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Advent....

Es war ein ganz gewöhnlicher Mittwochnachmittag, einer der der letzten Tage im November.
An der Hand seiner drei Jahre älteren Schwester Eva begleitete der kleine Bernd seine Mutter wie an jedem Mittwoch zum Einkauf. Sie war diesmal noch eiliger als sonst, und Bernd wurde an seiner kleinen Hand durch alle Gänge zwischen den Regalen gezogen. Gerade wollte er sich bockig mit seinen Füßen gegen den Boden stemmen, da erreichte ihn der Klang einer Stimme, welche erst leise und dann immer lauter werdend nach ihm rief.
„Hallo kleiner Bernd!“ rief die zarte Stimme ihn beim Namen. Erstaunt schaute sich der kleine Junge um, doch er konnte nicht entdecken, woher die Stimme kam. Eva hatte ihn losgelassen und stand abseits vor einem Regal, wohl bereit, sich bei der Mutter über ihn zu beschweren. „Schau mal hierher,“ rief die Stimme ihn wieder. „...ich liege hier unten.


Als Bernd nun seinen Blick zwischen zwei Regalen nach unten gab, schaute er direkt in das lustige Gesicht eines wirklich freundlichen Schokoladenweihnachtsmannes. Achtlos hingelegt auf einem Karton der neben der Tiefkühlkost auf dem Boden stand, balancierte der kleine Körper des Weihnachtsmannes auf dessen Kante.
„Nimm mich mit, sonst falle ich noch runter. Und außerdem ist es doch bald Weihnachten, Bernd.“ Sofort rettete der kleine Junge ihn vor dem Sturz, drückte ihn mit beiden Händen an sein Herz und rief seine Mutter. „Mutti, schau mal ein Schokoladenweihnachtsmann. Er möchte mit zu mir.“
Die Mutter runzelte die Stirn. „Weihnachten ist erst in ein paar Wochen Bernd. Stell ihn zurück.“
Bernd schüttelte den Kopf und der Weihnachtsmann zwinkerte ihm lustig zu. Doch schon hatte ihn die Mutter gegriffen.


„Ooooch!“ Traurig schaute ihm der kleine Junge nach, als er in Mutters Händen durch den nächsten Gang aus seinem Blick verschwand. Als sie zurückkommt hat sie eine Tüte Mehl in der rechten Hand. „Warum darf ich ihn nicht haben? Er kannte mich, er kannte meinen Namen!“
„Ja, ja.“ Die Mutter war bereits wieder mit ihrem Einkaufzettel beschäftigt. Bernd kämpfte mit den Tränen. Eva lachte ihn aus. Sie war bereits neun Jahre alt und tat jedes Mal beim Einkauf sehr verständig.
„Schokoladenweihnachtsmänner können nicht reden Bernd,“ belehrte sie ihn sofort. Bernd schaut sie erstaunt an. „Ja hast du denn nicht auch seine Stimme gehört? Er hat mich doch gerufen.“
Das Lächeln mit dem ihn darauf hin seine Schwester beschenkte, mochte er gar nicht. Es muss schon ein besonderer Schokoladenweihnachtsmann sein, wenn Eva seine Stimme nicht hörte, und Bernds Wunsch ihn zu besitzen wurde übergroß.
Seine Augen wanderten suchend durch die Regale, doch der Schokoladenweihnachtsmann mit der feinen Stimme blieb verschwunden.
Noch an der Kasse hoffte der kleine Junge seine Mutter umzustimmen, damit sie ihm wenigstens sagte, wohin sie den Weihnachtsmann gelegt hatte. Bernd wollte ganz schnell zu ihm laufen, einen letzten Blick auf ihn geben und sich verabschieden. Und leise wollte er ihm noch zuflüstern, dass er sein Bild auf den Wunschzettel malen wird, damit er am Weihnachtstag dann doch noch zu ihm kommen konnte. Denn wie man sich die Weihnachtsgeschenke bestellt, dass wusste er schon lange. Klar konnte er noch nicht schreiben, wie seine Schwester, die immer damit angab, wie toll sie in der Schule ist, aber er konnte viel besser malen als sie.
„Schokoladenweihnachtsmänner können nicht reden.“ Es war wieder die Stimme von Eva, die diese Worte zu ihm sagte, und schon zog ihn die Schwester aus der Tür. Mutter schaute nur kurz zu ihm und war sogleich wieder mit ihren Tüten und Päckchen beschäftigt.

Am Abend lag Klein- Bernd im Bett und seine Sehnsucht war inzwischen grenzenlos. Lange benötigte er an diesem Abend um einzuschlafen. „Nimm mich mit, es ist doch bald Weihnachten, Bernd.“  sagte eine zarte Stimme in seinen Gedanken und begleitete ihn in seine Träume.

Vier Wochen später, es ist Heiligabend.
Die Mutter hält schon den ganzen Tag die Wohnzimmertür verschlossen und auch der Vater gibt seinem Gesicht einen geheimnisvollen Ausdruck, wenn er aus dem Zimmer tritt, und die Tür schnell wieder hinter sich verschließt.
Da schellt es an der Tür. Bernd steht neben seinem Vater, als dieser die Tür öffnet. Vor der Tür steht Frau Lehmann, die Nachbarin.
„Ich habe ein Geschenk für dich, Bernd“ sagt Frau Lehmann lächeln. Auf ihrer Hand, und in der Höhe von Bernds Augen, steht der Schokoladenweihnachtsmann aus dem Supermarkt und lacht ihn an.
„Er hat mir gesagt, dass er dich kennt und das er mit dir Weihnachten feiern möchte“, erzählt Frau Lehmann weiter, und drückt dem glücklichen kleinen Jungen den Weihnachtsmann in die Hand.
„Ja, Weihnachten ist alles möglich“, lacht der Vater und geht zurück in das Wohnzimmer. Eva ist neugierig zur Tür gekommen und sagt kein Wort. Bernd genießt ihre Sprachlosigkeit.
„Siehst du“, sagt er stolz zu seiner Schwester. „Schokoladenweihnachtsmänner können doch reden!“

 

Frau Lehmann wünscht allen ein frohes Fest und verabschiedet sich wieder. Das sie an jenem bewussten Mittwoch auch in dem Supermarkt einkaufen war, wird sie Bernd nie erzählen.

 

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Publication Date: 12-07-2013

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