Cover

Einlieferung

Pfarrer Franz verlässt nachdenklich das Zimmer von Fräulein Maria. Sie wurde auf die Operation vorbereitet. Weil die Ärzte ihr kaum Hoffnung machen konnten, wurde der Pfarrer geholt. Fräulein Maria wollte ihr Leben, ihre Sünden noch beichten, bevor sie sterben würde.

Auf dem Flur vor der OP-Abteilung stritt die Oberschwester mit einem alten und einem jungen Mann herum. Der Pfarrer blieb stehen. Nachdem er die Namen der beiden Männer erfahren hatte, bat er die Schwester um ein leer stehendes Zimmer. Er sagte zur Schwester und zu den Männern, dass Fräulein Maria gebeichtet habe. Sie habe ihm aber erklärt, dass er nicht an das Beichtgeheimnis gehalten sei. Im Gegenteil, Fräulein Maria möchte, dass er ihr Geheimnis an die zwei wichtigsten Personen mitteilen soll. Diese zwei Personen würden nun vor ihm stehen, deshalb möchte er ihr Geheimnis, an dem sie seit Jahren schwer trägt, ihnen mitteilen.

Er ging mit den beiden Männern in das zugewiesene Zimmer, trug der Schwester auf, ihnen mitzuteilen, wenn sie etwas über die OP von Frau Maria wisse. Die Männer liefen unruhig im Zimmer auf und ab. Der Pfarrer setzte sich und beobachtete die Männer.

Der ältere Mann war ein Bauer, wettergegerbte und raue Haut. Aber, vielleicht einmal ein herrischer, arbeitswütiger Bauer, ist er der Trunksucht verfallen. Nachlässig, nein schlampig gekleidet, Hemd halbseitig aus der Hose hängend, rote Nase, verfallende Wangen, zornig bahnte er sich seinen Weg im Zimmer. Der andere junge Mann, ebenfalls wettergewöhnte Haut, noch in Saft und Kraft, nein, kein herrischer Mann, eher früh geduckt worden, aber trotz der leicht gebeugten Haltung noch nicht gebrochen, lief unruhig im Kreis.

Diesen beiden ungleichen Männern sollte nun der Pfarrer eine weitreichende Lebensgeschichte erzählen, eine Geschichte, in der diese Männer einen Platz hatten. Aber wie sollte er beginnen? Wie konnte er sich Gehör verschaffen? Wie würden diese Männer über die Geschichte denken, von der Beide keine Ahnung hatten?

„Nun“, der Pfarrer räusperte sich, „ich soll Ihnen beide etwas von der Lebensgeschichte von Fräulein Maria erzählen. Bevor ich beginne, möchte ich, um den Zusammenhang zu verstehen, Sie bitten, ihre Lebensgeschichte kurz zu erzählen.“

Der alte Bauer fuhr ihn an: „Ich werde Ihnen bestimmt nicht Rede und Antwort stehen. Wissen Sie wer ich bin? Ich habe einen großen Hof und bin Herr über viele Mägde und Knechte. Ich werde mich beim Bischof über Sie beschweren!“ Er lief mit großen Schritten aus dem Zimmer.

 

Der Schafhirte

Der jüngere Mann setzte sich und meinte: „Was wollen Sie mit meiner Lebensgeschichte? Ich habe gar keine. Ich bin Waise, habe ein paar Jahre bei meiner Tante und meinem Onkel gelebt, bin auf den Hof dieses Bauern gekommen als Ziegenhirte. Die Schule habe ich mehr schlecht als recht hinter mich gebracht. Ich meine, ich lese gerne und ich kann auch gut rechnen. Aber als Sohn einer Haushilfe war ich in der Schule nicht besonders angesehen, deshalb blieb ich lieber alleine.

Und seit zwei Jahren bin ich Schafhirte. Ich bin gerne mit Tieren zusammen, aber zum Studieren reicht es bei mir nicht. Deshalb bin ich Schafhirte. Da bin ich mein eigener Herr, brauche niemandem schön tun und umschmeicheln. Im Winter helfe ich gegen Kost und Logis, bei den Bauern aus, welche Arbeit haben. Ich kann etwas mauern und gipsen, Wände anmalen, Tapezieren, Reparieren, Wasserleitungen in den Ställen reparieren, und so weiter. Tja, das ist meine ganze Lebensgeschichte.“

In der Zwischenzeit kam der ältere Bauer wieder wütend herein gestampft. „Sie sagen einem nichts. Ich sei kein Angehöriger!“ wütete er. Zornig durchschritt er wieder das Zimmer.

Pfarrer Franz lächelte dem jüngeren aufmunternd zu. „Was wissen Sie von Ihren Eltern? Erzählen Sie, an was Sie sich erinnern!“

Während der Bauer immer wieder sein „Ha, die werden mich noch kennen lernen“ einwarf, unruhig umher stapfte, erinnerte sich der jüngere zurück. Was wusste er von früher? Langsam und bedächtig fing er an zu erzählen.

„Aufgewachsen bin ich bei meiner Tante und ihrem Mann. Lange habe ich geglaubt, dass ich, ebenso wie meine Geschwister, ein richtiges Kind bin. Ich habe Mama und Papa gesagt. Als ich dann in die Schule kam, klärten mich meine Mitschüler auf, dass meine Mama mich bei meiner jetzigen Mama abgeliefert habe und dann gegangen sei.

Als ich wütend heim gekommen bin, hat meine Tante mir erklärt, dass meine richtige Mama nicht anders handeln konnte. Sie erklärte mir, dass ihre Schwester, also meine richtige Mama im 9. Monat zu ihr gekommen sei. Sie habe ihr gesagt, dass ihr Freund sie verlassen habe. Zuerst wusste sie nicht, was sie jetzt tun solle. Sie habe drei Tage nur geweint.

Aber dann habe sie beschlossen, dass sie in der Stadt eine Stelle als Hauswirtschafterin suchen würde. Dabei konnte sie jedoch leider kein Kind mitnehmen. Sobald es ihr möglich wäre, würde sie ihr Kind abholen. Allerdings wäre es einfacher, wenn das Kind schon etwas selbständiger wäre. Sie würde ihr monatlich etwas überweisen für ihre Mühe und für die Kosten. Der Mann meiner Tante war einverstanden. Nach der Entbindung hat sie sich nach einer Stelle umgesehen. Hin und wieder ist sie gekommen und blieb dann eine Woche.

Meine Mutter hätte immer mit mir schmusen wollen. Ich hätte aber keine Lust dazu gehabt, weil sie immerzu geweint hätte.

Nach drei Jahren habe meine Mutter geschrieben, dass sie eine schwere Krankheit habe und die Ärzte ihr noch ein paar Monate geben. Sie schickte ein Sparbuch mit einem größeren Geldbetrag und verlangte, dass meine Tante und mein Onkel mich an Kindes Statt annehmen sollten.

Das Jugendamt brauchte dafür aber die Unterschriften auf ihren Behörden-Formularen und zwar von dem Vater und der Mutter. Die Briefe, welche sie an die Adresse der Mutter sandten, kamen jedoch ungeöffnet zurück, mit dem Passus, jetzige Anschrift der Frau sei unbekannt.

Nach einigen Nachforschungen wurde meiner Tante mitgeteilt, dass diese Frau, also meine leibliche Mutter, vom Krankenhaus in ein Sterbehaus verlegt worden sei. Dort sei sie jedoch nicht verstorben. Aber mehr konnte meine Tante nicht in Erfahrung bringen. Mein Onkel ist sogar extra zum Sterbehaus gefahren. Aber er hat auch nicht mehr erfahren.

Ich denke aber, dass sie gestorben ist. Früher habe ich oft an sie gedacht. Aber ich kann mich überhaupt nicht an sie erinnern. Seit Tantchen Maria, also die Hauswirtschafterin des Bauers, sich immer so lieb um mich gekümmert hat, habe ich noch seltener an meine Mutter gedacht.

Ich besuche sehr oft meine Tante und mein Onkel für ein paar Tage, vor allem im Winter. Sie sind lieb zu mir, wie richtige Eltern.“

Der alte Bauer warf ein, „Hoffentlich wird meine Wirtschafterin wieder gesund. Sonst Gnade den Ärzten!“

Der Pfarrer wand sich wieder an den jungen Schafhirten. „Was weißt du von deinem Vater?“ Wieder überlegte der junge Mann lange und gewissenhaft. Dann aber schüttelte er den Kopf.

„Nein, ich weiß nichts von ihm. Meine Tante wusste auch nur, dass ihre Schwester erzählt habe, dass er immer gesagt habe, dass er sie heiraten werde. Er müsse nur etwas Geld als Grundstock verdienen. Aber dann sei alles anders gekommen. Er habe eine reiche Frau geheiratet. Nachdem er erfahren habe, dass sie schwanger sei, habe er ihr das Sparbuch gegeben.“

„Und wie bist du auf den Hof vom Bauer gekommen?“ fragte Pfarrer Franz nach.

„Das müsstest Du besser wissen, Bauer!“ sagte der Schafhirte zum alten Bauer. Der war jedoch immer noch so in Rage, dass es eine lange Zeit dauerte, bis er sich wieder erinnerte.

„Ja, also, das war in etwa, so, “ murmelte der Bauer vor sich hin. „Nein, ich denke, es war….“ Er verstummte wieder. „Jetzt wieder. Also so war das. Ist auch schon lange her!“ Das Nachdenken hat den Bauern etwas ruhiger werden lassen. Umständlich setzte er sich hin. Nach einigem Räuspern und Schnaufen kam er mit seiner Erzählung.

„Beim Sonntagsschoppen traf ich seinen Vater, also sein Onkel. Ich dachte damals, dass es sein Vater sei. Also, wir hatten uns schon etwas vergnügt, also wir hatten beide schon zu viel gebechert und wollten heim gehen. Sein Vater, also Onkel, konnte aber nicht mehr mit dem Auto in sein Dorf fahren. Ha, ha. Deshalb torkelten wir zu mir heim.

Mir war das ganz recht. Meine Frau, Gott habe sie selig, war immer in Hochform, wenn ich besoffen heim kam. Wenn aber Gäste zu Besuch waren, dann stellte sie sich immer als Opfer dar. Dann war sie ruhig und ich hatte ebenfalls meine Ruhe. Wir schliefen also unseren Rausch aus. Gegen später ging ich in den Stall um nach dem Rechten zu sehen.

Sein Onkel ist dann auch aufgestanden und hat sich bei meiner Frau tausendmal entschuldigt. Ihm war es sehr peinlich. Meiner Frau hat es sehr gefallen, dass sein Onkel so charmant sich bei ihr für die Unannehmlichkeit entschuldigt hat. Sein Onkel ist auch nicht so ein hinterwäldlerischer Bauer wie ich, sondern Verwalter auf dem Gutshof des Grafen!“

Der Bauer tänzelte herum. Der Pfarrer und der Schafhirte mussten lachen über die Gesten des Bauern.

„Meiner Meinung nach, macht er das Gleiche wie ich, nur als Unselbständiger. Aber meine Frau umschwärmte ihn regelrecht. Allerdings kann und konnte er auch feiner und gewählter sprechen, als ich. Das gebe ich ja zu.“ Der Bauer räusperte und schnaufte einige Male. „Das Geld war aber nicht so locker bei ihm. Er fragte an, ob wir in den Ferien keine tüchtige kleine Arbeitskraft brauchen könnten.“

„Meine Frau war natürlich ganz begeistert. Das Ende vom Lied war, dass er in den Schulferien jeweils ein Mädchen und ein Junge herschicken würde. Sie bekämen von uns Kost und Logis, würden hier arbeiten, nach den Ferien würden wir sie wieder heim schicken.“

Der Bauer schaute den jungen Mann an. „So blieb es einige Jahre. In den großen und in den kleinen Schulferien schickte er immer ein Mädchen und einen Jungen. Irgendwann traf es dann ihn.“ Der Bauer nickte zum jungen Mann hin. „Von ihm war ich begeistert. Er war nach wenigen Tagen bereits zu Hause auf unserem Hof. Er mochte die Tiere, machte bereitwillig jede Arbeit, blieb bei der Arbeit, schwätzte nicht zu viel herum, einfach anständig.“ Der Bauer schnaufte schwer.

„Und mir hat es sehr gut gefallen“, warf der junge Mann ein. „Die Arbeit mit den Tieren war mir eine Freude. Und die Arbeiter haben mir viel gezeigt und ich durfte vieles selbständig erledigen. Das hat mir wesentlich mehr Freude bereitet, als in der Schule alles nach zu kauen, was die Lehrer einem vorgekaut haben.“

Er lachte zum Bauer hin. „Wenn du mich nicht am Schlafittchen gepackt hättest und gedroht, dass ich nicht mehr kommen darf, wenn ich noch eine schlechte Note heim bringe, wäre ich gar nicht mehr zur Schule gegangen.“

Der Bauer grinste in sich hinein. „Ja, ja, die Jungs sind immer gleich. Schon ich bin widerwillig zur Schule gegangen, meine Jungs ebenso. Die Mädchen gehen viel lieber in die Schule. Meinem Mädchen hat die Schule allerdings auch nicht so gefallen. Zu Hause hatte sie ein Prinzessinnen-Leben und in der Schule wurde sie manchmal härter angefasst. Das hat ihr natürlich nicht gefallen. Mir schon.“ Der Bauer lachte laut.

Auch der Schafhirte lachte mit. Beide grinsten sich an. Dann seufzte der alte Bauer laut.

„Na, und dabei blieb es. Der Junge kam regelmäßig zu uns auf den Hof. Hatte er Ferien, blieb er meistens bei uns. Außer er prügelte sich mit meinen Jungs gar zu arg, schickte ihn meine Frau nach Hause. Mein älterer Sohn ist genau so stolz wie meine Tochter. Meine Frau hat sie zu sehr verwöhnt. Ich war deshalb froh, dass er sich von ihm nichts gefallen ließ.

Mein zweiter Sohn ist leider zu nachgiebig. Sieht man jetzt wieder. Immer will er Harmonie erreichen, keinen Streit, lieber schlichten. Na ja, auf jeden Fall war er“ der Bauer nickte zum jungen Mann hin „immer willkommen auf meinem Hof.“

„Mein Onkel wollte, dass wir alle eine weiterführende Schule besuchen, wenn möglich studieren,“ sagte der junge Mann. „Als die Volksschule dem Ende zu ging, bin ich dann verzweifelt zum Bauer,“ erinnerte sich er.

Der Bauer strahlte über das ganze Gesicht. „Er fragte mich, ob ich ihm Asyl gewähren würde. Sein Onkel möchte, dass er in der Stadt weiterhin die Schule besuchen würde. Er werde aber abhauen!“ der Bauer lachte dröhnend.

„Ich habe dann erfahren, dass unser Schafhirte bald in Ruhestand gehen würde. Bin dann zu seinem Onkel und nach langer Diskussion war er einverstanden, dass der Junge in die Landwirtschaftsschule gehen soll. Danach könne er Schafhirte werden.

Natürlich hoffte und hofft sein Onkel, dass er noch gescheiter wird, und dann doch noch weiter zur Schule gehen wird. Aber vorerst ist ihm das Geld des Jungen willkommen. So kann er seine eigene Kinderschar studieren lassen.“

„Das mache ich gerne“, warf der Hirte ein, „meine Fast-Geschwister sind wirklich gescheit. Ich freue mich, dass ein paar schon tolle Berufe studieren. Sie werden bestimmt von sich hören lassen.“ Er setzte sich aufrecht hin und strahlte den Pfarrer an.

Dann glitt ein Schatten über sein Gesicht. Er schaute den Bauer fragend an. „Weiß man noch nichts über Tantchen Maria?“ Der Pfarrer beruhigte. „Sie sind einige Stunden am Operieren. Solange wir nichts hören, ist es ein gutes Zeichen.“

Der Bauer wollte schon wieder aufbrausen. Aber eine Handbewegung des Pfarrers nahm ihm den Mut. Er setzte sich wieder hin. Plötzlich hörten sie im Flur eine herrische Frauenstimme. „Ach je“, murmelte der Bauer, „meine Tochter habe ich ganz vergessen. Sie wollte mich doch wieder heimfahren.“ Umständlich schneuzte er in sein Taschentuch. „Kann ich mit dir heimfahren?“ fragte er den Schafhirten.

„Ich habe kein Auto. Der Alt-Schafhirt hat meine Schafe übernommen und seine Frau hat mich hergefahren. Ich werde mit dem Bus heimfahren, “ antwortete der junge Hirte. „Aber wir können beide mit dem Bus fahren.“ „Gut. Ich möchte sowieso warten, bis Maria wieder aufgewacht ist, falls sie aufwacht, “ nickte der Bauer.

Da öffnete sich die Türe und eine junge Frau rauschte herein. Atemlos sprach sie weiter: „… also diese Schwestern sind unmöglich. Keine weiß etwas, jede muss erst jemanden anderen fragen. Bla Bla Bla. Ach, Papa, da bist du ja endlich. Also komm jetzt, ich habe noch viel zu erledigen. Wir fahren jetzt heim. Du kannst hier nicht nutzlos herum sitzen, zu Hause wartet noch Arbeit. Außerdem können die Schwestern zu Hause anrufen, wenn sich etwas ergibt. Diese müssen auch ihrer Arbeit nach gehen und können sich nicht um dich kümmern. Also auf jetzt. Abmarsch, Vater, “ sie drehte sich um, gewahrte den Pfarrer, „Ach Grüß Gott, Herr Pfarrer. Oh je, steht es so schlecht mit unserer Maria. Das tut mir leid. Oder ist sie schon gestorben?“ Sie drehte sich zu ihrem Papa. „Dann hast du hier ja nichts mehr verloren. Wir können dann gehen. Sie hat bestimmt Angehörige, welche sich um alles kümmern. Jetzt steh endlich auf. Ich habe noch mehr zu tun. Ich kann hier nicht ewig auf dich warten…“

Der Pfarrer stürzte sich in das endlose Gefasel der jungen Frau. „Es tut mir leid. Ich habe mit den Herren noch etwas zu bereden. Wir haben geklärt, dass ihre Männer mit dem Bus heimfahren werden.“ Er reichte ihr die Hand. „Es freut mich, dass wir uns kennen gelernt haben. Ich wünsche Ihnen eine gute Heimfahrt.“ Während seiner Rede wurde die Stimme der jungen Frau immer leiser und zum Schluss schaute sie ihn sprachlos an.

„Sie schmeißen mich hinaus? Also das ist ja unverschämt. Und das von einem Pfarrer! Also ich bin entsetzt. Ich werde mich bei ihrer Direktion beschweren. Da komme ich in friedlicher Absicht, will nur meinen Vater abholen. Und dann werde ich … also ich werde von Ihnen hinaus geschmissen!“ Ihre Stimme wurde immer lauter.

Endlich schaltete sich der alte Bauer ins Gespräch. „Kathi, bitte nimm dich zusammen. Ich werde auf jeden Fall warten, bis Maria wieder aufgewacht ist. Schließlich ist es meine Schuld, dass sie hier um ihr Leben kämpfen muss. Ich habe mal wieder zu viel getrunken. Und sie hat meine Arbeit übernommen und nun liegt sie da.“ Er schlug sich die Hände vor das Gesicht.

Die junge Frau wendete sich an den Schafhirten. „Und du? Sagst ja auch nichts. Mein Vater soll mit mir heim. Was will er hier? Aber klar! Für dich ist die Maria ja dein Ein und Alles. Schließlich wurdest du von ihr auch immer verwöhnt. Na gut. Ich sage ja nichts mehr. Schließlich war die Maria die einzige, welche es geschafft hat, dass mein Vater nicht den ganzen Tag besoffen herum liegt. Vor allem seit meine liebe gute Mutter verstorben ist. Und, ich gebe ja zu, sie hat sich wirklich aufopfernd um meine kranke Mutter gekümmert. Obwohl das nicht so einfach war. Allerdings ist sie dafür eingestellt worden, als Hauswirtschafterin und als Pflege für meine Mutter. Nachdem einige die Arbeit schon hin geschmissen haben. Nichts gewöhnt diese Frauen…“

Der junge Mann stand auf, streckte der Frau seine Hand hin und sagte laut: „Danke für dein Mitleid. Du hast recht, mein Tantchen Maria ist mir, nach meiner Tante und Onkel, das Wichtigste auf der Welt. Ich werde warten, bis ich weiß, ob sie die OP überstanden hat. Und wenn nicht, dann werde ich für die Beerdigung sorgen. Ich weiß, was sie möchte.“

„Und ich, “ warf der Altbauer ein, „werde die Beerdigungskosten bezahlen.“

„Das wirst du nicht“, fauchte die junge Frau. „Du wirst unser Erbe nicht einfach ins Grab werfen!“

„Das braucht er nicht“, sprach begütigend der Pfarrer, „Sie hat mir vorhin ein Sparbuch übergeben. Sie hat genügend Geld um ihre Beerdigung selber zu begleichen.“

„Ach ja?“ fragte die junge Frau. „Woher haben diese Angestellten nur so viel Geld? Ist auch egal. Hauptsache mein Vater gibt kein unnützes Geld aus. Schließlich habe ich das Recht auf meinen Erbanteil. Und ...“ sie wendet sich resolut an ihren Vater „ dass du mir kein Geld dem Hallodri, meinem Bruder, zahlst. Der soll nur ruhig einige Monate im Gefängnis bleiben. Vielleicht wird er dann gescheiter. Ich habe nichts gegen ihn. Aber er hat es einfach zu bunt getrieben. Hansi ist der gleichen Meinung. Obwohl der ja immer meiner Meinung ist!“

„Alles so wie du willst. Wir können ja morgen nochmals darüber sprechen. Aber jetzt wollen wir dich nicht mehr aufhalten. Du hast bestimmt genug Arbeit, um deine Hochzeit vor zu bereiten, mein liebes Töchterchen. Und mit dem Geld, das regelt unser Anwalt. Du bekommst deinen zustehenden Anteil, dafür werde ich sorgen. Also eile, mein gutes Kind.“ Der Altbauer hob die Hand und winkte seiner Tochter zu.

„Ihr wollt mich also los werden. Das merke ich schon. Ich würde natürlich gerne wissen, was hier geredet wird. Aber ich merke, wenn ich überflüssig bin. Also Vater, ich gehe. Aber ich komme morgen nach Hause und wir kümmern uns um die Angelegenheit mit dem Geld.“ Sie rauschte wieder zur Türe. Beim Hinausgehen drehte sie sich nochmals um. „Macht euch nicht zu große Sorgen um Maria. Unkraut vergeht nicht. Maria sieht zwar klein und schmächtig aus, aber sie hat einen starken Willen. Sie schafft es schon. Davon bin ich überzeugt. Ich wette mit Euch, nächste Woche sitzt sie im Krankenhausbett und will wieder heim. Küßchen.“

Die Männer schwiegen erschöpft, als die junge Frau endlich aus der Türe war.

„Warum nennst du sie Tante Maria? Ist sie deine Tante?“ fing der Pfarrer wieder an zu fragen.

„Nein, nein“, lachte der junge Mann, „sie ist seine Hauswirtschafterin. Aber seit sie bei ihm angestellt ist, kümmert sie sich ein bisschen um mich. Sie fragt, wie es mir geht, gibt mir heimlich etwas mehr zum Essen, näht mir Knöpfe an, ist einfach meine liebes Tantchen.

Als ich mal krank war, hat sie sich solche Sorgen um mich gemacht. Immer wieder ist sie an meinem Bett gestanden, hat mir Umschläge gemacht, mir etwas zum Trinken gegeben, sich ständig um mich gesorgt. Eines Tages habe ich sie gefragt, ob ich sie Tantchen nennen darf und sie war einverstanden. Seither habe ich meine Tante und mein Tantchen Maria.“

„Kennen sich deine Tante und dein Tantchen?“ fragte der Pfarrer. Der junge Mann überlegte ein Weilchen. „Ich meine, dass es sich noch nicht ergeben hat. Eigentlich komisch. Wir, mein Tantchen und ich, wollten schon öfters meine Tante und meinen Onkel besuchen. Aber es ist immer etwas dazwischen gekommen. Nein, sie kennen sich nicht. Aber natürlich habe ich viel gegenseitig von ihnen erzählt.“

 

 

Der Altbauer

„Was ist mit Ihnen“, fragte der Pfarrer nun den alten Bauer.

Aufbrausend wollte der Bauer schon wieder den Pfarrer anschreien. „Was soll mit mir sein?“

Der Pfarrer grinste ihn an. Bei sich dachte der Pfarrer, dass die Herren einfach nicht gescheit werden. Immer müssen sie den großen Herrn spielen, um den sich alles drehen muss. Dabei sind diese Zeiten doch schon längst vorbei. Und so wie dieser Bauer aussah, musste er schon genügend bittere Pillen schlucken. Aber natürlich wurde nach außen hin alles verherrlicht. Dabei weiß doch jeder Bescheid, vor allem in einem kleinen Dorf. Aber nein, die großen Herren stellen sich ins Licht und keiner darf darüber lachen.

„Haben Sie keine andere Arbeit, als mich auszufragen?“ empörte sich der Bauer. „Sie sollten beten für meine Hauswirtschafterin. Und nicht fremde Männer nach ihrer Lebensgeschichte ausfragen. Ich habe nichts zu beichten. Vor allem nicht bei Ihnen. Und selbst wenn ich gefehlt hätte, hätte ich das schon längst abgebüßt, das dürfen sie mir glauben!“ ereiferte sich der Bauer.

Es klopfte. Ein Arzt kam herein. „Guten Tag. Die Schwester bat mich, kurz vorbei zu kommen. Allerdings darf ich keine Auskunft bezüglich unserer Patientin geben. Ich bin an die ärztliche Schweigepflicht gebunden.“

„Da kann ich Ihnen aushelfen“, meinte der Pfarrer. „Ich habe hier die Patientenverfügung der Operierten. Hier ist notiert, dass der Bauer Erich Kleinbauer und der Schafhirt Peter Hirt die Vollmacht haben, alles Notwendige zu erledigen, falls der Maria Magd, Hauswirtschafterin, etwas zustößt. Darf ich sie Ihnen überreichen?“ „Ich habe eine Kopie in den Akten“, wehrte der Arzt ab. „Ansonsten hätten wir noch weniger operieren dürfen. So haben wir die ganze Innereien abgetastet und überprüft. Wir hoffen, wir haben keinen Riss übersehen. War eine sehr schwierige Operation.“

Er wandte sich an die Männer, gab Ihnen die Hand. „Sie sind also die Herren Kleinbauer und Hirt?“ fragte er nach. Peter drängte sich vor. „Bitte, sagen Sie mir, wie geht es Tantchen? Lebt sie noch? Wird sie wieder gesund?“ „Wird sie komplett gesund? Kann sie bald wieder arbeiten? Wann kann sie heim kommen?“ fragte der Bauer weiter.

Der Arzt hob abwehrend seine Hände hoch. „Nicht so schnell und nicht so viel!“ Er setzte sich an den Tisch. „Bitte meine Herren setzen wir uns doch.“ Er wendete sich an den Pfarrer. „Herr Pfarrer, wie sieht es bei Ihnen aus?“ „Wenn die Herren nichts dagegen haben, würde ich ebenfalls bleiben. Ich sollte im Auftrag von Frau Magd mit den beiden Männern noch etwas besprechen.“

Alle vier Männer setzten sich an den Tisch. Der Arzt, erschöpft von der langen und schwierigen Operation, schaute sich erst mal schweigend die Männer um ihn herum an. Den Bauer, alt und schwerfällig und alkoholgefährdet, den jungen Hirten, dessen Stirn voller Kummerfalten und ihn ängstlich anblickend, und den Pfarrer, etwas neugierig, sich seiner Stellung bewusst, dass die Männer vielleicht nach dem Gespräch seinen Trost brauchen könnten.

„Ihr Fräulein hatte mehr Glück als Verstand“, begann er, „soweit wir sehen konnten, waren die lebenswichtigen Organe nur gequetscht, nicht verletzt worden. Wir haben auch keine Risse ausmachen können. Allerdings waren Einschnitte notwendig geworden. Aber auch diese haben wir gut abschließen können. Die Brüche konnten wir jedoch noch nicht alle begradigen.“

„Kann ich mein Tantchen jetzt besuchen?“ fragte Peter nach. „Nein. Ihre Verletzungen sind, soweit wir ersehen, nicht mehr lebensbedrohlich. Aber sie braucht noch viel Schonung. Würde sie sich bewegen, könnten Verletzungen hinzu kommen. Deshalb haben wir sie ins Koma gelegt. Wenn ihr Körper die großen Verletzungen etwas geheilt hat, wollen wir die Brüche noch begradigen.“

„Also“, fragte der Pfarrer nach, „das heißt die Patientin Maria Magd wird nicht sterben. Sie wird weiter leben, geistig und körperlich gesund.“

„Nun, genaues kann ich nicht versprechen. Aber ich denke, dass sie geistig gesund, körperlich vielleicht etwas eingeschränkt das Krankenhaus verlassen wird. Aber, ich muss dazu sagen, dass jeder Körper auf solche Herausforderungen anders reagiert. Es kann jederzeit sein, dass ihr Körper noch Verletzungen aufzeigt, welche noch nicht zu erkennen sind. Ebenfalls kann ihr Kreislauf jederzeit noch instabil werden. Sie macht den Eindruck, dass sie gesund und robust war, bis zu diesem Unfall. Das sind die besten Voraussetzungen, um diesen Eingriff zu überleben. Aber wir müssen abwarten. Ich denke, dass die nächsten 24 Stunden entscheidend sind. Morgen können wir bestimmt schon genaueres diagnostizieren.“

Der Arzt schaute die Männer nochmals an. „Ich hoffe, meine hoffnungsfrohe Prognose bestätigt sich.“ Er stand auf und verabschiedete sich. „Meine Herren, wir sehen uns vielleicht morgen.“

Hoffnung machte sich breit im Zimmer. Der Pfarrer stand auf. „Meine Herren, wenn wir hier die Nacht noch verbringen wollen, sollten wir etwas essen. Im Parterre gibt es Kaffee, Tee, belegte Seelen, zwar schon etwas abgestanden, aber der Hunger wird es schon eintreiben“, grinste er.

Der Altbauer stand auf, um ebenfalls etwas zu holen. „Peter“, fragte er, „soll ich dir etwas mitbringen?“ Aber Peter wollte nachher selber runter gehen und etwas holen. So machten sich der Pfarrer und der Altbauer auf den Weg.

Nachdem alle etwas im Magen hatten, machten es sich die Männer wieder bequem. Der Pfarrer rutschte unruhig auf seinem Stuhl her. „Ich weiß nicht, ob ich jetzt die Lebensbeichte von Frau Maria erzählen soll oder nicht. Eigentlich ging sie davon aus, dass sie diesen Unfall nicht überleben wird.“

Er grübelte und sprach dann: „Wenn sie vom Koma aufwacht, dann werde ich sie fragen. Sie kann dann Ihnen ihre Lebensgeschichte allerdings selber erzählen.“ Die beiden Männer waren damit einverstanden. Sie konnten sich nicht denken, warum es Frau Magd so wichtig schien, ihnen ihre Geschichte zu erzählen. Eine alte Jungfer, schon immer gearbeitet, was sollte sie so wichtiges zu erzählen wissen. Der Anstand gebot es jedoch, diese Gedanken nicht laut werden zu lassen.

Schweigen breitete sich aus. Jeder der Männer hing seinen Gedanken nach.

Plötzlich durchbrach der Bauer das nachdenkliche Schweigen. „Sie wollten meine Lebensgeschichte wissen. Die Nacht ist irgendwie dazu gemacht, sie zu erzählen. Da gibt es nichts Besonderes. Alltag in vielen Bauernhöfen.

Ich war der 2. Sohn auf unserem elterlichen Hof. Mein Bruder bekam den Bauernhof, ich habe eine Bauerntochter geheiratet. Dort gab es nur Mädchen. Sie war die älteste, ich wurde also Bauer auf ihrem Hof. Man nennt das „eingeheiratet“. Und genau so fühlt es sich an. Man ist Anhängsel, also Knecht auf dem eigenen Hof. Zu sagen hat man nichts, zu arbeiten hat man für zwei, Geld bekommt man dafür nicht.“

Der Bauer sinnierte vor sich hin. Dann hub er wieder an zu sprechen: „Meine Frau war in Ordnung. Arbeitsam, hübsch, nur etwas stolz. Als meine Schwiegermutter gestorben war, wurde meine Frau immer herrischer. Und als sie selber krank wurde, wurde sie noch eigensinniger.“

„Dieses herrische Wesen konnten sie vorher bei meiner Tochter bewundern. Und meinen ältesten Sohn hat dieser Wesenszug ins Gefängnis gebracht. Bei meinem jüngsten Sohn ist dieser Wesenszug ins Gegenteil umgeschlagen. Er ist ein Waschlappen.“

Der Bauer blickte vor sich hin. „Na, Herr Pfarrer, nichts Besonderes. Wir beide haben langweilige Lebensgeschichten. So wie Tausend andere auch. Hoffentlich ist die Lebensgeschichte unserer Jungfer aufregender.“

Es klopfte. Die Tür ging auf und ein junger Mann trat schüchtern ins Zimmer. „Ach, das ist mein Wasch… ah ... mein lieber Sohn Hans. Herr Pfarrer darf ich Ihnen meinen Jüngsten vorstellen, “ wendete sich der Bauer an den Pfarrer.

Der Mann begrüßte den Pfarrer und sah dann den Bauern an. „Papa, ich möchte mit dir wegen meinem Bruder sprechen. Und dann möchte ich dir noch sagen, dass Emmi und ich nächstes Jahr heiraten werden.“

Der Bauer runzelte die Stirn. Der junge Schäferhirte stand auf und gab dem jungen Mann die Hand. „Na, das ist eine Überraschung. Da will ich dir gleich gratulieren. Emmi ist aber auch ein sauberes nettes Mädchen. Nur leider so arm wie ich.“ „Genau“, ereiferte sich der Bauer, „Von was wollt ihr leben? Habe ich dir nicht schon hundert Mal gesagt, du brauchst eine reiche Braut!“

Der junge Mann reckte sich. „Emmis Großeltern haben ein kleines Gütle im Nachbardorf. Emmi bekommt es als Heiratsgut. Emmi kann durch die Ponys Geld verdienen und ich mache meine Ausbildung als Landmaschinenmechaniker fertig. Das genügt als Einkommen.“

„Na ja, ich lasse mich nicht lumpen. Dein Erbteil werde ich schon zusammen kratzen. Aber erst mal muss ich noch das Erbteil deiner Schwester auszahlen. Sie ist schon ganz wild, weil sie doch bauen wollen“, meinte der Bauer gönnerhaft zu seinem Buben.

„Lass mal“, winkte der Sohn ab. „Ich habe mit Emmi gesprochen. Natürlich würde uns das Geld gut tun, weil die Großeltern schon lange nichts mehr ausgebessert haben. Aber wir möchten, dass du erst mal die Kaution für meinen Bruder bezahlst. Wir können ihn doch nicht im Gefängnis lassen. Dieser Schreck hat ihn bestimmt gebessert. Was meinst du?“

Der Altbauer zuckte mit den Schultern. „Wenn du einverstanden bist, wollen wir ihn die nächsten Tage besuchen. Einen Antrag habe ich schon gestellt. Ist einfach alles blöde gelaufen. Er ist aber auch gar zu stolz. Mich wundert nur, dass du die Kaution bezahlen willst. Kathi habe ich so verstanden, dass ihr beide nicht wollt, dass ich das Geld dafür hinaus schmeiße.“

„Ach, du weißt doch wie Kathi ist. Sie erzählt dir ihre Meinung und du hast sie zu teilen, “ grinste der junge Mann. „Ja, und du, mein Söhnchen, nickst mit dem Kopf und sie lässt dich zufrieden, “ seufzte der Bauer.

„Papa, du kannst nicht von mir verlangen, dass ich mich mit Kathi anlege. Das traut sich ja nicht einmal mein Bruder. Und du machst doch auch das was sie will," muckte Hans auf.

Resignierend winkte der Bauer ab. „Lassen wir das Thema. Wir sind alle Waschlappen, wenn Kathi auftaucht. Schon meine Frau herrschte über uns alle. Aber Kathi hat die Herrschsucht noch komprimiert. Gegen sie kommt keiner mehr an, außer ihr Verlobter. Da muss sie wahrscheinlich einiges einstecken, was sie dann wieder austeilt.“

Er schaute den Pfarrer an. „Ich weiß nicht, soll ich Gott danken, dass er ihr einen solchen gewalttätigen Mann gegeben hat, bei dem sie kuschen muss oder soll ich mit Gott hadern, weil meine arme Tochter ein solches Scheusal ausgesucht hat?“

„Mir tut sie leid“, meinte Hans, „aber sie ist das Schaf, das sich den Schlächter selber ausgesucht hat. Papa, ich wollte dich fragen, ob ich dich mit nach Hause nehmen soll. Ach, außerdem, wisst ihr schon wie es Maria geht? Kommt sie durch? Ich habe das Blut im Stall bereits abgespritzt. Das sah schlimm aus.“

„Bis jetzt sieht es ganz gut aus, sagen die Ärzte“, erzählte der Peter, „aber wir müssen die nächsten 24 Stunden abwarten.“ „Ach Peter“, voller Mitleid sah Hans ihn an, „für dich ist es am Schlimmsten. Maria war ja wie eine Mutter zu dir. Ich hoffe für dich, dass sie wieder ganz fit und gesund wird.“

Hans sah wieder zu seinem Vater. „Jetzt, wie sieht es aus? Kommst du mit nach Hause? Ach, Peter, du kannst natürlich auch mitfahren. Du kannst bei uns schlafen oder ich fahre dich schnell zu deiner Tante. Wie sieht es aus?“ Beide Männer winkten ab.

„Wir warten ab“, sagten sie, wie aus einem Mund. „Ich habe einfach ein schlechtes Gewissen. Ich hab mal wieder zu viel getrunken und musste meinen Rausch ausschlafen. Und Maria musste es ausbaden“, meinte beschämt der Bauer.

„Und ich“, fing der Schafthirte an, „Ich gehe erst, wenn mein Tantchen ansprechbar ist. Der Alt-Schafhirte hat gesagt, ich könne mir ruhig eine Woche frei nehmen.“

Hans verließ sie also wieder.

Der Pfarrer fragte den Altbauer: „Ich weiß, ich bin unverschämt, aber ständig wird von Ihrem ältesten Sohn gesprochen. Er ist im Gefängnis? Aber es wird nur von Geld, nicht von Schuld gesprochen. Was hat er denn getan? Aber bitte nur, wenn Sie es erzählen möchten. Mich geht es nichts an.“

„Ach, mein Sohn Franz, der Hallodri?“ hub der Altbauer an zu sprechen, „Ja, der stolze Bengel. Wissen Sie, der sieht zu gut aus. Und das nützt oder nützte er aus. Schon in der Schule spannte er ständig jemanden ein, meistens Mädchen, welche für ihn die Hausaufgaben oder Strafarbeiten geschrieben haben. Und natürlich hat er bei den Klassenarbeiten immer jemanden gehabt, der oder die ihn abschreiben hat lassen.“ Der Bauer schmunzelte.

„Später hat er es natürlich weiter ausgenützt. Jedes Mädchen ließ sich von ihm verführen. Ständig kam ein Mädchen weinend zu uns nach Hause und erklärte, dass er sie sitzen gelassen habe. Das interessierte ihn aber nicht. Meine Frau fand es sogar toll, wie er den armen Mädchen den Kopf verdreht. Sie wollte nur, dass er sich keine Arme als Frau nehmen soll, sondern eine Reiche. Bis es soweit sei, könne er treiben, was er will. Anstatt dass sie ihm den Kopf zurecht gesetzt hätte, hat sie ihn in seinem Tun bestärkt! Meine stolze Frau.“

Der Bauer sinnierte ein bisschen vor sich hin. Dann spach er weiter. „Aber es gab ein Mädchen, welches keine Lust hatte, sich von ihm begrabschen zu lassen. Wissen Sie, Herr Pfarrer, wir haben manchmal Sommergäste. Eine Familie hatte immer ein lustiges kleines Ding dabei. Wirklich ein lustiges quirliges Mädchen. Dieses Jahr war aus dem quirligen Mädchen eine 17-jährige junge Dame geworden. Und mein ältester Sohn war plötzlich voll entflammt für diese Dame. Aber sie war schon öfters hier im Urlaub gewesen und wusste, welch ein Casanova mein Sohn war. Deshalb gab sie sich auch ganz steif und unnahbar, wenn er sie necken oder berühren wollte. Auch ihre Mutter hatte erfahren, welcher Ruf ihm voraus ging. Sie hatte ihn deshalb zu sich bestellt und ihm verboten, sich dem Mädchen zu nähern. Natürlich hatte ihn das noch mehr gereizt. Auf jeden Fall war er ständig hinter ihr her.

Einmal war ein Tanzfest. Auf diesem Fest hat sie mit vielen jungen Männern getanzt. Dabei hat sie auch den einen oder anderen geküsst. Mein Sohn hat sie natürlich auch aufgefordert. Sie, so wurde mir erzählt, habe ihn abgewiesen mit den Worten, dass er jedes Mädchen haben könne. Mit so einem möchte sie nicht gesehen werden.

Gegen Abend hatten sie ein paar Kavaliere heimgebracht. Am nächsten Morgen ist sie mit dem Fahrrad zum Einkaufen in die Stadt. Auf dem Rückweg ist sie meinem Sohn begegnet. Es muss wohl zu einem Streit gekommen sein. Er muss sich sehr aufgeregt haben und hat sie deshalb geschlagen. Sie ist dabei gegen einen Zaun gestürzt.

Ihre Mutter hat sie schon vermisst und ist ihr entgegen gegangen. Sie kam hinzu und hat dann Mordio geschrien. Sie behauptete, dass ihre Tochter bewusstlos zwischen Fahrrad und Zaun gelegen sei und mein Sohn habe gerade seine Hose runter gezogen, um die Bewusstlose zu vergewaltigen. Mein Sohn hat ausgesagt, er habe sie an die Schulter gepackt, um sie zu schütteln. Aber er hat nun mal den Ruf, dass er jedes Mädchen rumkriegt. Und beim Tanz habe er gesagt, dass es ihr noch leidtun würde, weil sie ihn abgewiesen habe.

Die Mutter des Mädchens hat ihn angezeigt. Und er, stolz wie er ist, hat ausgesagt, das Mädchen hätte ihn nur reizen wollen. In Wirklichkeit hätte das Mädchen nur darauf gewartet, dass er ihr endlich zeige, dass er ein ganzer Kerl sei. Das kam bei der Polizei natürlich nicht gut an.

Die Mutter des Mädchens ist im ganzen Dorf herum gegangen und hat die anderen Mädchen und deren Mütter angesprochen. Nun kamen einige Vergewaltigungsanzeigen und Vaterschaftsklagen hinzu. Anstatt sich mein Sohn entschuldigt hätte, hat er ihre Mütter verhöhnt. Nun läuft das Verfahren.

Gegen eine Kaution und Bezahlung der Kinder aus den Vaterschaftsklagen käme er frei. Die Kaution ist aber ziemlich hoch ausgefallen, weil er sich überhaupt nicht einsichtig gezeigt hatte. Wenn die Alimente auch noch, teilweise rückwirkend, bezahlt werden müssen, gibt es einen großen Batzen Geld, welcher zu begleichen ist.

Früher wäre es kein Problem gewesen, den Betrag zu bezahlen. Aber in den letzten Jahren bevor sie starb, hatte meine Frau einen Narren an Ärzte und deren Medikamente gefressen. Sie war ständig in Privatbehandlung. Sie ist von einem Arzt zum nächsten Arzt oder Heilbeter oder Scharlatan gepilgert. Dabei hat sie sehr viel Geld raus geworfen. Wir mussten einige Tiere und Felder verkaufen. Und je mehr ihre Krankheit sie ausgemergelt hat, desto mehr wollte sie teure Cremes und Salben kaufen und Kuren machen, um ihre Schönheit wieder zu erlangen.

Natürlich brauchte sie auch ständig neue Kleidungsstücke. Und weil die Ausgaben noch nicht hoch genug waren, brachte sie auch meiner Tochter und meinem Sohn irgendwelche Fetzen aus ihren Boutiquen mit. In den Jahren ihrer Krankheit hat sie fast ein Viertel unseres Hofes verschleudert.

Und die bevorstehende Hochzeit unserer Tochter war das Allerwichtigste. Diese sollte im teuersten Rahmen gefeiert werden. Leider verstarb meine Frau kurz vor der Hochzeit. Deshalb wurde sie verschoben. Aber diese Verschiebung war teuer genug.

Die jetzige Hochzeit wird in etwas kleinerem Rahmen stattfinden. Aber nicht, weil meine Tochter ein Einsehen hat. Sondern weil ihr Mann einen riesigen Neubau bauen möchte. Dafür will meine Tochter ihr Erbteil ausbezahlt bekommen.

Als meine Frau und ich vor vielen Jahren unseren Ehe- und Erbvertrag geschrieben haben, war viel Geld auf den Konten, genügend Vieh im Stall und viele Felder, welche wir selber umtrieben und sehr viele, welche wir verpachtet hatten. Geld kam in rauen Mengen herein.

Natürlich mussten die Arbeiter und Helferinnen bezahlt werden, ebenso benötigten wir ständig neue Maschinen. Aber das Geld floss ständig in Strömen uns zu. Uns ging es richtig gut, vielleicht zu gut. Dazu noch drei gesunde Kinder, wir hatten das Glück gepachtet.“ Der Bauer schnaufte tief auf.

„Und wie ging es Ihnen?“ fragte der Pfarrer. Glaubte er, hier einen wunden Punkt erwischt zu haben?

Der Bauer hatte plötzlich Tränen in den Augen. „Wie soll es einem Eingeheirateten schon gehen. Natürlich habe ich diesen Geldfluss auch begünstigt durch meine Arbeit und Organisationstalent. Aber das wurde nicht anerkannt. Schon meine Schwiegereltern sahen in mir nur den Mann, der sich ins gemachte Nest gesetzt hat. Meine Frau hat damals noch zu mir geholfen und mich verteidigt.

Als meine Schwiegereltern starben, hat sie deren Meinung übernommen. Hinter meinem Rücken hat sie meine Anordnungen geändert. Wenn sich dann heraus gestellt hat, dass ihre Anordnungen unmöglich waren, hat sie ihre Befehle als meine dargestellt und ist über mich hergezogen.

Viele gute Arbeiter sind dann gegangen. Sie sagten, ein Chef ist genug, aber zwei Chefs, welche gegen einander arbeiten, sind kontra produktiv. Aber natürlich war ich wieder schuldig, wenn ein guter Mann gegangen ist.“

„Und wie haben Sie das ganze verarbeitet?“ fragte der Pfarrer nach. „So wie jeder Mann. Zuerst habe ich noch mehr gearbeitet. Später bin ich dann ärgerlich und aggressiv geworden. Ich war zu der Zeit oft nahe daran, meine Frau zu schlagen. Zumindest Geschirr habe ich einiges zerschlagen. Aber meine Frau, in ihrem Stolz, war stärker.

Irgendwann habe ich dann resigniert. Und habe zu trinken angefangen. Das war kurz bevor sie krank wurde. Deshalb konnte ich auch zusehen, wie sie unser Geld mit vollen Händen ausgab. Sonst wäre ich bestimmt darüber verrückt geworden. Schließlich wollten wir unseren Kindern doch den Hof erhalten.

Aber vielleicht muss ich bald umdenken. Manchmal ist es besser, nicht alles halten zu wollen. Vielleicht muss ich den Hof verkaufen. Mein ältester Sohn ist gar nicht versessen auf den Hof, die Landwirtschaft und die Tiere. Und meine Tochter und ihr zukünftiger Mann wollen sowieso nur Geld sehen. Hans könnte das Geld auch gut gebrauchen und ich könnte als Rentner mir täglich die Birne vollsaufen“,  grinste der Bauer kläglich.

„So ungerecht ist die Welt“, sinnierte der Altbauer. Er schaute auf den Schafhirten. „Der da, der hätte Lust auf Stallarbeit und Landwirtschaft, aber keinen Hof. Meine Jungs hätten einen Hof, aber der eine will lieber schmarotzen und der andere will lieber eine geregelte Arbeit mit Feierabend.“ Der Altbauer lässt die Schultern resignierend hängen.

Der Pfarrer räusperte sich. „Ich hätte noch eine Frage an Sie, Herr Kleinbauer. Wie kamen Sie zu Frau Magd?“

Der Altbauer schnäuzte sich wieder umständlich und schaute unbehaglich drein. „Nun ja, ich kannte Frau Magd von früher. Als ich sie dann in der Stadt zufällig getroffen habe, habe ich sie spaßeshalber gefragt, ob sie nicht wieder Magd auf meinem Hof werden möchte. Meine Frau sei leider krank und könne nicht mehr den Haushaltsvorstand machen. Und die damalige Hauswirtschafterin war noch jung und unerfahren. Das Essen war entweder zäh oder verkocht, meine Frau fühlte sich von ihr auch nicht umsorgt.

Deshalb war es zwar eine spontane Idee, aber nicht ganz unerwünscht. Maria hatte aber sofort abgelehnt. Wir sind dann aber trotzdem noch auf ein Glas Bier in eine Wirtschaft gegangen.“

Der Altbauer überlegte, dann ergänzte er: „Ich war sehr überrascht, als nach ein paar Wochen einen Brief von Maria erhielt, sie suche eine neue Stelle und sie wäre bereit, es bei uns zu versuchen. Ich habe dann meine Frau gefragt, sie war auch nicht abgeneigt. So haben wir zugesagt.

Maria kam und packte wirklich überall mit an. Sie kannte sich in Krankenpflege aus, hat die Launen meiner Frau ausgehalten, endlich gab es wieder anständiges Essen, und manchmal half sie sogar auf den Feldern oder im Stall mit. Das war eine enorme Erleichterung für mich, für uns alle.“

Der Pfarrer fragte nach: „Sie kannten sie von früher? War sie schon einmal angestellt bei Ihnen oder Ihrem Vater?“

Der Altbauer stand auf, lief ein paar Schritte, setzte sich wieder umständlich hin. Nach einigem Räuspern gestand er: „Wir haben im selben Dorf gewohnt. Kurz vor meiner Heirat hatten wir eine Liebelei. Ich habe dann geheiratet. Sie wissen ja, dass meine Schwiegereltern mich nur als Knecht wollten und mich nicht anerkannt haben. Als mein Bruder damals krank wurde, habe ich manchmal bei ihm ausgeholfen. Einmal, seine Frau war bereits hochschwanger, hat Maria dort als Hauswirtschafterin ausgeholfen. Naja.“

Der Pfarrer bohrte weiter: „Naja, soll wohl heißen, dass die Liebelei weiter ging und ernstere Folgen hatte, oder?“

Dem Altbauer war das Thema sichtlich peinlich. Er schaute zum Schafhirten hin. Der Schafhirte stand auf und meinte: „Soll ich rausgehen?“

„Nein, nein. Ich habe nichts zu verheimlichen!“ fuhr der Bauer auf. „Jeder junge Spind hat mal ein Techtelmechtel mit einem hübschen jungen Mädel. Solange nichts passiert, ist ja alles in Ordnung!“

„Ach“, grinste Peter, der Schafhirte, „es ist nichts passiert? Warum dann dieses geheime Getue?“

„Weil es niemanden etwas angeht! Nur deshalb! Nachher heißt es noch, ich hätte Maria auf den Hof genommen, um mit ihr eine Liebelei zu haben, neben meiner Frau. Ich schwöre, da war nichts. Weder Maria noch ich hatten daran Interesse!“

Da öffnete sich die Tür. Der Arzt schaute herein. „Na, die Herren, immer noch da? Ich wollte Ihnen sagen, dass Frau Magd die Operation überraschend gut überstanden hat. Wenn sich der Zustand nicht verschlechtert, werden wir Frau Magd morgen oder übermorgen aus dem Koma holen können. Sie sollten vielleicht jetzt auch an Schlaf denken. Vielleicht können Sie sich noch von Angehörige abholen lassen?“ erklärte der Arzt.

Die Männer erhoben sich. Der Pfarrer hatte sein Auto dabei. Er war bereit die Männer ins nächste Dorf zum heimatlichen Hof des Bauern zu fahren. Der Schafhirte wollte dann bei ihm übernachten. Sie bedanken sich beim Arzt und fuhren, jeder über sein Schicksal nachdenkend, heim.

 

Maria

Vier Wochen später war der Pfarrer wieder bei Frau Magd. Als sie im Gespräch vertieft waren, klopfte es. Peter, der Schafhirte, kam atemlos herein.

„Entschuldige, ich störe doch nicht. Hallo, liebes Tantchen. Wie geht es dir?“ Er umarmte sein Tantchen und gab ihr einen Kuss auf die Wange. „Ach, mein lieber Peter. Leider gibt es bereits wieder schlechte Neuigkeiten. Aber das schaffe ich auch noch. Mache dir keine Sorgen.“

Sie blinzelte von unten herauf. „Hast du von deiner Genoveva wieder einmal etwas gehört?“ Zum Pfarrer gewandt erklärte sie schmunzelnd „Das ist ein ganz liebes Mädel. Ganz vernarrt in Tiere und, ich meine, auch in meinen Peter. Sie war vor ein paar Monaten bei uns auf dem Hof. Ich hatte mir damals den Arm gebrochen, die Bäuerin war kurz vorher gestorben.

Wir brauchten jemanden, welche den vielen hungrigen Mäulern das Essen kochte, die Wäsche waschen und sich mit um das Jungvieh kümmern konnte. Peterchen hat sich bei ihr nicht getraut anzubandeln, weil er dachte, dass der Jungbauer sie sich krallen wird. Aber Genoveva hielt von ihm nichts. Resolut hat sie ihm die Leviten gelesen. Daraufhin machte Franz immer einen Bogen um sie.“

Peter wand sich vor Verlegenheit. „Also Tantchen. Du wirst unverschämt. Wer weiß, was Genevchen alles noch vorhat. Bestimmt nicht auf einen armen Schafhirten zu warten. Als Dorfhelferin ist sie ständig auf Großbauernhöfen. Und die jungen Landwirte warten nur auf eine hübsche Frau, welche sich im Stall und auf dem Feld auskennt. Sie könnte an jedem Finger 10 Männer haben.“

Er druckste herum. „Aber“, lachte er dann, „du hast recht. Sie hat mir einen Brief geschrieben.“

Es klopfte erneut. Als die Tür aufging, streckte der Altbauer seinen Kopf herein. „Oh, du hast schon so viel Besuch. Dann schaue ich ein anderes Mal wieder herein. Mein Sohn Hans hatte nur kurz etwas in der Stadt zu tun. Deshalb bin ich mit.“

„Mit wäre es recht, Bauer, wenn du da bleiben könntest“, erwiderte Maria Magd. „Ich habe euch allen noch etwas zu sagen.“

Die drei Männer holten sich Stühle und setzten sich um das Bett der Patientin.

Maria schaute alle Männer ernst an, dann seufzte sie und erklärte: „Die Attacke von dem Bullen habe ich überraschend gut überlebt. Du, Bauer, brauchst dir keine Gedanken machen. Ich habe mich selber entschieden, im Stall zu arbeiten. Du hast es mir nicht angeschafft. Also bitte keine Vorwürfe.“

Sie setzte sich anders hin. „Bei den Untersuchungen wurde festgestellt, dass mein Gehirntumor, welcher seit vielen Jahren still war, wieder gewachsen ist. Als junge Frau hatte man mir schon prophezeit, dass ich bald sterben werde. Damals hatte eine Schwester einen Arzt ausfindig gemacht, welcher ihn dann operiert hat. Er konnte jedoch nicht vollständig entfernt werden. Nach der schweren Operation musste ich wieder laufen und sprechen lernen. Zum Glück war mein Gedächtnis nicht komplett gelöscht, aber etwas verschüttet. Seither hatte ich keine Probleme mehr.“

Maria räusperte sich. „Nun ist der Tumor wieder gewachsen. Ich werde ihn bald wieder operieren lassen. Es ist nicht angenehm, in der Nähe des Todes zu stehen. Ob diese Operation gelingen wird, kann keiner voraus sehen. Trotzdem werde ich das Risiko eingehen.“

Maria gähnte. „Oh je, jetzt bin ich plötzlich so müde. Vielleicht können wir uns ein anderes Mal unterhalten. Es tut mir leid.“

Die Männer standen rasch auf, um sich zu verabschieden. Als die Türe hinter ihnen zuging, schlief Frau Magd bereits.

Die Männer standen unschlüssig auf dem Flur. „Mein Sohn holt mich nachher ab“, gab der Bauer bekannt. „Ich warte auch noch auf einen Freund“, sagte der Schafhirte. „Ich besuche noch eine Patientin“, erklärte der Pfarrer. „Sollen wir noch eine Tasse Kaffee in der Cafeteria trinken?“ wendete sich Peter an den Bauer. „Keine schlechte Idee“, murmelte der Bauer. „Ich könnte auch eine Tasse vertragen“, schloß sich der Pfarrer den beiden an.

Sie plauderten beim Kaffee. Die Bedienung kam und fragte, ob Interesse auf ein Radler bestünde. Alle drei freuten sich auf ein kühles Radler. Die Gesprächsthemen gingen nicht aus. Die Bedienung brachte nochmals ein kühles Radler.

Endlich machte der Pfarrer einen Vorstoß. „Also, Herr großer Kleinbauer. Ich wollte sie schon lange etwas fragen. Von Frau Magd weiß ich, dass Ihre Liebelei nicht, ich betone, nicht folgenlos geblieben ist.“ Der Bauer verschluckte sich an seinem Bier. Er wurde ganz rot im Gesicht und würgte etwas.

„Es tut mir leid“, ganz zerknirscht schaute der Pfarrer drein. „Ich dachte, vielleicht möchten Sie Ihr Gewissen erleichtern. Und ich denke, für den Schafhirten könnte ihr Geständnis interessant sein.“

„Ich wüsste zwar nicht, warum das irgendjemanden interessieren könnte. Aber nachdem sie dieses unappetitliche Thema auf den Tisch geschmissen haben, werde ich Rede und Antwort stehen. Ist ja eigentlich egal. Es ist schon so lange her. Es fühlt sich ganz unwirklich an.“

Der Bauer stand auf, lief ein paar Schritte auf und ab, setzte sich dann wieder. „Also gut“, hub er an zu sprechen, „Ich hatte tatsächlich mit Maria ein ernsteres Verhältnis. Sie war zwar nur ein Kind einer Magd, aber wirklich verdammt hübsch. Sie hat mir schon immer gefallen.“ Erklärend fügte er hinzu, „sie war am Nachbarhof. Eigentlich waren alle Buben, auch die älteren Jahrgangs, auf sie scharf. Aber weil wir uns schon so lange kannten, hat sie mir mehr vertraut.“

Er lächelte. „Irgendwann war aus der Freundschaft Liebe geworden. Wir wussten aber beide, dass wir nie heiraten könnten. Trotzdem konnten wir beide uns nicht aus der Verbindung lösen. Ja, und dann musste ich heiraten. An unserem letzten Abend haben wir das erste Mal miteinander geschlafen. Ich habe mir damals bei meinem großen Bruder Verhüterli besorgt. Vor Aufregung und Klamm sein und natürlich auch Trauer ist gar nichts passiert.“

Der Bauer lachte so lange, bis ihm Tränen kamen. Aber dann wurde er wieder ernst. „Aber, wie bereits erwähnt, habe ich manchmal meinem Bruder geholfen. Und eines Tages, meine Frau war bereits mit dem 1. Kind schwanger, wir hofften auf einen Jungen, komme ich auf den Hof und Maria war Hauswirtschafterin.

Die Frau meines Bruders war auch schwanger. Mein Bruder überwiegend krank im Bett, meine Schwägerin überwiegend liegend im Bett, Maria und ich waren die Herren über den Hof. Es war eine wunderschöne Zeit. Und es kam wie es kommen musste  --  Maria und ich spielten auch nachts die Herren über Haus und Hof.“

Der Bauer schwelgte in Erinnerungen. „Als ich dann wieder heim musste, wurden wir beide aus unseren Träumen gerissen. Unter Tränen hat mir Maria gebeichtet, dass auch sie, von ihren Eltern gezwungen, einen alten Mann heiraten müsse. Es gab einen Vertrag, welchen sie nun erfüllen müsse. Weinend nahmen wir Abschied von einander.“

„Als ich nach langer Zeit wieder einmal bei meinem Bruder war, erzählte er, dass Maria kurz vor der Hochzeit mit dem alten Mann verschwunden wäre. Man habe gemunkelt, dass sie schwanger wäre. Aber nach einigen Wochen wäre sie wieder aufgetaucht, habe den Mann geheiratet und sie seien dann weg gezogen. Ihre Eltern hätten erzählt, sie würden eine glückliche Ehe führen.“

Der Bauer räusperte sich. „Ich habe bei den Eltern versucht heraus zu finden, ob unsere Liebe damals Folgen gehabt hatte. Erst nachdem ich mehrere Male bei ihnen aufgetaucht bin, haben sie gestanden, dass Maria tatsächlich schwanger gewesen sei. Sie habe das Kind einmal mitgebracht. Sie meinten, es sei ein Mädchen gewesen. Später habe Maria erzählt, ihr Mann habe das Kind adoptiert. Kurz nach dem Tod des Mannes sei das Kind ebenfalls gestorben. Dann habe ich nichts mehr gehört, weil auch die Eltern von Maria kurz nacheinander gestorben sind.“

Der Bauer schnäuzte sich geräuschvoll, er hatte Tränen in den Augen. „Das war die ganze Geschichte. Warum ich sie erzählen soll, verstehe ich nicht. Aber, ich gebe zu, es hat mir gut getan, diesen Stein der schmerzvollen Vergangenheit hervor zu holen. Ich hatte die ganze Vergangenheit gut versteckt. Nun ist sie wieder übermächtig vor meinen Augen.“

 

„Ach, da kommt mein Sohn Hans. Herr Pfarrer, bis zum nächsten Mal.“

Der Pfarrer verabschiedete sich per Handschlag vom Bauer. „Ich hoffe, Sie sind mir nicht böse. Aber ich habe mit Maria viel gesprochen. In Ihrer Familie, wie auch in vielen anderen Familien, sind einige Geheimnisse vorhanden. Diese unausgesprochenen Geschichten vergiften ungewollt den Alltag miteinander.

Ich habe in meiner Eigenschaft als Seelsorger viele Familien auseinander gehen sehen, weil Geheimnisse versteckt, erpresst verängstigt tot geschwiegen wurden. Wenn sie angesprochen werden, ist der Schock manchmal groß, aber oft ist der Verdacht schlimmer als die Realität.

 Ich bitte Sie, überlegen Sie, ob es noch Geheimnisse gibt, welche Sie oder Ihre Kinder betreffen. Vielleicht hatte auch Ihre Frau Geheimnisse vor Ihnen. Auch aus diesem Grund gibt es unglückliche Ehen. Ich kann Sie nur bitten, alle Geheimnisse vor den Kindern auf den Tisch legen. Sie wollen doch, dass Ihre Kinder wenigstens eine glückliche Ehe führen könnten. Meiner Meinung nach ist das noch nicht der Fall.

 Auf Wiedersehen und überlegen Sie sich bitte meine Worte gut. Ich meine es wirklich gut mit Ihnen. Wir haben uns jetzt etwas angefreundet und es würde mir leid tun, wenn die Lebensläufe weiterhin ungut enden.“

 

Geheimnisse

Ein paar Wochen später fragte Genoveva, die Hauswirtschafterin-Aushilfe, den Bauer: „Hast Du heute Mittag Zeit, Bauer, Tantchen Maria hat angefragt. Sie kommt heute für ein paar Tage auf den Hof, bevor sie zur Operation aufbricht. Sie lässt fragen, ob wir heute uns zusammen setzten können.“

Umständlich drehte sich der Altbauer um. „Wer wir?“ fragte er nach. „Soweit ich verstanden habe, möchte sie, dass alle deine Kinder, du, mein Peter, seine Tante und Onkel, sowie ihr Überraschungsgast und natürlich sie, uns alle hier bei dir treffen. Wäre dir das recht?“

Der Altbauer seufzte vorwurfsvoll. „Was soll ich dagegen sein. Ihr habt es ja schon vereinbart!“ Er drehte sich um. „Dann wollen wir mal etwas schneller arbeiten. Vielleicht kann Peter nachher noch etwas mithelfen. Nur Hans und ich und unser Knecht sind einfach zu wenig. Obwohl wir uns vielleicht bald nicht mehr Leute leisten können.“

 

Nachmittags fuhr ein Auto herein. Drinnen saß Tantchen Maria und Franz, der älteste Sohn. Es gab natürlich ein großes Hallo. Alle freuten sich, dass Franz wieder zu Hause war. Nach großer Begrüßung gingen alle ins Wohnzimmer. Dort hatte Genoveva schon für alle gedeckt. Sie richtete noch ein zusätzliches Besteck, weil Maria und Franz mit einer Dame, als Fahrerin angekommen sind. Die Frau setzte sich zwischen Maria und Franz. Peter wollte natürlich an die andere Seite seiner Tantchen Maria. Er drückte immer wieder ihre Hand.

Nach kurzer Zeit ging die Türe auf. Peters Tante und Onkel erschienen. Nach der Begrüßungsrunde mit dem Bauer kam die erste große Überraschung. Maria stand auf und umarmte Peters Tante herzlich. „Hallo, liebe Schwester. Ich wollte schon seit langer Zeit mich bei Euch melden. Aber ich hatte Angst. Ich bin damals nicht gestorben, habe aber lange Zeit im Ausland gelebt. Ich erzähle Euch nachher mehr.“

Sie drehte sich um. „Also Peter. Keine Geheimnisse mehr oder zumindest ein Geheimnis weniger. Ich bin nicht nur dein Tantchen Maria, sondern ich bin deine leibliche Mutter. Lass dich umarmen, mein Sohn. Sei mir bitte nicht böse. Ich erkläre dir alles nachher.“

 

Alle setzten sich. Alle freuten sich, dass Peter seine Mutter wieder hatte. Alle fragten sich auch, warum sie nicht schon früher darauf gekommen waren. Schließlich hatte sich Tantchen Maria immer sehr um ihren Peter gekümmert. Aber wie es so ist, das was vor den Augen ist, sieht man nicht.

Peter war natürlich überglücklich. Er hatte jetzt auch eine Mutter. Und es war keine fremde Frau, sondern sein Tantchen Maria. Natürlich hätte er gerne gewusst, warum sie ihn alleine gelassen hatte, obwohl sie noch lebte. Oder warum sie ihm nicht gesagt hatte, dass sie seine Mutter ist. Aber das hatte alles noch Zeit.

Er genoss einfach die Berührungen seiner Mutter. Ihre Hände streicheln, ihr ins Gesicht zu lachen, sie in den Arm zu nehmen. Er spürte auch ohne Worte, wie sehr es auch sein Tantchen, nein seine Mutter! genoss, ihn zu umarmen, einfach so.

 

Nach dem Kaffee räumte Genoveva den Tisch ab. Sie brachte Getränke.

Maria erhob ihre Stimme. „So meine lieben Damen und Herren. Wie Ihr alles wisst, wurde ich vom Bullen in die Ecke gedrängt. Ich dachte, dass ich nun, beim dritten Todesstoß, endlich sterben werde. Ich habe deshalb mein Gewissen erleichtet. Nachdem ich wieder bei euch sitzen darf, meinte mein Pfarrer, ich sollte meine Geheimnisse nicht weiterhin verbergen. Ich solle sie hervor holen, in die Sonne legen, und überlegen, wie das Leben weiter gehen soll.“

Sie schaute die Gesellschaft, einen nach dem anderen an. „Bitte, “ sagte sie, „unterbrecht mich nicht bei meinem Geständnis. Ich möchte alles sagen und ich weiß nicht, ob ich den Mut habe, wenn mich einer unterbricht. Was ich sagen werde, wird nicht allen gefallen. Vielleicht wäre es besser, wenigstens nicht alles zu sagen. Aber wo soll ich anfangen, wo soll ich aufhören? Deshalb werde ich eine komplette Beichte vorlegen.“

Sie nahm ein Schluck Wasser aus ihrem Glas. Dann fuhr sie fort: „Ich erzähle kurz etwas von mir. Ich war das Kind einer Magd. Schon als Kind wollte ich den Sohn unseres Nachbarhofes heiraten. Aber als armes Mädel durfte ich nicht studieren, ich musste bald arbeiten. Zum Glück durfte ich Hauswirtschafterin lernen. Meine Eltern hatten bereits einen Mann für mich ausgesucht. Damals wurde noch von den Eltern bestimmt, wer heiratet, zumindest auf dem Dorf wurde es so gehalten. Der Sohn des Nachbarhofes wurde auch verheiratet. Nach Glück wurde damals nicht gefragt.

 Ob es heute besser ist, weiß ich nicht. Es gab schon immer unglückliche Ehen. Damals blieb man trotzdem zusammen, heute trennen sich die Paare zu schnell.

 

Meine weitere Lebensgeschichte möchte ich erst zum Schluss beichten. Da gibt es wahrscheinlich allerhand Fragen. Peter, du musstest solange auf deine Mutter warten. Ich bitte dich, warte noch ein wenig. Es gibt für dich noch eine weitere Überraschung. Aber bitte lasse mich dich noch eine Weile genießen.

Wenn ich mit meiner persönlichen Beichte beginne, finde ich den Faden nicht mehr. Deshalb möchte ich mit dieser Familie beginnen.“

 

Maria stand auf, setzte sich wieder, stand nochmals auf und holte das Bild von der Frau des Bauern an der Wand.

„Ich möchte mit deiner Frau, Bauer, also mit eurer Mutter beginnen. Ich hatte zuerst ein ungutes Bild von eurer stolzen Mutter. Immer wollte sie mit ihrem Kopf durch die Wand. Später habe ich festgestellt, dass sie seelisch schwer verletzt war. Deshalb ihre ständigen Launen, ihren Missmut. In dieser Zeit ihrer Krankheit habe ich sie als Freundin kennen- und schätzen gelernt.“

Maria kramte in ihrer Jackentasche. Sie holte ein paar eng beschriebene Blätter hervor. Sie schaute jeden einzelnen an.

„Dies ist die Beichte eurer Mutter, liebe Kinder, oder auch die Beichte deiner Frau, Bauer. Sie hat sie in den letzten Wochen ihrer Krankheit nieder geschrieben. Sie hat das Schreiben dann mir anvertraut. Ich sollte bestimmen, ob und wem ich sie weitergebe. Aber ich war ebenso ein Feigling wie sie. Ich habe sie dann vor der Operation dem Pfarrer anvertraut. Er hat einen Teil gelesen.

Als ich wieder erwachte, meinte er, ich solle sie euch vorlesen. Die Kinder seien nun wirklich alt genug, um ihre Mutter zu verstehen. Er meinte, ich solle nicht jedem extra seinen Teil erklären. Schließlich seien wir eine Familie. Dazu würde gehören, dass alles gesagt wird, und auch alles verziehen wird.“

 

Maria räusperte sich noch ein paar Male, setzte sich aufrecht hin und begann vorzulesen.

„An meine Lieben,

ich bin nun schwer krank geworden. Ob ich so viel Schuld auf mich geladen habe, mag ich nicht zu sagen. Ich kann euch aber sagen, dass ich euch sehr, wirklich sehr lieb habe, jeden einzelnen von euch. Meine Hauswirtschafterin und Freundin Maria meinte, ich solle meine Geheimnisse euch anvertrauen. Ich habe mich aber entschieden, den schriftlichen Weg einzuschlagen. Maria soll dann entscheiden, ob sie den Brief euch allen gleichzeitig, nacheinander, oder auch nur einen Teil vorlesen oder bekannt machen wird.

Fangen wir mit meinem Mann Erich an. Er ist ein guter Mann. Allerdings hatte er es sehr schwer mit mir. Ich hatte vor unserer Hochzeit einen Freund. Ihn, und nur ihn wollte ich heiraten. Meine Eltern bestimmten aber Erich als meinen Mann. Damals konnte man sich noch nicht gegen seine Eltern auflehnen, deshalb nahm ich den Heiratsantrag von Erich an.

Obwohl meine Eltern den Erich bestimmt hatten, haben sie es ihm schwer gemacht. Immer war er schuldig, ob am schlechten Wetter, an der schlechten Ernte, einfach an allem. Er tat mir sehr leid. Aber auch ich tat mir leid. Ich wollte immer noch meinen Freund Alfons heiraten.

Nun kommt meine erste große Sünde. Es fällt mir schwer zuzugeben, aber Alfons und ich, wir haben uns auch nach der Ehe noch öfters getroffen. Außer miteinander gesprochen haben wir auch miteinander geschmust und (ich schäme mich so) auch mehr. Selbst als Alfons geheiratet hat, haben wir uns noch getroffen.

Ich habe Erich lange Zeit gehasst. In meinen Augen war er schuldig, dass ich nicht Alfons heiraten durfte. Auf der anderen Seite tat er mir auch leid, weil meine Eltern ihn so madig machten. Wenn Erich bei seinem Bruder aushalf, war ich immer richtig befreit. Meine Eltern gifteten nicht, ich hatte mehr Freiheiten meinen Alfons zu treffen.

Bis meine Eltern uns im Stadel fanden. Ich wurde regelrecht eingesperrt von meinen Eltern. Als Erich wieder zurück kam, machten sie ihm große Vorwürfe, dass ich noch nicht schwanger wäre. Nun musste ich mit meinem gehassten Mann auch noch im Bett zu Willen sein. Wie war ich froh, als ich bald schwanger wurde. Nun hatte ich hoffentlich lange Zeit Ruhe vor ihm.

Ich hatte das Gefühl, dass auch Erich froh war, dass er mich wieder in Ruhe lassen konnte. Er war ein fleißiger Mann. Er arbeitete hart, achtete auf Ordnung, hatte ein gutes Organisationstalent. Ich stellte fest, dass ich ihn als Knecht sehr gut leiden hätte können. Aber als meinen Mann hätte ich eben lieber Alfons gehabt.

Kaum war mein Mädchen auf der Welt, als meine Eltern wieder rum nörgelten. Einen Stammhalter wollten sie. Erich und ich wurden wieder unter Druck gesetzt. Wir mussten wieder, es tut mir leid für die Kinder, lieblos ein Kind erzeugen. Diesmal wurde es der erwartete Stammhalter. Meinen Eltern war es aber noch nicht genug. Wahrscheinlich wollten sie sicher gehen, dass ich nicht nochmals fremd gehe. Ich wurde all diese Jahre immer bewacht, durfte kaum vor unser Haus gehen. Falls ich zu den Frauen des Dorfes ging, ging meine Mutter immer mit. Und sie drängte mich, noch ein Kind zu zeugen.

Hier möchte ich stillhalten.

Meine Kinder, auch wenn eure Zeugung nicht aus Liebe entstand, habe ich euch über alles geliebt: dich mein geliebtes Mädchen Kathi, und auch dich, mein geliebter erster Junge Franz, und auch dich, mein geliebter Sohn Hans. Und ich weiß, dass auch euer Vater euch über alles liebt und geliebt hat. Ihr hättet sein Gesicht sehen sollen, wenn er in euer Bettchen geschaut hat. Ob meine Eltern mich jemals so angeschaut haben? Wahrscheinlich nicht.

Als meine Eltern starben, schüttete ich meine ganze Verachtung, mein ganzer Hass über meinen Mann Erich. Meinen Eltern durfte ich doch meinen Hass nicht zeigen! Nein, Eltern muss man ehren und ihnen danken, so wird es gelehrt.

Ich wusste, er konnte nichts dafür. Aber ich musste meine Gefühle los werden. Nach ein paar Jahren hatte ich meine Gefühle verarbeitet. Ich bin sehr erschrocken, als ich sah, dass ich meinen Erich, eigentlich ein guter rechtschaffener Mann, bereits in den Ruin, in die Sauferei, getrieben habe. Meine Schuldgefühle wurden immer größer, aber auch mein Stolz.

Es tut mir leid, Erich, dass ich dir eine solche schlechte Ehefrau war. Vielleicht kann dir Maria eine bessere Begleiterin werden. Ich würde es mir wünschen. Auch wenn Maria jetzt dieses Ansinnen weit von sich weist.

Als ich nun krank wurde, habe ich diese Krankheit nicht angenommen, weder als Schicksal noch als Schuld, sondern habe mein Leben verflucht. Der Hass gegen mich selbst, gegen mein Leben, hat mich wieder gepackt und dafür gesorgt, dass ich dir, meinem ergebenen Ehemann, wieder übel mitgespielt habe. Ich habe dein erarbeitendes Geld mit vollen Händen ausgegeben. Es tut mir leid. Ich hoffe, du kommst mit den Kindern nicht um den Hof.

Ich bitte dich Erich, sei mir nicht böse. Mein Stolz hat ein entschuldigen nicht zugelassen. Ich weiß aber, dass du mir ein guter Mann warst. Besser als ich für dich, eine Frau. Pass gut auf alle deine Kinder auf.

Auch meinen Kindern muss ich etwas beichten, auch etwas abbitten.

Mein liebes Mädchen Katharina, ich muss dir etwas beichten.

Mein Freund Alfons ist der Vater deines zukünftigen, oder vielleicht bist du schon verheiratet, Mannes. Ich hoffe, er ist nicht so jähzornig wie sein Vater. Solange wir ein Liebespaar waren, hat sich Alfons zurück gehalten. Aber seine Frau wurde, lt. Aussagen der Angestellten, öfters geschlagen. Ob mein Alfons seine Ehefrau auch gehasst hat?

Ich weiß, dass du den lieben Walter sehr gern hattest, aber ich habe ihn dir ausgetrieben. Ich war der Meinung, er passe nicht zu dir. Vielleicht habe ich aber auch nur gesehen, dass die Familie zu arm für unser Haus war. Als dein Harald dann auftauchte, der Sohn meines früheren Liebhabers Alfons, war ich natürlich begeistert.

Allerdings habe ich Harald nach deinem Geburtstag stockbesoffen heim gebracht. Dabei hat er mir erzählt, dass er Walter ganz einfach ausgestochen habe. Er habe erzählt, dass du mit ihm bereits eine Bettszene gehabt hättest, obwohl du mit Walter gegangen wärst. Ich wollte es dir sagen, aber ich hatte nicht den Mut.

Es tut mir leid, Kathi. Ich hoffe, du musst meine Feigheit nicht ausbaden. Ich habe dich doch so lieb. Ich bete jeden Tag, dass du ein schönes Leben haben wirst. Ich habe Angst, dass dein Stolz dich ebenso umbringen wird, wie er mich um ein angenehmes Leben gebracht hat.

Meine stolze Katharina, wenn du noch nicht verheiratet bist, überlege dir eine Eheschließung gut. Liebst du wirklich deinen Harald? Deinen Stolz wird er dir brechen. Ob er ein guter Ehemann wird, kann ich nicht beurteilen. Solltest du einen anderen Mann aussuchen, dann halte dich mit deinem Stolz zurück. Du würdest euch beide unglücklich machen.

 

Meine Beichte geht weiter. Sie fällt mir sehr schwer. Vielleicht will mich Gott holen, damit ich nicht noch mehr Fehler begehe.

Mein lieber Sohn Franz. Du warst mir einfach der Liebste. Nachdem ich Erich immer verachtet habe, warst du für mich der Mann im Hause. Deshalb durftest du auch lange in meinem Doppelbett schlafen. Selbst als du schon zu alt gewesen bist.

Du kannst dir mein Erschrecken bestimmt vorstellen, als du mir nach der Geburtstagsparty deines Freundes, bei dem du über Nacht warst, aufgeregt und voller Freude gestammelt hast, dass du mit seiner jungen Mutter im Bett gewesen bist. Du seist in die Frau verliebt und du möchtest sie heiraten.

Meine Schimpfkanonen haben unser Verhältnis zerstört. Du wolltest mir zuliebe dennoch deinen Blickpunkt auf die jungen Mädchen richten. Das hast du auch getan. Als du mir gestern erzählt hast, dass du dir nur Mädchen mit hübschen Müttern raussuchen würdest, habe ich erkannt, dass du nicht geheilt bist. Dein Fokus sind die reifen Frauen.

An meinem Totenbett gebe ich dir, Franz, die Erlaubnis eine Frau zu heiraten, welche älter und reifer ist als es deinem Alter entspricht. Mache nicht dich und eine junge Frau unglücklich.

 

„Hier greife ich kurz vor“, unterbrach sich Maria. „Ich möchte euch Gisela, den Rechtsbeistand von Franz vorstellen. Gisela hat sich intensiv um die Sache Franz angenommen. Die Vergewaltigungs-Anklagen sind alle bereits eingestellt, die Vaterschaftsklagen ebenfalls. Es sieht nach einem Freispruch aus. Unser junger Sommergast gab zu, dass sie ihn verhöhnt habe, weil sie festgestellt hatte, dass er nach ihrer Mutter schauen würde.

Und das alles haben wir unserer Gisela zu verdanken. Sie hat intensiv mit Franz gesprochen, viel gearbeitet.“ Maria schaute sie an. „Dabei sind sie sich näher gekommen. Also kurz und gut: Franz und Gisela haben sich verlobt. Erheben wir unsere Gläser und trinken auf das Paar.“

Nach den verhaltenen Glückwünschen für den Jungbauer und seine, ein paar Jahre ältere, Stadtbraut, ergänzte Maria: „Wie die Zukunft aussehen wird, werden wir sehen. Jetzt wollen wir erst einmal alles unter Dach und Fach bringen. Ich werde weiter vorlesen:

 

Mein lieber Sohn Hans. Nachdem ich so viel Stolz an meine Kinder weiter gegeben habe und bereits gesehen habe, wie viel Unglück er mitbringt, habe ich mir vorgenommen, dir diesen Stolz nicht anzuerziehen.

Ich war sehr erfreut, als ich gesehen habe, dass du ein fleißiger arbeitssamer Mann werden wirst; Anständig und liebevoll; ganz dein Vater. Ich liebe dich sehr.

 

Ich bin traurig über mein verpasstes Leben. Deshalb bitte ich euch, lasst dem anderen und auch euch selber mehr Freiheiten. Auch die Freiheit Fehler zu machen.

In inniger Liebe

 

 

 

Nach dem Vorlesen der Beichte von Frau Kleinbauer war es lange sehr ruhig. Jeder hing seinen Gedanken nach. Wie viel Schmerz hatte sich in ihr aufgebaut.

Erst nach langer Zeit nahm Maria ihr Glas in die Hand und prostete:

„Liebe Freundin, deine Beichte habe ich vorgelesen. Ich hoffe, dort wo du bist, gefällt es dir gut. Falls du uns zuschaust, wollen wir dir für deinen Mut danken. Es gehört sehr viel Mut dazu, sich seine Fehler einzugestehen. Du hast noch mehr geschafft. Du hast deine Fehler öffentlich gemacht. Ich danke dir.“

Auch die anderen prosteten der Verstorbenen zu. Jeder noch mit sich und seinen Gedanken beschäftigt. Die Tante und der Onkel von Peter verabschiedeten sich. Die anderen wollten noch dem Bauer helfen und sich dann wieder beim Abendessen zusammen setzen.

Genoveva, Gisela und Maria richteten das Abendessen. Dabei erfuhr Maria, dass sich ihr Peter und Genoveva verlobt haben. Sie war sehr froh. Sie meinte abschließend: „Ich wäre erst zur Operation gefahren, wenn ihr euch versprochen, also verlobt, hättet. Nun habt ihr selber den Entschluss gefasst, euch zu heiraten. Mit meinem Geld werden wir schon etwas Passendes finden. Mach dir keine Sorgen um eure Zukunft. Ich freue mich so. Für meinen Peter, für dich, und für mich!“ lachte Maria.

 

Nach dem schweigsamen Abendessen richtete sich der Altbauer auf. „Während meiner Arbeit habe ich mir viel Gedanken gemacht. Wie ihr alle. Ich denke, dass mein Hoferbe Franz den Hof nicht übernehmen will. So richtig Bauer, mit all seinen Sinnen, ist er leider nicht. Und nachdem seine zukünftige Frau einen hohen Posten in der Stadt inne hat, wird er vermutlich in die Stadt ziehen wollen. Oder wie hast du dir deine Zukunft gesehen?“

„Es tut mir leid, Vater. Ich habe mir eigentlich noch keine Gedanken gemacht. Ich weiß nur eines. Ich werde Gisela heiraten und ich habe vor mit ihr glücklich zu werden. Aber du hast recht, Vater. Gisela gehört nicht als Bäuerin auf den Hof, sie ist eine Stadtpflanze. Was meinst du, Gisela?“

„Die Hauptsache ist, wir sind zusammen“, meinte Gisela. „Aber du hast recht, eine Bäuerin werde ich nicht. Aber du brauchst auch Arbeit. Überlege was du möchtest.“

„Falls Franz auf den Hof verzichtet, frage ich dich, Hans, möchtest du den Hof übernehmen?“ wandte sich der Altbauer an seinen zweiten Sohn.

Hans druckste herum, dann sagte er: „Tut mir leid, Vater. Ich wusste, dass ich den Bauernhof nie bekommen werde. Deshalb habe ich mich bald nach einer anderen Tätigkeit umgesehen. Mir gefällt mein Beruf als Landmaschinen-Mechaniker. Es macht mir nichts aus, am Samstag oder auch Sonntag an Maschinen zu schrauben. Aber mir gefällt es, dass kein Lebewesen abhängig von mir ist. Wenn ich krank bin oder Urlaub habe, dann kann ich im Bett liegen bleiben, solange es mir passt. Diese Freiheit möchte ich nicht eintauschen. Es tut mir sehr leid, Vater.“

 

Der Altbauer wandte sich an seine Tochter: „Und wie sieht es mit dir aus, Kathi? Möchtest du den Hof übernehmen?“

Eine sehr kleinlaute Katharina antwortete: „Ich denke nicht. Ich werde dennoch meinen Harald heiraten. Und wir werden das Ferienhaus für Gäste erweitern. Mir macht es viel Spaß mich um zweibeinige Rindviecher zu kümmern. Das ist auch viel Arbeit und ohne freies Wochenende.

Ich bin gerne im Stall und auch auf den Feldern. Aber richtig Spaß macht mir die Arbeit mit den Gästen. Nein, Papa. Ich würde unseren Hof nur übernehmen, wenn die Stallarbeit und die Feldarbeit reduziert werden. Ich möchte mich nur um die Gäste kümmern.“

„Nun“, hub der Altbauer an, „reduzieren müssen wir den Hof. Bis ich euer Pflichtteil vom Erbe eurer Mutter ausbezahlt habe, wird der Hof schon kleiner werden. Vielleicht sollte ich ihn verkaufen. Dann bekommt jeder seinen Anteil und mit meinem Anteil richte ich das Häuschen wieder her und wohne dort.“

Nun erhob sich ein großes Geschrei. Den Hof verkaufen, ihren Elternhof, das wollten die drei Kinder nicht.

Nach dem Testament der Bauersleute bekam der älteste Sohn den Hof. Die Geschwister bekamen ihren Pflichtteil als Heiratsgut. Sollten sie nicht heiraten, bekämen sie mit 30 Jahren den Pflichtteil ausbezahlt, in Geld und Felder. Sollte der älteste Sohn den Hof ablehnen, bekäme der zweitälteste Sohn den Hof.

Nach längerer Diskussion einigten sich die Kinder, dass die Tiere verkauft und die Felder verpachtet werden. Und einer der Kinder sollte auf dem Bauernhof wohnen. Man würde sich schon einigen.

Der Altbauer war zufrieden. Keine glückliche Lösung, aber mit ihr konnte er leben. Deshalb fragte er Maria: „Nun, wie ist es jetzt mit deiner Lebensgeschichte. Kommt da noch ein Geheimnis? Ehrlich gesagt, würde es mich interessieren, wer der Vater von deinem Peter ist.“

Maria lachte ihn an und meinte trocken „Das glaube ich dir gerne!“

 

„Also, dann kommt nach der großen Beichte meiner Freundin, nun meine Beichte. Auch sie wird für Überraschungen sorgen. Wir Frauen sind zu große Geheimnisträgerinnen.

Also ich habe bereits erwähnt, dass ich ebenfalls einen Freund hatte. Diesen durfte ich auch nicht heiraten, weil ich nur die Tochter einer Magd war und er der zweitälteste Bube eines großen Hofes.“

Sie stutzte. „Wie sich die Ausgangssituation gleichen. Wir Frauen wurden früher für ganz schön blöd gehalten. Und das Schlimme ist, wir waren auch noch so blöd!“

„Weiter im Text, bevor ich vor Traurigkeit nicht mehr sprechen kann. Mein heimlicher Freund musste dann eine reiche Bäuerin heiraten. Ich selber sollte einen Freund meines Vaters heiraten. Bestimmt war das alles gut gemeint. Aber, wie die jungen Leute sind, sie wollen mit ihrem Kopf durch die Wand.

Mein Freund kam immer wieder zurück auf den elterlichen Hof, um seinem Bruder zu helfen. Dabei haben wir uns immer wieder getroffen. Wir wussten beide, dass unser Traum zu heiraten und zusammen zu leben, nicht erfüllt werden kann. Aber, wie gesagt, wir waren beide jung und dumm.“

Maria lächelte alle Anwesende an. „Zwei Wochen haben wir unseren Traum genossen. Sein Bruder war damals schwer krank und lag im Bett, seine Schwägerin musste aufgrund ihrer Schwangerschaft ebenfalls liegen, und mein Freund holte mich auf den Hof. Wir lebten unseren Traum. Danach musste er wieder zurück. Er erzählte mir, dass seine Frau schwanger sei. Unter Tränen nahmen wir Abschied.“

Maria lächelte verträumt. „Unseren Traum. Nachdem es unser Traum war, dachten wir beide nicht weiter. Aber ich bin schwanger geworden. Aus einem Traum wurde für mich einen Albtraum. Ich sollte doch den Freund meines Vaters heiraten. Ich bin abgehauen und wollte mir das Leben nehmen. Aber so leicht ist es nicht, sich umzubringen.

Ich bin dann, ich war schon im 9. Monat, zu meiner Schwester. Meine Version war einfach. Ich arbeite und hole später mein Kind mit in die Stadt. In der Stadt sind allein erziehende Frauen nicht so ungewöhnlich. Meine Schwester war einverstanden.“ Maria lächelte ihre Schwester an.

„Danach bin ich zum Freund meines Vaters, um die Hochzeit abzublasen. Aber er war begeistert, dass ich ein Kind habe. Es stellte sich heraus, dass er keine eigenen Kinder haben kann. Also haben wir geheiratet. Nach der Eheschließung fand ich heraus, dass er sich kastrieren hat lassen. Erst nach einiger Zeit erfuhr ich den Grund. Seine Eltern sind beide geisteskrank gestorben. Er befürchtete für sich das gleiche Schicksal. Deshalb hat er nie geheiratet und wollte seine Krankheit nicht weiter vererben.

Meine Eltern hätten ihm erzählt, dass ich unglücklich verliebt sei, deshalb habe er sich meiner angenommen. Ich wusste, dass dieser Grund für meine Eltern nicht relevant war. Deshalb habe ich sie mehrmals besucht, bis ich geahnt habe, warum sie für mich diese Ehe arrangiert hatten.

Meine Schwester hatte sich vorher schon mit meinen Eltern überworfen, deshalb konnte ich ihnen alles erzählen, was ich wollte. Nun, warum sie mich an den Freund vermittelt hatten, bekam ich bald heraus. Sie hätten einen hohen Kredit zurück zahlen müssen. Dafür hatten sie aber kein Geld. Deshalb die Geschichte mit mir. Sie haben mich verschachert! Das tat sehr weh.

Ich habe ihnen einige Lügen erzählt und habe mich dann ebenfalls aus dem Staub gemacht. Leider hatte ich mit meinem Mann kein Glück. Eigentlich ein ganz lieber, reizender Mann, hat ihn die Krankheit seiner Eltern bald ergriffen. Aus diesem grundehrlichen Mann wurde ein reizbarer misstrauischer Tyrann. Deshalb wollte ich meinem Sohn diesen Mann nicht zumuten. Bei einem seiner Wutausbrüche verletzte er sich so schwer, dass er im Krankenhaus starb.

Ich habe immer nebenher als Aushilfe gearbeitet, so fiel es mir nicht schwer, eine Stelle zu finden. Ich verkaufte unser Haus und wollte nun endlich mit meinem geliebten Sohn zusammen ziehen. Ich habe ihn so vermisst.

Als ich wieder eine neue Stelle angetreten habe, kam das Gesundheitsamt. Man musste sich alle paar Jahre untersuchen lassen. Dabei wurde ein Tumor in meinem Kopf festgestellt. Leider war er schon so groß und verwachsen, dass kein Arzt bereit war, ihn zu entfernen. Ich kam ins Krankenhaus und dann ins Sterbehospiz. Ich hoffte, dass meine Schwester meinen Sohn Peter adoptieren würde. Dann war ich bereit zum Sterben.

Im Hospiz lernte ich Schwester Margareth kennen. Ihr Bruder war Arzt in Amerika. Sie hat meine Bilder zu ihm geschickt. Und dann geschah das Wunder. Er fand einen Arzt, welcher bereit war, mich zu operieren. Ich fuhr hin. Dort stellte sich heraus, dass der Tumor nochmals gewachsen war. Der Arzt dachte nicht, dass ich nachher noch komplett sein würde, also geistig und körperlich ohne Einschränkungen. Ich habe trotzdem zugestimmt.

Es war ein langer Weg zurück in mein Leben, aber er gelang. Bei einer Untersuchung lernte ich einen lieben Mann kennen. Er hatte ebenfalls einen Tumor im Körper. Wir sahen uns öfters und haben uns gegenseitig unterstützt und Mut zu gesprochen. Dabei haben wir uns lieben gelernt und geheiratet.

Wir wollten zusammen nach Deutschland kommen und mein Mann wollte meinen Sohn adoptieren. Auf dem Weg zum Flughafen hatten wir einen schweren Zusammenstoß. Dabei wurden wir beide schwer verletzt. Mein Mann starb an seinen Verletzungen. Auch meine Kraft ging dem Ende zu. Nur der Gedanke an meinen Sohn hat mich am Leben gehalten. Es war eine lange Genesungszeit, bis ich wieder auf dem Damm war.

Ich kam wieder nach Deutschland. Nun war ich so viele Jahre in Amerika gewesen und hatte mich nicht gemeldet. Wie sollte ich meiner Schwester und vor allem meinem Sohn wieder unter die Augen kommen? Jeder dachte bestimmt, dass ich schon viele Jahre tot sei. Ich habe eine Detektivin beauftragt. Sie sollte mir sagen, wie es meinem Sohn ginge und mir ein paar Fotos mitbringen. Ich traute mich nicht, selber vorzusprechen.

Ich war natürlich überrascht, dass Peter nicht von meiner Schwester adoptiert worden war, obwohl er als Sohn geliebt wurde. Noch überraschter war ich natürlich, als ich erfuhr, dass Peter sehr oft auf dem Hof von unserem Altbauer arbeitet.

In der Zwischenzeit hatte mich der Altbauer nämlich in der Stadt zufällig getroffen und gefragt, ob ich seine Hauswirtschafterin werden möchte. Natürlich habe ich abgelehnt, ich hatte genügend Geld von meinen Männern. Ich müsste nicht mehr arbeiten. Aber hier war die Gelegenheit meinen Sohn, wenigstens manchmal, wieder zu sehen. Da musste ich natürlich zugreifen.“

Maria grinste schelmisch. „Das musste ich! Denn ich wollte natürlich auch wissen, wie der Vater mit seinem Sohn umgeht. Schließlich ist mein Jugendfreund Erich, euer Vater Erich Kleinbauer.“

Sie drehte sich zu Peter um. „Peter, darf ich dir deinen Vater vorstellen? Erich, darf ich dir deinen Sohn vorstellen?“

Der Altbauer umarmte Maria. „Maria, ich bin so glücklich. Alles habe ich unter großer Trauer in meinem Herzen getragen. Deshalb hatte ich auch keine Liebe mehr zu dir. Aber schon die Gespräche mit dem Pfarrer haben die verschütteten Gräber wieder aufgerüttelt. Auch deine Lebensgeschichte hat mich sehr gerührt.

Und nun hast du mir noch eine solche Freude bereitet. Ich habe den Peter schon immer gemocht. Und nun ist er mein Sohn. Mein leiblicher Sohn! Ich danke dir, Maria.“ Unter Tränen umarmte er nun auch Peter. Er schämte sich seiner Tränen nicht. Er wusste, sie waren so lange verschüttet, sie mussten sich nun ihren Weg bahnen.

 

Alle hatten Tränen in den Augen. So viele Geheimnisse, so viel Leid. Die Jungen hatten viel Mitleid mit ihren Eltern. Wie viel Gemeinheiten mussten sie ertragen und dazu noch schwer arbeiten.

Nach einer Weile meldete sich Gisela: „Ich hätte jetzt eine Frage. Peter ist ja eigentlich der älteste Sohn von Erich, dem Bauer. Könnte dann nicht Peter den Hof übernehmen? Das wäre zwar ein sehr großzügig  ausgelegtes Testament, aber wenn alle einverstanden wären, könnte man es vielleicht so sehen. Aber ich möchte mich nicht aufdrängen.“

Großes Gemurmel erhob sich. Alle beredeten den neuen Vorschlag von Gisela. Nur der Altbauer schlängelte sich zu Maria. Er führte sie auf den Flur.

„Maria, ich will nicht sagen, dass ich dich noch immer liebe. Dazu haben wir beide zu viel erlebt. Aber ich würde mich freuen, wenn du bei mir bleiben würdest. Vielleicht wird aus Vertrauen noch Liebe. Was meinst du?“

Maria schüttelte den Kopf. „Bitte Erich, erwarte keine Entscheidung von mir. Ich habe dich immer noch sehr gerne. Als Freund und als Mann meiner besten Freundin.“

Sie streichelte ihm die Wange. „Ich mache mich jetzt bereit für meine Kopfoperation. Vorher möchte ich mich nicht zu irgendetwas hinreißen lassen. Ich brauche meine ganze Kraft für diese Operation. Falls ich nicht aufwachen werde, möchte ich nicht, dass du meinst, du wärst gebunden. Du sollst frei sein. Frei dich umzuschauen und vielleicht auch eine andere Frau kennen- und lieben zu lernen.

Falls ich die Operation geistig und körperlich vollständig überleben werde, dann und nur dann, können wir prüfen, ob aus unserer Freundschaft mehr werden kann.“ Maria drehte sich um und ging wieder in das Wohnzimmer.

Der Bauer schaute ihr nach. Unbeholfen trocknete er sich die Tränen ab. „Dafür liebe ich dich.“

 

Imprint

Images: kostenlose Hintergrundbilder
Publication Date: 08-09-2013

All Rights Reserved

Next Page
Page 1 /