war schließlich mit Zauberei aufgewachsen.
Der Professor nickte. "Es ist eher selten, dass es Hogwartsschüler schaffen, Non-Verbale-Zauber zu wirken, und dass es ein Erstklässler jemals geschafft hätte, ist mir auch nicht bewusst."
Ich nickte betrübt. So war das also ... Ich war also magisch um Längen weiter als alle anderen. Wieder einmal war ich anders. Flitwick versuchte, den Rest des Unterrichts so normal wie möglich zu gestalten, was aufgrund der Schüler aber nicht so leicht war, denn viele tuschelten die ganze Zeit über mich. Und das war teilweise nicht zu überhören. Am Ende der Stunde war nicht nur ich fertig mit den Nerven sondern auch Flitwick. Nicht nur, dass ich, eine Erstklässlerin, ihn vor einer ganzen Klassen im Duell geschlagen hatte und somit total blamiert hatte, sondern jetzt tanzten ihm auch noch die Schüler auf der Nase herum. Deswegen beschloss er, sehr zu meinem Glück, den Unterricht früher zu beenden als sonst. Stürmisch rannte ich aus dem Klassenzimmer zurück in den Flur, wo ich erst einmal wieder orientierungslos stehen blieb. Wo sollte ich hin? Ich beschloss, in die Große Halle zu gehen und dort meine Hausaufgaben wenigstens schon mal anzufangen. Nachher konnte ich dann ja mit Dylan noch ein wenig nach draußen gehen, wenn er Zeit hat ...
"Was machst du jetzt?" fragte Scor, der hinter mir her gerannt sein musste.
"Große Halle. Hausaufgaben." sagte ich kurz angebunden und marschierte auf schnellstem Weg in die Große Halle, wo nur vereinzelt einige Schüler saßen und lernten. Besonders die Fünft- und Siebtklässler lernten für ihre ZAG und UTZ Prüfungen am Ende des Jahres. Scor folgte mir und setzte sich ebenfalls neben mich.
Ich holte mein Zeug heraus und gerade, als ich anfangen wollte mit den Hausaufgaben kam Dylan herein gestiefelt und setzte sich zu uns. "Na, wie war der Tag?" fragte er lächelnd.
"Spannend." Ich unterdrückte ein Gähnen, was Dylan zum Grinsen brachte. "Na ja zuerst war ich in der Bibliothek und dann sind Scor und ich zu spät zum Zauberkunstunterricht gekommen und - SO EIN MIST!" rief ich aus und schnappte mir meine Sachen. Die wenigen Schüler in der Halle drehten sich zu mir um und starrten mich an. "Wir sollten nach der Stunde zu Flitwick, Scor!" sagte ich und wollte gerade gehen, als ich eine Stimme hinter mir hörte, die verdammt nach Flitwick klang.
"Sehr richtig, Miss Sheppard." sagte er und ich drehte mich langsam um. Eigentlich hatte ich wirklich Respekt vor ihm, aber in manchen Situationen konnte auch ich gemein und unausstehlich werden - ganz Slytherintypisch eben.
"Tut uns Leid, Professor. Wir haben nicht mehr daran gedacht." murmelte Scor, sah aber nicht einmal von seinen Hausaufgaben auf.
"Nun. Ich werde euch eine Strafarbeit geben. Morgen Abend 20Uhr in meinem Klassenzimmer." Damit machte er einen Abgang und ich war wirklich froh, denn ich hatte mich bis eben nicht rühren können. Ich war wie erstarrt.
Fluchend ließ ich mich wieder auf meinen Stuhl sinken. Dann erzählte ich noch das aus der Zauberkunststunde zu Ende. Um die Stille zu durchbrechen sagt ich: "Was machen wir jetzt? Ich habe ehrlich gesagt keine Lust auf Hausaufgaben." murmelte ich und sah die beiden aufmerksam an Offenbar wollte keiner der beiden mit mir reden, wenn der jeweils andere dabei war. Nur, wieso? Mochten sich die beiden denn nicht?
"Wir könnten nach draußen gehen." schlug Dylan vor und starrte mich an. Ich nickte.
"Scor, wir sind draußen, falls du uns suchst." sagte ich an Scorpius gewandt und ging mit Dylan im Schlepptau nach draußen in die Kälte. Ich meinte noch so ein "Mach doch, was du willst." von Scorpius gehört zu haben, war mir aber nicht sicher, ob er das wirklich gesagt hatte. Vorstellen konnte ich es nicht.
"Ich mache mir irgendwie Sorgen um dich, Emilia." begann Dylan langsam. Ich sah ihn verwirrt an. Wieso machte er sich denn Sorgen um mich? Es gab doch keinen Grund dazu. "Du bist eine ziemlich mächtige Hexe. Nach dem, was du eben erzählt hast, kannst du sogar Non-Verbale-Zauber wirken, also unausgesprochene Zauber und das können nicht einmal alle ausgebildeten Zauberer. Ich meine, das ist irgendwie ungewöhnlich ... "
Ich nickte. Das hatte ich mir auch schon des öfteren gedacht. "Aber das ist noch kein Grund, dir unnötige Sorgen zu machen. Mir geht es wirklich gut. Und ob ich nun mächtig bin oder nicht, was spielt das für eine Rolle?"
"Keine große, da hast du Recht. Nichts würde meine Meinung zu dir ändern." Er starrte auf den Boden. Dann trat schweigen ein. Unangenehmes Schweigen, doch ich wusste auch nicht, was ich darauf erwidern sollte.
"Mit wem gehst du auf den Ball?" wechselte ich das Thema. Mich interessierte es wirklich, mit wem er ging. Schließlich war er noch immer mein allerbester Freund.
"Mit niemandem." Er lächelte, aber es sah eher gezwungen aus. "Und du?"
Ich zuckte mit den Schultern. "Kommt drauf an, wer mich noch fragt. Ist ja auch noch einen Monat hin! Wollen wir uns hier her setzen?" Wir waren am See angekommen und setzten uns auf einen sauberen Stein in der Nähe des Sees, von wo wir bis nach Hogsmead sehen konnten.
"Ich wollte dich noch etwas fragen ... " begann Dylan und biss auf seiner Unterlippe herum. Das machte er immer, wenn er nervös war, hatte ich schon öfter mal beobachtet.
"Was gibt's denn?" fragte ich und lächelte ihn aufmunternd an. Ich konnte mir denken, was jetzt kommen würde. Thema Weihnachtsball. Und ich genoss es, dass er mich fragen wollte. Ich fand es toll.
Er sah nur in den Himmel und sagte längere Zeit gar nichts mehr. "Komm schon, frag endlich!" murmelte ich ungeduldig und aufgeregt. In meinem Bauch wütete ein Feuerwerk, es fühlte sich an, als würden viele kleine Schmetterlinge dort herumfliegen. Nervös sah ich ihn an.
"Ich wollte fragen ob ... ob du mit mir zum Weihnachtsball gehen willst?" fragte er unsicher. Ich fand ihn süß, wenn er so unsicher war. Er sah mich verunsichert an und ich strahlte ihn an. "Natürlich will ich!" rief ich.
Ein Lächeln trat auf sein Gesicht. Ich erwiderte das Lächeln. Glücklich lehnte ich mich auf dem Stein zurück und sah in den Himmel. Auch wenn es noch nicht dunkel war, konnte ich dort einige Sterne ausmachen.
"Ich bin gerade total glücklich, weißt du das?" Ich drehte mich zu ihm und stützte meinen Kopf auf meinem Arm ab. Lange Zeit sah er mich einfach nur an. Ich liebte seine Augen... oh ja.
"Ich bin gerade der glücklichste Mensch auf Erden!" grinste Dylan.
Ich hätte noch ewig so da sitzen können, doch irgendwann wurde es uns dann zu kalt und wir machten uns wieder auf den Weg zurück zum Schloss.
Wir gingen in Richtung Gemeinschaftsraum. Auf dem Weg dorthin trafen wir noch Lucie und Logan, die, wie sie sagten, auch gerade vom See kamen, auch wenn wir sie nirgends gesehen hatten.
"Was habt ihr so am See gemacht?" fragte ich lächelnd. Wir saßen jetzt auf den Sofas im Gemeinschaftsraum.
"Ähm... Wir haben nur geredet!" sagte Lucie und ich sah, wie sie augenblicklich rot wurde. Grinsend erhob ich mich.
"Jajaja. Ich geh schlafen, Leute, ich bin totmüde!" meinte ich und gähnte.
"Gute Nacht, meine Kleine!" hauchte mir Dylan ins Ohr, als ich ihn umarmte. Glücklich ging ich in den Schlafsaal und schmiss mich auf mein Bett, ohne zu merken, dass ich nicht allein im Zimmer war.
"Wieso so glücklich?" fragte Lorena, die sich auch auf ihrem Bett ausgestreckt hatte.
"Ich hab ein Date für den Weihnachtsball!" sagte ich grinsend.
"Wen denn? Wer hat dich gefragt?" fragte sie neugierig.
"Dylan! Vorhin am See. Er war so süß, wie er so gestottert hat und so..." kicherte ich. "Hast du schon ein Date?"
"Ja, ich geh mit Louis, einem Hufflepuff." sagte sie. "Ich schlaf jetzt, gute Nacht.!"
"Gute Nacht, Lorena." flüsterte ich noch, dann schlief auch ich ein.
Endlich war es dann soweit. Wir durften nach Hogsmead, zwar wir Erstklässler nur, wenn wir jemanden hatten, der mindestens 4.Klasse war und auf uns aufpassen würde, aber das war für mich nicht weiter tragisch. James, der ja mit Lucie und Logan befreundet war, ließ sich ziemlich schnell überreden, mit uns zu kommen. Ansonsten hätten wir Dylan fragen müssen, aber das wollte ich nicht, denn ich musste noch ein Kleid für den Weihnachtsball besorgen und da musste er ja nun nicht unbedingt dabei sein ...
"James, hier!" rief ich zu James, der einige Meter entfernt von uns stand und uns suchte. Als er seinen Namen hörte, blickte er in unsere Richtung und kam dann schnell mit leuchtenden Augen auf uns zugelaufen. Schnell umarmte er uns alle und bedeutete uns, ihm zu folgen.
"Wo wollt ihr denn zuerst hin?" fragte er uns und drehte sich im Laufen zu uns um. Er lief einfach rückwärts weiter.
"Wir müssen auf jeden Fall noch Kleider kaufen!" sagte ich und sah James an.
Dieser nickte, drehte sich wieder um und lief einfach weiter. Als wir in Hogsmeade ankamen, war es schon fast Mittag und wir mussten uns beeilen, damit wir abends fertig waren. Zuerst gingen wir in den Kleiderladen, Besenknechts Sonntagsstaat, und suchten nach passenden Kleidern. Ich hatte meines ziemlich schnell. Es war rot, passend zu meinen schwarzen Haaren, und hatte einige Strasssteinchen an den Seiten. Ich fand es einfach himmlisch und so suchten wir noch nach Lucies Kleid.
"Ich geh rüber in die Drei Besen, ja? Wir sehen uns dann!" sagte Logan, dem es wohl zu langweilig wurde, und ging. Ich suchte kopfschüttelnd weiter nach einen hübschen Kleid und fand nach circa einer halben Stunde sogar eines. Es war blau und es passte wirklich gut zu Lucie und sie sah darin einfach nur toll aus! Zusammen gingen wir unsere Kleider bezahlen und dann nach draußen, wo James ungeduldig auf uns wartete.
"Auch mal fertig?" fragte er spöttisch und sah uns beide an. Wir grinsten.
"Wir mussten eben die richtigen Kleider finden! Das braucht Zeit!" sagte ich und verdrehte kurz meine Augen.
"Schon gut. Gehen wir auch in die Drei Besen." sagte er und ging uns voran in ein altes Gebäude, das aussah, als würde es gleich zusammenkrachen. Hoffentlich blieb es standhaft ...
Als wir in den Laden kamen, umfing uns eine Lautstärke, wo man sich wirklich die Ohren zuhalten musste. Außerdem waren im ganzen Laden nicht mehr als vielleicht drei Kerzen aufgestellt, sodass es fast ein bisschen düster wirkte. Ich sah mich um.
An einem Tisch links von mir saß Dylan mit einigen seiner Freunde und winkte mir zu. Ich grinste und setzte mich neben ihn an den Tisch. Lucie und James setzten sich an einen anderen Tisch zu Logan und anderen Erstklässlern.
"Hey!" grinste ich Dylan an.
"Naa wie war's?" fragte er lächelnd. "Scheint ja wirklich gut gewesen zu sein!"
"Es war super. Lucie und ich haben sogar ein total schönes Kleid jeweils gefunden."
"Nächste Woche kannst du es mir zeigen." grinste Dylan. Richtig, der Weihnachtsball war ja schon nächste Woche. Ich war schon total aufgeregt deswegen und freute mich auch schon riesig. Ich nickte glücklich und sah dann seine Freunde an.
"Ach ja... Ähm, ich bin übrigens Emilia." sagte ich an Dylans Freunde gewandt.
"Ich bin Niall!" sagte ein blonder Junge mit braunen Augen.
"Kyle." ein Muskelprotz meldete sich zu Wort. Er sah ... beängstigend aus.
"Jake." sagte ein anderer, kleiner Junge mit brauen Locken.
"Cool. Freut mich, euch kennen zu lernen." grinste ich.
"Wollen wir los?" fragte Dylan. "Ich wollte dir ja noch etwas zeigen."
"Oh ja, klar." meinte ich aufgeregt. "Wir sehen uns." sagte ich an seine drei Freunde gewandt.
Wir gingen unter den neugierigen Blicken der anderen Erstklässler aus dem Gasthof und schlugen die Richtung nach Hogwarts ein.
"Es ist nichts besonderes. Nur ein Platz, zu dem ich immer gehe, wenn ich nicht gut drauf bin. Aber dieses Jahr war ich noch nicht einmal hier ..." murmelte er.
"Dann geht es dir dieses Jahr besonders gut?" fragte ich vorsichtig.
"Ja. Mir geht es ziemlich gut." sagte er lächelnd und nahm meine Hand. Ich zog sie nicht weg, es fühlte sich einfach richtig an. Sofort als er mich berührte, wurde ich wieder aufgeregt und ich bekam wieder ein leichtes Kribbeln im Bauch.
"Woran das nur liegt ..." murmelte ich verträumt. Im Moment war ich einfach nur glücklich und nichts und niemand konnte das ändern.
"Ich weiß, woran es liegt." sagte er und blieb stehen. Ich blieb ebenso vor ihm stehen und blickte ihm in die Augen.
"Woran denn?" fragte ich neugierig. Ich fühlte mich auf eine unbestimmte Weise von ihm angezogen und ich wollte einfach nur noch so nah wie möglich bei ihm sein.
Er sah mir lange in die Augen, beugte sich dann zu mir runter und .... plötzlich lagen seine Lippen auf meinen. Das Kribbeln in meinem Bauch wurde mehr und ich wollte einfach nur noch, dass es so bleibt wie jetzt. Leider löste er sich viel zu schnell wieder von mir und sah mich lächelnd an.
"Es liegt an dir. Du machst mich einfach nur glücklich." grinste er mich an.
Ich grinste zurück und küsste ihn wieder. Erst als meine Luft ausging, löste ich mich von ihm und kuschelte mich an ihn.
Doch Dylan wollte mir ja unbedingt noch etwas zeigen, also ging ich ihm hinter her. Ich sah hier keinen einzigen Hogwarts-Schüler insgesamt, obwohl man doch annehmen könnte, dass nicht nur Dylan und ich zurück nach Hogwarts gingen. Wir gingen weiter in Richtung Hogwarts und Dylan blieb nicht einmal stehen, um wenigstens eine kurze Verschnaufspause zu machen, da der Weg in der Mittagshitze doch ziemlich anstrengend war. Keuchend ging ich hinter ihm und schaute mich ganz genau um. Wir hatten etwa die Hälfte des Weges zurückgelegt und befanden uns nun auf einem kleinen Hügel, von dem aus man den See perfekt überblicken konnte. Sogar den Verbotenen Wald konnte man von hier beobachten.
"Das hier ist mein Platz." sagte Dylan, nahm meine Hand und setzte sich ins Gras. Dann zog er mich runter und küsste mich wieder. Ich lächelte glücklich und lehnte mich an ihn.
"Wunderschön hier." murmelte ich.
"Finde ich auch. Dieser Ort ist irgendwie magisch." sagte er und strich mir eine Strähne aus meinem Gesicht.
Plötzlich sah es aus, als würde die Umgebung dunkler werden. Meine beiden Zeichen fingen wieder an zu brennen und ich hielt den Atem an und hielt meine Hand auf den Mund, damit ich vor Schmerz nicht losschreien würde. Meine Sicht wurde verschwommener, ich spürte weder meinen Arm noch meine Schulter und auch mein Rücken fühlte sich seltsam taub an. Dylan bekam davon wie es aussah gar nichts mit, erst als ich ihn antippte mit schmerzverzerrtem Gesicht sprang er auf und sah mich panisch an.
"Was ist los?" fragte er besorgt. Ich schüttelte nur hilflos mit geschlossenen Augen den Kopf und ließ mich los. Ich ließ meinen Körper los und schon verspürte ich keinen Schmerz mehr. Nichts. Aber ich war aucu nichz mehr ich. Ich hatte keinen Körper mehr ... Panisch versuchte ich, wieder zurück in meinen Körper zu gelangen und zum Glück klappte es. Sofort war der Schmerz wieder da. Es brannte und juckte und kratzte und ich konnte rein gar nichts machen. Auch Dylan sah mich hilflos an und suchte nach Hilfe. Doch wir waren allein.
Niemand konnte mir helfen. So schnell wie es gekommen war, war der Schmerz auch wieder weg. Erschöpft ließ ich mich zu Boden fallen und ahnte schlimmes - ich hatte ein neues Zeichen bekommen.
Dylan sah dennoch noch erschrockener aus als ich, hielt mir aber eine Hand in, mit der ich mich hochzog. Was war nur passiert? Warum hatte ich wieder ein neues Zeichen bekommen?
"Dylan .... Tut mir Leid. So war das echt nicht geplant ... Aber ich muss los. Mach dir keine Sorgen um mich, ja?" sagte ich, wusste aber, dass ich das nachher erklären müsste. Und ich musste Scorpius Bescheid sagen. Ohne Dylans Antwort abzuwarten rannte ich zurück nach Hogwarts, direkt in eines der Toiletten, wo ich mich panisch vor den Spiegel stellte. Dann zog ich mein T-Shirt aus und drehte mich um. Ein weiteres Zeichen. Ich hatte Recht gehabt. Es war wie die anderen beiden auch ziemlich rot, als wäre es entzündet, und die Zeichen an sich waren schwarz.
Vermutlich war es sogar entzündet und musste erst noch heilen. Bibliothek! Nein, Scorpius hatte das Buch ... Wo war aber Scorpius? Doch nicht etwa auch in Hogsmeade? Ich hoffte nicht, sonst müsste ich solange warten, bis er zum Schloss zurückkam ... Und dafür war ich zu neugierig. Und zu erschrocken. Immerhin war ich offenbar die einzige, die solche Zeichen bekam. Und gut konnte das ja wohl kaum sein, oder doch? Nun ja, vielleicht ja schon, aber das war eben nicht sicher.
Ich beschloss, mit meinem schmerzenden Rücken mich auf die Suche nach Scorpius zu machen. Aber nur im Schloss, da draußen zu viele Schüler herum liefen, und ich da vielleicht auch noch Dylan in die Arme laufen könnte ... Was Dylan jetzt wohl von mir hielt? Bestimmt war ich jetzt bei ihm unten durch ... Er wollte sicher nichts mehr mit mir zu tun haben.
"Scor?" schrie ich immer mal wieder, wenn ich mir dachte, dass er dort öfters mal war. Doch nie kam eine Antwort. Scor musste also wirklich noch draußen in Hogsmeade sein ... Sollte ich mich vielleicht einem Professor anvertrauen? Vielleicht war das ja die beste Idee. Dumbledore, fiel mir da wieder ein, sollte doch auch in Hogwarts sein. Und er hatte mir sogar einen Brief geschrieben! Er konnte mir doch sicher helfen! Schnell lief ich zum Lehrerzimmer, wo ich nervös stehen blieb und mich fragte, ob Dumbledore überhaupt ein Lehrer war ... Aber die Lehrer könnten wir ja trotzdem sagen, wo ich Dumbledore finden konnte. Ich klopfte unsicher an die Tür. Schon nach wenigen Sekunden hörte ich Stimmen und Schritte, die mir näher kamen, und dann stand Professor McGonagall an der offenen Tür.
"Miss Sheppard, was kann ich für Sie tun?" fragte sie höflich und sah mich durchdringend an.
"Ich muss mit Dumbledore sprechen. Wo kann ich ihn finden?" fragte ich schnell. Ich mochte diesen Blick nicht, es fühlte sich dann immer so an, als könnte sie in mich hineinsehen.
"Oh ja, Dumbledore ist wie üblich in seinem Büro. Soll ich Sie hinführen?" fragte sie mich hilfsbereit.
Ich nickte. "Wäre nett." sagte ich lächelnd. "Nun gut. Folgen Sie mir." sagte McGonagall streng und lief voraus. Unterwegs sprachen wir kein Wort und auch als sie mich vor einem Brunnen stehen ließ, sagte sie nichts, außer ein Passwort, woraufhin der Brunnen eine Wendeltreppe freigab. Unsicher ging ich die Treppe hoch und fand mich dann in einem großen Raum wieder, indem ein Phönix auf einer Stange saß und ziemlich viel Unordnung herrschte. Ein älterer Mann - oder Geist, denn der Mann war zum Teil durchsichtig - mit einem langen weißen Bad saß auf einem Stuhl vor dem Schreibtisch. Als ich den Raum betrat, hob er seinen Kopf lächelnd in meine Richtung und bedeutete mir still, mich zu ihm zu setzen. Ich setzte mich ihm gegenüber auf einen Stuhl, den Dumbledore gerade hatte erscheinen lassen, und sah ihn nervös an. Ich war mir plötzlich wieder so unsicher, ob ich das wirklich hatte tun sollen.
"Sir ... ich bin zu Ihnen gekommen, weil ich ... einige Probleme habe, und ich denke, Sie können mir da helfen." fing ich an. Dumbledore nickte. "Gewiss, ich kann dir helfen, Emilia. Aber brauchst du wirklich die Hilfe eines alten Mannes?" Er lächelte.
Was meinte er damit? Wieso musste er in Rätseln sprechen? Konnte er mir nicht einfach helfen?
"Aber nun gut, du darfst mir eine Frage heute Abend stellen. Überleg dir gut, was du mich fragst, Emilia." sagte Dumbledore. Wieso nur eine Frage? Was spielte er für ein Spiel?
Ich überlegte. Was war für mich am Wichtigsten? Meinen Vater zu kennen und endlich herauszufinden, was gerade mit mir geschah, das wollte ich. Aber das waren zwei Fragen.
"Sir, ich habe aber zwei wichtige Fragen an Sie." murmelte ich. Vielleicht konnte ich ihn ja erweichen.
"Ich kann dir pro Abend nur eine Frage beantworten, Emilia." sagte Dumbledore dennoch.
"Na gut ... Was bedeutet das erste Zeichen auf meinem Arm?" fragte ich unsicher. Eigentlich wollte ich etwas anderes Fragen, aber das Zeichen war mir eben ein Rätsel, ich hatte es in keinem Buch gefunden.
"Es ist das Zeichen des Merlin, so wird es genannt. Es ist sehr selten und einige behaupten, es gäbe Merlin nicht mehr, was natürlich völliger Unsinn ist." Er zwinkerte mir zu. "Du hast es bekommen, weil Merlin dich vor dem Tod bewahrt hat. Er hat dich gerettet." sagte Dumbledore und kramte ich einer Schublade von seinem Schreibtisch.
Ich nickte. "Danke. Wieso kann ich Ihnen nicht alle meine Fragen auf einmal stellen?" fragte ich neugierig.
"Oh natürlich kannst du mir alle deine Fragen stellen, aber ich kann sie nicht beantworten. Ich muss dich warnen - Der Brunnen unten am Eingang lässt dich erst wieder durch, wenn du ein weiteres Zeichen bekommen hast." meinte Dumbledore.
"Warum? Und wieso bekomm ich denn noch mehr Zeichen?" fragte ich erschrocken. Bis ich mein nächstes Zeichen bekam, würde hoffentlich noch etwas dauern - oder auch nicht, ich wollte ja meine Fragen beantwortet haben.
"Du stehst im Zeichen deines Vaters." erklärte mir Dumbledore, als würde mir das helfen. "So und nun raus! Sie müssen doch morgen fit sein."
Ich nickte niedergeschlagen und ging zur Tür. "Gute Nacht, Sir." sagte ich, dann verschwand ich schnell durch die Tür. Tatsächlich war es schon ziemlich spät und ich sah nur noch vereinzelt einige ältere Schüler. Zu meinem Entsetzen entdeckte ich auch Dylan, der an einer Wand gelehnt stand und sich umsah, bis sein Blick auf mich fiel. Er kam auf mich zu und eigentlich wollte ich fliehen, aber ich konnte mich einfach nicht bewegen. Ich war wie erstarrt.
"Emilia!" rief er und bahnte sich einen Weg zu mir. Kurz vor mir blieb er stehen. "Was war denn los?" fragte er mich flüsternd. Ich zog ihn ohne ein Wort mit in ein freies Klassenzimmer, wo ich mich dann an eine Wand lehnte.
"Wieso reden wir in einem leeren Klassenzimmer?" fragte er verwirrt.
"Es muss ja nicht jeder wissen, wie sonderbar ich bin." murmelte ich leise.
"Wieso bist du vorhin abgehauen?" flüsterte er und sah mir tief in die Augen. Ich hielt dem Blick stand. "Ich musste das tun. Tut mir Leid. Aber es gibt einiges, was du nicht von mir weißt und was du auch nicht wissen sollst ..." murmelte ich und sah jetzt zu Boden.
"Emilia ... Was meinst du? Hat es etwas mit den Schmerzen zu tun? Oder mit was sonst?" fragte er viel zu neugierig.
Ich schüttelte den Kopf. "Ich will nicht drüber reden." sagte ich bestimmt.
"Ich mach mir Sorgen um dich, verstehst du? Nach dem was vorhin passiert ist nur noch mehr!" rief er und kam mir bedrohlich nahe. Ich zuckte zurück. Er war wütend, das sah man ihm deutlich an.
"Ich weiß selbst noch nicht viel! Du wirst es vielleicht erfahren, wenn ich selbst damit klar komme." Damit drehte ich mich um und wollte gerade die Tür öffnen, als er mich am Arm packte. Ich sah ihm ins Gesicht. Deutlich spiegelten sich Reue und Liebe wider.
"Bitte. Es tut mir Leid. Ich werd nicht mehr davon anfangen." murmelte er leise. "Aber bitte geh nicht. Ich liebe dich."
"Ich liebe dich doch auch!" sagte ich und küsste ihn sanft. Wieder war es, als würde sich die Welt um uns herum auflösen. Viel zu schnell lösten wir uns wieder und lächelten uns an.
"Gehen wir in den Gemeinschaftsraum? Lucie hat schon nach dir gefragt." lächelte er. "Sie muss dir etwas ganz wichtiges erzählen."
"Was ist denn so wichtig?" fragte ich neugierig und zog ihn zur Tür. Noch immer waren nicht viele Schüler auf den Gängen und so konnten wir fast unbemerkt aus dem Klassenzimmer schleichen.
"Das wird sie dir selbst sagen." meinte er. Auf dem Weg gingen wir Hand in Hand, doch keiner wollte uns so wirklich bemerken.
Tatsächlich wartete Lucie im Gemeinschaftsraum auf mich, und auch Scor saß bei Lucie. Schien so, als hätten sich die beiden angefreundet. Lucie sprang gleich auf mich zu, als sie mich sah und so musste ich Dylans Hand loslassen.
"Aalso erzähl mal, was jetzt so wichtig ist!" sagte ixh lachend, als sie sich von mir löste. Dylan setzte sich auf das Sofa neben Scor, wo eben noch Lucie gesessen hatte. Lucie zog mich derweil zu einem ruhigen Platz am Fenster.
"Du wirst nie glauben, was passiert ist!" rief sie fast hysterisch.
Ich nickte. "Wie wär's, wenn du erstmal erzählst und ixh entscheide dann, ob ich das glaube oder nicht?" fragte ich lächelnd.
"Okay. Also wir waren gerade in den Drei Besen. Du und Dylan wart seit ein paar Minuten weg. Hugo und diese Lily sind dann gekommen und haben uns etwas ... nun ja dumm angemacht. Also unseren gesamten Tisch, alle Erstklässler sozusagen. Und dann haben wir halt angefangen, sie zu beleidigen und Hugo wollte mir dann einen Fluch auf den Hals hetzen und wurde dann selbst getroffen!" lachte sie lauthals. Die Vorstellung war durchaus witzig, wie ich fand.
"Was haben die beiden dann gemacht?" fragte ich kichernd.
"Sind beide abgehauen! Total gedemütigt und haben sich wohl bei den Lehrern ausgeheult!" prustete sie los. Ich versuchte, bei der Vorstellung nicht das Lachen anzufangen, was sich aber als ziemlich schwer bis unmöglich herausstellte. Deswegen lachten wir beide, als wir zu Scor und Dylan zurückkehrten. Ich setzte mich neben Scor und Dylan und nahm unauffällig Dylans Hand. Sofort wurde mir wieder wohlig warm und das vertraute Kribbeln war wieder da. Lucie setzte sich auf meinen Schoß und so saßen wir noch eine Stunde später da. Keiner verschwendete den Gedanken an Hausaufgaben oder Lernen.
"Fahrt ihr nun eigentlich alle in den Weihnachtsferien weg?" fragte Lucie.
"Ich weiß nicht. Meine Mum hat noch nicht geantwortet. Aber ich denke schon." sagte ich. Dann besann ich mich eines Anderen. "Oder auch nicht. Vermutlich werde ixh nicht dürfen. Ich durfte ja auch vor Hogwarts nicht mehr bei ihr wohnen." "Wo hast du denn vor Hogwarts gewohnt?" fragte Dylan mit einem Stirnrunzeln.
"Bei Scor und seinen Eltern. Der Zaubereiminister wollte es so." murmelte ich. Dylan nickte.
"Ich fahr zu meinem Dad, denke ich." sagte Dylan. "Er ist Auror. Und meine Mum arbeitet auch im Ministerium."
"Was ist ein Auror?" fragte ich verwirrt.
"Er soll die magische Gesellschaft vor Angriffen und Bedrohungen schützen. Also er jagt Schwarze Magier und so." erklärte mir Dylan ernst. Dann verwandelte sich sein Gesicht in ein Grinsen. "Wenn du nicht zu deiner Mum in den Ferien darfst, willst du mit zu mir kommen?" fragte er grinsend.
"Klar. Ist eine super Idee! Wäre echt toll, wenn ich zu dir kommen dürfte." grinste ich zurück und drückte seine Hand.
"Wo geht ihr beiden hin?" fragte ich die beiden anderen. "Oder bleibt ihr?"
"Ich geh mit Logan zu ihm nach Hause. Ist schon alles geplant und so." sagte Lucie fröhlich.
"Ich bleibe hier." sagte Scor ernst und sah uns an. Ich hatte Mitleid mit ihm. Er konnte ja nicht nach Hause. "Ich geh schlafen. Gute Nacht!" sagte Scor und ging in den Schlafsaal. Noch bevor wir etwas sagen konnten, war er verschwunden. Wir schwiegen, bis auch Lucie beschloss, schlafen zu gehen.
"Wieso gehen die nur so früh schlafen?" fragte ich fluchend. Ich hatte heute kaum mit Lucie und Scor gesprochen.
"Sind vielleicht müde. Im Gegensatz zu uns." grinste Dylan und strich mir sanft eine Strähne aus dem Gesicht.
"Wollen wir noch etwas durch die Gänge gehen?" fragte Dylan und sah sich um. Einige Sechstklässler waren am Lernen, ansonsten war es eher ruhig geworden.
"Ja. Aber wenn uns jemand erwischt?" fragte ich ernst. Ich wollte kein Ärger bekommen und noch negativer auffallen als ich es jetzt schon tat.
"Uns erwischt keiner." grinste Dylan und ging zur Tür. Im Gang war niemand, wie erwartet, nur die Fackeln flackerten unruhig.
"So positiv wie du denke ich schon lange nicht mehr!" sagte ich und sah durch den langen Gang. Alles war so still - aber es war eine bedrückende Stille.
"Ach komm. Ich meine, was veranlasst dich denn dazu, negativ zu denken?" fragte er.
"Alles an mir! Ich bin anders als alle anderen hier. Ich bin nicht normal!" rief ich und hoffte, dass wirklich keiner zufällig im Gang war.
"Wieso solltest du nicht normal sein?" flüsterte er.
"Überleg doch mal! Punkt 1: Ich war tot und irgendeiner seltsamer Mann soll mich mithilfe von Magie einfach so geheilt haben. Punkt 2: Ich bin mächtiger wie alle anderen hier. Ich gewinn in Duellen sogar gegen Lehrer. Außerdem muss ich nicht lernen, wenn ich im Unterricht aufpasse, denn ich kann dann alles. Zauber muss ich nicht üben, weil sie mir alle bereits beim ersten Mal perfekt gelingen! Punkt 3: Ach egal..." sagte ich bedrückt und nahm meine Hand aus seiner.
"Was ist Punkt 3?" fragte er mich. Er hatte gemerkt, dass ich das nicht ohne Nachdenken gesagt hatte.
"Ich kann nicht drüber reden. Ich muss es erst einmal selbst verstehen." behauptete ich. Was nicht ganz der Wahrheit entsprach aber auch nicht gelogen war.
"Du weißt, du kannst mit mir über alles reden?" fragte er mich mit hochgezogenen Augenbrauen. Er war viel zu neugierig.
"Du hast versprochen, das Thema zu belassen..." murmelte ich leise. Ich hatte langsam wirklich keine Geduld mehr.
"Stimmt. Tut mir Leid." sagte er. Es hörte sich aber nur danach an, als sagte er es, um mich zu besänftigen und nicht danach, dass es ihm wirklich Leid tat. Und ich wusste, es tat ihm nicht wirklich Leid.
"Nein! Dir tut es nicht Leid. Du denkst gerade nur an dich, weißt du das?" Tränen bahnten sich den Weg nach unten und mein Blick war verschleiert. Meine Stimme wurde nach hinten immer lauter. "Du kapierst echt gar nichts! LASS MICH EINFACH IN RUHE!" rief ich wütend und stapfte schnell zurück zum Gemeinschaftsraum, wo ich mich auf mein Bett schmiss und einfach nur weinte. Nach einer Ewigkeit, wie es mir schien, wollten einfach keine Tränen mehr kommen und ich ging ins Bad, um mein Gesicht wieder einigermaßen herzustellen. Als ich mit dem Ergebnis halbwegs zufrieden war, legte ich mich in mein Bett und dachte nach.
Wieso konnte Dylan mich nur nicht verstehen? War es wirklich so schwer zu verstehen, dass ich nicht mit ihm drüber reden konnte? Ich wusste ja selbst nicht so wirklich, was ich davon halten sollte. Drei Zeichen, alle haben etwas miteinander und mit der Wirklichkeit zu tun. Das erste war das Zeichen des Merlin, ich hatte es bekommen, weil Merlin mich wohl geheilt hatte, als ich tot war. Das zweite war das Zeichen des Todes. Ein Junge musste dafür in Hogwarts an einer unerklärlichen Ursache sterben. Das dritte hatte ich bekommen, kurz nachdem ich Dylan geküsst hatte. Ich würde also sagen, dass es das Zeichen der Liebe oder des Glücks ist. Zeichen numero Vier hatte ich noch nicht bekommen und würde ich hoffentlich auch noch nicht bekommen. Wie sollte ich denn auch mit so einem Stress die Versetzungstests am Ende des Jahres bestehen?
Mitten in meinen Gedanken vertieft fiel ich in einen unruhigen Schlaf.
Sonntag
Bald war es soweit. Der Weihnachtsball war in einer Woche und die ganze Schule war mitten in den Vorbereitungen. Sogar die Lehrer gaben uns weniger Hausaufgaben auf als sonst. In Fächern wie Zauberkunst oder Verteidigung gegen die Dunklen Künste machten wir meistens Technik, also Zauber üben, keine Theorie. Und auch wenn ich darüber doch ganz froh war, war ich im Unterricht laut meinen Freunden nicht mehr ich selbst. Oft war ich im Unterricht einfach abwesend, schrieb nichts mehr mit, hörte nicht mehr zu. Und auch von meinen Freunden distanzierte ich mich. Einfach um sie, um mich zu schützen. Und ich musste ja schließlich auch meine Geheimnisse wahren, sofern das möglich war. Nur mit Scorpius traf ich mich noch des Öfteren, da er sowieso schon von meinen Problemen wusste. Und ich war ihm wirklich dankbar dafür und das sagte ich ihm auch regelmäßig. Dylan ging ich seit unserem Streit vorgestern bis jetzt erfolgreich aus dem Weg. Ich war nicht scharf darauf, meine Probleme mit ihm zu teilen und das musste ich wohl, wenn wir uns wieder vertragen wollten.
"Du solltest mal wieder etwas mit Lucie und Logan machen. Die beiden machen sich Sorgen um dich." sagte Scor, als wir in der Bibliothek saßen und mal wieder nach den seltsamen Zeichen auf meinem Körper suchten.
"Das geht nicht Scor. Ich muss mich von denen fernhalten." sagte ich hartnäckig. Vielleicht verfiel ich, wie alle dachten, gerade auch nur in Selbstmitleid, was am Ende wohl zu einer Depression führen würde. Aber das war mir auch irgendwie egal, und überhaupt, mich interessierte in letzter Zeit eigentlich gar nichts mehr.
"Ich mache mir auch Sorgen um dich." sagte Scor und sah von seinem Buch auf. Er hatte seit etwa zehn Minuten einfach nur noch sinnlos in einem Buch geblättert und mit mir geredet.
"Dafür gibt es keinen Grund, Scor. Das weißt du." murmelte ich, auch wenn ich mir nicht sicher war, dass er das wirklich wusste.
"Doch. Dafür gibt es jede Menge Gründe! Du hast dich in den letzten Tagen so sehr verändert, und nicht unbedingt ins positive, weißt du. Was war zwischen dir und Dylan?" fragte er vorsichtig.
Ich sah ihn geschockt an. Woher wusste er davon? "Da war nichts." sagte ich kalt und sah wieder gedankenverloren in mein Buch.
"Emi, ich bin doch nicht blöd! Ich sehe doch wie ihr euch anseht!" Seit wann nannte er mich Emi? Süß ....
"Wir haben uns geküsst, okay? Ein paar Mal. Aber er war zu neugierig. Er hat immer nach den Zeichen gefragt! Und dann bin ich vor zwei Tagen ausgerastet und abgehauen!" sagte ich bitter und widmete mich jetzt endgültig Scor. Ich konnte mich ja sowieso gerade nicht auf Bücher konzentrieren.
"Liebst du ihn?" fragte Scor leise. Er sah mich traurig an, auch wenn ich nicht wusste, weshalb.
"Ich war in ihn verliebt, ja. Aber... gerade habe ich so ein Chaos in meinen Gedanken und Gefühlen, dass ich nicht mal weiß, ob ich ihn wirklich liebe." murmelte ich leise.
"Dann fährst du wohl auch eher nicht in den Ferien zu ihm, oder?" fragte Scor.
Ich schüttelte den Kopf. "Ich werde mich morgen in die Liste eintragen lassen, dass ich hier bleibe über die Ferien. Ist sowieso besser, dann kann ich hier weitersuchen und Dumbledore auf die Nerven gehen." Ich lächelte ihn schief an.
Er nickte nur. "Willst du mit in die Große Halle kommen und essen? Oder holst du dir nachher wieder was von den Hauselfen?"
"Ich hol mir nachher etwas." sagte ich bedrückt und zeigte auf die Bücher, die vor mir lagen.
"Du warst seit zwei Tagen nicht mehr essen. Die anderen reden schon!"
Ich schüttelte den Kopf. "Geh nur, ich bleibe hier."
Scor nickte noch einmal, dann ging er aus der Bibliothek.
Montag
Lucies Pov
"Logan! Weißt du, wo Emilia ist?" fragte ich meinen besten Freund. Dieser schüttelte nur den Kopf.
"Seit Tagen lässt sie sich nicht mehr beim Essen blicken, wir bekommen sie kaum noch zu Gesicht. Das ist nicht gut. Irgendwas ist mit ihr, ich spür das!" sagte Logan dramatisch. Das dumme: Er hatte meistens Recht, was solche Sachen anging. Er wusste es immer zuerst, wenn es jemandem nicht gut ging. Und Emilia ging es offenbar nicht gut. Schließlich hatte ich, ihre beste Freundin, sie seit zwei Tagen nicht mehr gesehen. Nur Scorpius schien, wie er sagt, sie noch jeden Tag zu treffen. Er wollte uns aber nicht sagen, wann, wo und vor allem warum. Ich wollte ihm einmal hinterherschleichen, mitten am Tag, aber irgendwie hatte ich ihn aus den Augen verloren und seitdem hatte ich es auch nicht mehr versucht.
"Wir müssen sie treffen. Morgen im Unterricht treffen wir sie garantiert!" sagte ich zuversichtlich. Wie ich mich irrte ....
Denn wie sich herausstellte erschien Emilia nächsten Tag weder zum Frühstück noch zum Unterricht. Auch Dylan hielt uns auf Abstand, was mir gar nicht gefiel. Er wusste doch bestimmt etwas von Emilia ... Ich machte mir Sorgen. Unter normalen Umständen hätte Emilia niemals freiwillig den Unterricht geschwänzt. Das sah auch Logan so. Sogar Scorpius, der als einziger noch Kontakt zu ihr hatte, schien sich Sorgen um sie zu machen. Doch immer wenn ich ihn darauf ansprach, winkte er ab und schwieg.
„Scorpius! Mir reicht's jetzt! Seit drei Tagen schweigst du nun über Emilia, obwohl wir alle genau wissen, dass du mit ihr gesprochen hast und obwohl wir uns alle Sorgen machen. Wenn du nicht sofort mit der Sprache rausrückst, spreche ich zuerst mit Dylan und dann mit unserem Vertrauenslehrer.“ drohte ich ihm, als wir auf dem Gang standen und er wie immer das Thema wechselte, wenn die Sprache auf Emilia fiel.
Er sah mich nur an, als wäre ich verrückt. Schüler rannten an uns vorbei zu ihrem Unterricht, doch ich bewegte mich kein Stück. Ich hatte nicht vor, in den Unterricht zu gehen, bevor ich nichts von Emilia wusste. Und Scorpius schien zu meinem Glück auch nicht zu wagen, jetzt abzuhauen.
„Jetzt raus mit der Sprache! Wieso ist sie so abweisend?“ fragte ich und zog ihn am Ärmel hinter mir her. „Und wieso kommt sie neuerdings auch nicht mehr zum Unterricht?“
„Sie hat wirklich größere Probleme als euch!“ sagte Scorpius bissig. Ich war nie wirklich warm mit ihm geworden und verstand mich auch wirklich nicht gut mit ihm. Aber dieses Gespräch musste sein, auch wenn wir es beide nicht wollten. Er versuchte, sich von mir abzuwenden, doch ich zog ihn nur noch näher an mich heran.
„Was für Probleme?“ fragte ich betont langsam.
„Welche, von denen du keine Ahnung hast! Welche, die du nie in deinem Leben auch nur geträumt hättest. Welche, die sie vielleicht sogar umbringen könnten.“ sagte er ruhig und sah mich wütend an. Wenn Blicke töten könnte, wäre ich jetzt tot …
„Und wieso schottet sie sich so von uns ab?“ fragte ich sauer.
„Frag sie doch selbst.“ Damit riss er sich von mir los und rannte weg. Ich folgte ihm, und das wusste er. Er wusste, dass ich hoffte, er würde mich zu Emilia führen. Vermutlich würde er aber eben dies nicht tun. Wir rannten eine Treppe nach der anderen hoch, bis wir irgendwann auf dem Astronomieturm standen und uns gegenseitig vernichtende Blicke zuwarfen. Ich stellte mich an den Rand, weg von der Tür. Hier oben war es eiskalt um diese Zeit und ich war dabei, zu erfrieren. Eine Zeit lang standen wir nur so da. Vernichteten uns gegenseitig. Warfen uns wütende Blicke zu. Dann ging er wieder nach unten. Ich lehnte mich zurück über das Geländer und dachte nach. Sollte ich ihm nun hinterher gehen? Würde er mich zu ihr führen oder nicht?
Plötzlich hörte ich Schritte die Treppe hochkommen und dann stand Emilia vor mir. Sie wirkte blass und kränklich, hatte dunkle Ringe unter den Augen. Es wirkte fast, als wäre sie bald am Ende ihrer Kräfte. Ihre Kleidung war zerschlissen an einigen Stellen und sie trug überhaupt kein Make-up wie sonst eigentlich immer. Ihr ganzes Auftreten war so untypisch für sie. Wie sie da so zusammen gesunken stand und mich unverwandt anblickte, machte mir schon etwas Angst. Ihr Selbstvertrauen hatte immerhin keinen Schaden genommen, sie wirkte noch immer genauso selbstbewusst wie im Zug damals nach Hogwarts.
„Emilia …“ murmelte ich und musterte sie weiterhin.
„Was? Sag's mir! Sag mir, dass ich scheiße aussehe, denn genauso fühle ich mich nämlich! Was willst du von mir?“ Ihre Stimme war kalt und auch ihre Sätze ließen darauf schließen, dass sie keine Lust hatte, mit mir zu reden. Was hatte ich ihr nur getan?
„Was ist denn los mit dir?“ fragte ich vorsichtig. Sie sah mich kalt an.
„Was los mit mir ist!? Was geht dich das an? Das ist ganz allein meine Sache, kapiert?“ Sie war wirklich eiskalt. Als wäre ich ihr total egal. Als würde sie mich absichtlich verletzen wollen …
„Und wieso triffst du dich noch mit Scorpius und lässt uns so sitzen? Nicht einmal mit Dylan redest du noch!“ schrie ich sie an. Sie sollte mal spüren, wie es ist, verletzt zu werden.
„Du hast keine Ahnung.“ sagte sie bitter. „Du hast doch keine Ahnung von meinem Leben. Du weißt gar nichts über mich.“ Sie lachte. Aber es war kein echtes Lachen. Sie lachte, weil es ihr Spaß machte, mich so zu erniedrigen.
„Du hast dich so verändert in den letzten paar Tagen … Ich kann es wirklich kaum glauben. Was ist passiert, dass du dich so verändert hast? War es meine Schuld? Oder Logan's?“ Sie verzog ihr Gesicht, als hätte sie Schmerzen.
„Lass mich in Ruhe! Hau ab!“ schrie sie. Doch ich schüttelte den Kopf. Ich würde hier bleiben und mich kein Stück wegbewegen. Sie verzog ihr Gesicht noch mehr, falls das noch möglich war.
„VERSCHWINDE!“ schrie sie. Doch es war nicht mehr ihre Stimme, die da aus ihrem Mund kam. Es war eine andere, ältere Stimme. Ich wich erschrocken zurück. Was war nur mit ihr los? Was passierte mit ihr? Panisch rannte ich aus der Tür wieder die Treppen runter, wie sie es mir gesagt hatte. Ich wusste nicht wieso, aber ich wusste, dass es nicht richtig gewesen wäre, wäre ich oben stehen geblieben. Vermutlich wäre dann irgendetwas schlimmes passiert. Und ich wäre Schuld gewesen.
So tat sich mir nun eine weitere Frage auf: Was passierte mit Emilia? Wieso war sie so kalt gewesen zu mir, als könnte sie mich nicht mehr leiden? Und wieso hatte sie Schmerzen? Wieso war nur Scorpius in die ganze Sache eingeweiht?
Ich war so in Gedanken, dass ich gar nicht merkte, wo ich überhaupt war, bis ich in jemanden reinlief, der mir viel zu bekannt vorkam. Es war Logan.
„Merlin! Logan, was machst du hier?“ fragte ich unwirsch.
„Ich habe den ganzen Tag nach dir gesucht. Ich renne hier rum, seit der Unterricht vorbei ist. Also so in etwa zwei Stunden!“ sagte er und sah mich neugierig an. „Wo warst du?“
„Bei Emilia. Da, wo ich nicht hätte sein dürfen.“ erklärte ich. Dann erzählte ich ihm, wie ich Scorpius zur Rede gestellt hatte und wie er mich dann praktisch zu Emilia geführt hatte. Wo die beiden jetzt wohl waren?
„Du glaubst, sie hatte wegen dir diese Schmerzen?“ Ich nickte. Genau das glaubte ich. Vielleicht wäre es besser gewesen, wenn ich sie nicht gesucht hätte. Dann wüsste ich zwar immer noch nicht, was nun mit ihr war (ich wusste es ja auch so nicht, also wäre es aufs Gleiche herausgekommen), aber dafür hätte sie wahrscheinlich keine Schmerzen. Und ich hätte nicht dieses wahnsinnig schlechte Gewissen.
„Etwas passiert mit ihr. Ich kann mir nur nicht erklären, was. Ich meine, sie war so kalt mir gegenüber, als würde sie mich hassen. Und am Ende klang ihre Stimme irgendwie anders …“ erklärte ich ihm leise. Wir waren mittlerweile in der Großen Halle angekommen und setzten uns an unseren gewohnten Platz. Einige Leute starrten uns komisch an, auch wenn wir nicht einmal wussten, wieso. Es war uns aber auch egal. Dylan saß wie immer weit abseits von jedem Schüler, ich hatte das Gefühl, er war nicht wirklich zum Essen hier, sondern eher zum Nachdenken. Er hatte sein Essen noch nicht einmal angerührt, sondern saß nur stumm da und starrte Löcher in die Luft.
Ich stupste Logan an und zeigte mit der Gabel auf Dylan.
„Er sieht nicht gut aus, findest du nicht auch?“ fragte ich leise, damit uns keiner hörte. Logan nickte.
„Vor allem scheint er ja nicht gerade essen zu wollen. Wenn ich ehrlich bin, hab ich ihn in den letzten Tage überhaupt nie essen gesehen.“ murmelte Logan und widmete sich wieder seinem Essen. Auch heute kam Emilia nicht zum Essen und Scorpius ebenfalls nicht, obwohl wenigstens er sonst immer da war. Nur heute nicht. Beunruhigt machten wir uns beide auf zu unserem Gemeinschaftsraum, wo wir uns noch eine Weile unterhielten und dann auch ins Bett gingen.
In vier Tagen waren Ferien. In vier Tagen war der Weihnachtsball. Und in fünf Tagen war Weihnachten. In fünf Tagen fuhr ich zusammen mit Logan zu ihm nach Hause, wo wir dann nicht nur seine Familie, sondern auch meine, trafen. Eben wie jedes Jahr. Nur irgendwie freute ich mich nicht so darauf wie letztes Jahr und vorletztes Jahr. Ich wollte viel lieber bei Emilia bleiben und herausfinden, warum sie so seltsam war. Doch das würde wohl warten müssen.
Im Schlafsaal traf ich dann auf Lorena, nicht aber auf Emilia.
„Hey.“ sagte ich schief lächelnd.
Lorena starrte mich nur fragend an. „Wo ist Emilia, deine Freundin? Sie war doch seit … vorgestern nicht mehr hier. Wo schläft sie denn?“
Wo schläft sie denn? Diese Frage hatte mich geschockt. Denn ich war mir ziemlich sicher, dass sie nicht geschlafen hatte. Sie war nicht im Schlafsaal gewesen und ein anderes Bett gab es hier nicht, wenn ich richtig lag.
„Ich weiß es nicht …“ murmelte ich niedergeschlagen. Doch ich durfte mit Lorena nicht darüber reden. Sie würde sich nur Sorgen machen und vielleicht sogar zu einem Lehrer rennen, was dann wohl gar nicht gut enden würde.
„Sie wird schon wieder auftauchen!“ sagte Lorena optimistisch.
Ich nickte und begab mich in mein Bett. „Gute Nacht.“ sagte ich und machte dann das Licht aus. Ich war müde und fiel deswegen schon ziemlich früh in einen traumlosen Schlaf.
Dienstag
Lucies POV
Nächsten Morgen wachte ich ziemlich spät auf. Zum Glück aber noch rechtzeitig, um zum Essen zu gehen. Schon als ich in den Gemeinschaftsraum kam wurde ich seltsam empfangen. Alle starrten mich an und tuschelten hinter vorgehaltenen Händen. Ich würdigte sie erstmal keines Blickes und ging schnurstracks zum Ausgang.
„Das ist doch die Freundin von der verrückten Kranken …“ hörte ich aus einer Ecke. Von der verrückten Kranken? War damit etwa Emilia gemeint? Verstört ging ich nach unten in die Große Halle, doch dort wurde es nur noch schlimmer. Die gesamte Halle wurde ruhig, als ich eintrat und sah mich mitleidig an. Was war heute nur los? Hatte ich etwas im Gesicht oder wieso starrten die mich so an? Doch schon als ich Logans Blick sah, wusste ich, dass die Blicke nicht wegen mir waren.
„Was ist los?“ fragte ich Logan gleich, als ich mich zu ihm setzte.
„Emilia liegt auf der Krankenstation.“ Er biss sich auf die Lippe. „Sie ist wohl zusammen gebrochen. Oben auf dem Astronomieturm ist alles zerstört.“ Er blickte sich um. Alle starrten uns an als wären wir verrückt.
„Und die denken, Emilia hat den Astronomieturm zerstört?“ fragte ich geschockt. Dazu wäre sie niemals in der Lage! Und sie hätte auch keinen Grund dazu.
„Genau das denken sie. Und sie glauben, wir waren beteiligt.“ stellte Logan fest. Das klang wirklich nicht gut. Weder für Emilia noch für uns. Vor allem, weil wir ja gar nichts damit zu tun hatten.
„Der Schulleiter will nachher mit uns sprechen. Also lass dir bitte Zeit beim Essen.“ sagte er eindringlich. Ich nickte und tat so, als würde ich in Zeitlupe essen. Logan lächelte mich an und aß sein Brot auf. Doch ewig konnten wir das Gespräch mit dem Schulleiter nicht aufschieben.
„Fertig.“ murmelte ich leise und sah hoch zum Schulleiter, der plötzlich aufstand und auf uns zukam. Die anderen Schüler blickten ihn belustigt an, doch er ließ sich davon nicht beirren, sondern blieb erst vor uns beiden stehen. Erwartungsvoll sah er uns an.
Wir nickten und gingen dem Schulleiter hinterher. Er führte uns durch einige Gänge, manchmal sogar durch einige Hintertüren von irgendwelchen Klassenzimmern und dann landeten wir endlich dort, wo wir hinwollten. Im Büro des Schulleiters. Professor Deyrock ging sogleich an seinen Schreibtisch und bat uns, uns vor ihn auf zwei Stühle zu setzen.
Das Büro war sehr altmodisch gestaltet. An der Wand hingen einige Porträts der vorigen Schulleiter und die meisten von den Leuten in den Bildern bewegten sich. Mir war das ja noch immer nicht wirklich geheuer. Der Raum war ansonsten eher leer. Bis auf den drei Stühlen, auf denen wir saßen, und dem Schreibtisch, war noch ein kleiner Vogel in einem Käfig eingesperrt. Wenn ich genauer hinsah meinte ich erkennen zu können, dass es ein Phönix war.
„Wieso wollten Sie uns sprechen, Sir?“ fragte Logan und riss mich aus meinen Gedanken. Schnell sah ich wieder den Professor an.
„Nun … ich nehme einmal an, Sie beide haben mittlerweile von dem tragischen Vorfall heute Nacht gehört?“ fragte er uns mit hochgezogenen Augenbrauen.
„Wenn Sie meinen, dass Angestarrt werden bedeutet, dass ich weiß, was passiert ist, liegen Sie falsch.“ meinte ich. Ich war nicht gerade höflich, aber das war mir egal. Ich wollte nur so schnell wie möglich wieder hier raus. Mir war weder dieser Raum noch der Schulleiter geheuer. Logan schien es wohl ähnlich zu gehen.
„Ich dachte, Sie, Miss Jordan, waren ebenfalls oben auf dem Astronomieturm?“ fragte der Professor mich und sah mich direkt an. Er starrte mir in die Augen, als könnte er in ihnen die Wahrheit sehen. Und wer weiß, vielleicht konnte er ja genau das auch … Dann wüsste er, dass ich damit nichts zu tun hatte.
„Ja, Sir. Ich war dort oben. Aber ich war nicht Nachts dort. Sie können auch gerne Lorena dazu befragen, sie kann Ihnen bestätigen, dass ich geschlafen habe.“ Ich sah ihn herausfordernd an. Sollte er mir doch eine Strafe geben, aber ich wollte hier raus! Ich wollte einfach nur aus diesem Raum raus. Irgendetwas hier drin war nicht gut. Und ich hatte Angst.
„Können Sie uns nun sagen, was Sie denken, was dort oben passiert ist?“ fragte Logan. Er konnte schon immer gut mit solchen Situationen umgehen und vielleicht sollte ich lieber ihm das Reden überlassen. Ich würde im Moment sowieso nur den Professor auf die Nerven gehen.
„Nun. Zum derzeitigen Zeitpunkt kann ich noch nicht genau sagen, was dort oben passiert ist. Wir müssen zunächst abwarten, bis Miss Sheppard aufwacht. Ich kann Ihnen nur erzählen, was vielleicht vorgefallen sein könnte. Ich denke, Miss Sheppard hat einfach die Beherrschung verloren. Obwohl mir nicht klar war, dass sie eine solche Kraft hat. Einen ganzen Astronomieturm zu zerstören setzt ein großes Talent und eine abgeschlossene Zaubererausbildung voraus. Mir war nicht klar, dass Miss Sheppard über derartige Kräfte verfügt.“ Er nahm sich gedankenverloren ein Stift und spielte damit herum. Dann schien ihm eine Idee zu kommen und er ging zu einem der Bilder an der Wand.
„Das ist Dumbledore. Mein Vorgänger.“ erklärte uns der Professor. Jeder kannte Dumbledore. Er war einst der größte Zauberer der Welt.
„Wie kann ich Ihnen helfen?“ kam plötzlich aus dem Bild und ein großer Mann mit grauem Bart erschien in dem Bild.
„Wollen Sie nicht einmal kurz zu mir in mein Büro kommen? Ich muss mit Ihnen reden.“ sagte der Schulleiter und wir wussten alle, dass dieser Ton keinen Widerspruch duldete. Auch wenn es als Frage formuliert war, erwartete Professor Deyrock, dass Dumbledore ohne Wiederworte hierher kommen würde.
Einige Minuten später kam Dumbledore tatsächlich durch die Wand geschwebt und stellte sich in eine Ecke des Raumes. Dumbledore sah jetzt noch viel größer aus. Sein grauer Bart ging ihm bis zu den Hüften und seine Haare vermischten sich mit seinem Bart. Er sah alt aus, aber auch weise. Sehr weise. Und er hatte bestimmt eine Menge Erfahrung.
„Womit kann ich helfen?“ fragte Dumbledore und sah Logan und mich an.
„Ich nehme an, Sie haben von dem Vorfall heute Nacht gehört? Und Sie wissen, wie so etwas passieren konnte?“
„Natürlich.“
„Wollen Sie es mir sagen?“
„Nein, ich denke nicht.“ sagte Dumbledore halb belustigt.
„Wieso nicht?“
„Weil das nur Emilia betrifft. Es ist ihre Vergangenheit.“ behauptete Dumbledore und nun wurde es wirklich komisch. Ich verstand nichts mehr von dem, was die Professoren beredeten.
„Es betrifft mich ebenfalls. Ich muss schließlich dafür sorgen, dass alle in dieser Schule sicher sind. Und so etwas darf nicht passieren!“ sagte der Schulleiter aufgebracht. Einen Streit zwischen zwei Professoren mit ansehen zu müssen, ist wirklich nicht empfehlenswert.
„Ihre Schule ist sicher.“ warf Dumbledore ein. „Dieses Mädchen muss nur lernen, mit ihren Talenten umgehen zu können. Dabei können Sie ihr aber nicht helfen.“
„Wer kann ihr helfen?“ fragte der Professor Deyrock.
„Natürlich ihre Familie. Aber das wird nicht so einfach sein, wie Sie denken. Sie kann nicht mal einfach so zu ihrer Familie zurückkehren. Sie weiß ja nicht einmal, wer ihre Eltern sind.“
„Das könnte man ihr sagen, Dumbledore. Oder meinen Sie nicht?“ fragte Professor Deyrock leicht wütend.
„Wenn Sie es wissen, natürlich.“ meinte Dumbledore und schwebte zu einem Stuhl, von dem ich mir sicher war, dass Dumbledore ihn gerade hergezaubert hatte. Denn dieser Stuhl stand ganz sicher vorher noch nicht dort.
„Dann fragen wir eben ihre Mutter, die wird es ja sicher wissen!“ sagte der Schulleiter nun sehr wütend. Er war ungeduldig, und er wollte sich nicht so von Dumbledore abhängig machen. Obwohl ich mir eigentlich ziemlich sicher war, dass Dumbledore etwas wusste, was er nicht sagen wollte. Aber ich wusste nicht, was er uns verschwieg. Nur, dass es vermutlich etwas mit Emilia zu tun hatte.
„Nun, ihre Mutter kennt sie ebenfalls nicht. Ihre Mutter ist vor einigen Jahren mit ihrem Vater verschwunden, keiner weiß, wo die beiden sind.“ erklärte Dumbledore. Er lächelte noch immer belustigt und schien diese Situation äußerst interessant zu finden.
Hatte Emilia nicht aber gesagt, sie hätte vor Hogwarts bei ihrer Mutter gelebt? Und war dann zu Scorpius gezogen, weil ihre Mutter sie nicht mehr beschützen konnte?
„Moment … Emilia sagte aber, sie hätte vor Hogwarts bei ihrer Mutter gelebt!“ mischte ich mich ein. Was sollte diese ganze Geheimnistuerei? Emilia ging es nicht gut und sie wollte sich nicht von mir helfen lassen. Und ich fühlte, dass es etwas mit ihrer Vergangenheit zu tun hatte. Etwas wichtiges. Nur was? Ich musste es herausfinden und ihr helfen, so viel stand fest.
„Nun. Emilia hat zugegeben in dem Glauben gelebt, sie würde bei ihrer Mutter wohnen. Ich hielt es für das beste, sie nicht unnötig in Gefahr zu bringen. Jedenfalls ist die Frau, bei der Ihre Freundin lebte, ebenfalls eine Hexe, doch sie ist nicht Emilias leibliche Mutter und hat auch sonst nichts mit ihrer Familie zu tun. Ich habe sie gebeten, auf Emilia aufzupassen.“ erzählte Dumbledore und schwebte durch den Raum. Er schien in Gedanken zu sein und nur körperlich, falls man das so nennen kann, im Raum bei uns zu sein.
„Vor wem wollten Sie Emilia beschützen, Sir?“ fragte ich unsicher. Wir anderen wurden doch auch nicht beschützt, warum also sie? Was hatte sie, was wir nicht hatten? Oder wer hatte es auf sie abgesehen?
„Vor einem bösen Zauberer. Dieser Zauberer jagt auch ihre Eltern, deswegen mussten sie untertauchen. Und ich vermute, er hat herausgefunden, dass Emilia das Kind von dem Paar ist, das er seit Jahren jagt.“ murmelte er zur Wand. Ich hatte große Mühe, ihn zu verstehen. „Emilia war in Gefahr. Solange sie hier in Hogwarts ist, ist sie sicher.“ Er drehte sich wieder zu uns um und sah den Schulleiter an. „Sie muss hierbleiben.“ sagte Dumbledore eindringlich zu ihm.
„Wer ist sie?“ Diese eine simple Frage schwirrte mir schon während des ganzen Gesprächs im Kopf herum.
Dienstag
Gestern Abend, als ich mit Lucie auf dem Astronomieturm gewesen war, hatte ich ein weiteres Zeichen bekommen und war zum ersten Mal in der Krankenstation gelandet. Ich war verletzt, daran konnte ich mich noch erinnern, doch ansonsten war alles weg, was gestern passiert war. Das einzige, woran ich mich noch erinnerte, war, als ich aus dem Krankenzimmer flüchtete. Scor hatte mir geholfen, abzuhauen, da ich allein nicht einmal mehr laufen konnte. Ich hatte nur keine Lust, irgendwelche Fragen zu beantworten.
Aus der Situation auf dem Astronomieturm heraus ging ich davon aus, dass es etwas mit Wut oder Stress zu tun hatte. Auch wenn mir das gar nicht gefiel und ich es vor niemandem zugeben würde, aber sie alle hatten Recht. Ich hatte mich verändert. Die Frage war nur, ob ins positive oder ins negative.
Wut
Ich war wütend. Ja. Aber ich konnte nicht sagen auf wen. Ich war auf die ganze Welt wütend. Auf meinen Dad, weil er nie für mich dagewesen war. Auf Dumbledore, weil er mir nicht alle meine Fragen beantworten konnte. Auf meine Mum, weil ich seit einer Woche auf einen Brief von ihr wartete. Und auf Dylan, einfach weil er viel zu viel hatte wissen wollten.
„Was hast du gesagt?“ fragte Scor mich. Wir saßen wie immer in der Bibliothek und suchten nach dem weiteren Zeichen.
„Ich hab gar nichts gesagt.“ murmelte ich verwirrt. Ich sah ihn einmal kurz seltsam an, dann widmete ich mich wieder meinem Buch.
„Doch. Irgendwas mit Wut oder so.“ Diesmal war es Scor, der mich komisch anschaute.
„Bist du sicher?“
„Ziemlich.“ Damit war unser Gespräch wieder beendet und wir widmeten uns beide wieder unseren Bücher. Er machte gerade seine Hausaufgaben, während ich in einigen Büchern nach dem neuen Zeichen auf meinem rechten Arm suchte. Hausaufgaben hatte ich nicht, schließlich war ich seit etwa zwei Tagen schon nicht mehr im Unterricht gewesen. Wieso auch? Alles, was wir im Unterricht lernten, konnte ich genauso gut in der Bibliothek allein lernen. Was dann sogar noch den Vorteil hatte, dass ich garantiert niemandem über den Weg laufen würde.
„Du musst mal wieder in den Unterricht kommen, Emi.“ sagte Scor und sah von seinem Blatt auf. Er schrieb gerade einen Aufsatz für Zaubertränke über die Herstellung eines Trankes, von dem ich noch nie gehört hatte.
„Nein!“ sagte ich mit zusammen gepressten Lippen. Ich wollte auf keinen Fall all die Mitleidsblicke ertragen müssen.
„Komm schon. Ansonsten schaffst du die Versetzungstests am Ende des Jahres doch nicht.“ Er legte seine Hand auf meine und zog meinen Kopf so mit der anderen Hand nach oben, dass ich keine andere Wahl hatte, als ihm ins Gesicht zu sehen. Er meinte es ernst. Sehr ernst. Und ich wusste, er hatte Recht. Wenn ich so viel Stoff verpasste, würde ich das niemals aufholen können.
„Schön.“ brummte ich. „Morgen. Aber wenn mich auch nur einer dumm anmacht, knall ich demjenigen eine!“ drohte ich. Und ich hatte vor, diese Drohung auch wirklich wahr zu machen.
Dylan ist als erstes dran! Dachte ich.
„Dylan ist als erstes dran? Wieso das denn?“ fragte Scor mit hochgezogenen Augenbrauen. Er wusste noch immer nichts von Dylan und mir. Aber woher wusste er überhaupt, was ich gedacht hatte?
„Woher weißt du das? Kannst du etwa Gedanken lesen?“ fragte ich verwirrt.
„Ich dachte, du hättest das gesagt.“ murmelte Scor. „Soweit ich weiß, kann ich keine Gedanken lesen, aber wir können es ja nochmal versuchen. Du denkst irgendetwas und ich schau mal, ob ich das auch wieder höre.“ schlug er vor. Ich nickte und überlegte.
Dylan ist ein Arschloch. Auf dem Weg nach Hogwarts bin ich mit ihm gelaufen, weil er mir noch eine besondere Stelle zeigen wollte. Da hab ich ein weiteres Zeichen bekommen und hatte eben Schmerzen und so, dass ich abgehauen bin. Abends wollte mich Dylan dann ausquetschen und ich bin ausgerastet.
Das alles dachte ich, weil ich wusste, dass Scor das nicht wissen konnte. Und wenn er nicht Gedanken lesen konnte, wovon ich ausging, würde er so nie erraten, was ich gedacht hatte.
„Er hat dich bedrängt? Wieso hast du mir das nicht früher schon gesagt?“ fragte er sauer. Dann aber änderten sich seine Züge wieder und er sah aus, als wäre ihm gerade etwas bahnbrechendes aufgefallen. Und wenn man bedachte, dass wir gerade herausgefunden hatten, dass er meine Gedanken lesen konnte, war das schon richtig.
„Du kannst Gedanken lesen!“ sagte ich beeindruckt. „Kannst du das auch bei anderen?“
„Nein. Nur bei dir. Kannst du das auch?“ Sein Gesicht hatte sich verdüstert.
Ich habe eine ziemlich böse Vorahnung, warum ich deine Gedanken lesen kann. Eindeutig Scor. Ich konnte also ebenfalls seine Gedanken lesen. Aber wieso?
Wie ist das möglich, dass wir beide unsere Gedanken lesen können und so reden können, ohne auch nur ein Wort zu sagen? Ich sah ihn aufmerksam an. Er hatte gehört, was ich ihm geantwortet hatte und schien nun nicht nur verwirrt zu sein, sondern auch erschrocken.
Weißt du, was das ist? Wie sich das nennt, was wir hier machen? Emi, das ist wirklich kein gutes Zeichen.
Scor, was ist denn los? Was ist so schlimm daran, dass wir Gedanken lesen können?
Wenn ich die Tatsache, dass es bisher noch niemanden gab außer einen, der so etwas konnte, außer Acht lasse, bleibt immer noch das Problem, dass es das sein könnte, was ich glaube, was es ist.
Und was glaubst du, was es ist, Scor?
Er holte einmal tief Luft. Ich hatte das Gefühl, gar nicht hören zu wollen, was er mir gleich erzählen würde. Und wahrscheinlich gab es dafür mehr als einen Grund. Mein Leben war bisher schon kompliziert und wenn jetzt noch etwas dazukam, worüber ich mir den Kopf zerbrechen musste, würde das nicht gut enden. Solangsam wurde einfach doch alles zu viel. Ich brauchte einfach mal ein wenig Abstand von dem ganzen Stress.
„Das, was wir können, nennt sich Legaffiction. Und ich kenne niemanden, der das konnte. Nur einer war dazu im Stande. Und glaub mir, du willst gar nicht wissen, wer das war.“ erklärte er leise. Ich glaube, er redet lieber als dieses Gedanken-lese Zeugs zu machen.
„Merlin?“ riet ich.
„Ganz genau. Hör zu, ich glaube nicht, dass es Zufall ist, dass du die Zeichen bekommst und solche Sachen kannst. Vor allem das Zeichen des Merlin hat mich stutzig gemacht. Und ich habe allein weiter gesucht, weil ich Dumbledore noch nicht so ganz vertraue. Rate mal, was ich gefunden habe.“
„Du hast gefunden, dass alles überhaupt nicht wahr ist, was er mir erzählt hat.“ vermutete ich. Wobei ich hoffte, dass es nicht so war, denn dann würde ich ganz bestimmt nicht noch einmal zu ihm gehen und ihn um Rat fragen.
„Nein. Aber das Zeichen des Merlin kann ausschließlich von Merlin selbst erzeugt werden. Zauberer bekommen es, wenn sie an der Grenze zum Tod stehen und Merlin sie rettet. Aber, und jetzt kommt's, er kann das nur bei bestimmten Leuten.“ erklärte Scor mir. Ich überlegte kurz, was das bedeutete.
„Was meinst du mit 'bestimmten Leuten'?“ fragte ich ihn.
„Nun ja, entweder ganz mächtige Zauberer, die das Schicksal noch nicht gehen lässt, oder Familienmitglieder.“
„Eine Frage stelle ich mir schon seit ich erfahren habe, dass das erste Zeichen auf meinem linken Arm Zeichen des Merlin heißt. Wie zum Teufel kann Merlin noch leben? Er muss doch mehrere hundert Jahre alt sein!“ murmelte ich.
„Diese Frage habe ich mir auch gestellt. Aber ich habe etwas sehr interessantes gefunden. Vor einigen Jahren wurde in Hogwarts der 'Stein der Weisen' aufbewahrt. Dieser sorgte dafür, dass der Besitzer Unsterblichkeit erlangte. Aus einem Buch, das ziemlich versteckt in der hintersten Ecke der Bibliothek gelegen hatte, konnte ich entnehmen, dass dieser Stein einem anderen nachempfunden wurde. Ich glaube, Merlin besitzt ebenfalls so einen Stein.“ erzählte mir Scor. Seine Erklärung klang logisch und doch war es irgendwie zu einfach, um wahr zu sein. Merlin, der genialste Zauberer der Welt, würde sein Leben doch nicht einem einzigen Stein anvertrauen, oder doch? Es war jedenfalls die einzige Erklärung, die wir hatten. Einen Strohhalm, an den wir uns klammern konnten. Wir mussten jetzt ebenfalls über Merlin recherchieren, nicht nur über meine Zeichen. Und morgen erstmal Unterricht. Ich stöhnte.
Scor grinste mich nur verschlagen an und machte sich wieder an seine Hausaufgaben. Er wusste bestimmt genau, was ich gerade gedacht hatte.
„Bist du jetzt endlich mal fertig? Ich würde gerne schlafen gehen.“ murmelte ich. Ich beschwerte mich seit über einer Stunde bei ihm, er sollte doch bitte mal schneller machen. Doch er beeilte sich wie es aussah kein bisschen. Ihm war es egal, wann ich ins Bett kam, hatte ich so das Gefühl.
„Ein bisschen Geduld würde dir auch nicht schaden.“ lachte Scor. Ich hatte ihn schon ewig nicht mehr lachen sehen. Wenn ich es mir recht überlegte, lachten wir beide eigentlich sogar so gut wie nie. Einfach weil uns nie danach zumute gewesen war. Aber jetzt hatte sich unsere Stimmung immerhin etwas gebessert. Wir konnten ja jetzt unsere Gedanken lesen, da konnten wir beide nicht schlecht über den anderen denken, wobei ich das eigentlich eh noch nie bewusst getan hatte.
Endlich schlug er dann seine Hausaufgaben zu und ging zur Tür der Bibliothek. Ich folgte ihm, froh, endlich ins Bett gehen zu können.
Scor schlief seit neustem ebenfalls bei mir. Wir hatten vor ein paar Tagen den Raum der Wünsche entdeckt, einen Raum, wo uns keiner finden konnte. Dieser Raum verwandelte sich immer in genau das, was wir brauchten. Wenn wir schlafen wollten, war dieser Raum ein Schlafzimmer mit Bett. Und da wir zu zweit waren standen eben zwei Betten in diesem Raum. Man musste nur an einer bestimmten Wand vorbeilaufen und an das denken, was man brauchte, schon erschien eine Tür.
Wir liefen heute dreimal die Wand entlang, bis sich die Tür endlich zeigte. Zusammen gingen wir dann hinein und befanden uns wieder in unserem üblichen Raum. Ein Raum ohne Fenster, in dem nur zwei Betten standen. Die Wände waren blau gestrichen und an der Decke hing eine große Leuchte, die den gesamten Raum schön erhellte. Die Holzbetten in der Mitte des Raumes standen nebeneinander. Dieser Raum war einfach perfekt.
Scor ließ sich als erster auf das linke Bett fallen und zog mich dann zu sich. Wir beide landeten übereinander auf dem Bett und sahen uns lange in die Augen. Ich verlor mich in seinen wunderschönen Augen und konnte kaum noch klar denken, geschweige denn mich losreißen. Doch nach einiger Zeit räusperte ich mich und legte mich zurück auf meine Seite der Betten. Schweigend lagen wir eine Zeit lang da, bis ich einschlief.
Mittwoch
Nächsten Morgen wurde ich von Scor geweckt. Er war wie immer früher aufgewacht als ich und schien auch ausgeschlafen zu sein, ganz im Gegensatz zu mir. Ich war noch totmüde und würde mich am liebsten wieder unter meiner Bettdecke verkriechen. Bei dem Gedanken, gleich in den Unterricht zu gehen und Lucie und alle anderen wieder zu sehen, drehte sich mir augenblicklich der Magen um. Ich hatte Angst vor den Reaktionen der anderen. Was würden sie denken, wenn ich nach einigen Tagen endlich mal wieder zum Unterricht erschien? Und wenn die ganze Schule mir die Sache mit dem Astronomieturm unterschieben wird, wäre ich schneller von der Schule verwiesen, als ich gucken kann.
„Kann ich nicht hier bleiben?“ fragte ich Scor flehend. Doch er schüttelte nur den Kopf und zog mich mit sich.
„Du machst dich jetzt fertig und dann gehen wir zum Essen.“ behauptete Scor. „Ich warte draußen vor der Tür.“
Damit verschwand Scor und ließ mich allein mit meinen Gedanken. Was würden nur meine Mitschüler alle sagen? Würden sie mich dumm anschauen? Und vor allem, was würden meine Freunde dazu sagen? Und wie sollte ich mit Dylan umgehen? Sollte ich ihn ignorieren und ausweichen oder lieber hingehen und fragen, ob wir reden könnten? Ich beschloss, ersteres zu tun, allein schon aus Bequemlichkeit. Langsam zog ich mich um. Ich nahm eine zerschlissene Hose aus meinem Vorrat an Kleidungsstücken und ein schwarzes T-Shirt. Darüber zog ich noch meinen Lieblingsblazer und schon konnte ich ins Bad übergehen. Schnell machte ich ein wenig Make-up in mein Gesicht und versuchte so gut es eben ging, meine dunklen Augenringe zu verbergen. Als ich endlich mit dem Ergebnis zufrieden war, ging ich ebenfalls vor die Tür, wo Scor an der Wand gelehnt auf mich wartete. Er lächelte, als er mich sah.
„Fertig.“ murmelte ich. Scor nickte und führte mich zur Großen Halle hinunter. Unterwegs begegneten wir einigen Schülern, die mich seltsam musterten oder einige dumme Kommentare abgaben, aber wirklich schlimm wurde es erst in der Großen Halle. Als ich mit Scor die Halle betrat, waren alle Augenpaare auf mich gerichtet, einschließlich die von Lucie, Logan und Dylan. Dylan, den ich am wenigsten hatte sehen wollen.
Ich will hier weg. Sofort. Ich sah mich in der Großen Halle um. Wirklich jeder schaute mich dumm an, als wäre ich ein Alien, was ich ja vielleicht auch war, wer wusste das schon. Aber mich nervten nicht die Blicke der anderen, sondern die meiner Freunde und von Dylan. Sie sahen alle ziemlich überrascht aus, mich hier zu sehen und wollten gerade aufstehen, um mich zu begrüßen, als ich Scor mitzog und mich an einen freien Platz des Slytherin-Tisches setzte, ganz weit weg von allen anderen.
Das schaffst du schon, Emi.
Schau doch, wie die mich alle ansehen! Die hassen mich! Die behandeln mich wie jemand Aussätzigen!
Sie schauen UNS an. Und sie behandeln UNS wie Aussätzige. Es war wirklich schön zu wissen, dass wenigstens Scor noch zu mir hielt. Er war der einzige Anker, der einzige, der mir helfen konnte. Ich vertraute ihm wirklich. Und ich wusste, er würde das niemals ausnutzen.
„Was haben wir gleich eigentlich so für Fächer?“ fragte ich langsam, während ich in meiner Suppe herumstocherte. Der Appetit war mir gestern vergangen.
„Zuerst einmal haben wir Kräuterkunde. Und danach zwei Stunden Fliegen.“ sagte Scor mit einem Blick auf unsere Professoren. Auch diese sahen zu uns herüber und tuschelten wild miteinander. Auch der Schulleiter war daran beteiligt, obwohl er ja dafür sorgen sollte, dass genau so etwas nicht passiert.
„Kräuterkunde.“ stöhnte ich. Ich hasste Kräuterkunde und ich hasste die Professorin. Das Fach war so langweilig, dass man es vielleicht lieber 'Schlafstunde' oder 'Mittel gegen Schlafstörung' nennen konnte. Nun ja, da musste ich wohl heute durch. Obwohl ich natürlich auch schwänzen könnte … würde eh niemanden interessieren.
Scorpius schüttelte energisch den Kopf. „Du gehst schön mit mir. Ich warne dich!“ Ich wusste, er hatte mitbekommen, was ich gedacht hatte. Wir konnten noch nicht einmal 24Stunden lang die Gedanken des anderen lesen und schon ging mir das auf die Nerven. Da hatte man ja keine Privatsphäre mehr.
Ich nickte niedergeschlagen. Jetzt, wo ich eh schon unter Leuten war, konnte ich ebenso gut auch in den Unterricht gehen. Als ich fertig war mit essen und meine Suppe wenigstens halbleer war, gingen Scor und ich zusammen nach draußen zum Gewächshaus. Wir waren eigentlich noch zu früh, doch trotzdem durften wir schon reinkommen. Zum Glück, denn draußen lag Schnee und es war eiskalt. Ich hatte irgendwie nicht daran gedacht, eine Jacke mitzunehmen. Aber im Gewächshaus herrschte wie immer so stickige Luft, dass ich mir doch wünschte, wir würden draußen Unterricht machen. Mir wäre die Kälte auf jeden Fall lieber.
Wieso hasst uns diese Lehrerin eigentlich so? Was haben wir ihr getan?
Die Lehrerin war gerade dabei gewesen, unseren Unterricht vorzubereiten, als wir ins Gewächshaus kamen. Wir stellten uns schweigend an die Seite und warteten auf den Unterrichtsbeginn oder vielmehr den Unterrichtsschluss. Die Professorin strafte uns wie immer mit einem bösen Blick und machte dann weiter ihre Arbeit, während wir da standen und vorgaben, nichts zu tun.
Sie hasst alle Slytherins. Sie glaubt, wir wären alle so hinterlistig, fies und faul wie einige unseres Hauses.
Ich habe jetzt schon keine Lust mehr. Ich will gar nicht erst die Gesichter der anderen sehen, wenn sie mich hier stehen sehen.
Wovor hast du Angst, Emi?
Gute Frage … Davor, dass sie mich verletzen. So wie es alle tun. Oder davor, dass ich von der Schule fliege, weil ich anders bin. Davor, dass ich ausgegrenzt werde, weil ich nicht der Norm entspreche. Und davor, zu erfahren, wer mein Vater ist. Und vor allem, wer ich bin.
Scorpius nahm meine Hand und schaute mich von der Seite an. Ich hatte meinen Blick ganz fest auf unsere Lehrerin geheftet.
Es kann nicht jeder so sein wie alle. Irgendwer muss immer anders sein. Aber anders muss nicht schlecht sein. Es hat auch gute Seiten. Außerdem bist du nicht alleine, ich bin immer bei dir, wenn du mich brauchst, Emi.
Danke. Ich lächelte Scorpius an und drückte seine Hand sachte. Er hielt immer zu mir, egal was kam. Das hatte er gesagt. Und ich war ihm unendlich dankbar dafür.
Als die anderen Schüler hereinkamen, war ich doch etwas nervös. Aber alle gingen nur wortlos an mir vorbei, warfen mir zwar einige komische Blicke zu, aber ansonsten ignorierten sie mich. Was mich zum Teil freute. Denn auch meine Freunde gingen auf Abstand zu mir und würdigten mich keines Blickes. Obwohl ich daran ja selbst Schuld war und eigentlich war es ja genau das, was ich mit meinem Verhalten bezwecken wollte. Mittlerweile wollte ich das eher nicht mehr. Einfach weil ich sie auch brauchte.
"Willkommen, Schüler, zu einer weiteren Stunde Kräuterkunde. Wir werden heute die Stechpalme durchnehmen. Das klingt zunächst einmal langweilig, ist aber sehr spannend. Nun, legen wir los." sagte Professor Sprout, als alle Schüler da waren. Ich glaubte ihr nicht, dass diese Stunde besonders spannend werden würde. Und am Ende der Stunde stellte ich fest, dass ich Recht hatte. Diese Stunde war noch langweiliger gewesen als alle anderen davor.
Kam dir die Stunde heute auch so quälend lang vor? Es war einfach toll, nur über Gedanken kommunizieren zu können.
Oh ja. Und eine Stechpalme ist sowieso so total uninteressant finde ich. Na ja, Kräuterkunde war sowieso noch nie mein Fach. Und deins sicher auch nicht, Emi. Er lachte wieder. Ich freute mich, dass es ihm wieder besser ging.
Jetzt haben wir Fliegen, wenn ich mich recht erinnere? Was macht ihr da so?
Die anderen Schüler stürmten aus dem Gewächshaus hinaus in die frische Luft, während Scor und ich eher langsam machten und noch immer Hand in Hand hinterhertrotteten.
Letztes Mal haben wir Quidditch gespielt. Wahrscheinlich machen wir das heute auch wieder. Aber das kannst du ja, nicht wahr?
Ich nickte. Auch wenn ich das letzte Training verpasst hatte, war ich im Team. Und ich konnte Quidditch spielen, sonst wäre ich wohl kaum im Team gelandet. Das war auch das einzige, was ich wirklich gut konnte. Scor, ich will mit dir in ein Team!
Das kannst du dir leider nicht aussuchen, Emi. Zwei Leute wählen ihr Team und daran kannst du nichts ändern. Aber vielleicht darfst du ja wählen.
Ich hoffte, dass ich durfte. Ich wollte nicht ohne Scor spielen. Oder besser gegen Scor spielen. Er gab mir Halt und den brauchte ich auch beim Quidditch. Ansonsten würde ich so schlecht spielen und das nicht mal absichtlich, sondern weil ich es einfach nicht besser konnte. Also brauchte ich Scor.
Mittlerweile waren wir auf dem Quidditchfeld angekommen und stellten uns in eine Reihe nebeneinander. Madam Hooch stand vor uns und musterte uns eingehend.
"Nun, da wir unseren Unterrichtsstoff eigentlich schon durch haben, möchte ich diese Stunde wieder für Quidditch nutzen." Sie sah uns forschend an. Oder besser gesagt, sah sie mich forschend an. "Miss Sheppard, würden Sie bitte vorkommen, und Ihr Team zusammenstellen?" fragte sie mich.
Ich darf wählen! Ich wähl dich!
Langsam ging ich nach vorne und stellte mich neben Madam Hooch. Alle Schüler musterten mich neugierig oder tuschelten über mich. Mir war das egal. Ich konzentrierte mich ganz auf Scorpius. Ich musste ihn umbedingt im Team haben.
"Und Mr. Thomas, wollen Sie?" fragte Madam Hooch Logan. Dieser überlegte kurz, musterte mich kalt und nickte dann.
"Gut, dann Miss Sheppard zuerst." Madam Hooch entfernte sie einige Meter von uns und betrachtete von dort das Geschehen.
"Scorpius!" rief ich und Scorpius kam lächelnd auf mich zu. Er stellte sich hinter mich und zeigte mir dann die guten Spieler in unserer Klasse. Dazu gehörten unter anderem Lily, die ich nicht wählen würde; Josh, ein Ravenclaw, den ich nur flüchtig kannte; Amelie, ebenfalls eine Ravenclaw; und komischerweise auch meine schüchterne Zimmergenossin Lorena.
Logan wählte wie erwartet Lucie, obwohl sie laut Scorpius total schlecht in Quidditch war. Am Ende bestand mein Team dann aus Lorena, Josh, Amy, Tony, Scorpius und Amelie. Zu Logans Team gehörten natürlich Lily und Hugo, Roxanne, Vivienne, Amanda und Lucie. Louis war ein Ersatzspieler von beiden Teams.
Dann ging es endlich los. Wir nahmen alle unsere Positionen ein und machten uns bereit. Ich als Sucher und Scor auf eigenen Wunsch hin Hüter. Ich postierte mich neben Scor bei einem der drei Ringe und nahm mir vor, so lange Scor zu helfen, die Bälle von unseren Ringen fernzuhalten, bis ich den Schnatz gesehen hatte.
Ich helfe dir erstmal, die Bälle abzuwehren, bis ich den Schnatz gefunden habe, okay?
Okay. Aber sei vorsichtig. Einen verletzten Sucher können wir nicht brauchen, Emi!
Madam Hooch stand unten auf dem Boden und machte die Bälle frei. Der Schnatz verschwand während Quaffel und Klatscher auf unsere Tore zurasten. Dann pfiff Madam Hooch und mein Team schoss auf die Bälle zu. Lorena als Jägerin warf auch gleich ein Tor. So ging es die ganze Zeit weiter. Wir warfen jede Menge Tore, ich half weiter Scorpius, aber der Schnatz war wie verschwunden. Er ließ sich bisher nicht einmal blicken. Auch Lily, der gegnerische Sucher, schaute sich nach dem Schnatz um, kam aber zu dem gleichen Ergebnis wie ich. So verbrachte ich eine ganze halbe Stunde damit, einfach bei den Toren rumzuhängen, als ich endlich den Schnatz entdecke. Er flog unter mir und ich konnte ihn nun ganz deutlich sehen. Schnell flog ich hinterher und hatte den Schatz beinahe erwischt, als Lily mich von meinem Besen schlug. Ich hing nur noch an einem Arm am Besen und war kurz davor hinunterzufallen. Bilder rasten vor meinem inneren Augen, Bilder vom letzten Mal, als ich so hing, Bilder, die ich eigentlich hatte vergessen wollen. Panisch zog ich mich wieder zurück auf meinen Besen und schoss Lily hinterher, die den Schnatz leider wieder aus den Augen verloren hatte. Wirklich kein guter Sucher.
Komm zu mir, der Schnatz ist hier, Emi!
Ich flitzte zu Scorpius und tatsächlich fand ich dort den Schnatz. Jetzt musste ich ihn nur noch fangen. Lily hatte nicht bemerkt, dass ich den Schnatz entdeckt hatte, also schoss ich wieder hinter dem Schnatz her.
Soll ich springen, Scor?
Wenn du dir das zutraust. Das ist wirklich gefährlich! Also pass bitte auf!
Ich überlegte. Ja, ich würde springen. Vorsichtig stellte ich mich auf meinen Besen und streckte die Arme zu dem Schnatz aus. Meine Arme waren zu kurz! Ich atmete noch einmal ganz tief durch, dann sprang ich. Ich sprang in eine völlige Leere, der Boden mehr als 20Meter unter mir. Irgendwann würde ich unten aufkommen. Wie beim letzten Mal. Nur diesmal konnte ich entscheiden wie ich unten aufkam. Im Sprung griff ich schnell nach dem Schnatz und erst als ich ihn hatte, zog ich meine Hand wieder zu mir und rief mit meinen Gedanken meinen Besen zu mir. Zum Glück funktionierte alles, sodass ich am Ende sogar wieder auf meinem Besen landete, den Schnatz in meiner Hand.
Wir haben gewonnen!
Natürlich haben wir das. Mit dir als Captain kann man nicht verlieren, Emi!
Ich lächelte, als ich am Boden ankam und von meinem Besen sprang. Dann ging ich zur völlig erschrockenen Madam Hooch und gab ihr den Schnatz. Sie wirkte entsetzt und verunsichert.
"Wie konnten Sie nur von Ihrem Besen springen?" rief sie aufgebracht. Ich zuckte nur mit den Schultern. Sie beließ es dabei, mir zu sagen, dass das viel zu gefährlich gewesen sei und ich es doch bitte nicht noch einmal machen sollte. Dann ließ sie uns gehen.
„Arghh wie ich Lehrer hasse!“ rief ich, als wir weit genug von allen weg waren und ungestört reden konnten.
„Wieso denn?“ fragte mich Scorpius. Er schien nervös zu sein, denn immer wieder strich er sich seine blonden Locken aus dem Gesicht und fummelte an seinen Büchern herum.
„Einfach weil es Lehrer sind! Was ist denn heute los mit dir? Du wirkst so nervös.“ erwiderte ich und sah ihn fragend an. Er wirkte wirklich etwas nervös seit wir den Unterricht verlassen hatten.
„Ich habe dir etwas verschwiegen …“ murmelte Scor. „Wir machen heute einen praktischen Test. Für die Gruppenarbeit, die wir vorhaben. Also in Zauberkunst, meine ich. Wir sollten alle Zauber wiederholen. Tut mir Leid, ich hab wirklich nicht daran gedacht, dass du es noch nicht weißt.“ sagte er und sah zu Boden. Ihm war es unangenehm, dass er etwas so wichtiges vergessen hatte.
„Das ist doch nicht so schlimm! Ich kann eh die meisten Zauber und ich habe in der Bibliothek auch oft von Zaubern gelesen.“ beruhigte ich ihn. Ich lächelte ihm noch einmal aufmunternd zu und nahm dann seine Hand und zog ihn mit. Ich wollte so schnell wie möglich diese 'Prüfung' hinter mir haben. Auch wenn ich mir sicher war, dass ich alles fast perfekt konnte, ich wusste nicht, was sie die letzten zwei Stunden gemacht hatten. Schließlich war ich ja nicht beim Unterricht. Vielleicht hätte ich zum Unterricht gehen sollen … Aber nun war es zu spät, um sich darüber noch Gedanken zu machen, denn mittlerweile hatten wir das Zauberkunst-Klassenzimmer erreicht. Mit klopfendem Herzen und deutlicher Angespanntheit betraten Scor und ich das Klassenzimmer. Professor Flitwick und einige andere Schüler unserer Klasse warteten bereits auf uns und bereiteten sich noch auf die Prüfung vor.
Kannst du mir nachher helfen, Scor? Ich kann die letzten Zauber nicht.
Natürlich. Aber verlass dich nicht allzu sehr auf mich, Emi. Ich war in Zauberkunst noch nie so wirklich gut.
Erleichtert setzte ich mich neben Scor auf einen Stuhl in der hintersten Reihe und sah mich genauer um. Das Klassenzimmer war heute sehr neblig und düster gehalten. Wieso, wusste ich nicht, aber es wirkte geheimnisvoll und schaurig. Die Bänke und Tische waren zum Teil an die Seite gestellt worden, sodass man in der Mitte des Raumes noch Platz für ein Duell hatte. Vielleicht mussten wir uns ja duellieren … Ich hoffte es, denn in duellieren war ich einfach gut. Das Fenster auf der einen Seite des Raumes war zugedeckt und wurde der Raum nur von dem flackernden Licht weniger Kerzen erhellt. Eine wirklich komische Situation.
Weißt du, was genau wir hier machen müssen als Test?
Nein, er hat es uns letzte Stunde nicht gesagt. Aber wir haben Duellieren geübt, von daher gehe ich davon aus, dass wir uns wohl duellieren werden. Ich hoffe, nicht wir beide, Emi!
Das hoffe ich auch … Und auch nicht Lucie oder Logan.
„Guten Morgen, meine Lieben.“ rief Professor Flitwick durch das Klassenzimmer und augenblicklich wurde es still im Raum. Niemand redete mehr. Wir waren alle viel zu nervös und panisch dazu. „Ich hatte ja letzte Stunde einen kleinen Test angekündigt, haben Sie das auch mitbekommen, Miss Sheppard?“ Er richtete das Wort auf mich.
„Natürlich, Professor.“ antwortete ich und starrte ihn an. Vermutlich war ich die erste, die diesen Test machen musste. Schon allein deswegen, weil er sauer war, dass ich zwei seiner Stunden verpasst hatte.
„Nun gut. Dann rufe ich Sie alle nacheinander nach draußen und wir werden dort ein wenig versuchen. Aber seien Sie alle unbesorgt, ich möchte Sie nur testen, damit ich Sie in Gruppen einteilen kann. Diese Gruppen werden dann bis Ende des Jahres auch so bleiben.“ erklärte er uns und sah uns der Reihe nach an. In der Zeit hätte man eine Stecknadel fallen hören, so ruhig war es. Niemand traute sich zu atmen. „Miss Inkubus, würden Sie mir bitte folgen?“ Ein schwarz-haariges Mädchen stand langsam auf und folgte dem Professor mit wackeligen Schritten. Sie war eine Slytherin, das wusste ich, aber ich hatte sie noch nie wirklich wahrgenommen. Sie schlief soweit ich wusste nicht im regulären Schlafsaal der Mädchen, sondern hatte mit ihrer besten Freundin ein eigenes Zimmer. Warum auch immer. Dieses Mädchen war sehr komisch, nicht nur, dass sie fast niemand kannte. Sie redete mit kaum jemandem.
„Wer wohl als nächstes drankommt …“ fragte ich in die Runde. Das Schweigen war einfach unerträglich gewesen.
„Na ja ich würde sagen, jetzt kommt dann ein Hufflepuff dran. Weil Lilith ja eine Slytherin ist.“ sagte Zac, ein weiterer Junge des Hauses Slytherin. Er redete auch mehr ihm selbst gut zu als den anderen.
Wieso kenne ich so viele Slytherins gar nicht?
Frag ich mich gerade auch. Lilith hätte ich nicht gedacht, dass sie Slytherin ist. Ist Lilith nicht bei dir im Schlafsaal, Emi?
Nein. Im Schlafsaal sind nur Lorena, Lucie und ich. Und es gibt fünf weibliche Slytherins, wie ich gehört habe. Lucie. Sie hatte mich heute noch keines Blickes gewürdigt. Oder sie hatte mich böse angeschaut, was ich auch gut verstehen konnte, immerhin war ich nicht gerade nett gewesen. Wobei das ja nicht einmal meine Schuld war … Aber das wusste sie ja nicht. Sie wusste nicht, dass sie wegen einem einfachen Zeichen abhauen sollte. Sie wusste eigentlich gar nichts von mir. Nicht mehr. Dafür hatte ich mich in den letzten Tagen viel zu sehr verändert. Und Dylan … nun ja, es gingen Gerüchte um, dass er jetzt mit einer Hufflepuff zusammen war. Ob das nun der Wahrheit entsprach oder nicht, wusste ich nicht. Ich hatte ihn erst einmal wieder gesehen und da war er alleine. Nur, was wurde aus dem Weihnachtsball? Vermutlich würde es darauf hinauslaufen, dass ich entweder gar nicht hinging oder dass ich mich vor einigen bestimmten Leuten auf dem Fest verstecken würde. Beides keine besonders gute Aussicht. Völlig in Gedanken vertieft malte ich auf meinem Pergament herum. Mal einfach nur ein Strich, mal Vierecke oder eben Dreiecke. Ich wusste nicht einmal wieso, aber malen beruhigte irgendwie.
„Was wird das?“ fragte Scor. Ich sah ihn verwirrt an bis ich begriff, dass er das Gekritzel auf meinem Pergament meinte. Ich hatte eines meiner Zeichen gemalt, ohne es überhaupt zu wissen. Ohne es zu merken. Und es war das dritte Zeichen gewesen. Das Zeichen der Liebe. Irgendetwas hatte mich dazu verleitet, ganz tief im Inneren verborgen, dass ich das Zeichen der Liebe malte. Erschrocken deckte ich mein Pergament zu und starrte an die Tür, durch die Lilith und der Professor verschwunden sind. Es war nun schon seit zehn Minuten nichts mehr passiert. Wenn das so weiterging, würden wir mehr als eine Unterrichtsstunde für diesen Test brauchen. Aber dann würden wir ja die Mittagspause verpassen … Das wäre schrecklich! Ich brauchte meine Pause.
Da endlich ging die Tür auf und Professor Flitwick betrat den Raum. Alleine. Lilith musste wohl durch die Hintertür auf den Flur gegangen sein und wartete nun dort darauf, gehen zu dürfen, wenn sie nicht sowieso gehen durfte.
„Mister Malfoy, bitte.“
Professor Flitwick verschwand wieder und Scorpius ging ihm langsam hinterher. An der Tür drehte er sich noch einmal um und zwinkerte mir zu, ehe er die Tür hinter sich schloss. Die anderen Schüler sahen verwirrt zu mir, doch ich lächelte nur. Ich wusste, was das hieß. Er würde mir gleich berichten, was er machen musste.
Wir müssen einfach nur ein bisschen Grundwissen kennen und einen Zauber ausführen! In meinem Fall Wingardium Leviosa, ob das alle haben, weiß ich nicht. Das wirst du ganz sicher schaffen, Emi.
Ich hoffe es. Aber jetzt bist erst einmal du dran. Wie läuft es so bei dir?
Gut, denke ich. Ich habe an Grundwissen bisher alles gewusst, muss mir nur noch der Zauber gelingen und dann bin ich fertig.
Ich drück dir die Daumen, Scor!
Ich wartete auf seine Antwort, doch sie kam nicht. Ich hatte keine Ahnung, warum er mir nicht mehr antwortete. Ich ging davon aus, dass er sich einfach nur konzentrieren musste auf den Zauber.
Doch als er nach fünf Minuten noch immer nichts sagte, wurde ich unruhig. Funktionierte unser Gedanken-lese- Zeugs jetzt auf einmal nicht mehr?
Scor? Ich rief ihn immer wieder, aber ich stieß auf eine Art Blockade. Ich konnte einfach nicht zu ihm durchdringen. Ich hatte keine Erklärung dafür. Immerhin konnte doch niemand von unserer Verbindung wissen, oder? Wir hatten es niemandem erzählt.
Plötzlich ging die Tür auf und erschrocken fuhr ich auf. „Miss Sheppard.“ sagte Flitwick und ging wieder zurück in den Nebenraum.
Scor?
Ich lief ihm schnell hinterher, drehte mich noch einmal zur Klassen um und schloss dann die Tür hinter mir. Noch immer etwas beunruhigt sah ich den Professor an.
„Mister Malfoy hat mir soeben erzählt, Sie hätten bis kurz vor der Stunde nicht einmal gewusst, dass heute ein kleiner Test ansteht?“ fragte er. Er setzte sich an seinen Schreibtisch und schenkte sich einen Tee ein.
„Das ist richtig, Sir.“ bestätigte ich ihm. Trotzdem wollte ich den Test machen. Ich wusste, ich konnte es.
„Ich denke, dann wäre es besser, für Sie den Test ausfallen zu lassen. Der Test handelt sich hauptsächlich um die letzten Stunden, in denen Sie nicht da waren.“ murmelte Professor Flitwick.
Ich schüttelte heftig den Kopf. „Nein, Sir. Ich möchte den Test machen.“ sagte ich energisch.
„Sind Sie sicher?“
„Ja, und ich würde Sie gerne um einen Gefallen bitten …“ erklärte ich ihm. „Ich möchte, dass Sie mich nach der Stunde beurteilen. Oder vielmehr meine Talente. Ich möchte wissen, ob ich wie der Durchschnitt hier bin.“
„Wieso sollten Sie denn nicht im Durchschnitt sein?“ fragte der Professor nun deutlich verunsichert.
„Manchmal habe ich einfach das Gefühl, die anderen sind vom Wissen her weit hinter mir … Außerdem wissen Sie ja selbst, dass meine Zauber immer schon beim ersten Versuch perfekt sind. Das ist bei den anderen nicht so!“ Ich wollte einfach wissen, ob ich normal war. Ich war immer ein Außenseiter gewesen, weil ich nicht der Norm entsprach und jetzt drohte es, wieder so zu werden.
„Nun, in der Tat ist mir das schon aufgefallen. Und auch andere Professoren haben Ihre Fähigkeiten bestaunt.“ berichtete Flitwick. Das trug nicht unbedingt zu meiner Beruhigung bei. „Nun gut, wollen wir dann anfangen?“ Ich nickte vorsichtig. „Hier habe ich einige Mäuse.“ Er zeigte auf einen Tisch neben ihn, wo ungefähr sechs Mäuse herumliefen.
„Ich würde dich bitten, die eine in einen Trinkkelch zu verwandeln. Es gehört zwar mitunter auch zu den Verwandlungen, aber ich denke, Sie bekommen das schon hin.“ erklärte er mir.
Ich nickte. Seltsamerweise wusste ich sofort, wie ich den Zauber beginnen musste. Langsam ging ich zu dem Tisch mit den Mäusen und richtete meinen Zauberstab auf eine kleine braune Maus. Dann tippte ich dreimal im gleichen Rhythmus und sagte danach „Fera Verto!“ Sofort verwandelte sich die Maus in einen wunderschönen Trinkkelch, genauso, wie ich ihn mir vorgestellt hatte. Flitwick staunte und überlegte dann. Schnell notierte er sich einige Dinge und gab mir dann die nächste Anweisung. „Ich werde zwei dieser Mäuse gleich mit 'Tarantallegra' zum Bewegen bringen Ihre Aufgabe wird es sein, die Mäuse zum Erstarren zu bringen.“
Ich nickte. „Mit 'Immobilus'?“ fragte ich.
Der Professor sah mich ungläubig an. „Woher haben Sie den Zauber?“
Ich zuckte mit den Schultern. „Ist mir gerade so durch den Kopf gegangen.“
„Nun, ich meinte eigentlich mit Finite, aber wenn Sie wollen, können Sie natürlich auch mit Immobilus machen.“ Ich nickte und dachte nach. Dann richtete ich meinen Zauberstab auf die eine Maus und meine Hand auf die andere. Das alles geschah einfach automatisch, ohne, dass ich es wirklich wollte, beziehungsweise ohne, dass ich wusste, was ich überhaupt tat. Laut sagte ich „Immobilus!“. Und schon blieben beide Mäuse dort stehen, wo sie waren. Beide waren erstarrt. Und auch der Professor sah mich etwas ungläubig an.
„Setzen Sie sich bitte kurz. Sie hatten mich ja um eine Beurteilung gebeten.“ Er versuchte sich zu fassen, was ihm nicht so wirklich gut gelang. Er war noch immer überrascht und ungläubig.
Ich setzte mich vor den Schreibtisch dem Professor gegenüber und sah ihn aufmerksam an. Endlich würde ich erfahren, was die Lehrer über mich dachten. Nervös rieb ich mit meinen Händen an meiner Hose.
„Zu welchem Ergebnis sind Sie gekommen, Sir?“ fragte ich neugierig und ängstlich. Ich ahnte schon, was er nun sagen würde.
„Ich bin zu dem Ergebnis gekommen, dass Sie eigentlich nichts in dieser Klasse zu suchen haben. Sie sind in der Tat um ein ganzes Stück weiter als Ihre Klassenkameraden. Um genau zu sein sind Sie so um die fünf Jahre weiter. Das ist sehr ungewöhnlich. Und ich glaube nicht, dass ich so einen Fall schon einmal hatte. Und ich glaube auch nicht, dass sich das mit dem Wort 'Begabung' alles klären lässt.“ erklärte er mir. In diesem Moment brach meine bisher noch heile Welt in sich zusammen. Ich war mal wieder total anders. Ich war der Außenseiter. Wie konnte ich auch jemals denken, in Hogwarts wäre ich mal unter den Normalen.
„Und woran, glauben Sie, liegt das dann?“ fragte ich nervös. Ich fragte mich, ob er wohl etwas mit den Zeichen auf meinem Arm anfangen konnte. Ob er mir womöglich helfen könnte?
„Es wäre hilfreich, wenn Sie mir erst einmal schildern, wie Sie überhaupt darauf gekommen sind, dass Sie anders sind als die anderen.“ überlegte der Professor.
Sollte ich ihm jetzt von den Zeichen erzählen? Vielleicht hatte er ja eine Idee, wieso ich immer wieder eines bekam. Ich beschloss, dass es vielleicht besser wäre, mit ihm darüber zu reden und stand auf.
Dann schob ich die Ärmel meines Pullovers nach oben und hielt ihm meine beiden Arme unter die Nase. Zuerst riss er seine Augen weit auf, dann keuchte er und dann sah er mich geschockt an.
„Wer sind S-Sie?“ stotterte er. „D-Das kann nur eines b-bedeuten.“
„Was? Professor, was bedeutet es?“
Er schluckte und versuchte, sich unter Kontrolle zu bringen. „Das ist Merlins Werk. Sie sind von ihm gezeichnet. Und das kann nur eines bedeuten.“ Er schluckte. „Sie sind Merlins Tochter.“
Sie sind Merlins Tochter.
Sie sind Merlins Tochter.
Sie sind Merlins Tochter. Immer wieder ging mir dieser Gedanke durch den Kopf. Auf einmal war alle ganz logisch. Alles passte zusammen. Die Zeichen waren ein Hinweis darauf, dass ich Merlins Tochter war. Und warum sonst sollte mich Merlin auch retten? Von ihm hatte ich die Kräfte bekommen.
„Was passiert, wenn ein Zauberer einen anderen Zauberer wieder auferstehen lässt?“ fragte ich geradeheraus. Mir war es egal, dass er das vermutlich allen anderen Professoren sagen würde. Ich wollte nur mich selbst kennen. Und dafür musste ich erst einmal meine Familie kennen. Jetzt kannte ich sie.
„Dann werden die Kräfte des Toten stärker. Einige behaupten sogar, die Kräfte des Zaubernden gingen teilweise auf den Toten über.“ Ich atmete scharf ein. Die Lösung lag die ganze Zeit vor meiner Nase. Ich hatte nur nicht daran gedacht, weil das so unglaublich klang. „Wieso fragen Sie?“
„Ich bin mir sicher, Merlin hat mich gerettet. Bei den Malfoys. Scorpius sagte, ich wäre tot gewesen und er hätte einen anderen Mann beobachtet, wie er gezaubert hätte. Das passt alles zusammen! Ab da sind meine Kräfte stetig mehr geworden!“ rief ich. Ich konnte es nicht glauben. Ich hatte endlich herausgefunden, wer mein Dad war. Auch wenn es so unfassbar klang, dass ich es noch gar nicht so wirklich glauben konnte.
„Ja, das könnte der Grund sein. Deswegen auch dieses Zeichen hier. Das Zeichen des Merlin.“ Er zeigte auf meinen linken Arm. „Ich bin mir sicher, dass Sie mit ihm in irgendeiner Art und Weise verwandt sind, auch wenn wir nicht genau wissen, inwiefern. Ich hätte niemals für möglich gehalten, dass Merlin noch immer lebt …“
„Wie heißt es bei den Muggeln so schön? Man lernt nie aus!“ Dumbledore war durch die Wand gekommen. Wahrscheinlich hatte er unser Gespräch weitesgehend mit angehört. Er wusste die Wahrheit. Er wusste alles. Er wollte es nur nicht sagen.
„Wieso sagen Sie mir nicht endlich die Wahrheit, Professor?“ fragte ich Dumbledore wütend. Jetzt war definitiv die falsche Zeit für Formalitäten.
„Sie waren noch nicht bereit dafür. Aber ich spüre, jetzt sind Sie es. Folgen Sie mir, Miss Sheppard! Professor, guten Tag noch!“ Damit schwebte Dumbledore durch die einzige Tür, die nicht zum Klassenzimmer zurück führte. Ich folgte dem Professor schweigend und sah mich auf dem Weg, wo auch immer wir gerade hingingen, um. Manchmal benutzten wir Gänge, die ich noch nicht einmal kannte und von denen ich mir sicher war, dass sie eigentlich nur von Lehrern benutzt wurden. Wenn ich mir so recht überlegte, hatte ich noch nie einen Lehrer aus dem regulären Eingang eines Klassenzimmers zur Großen Halle laufen sehen. Es musste also so sein!
Plötzlich hielt Dumbledore an und ich wäre fast in ihn hinein gelaufen. Diese Tür kannte ich noch gar nicht. Wo waren wir? Auf jeden Fall nirgends, wo ein Schüler besonders oft hinkam.
„Professor, wo sind wir hier?“ fragte ich vorsichtig. Wir standen in einem Gang, der älter wirkte als die normalen Gänge, die die Klassenzimmer miteinander verbanden. Und es wirkte auch irgendwie düsterer und kälter als überall anders im Schloss. Die Wände waren kalt und aus einfachem Stein gebaut, bei denen man das Gefühl hatte, sie würden jeden Moment ihren Dienst aufgeben.
„Wir stehen vor einem von vielen unbenutzten Räumen Hogwarts'. Doch dieser hier ist der interessanteste von allen Räumen. Du wirst sehen, warum.“ Er zückte seinen Zauberstab und machte einmal kurz eine Handbewegung nach links, dann ließ er den Zauberstab sinken und starrte auf die Wand vor uns. Steine fingen dort an, sich zu bewegen, und färbten sich von ihrer anfangs dunkel braunen Farbe in helles rot. Die Steine bildeten eine Tür, wie mir auffiel. Eine große Tür, die man nur noch zu öffnen brauchte.
Dumbledore trat ein, während ich noch etwas ängstlich hinter ihm blieb. Doch ich vertraute Dumbledore ja eigentlich. Deshalb rannte ich ebenfalls durch die Tür, nur um dann Staunend dahinter stehen zu bleiben.
Der ganze Raum war hell erleuchtert. Bäume durchzogen grüne Wiesen. Ich fragte mich, wie Bäume in einem Raum wachsen konnten, doch ein Blick zur Decke sagte mir, dass dies kein normaler Raum war. Denn es gab keine Decke oder besser gesagt, es war keine zu sehen. Wenn man nach oben sah, schaute man außer auf Baumwipfel noch auf ein blaues Meer, dem Himmel. Am Horizont konnte ich nichts weiter als Bäume erkennen und einen Pfad, der durch den Wald führte. Dieser Pfad hatte seinen Ursprung direkt vor mir. Dumbledore stand über einen kleinen Teich gebeugt und flüsterte immer wieder leise einige Worte. Dann drehte er sich wieder zu mir um und winkte mich zu sich. Zögernd ging ich zu ihm und stellte mich ebenfalls um den Teich, in dem nichts weiter als Wasser zu sehen war.
„Ich denke, es ist an der Zeit, dass du erfährst, wer du wirklich bist.“ Ich nickte. Darauf hatte ich die letzten Wochen so sehr gewartet. Endlich war es soweit! Ich würde erfahren, wer mein Dad ist. Und vor allem aber, wer ich selbst war. „Wie du eben von Professor Flitwick gehört hast, besitzt du außerordentliche Fähigkeiten, die aber nicht alle deinem Ursprung zuzuteilen sind. Dein Vater, Merlin, hat dich gerettet. Dabei hat er einen Teil seiner Kräfte auf dich übertragen.“ Er beobachtete mich eine Weile. Ich ließ mir von meiner Nervosität nichts ansehen und musterte ihn. Vielleicht kannte Dumbledore meinen Vater ja sogar … Vielleicht hatte er ihn schon einmal getroffen.
„Wieso durfte ich das nicht schon vorher erfahren? Das hätte mir einiges an Ärger erspart!“ fragte ich aufgebracht. Wieso mussten alle so ein Geheimnis daraus machen? Durfte ich jetzt nicht einmal mehr wissen, wer ich war? Nein, offensichtlich nämlich nicht. Andere entschieden darüber, was ich wissen durfte und was nicht.
„Es gibt jemanden, der deine Familie tot sehen möchte. Eine mächtige Hexe. In dem Zeitpunkt, in dem du verstanden hast, wer du bist, wird sie es ebenfalls wissen.“ Er atmete einmal tief durch. „Doch soweit ist es noch nicht. Du weißt noch lange nicht alles.“
Ich sah ihn ungläubig an. Ich wusste noch immer nicht alles? Was verschwieg er mir denn noch alles? War mein Leben bisher wirklich so eine Lüge gewesen?
„Wer hat mich damals bei meiner Mum zuhause angegriffen?“ fragte ich neugierig. Das war wohl nicht die mächtige Hexe gewesen, sonst würden wir wahrscheinlich alle schon nicht mehr leben.
„Ja, da ist noch etwas.“ Er überging meine Frage einfach! „Die Hexe, bei der du gewohnt hast, ist nicht deine leibliche Mutter. Deine Mutter ist bei deinem Vater.“ Was!? Ich hatte mein ganzes Leben bei einer Frau verbracht, in dem Glauben, es wäre meine Mutter. Und jetzt erfahre ich, dass ich nicht einmal mit ihr verwandt bin! In was hatten mich alle denn noch angelogen? Und wieso konnte nicht ein Mensch mal die Wahrheit sagen?
„Und die beiden, wo sind sie?“ fragte ich. Ich wollte meine Eltern kennen lernen. Sofort!
„Auf der Flucht. Und bevor du fragst, nein, du kannst sie im Moment nicht besuchen. In den großen Ferien kannst du zu ihnen, natürlich nur mit Auroren.“ Ich seufzte. Am liebsten würde ich jetzt mit ihm diskutieren, aber ich sah ein, dass das nichts brachte. Das würde mir nur mehr Ärger einbringen, als ich eh schon hatte. Aber immerhin durfte ich in den Sommerferien wahrscheinlich meine Eltern besuchen.
„Sie entscheiden jetzt also, wann ich wohin gehe?“ fragte ich bissig.
„Natürlich nicht. Aber ich denke, du wirst so vernünftig sein und einsehen, dass du dich dann nur in große Gefahr begibst.“ erklärte er. Wenn er wüsste, dass er da sogar Recht hatte …
„Wieso bekomme ich diese seltsamen Zeichen?“ fragte ich ausweichend. Jetzt endlich würde ich meine lang ersehnte Antwort auf diese eine Frage bekommen.
„Du wurdest von deinem Vater gezeichnet. So wirst du stetig mächtiger werden. Eine kluge Idee von ihm, wenn ich das mal so anmerken darf!“ Er lächelte mich an. „Aber, schon so spät! Ich sollte dich schon lange ins Bett geschickt haben.“
Ich nickte. „Gute Nacht, Professor.“ murmelte ich und drehte mich schnell um. Das waren ziemlich viele Infos gewesen, die ich da bekommen hatte. Viel zu viele, um sie jetzt zu ordnen. Ich war noch immer ziemlich verwirrt, aber ich hatte mich dazu entschlossen, Scorpius noch nichts von meinen Eltern zu erzählen. Nicht, dass ich ihm nicht vertraute, ich musste nur einfach erst einmal selbst damit klar kommen. Immerhin wird einem ja nicht alle Tage erzählt, dass man vom mächtigsten Zauberer der Welt abstammt. Ich brauchte einfach etwas Zeit, um das ganze zu verdauen.
Total müde stolperte ich durch die Gänge, bis ich vor dem Gemeinschaftsraum stand. Hier war ich seit drei Tagen schon nicht mehr gewesen. Ja, vor drei Tagen war noch fast alles gut gewesen. Mein Leben verlief fast normal. Und jetzt war es nur noch ein einziges Chaos.
Scor?
Hm? Er hörte mich wieder! Wir konnten noch miteinander kommunizieren ohne wirklich zu reden. Erleichtert ging ich nach oben in den Mädchenschlafsaal, wo Lucie und Lorena schon schliefen.
Schläfst du schon?
Was heißt hier 'schon'? Es ist kurz nach Mitternacht! Und nein, ich schlafe nicht mehr, Emi.
Oh ich habe dich geweckt?
Natürlich. Du hast geschrien!
Das habe ich gar nicht mitbekommen … Tut mir wirklich Leid, Scor.
Macht nichts. Jetzt wo ich eh schon wach bin … Wo warst du bis jetzt?
Bei Dumbledore. Ich habe mit ihm ein wenig geredet. Scor, es ist, wie ich gesagt hatte, ich bin nicht normal.
Wieso solltest du nicht normal sein?
Ich zog mich um, während ich mit Scorpius redete, und kuschelte mich schön in meine Decke ein. Wie ich mein Kissen die letzten Tage vermisst hatte! Flitwick meinte auch, ich hätte besondere Fähigkeiten. Er sagte, ich bin auf dem Niveau eines Fünftklässlers.
Du hast doch aber nicht vor, die Klasse zu wechseln, oder Emi? Ich meine, es wird sicher einen guten Grund geben, warum du viel weiter bist als wir.
Natürlich wird es einen guten Grund geben. Und eigentlich hatte ich nicht vor, die Klassen zu überspringen. Ich wollte eigentlich bei dir bleiben!
„Emilia, was machst du denn hier?“ Lorena. Ich biss mir auf die Lippe. Wieso war sie aufgewacht?
„Schlafen, was sonst?“ erwiderte ich. Auf Smalltalk mit ihr hatte ich wirklich gerade keine Nerven. Außerdem mochte ich sie nicht einmal so wirklich leiden.
Das ist gut. Wirklich. Mit wem redest du, Emi?
Woher weißt du, dass ich rede? Erschrocken hielt ich mir meine Hand auf den Mund.
Du denkst immer wieder Wortfetzen, also nehme ich mal an, du redest mit jemandem. Also, hab ich Recht?
Natürlich hatte er Recht. Er war wirklich gut darin geworden, alles auszuprobieren. Wieso wusste er sowas immer vor mir? Ich hatte noch nie gemerkt, als er mit jemandem geredet hat. Oder vielleicht redete er auch mit keinem, aber das konnte ich mir irgendwie nicht so vorstellen. Schließlich war er in anderen Häusern durchaus beliebt.
Lorena ist vorhin wach geworden.
Achso. Sag das doch gleich!
Hab ich doch, Scor! Ich lächelte unwillkürlich. Manchmal war er wirklich lustig.
„Seit wann schläfst du denn bei uns?“ fragte sie mit hochgezogenen Augenbrauen. Ich konnte mir ihr Gesicht bildhaft vorstellen, auch wenn es gerade dunkel war.
„Seit ich Lust dazu habe!“ konterte ich. Sie legte es wohl auf Streit an. Den konnte sie gerne von mir haben! „Wenn du ein Problem damit hast, kannst du ja gehen.“
Eingeschüchtert ließ sie mich fürs Erste in Ruhe. Doch ich glaubte nicht, dass sie es wirklich nochmal darauf anlegte, mit mir zu sprechen. Ich war noch nie so sonderlich gut auf sie zu sprechen gewesen. Einfach weil sie mir viel zu still war. Sie redete zu wenig.
Ich versuche jetzt zu schlafen. Gute Nacht, Scor!
Ich legte mich richtig in mein Bett rein und kuschelte mich auf mein Kissen und in die Bettdecke. Schon ein paar Minuten später war ich eingeschlafen.
Ich lag mit dem Rücken auf einer Wiese, die über und über voll mit Blumen bedeckt war. Überall konnte man gelbe und rote und weiße Blüten sehen. In der Ferne konnte man ganz vage eine Art Burg ausmachen, die sich stolz in den Himmel erhob. Langsam ließ ich meinen Blick schweifen. Strahlender Sonnenschein erhellte den Tag und ließ in dem kleinen Tal die Vögel singen. Außer ein paar Hasen und Pferden am Rande des Tals war weit und breit nichts zu sehen. So beschloss ich, mich zu der großen Burg aufzumachen und zu schauen, wo ich denn hier überhaupt gelandet war. Langsam überquerte ich die Wiese und zertrampelte die schönen Blumen. Je näher ich der Burg kam, desto unruhiger wurde ich. Hier stimmte etwas nicht. Der Sonnenschein, der so glücklich machte und eine friedliche Stille mit sich brachte, trügte. Hier war nichts friedlich. Das sah man schon an der halb zerstörten Burg, die bis eben noch völlig heil ausgesehen hatte. Verwundert wurde ich langsamer und näherte mich der Burg nur noch mit kleinen Schritten. Was war das nur für eine seltsame Burg? Plötzlich hörte ich hinter mir ein Knacken. Das Geräusch ähnelte dem, wenn man auf einen Ast tritt. Und genau das machte mich nervös. Hier, wo weit und breit kein Baum zu sehen war, wie konnte hier ein Ast liegen? Allerdings war das nicht mein einziges Problem. Wenn jemand auf den Ast getreten war, musste das heißen, dass jemand hier war. Ganz in der Nähe. Und dieser jemand hatte mich vielleicht sogar schon gesehen. Schnell versteckte ich mich im Gras. Mittlerweile ging mir das Gras sogar im Stehen schon bis an die Knie. Vorsichtig spähte ich durch das Gras hindurch auf die Wiese. Ein einsamer Mann kam gerade aus der gleichen Richtung wie ich eben. Zum Glück schien er mich nicht gesehen zu haben, denn er ging einfach so an mir vorbei in Richtung Schloss. Mein Puls raste und mein Herz hämmerte so schrecklich laut, als ich aufstand und dem Mann in sicherer Entfernung folgte, dass ich glaubte, er könnte meinen Puls hören. Konnte er zum Glück nicht. Kurz vor dem Tor zur Burg hinein blieb der Mann stehen und sah sich genauer um. Als niemand zu sehen war, ging er zu einem Schalter und kurbelte das Tor hoch. Schnell lief er unten durch und verschwand. Ich folgte ihm unbemerkt. Als ich drin war, atmete ich erleichtert auf. Das war nochmal gut gegangen, dachte ich mir und folgte dem Mann weiterhin. Noch immer hatte ich keine Ahnung, wo ich war. Doch als ich mir die Bauern und deren Felder näher anschaute, war ich mir ziemlich sicher, dass ich im Mittelalter gelandet war. Die Frauen hatten ihre Haare meist zurückgebunden. Die meisten trugen alte, zerschlissene Kleider, die sie auf ihren Feldern kaputt gemacht hatten. Hier lebten wohl diejenigen, die nicht so viel Geld hatten. Fassungslos ging ich weiter. Natürlich hätte mich mittlerweile mal irgendwer sehen müssen, aber entweder achtete niemand auf mich oder mich sah einfach niemand. Vielleicht waren einfach alle zu sehr mit arbeiten beschäftigt, als dass sie sich um mich kümmern könnten. Der Mann ging nun einen steilen, rutschigen Pfad hinauf zu einigen Häusern, die schon etwas besser wirkten als die hier unten. Ich beeilte mich ihm zu folgen und rannte ihm schnell hinterher. Oft wäre ich beinahe auf dem kiesigen Weg ausgerutscht, doch ich konnte mich immer wieder fangen. Oben angekommen, fand ich mich in einer belebten, engen Straße wieder. Hektisch suchte ich nach dem jungen Mann, dem ich bis eben gefolgt war, fand ihn aber nicht mehr wieder. Entschlossen, ihn wiederzufinden, lief ich durch die enge Straße hindurch. Immer wieder sahen mich hier Leute komisch an und sagten etwas in einer mir fremden Sprache. Sie hatten gemerkt, dass ich hier nicht hingehörte. Schnell drehte ich mich einmal im Kreis. Bestimmt würden die Leute einen Wachmann holen, der mich dann von hier wegbrachte. Aber ich musste hier bleiben. Unbedingt, ich spürte das. Da! Eine kleine Gasse, in der ich keine Menschen sehen konnte. Ich rannte hinein und folgte der Gasse, die plötzlich beängstigend steil wurde. Sie führte mich auf das Dach eines Hauses. Von hier konnte man fast die ganze Burg betrachten. Eine beeindruckende Sicht. Unten konnte ich das Tor ausmachen, zu dem ich hinein gekommen war. Gleich hinter der Burgmauer konnte ich Bauern und einige Wachleute sehen, denen ich vorher seltsamerweise nicht einmal begegnet war. Danach kam die mittlere Schicht, wie es aussah. Die, die zwar genug Geld zum Leben hatten, aber trotzdem noch nicht zum Adel dazu gehörten. Dazu gehörte auch die Gasse, in der ich gerade gewesen war, und die Häuser in meiner Umgebung. Wäre ich der großen belebten Straße gefolgt, wäre ich irgendwann zum Königshaus gekommen, nahm ich an. So sah es zumindest aus. Nun aber musste ich es eben auf einige Umwege versuchen. Ich wusste nicht genau, warum es so wichtig war, dass ich zum König kam, aber ich wusste, dass ich es probieren musste. Den Rest würde ich auch so irgendwie hinbekommen. Hektisch folgte ich nun einer anderen Gasse und kam bei den reichen Familien heraus. Jetzt musste ich wirklich nahe am Königshaus sein. Neugierig lief ich noch durch einige Gassen, als ich plötzlich Stimmen hörte. Erschrocken duckte ich mich in eine Nische und versuchte, so gut es eben ging, mich zu verstecken. Dann fiel mir auf, dass die Stimmen aus einem offenem Fenster kamen und lauschte.
„Gwen, du musst mir glauben, ich habe damit wirklich nichts zu tun.“ sagte ein junger Mann. Er stand direkt vor dem Fenster und spähte immer mal wieder nach draußen. Ich erschrak mich jedes mal wieder.
„Ich glaube dir ja, aber Uther nicht. Uther ist argwöhnisch. Lass dir bitte etwas wirklich gutes einfallen!“ Ganz sicher eine junge Frau.
Uther … Gwen … Gwen für Guinevere? Das könnte passen! Ich war im Leben meines Dads gelandet. Dann musste der junge Mann dort mein Dad sein.
„Gwen, du weißt, ich bin kein Zauberer.“ Ich horchte auf. Natürlich war er ein Zauberer! Ich schüttelte den Kopf und stand auf. Meine Knie waren eingeschlafen und so war ich dazu gezwungen, aufzustehen.
Plötzlich spürte ich mehrere Hände auf meinen Schultern und zuckte zusammen. Hinter mir standen drei Wachen und alle sahen mich böse an. Sie hatten mich so gepackt, dass ich mich unmöglich aus eigener Kraft befreien konnte, sondern nur mit Magie. Und das konnte ich nicht riskieren, nicht hier. Ich starrte die drei Männer an, die irgendetwas auf einer fremden Sprache redeten und mich dann mitschleiften. Was genau ich getan hatte, erfuhr ich später …
Donnerstag
Langsam wachte ich auf. Ich hatte alles nur geträumt, dachte ich mir. Dann schaute ich mir meine Füße an, die wund gelaufen waren. Außerdem hatte ich Schuhe an, an denen Gras klebte. Verwirrt zog ich mich schnell um und versuchte dann, das Geträumte zu verdrängen. Wenigstens bis heute Abend musste ich es verdrängen. Ich musste doch schließlich noch zum Unterricht, auch wenn ich dazu wirklich keine Lust hatte. Ich würde mich ja am liebsten wieder ins Bett schmeißen, weil ich so müde war, aber dann bekam ich Ärger mit Scorpius. Und das wollte ich lieber nicht riskieren.
Gähnend ging ich nach unten in den Gemeinschaftsraum, wo Scorpius schon ungeduldig auf mich gewartet hatte.
„Ich dachte schon, du kommst nicht mehr.“ stellte er seufzend fest.
„Das dachte ich auch.“ grinste ich. „Aber hier bin ich.“
„Du siehst müde aus. Schlecht geschlafen?“ fragte er mich, während wir uns in die Große Halle begaben.
„Nein na ja, schlecht geträumt kann man es eher nennen. Ich muss dir nachher was erzählen.“ sagte ich geheimnisvoll. Hier konnte ich das Thema nicht anschneiden, nicht in aller Öffentlichkeit. Es musste ja nicht jeder wissen, wer ich wirklich war. Vor allem wusste es ja noch nicht einmal Scorpius … Obwohl sein Vater ja mit Merlin in Kontakt stehen musste, sonst hätte Merlin nie erfahren, dass ich gestorben war.
„Worum geht es?“ Um meinen Vater, wollte ich sagen. Doch ich konnte nicht und deshalb schwieg ich einfach. Ich wusste nicht, was ich sonst hätte sagen sollen.
Die Schüler auf dem Gang sahen mich noch immer alle seltsam an, wobei ich sie weitesgehend ignorierte, nur bei den Erstklässlern machte es mir etwas aus. Vor allem, weil Lily hinter meinem Rücken Lügen über mich erzählt hatte, während ich nicht beim Unterricht gewesen war. Ich hatte versucht, alles zu berichtigen, doch keiner hatte mir auch nur annähernd zugehört. Ich könnte diese Lily wirklich umbringen, so sehr regte sie mich auf. Wenn Scorpius mich nicht immer beruhigen würde, hätte ich ihr schon längst eine Lektion erteilt. Auf meine Art und Weise.
Wie immer setzte ich mich mit Scorpius an den Rand unseres Tisches, da in der Mitte Lucie und Logan saßen, die mich beide wütend ansahen, als ich zur Tür hereinkam. Die beiden würden sich wohl nie wieder beruhigen, hatte ich das Gefühl.
„Hey, ich soll euch beiden sagen, dass heute Verwandlung von Dumbledore unterrichtet wird. McGonagall ist nicht da.“ sagte ein schwarz-haariger Junge mit auffallend grünen Augen. Ebenfalls ein Erstklässler. Er hatte einige Sommersprossen im Gesicht, sah aber trotzdem auf seine eigene Art wirklich gut aus.
„Danke.“ lächelte ich ihn an. „Wie heißt du?“ Ich sah ihn aufmerksam an.
„Zac, und du bist Emilia, richtig?“ fragte er grinsend. „Ich habe deinen Namen im Unterricht oft gehört, wenn ein Lehrer mal wieder geflucht hat, dass du nicht da bist.“
„Ihr habt mich tatsächlich vermisst?“ fragte ich erstaunt.
„Natürlich haben wir das.“ lachte er. „Du bist nett und klug, und die Lehrer haben vor allem deine berühmten Zauberkünste vermisst.“
Noch da?
Natürlich. Ich sitze vor dir.
Ich frag ja nur, weil du nichts sagst. Magst du ihn nicht?
Nicht so besonders. Er ist total der Angeber, Emi.
„Oh ja, ich hab die Lehrer auch ganz furchtbar vermisst.“ lachte ich ebenfalls. Es machte Spaß, mit dem Jungen zu reden. Er war fröhlich und konnte einen ziemlich schnell aufheitern.
„Glaube ich dir irgendwie nicht. Niemand würde die Lehrer vermissen.“ Er lächelte mich fröhlich an. „Ich geh dann mal zum Unterricht, wir sehen uns nachher.“ Er winkte noch einmal kurz, dann stand er auf und ging aus der Großen Halle.
Ich sah Scorpius frustriert an. „Du könntest wenigstens versuchen, dir mal irgendwie Bekanntschaften zu suchen.“ murmelte ich.
Scor zuckte nur mit den Schultern. „Die mögen mich eh alle nicht. Außerdem habe ich ja dich.“
„Jaa schon, aber sogar ich versuche, hier wieder irgendwie Anschluss zu bekommen. Und mich hassen wirklich fast alle. Außerdem ist es manchmal besser, wenn man viele Freunde hat und nicht nur einen.“ erklärte ich ihm leise. Er wollte sich einfach keine Freunde suchen. Er wollte nicht verstehen, dass ich nicht nur immer mit ihm irgendwas machen konnte. Ich brauchte Menschen um mich, so war ich nunmal, und deswegen konnte ich nicht nur mit ihm etwas machen. Ich wollte mehr Freunde, richtige Freunde. Seufzend stand ich auf und ging in Richtung Tür. Scor folgte mir langsam und holte mich an der Tür dann ein. Zusammen suchten wir nach dem Klassenzimmer für Zauberkunst. Ich hoffte, wir bekamen jetzt die Ergebnisse von den Tests, obwohl das ja eigentlich sowieso nichts zu bedeuten hatte, aber ich wollte einfach sehen, ob ich die Chance hatte, die Prüfungen am Ende des Schuljahres zu bestehen. Ich wusste nicht einmal, ob mein Test überhaupt bewertet wurde, da ich ja sozusagen den Test gar nicht machen sollte. Natürlich hatte ich ihn trotzdem gemacht und dabei ist meine Vergangenheit ein kleines Stückchen lichter geworden. Einige Geheimnisse hatte ich da erfahren, andere nicht.
Als wir beim Klassenzimmer ankamen, waren wir fast schon zu spät. Es klingelte in der Minute, in der wir uns auf unseren Platz setzten.
„Guten Morgen, meine Lieben.“ grüßte uns Professor Flitwick. Als er mich sah, zwinkerte er mir so unauffällig zu, dass es niemand außer mir gemerkt hatte.
„Ihre Ergebnisse von dem Test werde ich Ihnen gleich sagen. Aber zuerst möchte ich die Leute heraus bitten, die ich gleich aufrufe.“ Er sah uns der Reihe nach alle an. Dann redete er nach einer kleinen Pause weiter. „Emilia, Lucie, Sky, Josh, Lily, Fabio, Hope und Jared.“ Verwirrt ging ich zusammen mit den anderen sieben nach vorne und stellte mich dort neben den Professor.
„Ich habe in den letzten Jahren ein neues System erarbeitet. Und zwar haben alle Klassen so einen Test machen müssen. Und wie euch sicher aufgefallen ist, seid ihr heute auch mehr wie sonst.“
Er machte eine Pause. Alle sahen sich um und stellten fest, dass er Recht hatte. Sonst waren wir nur zwei Häuser, heute alle vier. Als der Professor sicher war, wieder die ungeteilte Aufmerksamkeit aller zu haben, redete er weiter: „Diese Acht hier vorne waren die besten zwei der jeweiligen Häuser. Und ich biete Ihnen allen an, gegen die Schüler der höheren Klassen anzutreten. So etwas wird bei den Muggeln, glaube ich, 'Turnier', genannt.“ Alle hielten den Atem an. „Ich erkläre euch das Prinzip mal etwas genauer: Es gibt in jeder Stufe Acht Sieger, die acht besten. Diese acht besten treten dann gegen die Schlechteren der nächsthöheren Klasse an. Wenn in diesem Duell dann der Jüngere gewinnt, darf dieser gegen die besseren Acht dieser Stufe antreten.“
Ich fand dieses Prinzip wirklich gut. Dann konnte ich auf jeden Fall sehen, wie viel weiter ich als meine Klassenkameraden war. Ich hoffte, es durften bei diesem Turnier dann nicht alle zuschauen.
„Das Turnier findet morgen früh bis Abend statt. Wer von euch Acht macht mit?“ fragte der Professor.
„Ich auf jeden Fall.“ sagte ich und hob meine Hand. Der Professor nickte nur. Ihm war klar gewesen, dass ich das Angebot nicht ablehnen würde.
„Ich auch.“ Lucie. Ich hatte gehofft, nicht gegen sie antreten zu müssen, denn sie war im Duellieren auch nicht unbedingt schlecht.
Alle der Acht vorne stehenden Schülern sagten zu. Dafür hatten wir morgen auch kein Unterricht, die anderen zwar auch nicht, aber wir durften Spaß haben.
„Wer war insgesamt am besten?“ rief Logan.
„Emilia.“ antwortete der Professor und schrieb etwas an die Tafel. Die ganze Klasse sah mich geschockt an. Ich könnte schwören, dass sie sich fragten, wie ich so gut sein konnte, wo ich doch nie im Unterricht gewesen war. Belustigt nahm ich hinten wieder meinen Platz ein und versuchte mir zu merken, dass ich morgen um Acht Uhr in der Großen Halle sein sollte. Der Unterricht war dann wieder so langweilig, dass meine Gedanken immer wieder zu meinem Vater abschweiften. Ich musste unbedingt noch mehr über ihn herausfinden, ob nun in Büchern oder über Dumbledore war mir egal. Und ich musste wissen, wer mich umbringen wollte.
Der restliche Unterricht verging wie im Flug. Es stellte sich heraus, dass Dumbledore viel besser unterrichten konnte als McGonagall, zumindest mochte ich den Unterricht von Dumbledore mehr. Das war auch das einzige Fach, an dem ich ausnahmsweise mal nicht einschlief. Wieso McGonagall nicht unterrichten konnte, erfuhren wir nicht. Aber es interessierte uns auch nicht besonders.
Mit wem gehst du übermorgen eigentlich zu dem Weihnachtsball? Scorpius. Ich hatte gehofft, er würde mich irgendwann einmal fragen, ob wir zusammen gehen wollen. Ich mochte ihn nämlich sehr, traute mich aber nicht, ihn zu fragen.
Allein. Und du?
Auch Allein, dachte ich mir. Ich hatte zumindest noch nicht mitbekommen, dass er jemanden gefragt hatte.
Ebenfalls. Willst du... Willst du mit mir auf den Ball gehen?
Ich grinste. Nun hatte ich das, was ich wollte. Ich ging mit Scorpius auf den Ball und musste mich auch vor niemandem verstecken, denn jetzt hatte ich einen Partner.
Gern! Ehrlich gesagt hatte ich gehofft, du würdest mich fragen.
Ich strahlte ihn an. Sein Gesicht war zwar noch etwas rot, weil es ihm offenbar schwer gefallen war, mich zu fragen, aber er strahlte ebenfalls.
An diesem Abend ging ich zum ersten Mal seit ich in Hogwarts war glücklich ins Bett.
Mit dröhnendem Kopf wachte ich auf. Die Wachleute hatten mir etwas ziemlich schmerzhaftes auf den Kopf geschlagen, sodass ich ohnmächtig wurde. Nun befand ich mich, wie ich mit Entsetzen feststellen musste, in einer Zelle. In einer dreckigen Zelle, die mich braunem Zeug übersät war. Ich wollte gar nicht so genau wissen, was das war. Ich fand es so schon eklig genug. Als Bett hatten sie mir ein wenig Stroh in die Zelle gelegt, doch auch das so eher nicht so appetitlich aus. Ich jedenfalls würde mich hier bestimmt nicht schlafen legen.
Nebenan befanden sich weitere Zellen, alle in einer Reihe, mit Männern, die ziemlich stark und muskelbepackt aussahen. Mit denen wollte ich mich lieber nicht anlegen.
„Hier hast du Essen.“ Ein Wachmann schob mir eine Schale mit einer gelben Brühe herein, ohne die Tür zu öffnen. Das 'Essen' sah so widerlich aus, dass ich das ganz bestimmt nicht anrühren würde. Eher würde ich verhungern. Der Wachmann ging unterdessen wieder zurück auf seine Position, nämlich ein Stuhl am Feuer, vor dem massenhaft Bier stand. Kontrollierte das niemand, ob die Wachleute Bier tranken? Vorsichtig lehnte ich mich näher ans Gitter und versuchte, mir von dem Gebilde hier einen Eindruck zu verschaffen. Irgendwie musste ich schließlich irgendwann mal hier heraus. Noch hatte ich leider keine Idee davon.
„Was hast du denn angestellt, Kleiner?“ Eine tiefe Stimme kam aus der Richtung meiner Nachbarzelle. Ein großer, junger Mann schielte zu mir herüber und musterte mich.
„Ich bin in der Stadt herumgelaufen.“ murmelte ich. Ich wusste eigentlich selbst nicht so genau, was ich eigentlich angestellt hatte. Mein Verbrechen war, dass ich in der Stadt umher gelaufen war und nicht einmal hier wohnhaft war. Mehr hatte ich nicht getan.
„So wie du aussiehst, erkennt ja auch jeder, dass du nicht aus Camelot kommst.“ sagte der Mann. „Die Kleidung sieht nicht einmal nach unserer Zeit aus. Wie alt bist du?“
„Elf. Wer sind Sie?“
„Ich bin Gwaine. Wie heißt du?“ stellt sich der junge Mann vor. Der Wachmann bekam von unserem Gespräch gar nichts mit, er interessierte sich mehr für sein Bier.
„Siana.“ murmelte ich. Meinen richtigen Namen konnte ich nicht nehmen, denn das war zu auffällig. Mein Name passte einfach nicht in diese Zeit. Deswegen musste ich mir eben einen anderen einfallen lassen, der besser in diese Zeit passte.
„Hübscher Name. Was machst du hier in Camelot, wenn du nicht hier lebst?“ fragte er mich. Eine willkommene Abwechslung, jemanden zum Reden zu haben.
„Ich suche Merlin. Aber ich denke, dass kann ich jetzt wohl vergessen, schließlich sitze ich hinter Gittern.“ Ein Gedanke durchzuckte mich. Würde mich mein Vater am Aussehen wieder erkennen? Hatte er mich überhaupt schon einmal gesehen?
„Oh das denke ich nicht. Er kommt jeden Abend hier herunter.“ erklärte mir Gwaine. „Was willst du denn von ihm?“
„Das kann ich nicht sagen. Aber es ist wirklich wichtig.“ sagte ich. Ich wollte ihm nichts sagen, denn umso mehr ich von mir preisgab, desto wahrscheinlich wurde es, enttarnt zu werden.
„Dort kommt er schon.“ Gwain zeigte auf den Wachmann, vor dem ein junger Mann stand. Er hatte blaue Augen und schwarze kurze Haare. Er trug Bauernkleidung, was ich nicht gedacht hätte, denn in den Sagen wird immer erzählt, er würde in der Burg wohnen. Kurz redete der dünne junge Mann mit dem Wachmann und ging dann zu seinem Freund. Zu Gwain.
„Merlin, ich dachte schon, du würdest nicht mehr kommen.“ scherzte Gwain.
Merlin nickte. „Ich hatte viel zu tun. Gaius hat mich durch die halbe Burg gejagt und Arthur hat auch ständig nach mir verlangt. Du weißt ja, wie das ist.“ Merlin zwinkerte ihm zu und schob ihm unauffällig etwas zu Essen unter den Gittern hindurch. Gwain beugte sich vor und flüsterte Merlin etwas ins Ohr, während er auf mich zeigte. Schnell begab ich mich in eine dunklere Ecke meiner Zelle, damit beide nicht sahen, dass ich rot wurde.
Doch Merlin kam trotzdem an meine Zelle und musterte mich. Ich hatte das Gefühl, er konnte meine innersten Gefühle sehen. Was vielleicht sogar stimmte. „Wir haben uns schon einmal getroffen, ich kenne dich!“ murmelte er. „Du wurdest festgenommen, als du mich beobachtet hast, nicht wahr?“
Ich gab ein ersticktes „Ja.“ von mir zu hören und verkroch mich noch weiter in die dunkle Ecke.
„Wieso hast du das getan?“ fragte er. Er schien nicht sauer zu sein und wenn schon, dann ließ er es sich nicht anmerken.
„Ich musste mit Euch sprechen!“ sagte ich. Meine Stimme war diesmal fester als vorher und wackelte nicht mehr so. Ich gewann mein Selbstvertrauen wieder.
„Worüber?“
„Das kann ich hier nicht sagen. Es ist gefährlich.“ Ich log. Natürlich konnte ich es sagen. Aber wieso wollte ich denn überhaupt mit ihm sprechen? Was sollte ich ihm denn sagen? Dass ich sein Sohn bin und schnell mal aus der Zukunft gekommen bin, konnte ich ihm wohl kaum sagen. „Wie komme ich aus diesem Gefängnis wieder heraus?“ fragte ich.
„Morgen ist deine Verhandlung. Wenn du einen Ritterstand hast, darfst du selbstverständlich hier bleiben. Hast du keinen, musst du gehen, wenn nicht noch schlimmeres. So verlangt es der König.“
Ich überlegte. Ich konnte zaubern … aber konnte ich es riskieren, jetzt zu zaubern? Außerdem wusste ich nicht einmal, wie so etwas aussehen sollte. Wie sie das nachweisen wollten, dass ich wirklich den Ritterstand besitze.
„Wie wollen die das denn nachprüfen, ob ich einen Ritterstand habe?“ fragte ich neugierig.
„Falls jemand aus deiner Familie Ritter war, solltest du eine Art Formular dabei haben. Eines, wo ganz genau steht, wer du bist.“ Ich nickte und wendete mich dann um. Ich hatte beschlossen, es zu probieren. Ich konzentrierte mich auf eine Art Formular, wo drauf stand, wer ich war. Dann betrachtete ich den Zettel in meiner Hand und gab ihn zufrieden an Merlin weiter. „Sieht das so aus?“ fragte ich. Wenn nicht … war ich sozusagen geliefert.
„Genau. Siana Merrdyn. Tochter von Lord Vaughn. Gib das dem König, dann bist du frei.“ murmelte Merlin und sah mich an. Ich glaubte, dass er wusste, dass ich nicht wirklich der war, für den ich mich ausgab. Aber Uther würde es wahrscheinlich nicht merken, dass meine ganze Vergangenheit auf diesem Zettel gelogen war. Hoffte ich zumindest.
Merlin ging zu dem Wachmann zurück, zeigte ihm das Stück Papier und kam dann mit dem Schlüssel zurück. Ich staunte. So einfach konnte man aus einem Kerker kommen. Merlin verabschiedete sich noch von Gwain und dann gingen wir die Treppe hoch, die, wie ich später bemerkte, auf den Innenhof führte. Draußen war es schon dunkel, als wir an die Frische Luft kamen, und der Mond stand hoch am Himmel. Es war nachts. Ich musste wirklich lange ohnmächtig gewesen sein.
„Wo gehen wir hin?“ fragte ich, als wir durch ein großes Tor in die Richtung der Burg gingen.
„Zu dem einzigen Menschen, der dir gerade helfen kann. Arthur.“ Ich würde gleich den Prinz kennen lernen! Den Sohn des Königs. Ich hoffte, er konnte mir helfen und verhindern, dass ich wieder in den Kerker musste. Dort unten war es wirklich nicht schön. Aufgeregt lief ich Merlin durch die Gänge der Burg hinterher, bis wir vor einer verzierten Tür standen. In die Tür waren verschiedene Symbole und Muster graviert.
Merlin klopfte und wies mich dann an, hier zu warten, bis er mich holen würde. Ich nickte und lehnte mich an die Wand gegenüber der Tür. Als Merlin in dem Zimmer verschwunden war, war es hier so leise, dass es mir fast Angst machte. Es war so eine gespenstische Stille, sehr gefährlich, so fühlte es sich für mich jedenfalls an. Ich musste wirklich lange warten, bis Merlin endlich wieder an der Tür erschien und mich herein bat. Langsam folgte ich ihm in das Zimmer und sah mich um. Eine kunstvoll eingerichtetes Zimmer erstrahlte vor mir. Arthur stand am Tisch und polierte sein Schwert. Als er mich hörte, sah er auf und lächelte mich an. Sympathisch war er auf jeden Fall.
„Guten Abend, Sir.“ Jetzt wusste ich auch, warum ich jeden immer mit Sir ansprach. Weil es mir einfach passend erschien, Respektpersonen mit Sir anzusprechen. Ich verbeugte mich etwas vor ihm, wie man es vor einem König eben macht.
„Merlin sagte mir eben, dass wir einen Ritter bei uns haben. Stimmt das?“ fragte Arthur höflich.
„Nicht so ganz. Mein Vater war Ritter, ich jedoch nicht. Ich kann nicht einmal mit dem Schwert umgehen.“ murmelte ich. Dies zumindest entsprach der halben Wahrheit. Ich konnte nämlich wirklich nicht mit einem Schwert umgehen. Ich hatte zwar mal einen Kurs in der Schule belegt, wo man so etwas lernen konnte, aber das war auch eher primitiv.
„Nun, dann schlage ich vor, du bleibst für diese Nacht einmal bei mir. Ich möchte nicht, dass du dich hier noch verläufst, deswegen bekommst du gleich das Zimmer nebenan. Und morgen sehen wir dann weiter.“ Arthur war wirklich freundlich, das musste man sagen. Er kannte mich nicht einmal, nahm mich bei sich aber als Gast auf. „Merlin, machst du drüben das Zimmer fertig?“ fragte Arthur an Merlin gewandt.
Merlin nickte schnell und ging dann zur Tür heraus. Arthur und ich blieben allein zurück und eine unangenehme Stille entstand.
„Hunger?“ fragte Arthur mich und zeigte auf die Äpfel, die in einer Schale auf dem Tisch lagen. Daneben hatte Arthur sorgfältig sein Schwert auf ein Tuch gelegt, damit es auf keinen Fall zu Schaden kam.
„Nein, danke.“ Wehrte ich höflich ab. Ich hatte momentan einfach keinen Appetit. Das Aussehen des Essens im Gefängnis unten hatte mir für den Tag den Appetit einfach verdorben. Ich konnte heute kein Bissen mehr nehmen. Von gar nichts.
„Sir, ich habe mich noch gar nicht vorgestellt. Ich heiße Siana Merrdyn.“ Unruhig wippte ich von einem Fuß auf den anderen und beobachtete Arthur, der sich gerade auf das Bett legte.
„Freut mich, dich kennen zu lernen. Siana, wirklich hübscher Name. Von wo kommst du denn?“ fragte er lässig, doch ich konnte ihm anmerken, dass er gerne mehr von mir erfahren würde.
„Aus Blackburn. Das gehört zum Königreich Caerleon. Doch ich musste fliehen vor ein paar Wochen. Meine Eltern wurden von einem mächtigen Zauberer ermordet, und dafür gaben mir alle die Schuld. Ich bin dann einige Zeit ziellos im Wald herumgeirrt, bis ich auf diese Burg gestoßen bin. Ich bin dann rein – da ich nicht wusste, dass das nicht erlaubt ist – und dann haben mich eben einige Ritter festgenommen.“ Ich hatte mich mittlerweile auf einen Stuhl gesetzt, der am Tisch gestanden hatte. Arthur hatte nichts dazu gesagt, also ging ich davon aus, dass ich das durfte. Arthur schien sich genau zu überlegen, was er jetzt sagen sollte. Immer wieder sah er zur Tür, als ob er hoffte, Merlin würde ihn retten. Doch ich wusste, dass Merlin nicht so schnell wieder kommen würde. Er stand nämlich vor der Tür und lauschte, hatte auch nicht vor, sich mal in die Richtung des anderen Zimmers zu begeben. Doch das sagte ich Arthur nicht. Wie hätte ich es auch erklären sollen, dass ich wusste, dass Merlin vor der Tür stand? Klar, ich war eine Hexe mit enormen Kräften, aber das war hier gefährlich. Also hielt ich lieber meinen Mund und starrte Arthur an.
„Blackburn also? Ja, da war ich vor einigen Jahren einmal. Dort werden gute Ritter ausgebildet. Ich habe einen Vorschlag für dich: Wie wäre es, wenn ich Merlin dazu überreden würde, dir eine kleine Führung durch Camelot zu geben? Und danach kannst du dir anschauen, wie wir Ritter trainieren.“ schlug Arthur vor.
Ich lächelte ihn an. Das war unglaublich interessant. Erstens mal hatte ich Zeit, um in Ruhe Merlin kennen zu lernen und zweitens mal, würde ich den besten Rittern dieser Zeit beim Trainieren zusehen. „Natürlich, gerne, Sir.“ sagte ich strahlend. „Darf ich dann auch mal ein echtes Schwert anfassen?“
„Wenn du willst, kann ich dir vielleicht sogar einige Grundgriffe beibringen.“ Arthur hatte gemerkt, wie fasziniert ich davon war. Ich konnte mein Glück kaum fassen. Besser konnte es immerhin nicht kommen! Ich würde Schwertkampf lernen!
„Das wäre wunderbar!“ schwärmte ich.
Plötzlich kam Merlin ins Zimmer gestolpert, wirklich blass im Gesicht. Er versuchte, dies zu verbergen, indem er sich von uns wegdrehte, doch ich hatte es schon bemerkt. Und auch Arthur schien alles mitbekommen zu haben, denn er zog sogleich sein Schwert. Mit erhobenem Schwert ging er auf die Tür zu und schob Merlin hinter sich. Ich war ebenfalls aufgestanden und starrte nun hinter Arthur den Gang ab. Ich suchte nach irgendwelchen Anzeichen, die einem Zauberer Angst einjagen konnte, doch ich fand nichts. Alles leer, still und friedlich.
„Hier ist nichts.“ murmelte Arthur.
„Halt!“ gebot ich ihm. Augenblicklich blieb Arthur stehen und sah mich neugierig an. Merlin musterte mich geschockt. „Hört ihr das?“ fragte ich die beiden und ignorierte ihre Blicke. Arthur horchte hin, doch dann schüttelte er den Kopf.
„Alles still.“ murmelte er.
Ich nickte. „Das ist es ja. Vorhin, als wir dort entlang gelaufen sind, war überall etwas los. Uns sind Leute entgegen gekommen. Wir haben Stimmen gehört. Und jetzt? Gar nichts.“
Merlin starrte mich beeindruckt an. Arthur war sich seiner Sache nicht mehr so sicher und hielt das Schwert wieder vor sich, während er durch die Tür in den Gang trat. Ich folgte ihm, lauschte auf jedes noch so kleine Geräusch und sah mich laufend in alle möglichen Richtungen an. Ich hatte Angst. Natürlich. Vor allem, weil das, was wir suchten, auf keinen Fall menschlich war. Entweder es war ein Monster, oder – und das wäre noch viel schlimmer – es war ein Zauberer. Ein todesmütiger Zauberer. Ich wollte beiden Varianten nicht über den Weg laufen, wenn ich ehrlich war. Mir blieb nur leider nichts anderes übrig, denn wenn es sich tatsächlich um etwas magisches handelte, dann kam Arthur mit seinem Schwert nicht sehr weit. Merlin schien ähnlich zu denken wie ich, denn auch er folgte Arthur nach draußen.
Eine halbe Stunde lang irrten wir durch die Gänge, mit dem Ergebnis, nichts gefunden zu haben. Doch überall in Camelot schien es so seltsam still zu sein … Ganz seltsam! Ich beharrte darauf, dass hier irgendwas nicht stimmte, doch Arthur ließ sich diesmal nicht mehr aus der Ruhe bringen. Er schickte mich in mein Zimmer, das gleich neben seinem lag, und meinte, ich sollte schlafen. Natürlich nickte ich, ich konnte dem Prinz ja nicht widersprechen. Das wäre unhöflich.
Also begab ich mich in mein Zimmer und setzte mich dort auf das Bett. Ich war noch immer verwirrt … War dies nun ein Traum? Oder war das wirklich passiert? Ich konnte mir keinen Reim daraus machen. Ich meine, ich hatte mir Camelot nie wirklich so vorgestellt, wie es war. Also konnte das ja nicht mein Traum sein, oder?
Ich wusste auf die Fragen keine Antwort, nahm mir aber vor, bald danach zu suchen.
Trotz dem Chaos, was in meinem Gehirn momentan herrschte, legte ich mich ins Bett und schlief auch schon bald darauf ein. Zurück nach Hogwarts ….
Freitag
Es war ein Tag vor dem Weihnachtsball. Das Gute: Ich musste nicht in den Unterricht. Das Schlechte: Ich durfte den ganzen Tag mit Duellieren verbringen, was auch nicht ganz so entspannend war, da auf mich ziemlich hohe Erwartungen gesetzt wurden. Ich sollte es bis in die fünfte Klasse nach oben schaffe, so hieß es. Doch ich hatte Angst, dass ich diesen Erwartungen nicht gerecht werden konnte. Vor allem würde Scorpius ja nicht einmal dabei sein, um mich zu unterstützen … Er musste den Unterricht besuchen. Wir hatten einen Tag vorher noch gefragt, ob er nicht ausnahmsweise zuschauen durfte, aber die Lehrer waren erbarmungslos. Ich musste das allein durchstehen.
Gähnend und noch im Halbschlaf betrat ich das Badezimmer, wo ich mich erst einmal unter die Dusche stellte. Dann ging ich vor den Spiegel und machte mir mein Make-Up drauf, ebenfalls Mascara und noch meine hübschen Ohrringe. Bisher hatten mir meine Ohrringe immer Glück gebracht. Als ich fertig war, ging ich mich noch schnell passend zu meinem Make-Up anziehen und schlich mich dann aus dem Zimmer. Lorena durfte noch etwas schlafen und Lucie war nicht mehr da. Sie mussten erst eine halbe Stunde später in der Großen Halle sein.
Im Gemeinschaftsraum befand sich um diese Zeit noch kein Mensch. Niemand stand so früh auf, schon gar nicht an einem Freitag morgen. Freitag hatten die meisten schließlich die erste Stunde frei, wir Erstklässler ebenfalls. Ungewohnt ruhig verlief mein Weg in die Große Halle. Und wie ich erwartet hatte, saßen nur die Schüler dort, die zu diesem Turnier mussten. Und zu meinem Entsetzen gehörte auch Dylan zu diesen Leuten. Panisch setzte ich mich einfach an den Rand des Slytherin-Tisches und begann zu essen.
„Darf ich mich zu dir setzen?“ Ich sah auf. Ich war so konzentriert am Essen gewesen, dass ich gar nicht mitbekommen hatte, dass sich jemand vor mich gestellt hatte. Es war ein älterer Junge, der mich gefragt hatte und nun zu mir herabsah. Er war hübsch – keine Frage – mit seinen fast rot glühenden Augen sah er wirklich auf seine Weise gut aus. Ungewöhnliche Augen, überlegte ich. Ich hatte noch nie jemanden mit roten Augen gesehen …
„Natürlich. Setz dich!“ sagte ich höflich und deutete auf den Platz mir gegenüber.
„Du bist doch die Kleine Erstklässlerin, die unserem Vertrauensschüler den Kopf verdreht hat, oder?“ fragte er belustigt. Ich nickte und wurde augenblicklich rot.
„Wenn man es so nennen kann …“ murmelte ich.
„Ihr seid nicht mehr zusammen, richtig? Was ist passiert, wenn ich fragen darf?“ Etwas an seiner Art verleitete mich dazu, ihm alles zu erzählen. Er schien nett und aufrichtig. Und er schien sich wirklich dafür zu interessieren, was los gewesen war.
„Er kam nicht damit klar, dass ich Geheimnisse vor ihm hatte. Aber ich kann ihm nicht alles über mich erzählen. Ich weiß nicht mal selbst alles!“ beschwerte ich mich. „Er hat mich wirklich dauernd gefragt. Und mir wurde das ganze zu viel, deswegen habe ich Schluss gemacht. Seitdem habe ich kein Wort mehr mit ihm geredet.“ erklärte ich ihm und schaufelte mir einen Löffel Yoghurt in den Mund.
„Er scheint dich wirklich zu mögen. Ihr solltet euch mal aussprechen. Und damit meine ich nicht, dass du ihm alle deine Geheimnisse erzählen sollst. Du musst ihm einfach einen Grund geben, warum du es ihm nicht erzählen kannst.“ riet mir der Junge. Ich kannte noch nicht einmal seinen Namen … Schrecklich. Ich würde ihn nachher mal danach fragen.
„Woher willst du wissen, dass er mich mag? Er hat nicht einmal versucht, mich zu verstehen! Er hat mich immer wieder über meinen Zusammenbruch ausgefragt und das ist etwas, was ich gar nicht abkann. Das nervt. Ich wusste damals selbst nicht, was los war. Mittlerweile weiß ich es, natürlich, aber ich würde es ihm immer noch nicht sagen.“ erklärte ich ihm. Ich wusste nicht, wie viel von meinem Zusammenbruch die Runde gemacht hatte, deswegen sah ich einfach nur dem Jungen in die Augen und versuchte, herauszufinden, wie viel er wusste von alldem.
„Er schaut dich ständig an. Fragt alle möglichen Leute nach dir aus. Das würde er nicht tun, wenn du ihm nicht wichtig wärst. Ich finde einfach, ihr seid ein tolles Paar.“ endete er und biss in sein Brot rein.
„Danke … aber ich glaube nicht, dass wir es noch einmal versuchen werden. Ich bin mir auch gar nicht sicher, dass ich das überhaupt wollen würde.“ Ich schob mir wieder einen Löffel Yoghurt in den Mund. „Weißt du was? Ich erzähl dir gerade alles über meine Gefühle, dabei kenne ich nicht einmal deinen Namen. Also, wie heißt du?“ fragte ich lachend. Er lächelte mich an. Wieso lachte er nicht auch? War das nicht irgendwie witzig?
„Ich bin Reece. Abschlussjahr. Und Moment … du bist Emilia und bist in der ersten Klasse, stimmt's?“ fragte Reece mich augenzwinkernd.
„Klar! Woher weißt du das? Dann bist du der beste Duellant in Slytherin? 7.Klasse ist doch am besten?“ fragte ich neugierig. Ich hatte so viele Fragen. Und er konnte sie mir vermutlich alle beantworten. Vielleicht wusste er auch, ob es so etwas wie Visionen in der Zaubererwelt auch gab …
„Noch steht nicht fest, dass ich wirklich der beste Duellant bin. Ich muss mich ja noch gegen euch alle beweisen.“ lachte er diesmal auch. Das stimmte, obwohl er gegen mich wohl nicht antreten müsste. Ich würde es sowieso nicht bis ganz nach oben schaffen. „Also man hört jede Menge über dich. Zum Beispiel, dass du außergewöhnlich gut bist und um einiges weiter als deine Klassenkameraden. Und du bist einige Tage lang nicht zum Unterricht erschienen, das machte auch die Runde. Aber nein, der Hauslehrer hat mir einiges über dich erzählt.“ beendete er seine Auflistung. Wieso bekam er denn von unserem Hauslehrer Informationen über mich?
„Was hat unser Hauslehrer denn gesagt? Und wieso erzählt er dir überhaupt etwas über mich?“ fragte ich mit hochgezogenen Augenbrauen. Ich meine, ein bisschen Privatsphäre wäre doch nicht schlecht, oder? Wäre schön, wenn nicht immer jeder besser wusste als ich, was ich wann getan hatte. Es war ja immerhin mein Leben! Und das ging nur mich etwas an.
„Nun ja … Ich denke, das wirst du jetzt sehen. Es ist Acht Uhr.“ murmelte Reece und winkte mich mit sich. Dann stellte er sich nach vorne vor den Lehrertisch und wartete, bis ein Professor kam. Flitwick kam, wer auch sonst? Die anderen hatten sich mittlerweile ebenfalls um uns herum versammelt. Professor Flitwick blieb vor uns stehen.
„Guten Morgen!“ sagte er gebührend.
„Morgen.“ murmelte wir Schüler nur gähnend und sahen den Professor an. Manche gelangweilt, ich jedoch mit vollem Elan! Ich würde hier mein Bestes geben! Und ich hoffte, dass ich den Erwartungen stand hielt, schließlich waren diese ziemlich hoch gesetzt.
„Nun. Ich habe das Prinzip ein wenig geändert. Wir machen das ganze Häuserintern. Das bedeutet, dass die Erstklässler zunächst einmal gegen einander antreten, dann die Zweitklässler gegeneinander und so weiter … Wenn von jeder Klasse Häuserintern nur noch jeweils einer der jeweiligen Stufe da ist, treten die Erstklässler gegen die Zweitklässler an, die Drittklässler gegen die Viertklässler und ja … Fangen wir einmal an! Mit welchem Haus soll begonnen werden?“ fragte er durch die Runde. Keiner schien wirklich wild darauf zu sein, anzufangen. Ich ebenfalls nicht … schon gar nicht vor versammelter Mannschaft. Und gegen Lucie … Ich musste zuerst gegen Lucie antreten, das stand fest. Leider. Aber ich war mir sicher, dass ich gegen sie gewinnen könnte.
„Nun, wie wär's mit Gryffindor? Ihr seid doch so mutig, also los. Ihr zwei Erstklässler zuerst. Lily und Fabio, nicht wahr?“ fragte der Professor. Ich war eindeutig dafür, dass Fabio gewinnen sollte. Vielleicht würde Lily dann nicht mehr ganz so eingebildet sein.
Lily trat selbstsicher neben den Professor und Fabio sah deprimiert zu Boden. Ich konnte ihm da keinen Vorwurf machen. Würde ich gegen Lily antreten, wäre ich auch nicht besonders begeistert. Sie war nunmal wirklich gut, das konnte man nicht bestreiten. Trotzdem wollte ich nicht, dass sie gewann!
Dann stellten sich die beiden gegenüber aus und verbeugten sich.
„3...
2 …
1 … 0!“ schrie Flitwick und schon schossen aus beiden Zauberstäben Zauber hinaus. Beide hatten ziemlich schnell gehandelt, doch Lily ein Tick schneller. Sie war es, die Fabio entwaffnete und somit gewann. Sehr zu meinem Bedauern.
Nächste Runde waren die Zweitklässler der Gryffindors. Fredericke gegen ihren Zwilling Fred. Sehr nett, die beiden Zwillinge. Ich schätzte, dass die beiden auch in etwa gleich stark waren, denn beide sahen fast identisch aus, außer dem Geschlecht eben. Aber ansonsten … Man sah ihnen deutlich an, dass sie Zwillinge waren. Fred gewann gegen seine Schwester durch einen Glückstreffer. Die ersten fünf Zauber der beiden hatten beide gleichzeitig gesagt, komischerweise hatten sie sogar jedes Mal denselben wie der jeweils andere benutzt. Dann hatte Fred seine Schwester durchschaut und einen anderen Zauber genommen als sie, was ihm dann letztendlich den Sieg einbrachte. Dies ging bei den Gryffindors mit allen Klassen so weiter, ebenso mit Ravenclaw und Hufflepuff. Slytherin war zum Glück als letztes dran, und darüber war ich wirklich froh. So hatte ich mir nochmal einige Zauber einprägen können. Langsam ging ich nach vorne und stellte mich Lucie gegenüber, die mich mordlustig anschaute. Ich setzte einfach eine nichtssagende Miene auf und konzentrierte mich auf das Duell. Welchen Zauber nahm ich zuerst? Hm … Keinen! Ich wehrte erst einmal ihren Zauber mit Finite ab. Das klang doch mal nach einem guten Plan!
Ich verbeugte mich vor ihr und nahm meinen Zauberstab in eine Hand, die andere streckte ich wie zum Schutz auch aus, als wäre sie mein zweiter Zauberstab. Was ja auch irgendwie so war.
Wieder zählte Flitwick von drei runter … 3 … 2 … 1 …. 0!
„Stupor!“ rief Lucie. Leichter Entwaffnungszauber, den ich mit einem Wisch meines Zauberstabs auslöschte.
„Langlock!“ schrie ich ihr entgegen. Der Zauber traf sie unvorbereitet, denn sie hatte bereits zum nächsten Zauber angesetzt, als mein Fluch sie traf. Auf der Stelle wurde sie ruhig, denn ihre Zunger klebte ihr dank meinem Zauber am Gaumen fest, sodass sie kein Wort mehr sagen konnte. Ich hatte das Duell gewonnen! Siegessicher drehte ich mich zu Flitwick um, der begeistert klatschte.
„Sehr gut, ihr beiden, wirklich sehr gut.“ lobte er uns.
„Das war unfair! Ich dachte immer, man muss gleich nach dem Countdown einen Zauber aussprechen!“ beschwerte sich Lucie, doch das zog bei Flitwick nicht. Er wusste, dass sie es besser gewusst hatte. Deswegen ließ er sie einfach dort stehen und zog mich zu den anderen Gewinnern, wo mittlerweile 4 Erstklässler standen: Lily, Josh, Jared und ich. Nun würden wir gegen die Gewinner der Zweiten Klassen antreten. Dies machten wir aber parallel.
Ich musste gegen Leyla, ein Mädchen aus dem Quidditchteam. Ich mochte sie, sie hatte sich schon oft einfach mit mir unterhalten und war eigentlich immer nett. Doch sie war eben auch verdammt gut. Die beste in ihrem Jahrgang, soweit ich wusste. Doch das war ich auch, nur eben der Ersten Klasse.
Wieder stellte ich mich Leyla gegenüber auf und verbeugte mich. Wir Erstklässler standen alle in einer Reihe, die Zweitklässler in einer anderen Reihe direkt vor uns.
3 … Shit, welchen Zauber sollte ich nehmen? Expelliarmus? Nein, damit rechnete sie bestimmt … Stupor? Nein, zu einfach.
2 … Densaugeo? Vielleicht. Das war jedenfalls ein hilfreicher Zauber, den man nicht so leicht abwehren konnte.
1 … Ich nehm Impedimenta!
0!
„Impedimenta!“ schrie ich und wehrte einen ihrer Flüche ab, indem ich meine Hand ausstreckte. Sie hatte mich mit Densaugeo beschossen. Zum Glück hatte mich der Zauber nicht getroffen. Doch sie hatte meinen Zauber abbekommen und konnte sich deswegen kurzzeitig nicht bewegen.
„Expelliarmus!“ schrie ich ein weiteres Mal und prompt flog ihr Zauberstab aus ihrer Hand. Direkt in meine ausgestreckte Hand hinein. Ich hatte wieder gewonnen. Ich hatte gegen eine Zweitklässlerin gewonnen, die noch dazu Klassenbeste war! Jubelnd ging ich zu Flitwick und stellte mich neben ihn, denn die anderen machen noch alle dabei, sich zu duellieren. Überall flogen Zauber und Flüche umher, so schnell, dass man sie kaum sehen konnte. Lily war, wie es aussah, am Verlieren. Sie lag am Boden, hielt ihren Zauberstab schützend vor sich, doch sie startete keinerlei Gegenwehr mehr. Ihr Gegenüber entwaffnete sie mit Expelliarmus und kam dann ebenfalls zu mir. Lily und Leyla setzten sich auf eine der Bänke an den Tischen und unterhielten sich mit den anderen, die schon ausgeschieden waren. Nur saßen die beiden so weit weg wie nur irgend möglich.
„Nun … wir haben hier weitere vier Gewinner der ersten beiden Klassen … kommen wir zu den Duellen der Dritten und Vierten Klassen. Bitte vortreten.“ sagte Flitwick in seinem gewohnt lässigen Ton.
In Slytherin gewann das Duell Tris, ein Mädchen aus der Vierten. Die aus den anderen Häuser kannte ich alle nicht und ehrlich gesagt war es mir auch ein wenig egal, wer von denen gewinnen würde.
In der nächsten Runde mussten Fünft gegen Sechstklässler antreten. Die Siebten durften sich ausruhen und darauf warten, dass aus den ersten Sechs Klassen endlich der Gewinner hervorging. Dylan gewann in Slytherin, was nicht weiter verwunderlich war.
„Nun … da wir nun alle Klassen durch haben, würde ich vorschlagen, dass die jeweils aus den Häusern vier übrig gebliebenen einfach alle gegeneinander antreten. Slytherin fängt bitte an.“ murmelte Flitwick. Er sah mich kurz herausfordernd an, dann fuhr er fort. „Emilia gegen Tris. Dylan gegen Reece.“ Wir brachten uns in Stellung.
Mein Herz pochte so laut, dass ich glaubte, jeder hier im Raum musste es hören. Ich zitterte ein wenig. 'Konzentriere dich!' sagte ich mir alle zwei Sekunden selbst. Ich holte noch einmal tief Luft, dann ging ich in Kampfstellung. Tris blieb aufrecht stehen, bis der Professor auf Null herunter gezählt hatte.
3 … Shit. Was sollte ich jetzt machen? Welchen Zauber sollte ich nehmen?
2 … Ich hab's! Ich nehme Furunkulus. Der Zauber ist wirklich gut und bisher hatte er immer geholfen. Zwar musste ich noch nie gegen eine Viertklässlerin antreten, aber das würde schon gut gehen …
1 … Oh Gott, war ich nervös! Wieso war ich so nervös? Und wieso zum Teufel führte ich schon Selbstgespräche?
0!
„Furunkulus!“ rief ich, war aber nicht darauf vorbereitet, dass sie schneller war als ich. Sie entwaffnete mich mit dem lahmen Expelliarmus-Zauber. Ich lag am Boden, direkt vor ihr. Doch ich wollte nicht aufgeben. Ich sah mich um. Alle beobachteten mich, wie ich hier am Boden lag. Ja, sie genossen es sogar!
Ich machte meine Augen zu. Bitte, komm schon. Ich atmete noch einmal tief durch, dann sprang ich schnell auf, rannte hinter sie und streckte meinen Arm aus. Sie hatte zwar meinen Zauberstab, aber nicht meine Kraft. „Willst du nicht aufgeben?“ meinte sie arrogant.
„Nein!“ fauchte ich. Dann spürte ich, wie die Magie in meine Fingerspitzen floss, alles fing an zu Kribbeln und dann plötzlich lag Tris vor mir auf dem Boden. Ich hielt beide Zauberstäbe in der Hand. „Und? Willst du nicht lieber aufgeben?“ fragte ich lächelnd. „Hier, fang.“ Ich warf ihr ihren Zauberstab zurück, doch sie war viel zu erschrocken, um sich zu bewegen. Auch die anderen saßen mit offenen Mündern an ihren Tischen. Mir war klar, dass ich mich sozusagen gerade zu erkennen gegeben hatte. Ich meine, nicht jeder kann ohne seinen Zauberstab zaubern, beziehungsweise kenne ich nicht einmal Professoren, die das können. Nun weiß wirklich jeder, dass ich nicht normal bin. Aber das war mir teilweise auch egal. Sollten es doch alle wissen, wer ich bin. Dann würden sie mich vielleicht endlich mal wieder respektieren und nicht die ganze Zeit ignorieren.
„Emilia … hat gewonnen!“ rief mein Zauberkunstprofessor. „Ebenso wie Reece. Dann … geht es weiter mit Emilia gegen Dylan und Reece gegen Tris.“
Oh nein! Ich wusste, dass es irgendwann so kommen musste … aber ich kann mich nicht duellieren. Er ist der bessere von uns beiden und das wissen wir beide, er wird mich total fertig machen. Nun ja … ich musste da jetzt durch. Wenn ich jetzt schon aufgeben würden, stünde ich wie ein Weichei da.
Also brachte ich mich in meine Kampfstellung gegenüber von Dylan und wartete auf das Zeichen vom Professor.
3!
2...
1...
0!
Ich reagierte viel zu langsam. Eben noch war ich damit beschäftigt gewesen, mir zu überlegen, welchen Zauber ich verwendete. Doch dazu kam ich ja gar nicht. Diesmal hatte er schneller auf null gezählt als die letzten Male und so reagierte ich erst viel zu spät. Dylan hatte mir schon einen Fluch entgegen geschossen, den ich zum Glück noch rechtzeitig abblocken konnte. Ich schoss ihm ebenfalls zwei Flüche hintereinander entgegen, wovon er nur den Einen mit seinem Schutzschild, den er sich erschaffen hatte, blocken konnte. Er wurde weit nach hinten geschleudert und der Zauberstab flog ihm aus der Hand. Ich rannte schnell, um den Zauberstab noch vor ihm zu bekommen, doch ich hatte nicht damit gerechnet, dass er bevor er seinen Zauberstab verloren hatte, noch einen Fluch gesprochen hatte. Mitten im Lauf musste ich stehen bleiben, weil ich solche Schmerzen hatte. Überall hatte ich das Gefühl, mich geschnitten zu haben. Und als ich nach unten sah, entdeckte ich jede Menge Blut. Mein Blut. Dylan hatte mich mit Sectumsempra verflucht. Mein ganzer Körper bestand aus vielen Schnitten, die bluteten. Tränen sammelten sich vor Schmerz in meinen Augen und ich ließ mich auf den Boden fallen, weil mir einfach nur noch alles wehtat und ich keine Kraft mehr hatte, mich oben zu halten. Ein letztes Mal schwang ich meinen Zauberstab noch, dann wurde ich bewusstlos. Zum Glück, denn ich konnte die Schmerzen einfach nicht mehr aushalten.
„Wach auf, Emi. Bitte!“ schrie jemand von ganz weit weg. Ich kam so langsam wieder zu Bewusstsein. „Atme!“ schrie ein anderer. Ich spürte keine Schmerzen mehr. Ob ich wohl tot war? Hörte man noch Stimmen, wenn man tot war? Nein, ich denke nicht.
Ich öffnete meine Augen und blickte direkt in das besorgte Gesicht von Scorpius. Als er sah, dass ich wach war, wirkte er unendlich erleichtert. Seine Farbe kehrte zurück in sein Gesicht. Doch nicht nur er sah mich an. Viele Schüler hatten sich um mich versammelt und sahen mich erleichtert an.
„Was ist passiert?“ fragte ich leise. So leise, dass alle Mühe hatten, mich zu verstehen.
„Dylan hat einen verbotenen Fluch benutzt und dich damit beinahe umgebracht. Er hat sich danach schnell aus dem Staub gemacht. Allerdings hast du dieses Duell gewonnen.“ grinste Scor.
„Scor, sie ist nur wegen dir wieder wach!“ schrie ein Junge lachend. Dann ging er und ich sah Scor fragend an. Auch alle anderen Anwesenden grinsten dumm. Was war nur passiert? Scor wurde rot und wandte sich schnell um.
„Bist du okay?“ fragte mich Reece besorgt.
Ich nickte. „Ja, alles okay. Mir geht’s schon wieder super.“
„Kannst du laufen? Flitwick meinte, ich sollte dich ins Krankenzimmer befördern, sobald du wach bist ...“ fragte mich Reece vorsichtig.
„Ich versuchs mal.“ sagte ich und zog mich an der Hand hoch, die Reece mir hinhielt. Ich konnte laufen, wenn auch ein wenig wackelig, aber immerhin.
„Ich bring sie ins Krankenzimmer.“ rief Scor und nahm mich Reece ab. Er stützte mich und ging mit mir aus dem Raum. Alle sahen uns hinterher, ich spürte die Blicke auf mir.
„Was war denn das bitte vorhin?“ fragte ich verwirrt. Ich dachte an die peinliche Situation, in der es hieß, ich sei nur wegen ihm wieder wach. Ich wollte wissen, was passiert war, während ich ohnmächtig gewesen war.
„Was?“ fragte er unschuldig, obwohl er genau wusste, was ich meinte.
„Na, wieso bin ich nur wegen dir wieder wach? Was soll das bedeuten?“ fragte ich und blieb stehen. Ich wollte das jetzt klären, bevor ich wieder für einige Tage im Krankenzimmer landen würde, wo man nie seine Ruhe hatte.
„Ich kann es dir nicht erklären, frag doch die anderen.“ Scor ging ohne auf mich zu achten weiter durch die Gänge und mir blieb nichts anderes übrig, als ihm zu folgen.
„Werde ich machen, das kannst du mir glauben.“ Er nickte nur und schwieg.
Langsam humpelte ich hinter ihm her, bis wir endlich am Krankenzimmer angekommen waren. Dort legte ich mich, ohne auf Madam Pomfrey zu warten, in eines der Betten und machte es mir gemütlich. Scor verschwand ohne sich zu verabschieden und ließ mich allein. Aus Langeweile spielte ich einige Zeit lang mit meinen Haaren, bis Madam Pomfrey den Raum betrat. Als sie mich sah, wirkte sie für kurze Zeit überrascht, fing sich aber gleich darauf wieder.
„Zauberkunst, meine Liebe?“ fragte diese wissend. Ich nickte langsam.
„Wo tut es weh?“ fragte sie.
„Ehm. Eigentlich nirgendwo … Es ist nur so, dass ich wegen einem Zauber, Sectumsempra, ohnmächtig war. Nun ja, alle sagten, ich solle ins Krankenzimmer gehen.“ murmelte ich. Jetzt, wo sie mich direkt nach dem Grund fragte, fiel mir ein, dass ich nicht einmal einen richtigen Grund hatte. Ich meine, mit tat nichts weh oder so. Ich war nur ein wenig schwach auf den Beinen wegen dem Fluch.
„Oh ja.“ murmelte Madam Pomfrey und verschwand in einem kleinen Nebenzimmer. Dort kam sie einige Minuten später wieder mit einem kleinen Fläschchen in der Hand zu mir. Sie füllte ein kleines bisschen von dem Trank in ein Glas, welches sie mir dann in die Hand drückte.
„Trink das, dann geht’s dir sicher gleich besser. Aber ich schlage vor, du bleibst noch für ein paar Stunden hier, nur zur Beobachtung.“
Ich nickte brav und schluckte das eklige Zeug in dem Glas schnell herunter, doch nicht ohne, dass mir schlecht wurde. Ich hatte das Gefühl, jetzt ging es mir anstatt besser, eher schlechter als vorher. Vor allem wegen der Übelkeit jetzt.
„Danke!“ sagte ich lächelnd und gab vor, dass es mir schon viel besser gehen würde. Madam Pomfrey verschwand mit einem Lächeln und dem kleinen Fläschchen wieder in ihrem Hinterzimmer.
Nun lag ich alleine in dem riesigen Krankenzimmer. Eigentlich ja nicht wirklich alleine … Denn wie ich bemerkte, lag noch jemand in einem der hinteren Betten. Wer das war, konnte ich nicht so genau erkennen, aber diese Person bewegte sich auch nicht. Ob sie wohl schlief? Ich wollte sie aber auch nicht wecken und ich wollte auch nicht aufstehen, also beschloss ich einfach, ein wenig über mein Leben nachzudenken. Es gab da noch so einiges, was ich nicht verstand.
Ich hatte ja bei meiner Mutter gelebt – eigentlich ja nicht meine leibliche Mutter, aber sie war immer für mich da gewesen und das schätzte ich an ihr. Nur, wieso hatten mich meine richtigen Eltern nicht behalten? Was war denn gefährlicher, als mich bei einer unausgebildeten Hexe zu lassen? Nichts, genau. Jedenfalls konnte ich mir keinen vernünftigen Grund denken. So viel ich auch darüber nachdachte, ich kam immer auf dasselbe Ergebnis. Nämlich, dass mich meine Eltern nie hätten weggeben sollen!
Ich ließ meinen Kopf auf das Kissen sinken. Ich hatte mich schon vor Wochen aufgegeben. Vor Wochen, als ich das zweite Zeichen bekommen hatte. Ich hatte nicht wirklich viel, wofür es sich noch zu kämpfen lohnt. Die meisten meiner Freunde hatte ich durch eigene Schuld verloren, nur Scor hatte ich noch. Und es ist nur eine Frage der Zeit, wann ich auch ihn nicht mehr habe. Außerdem kann ich ja nicht ewig so weitermachen. Vor mich Hinleben. Ich ging regelmäßig in den Unterricht, unterhielt mich mit anderen Leuten, doch so wirklich glücklich war ich einfach nicht. Vielleicht, weil ich immer im Hinterkopf hatte, dass mich die Zeichen umbringen könnten. Bisher hatten sie keinen bleibenden Schaden hinterlassen, doch die Schmerzen wurden ja immer schlimmer. Und wie viele Zeichen würde ich wohl noch bekommen? Zehn, zwölf? So viele würde ich nicht mehr überstehen.
Langsam wurde ich müde. Ich sah auf die Uhr und stellte fest, dass es schon 23Uhr war. Ich sollte eigentlich schon schlafen, da morgen ja der Weihnachtsball war. Eine halbe Stunde lang versuchte ich dann einzuschlafen, doch immer war ich so mit den Gedanken beschäftigt, dass ich einfach nicht schlafen konnte.
Ich drehte mich in meinem Bett um und schloss meine Augen.
„Wer ist da?“ fragte eine wackelige Stimme. Ich vermutete, dass es die Person war, die ganz hinten im Bett gelegen hatte. Es war auf jeden Fall ein Mädchen.
„Niemand besonderes. Wer bist du?“ erwiderte ich neugierig. Die Stimme erinnerte mich verdammt nach …
„Lily Potter. Wer bist du denn jetzt?“ Verdammt! Ich saß ausgerechnet mit ihr im Krankenzimmer fest. Na, das konnte ja toll werden.
„Emilia.“ Mehr sagte ich nicht und brauchte ich auch nicht zu sagen. Sie wusste genau, wer ich war. Einige Minuten herrschte unangenehme Stille. Dann hörte ich, wie sie ihre Bettdecke auf den Boden schmiss und sich in das Bett neben mir setzte. Ich drehte mich demonstrativ von ihr weg.
„Emilia, es tut mir Leid. Ich meine, ich war ja so eine Bitch! Dass ich dich im Zug aus meinem Abteil geschmissen habe, war ein Fehler.“ erklärte Lily. Ich hörte ihre Reue ganz deutlich heraus.
„Fällt dir früh ein.“ knurrte ich. „Was hat zu der Veränderung geführt?“
„Alle hassen mich. Und ich kann euch sogar alle verstehen! Also will ich mich ändern.“ Das klang aufrichtig. Und überhaupt nicht mehr eingebildet. Wenn ich es mir so recht überlegte, habe ich nie gesehen, dass Lily sich mit jemandem unterhalten hatte. Die meisten hatten einfach von vorherein Sicherheitsabstand genommen.
„Entschuldigung angenommen.“ murmelte ich und drehte mich so, dass ich sie ansehen konnte. Sie sah fertig aus. Genauso wie ich mich fühlte. „Wieso liegst du hier?“
„Kleiner Unfall draußen beim Quidditchspielen. Und was führt dich hierher?“ fragte sie mich lächelnd.
„Vieles. Wirklich vieles. Dylan hat mich heute mit einem Verbotenen Fluch hierher befördert. Nun ja, eigentlich sollte ich ihm ja jetzt dankbar dafür sein.“ lachte ich. Sie fiel mit in mein Lachen ein. Sie konnte ja doch ganz nett sein.
„Dein Ex-Freund, richtig? Ich denke, er wollte sich dafür rächen, dass du mit ihm Schluss gemacht hast.“ erklärte sie mir. „Was ist eigentlich zwischen euch gewesen?“ fragte sie mich neugierig. Sollte ich ihr jetzt eine erfundene Geschichte erzählen? Oder sollte ich die Wahrheit, also alles über meine Zeichen erzählen?
„Weißt du, das Ganze ist etwas kompliziert. Eigentlich war der richtige Grund, warum ich Schluss gemacht habe, der, dass er einfach nicht akzeptieren konnte, wenn ich ihm irgendwas nicht sagen will.“ sagte ich. „Er hat mich dann immer bedrängt und das war mir eben etwas zu viel.“
„Wieso bist du eigentlich in Slytherin? Du bist so nett und ganz und gar nicht wie jeder typische Slytherin.“ meinte Lily. Wow, sie machte mir Komplimente.
„Wie sind denn deiner Meinung nach so die typischen Slytherins?“ fragte ich lachend. Viele hatten uns Slytherins gegenüber immer Vorurteile, was ich eigentlich gar nicht verstehen konnte. Schließlich waren wir alle Menschen und niemand war so wie ein anderer. Man konnte uns nicht miteinander vergleichen.
„Fies, Arrogant, nervig, hinterhältig. Für mich haben die Slytherins eben alle so richtig 'böse' Merkmale. So wie früher Voldemort. Oder Draco Malfoy, den kennst du ja auch.“ sagte Lily. Natürlich kannte ich Draco Malfoy und ich wusste, was er getan hatte, aber war er wirklich ein schlechter Mensch? Wo sein Vater ihn eigentlich nur dazu gezwungen hatte? So wie ich ihn kennen gelernt hatte, war er ja doch ganz nett gewesen. Natürlich, wahrscheinlich war er zu mir so nett, weil er meinen Dad kannte und ich sein Gast war. Zu Scorpius war er nämlich überhaupt nicht nett, wenn man bedenkt, dass er ihn geschlagen hatte. Und diese Vorwürfe, die er Scor immer machte, fand ich auch nicht toll. Jeder hat seine eigenen Erziehung, aber diese Methode fand ich mehr als falsch.
„Oh ja, den kenn ich. Er ist nur zu Gästen nett. Seinen Sohn macht er total fertig. Und seine Vorgeschichte ist ja auch nicht gerade lobenswert.“ erzählte ich, biss mir aber Sekunden später schon auf die Lippe. Das hätte ich eigentlich gar nicht erwähnen dürfen, schließlich war es ja Scor's Sache und nicht meine. Hoffentlich würde Lily nicht weiter nachfragen!
„Mit wem gehst du morgen zum Ball?“ fragte ich neugierig. Vielleicht sollte ich sie das nicht fragen, wo sie mir eben noch gesagt hatte, dass sie sowieso niemand mochte … aber ich war eben neugierig. Es interessierte mich eben einfach.
„Mit meinem Cousin Hugo. Und du?“ fragte sie und lächelte mich an. Sie war wirklich hübsch, wenn sie lächelte. Ihre braunen Haare umrandeten ihr Gesicht perfekt und ihre blauen Augen vollendeten das Ganze.
„Mit Scorpius. Er hat mich gefragt, da sich das mit Dylan ja sowieso erledigt hatte.“ Ich seufzte. „Gibt es hier auch irgendwo Licht?“ fragte ich. So langsam wurde es dunkel draußen und die Sonne schien nicht mehr so in den Raum. Wir saßen also bald im Dunkeln.
„Ja. Da vorne bei Madam Pomfrey.“ Lily zeigte auf eine kleine Tür. Daneben konnte ich schwach ein Fenster erkennen, auf dem tatsächlich eine Art Fackel stand, die aber noch nicht brannte.
Langsam setzte ich mich auf und schwang meine Beine aus dem Bett. Ich war noch immer etwas wackelig auf den Beinen, sodass ich ein wenig taumelte. Doch ich kam unbeschadet an der Lampe an, nahm sie mit beiden Händen und sprach: „Incendio!“ Schon leuchtete die Fackel auf und ich konnte wieder sehen, wohin ich ging. Taumelnd erreichte ich auch mein Bett wieder, stellte die Fackel auf meinen Tisch und legte mich zurück in mein kuschelig warmes Bett. Lily versuchte sich vergeblich, das Lachen zu verkneifen. Ich schüttelte nur grinsend den Kopf und sah sie an.
„Ich glaube, wir sollte so langsam mal schlafen.“ murmelte Lily eine halbe Stunde später, als sie endlich aufhörte zu lachen.
Gähnend nickte ich. „Da stimme ich dir voll und ganz zu!“ lachte ich. Also ging Lily zurück in die Ecke, wo ihr Bett stand und rief mir noch ein 'Gute Nacht' zu, doch ich war schon eingeschlafen, so müde war ich gewesen.
Ich wachte langsam auf. In mein Zimmer fielen warme Sonnenstrahlen durch das Fenster und kitzelten mich auf der Haut. Am liebsten würde ich hier liegen bleiben – in dem schönen warmen Sonnenstrahlen und dem warmen Bett. Doch heute stand Spannenderes an. Ich bekam vielleicht eine Führung von Merlin und durfte mit Arthur und seinen Rittern trainieren. Auf letzteres freute ich mich ganz besonders, doch wichtiger war das Gespräch mit Merlin. Mit meinem Vater. Ich konnte es immer noch nicht fassen, dass Merlin wirklich mein Vater sein sollte. Immerhin lagen zwischen uns Jahrhunderte, wenn nicht sogar Jahrtausende. Aber eins war sicher: Merlin lebte noch.
Heute wollte ich mit ihm reden, ihm klar machen, dass ich sein Sohn war und genau wie er ein Zauberer. Klang das logisch? Nein, eher nicht. Jeder normale Mensch würde schreiend wegrennen, wenn auf einmal ein Mädchen vorbei käme und sich als Tochter ausgibt, noch dazu als Zauberer. Ich hoffte, Merlin würde mir glauben.
Langsam quälte ich mich aus dem Bett und ging auf den Kleiderschrank zu, ehe mir auffiel, dass ich gar nichts zum Anziehen hatte. Doch natürlich hatte Arthur vorgesorgt, denn als ich den Kleiderschrank öffnete, lagen dort viele Kleidungsstücke in meiner Größe drin. Arthur kümmerte sich wirklich um alles. Schnell kramte ich eine schwarze Hose und ein rotes Top aus dem Kleiderschrank. Nicht schön, aber selten. Ich mochte die moderne Kleidung doch lieber. Unschlüssig, wohin ich jetzt gehen sollte, marschierte ich einfach zu Arthurs Gemächern und klopfte dort an die Tür.
„Ah Siana, schon wach?“ Merlin stand vor der Tür, in der Hand Arthurs Schwert und mit der anderen hatte er die Tür geöffnet.
„Natürlich. Was machst du hier?“ fragte ich neugierig und schielte in die Gemächer herein.
„Arthurs Schmutz beseitigen. Rüstung putzen, Schwert scharf machen … Arthur ist gerade nicht hier. Es gibt eine Ratsbesprechung, in der er Anwesend sein muss. Soll ich dich ein wenig durch die Stadt führen?“ fragte er und sah mich auffordernd an.
„Wäre toll.“ lächelte ich ihn an.
„Wie wärs mit heute Abend?“ schlug Merlin vor. „Noch kann ich nicht. Aber Arthur sagte sowieso, ich sollte dich zu ihm schicken, sobald du wach bist.“
„Ja, heute Abend passt gut. Und wo ist Arthur?“ fragte ich und runzelte die Stirn.
„Moment. Ich führ dich zu ihm.“ Er machte die Tür kurz zu und kam eine Minute später schon wieder heraus. Dann ging er einfach in eine Richtung und bedeutete mir, ihm zu folgen. Langsam lief ich ihm hinterher und schaute mich Hin und Wieder mal etwas um. Mir lief es immer noch kalt den Rücken hinunter, wenn ich daran dachte, was gestern passiert war. Als Merlin erschrocken ins Zimmer kam.
„Was war eigentlich gestern los, als du erschrocken ins Zimmer kamst?“ fragte ich und rannte zu ihm, um neben ihm laufen zu können.
„Nichts Bedeutendes. Ich dachte nur, ich hätte etwas gesehen.“ sagte er ausweichend. Doch so leicht gab ich nicht auf.
„Was gesehen? Einen Geist? Ein Monster? Ein Dämon?“ fragte ich drauf los.
„Einen Mann. Er hatte einen weißen Hut auf, sah äußerst alt aus, aber durchaus mächtig. Ein mächtiger Zauberer.“ Ich blieb wie angewurzelt stehen.
„Weißer Hut? Langer, grauer Bart? Lange, weiße Robe?“
Merlin nickte. „Kennst du ihn?“
Dumbledore. Was wollte er hier? Und wie war er hier her gekommen? Woher wusste er, dass ich hier war? Ich musste unbedingt mit ihm sprechen, wenn ich wieder in Hogwarts war.
„Ja. Er ist ein sehr mächtiger, einflussreicher Zauberer. Niemand würde sich freiwillig mit ihm anlegen.“ erklärte ich.
„Woher kennst du denn Zauberer? Es gibt doch kaum noch welche.“ flüsterte Merlin. Wir waren jetzt in einem etwas belebteren Gang angekommen.
„Aus demselben Grund wie du.“ grinste ich.
„Bitte?“ fragte er mich erschrocken. „Ich kenne keine Zauberer!“
„Natürlich kennst du welche. Ich weiß, dass du ein Zauberer bist.“
Diesmal war er es, der wie angewurzelt stehen blieb. Nun ja, was auch nachvollziehbar war, immerhin hatte ich soeben sein Geheimnis gelüftet.
„Woher willst du das wissen?“ fragte er düster, doch es war offensichtlich, dass er sich nur heraus reden wollte. Er wusste ja auch nicht, dass ich seine Tochter war. Dass ich ihn nie verraten würde. Dass ich ganz genauso war wie er.
„Ganz einfach, weil ich auch ein Zauberer bin.“ erklärte ich. „Ich muss dir nachher glaube ich einiges erzählen.“ gab ich zu.
Wir waren dort angekommen, wo Arthur mich erwartete. Ich musste nur noch in den Raum. Merlin ging entgeistert zurück zu seiner Arbeit, während ich an die Tür klopfte und eintrat.
Um einen runden Tisch herum saßen circa zehn Leute. Alle hatten ihren Helm auf ihrem Schoß und sahen angestrengt auf eine Karte, die in der Mitte des Tisches lag. Doch als ich eintrat, waren alle Augen plötzlich auf mich gerichtet. Ich stand im Mittelpunkt der Versammlung, obwohl ich nicht einmal dazugehörte. Niemand sagte etwas, alle sahen mich nur neugierig an. Arthur hatte noch immer nicht verstanden, dass seine Männer ihm gar nicht mehr zu hörten.
Ich räusperte mich. „Ich bin Siana Merrdyn. Arthur hat mich herbestellt.“ Nun sahen die Ritter Arthur erwartungsvoll an.
„Siana, setz dich.“ Arthur deutete auf den Platz neben sich. „Vater, ich möchte dich bitten, sie aufzunehmen.“ Vater!? König Uther war anwesend? Oh nein! Und ich hatte mich gerade so blamiert. Hätte mir jemand gesagt, dass der König anwesend war, wäre ich doch nie zu dieser Versammlung gegangen.
„Aus welchem Grund, Arthur?“ fragte ein Mann Arthur gegenüber. Seine tiefe Stimme unterschied sich deutlich von der hohen Stimme Arthurs.
„Ihr Dorf wurde von einem Zauberer überfallen. Sie hat kein Zuhause. Außerdem ist sie die Tochter eines Ritters.“ Ich konnte gar nicht glauben, dass Arthur mir wirklich half. Ich meine, was hatte er davon, dass er mir half? Bieten konnte ich ihm nicht sehr viel.
„Nun gut, unter einer Bedingung: Sie wird deine Gehilfin.“ Was bitte ist eine Gehilfin? Und was musste ich dann machen? Uther stellte aber wirklich Ansprüche!
„Siana, bist du damit einverstanden, dass du bei uns wohnen darfst, wenn du mich zu allen Turnieren und Aufgaben begleitest?“ Ah, wenns nur das ist! Das konnte ja nicht so schwer sein. Ich dachte schon, ich musste für irgendjemanden Diener spielen …
„Natürlich. Das wäre super! Danke, Sir!“ Ich lächelte Arthur und Uther an und nahm mir vor, Arthur nachher nochmal für seinen Einsatz zu danken.
Dann redeten die Ritter und Arthur noch über einige Außeneinsätze, zu denen sie gehen mussten, um die Sicherheit ihres Landes zu gewährleisten, und vor allem redeten sie aber über die anstehenden Ritterschlägen. Also davon, dass ein normaler Mann zum Ritter geschlagen wird. Ja genau, Mann. Frauen dürfen aus Prinzip kein Ritter werden. Sie müssen sich um das Haus kümmern, um das Essen, die Kinder.
Ich hörte den Rittern nur bedingt zu, denn ich war vielmehr damit beschäftigt, mir einen Reim aus allem zu machen. Schließlich passierte es ja nicht alle Tage, dass man auf einmal in einer anderen Zeit lebt. Vor allem wenn es auch noch die Zeit des eigenen Vaters ist. Merlin würde mir bestimmt sagen können, warum ich hier war. Aber vorher musste ich ihm erst einmal alles erklären. Nun ja, ich hatte letzte Nacht beschlossen, dass ich ihm nicht sagen würde, dass ich seine Tochter war. Das würde ihn nur noch mehr verwirren und durcheinander bringen. Und es durfte ja niemand merken, wer ich wirklich war. Arthur nicht, Uther noch viel weniger. Das, was ich machte, war gefährlich. Aber ich war ja nicht umsonst hier gelandet. Es würde wohl einen Zweck haben, dass ich hier bin.
„Siana, wir trainieren jetzt. Kommst du mit?“ fragte Arthur und riss mich aus meinen Gedanken. Er stand vor mir, hatte ein strenges, aber doch nettes Gesicht aufgesetzt und die Hände in die Hüften gestämmt. Die anderen Ritter waren alle schon weg, nur Arthur und ich waren noch im Raum.
„Natürlich!“ rief ich und sprang auf. Schwertkampf, das wollte ich auf keinen Fall verpassen! Und ich durfte sogar vielleicht mit trainieren! Arthur ging voraus und hielt mir gentlemenlike die Tür auf. Draußen wartete ich, bis Arthur die Tür abgeschlossen hatte und folgte ihm dann zu einer großen Halle.
„Hier ist die Eingangshalle. Für gewöhnlich empfangen wir hier unsere Gäste.“ Welche Gäste er wohl meinte? Adelige, ganz sicher. Vielleicht sogar von anderen Königshäusern? Hoffentlich flog meine Tarnung nicht auf! Natürlich gab es meinen Geburtsort … doch dort war vermutlich alles wie immer. Ich brauchte eben nur einen Grund, warum ich hier war.
„Dort vorne ist der Übungsplatz.“ erzählte er und zeigte auf eine grüne Wiese, als wir aus der riesigen Tür auf den Hof traten. Von hier sah die Wiese gar nicht so groß aus, doch als wir näher herankamen, erkannte ich, dass sich der Übungsplatz über mehrere Fußballfelder erstreckte. Auch eine Arena konnte ich in der Ferne, am Ende des Übungsplatzes erkennen.
„Was macht man dort in der Arena?“ fragte ich neugierig.
„Dort finden immer Schwertkampfturniere statt. Meist mit anderen Königshäusern, aber manchmal auch einfach, um zu sehen, wer im Schloss der beste Kämpfer ist.“ erklärte mir Arthur und ging in Richtung eines großen weißen Zeltes.
„Du gewinnst natürlich immer!“ lachte ich. Natürlich gewann er immer. Er trainierte vermutlich, seit er laufen konnte, während alle anderen erst mit 12 Jahren anfingen. Da war es nur logisch, dass er ihnen immer ein wenig voraus war.
„Ich bin der Sohn des Königs. Es wäre eine Schande, würde ich nicht jedes Turnier gewinnen!“ sagte er leise. „Ich trainiere seit ich denken kann. Es ist manchmal, als bestünde mein ganzes Leben nur aus Kämpfen.“
„Dafür bist du im Kämpfen dann auch bestimmt richtig gut. Ich meine, besser als alle anderen auf jeden Fall.“ sagte ich und versuchte, nicht so schüchtern zu sein. Das fiel mir aber gar nicht mal so einfach, schließlich redete ich hier mit Prinz Arthur!
Ich beobachtete die Ritter, die vor uns unschlüssig herum standen und miteinander plauderten. Sie warteten wohl auf Anweisungen von Arthur. Als wir bei den Rittern angekommen waren, in der Mitte des Übungsplatzes, bedeutete mir Arthur, am Rand stehen zu bleiben, während er selbst in die Mitte des Kreises ging, den die Ritter um ihn gebildet hatten. Leise gab er ihnen verschiedene Anweisungen und ehrlich gesagt, verstand ich kein Wort von dem, was er sagte. Nicht, weil ich ihn nicht hören konnte, sondern weil mir die Worte, die er benutzte, einfach nichts sagten. Ich kannte sie nicht. Nach und nach verließen die Ritter den kleinen Kreis und gingen ihren Anweisungen nach. Als alle Ritter weg waren, kam Arthur zu mir.
„Du willst immer noch mit trainieren? Oder hast du Angst bekommen?“ fragte er mich neckisch.
Ich schüttelte nur den Kopf. „Auf geht’s!“ rief ich freudig aus und nahm mir das Schwert, das Arthur mir hinhielt. Ziemlich schwer, stellte ich fest, als ich das Schwert mit einem Arm hob. Jetzt konnte ich mir auch vorstellen, warum es keine weiblichen Ritter gab. Frauen konnten nicht einmal die Schwerter richtig halten! Die waren viel zu schwer.
„Sind die Schwerter alle so verdammt schwer?“ murmelte ich leise und nahm all meine Kraft, um das Schwert auf Arthur zu richten.
„Du gewöhnst dich dran, glaube mir. Wenn du erst ein paar Stunden damit trainiert hast, merkst du gar nicht mehr, wie schwer es eigentlich ist.“ Das konnte ich mir wirklich vorstellen. Wenn ich das Gefühl hatte, mein Arm würde abfallen, dann war das Schwert wohl wirklich meine kleinste Sorge.
„Ist das scharf?“ Ich zeigte auf die Kante von meinem Schwert. Es sah scharf aus, aber das musste nichts heißen.
„Natürlich. So scharf, dass du mit der Waffe jemanden umbringen könntest.“ erklärte er. „Nimm mal Kampfhaltung ein.“
Ich stellte mich so hin, wie ich mir eine Kampfhaltung eben vorstellte: Schwert auf den Gegner gerichtet, einen Fuß etwas weiter vor als den anderen, trotzdem aber parallel zueinander und etwas in die Hocke gehen. So falsch lag ich mit meiner Stellung offenbar gar nicht, denn er korrigierte mich nicht.
„Gut. Dann zeig mal, was du kannst.“ gab Arthur mir Anweisungen und nahm ebenfalls Kampfhaltung ein. Bei ihm sah das ein wenig anders aus, er beugte sich noch etwas vor, damit er nicht so leicht getroffen werden konnte.
Ich griff ihn improvisiert an. Ich hatte keine Ahnung, was ich da tat, ich ließ mich einfach von meinen Instinkten leiten. So leicht, wie ich Schwertkampf eingeschätzt hatte, war es aber gar nicht. Im Gegenteil. Du musstest ständig auf der Hut sein, aber selber auch angreifen. Du musstest deinen Gegner beobachten, aber auch auf dein Schwert achten. Schwierig, aber machbar.
Noch schlug ich etwas unbeholfen mit meinem Schwert zu, doch Arthur gab mir hin und wieder einige gute Tipps, die ich auch gleich umsetzte. Ich wurde Stunde um Stunde immer besser. Aber ich wurde auch schwächer. Nach circa zwei Stunden konnte ich absolut nichts mehr. Ich war so kaputt, dass ich nicht einmal mehr einen Schlüssel in meiner rechten Hand halten könnte. Und nicht nur das. Auch meine Beine fühlten sich irgendwie taub an.
„Ist alles okay?“ fragte Arthur mich nun zum x-ten Mal.
„Arthur! Du sollst trainieren und nicht mit mir plaudern! Mir geht’s doch gut.“ sagte ich und scheuchte ihn weg. Ja, ich scheuchte ihn weg. Ich war nicht mehr das schüchterne Mädchen, sondern das Mädchen, das immer den Ton angab. Umso mehr Zeit ich mit Arthur verbrachte, umso vertrauter wurde ich mit ihm. Natürlich, er war viele Jahre älter als ich und noch dazu Prinz, aber wenn er alles tat, was ich ihm sagte, war es doch gut. Er widersprach mir nicht. Zumindest bis jetzt nicht.
Ich sah den Rittern noch eine Weile zu, wie sie versuchten, Arthur zu besiegen, doch ich wusste, sie hatten keine Chance. Ich selbst hatte Arthurs Technik gesehen und gespürt und er kämpfte wirklich gut. Kaum vergleichbar mit den Rittern, die auf dem Platz übten.
Bei Sonnenuntergang ging ich zurück ins Schloss. Ich wollte ja noch mit Merlin reden. Das Schloss hatte ich größtenteils eh schon gesehen, also wäre eine Führung gar nicht nötig. Zuerst ging ich zu Arthurs Zimmer, doch da fand ich ihn nicht. Merlin war sozusagen Arthurs Diener, doch wo war er, wenn er gerade keinen Auftrag hatte? Vielleicht zu Hause! Nur, wo war sein Zuhause? Ich fragte den nächstbesten Mensch nach ihm aus.
„Entschuldigung!“ rief ich einem Mann hinterher und rannte zu ihm. „Könnt Ihr mir sagen, wo ich Merlins Gemächer finde?“
„Warum suchst du ihn denn?“ fragte der Mann stirnrunzelnd. Es war ein älterer Herr mit langer roter Robe, über der er einen dunkelblauen Umhang hatte. Er hatte außerdem lange weiße Haare.
„Ich muss mit ihm dringend sprechen. Außerdem hat er mir angeboten, eine Führung durchs Schloss zu geben.“ sagte ich. Gaius hieß der Mann vor mir. Ich kannte ihn aus den Geschichten. In denen wurde er immer genauso beschrieben, wie er jetzt vor mir stand.
„Nun denn, folge mir.“ Genau das tat ich auch. Vor einer Tür mit der Aufschrift Heiler blieben wir stehen und Gaius schloss die Tür auf. Er gab mir ein Zeichen, also ging ich vor Gaius durch die Tür. Drin blieb ich erstmal stehen und wartete darauf, dass Gaius mir sagte, wo ich Merlin finden konnte. Doch eigentlich tat ich das nur aus Höflichkeit, denn ich wusste bereits, dass Merlin im Zimmer über der Treppe war. Ich konnte seine Anwesenheit spüren.
„Die Treppe hinauf.“ meinte Gaius und zeigte auf eine ziemlich zerbrechliche Treppe. Langsam ging ich vorbei an diversen Flaschen und Tischen und Gestellen, die Treppe hinauf. Oben angekommen, öffnete ich vorsichtig die Tür und lugte durch einen kleinen Spalt. Merlin las gerade in einem Buch, von dem ich glaubte, es wäre ein Zauberbuch. Ohne Anzuklopfen betrat ich den Raum und Merlin schrak so zusammen, dass er prompt vom Bett fiel. Das Buch hatte er derweil fallen gelassen. Vorsichtig hob ich das Buch auf und sah auf den Titel. Das große Zauberspruchbuch. Daher hatte mein Dad also die ganzen Zaubersprüche zu seiner Zeit.
„Musstest du mich so erschrecken?“ fragte mich Merlin wütend. Ich nickte nur grinsend und schlug das Buch auf. Schon auf den ersten Blick konnte ich erkennen, dass in diesem Buch mehr als nur Zaubersprüche drinstanden. Auch gefährliche magische Wesen und wie man sie bekämpfen konnte waren dort aufgezeichnet.
„Woher hast du dieses Buch?“ fragte ich ehrfürchtig. Das Buch war verdammt wertvoll. Hier standen Zaubersprüche drin, die kein Mensch in Hogwarts je gehört hatte.
„Von meiner Mutter.“ sprach er. „Du wolltest mit mir reden?“
Ich nickte und legte das Buch vorsichtig zurück auf den Boden, dann setzte ich mich auf Merlins Bett. Merlin sah mich nur fragend an.
„Also ehm … ich weiß gar nicht, wo ich anfangen soll. Also versprichst du mir, niemandem von dem zu erzählen, was ich dir gleich sagen werde?“ fragte ich vorsichtig. Absichern musste ich mich ja. Auch wenn er mich wohl gleich eh für verrückt halten würde.
„Meine ganze Identität ist nur Schein. Ich bin nicht die, für die ich mich ausgebe.“ behauptete ich und sah musterte Merlin. Dieser verzog keine Miene. Scheinbar war er nicht überrascht, das zu hören.
„Das habe ich mir ehrlich gesagt schon gedacht. Obwohl Gaius mich auf die Idee dazu gebracht hatte. Aber wer bist du dann?“ fragte er mich, während er sich neben mich auf das Bett setzte.
Was nun? Sollte ich ihm meinen richtigen Namen sagen? Dann wüsste er wahrscheinlich gleich, wer ich war. Na ja, irgendwann würde er es sowieso erfahren …
„Mein Name ist Emilia Emrys Sheppard.“ erklärte ich ihm. Ja, Emrys war mein zweiter Nachname. Ich hatte ihn nie angegeben oder auch nur erwähnt, weil ich nie gewusst hatte, von wem ich den Nachnamen übernommen hatte. Die Frau, bei der ich gelebt hatte, hieß Sheppard. Und Emrys kam von meinem Dad, weil er so hieß.
Merlin sog scharf die Luft ein. „Emrys, bist du sicher?“
Ich nickte nur stumm und beobachtete ihn.
„Von wo kommst du?“ fragte er mich argwöhnisch.
„Wallington, Großbritannien. In der Nähe von London.“ Ich sah ihn lächelnd an.
„Welches Jahr bist du geboren?“ Seine Stimme war nur noch ein Flüstern. Er begriff so langsam, wer ich wirklich war.
„15. Januar 2008“ Ich grinste ihn bittersüß an. Er sah aus, als hätte er soeben einen Geist gesehen, doch er hatte nur die Wahrheit erfahren. Und ich war mir sicher, er wusste, dass ich seine Tochter war. Auch wenn er es mir nicht glaubte.
„Du bist eine Zeitreisende!“ sagte Merlin beeindruckt, aber auch abgeschreckt. Er hatte wohl nicht damit gerechnet, dass seine Tochter eine Zeitreisende war, was auch immer das bedeutete. Ich meine, klar, ich war gerade im Mittelalter, obwohl ich im 21.Jahrhundert geboren war, aber konnte ich deshalb gleich zeitreisen? Ich dachte die ganze Zeit, das war einfach nur eine Vision.
„Was bedeutet das?“ fragte ich also verwirrt.
„Du kannst zeitreisen. Manchmal ist es dir möglich, in zwei Zeiten gleichzeitig zu leben, was auf Dauer doch sehr kompliziert werden könnte. Andererseits kannst du sozusagen auch die Zeit 'zurückdrehen' um die Gegenwart zu verändern. Du bist sehr mächtig. Und mit dieser Gabe musst du ganz besonders vorsichtig sein.“ Merlin nahm das Buch, das ich vorhin in der Hand hatte und schlug es auf. Er musste gar nicht erst weiter blättern, denn das Buch hatte schon die richtige Seite aufgemacht. 'Zeitreisen' stand als Überschrift auf der Seite. Tatsächlich ähnelte das Beschriebene meiner Situation. Dort stand nämlich, dass es nur ganz selten Zauberer gibt, die diese Gabe besitzen und erlernen konnte man diese Gabe auch nicht. Wie Merlin gesagt hatte, musste ich mit dieser Gabe sehr vorsichtig sein, dass es auch ganz schnell zum Fluch werden konnte. Wieso es zum Fluch werden sollte, wusste ich allerdings nicht und das stand auch nicht in dem Buch.
„Aber hier in dem Buch steht drin, dass man nur freiwillig Zeitreisen kann – wie bin ich dann das erste Mal hier gelandet?“ fragte ich verwirrt. Schließlich konnte ich damals nicht freiwillig hier gewesen sein, ich wusste ja gar nichts von dieser Zeit. Und was hätte ich auch in dieser Zeit gesollt haben? Meinen Vater hatte ich so auf jeden Fall nicht kennen lernen wollen. Eigentlich wollte ich ihn schon in meiner eigenen Zeit treffen, aber das hatte sich ja soeben erledigt.
„Dann wollte wohl irgendwer, dass du in dieser Zeit landest. Du kannst deine Gabe noch nicht kontrollieren, also ist es nicht schwer, dich zu manipulieren.“ Er machte eine kurze Pause. „Wenn du wirklich hier weg willst, musst du dich anstrengen. Du musst es wirklich wollen. Die Versuchung wird sehr groß sein, wieder hier her zu kommen, falls du dich dazu entschließt, nicht mehr zu kommen.“
Ich nickte. Wenn ich also das ganze hier beenden wollte, musste ich stark sein und der Versuchung widerstehen. Nur wie sollte ich das anstellen? Nicht mehr schlafen war auch keine Lösung und ich hatte, wie er sagte, keine Kontrolle darüber, ob ich nun herkomme oder nicht. Es passierte ja einfach, ich konnte nichts dagegen tun. Aber eine Nacht, um nach einer anderen Möglichkeit zu suchen, wach zu bleiben, müsste ja gehen.
„Dann sollte ich mich wohl verabschieden.“ Merlin nickte bloß. Ich bekam einen riesigen Kloß im Hals und konnte kaum noch sprechen.
„Wir sehen uns in der Zukunft, Vater.“ sagte ich schief lächelnd und winkte ihm noch einmal zum Abschied. Alles um mich herum wurde schwächer und undurchsichtig und begann, sich aufzulösen. Mein Vater winkte mir noch zum Abschied, dann war alles weg.
Samstag
Nach dem ich beschlossen hatte, nicht mehr nach Camelot zurückzukehren, hatte ich einfach nur noch traumlos geschlafen, bis ich morgens von den ersten Sonnenstrahlen sanft geweckt wurde. Noch im Halbschlaf strampelte ich meine warme Decke weg und zog mir etwas anderes an. Dann ging ich ins Bad und klatschte mir erst einmal eine Menge Wasser ins Gesicht, um richtig wach zu werden. Ich hatte seit ich Camelot immer in der Nacht besucht hatte, nicht mehr so gut geschlafen. Als ich einigermaßen klar denken konnte und mich auch nicht mehr so müde fühlte, sah ich mich im Spiegel an. Wie sehr ich mich in den letzten paar Monaten doch verändert hatte. Mein Gesicht war nicht mehr so kantig, sondern weiblich rund geworden. Meine Nase war kleiner geworden, obwohl das auch nur eine Täuschung sein könnte. Und meine Augen stachen ganz besonders hervor – eins in einem ganz hellen grün und das andere in einem eher dunklen rot. Feuerrot. Ich war mir ganz sicher, dass ich die Augen noch nicht immer hatte. Vor einigen Monaten waren sie ganz sicher noch grau gewesen. Das grüne Augen fand ich ja auch noch schön … aber diese rote Iris störte mich gewaltig. Damit sah ich aus wie ein Dämon. Zum Glück hatte ich noch Kontaktlinsen, die ich eigentlich schon längst hätte tragen sollen. Vorsichtig machte ich meine Kontaktlinsen in meine Augen und schon hatte ich keine grüne und rote Iris mehr, sondern nur noch zwei blaue. Schönes hellblau, wie ich es mochte.
Als ich mich dann endlich, nach einer knappen Stunde, fertig gemacht hatte, ging ich wieder ins Krankenzimmer ans Fenster. Draußen war herrliches Wetter, was man von einem Wintertag nicht erwartet hätte. Der Schnee glänzte in der Sonne und spiegelte das tolle Wetter wider. Einige Schüler rannten draußen herum und machten eine Schneeballschlacht, doch ich hatte eigentlich keine große Lust, dabei mitzumachen. Ich wollte nur so schnell wie möglich nach unten in die Bibliothek, um nach einer Lösung für mein Problem zu suchen. Auch wenn ich nicht glaubte, fündig zu werden.
Doch zuerst musste ich mir in der Großen Halle etwas zu essen holen, sonst würde ich wohl noch verhungern. Mein Magen protestierte schon seit einer Weile. Also ging ich nach unten in den Gemeinschaftsraum, wo außer einigen 5. und 7. Klässlern, die auf ihre Prüfungen lernten, niemand war. Ich hatte gehofft, Scor hier unten zu treffen, doch wahrscheinlich war er irgendwo im Schloss unterwegs und amüsierte sich. Murrend ging ich in die Große Halle, die um diese Zeit schon wieder recht leer war. Kein Wunder, immerhin gab es in einer Stunde schon wieder Mittagessen. Aber mir war das egal, ich hatte jetzt Hunger.
Auch Lily saß noch am Gryffindor-Tisch und stopfte sich mit Essen voll. Als sie mich sah, kam sie schnell auf mich zugeeilt und umarmte mich. Etwas überrumpelt war ich schon, aber dann drückte ich sie auch fest an mich. Die anderen Schüler schauten uns verwirrt an, aber das war mir egal. Sie ging sogar noch so weit, dass sie sich mit mir zusammen an den Slytherin-Tisch setzte.
„Wie die uns alle anschauen …“ murmelte ich belustigt und nahm ein Bissen von meinem Nutellabrot.
„Sind doch eh alle nur eifersüchtig.“ sagte sie. Ich erkannte die Ironie sofort. „Seit wann hast du eigentlich blaue Augen?“ fragte sie mich abwehrend.
„Seit heute.“ sagte ich kurz angebunden und sah gespannt auf mein Essen. Ich wollte sie nicht anschauen, weil ich sie eigentlich nicht anlügen wollte. Aber wir waren nunmal noch nicht so gut befreundet, dass ich ihr gleich all meine Geheimnisse offenbarte. Das musste sie verstehen.
„Wie hast du das denn gemacht?“ fragte sie erstaunt.
„Ich hatte zufälligerweise noch Kontaktlinsen bei mir, die ich mir heute morgen reingemacht habe.“ murmelte ich. Dann sah ich ihr fragendes Gesicht. Kannte sie etwa keine Kontaktlinsen.
„Was bei Merlins Bart sind Kontaktlinsen?“ fragte sie.
„Merlin hat kein Bart und hatte nie einen.“ sagte ich, ehe mir auffiel, dass ich das eigentlich gar nicht wissen dürfte. Sofort versuchte ich, das ganze zu überspielen. „Kotanktlinsen bekommst du, wenn du keine Brille tragen willst. Kann man sich einfach so in die Augen machen.“
„Woher willst du wissen, ob Merlin einen Bart hatte oder nicht?“ fragte sie mich irritiert. Klasse! Hatte ich ja mal wieder toll hinbekommen.
„Oh … öhm … ehm …“ Panisch suchte ich nach einer guten Erklärung, doch mir fiel beim besten Willen keine ein. Also beließ ich es dabei und starrte weiterhin total interessiert auf mein Essen, nur um Lily nicht anschauen zu müssen.
„Mir kannst du echt alles sagen!“ behauptete sie. Konnte ich das wirklich? Natürlich war sie im Moment ganz nett zu mir, doch wie lange hielt das? Und ich war noch nicht so weit, ihr meine Probleme und Geheimnisse zu erzählen. Das wusste ja noch nicht einmal Scor. Apropos, ich hatte lange nicht mehr mit ihm gesprochen.
„Tut mir Leid, ein anderes Mal vielleicht. Ich muss Scor finden.“ sagte ich. War schon ein bisschen unfair, ihn jetzt als Ausrede zu benutzen, doch was sollte ich sonst tun? Ich wusste nicht mehr weiter, aber die Wahrheit konnte ich ihr auch nicht sagen. Schnell ging ich aus der Großen Halle, doch so leicht ließ sich Lily leider nicht abwimmeln. Sie kam zu meinem Entsetzen hinterher und wollte mir helfen, Scor zu suchen.
„Also gut.“ gab ich mich geschlagen. „Am besten, wir suchen erstmal in der Bibliothek.“ In Gedanken fügte ich noch hinzu: Da wollte ich ja eh jetzt hin. Irgendwie musste ich sie bis oben noch abwimmeln. Sie konnte mir ja schlecht beim Suchen der Lösung helfen, wenn sie nicht einmal wusste, worum es ging. Obwohl … ich hatte eine gute Idee! Ich sagte ihr nur das, was wirklich nötig war, damit sie mitsuchen konnte.
Also gingen wir zusammen nach oben in die Bibliothek und hielten zuerst mal Ausschau nach Scor. Zum Glück fand ich ihn in einer Ecke, wo er gerade seine Hausaufgaben machte.
„Emi, geht’s dir wieder besser?“ fragte er überrascht, als er sah, wie ich auf ihn zukam. Lily lief dicht hinter mir.
„Ja, mir geht’s gut soweit. Machst du Hausaufgaben?“ erwiderte ich. Dieses Gespräch war so richtig steif. Vielleicht lag es daran, dass wir nicht unter uns waren, oder vielleicht lag es auch an unserem Gespräch gestern. Er wollte mir nicht sagen, was er mit mir gemacht hatte, also hatte ich mir vorgenommen, die anderen zu fragen.
„Jaa Zaubertränke. Wir sollen ihm bis nach den Ferien einen Aufsatz über mindestens zehn Seiten über irgendsoeinen dummen Trank geben.“ murmelte er. Oh ja, das musste ich ja auch noch machen. An Hausaufgaben hatte ich in der letzten Zeit wirklich kaum einen Gedanken verloren. „Was machst du denn hier?“ fragte er mich neugierig.
„Ich hatte vor, nach etwas Bestimmtem zu suchen. Lily, hilfst du mir?“ Ich wandte mich zu Lily, die nur kurz nickte und sich dann an einen Tisch weit weg von Scor setzte. Vielleicht, weil sie die Angespanntheit zwischen uns spürte, vielleicht auch nur, weil sie höflich sein wollte.
„Nach was denn? Dann kann ich vielleicht auch helfen. Diese Hausaufgaben machen einen ja verrückt.“ Er sah mir direkt in die Augen. Ich setzte mich zu ihm an den Tisch und sah ihn ebenfalls an.
Ich habe da mal wieder so ein Problem. Das Ganze hat vor drei Tagen ungefähr angefangen. Immer, wenn ich geschlafen habe, bin ich nach Camelot gekommen. Unfreiwillig. Ich habe herausgefunden, dass ich eine Zeitreisende bin. Und ich suche nach einer Möglichkeit, wie ich diesen Reisen entgehen kann. Oder wie ich sie zumindest kontrollieren kann. Tut mir Leid, Scor, ich hätte es dir früher sagen sollen. Unterhaltungen, die niemand mitbekommen sollte, führte ich immer so mit Scor. Das war für uns beide einfacher und noch dazu sicher vor irgendwelchen anderen Leuten. Leider vergaßen wir dabei oft, dass es komisch wirken könnte, wenn der eine eine Frage gestellt hat, und der andere über Gedanken antwortet.
„Hat er dich nicht gerade etwas gefragt, Emi?“ fragte Lily deshalb. Sie wusste ja nicht, was wir wussten.
„Doch und ich habe ihm bereits geantwortet.“ murmelte ich in Gedanken. Ich wollte seine Antwort hören.
Woher weißt du, dass du eine Zeitreisende bist, Emi? Du bist unfreiwillig nach Camelot gekommen – ins Mittelalter? Und dort hast du Merlin getroffen? Hat er dir das Zeitreisen-Zeugs erzählt?
Ich verdrehte die Augen. Wieso konnte er mir nicht einmal glauben? Immer musste er alles hinterfragen, was ich ihm erzählte. Aber irgendwie hatte er ja auch Recht, ich wusste nicht, ob es wahr war, was Merlin mir über das Zeitreisen erzählt hatte. Natürlich hatte ich den Artikel in dem Buch gelesen, aber gab es nicht vielleicht auch eine andere Erklärung für diese Träume von mir?
„Ja, Scor. Er hat mir das erzählt. Und ich habe mir vorgenommen, nicht wieder dort zu landen. Was ist, hilfst du mir nun?“ fragte ich herausfordernd. Mir war nicht klar, dass ich dieses Mal laut gesprochen hatte, deswegen erschreckte mich Lilys Kommentar zu Tode: „Könnt ihr irgendwie Gedankenlesen oder so? Oder redet ihr mittlerweile nur noch über Mimik und Gestik?“
„Lily, es gibt da einiges, was du nicht über mich weißt. Und glaub mir, es ist besser so.“ sagte ich ohne jegliche Regung. Wie damals auf dem Astronomieturm, als Lucie mit mir geredet hatte. Da war ich auch gefühlskalt gewesen und hatte mir nichts anmerken lassen. Innerlich hatte ich gekocht.
„Ich will aber deine Freundin sein!“ widersprach sie mir.
„Bist du ja auch. Aber das heißt nicht, dass ich dir alle meine Geheimnisse anvertrauen muss.“ sagte ich noch immer ziemlich hart. Ich fühlte nichts im Moment. Das war immer so, wenn ich ungeduldig und wütend war.
„Ihm erzählst du alles!“ Lily zeigte auf Scor. Sie hatte Recht, aber das mit ihm war was anderes als mit ihr.
„Ihn kenne ich auch länger als dich. Gib mir Zeit.“ sagte ich. Meine Geduld war am Ende. Ich hatte keine Lust, mit ihr darüber zu diskutieren, wie viel ich wem erzählte. Das war noch immer meine Sache und da ließ ich mir von niemandem reinreden. Damit wandte ich mich von Lily ab und durchsuchte die Bücherregale nach Zeichen von Zeitreisen oder ähnlichem. Scor hatte schon angefangen zu suchen und Lily, die erst noch gezögert hatte, half uns später auch, nachdem ich ihr erklärt hatte, dass wir nach Zeitreisen suchten. Immerhin stellte sie zu diesem Thema keine Fragen mehr, sie hatte wohl eingesehen, dass es nichts brachte, mit einem Sturkopf wie mir zu diskutieren. Doch so lange wir auch suchten, wir fanden nichts. Abends gingen wir total frustriert in unsere Zimmer, um uns fertig zu machen für den Ball. Doch dass Lucie und Lorena ebenfalls in unserem Schlafsaal waren, hatte ich nicht bedacht. Und ich war auch nicht sehr begeistert, auf die beiden zu treffen.
„Hey ihr zwei.“ murmelte ich, als ich das Zimmer betrat, wo sich die beiden gerade umzogen. Wie erwartet antwortete mir keiner der beiden. Wenigstens höflich könnten die beiden ja mal sein!
Lorena und Lucie ignorieren mich hier. Ich hab nicht einmal eine Ahnung, was mit Lorena war. Sie hasst mich offenbar auch.
Lucie zwängte sich gerade in ihr blaues Kleid, während Lorena schon vor dem Spiegel stand und sich die Haare machte. Ihr Kleid war in einem leichten grün und ging ihr nur bis etwa zu den Knien. Außerdem hatte es an den Seiten kleine, glänzende Steinchen und glitzerte ein wenig, wenn Licht auf das Kleid fiel.
„Wow, Lorena. Das Kleid sieht total toll aus!“ sagte ich, bevor ich nachgedacht hatte. Ich sollte mir mal wirklich merken, dass ich vorm Sprechen immer über das nachdenken sollte, was ich sagen wollte. Sonst kam ich noch in Teufelsküche!
„Findest du wirklich?“ fragte sie lächelnd und drehte sich vor dem Spiegel.
„Ja, total. Das Kleid passt perfekt zu dir.“ sagte ich ebenfalls lächelnd. So einfach konnte man Mädchen aus der Reserve locken. Immerhin ignorierte sie mich jetzt nicht mehr. „Was möchtest du mit deinen Haaren machen?“ fragte ich sie neugierig.
„Ganz einfach hochstecken. Was anderes kann ich gar nicht …“ Sie wurde rot und schminkte sich ein wenig im Gesicht.
„Soll ich dir helfen?“ fragte ich freundlich. Irgendwie hatte ich das Gefühl, dass ich ihr ganz leicht helfen konnte. Zwar wusste ich noch nicht ganz genau wie, aber das ließe sich ja schnell ausprobieren. In letzter Zeit entdeckte ich immer mehr Gaben an mir. Nun ja, nicht nur Gaben sondern in gewissermaßen auch Flüche, wie das mit dem Zeitreisen.
„Kannst du das denn?“ fragte sie mich skeptisch. Als ich nickte, meinte sie: „Na gut. Wenn du dir sicher bist, vertraue ich dir einfach mal.“
Ich lächelte sie dankend an und kam auf sie zu. Wie bei so vielen Sachen wusste ich jetzt genau, was ich tun musste. Ich legte einfach meine Hand auf ihre Schulter und schon veränderte sich die Farbe ihrer Haare. Allerdings wurde aus einem schönen braun-Ton ihrer Haare ein hässliches Grün, welches ich schnell wieder in ein braun übergehen ließ. Ihre Haare wurden immer zu dem, was ich gerade im Kopf hatte. Um mich besser konzentrieren zu können, schloss ich meine Augen.
„Wie möchstest du sie haben?“ fragte ich sie leise, ohne meine Hand von ihrer Schulter zu nehmen.
„Probier einfach ein bisschen aus. Ich sag, wenn es gut aussieht.“ meinte sie nur und sah sich im Spiegel an. Auch wenn ich die Augen geschlossen hatte, wusste ich, dass Lucie mich entgeistert ansah. Ihr gefiel nicht, dass ich Lorena auf meine Seite zog. Eigentlich hatte ich das auch gar nicht vor. Ich wollte nur ein bisschen nett zu ihr sein und ich hasste es, von Leuten ignoriert zu werden.
Lorenas Haarfarbe ließ ich so, wie sie war. Das passte gut zu ihr. Ich änderte nur die Länge der Haare und machte Hochsteckfrisuren aus ihrem Pferdeschwanz. Nach einigen verschiedenen Frisuren sagte sie endlich: „Stopp“ und ich hörte auf. Schnell nahm ich meine Hand von ihren Schultern und musterte sie. Sie hatte sich wirklich eine schöne Frisur ausgesucht. Ihre braunen Haare waren in einem Zopf zusammen geflochten. Das ganze wurde dann wie eine normale Frisur hochgesteckt. Es passte einfach perfekt zu ihrem grünen Kleid.
„Perfekt.“ grinste ich sie an. Sie lächelte schüchtern zurück.
„Wie hast du das eigentlich gemacht?“ fragte sie mich auf einmal. Ich wusste es selbst nicht und zuckte nur die Schulter.
„Manchmal kann ich solche Sachen einfach. Ich weiß nicht wieso.“ murmelte ich eher kurz angebunden und packte mein eigenes Kleid aus. Ich hatte es nach Hogsmead sorgfältig ganz oben in meinen Schrank gelegt. Vorsichtig schlüpfte ich in mein rotes Kleid. Es ging mir wie Lorenas Kleid nur bis zu den Knien und passte perfekt zu meinen schwarzen, hochhackigen Schuhen, die ich noch von zu Hause mitgebracht hatte. Auf dem Kleid waren überall kleine Strasssteinchen angebracht, die das Licht reflektierten. An den Schultern oben hatte es außerdem noch kleine Rüschchen, um meinen Hals nicht so lang aussehen zu lassen. Da Lorena fertig war mit ihren Haaren und Lucie noch nicht einmal ihr Kleid richtig anhatte, begab ich mich vor den Spiegel. Meine langen schwarzen Haare fielen mir bis über die Schultern. Da das eigentlich gar nicht so schlecht aussah, beschloss ich, einen Teil so zu lassen. Also ließ ich die eine Hälfte genau so, wie sie war, und die andere ließ ich so aussehen, als ob ich sie abrasiert hätte. Bei mir war das kein großes Ding, schließlich konnte ich meine Haare jederzeit ändern, auch wenn ich nicht wusste, wieso ich dies konnte. Meine Kräfte wurden eben immer ausgeprägter und stärker.
Mein Gesicht schminkte ich kaum, nur die Augen umrandete ich etwas dunkel, um meine blauen Augen zu unterstreichen.
„Lorena, kannst du mal kommen?“ rief ich ins Schlafzimmer nebenan. Sofort kam sie zu mir herüber.
„Meinst du, ich soll meine Kontaktlinsen raus nehmen?“ fragte ich sie.
Sie sah mich erst einmal nur verwirrt an. „Wieso hast du überhaupt Kontaktlinsen?“
„Um meine Augen zu verdecken …“ murmelte ich leise und nahm eines meiner Kontaktlinsen heraus. Als sie sah, welche Farbe meine Iris hatte, erschrak sie. Ich hatte ihr mein rotes Auge gezeigt und auf ihre Reaktion hin machte ich die Kontaktlinse schnell wieder in mein Auge.
„Wieso hast du eine rote Iris?“ fragte sie erschrocken. Es war nicht so, dass sie absichtlich vor mir zurückwich, aber sie machte einige Schritte unbewusst zurück.
„Ich weiß es nicht. So vieles hat sich in den letzten paar Wochen verändert. Kann ich dir vertrauen?“ fragte ich sie. Eigentlich hatte ich das nicht geplant gehabt, aber ich musste jetzt einfach mit jemandem reden. Lily war sicher gerade beschäftigt und Scor sah ich erst nachher wieder. Außerdem musste ich einfach mit einem Mädchen reden.
„Natürlich. Um was geht es denn?“ fragte sie nun deutlich einfühlsamer.
Ich setzte mich auf den Badewannenrand und legte meinen Kopf auf meine Arme.
„Ich veränder mich. Wie du siehst, bin ich ein Metamorphmagus, also jemand, der seine oder die Gestalt anderer ohne Zauberstab verändern kann. Ich bin eine Zeitreisende. Wenn ich Dinge berühre, sehe ich ihre Geschichte so deutlich vor mir, als hätte ich sie selbst erlebt. Ich kann ohne Zauberstab zaubern, ich kann Zaubern, ohne überhaupt einen Zauberspruch laut auszusprechen. Ich bekomme seltsame Zeichen, die ich nicht deuten kann. Ich gehe als Zeitreisende meinen Vater besuchen, obwohl ich es nicht will!“ schluchzte ich. Es waren einfach zu viele Dinge auf einmal, die sich in meinem Leben veränderten. Nichts war mehr wie früher, alles hatte sich verändert. Und im Moment war es mir egal, ob es morgen die ganze Schule wüsste oder eben nicht. Ich wollte keine Veränderungen mehr.
„Das sind ganz schön viele Dinge auf einmal … Wieso passiert das alles mit dir? Weißt du das? Ich meine, das alles ist ja nichts gewöhnliches für einen Zauberer.“ sagte Lorena.
„Ich weiß! Und ich habe keine Ahnung, wie das alles noch enden soll …“ gestand ich noch immer schluchzend. Doch so langsam versiegten meine Tränen wieder. „Hast du ein Taschentuch?“
Sie nickte und holte aus ihrer Tasche eine Packung Taschentücher. Dann setzte sie sich wieder neben mich und sah mir zu, wie ich mir die Tränen um die Augen herum abwischte. Mir ging es jetzt schon wirklich viel besser.
„Danke, Lorena.“ sagte ich und versuchte zu lächeln. Im Spiegel sah das aus wie eine komische Grimasse. Lorena nickte, stand auf und hielt mir eine Hand hin. Ich nahm sie dankend und zog mich daran hoch. Während Lorena zurück in unser Zimmer ging, beschloss ich, einfach noch ein bisschen im Schloss herum zu laufen, um wieder zur Ruhe zu kommen. Ich hatte sowieso nur noch eine gute halbe Stunde, also konnte ich mich auch eigentlich jetzt schon auf den Weg in die Große Halle machen. Scor würde bestimmt sowieso zu früh sein, sodass ich nicht einmal auf ihn warten müsste. Langsam ging ich die Treppen in unserem Gemeinschaftsraum hinunter und sah mich um. Scor konnte ich nirgends entdecken, also musste er entweder noch in seinem Zimmer sein, oder schon unten. Weit und breit war ich die einzige im Gemeinschaftsraum. Vorsichtig hüpfte ich zur Tür und wanderte noch ein wenig im Schloss umher, bevor ich mich auf den Weg zur Großen Halle machte. Sogar in den eher unwichtigen Gängen waren schöne Dekorationen angebracht. Überall hingen Mistelzweige und Kränze und noch vieles mehr an den Wänden. Die Leute in den Bildern waren alle nicht da. Später stellte ich fest, dass sich die Leute in den Bildern alle in einem Bild getroffen hatten, um zusammen Weihnachten zu feiern. Meine Laune hob sich bei den Gedanken an den Weihnachtsball um einiges und so ging ich fast fröhlich zur Großen Halle. Kerzen erhellten den Eingang, wo eigentlich sonst immer Fackeln waren. Scor stand etwas abseits vom Eingang und sah sich um. Als er mich entdeckte, strahlte er und kam auf mich zu.
„Da bist du ja!“ sagte er und umarmte mich. Dann musterte er mich. „Du siehst wunderschön aus, weißt du das?“
„Natürlich. Ich hab mich ja auch extra für dich so schön gemacht!“ grinste ich ihn verführerisch an.
Er lächelte mich glücklich an und sah zum Eingang. „Wollen wir auch reingehen?“ fragte er, drehte sich zu mir und bot mir seinen Arm an.
Ich nickte eifrig und griff nach seinem Arm. Er führte mich in die leuchtende Große Halle, die genau wie der Eingang richtig weihnachtlich geschmückt war. Überall hingen Kerzen, Mistelzweige und Weihnachtskränze. Auf der einen Seite konnte ich eine Bar ausmachen, an der man Trinken holen konnte. Ansonsten waren noch einige Stühle und Tische verteilt und eine riesige Tanzfläche in der Mitte. Auf einer kleinen Tribüne im hintersten Eck der Großen Halle stand eine kleine Band, genannt die „Power Ponys“. Was der Name bedeuten sollte, wusste ich auch nicht. Aber mir war es auch egal. Die Band spielte meistens langsame, eher romantische Lieder, doch manchmal auch etwas rockiges dazwischen. Ich fand die meisten ihrer Lieder gar nicht so schlecht wie man wegen dem Namen vermuten könnte. Die Lehrer hatten es sich entweder ebenfalls tanzend auf der Tanzfläche verteilt, oder aber sie saßen in einer kleinen Ecke neben der Band und unterhielten sich über dies und das. Der Schulleiter warf zur Kontrolle manchmal einen Blick auf seine Horde Schüler, doch das störte wohl die wenigsten.
Scor zog mich zuerst zu der Bar und bestellte uns zwei Butterbier, mit denen wir uns dann an einen gemütlichen Tisch in einer Ecke setzten. „Die Halle ist echt schön.“ staunte ich noch immer.
„Sie haben einen ganzen Tag dafür gebraucht, um alles aufzubauen.“ sagte Scor. „Ich habe teilweise dabei zugeschaut.“
„Schau mal!“ Ich zeigte auf den Eingang. „Lily und Hugo kommen gerade.“
Scor sah zum Eingang und nickte. Lily und Hugo hatten uns anscheinend noch nicht gesehen, denn sie wanderten gleich auf die Tanzfläche.
„Miss Sheppard, würde sie mir die Ehre erweisen und mir einen Tanz schenken?“ fragte Scor und sah mich aufmerksam an.
Ich lachte. „Gerne, Mister Malfoy.“ gab ich zurück und sprang auf die Tanzfläche. Scor kam mir langsam hinterher und nahm mich in den Arm. Ich legte meinen Kopf auf seine Schulter. Zum Glück hatte ich früher einen Tanzkurs von meiner Mutter spendiert bekommen, sodass ich nun auch richtig tanzen konnte. Scor machte das aber auch nicht sehr schlecht.
„Du kannst gut tanzen.“ kicherte ich.
„Bei meinem Dad steht sowas an oberster Stelle. Was für eine Blamage, wenn der eigene Sohn nicht tanzen kann.“ meinte er. Ich nahm meinen Kopf von seinen Schultern und starrte ihn an. Sehr selten, dass er mal von seinem Dad sprach. Ein denkwürdiger Augenblick.
„Wie steht's eigentlich jetzt mit deinem Dad? Hat er auf deinen Brief geantwortet?“ fragte ich ernst.
„Ja. Er schrieb, wenn ich das so sehen würde, wäre ich es nicht wert, sein Sohn genannt zu werden.“ sagte Scor. „Mein Entschluss steht fest. Ich will nichts mehr mit ihm zu tun haben.“
„Ich denke, das ist gut so. Immerhin hat er dich echt mies behandelt.“ stimmte ich ihm zu und blickte direkt in seine Augen. Sie waren so schön …
Ich schloss meine Augen. Ruhig bleiben, Emi! Mein Puls hatte sich mittlerweile verdoppelt und ich dachte, mein Herz würde gleich zerspringen. Schmetterlingen tanzten in meinem Bauch, während ich versuchte, ruhig zu bleiben.
Dann geschah das, was ich am wenigsten erwartet hätte. Ich spürte zwei zarte, liebevolle aber dennoch wilde Lippen auf meinen. Sofort machte ich meine Augen wieder auf und sah in das wunderschöne Gesicht Scor's. Während er mich küsste, verzog ich meinen Mund zu einem Lächeln. Das war das, was ich am wenigsten erwartet hatte, aber am meisten gewollt hatte. Die ganze Zeit hatte ich es mir gewünscht. Viel zu schnell ließ Scor wieder von mir ab und tanzte weiter, als wäre nichts passiert. Er grinste wie ein Honigkuchenpferd. So ähnlich musste ich wohl auch gerade aussehen. Glücklich gab ich ihm noch einen kleinen Kuss und lehnte meinen Kopf dann an seine Brust. So tanzten wir ewig weiter.
Die Umgebung blendeten wir beide einfach aus. Auf dieser Welt gab es nur Scor und mich, niemanden sonst. Wir waren sozusagen im Siebten Himmel, wie es so schön immer heißt.
Den ganzen Abend lang tanzten wir eng umschlungen und tranken Alkohol, welchen wir uns einfach bei älteren Mitschülern klauten.
„Ich … muss kurz raus. Willst du mitkommen?“ fragte ich und grinste dümmlich. Jeder, der mich jetzt sehen würde, würde denken, ich wäre ein Vollidiot.
Scor nickte, nahm meine Hand und zusammen verließen wir die Große Halle. Als wir in die frische, kühle Winterluft kamen, musste ich erst einmal husten. In der Großen Halle war es so stickig gewesen, dass frische Luft wirklich gut tat.
„Wie geht’s dir?“ fragte mich Scor und sah mich stirnrunzelnd an.
„Mir geht’s...“ ich hustete wieder. „ …. super!“ Mein Verstand war ein wenig benebelt, aber ich war noch nicht richtig betrunken. So viel Alkohol hatte ich auch gar nicht getrunken. Scor sah das aber offenbar anders, denn er zog mich schnell auf eine Bank, wo ich mich auch gleich fallen ließ. Ich wusste nicht wieso, aber ich fühlte mich plötzlich unendlich schlapp. Als würden meine Beine jeden Moment nachgeben.
„Was hast du?“ fragte Scor alamiert, als ich mein Gesicht verzog. Ein stechender Schmerz hatte sich in meiner rechten Leiste gebildet, der aber so schnell versiegte, wie er auch gekommen war.
„Nichts … Es hat nur etwas wehgetan. Ich weiß nicht, wieso.“ murmelte ich und kuschelte mich an ihm an. Ich legte meinen Kopf auf seine Brust und zog meine Beine zu mir an.
„Sind wir jetzt eigentlich ein Paar oder so?“ fragte ich grinsend, um das Thema so schnell wie möglich zu wechseln.
Scor lächelte mich an. „Wenn du willst!“
Ich grinste noch breiter und gab ihm einen langen, zärtlichen Kuss. Natürlich wollte ich mit ihm zusammen sein!
„Ich muss dir noch etwas erzählen …“ sagte ich vorsichtig. Eine ganz wichtige Tatsache hatte ich nämlich nicht einmal ihm erzählt. Wahrscheinlich ahnte er es schon, trotzdem wollte ich es ihm persönlich sagen.
„Was denn, Emi?“ fragte er nervös. Er hatte wohl Angst, dass jetzt gleich irgendwas ganz schlimmes kam, doch eigentlich war dem nicht so.
„Ich weiß, warum alles passiert. Ich meine, ich weiß, warum ich die Zeichen alle bekomme. Immer in verschiedenen Abständen. Ich weiß, warum ich in Camelot war. Ich weiß, warum Merlin mich damals vor dem Tod gerettet hat.“ erklärte ich. „Ich bin die Tochter von Merlin. So passt alles zusammen.“
„Die … Tochter von Merlin? Wie kann das sein?“ fragte er erschrocken. „Ich habe mir alle Aufzeichnungen über Merlin angesehen, die es in der Bibliothek zu finden gibt. Nirgends stand irgendwas davon, dass Merlin jemals ein Kind gezeugt hätte. Warum sollte er das dann jetzt machen?“
„Ich weiß es nicht. Merlin wollte, dass ich nach Camelot komme! Er hat dafür gesorgt, dass ich erfahre, was ich kann! Er hat mein Leben gerettet. Ich bin mächtiger als je ein anderer Zauberer es war, obwohl ich erst 11 Jahre alt bin!“ sagte ich mit Nachdruck. „Alles deutet darauf hin, dass Merlin mein Vater ist!“
„Du hast ja Recht. Irgendwie. Trotzdem finde ich das Ganze etwas komisch. Wozu zum Beispiel bekommst du die Zeichen? Was bringt dir das, außer Schmerzen? Und warum hat Merlin dich gerade jetzt gezeugt?“
„Er hat mich gezeugt, weil er mich braucht. Er ist alt, verstehst du? Er wird gejagt, genau wie ich. Doch seine Kräfte werden schwächer, während meine stärker werden. Und wenn er es nicht mehr gegen das Böse aufnehmen kann, wer macht es dann?“ Ich ließ eine kurze Pause, um ihn überlegen zu lassen. „Ich.“
„Das ist doch Wahnsinn! Du bist 11 Jahre alt, wie sollst du da denn gegen das Böse kämpfen? Das kannst du doch gar nicht! Und das werde ich auch nicht zulassen. Das würde deinen sicheren Tod bedeuten.“ maulte Scor.
„Es ist wirklich süß von dir, dass du mich beschützen willst … Aber wir wissen beide, dass das nicht nötig ist. Ich bin mächtig und ich weiß genau, zu was ich fähig bin. Mich kriegt keiner so schnell klein, kennst mich doch.“ Ich zwinkerte ihm zu und lächelte ihn an, doch seine Miene war emotionslos. Vermutlich war er zu geschockt, um irgendwas zu sagen oder zu denken. Er würde mich nicht freiwillig gehen lassen. Doch es war meine Aufgabe, der Nachfolger Merlins zu werden und ich hatte nicht vor, meinen Vater einfach so zu enttäuschen. Ich würde es zumindest versuchen, egal wie es enden würde.
Scor saß wie versteinert da und rührte sich kein bisschen. Ich machte mir langsam Sorgen um ihn. Er hatte erst seine Familie verloren, bald würde er auch mich verlieren. Spätestens nach diesem ersten Jahr in Hogwarts würde ich mich auf die Suche nach meinem Vater machen. Ich spürte einfach, dass ich genau das tun musste. Dass genau das richtig war. Alles andere war falsch und das musste Scor einfach akzeptieren.
„Bitte Scor. Ich muss das einfach tun. Es geht hier immerhin nicht nur um mich, sondern um alle Zauberer auf der Welt! Das ist meine Bestimmung!“
Meine Bestimmung.
Ich hatte meinen Platz in der Welt gefunden.
Und der war nicht in Hogwarts. Sondern bei meinem Vater.
Ich musste das Gleichgewicht zwischen Gut und Böse halten, das war meine Aufgabe als Merlins Nachfolger.
„Ich weiß, Emi. Aber es ist so schwer. Ich will dich nicht noch einmal verlieren, wo ich dich doch gerade erst wieder habe!“ motzte Scor deprimiert. Ihn schien das mehr mitzunehmen wie mich. Ich war zumindest noch halbwegs ruhig, auch wenn ich schon anfing zu zittern, was aber eindeutig an der Kälte lag. Langsam fror ich und fing immer mehr an zu zittern.
„Ich verstehe das … Aber ich muss das machen. Du wirst mich auch noch nicht verlieren. Noch nicht.“ beruhigte ich ihn. Ich versuchte es zumindest. Es fiel mir selbst nicht ganz so leicht in der Situation ruhig zu bleiben, doch irgendwie musste ich ihn ja beruhigen. Immerhin war heute ja eigentlich Weihnachtsball. Da sollten alle glücklich sein und nicht traurig und ängstlich. Außerdem konnte ich ihn nicht so deprimiert sehen. Ich musste etwas dagegen tun.
„Am Ende des Jahres werde ich gehen. Bis dahin bleibe ich bei dir. Versprochen!“ meinte ich und hielt ihm meine Hand hin. „Indianerehrenwort!“
Er nickte langsam und nahm meine Hand in seine. Lange Zeit saßen wir einfach nur so da, er spielte mit meinen Fingern und ich sah ihm dabei zu. Wieso konnte es nicht immer so bleiben? Es wäre so schön. Richtig schön.
Doch leider machte uns das Wetter einen Strick durch die Rechnung. Als wäre es nicht schon kalt genug, fing es auch noch an zu schneien. Ich bin ehrlich, ich war nicht gerade ein Fan von Schnee. Er war einfach viel zu kalt, nass und brachte sowieso nichts außer weiße Landschaften.
„Wir sollten wieder reingehen. Sonst sind wir morgen womöglich noch beide krank.“ sagte ich und stellte mich ungeduldig vor ihn hin. Er richtete sich auf und Hand in Hand marschierten wir zurück in die Große Halle. Im Schloss war es angenehm warm, wenn auch ein wenig stickig. Sofort begannen wir beide wieder eng umschlungen zu tanzen.
„Wenn es nur ewig so bleiben könnte …“ murmelte Scor.
„Ja, es wäre wirklich schön. Aber jeder weiß, dass das Leben nicht immer schön ist, auch wenn man es gerne so hätte. Vor allem ich weiß das …“ sagte ich eher zu mir selbst als an Scor gerichtet. Dann legte ich meinen Kopf auf seine Brust und ließ mich von ihm führen.
„Du hast viel durch gemacht, aber trotzdem bist du immer stark geblieben. Ich bewunder dich dafür, weißt du? Deswegen liebe ich dich. Weil du einzigartig bist.“ Darauf war ich nun wirklich nicht gefasst gewesen. Perplex starrte ich ihn an, was ihm ein Lächeln aufs Gesicht zauberte. Sonst war Scor immer der Typ, der seine Gefühle um jeden Preis versteckte. Wieso auf einmal nicht mehr?
„Was ist denn mit dir passiert?“ fragte ich staunend. Ich fand es wirklich klasse, dass er mir gerade seine Gefühle gestanden hatte. Dennoch war es etwas ganz neues, ihn so kennen zu lernen.
„Nichts. Aber ich habe mir vorhin vorgenommen, dir auf keinen Fall etwas zu verheimlichen.“ sagte er, als wäre es das normalste auf der Welt. Aber das war es nicht. Und gerade deswegen fand ich es toll, dass er sich das vorgenommen hatte. Es bewies, dass ich ihm wichtig war. Sehr wichtig.
„Mir bleibt nichts anderes übrig als weiter zu machen. Das bin ich meinem Vater schuldig … Auch wenn es mir nicht gefällt, ist es meine Pflicht, dies zu tun.“ sagte ich leise. „Ich hoffe, du verzeihst mir das irgendwann.“
„Ich habe es dir jetzt schon verziehen.“ Er streichelte meine Wange und strich mir eine Strähne aus dem Gesicht.
„Ich liebe dich!“ hauchte ich und gab ihm einen Kuss. „Ich dich auch!“ Scor lächelte mich an und es war das schönste auf der Welt, einfach nur mit ihm zusammen zu sein. Nichts konnte besser sein. Kein Gefühl der Welt konnte so intensiv sein. Und am wichtigsten: Nichts konnte diesen Moment kaputt machen. Ich würde den heutigen Tag nie vergessen. Es war der schönste Tag meines noch kurzen Lebens.
In den nächsten paar Stunden tanzten, redeten und lachten wir sehr viel zusammen. Und so kam es, dass wir um Ein Uhr morgens noch mit einigen anderen Paaren zusammen aus der Halle gingen, da der Ball offiziel vorbei war. Was die Lehrer jedoch nicht wussten, war, dass die Slytherins, die noch mit uns in der Großen Halle gewesen waren bis gerade, eine eigenen inoffizielle Party im Gemeinschaftsraum geplant hatten. Also ging die Party gleich weiter, nur mit anderer Musik. Ich freute mich, vor allem, weil wir dann nur unter Slytherins waren und keine nervigen Hufflepuffs und besserwisserischen Ravenclaws anwesend waren. Ja, ich hatte starke Vorurteile gegenüber den anderen Häusern.
Hand in Hand gingen Scor und ich mit den anderen zu unserem Gemeinschaftsraum, wo die Party schon in vollem Gange war. Alkohol wurde ausgeschüttet von einigen älteren Schülern, während sich die Jüngeren mit dem Tanzen vergnügten. Einige wenige saßen in einer dunklen Ecke und lernten. Leider hatte ich nicht bedacht, dass Dylan und Lucie ebenfalls Slytherins waren. Und so erschrak ich ziemlich heftig, als ich Dylan am Alkoholstand ausschenken und Lucie auf einem Sessel etwas abseits sitzen sah. Scor merkte dies natürlich und zog mich gleich in die entgegen gesetzte Richtung, um mich auf andere Gedanken zu bringen.
„Scor, bitte sei jetzt nicht sauer auf mich, aber das wollte ich schon die ganzen letzten Tage machen.“ Damit verschwand ich in der Menge und ließ einen verdutzten Scor zurück. Ich spürte seine Blicke in meinem Rücken und auch die anderer Schüler. Doch ich ließ mich nicht beirren, ich hatte noch eine Rechnung mit ihm zu begleichen. Zielstrebig lief ich auf den Alkoholstand zu. Dylan, der sich gerade umgedreht hatte, bemerkte zum Glück nicht, dass ich mich derweil hinter ihn gestellt hatte. Einige Schüler warfen mir verstohlene Blicke zu, doch es war mir egal.
Ich piekte ihm in den Rücken, ganz leicht nur. Und wie ich gehofft hatte, drehte er sich zu mir um. Ich holte einmal ganz weit aus mit meiner Hand. Dann hörte ich, wie meine Hand in sein Gesicht knallte. Alle sahen mich erschrocken an. Das hatte mir wohl niemand zugetraut.
Dylan hielt sich eine Hand auf das entsetzte Gesicht. Seine Nase blutete und ich wusste, dass sie gebrochen war. Außerdem war sein Auge ein wenig blau angeschwollen, doch es war mir egal.
„Das war dafür, dass du mich fast umgebracht hast.“ zischte ich und drehte mich um. Dylan griff wütend nach meiner Hand und hielt mich zurück. Ich ließ es zu und blieb freiwillig stehen, drehte mich jedoch nicht um. Ich suchte die Menge nach Scor ab und fand ihn etwas weiter hinten an die Wand gelehnt. Steif und angespannt war die Miene von ihm.
„Niemand legt sich mit mir an.“ sagte Dylan laut. Er hörte die Wut in seiner Stimme nur zu deutlich.
„Wie du siehst, ist diese Annahme falsch.“ giftete ich. „Und jetzt nimm deine bescheuerten Pfoten von mir.“ Gereizt zog ich an meinem Arm, doch er ließ nicht los. Wenn ich noch weiter hier stand und er mich aufregte, würde ich gleich die Beherrschung verlieren. Und das durfte nicht – nicht vor all diesen Menschen. Und ganz bestimmt nicht wegen einem Idioten wie Dylan.
„So leicht kommst du mir nicht davon. Niemand stellt mich so vor meinen Mitschülern bloß!“ zischte er leise in mein Ohr. Laut sagte er: „Was willst du tun, wenn ich dich nicht los lasse?“
„Sowas nennt sich Vertrauensschüler! Du bist so ein Arschloch, weißt du das? Peinlich, dass ich auf dich reingefallen bin.“ sagte ich und brachte eine Spur Ironie in meine Stimme. Ich wollte, dass das ganze lächerlich wirkte. Ich wollte ihn lächerlich machen.
Langsam zog er seinen Zauberstab aus seiner Jacke und zielte auf mich.
„Überleg dir das gut, willst du das wirklich?“ fragte ich ihn. Ein zweites Mal würde ich mich ganz sicher nicht von ihm entwaffnen lassen. Ich war vorbereitet. Mir war klar gewesen, dass er so reagieren würde.
Was bitte hast du vor!? Willst du dich umbringen? Scor. Es war das erste Mal seit langem, dass er mir wieder auf diese Weise antwortete. Vielleicht, weil er wissen wollte, ob ich einen Plan habe, oder ob er eingreifen soll.
Nein. Er wird es nicht wagen. Und wenn schon – er kann mir rein gar nichts, Scor.
„Natürlich. Aber du sicher nicht.“ Er stieß mich von sich weg, offenbar glaubte er, ich brauchte meinen Zauberstab um mich zu verteidigen. „Fairer Kampf!“
Nur weil du einmal dem Tod entkommen bist, heißt das nicht, dass du unsterblich bist. Außerdem bist du betrunken.
„Gut. Fang an. Ich lass dir einen kleinen Vorsprung.“ sagte ich hilfsbereit. Natürlich war ich mir sicher, dass ich gewinnen würde. Er war noch mehr betrunken als ich. Er brauchte einen Zauberstab – ich nicht. Ich war die Tochter des Merlin. Dies war die erste Aufgabe meines Lebens. Die erste Prüfung, da war ich mir ganz sicher. Ich musste kämpfen.
Er aber auch! Scor, ich bin die Tochter des Merlin! Ich kann nicht sterben, das würde er gar nicht zulassen. Und ich bin überzeugt, dass dies meine erste Prüfung ist, die ich bestehen soll.
„Du hast keine Ahnung, wie es dir nachher gehen wird.“ lachte er. „Expelliarmus.“ rief er, doch sein Zauber prallte an mir ab.
Er machte große Augen. Doch er versuchte es immer und immer wieder mit dem gleichen Zauber. Es fing wirklich an, Spaß zu machen, die ganze Zeit seine einfachen Zauber abzuwehren. Doch irgendwann musste ich den Spaß ja beenden. Ich streckte also meine Hand aus, rief mir 'Expelliarmus' ins Gedächtnis und entwaffnete ihn gekonnt. Geschickt fing ich dann seinen Zauberstab auf.
„Große Töne, und nichts dahinter, was? Sechste Klasse und du kannst nichts außer einem durchschnittlichen Expelliarmus-Zauber? Wirklich? Ich hätte mehr erwartet. Am besten, du verpisst dich einfach und lässt alle Anwesenden in Ruhe.“ zischte ich laut. Dann drehte ich mich um, warf Dylan seinen Zauberstab hin und ging zu Scorpius. Dieser jedoch sprang plötzlich hinter mich und stöhnte laut auf. Als ich mich blitzschnell umgedreht hatte, lag Scor auf dem Boden, blutend. Überall war Blut.
Nein! Scor, nein! Bleib bei mir!
Tränen bahnten sich den Weg nach unten. Durch den Tränenschleier hindurch sah ich nichts als Blut. Und ich konnte nichts machen.
Vorsichtig kniete ich mich vor Scor, ließ meinen Tränen freien Lauf und nahm seine Hand. Augenblicklich wurde ich wieder hibbelig, mir wurde warm ums Herz und ich merkte, wie mir Kraft entzogen wurde. Verwirrt wischte ich die Tränen ab und starrte auf den Boden, wo vorher noch Blut gewesen war. Nichts war mehr zu sehen.
„Danke, Emi.“ brachte Scor noch raus, dann wurde er ohnmächtig. Erleichtert atmete ich auf. Scor ging es gut, er musste nur seine Kraft wieder erlangen. Alle anderen standen mittlerweile um uns beide herum und hatten alles mitbekommen. Sie hatten nicht das kleinste Detail übersehen.
„Wer bist du?“ kam von weiter hinten aus der Menge. Es war Dylans wütende Stimme. Langsam erhob ich mich und ging durch die Menge auf ihn zu. Die meisten hatten nun Angst vor mir und machten freiwillig Platz, andere schubste ich sanft zur Seite.
„Ich bin die Tochter des Merlin. Geboren am 31. Mai 2007. Meine Aufgabe ist es, die Welt von Bösen zu befreien und die Bösen wehrlos zu machen. Und niemand, nicht einmal du, Dylan Brack, hast das Recht, meinen Seelenverwandten zu verletzen!“ Ich hörte die Worte wie aus weiter ferne, wusste aber, dass sie von mir kamen. Doch nicht ich sprach, sondern jemand anderes durch meinen Mund. „Ich hoffe, das war euch allen eine Lehre!“
Ich schüttelte mich. Dieser jemand, der gerade durch mich gesprochen hatte, sollte endlich aus meinem Kopf gehen.
Nachdem ich nun wieder selbst denken konnte, rannte ich zurück zu Scor, hievte ihn hoch und brachte ihn nach oben in seinen Schlafsaal. Eigentlich durfte ich dort nicht hinein, aber es war ein Notfall.
Ich hatte es versaut … Beziehungsweise derjenige, der durch mich gesprochen hatte, hatte es für mich versaut. Ich konnte ganz sicher nicht länger hier in Hogwarts bleiben, auch wenn ich wollte. Nun wusste jeder, wer ich war. Es war zu riskant, nun hier zu bleiben. Ich musste endgültig meinen Vater suchen, auch wenn das hieß, dass ich Scor verlassen musste. Wenn er mich wirklich finden wollte, würde er es können. Ich würde ihm den Weg weisen. Dennoch sollte er es wenigstens allein versuchen. Ein letztes Mal nahm ich seine Hand in meine und drückte sie ganz fest. Dann setzte ich mich an den Schreibtisch und nahm Feder, Tinte und Pergament zur Hand. Einen Brief musste ich ihm auf jeden Fall hinterlassen.
Scor, wenn du das liest, bin ich schon weg. Ich musste aufgrund der Umstände Hogwarts verlassen. Ja, ich habe es versaut. Aber eigentlich konnte ich nichts dafür … Jemand hat durch mich gesprochen, ich weiß nicht wer. Aber dieser jemand will wohl auf keinen Fall, dass ich weiterhin in Hogwarts bleibe. Für mich ist es jetzt zu gefährlich hier – aber ich möchte, dass wenigstens du die Chance hast, hier zu bleiben. Lass die anderen reden. Mach dir nichts draus! Ich hoffe, Lily wird für dich da sein. Sag ihr, dass ich sie mag und dass sie so bleiben soll, wie sie ist.
Nun zu mir: Die anderen werden dir die Geschichte spätestens morgen sowieso erzählen, also verplemper ich jetzt keine Zeit mehr damit. Ich werde dir Zeichen legen, falls du mich suchen solltest. Nicht sehr offensichtlich, aber ich bin sicher, du wirst mich finden, wenn du wirklich willst. Ich gehe jetzt erst einmal meinen Vater suchen, dort bin ich für einige Zeit in Sicherheit. Und dann muss ich mal weiter sehen. Nach Hogwarts komme ich aber nicht mehr, das wäre zu gefährlich.
Wenn wir uns noch einmal sehen, verzeih mir das alles bitte. Das ganze war nicht so geplant und es ist einfach alles schief gelaufen heute, was hätte schief gehen können.
Ich liebe dich, das muss ich dir noch sagen. Wir sind Seelenverwandte, weißt du? Deswegen die Verbindung in unserem Kopf, das Gedankenlesen. Schon allein deswegen wirst du mich jederzeit finden können.
Ende. Mehr fiel mir im Moment einfach nicht ein. Tröstende Wort gab es keine. Nicht in dieser Situation. Ich fühlte mich auch mehr als schlecht, dass ich das hier wirklich tat. Aber mir blieb nichts anderes übrig. Wenn der Verfolger meiner Eltern mitbekommt, dass Merlins Tochter frei in Hogwarts herum läuft, werde ich nicht mehr lange leben. Also musste ich mich eben selbst beschützen. Indem ich meinen Vater suche und ihn um Rat fragen werden.
Dazu kam es jedoch gar nicht erst mehr, denn ich wurde plötzlich von hinten gepackt und weggezogen. Den Brief schmiss ich schnell noch zu Scor, damit er ihn finden würde, und schon war ich nicht mehr in Hogwarts. Nein, wir befanden uns in einem schwarzen Etwas, was sich seltsam anfühlte. Davon wurde mir wirklich schlecht, obwohl das ja sonst eigentlich nie der Fall war. Wir drehten uns leicht, bogen immer mal um einige Ecken wie ein Fahrstuhl oder flogen einfach nur nach unten oder nach oben. Das war wohl Apparieren. Ich war noch nie appariert, deswegen war ich mir nicht ganz sicher.
Doch schon nach wenigen Sekunden, kurz bevor ich mich hätte übergeben müssen, standen wir auf einer langen und breiten Wiese. Genau genommen war hier nichts anderes zu sehen als Wiese. Keine Straße, keine Häuser, nicht einmal kleine Hügel. Die Sonne brannte auf meiner kahlen Haut. Ich hatte keine Jacke mitgenommen, was ich jetzt schon bereute. Jetzt stand ich hier, auf Top und Jeans, auf einer gottverlassenene Wiese mit einem fremden Zauberer. Apropos …
Schnell drehte ich mich um und ging ein paar Schritte rückwärts, weg von dem Mann.
Der Mann vor mir hatte einen kleinen dunklen Bart am Kinn. Er hatte jedoch lange, dunkle Haare, die ihm bis zur Schulter gingen. Anders als die meisten Zauberer trug er weder eine Robe noch einen Zauberstab bei sich. Er hatte einfach nur eine schwarze Jeans und ein Hemd an, welches einfach offen war. So konnte man seinen durchtrainierten Oberkörper sehen. Ich schätzte ihn so auf Anfang 30 Jahre ein, da er noch nicht sehr alt wirkte.
„Wer sind Sie?“ fragte ich drohend und machte weitere Schritte rückwärts. Anlegen wollte ich mich mit ihm sicherlich nicht, denn ich hatte nicht das Gefühl, dass ich eine große Chance gegen ihn haben würde.
„Rate doch mal!“ Er grinste. Doch es war kein nettes Grinsen, sondern eines, weil er dachte, er hätte gewonnen.
„Der Verfolger meiner Eltern?“ tippte ich und sah ihn wütend an.
Er nickte langsam und kam bedrohlich auf mich zu. Weil ich nicht wollte, dass er mir noch näher kam, blieb ich einfach stehen, wo ich war und sah ihn durchdringend an. Auch er blieb stehen.
„Wobei – wieso deine Eltern? Deine Mutter lebt doch schon gar nicht mehr.“ sagte er belustigt. Ich fand das kein bisschen witzig, sondern eher ziemlich komisch und beängstigend.
„Wie jetzt? Wollen Sie mich verarschen?“ fragte ich argwöhnisch. Dumbledore sagte ganz sicher, dass er meine beiden Eltern verfolgte und nicht nur meinen Vater.
„Nein, sicher nicht. Ich bin todernst, wie du sehen kannst.“ rief er von seinem Standpunkt einige Meter von mir entfernt. „Deine Mutter ist am 31.Oktober 1981 gestorben.“
„Dann haben die mich alle belogen! Wer weiß, was noch falsch war, von dem, was die mir erzählt haben …“ murmelte ich mehr zu mir selbst.
„Ja, so sind Erwachsene. Wollen einen immer schützen und letztenendes machen sie dadurch doch alles nur schlimmer.“ erwiderte der Fremde belanglos.
„Als wären Sie nicht erwachsen.“ zischte ich.
„Oh, natürlich bin ich nicht erwachsen. Ich bin nur wenige Jahre älter als du. 6, um genau zu sein.“ sagte er bitter lächelnd. Ihm gefiel es, mich in die Irre zu führen, doch mir war das egal. Ich wollte nur Klarheit und wer wusste mehr über meinen Vater, als sein Verfolger selbst?
„Wieso wollen Sie meinen Vater denn eigentlich finden?“ fragte ich neugierig. Mittlerweile machte er mir keine so große Angst mehr. Er war ja offensichtlich nicht viel älter als ich, auch wenn er so aussah, also beherrschte er auch nicht so viel besser die Magie als ich.
„Nun, er hat etwas, was meinem Vater gehörte. Ich will den Stein, der einen unsterblich macht. Er hat ihn mir gestohlen!“ rief der Fremde. Ich wusste noch immer nicht seinen Namen.
Aber wenn es wahr war, was der Typ erzählte, dann war mein Vater nicht besser als Dylan und einige andere.
„Und wieso haben Sie dann mich geholt?“ fragte ich ihn. Mich brauchte er dazu ja gar nicht. Ich half ihm bei seinem Problem ja auch nichts.
„Als Druckmittel.“ behauptete er.
„Ganz ehrlich, mein Dad ist Merlin. Durch mich werden sie bei ihm nichts erreichen. Er braucht mich nicht, auch wenn ich sein Erbe werden sollte. Er kann genauso gut noch 11 weitere Jahre auf einen Erben warten. Ich kann Ihnen nicht bei Ihrem Problem helfen, so gern ich es auch tun würde.“ erklärte ich. Der Mann schien kurz nachzudenken, dann nickte er.
„Eigentlich hast du Recht … Aber irgendwie muss ich mein Eigentum wieder bekommen! Und an ihn selbst komm ich ja nicht einmal ran! In all den Jahren, in denen ich nach ihm gesucht habe, habe ich ihn nicht gefunden.“
„Stimmt. Aber da komme ich ins Spiel. Mein Dad braucht mich als Erben, als Nachfolger. Ich persönlich mache mir nichts aus diesem Stein, also könnte ich Sie dort hin führen und Ihnen den Stein geben.“ bot ich an. Ob ich mein Wort wirklich halten würde, wusste ich nicht. Aber ich würde es zumindest versuchen. Es war nicht richtig, dem Fremden das Eigentum zu klauen.
„Einverstanden.“ sagte der Fremde. Ihm schien aufgefallen zu sein, dass es die beste und einzige Möglichkeit war, an den Stein zu kommen. Alleine würde er meinen Vater bestimmt nicht finden, auch wenn er noch so lange suchen würde.
„Wie kommen wir also hier weg? Und wo sind wir überhaupt?“ fragte ich. Solche Landschaften kannte ich gar nicht.
„Wir sind irgendwo in Island. Weit weg von der Zivilisation. Du musst apparieren, nehme ich mal an.“ sagte er. „Du wolltest uns schließlich hinführen.“
Ich nickte. Die Frage war nur, wie man apparierte, aber das konnte ich ihm gegenüber ja nicht erwähnen. Immerhin war ich Merlins Tochter und konnte nicht einmal apparieren, schon etwas peinlich.
Trotzdem nahm ich all meinen Mut zusammen und wagte einen Versuch. Ausprobieren war wohl die einzige Möglichkeit, es zu lernen. Auch wenn ich gehört habe, dass man sich dabei wirklich verletzten konnte …
Ängstlich legte ich meine Hand auf die Schulter des Mannes, während ich tief in Gedanken versunken in meinen Erinnerungen kramte. Ich wollte nur ausprobieren, ob ich es überhaupt schaffte, zu apparieren. Wenn ja, würde ich zu Merlin gehen.
Ich schloss meine Augen und konzentrierte mich stark auf den Bahnhof in London, Kings Cross. Allerdings nicht den normalen Bahnhof, sondern den des Hogwarts-Express.
Mit geschlossenen Augen spürte ich, wie wir wieder in einen Sog gezogen wurden und kurze Zeit später schon wieder festen Boden unter den Füßen hatten.
„Wo sind wir?“ fragte der Fremde stirnrunzelnd. „Merlin ist sicher nicht hier.“
„Ich weiß. Aber … ich wollte ausprobieren, ob ich es überhaupt schaffe zu apparieren. Ich habe es ehrlich gesagt noch nie gemacht.“ erklärte ich ihm.
„Wieso ausgerechnet hier hin?“ fragte er neugierig.
„Hier ist niemand, der uns sehen könnte und das war das erste, was mir einfiel.“ Ich kramte weiter in meinen Gedanken. Doch ich hatte keine Ahnung, wie ich Merlin finden sollte. Wenn nur Scor bei mir wäre … Der hätte bestimmt eine Idee, was ich jetzt machen sollte.
„Denkst du an ihn?“ fragte er. Ich nickte langsam und wandte mein Gesicht von ihm ab. Er sollte nicht all meine Gedanken in meinem Gesicht ablesen können.
„Gut, ich denke, ich werde es mal in einem Wald versuchen, wo meine Mutter und ich früher immer gezeltet haben.“ sagte ich. Er sah mich fragend an. „Frag nicht, ich habe früher nicht bei meiner leiblichen Mutter gelebt.“ erklärte ich ihm kurz und konzentriert mich wieder auf den Wald in meiner Erinnerung. Ich wusste nicht wieso, aber ich war mir sicher, dass ich ihn dort treffen würde. Und wenn nicht, hatte ich keine Idee mehr.
Also apparierten wir kurz darauf wieder in diesen Wald. Er sah noch ganz genau so aus wie vor drei Jahren, als wir zelten waren. Doch ich fand in diesem Wald nicht denjenigen, den ich vermutet hätte. Eigentlich wollte ich Merlin finden. Stattdessen stand dort die Frau, bei der ich so lange gelebt hatte, und schien ungeduldig auf jemanden zu warten.
„Na endlich. Dein Vater erwartet dich schon.“ sagte sie, als sie uns beide bemerkte. Den Mann neben mir ignorierte sie einfach. Langsam lief sie auf mich zu und nahm mich in die Arme. Ja, ich hatte sie auch vermisst.
„Mum …“ schluchzte ich. „Ich habe dich so vermisst!“ Ich kuschelte mich in ihre Arme und einige Minuten lang standen wir einfach nur so da und weinten. Wir waren beide froh, uns wieder zu sehen.
„Du bist mir nicht böse?“ fragte sie erleichtert, als wir Arm in Arm durch den Wald liefen. Sie gab den Weg an und der Fremde und ich folgten ihr.
„Nein! Wieso sollte ich auch? All die Jahre hast du mir das Gefühl gegeben, ich wäre deine Tochter, obwohl ich es nicht war. Du hast für mich gesorgt. Mich aufgemuntert.“ sagte ich. „Du wirst für mich immer meine Mutter bleiben.“
„Danke, mein Schatz. Ich habe dich lieb!“ lächelte sie und drückte mich sanft an sich. Ich nickte, damit sie wusste, dass ich sie auch lieb hatte. Aber ich wollte gerade nicht so gerne reden. Ruhe und Nachdenken war jetzt genau das richtige.
Meine Mutter führte uns quer durch den Wald. Wir liefen auf keinem Weg oder ähnlichem, sondern einfach querfeldein. Nicht, dass ich etwas dagegen hätte, aber ich fand Wege besser. Da verlor ich nicht so schnell die Orientierung wie jetzt. Denn jetzt war ich darauf angewiesen, dass meine Mutter uns führte.
Den Rest des Weges liefen wir alle einfach schweigend durch den Wald. Immer wieder hörte ich Büsche rascheln und Vögel zwitschern. Wie ich das in Hogwarts vermisst hatte!
Auf einmal wurde meine Mutter aber langsamer, bis sie irgendwann nur noch im Schneckentempo voran ging.
„Er will erst einmal nur dich sehen.“ sagte sie zu dem Fremden.
Dieser nickte eingeschüchtert und bahnte sich einen Weg auf die vor uns liegende Lichtung. Lange sah ich ihm noch hinterher, wie er im Sonnenlicht verschwand, bis ich ihn irgendwann nicht mehr sehen konnte, weil die Bäume den Weg versperrten.
„Was will Dad von ihm?“ fragte ich irritiert. Es war nicht üblich, dass man mit seinem Verfolger sprechen wollte, oder doch? Ich jedenfalls würde dann nicht mit meinem Verfolger reden wollen. Aber er wird schon wissen, was er tat.
„Ich weiß es nicht. Aber dein Vater bat mich, ihn zuerst zu ihm zu schicken.“ sagte meine Mutter. „Weißt du, was gleich auf dich zukommt?“
Ich schüttelte den Kopf. „Ich denke, ich werde sein Nachfolger. Aber wie das geht weiß ich nicht …“
Meine Mutter ließ mich gar nicht erst ausreden. „Also zuerst werdet ihr ein bisschen reden. Er wird dir einiges beibringen und wenn du soweit bist, wirst du sein Nachfolger werden. Das ist ganz einfach. Du musst nur einige Zaubersprüche aufsagen, die du vorher auswendig lernst, und schon bist du sein Nachfolger. Allerdings muss dir klar sein, dass er stirbt, sobald du angenommen hast.“
Genau das hatte ich schon befürchtet. Obwohl ich doch nicht einmal wollte, dass er starb … Immerhin brauchte ich ihn doch. Ich wusste doch gar nicht, was genau ich tun sollte. Und dabei konnte nur er mir helfen.
„Was passiert dann mit mir? Kann ich dann normal weiterleben?“ fragte ich vorsichtig.
„Natürlich. Du kannst nach Hogwarts gehen, ganz wie du willst. Allerdings musst du wissen, dass du dann vorsichtig sein musst, damit dich keiner entdeckt. Niemand darf wissen, wer du bist.“ versuchte meine Mutter mir zu helfen.
„Das wird wohl nichts mehr. Alle in Hogwarts wissen, wer ich bin.“ erklärte ich reumütig.
„Nein, mein Schatz.“ Sie küsste mich auf meinen Kopf. „Dumbledore hat dafür gesorgt, dass sich niemand mehr erinnern kann.“
„Wieso hat er das getan? Und wer hat überhaupt durch mich gesprochen? Ich war es nämlich nicht!“ beteuerte ich leise.
„Dein Vater hat durch dich gesprochen. Und Dumbledore ist ein Freund von mir und deinem Vater.“ erzählte sie mir. Warum wussten alle mehr über mein Leben als ich selbst?
„Dumbledore hat wegen mir an seinen Schülern einen Vergessens-Zauber angewandt?“ fragte ich geschockt. Durften Lehrer sowas überhaupt?
„Genau. Und nein, eigentlich ist das nicht erlaubt, aber es musste nunmal sein. Sonst hätte das Ministerium auch noch Wind davon bekommen und das wäre für alle Beteiligten nicht gut gegangen.“ meinte meine Mutter lässig. Anscheinend machte es ihr nichts aus, dass Dumbledore dies getan hatte. Im Gegensatz zu mir. Denn ich fand das gar nicht gut.
„Da kommt er wieder!“ rief ich und musterte den Mann, dessen Namen ich noch immer nicht kannte. Langsam kam er von der Lichtung aus auf uns zugelaufen, ein dickes Grinsen im Gesicht.
„Wie wars?“ fragte ich gleich, als er so nah war, dass er mich hören konnte.
„Ich habe meinen Stein wieder! Er sagte, er brauche ihn nun nicht mehr. Danke, wirklich vielen Dank!“ Er umarmte mich kurz, doch ich war so überrumpelt, dass ich dies erst später erwiderte. „Ich bin dir was schuldig. Ich heiße übrigens Christophe Damur!“ rief er, als er sich wieder von uns entfernte. Er würde wieder gehen. Ich würde ihn also vermutlich nie wieder sehen.
„Du bist dran.“ murmelte meine Mutter. „Viel Glück.“
Sie umarmte mich noch einmal ganz fest, dann schickte sie mich los. Irgendwie hatte ich ein ganz komisches Gefühl im Magen, was ich nicht deuten konnte. Deswegen war ich auch nervös, als ich langsam einen Fuß vor den anderen setzte. Es kam mir vor wie eine Ewigkeit, bis ich endlich auf der Lichtung angekommen war, wo Christoph aus meinem Blickfeld verschwunden war, als er zu meinem Vater gegangen war.
Ich drehte mich noch einmal kurz zu meiner Mutter um, winkte ihr und ging dann weiter.
Man sagt ja, kurz vor seinem Tod erlebt man noch einmal alle schönen Moment des ganzen Lebens. Ähnlich war es bei mir, als ich durch das Gras immer weiter in die Richtung zu meinem Vater schritt. Ich war nervös, vor allem wegen dem komischen Gefühl im Magen. Und auch mein Verstand sagte mir, dass ich umdrehen sollte. Doch ich tat es nicht. Ich lief immer weiter, setzte einen Fuß vor den anderen.
Vor meinem Auge sah ich meine Geburt, wahrscheinlich durch die Augen meines Vaters. Meine leibliche Mutter, eine eigentlich schlanke Frau mit braunen Haaren und einem hübschen Gesicht mit grünen Augen, lag in einem Bett in einem Krankenhaus und hatte offenbar furchtbare Schmerzen, bis sie mich dann in den Armen hielt.
Als nächstes sah ich den Einzug bei der Frau, die mich groß gezogen hatte. Damals war ich fünf Jahre alt gewesen. Ich strahlte über das ganze Gesicht, weil ich bei ihr einziehen durfte. Wo ich davor gelebt hatte, wusste ich schon gar nicht mehr … Eigentlich fiel mir jetzt auf, dass ich vor diesem einen Tag gar keine Erinnerungen mehr hatte. Als hätten diese fünf ersten Jahre meines Lebens nie existiert …
Ich dachte zurück an das, was Christophe über meine Mutter gesagt hatte. Ihr Todestag war der 31. Oktober 1981. Und heute war das Jahr 2019 … und ich war im jahre 2007 geboren worden … das bedeutete also zwangsläufig, dass da irgendwas nicht passte.
Doch gerade als ich darüber nachdachte, legte sich ein kalter Schleier um mich. Ich war so in Gedanken gewesen, dass ich gar nicht gemerkt hatte, dass ich in einen dichten Nebel hineingelaufen war. Und dieser Nebel verschlang mich nun. Ich konnte nicht mehr klar denken, setzte einfach nur einen Fuß vor den anderen ohne Ziel vor Auge. Alle Gedanken waren aus meinem Körper gewichen. Ich entschied mich gerade dazu, umzukehren, als mir plötzlich der Boden unter den Füßen weggezogen wurde …
ENDE :3
Publication Date: 06-24-2014
All Rights Reserved
Dedication:
Also zunächst einmal muss ich sagen, dass die Rechte der Charaktere (außer meiner erfundenen personen) bei J.K. Rowling liegt.
Die Idee und die Texte sind alle frei erfunden und selbst geschrieben!
Nun ... ganz besonders möchte ich meinen Freunden danken, weil die mich immer unterstützt haben :3
Danken möchte ich auch noch mal Annibunny, weil sie mir dieses total coole cover gemacht hat :3