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Alltag der Mutter




Holger ruft bei seiner Schwester Hanna an. „Hanna, Mutter möchte, dass wir unbedingt Sie heute besuchen. Ich habe aber den Kindern versprochen, dass wir heute zum Baden gehen. Hast du Zeit?" Hanna ist nicht begeistert. „Eigentlich nicht. Ich hatte letzte Woche Geburtstag, und wir wollten heute Pizza holen und es uns heute Abend zu Hause gemütlich machen. Ich rufe Mama an, ob es nächsten Sonntag in Ordnung ist."

Holger bedankt sich bei Hanna. Als Hanna bei ihrer Mutter anruft, versteht die Mutter nur, dass keines ihrer Kinder Zeit für sie hat. Weil Hanna unter der Woche, wenn überhaupt, auch nur einmal die Mutter besuchen kann, bekommt sie ein schlechtes Gewissen und verschiebt ihr Geburtstagsessen.

Am Freitagabend ruft Hanna bei Holger an. „Holger könntest du morgen kommen, um bei Mama das Gras zu mähen? Ich helfe dir beim Aufladen und Abliefern." Holger möchte morgens erst noch den Wertstoffmüll seiner Familie abliefern, danach würde er dann kommen. Hanna bringt mittags ihre Kinder mit, ihr Mann hat Termine und kann sich deshalb nicht um die Kinder kümmern. Weil die Mutter schaut, ob Holger mit dem Mähen klar kommt, werden die Kinder vor den Fernseher gesetzt. Hanna schneidet die Sträucher und hilft dann Holger.
Am Wochenende darauf putzt Hanna die Fenster bei ihrer Mutter. Danach jätet sie etwas Unkraut. Am Sonntag ist Mama bei Holger zum Kaffee und Hanna holt ihr Geburtstagsessen nach. Leider kann auch Holger unter der Woche selten zu seiner Mutter. Allerdings fährt er einmal in der Woche vorbei und holt die Post. Er kümmert sich um Versicherungen, Rechnungen und dergleichen. Immer wieder ruft er bei seiner Mutter an, um sich mit ihr abzusprechen.

Hanna putzt am Donnerstagmittag gerade ihre Fenster, als Mama anruft. Ihre Nachbarn haben sie eingeladen. Sie hat aber kein Geschenk. Sie fragt, ob Hanna morgen noch ein Geschenk besorgen und vorbeibringen kann. Hanna verspricht es, weil sie morgen noch die Badfliesen bei Mama putzen wollte.

So vergehen Monate. Hanna und Holger versuchen für ihre Mutter alles zu erledigen, damit sie sich ausruhen kann. Sie kaufen ein, helfen im Haushalt, halten den großen Gemüse- und Blumengarten und die Wiese mit den vielen Obstbäumen und Hecken in Ordnung. Die Mutter würde lieber alles selber erledigen, aber ihre Schmerzen lassen es nicht zu. So ist sie auf die Hilfe ihrer beiden Kinder angewiesen.

Hanna und Holger haben noch einen Bruder Heinrich. Allerdings wohnt er weit weg. Er ist verheiratet mit Fanny, sie haben keine Kinder und beide arbeiten viel. Deshalb kann Heinrich seine Mutter nur selten besuchen.

Rückkehr des verlorenen Sohnes




An einem Wochenende ruft Mama bei Hanna an. „Hanna, dieses Wochenende müsst ihr euch nicht um mich kümmern. Heinrich kommt. Ich freue mich so. Ich habe ihn schon so lange nicht mehr gesehen. Manchmal rufe ich ihn an, aber er hat so viel Arbeit. Das letzte Mal habe ich mich beschwert und gesagt, er müsse unbedingt einmal vorbei kommen. Schließlich habe ich und Papa ihm viel Geld geliehen, damit er eine eigene Firma eröffnen kann. Zum Glück hat Papa nicht mehr erleben müssen, wie er bankrott gemacht hat. Er hatte immer so viel Pech. Alles was er anfing, ging schief. Deshalb hat er sich nicht mehr getraut, sich zu melden. Aber seit er die Fanny hat, geht es aufwärts. Er erzählt immer, wie gut seine jetzige Firma läuft. Dieses Mal hat Fanny das ganze Geld reingesteckt und sie versteht das Geld auch zu halten. Ich bin so glücklich, dass ich bald meinen verlorenen Sohn wieder in meine Arme nehmen kann.“ Mama schluchzt etwas.

„Könntest du vielleicht eine Schwarzwälder-Kirschtorte backen? Er mag sie doch so gerne. Und dann musst du mit mir noch einkaufen gehen. Heinrich und Fanny wollen das ganze Wochenende bleiben. Und zur Bank muss ich auch noch. Ich habe fast kein Geld mehr."

Hanna ruft Holger an: „Der verlorene Sohn hat sich gemeldet." „Verlorener Sohn?" fragt Holger nach. „Heinrich kommt. Du kennst doch die Geschichte aus der Bibel, Lukasevangelium, Kapitel 15. Der Sohn, der seinen Erbteil verschleudert hat. Als er am Boden liegt, kommt er zurück. Er wird vom Vater mit offenen Armen empfangen und es wird ein großes Fest gefeiert." „Natürlich kenne ich die Geschichte," schmunzelt Holger, „musstest du bereits ein Kalb schlachten?" Leicht verärgert antwortet Hanna: „Nein, aber Schwarzwälder-Kirschtorte backen und Delikatessen einkaufen. Und du musst auch kurz kommen. Mutter möchte, dass du noch den Wertstoffmüll entsorgst."

Beide hängen ihren Gedanken nach. Dann bestimmt Hanna: „Wenn Heinrich wirklich wieder dazu gehören möchte, werden wir ihn nicht ausschließen. Ich rufe heute an und lade ihn mit Fanny zu uns ein."

Als Hanna mit ihrem Kind beim Arzt im Wartezimmer wartet, wird sie von einer älteren Frau angesprochen. „Ach, Kindchen, es ist eine Schande, dass du und dein Bruder euch so wenig um eure Mutter kümmert. Sie hat mir erzählt, dass sie letzten Sonntag ganz allein war. Und auch sonst würdet ihr nur kommen, wenn sie euch anruft und darum bittet."

Hanna ist erstaunt. „Aber ich bin doch jede Woche einmal bei ihr und oft zusätzlich den ganzen Samstag. Manchmal kommt mein Mann mit und hilft beim Holz zerkleinern, Lampen anschließen, Heizung umschalten, usw. Und Holger fährt auch jede Woche einmal zu ihr und übernimmt den ganzen Schreibkram. Und oft kommt er auch am Wochenende und hilft im Garten oder auf der Wiese. Mein Mann ist leider viel unterwegs und kann deshalb nicht so oft helfen. Holgers Frau ist kränklich, deshalb kann sie auch nicht helfen. Aber Holger und ich helfen viel und gerne. Wenn es weniger Arbeit draußen gibt, dann putze ich und helfe sonst meiner Mutter. Vor zwei Wochen war sie am Sonntag bei uns beim Kaffee. Dieses Wochenende wollte Heinrich sie besuchen. Deshalb haben Holger und ich bereits die notwendigen Arbeiten am Freitagmittag und –abend erledigt." Die Frau sagt nichts mehr.

Hanna ruft Mama an. Wie geht es Heinrich und Fanny? Sie wollten doch bei uns vorbeikommen. Hatten sie keine Zeit? Mama schwärmt von der kurzen Zeit mit Heinrich. Er kam am Samstagmorgen, alleine, ohne Fanny, und er brachte einen riesigen Blumenstrauß mit. Fanny hatte ihr eine seltene Orchidee gekauft. Und am Samstagmittag hatte er sie zum Essen eingeladen. Leider musste er am Samstagabend wieder nach Hause fahren. Mutter ist noch ganz begeistert, wie sie von ihrem Sohn Heinrich verwöhnt wurde. Ärgerlich war für ihn, dass er seinen Geldbeutel verloren hatte. Er hatte überall gesucht und musste dann noch seine Bank anrufen, damit seine Karten gesperrt werden. Auf dem Heimweg musste er auch noch tanken, weil er einen Umweg wegen eines Arbeitskollegen machen musste. Deshalb hat sie ihm Geld vorgestreckt. Aber das ist in Ordnung, er wird ihr das Geld überweisen.

Mama schwärmt noch Monate von dem schönen Wochenende mit ihrem großzügigen Sohn. Allerdings fällt ihr auf, dass die Überweisung von Heinrich immer noch fehlt.


Die Geschichte wäre hier zu Ende.
Auf vielfachen Wunsch gibt es noch eine Fortsetzung.

Umzug der Mutter




Als die Mutter immer schlechter zu Fuß wird, nimmt Hanna sie zu sich in ihre Wohnung. Zuerst freut sich die Mutter. Auch Hanna ist froh, nicht mehr zwei Haushalte führen zu müssen.

Aber immer öfters beschwert sich die Mutter bei Hanna. Die Kinder seien zu laut und zu frech, sie würden ihre Hausaufgaben schludrig machen und helfen würden sie auch ungern. Sie meint, Hanna müsse mit eiserner Hand durchgreifen, sonst würden sie ihr auf der Nase herum tanzen. Außerdem seien die Kinder immer am Fernsehen oder am Computer. Das sei ganz schlecht für Kinder. Hanna sieht aber auch, dass ihre Mutter ständig ihre Sendungen anschauen möchte, dadurch fühlen sich die Kinder gestört. Als auch ihr Mann immer öfters und länger ausbleibt, setzt sie sich mit Holger zusammen. Aber auch Holger weiß keinen Rat.

Als Hanna dann wegen einer Operation zwei Wochen ins Krankenhaus muss, eskaliert zu Hause die Situation.

Die Oma möchte bestimmen, wie alles zu laufen hat, aber keiner nimmt sie Ernst. Die Kinder beschweren sich bei Hanna im Krankenhaus und sind nicht bereit sich bei Oma zu entschuldigen. Und auch Hannas Mann hat genug. Er sagt Hanna, dass ihre Mutter leider nicht mehr bei ihnen wohnen kann. Er habe schon zu lange zugeschaut. Aber wenn sich nicht bald etwas ändern würde, werde er mit den Kindern gehen. Schließlich hätten sie beide schon lange kein Privatleben mehr. Er schlägt vor, wenn Hanna wieder zu Hause sein wird, dann rufe er den Familienrat mit den Geschwistern ein. Hanna stimmt schließlich zu. Zu Hause ruft ihr Mann gleich bei ihren Geschwistern an, sagt um was es geht, bereitet auch seine Schwiegermutter vor, und vereinbart einen Termin.

Als Hanna heimkommt, sind sie und ihre Mutter ganz unglücklich. Beide hoffen auf einen guten Ausgang.

Zum Familienrat kommt Holger mit seiner Frau, auch Heinrich mit seiner Frau Fanny erscheinen. Die Mutter ist voller Hoffnung. Sie weiß, dass sie nicht mehr länger bei Hanna bleiben kann. Sie denkt, dass Heinrich und Fanny sie mitnehmen würden. Sie haben ja eine große Wohnung und keine Kinder.

Heinrich aber macht seiner Schwester Hanna nur Vorwürfe. Schließlich sei sie die Tochter und habe damit die Pflicht sich um die Mutter zu kümmern. Auch wenn ihre Gesundheit und ihre Familie darunter leiden muss. Holger ist entsetzt. Es kommt zum großen Zerwürfnis der Familie.

Als Heinrich mit Fanny unter wüsten Beschimpfungen die Wohnung von Hanna verlässt, sind alle aufgebracht und wütend.

Erneuter Umzug der Mutter




Hanna schaut mit ihrer Mutter Seniorenwohnungen mit betreutem Wohnen an. Als nach wenigen Wochen in der Nähe eine dieser Wohnungen frei wird, zieht die Mutter um. Hanna und Holger sowie deren Ehepartner helfen beim Umzug. Die Mutter ist allerdings so unglücklich über ihren Umzug, dass kein Dank über ihre Lippen kommt. Sie hofft immer noch auf ihren Liebling Heinrich.

Das Haus der Mutter wird verkauft. Die Hälfte des Betrages wird so angelegt, dass die Miete für die Seniorenwohnung für die nächsten Jahre gesichert ist. Die andere Hälfte will die Mutter zur freien Verfügung.

Durch ihr Nörgeln bei den Besuchen ihrer Kinder, kommen Hanna und Holger immer weniger. Die Mutter ruft immer öfters bei Heinrich und Fanny an, um sich über Hanna und Holger und deren Familien zu beschweren. Als Heinrich die Mutter besucht, leiht er sich ihr Sparbuch, weil er die Zinsen nachtragen lassen möchte. Leider verlegt er das Sparbuch.

Als eine frühere Nachbarin die Mutter besucht, fahren sie zusammen zur Bank, um für die Mutter Geld abzuheben. Dort erfahren sie, dass die Mutter eine Generalvollmacht für den Sohn Heinrich ausgestellt hat, und dieser ihr ganzes Geld abgehoben hat.

Durch diese schwere Enttäuschung verzweifelt die Mutter. Sie möchte niemanden mehr sehen. Alle Anrufe wimmelt sie ab.

Die Mutter ist so enttäuscht von ihren Kindern, dass sie nicht mehr leben möchte. Als sie wegen Herzrasen zum Arzt geht, weint sie sich bei ihm aus. Der Arzt rät ihr, ihr Leben nochmals selbst in die Hand zu nehmen, soweit möglich, und ihren Kindern zu verzeihen.

Sie überwindet ihre Lebensunlust, geht zu den Seniorentreffs und kümmert sich um ihre alte Nachbarin. Sie möchte sich bei ihren Kindern entschuldigen. Sie ruft mehrmals bei Hanna an. Aber niemand nimmt ab. Bei Holger meldet sich eine fremde Stimme. Die Telefonnummer gehört nicht mehr Holger. Aber mehr weiß die Person nicht.

Glückliches Ende?




Eines Tages besuchen Hanna und Holger die Mutter unangemeldet. Sie erschrecken, wie abgemagert und zerfurcht die Mutter ist. Sie besuchen sie nun wieder öfters und bringen auch die Kinder mit.

Hanna und Holger haben ein Doppelhaus gekauft und richten sich dort mit Ehepartner und Kinder ein. Alle sind überglücklich, dass sie endlich aus der Enge der Wohnungen raus sind, und nun in einem Haus mit grüner Wiese wohnen dürfen. Es gibt allerdings viel zu tun, bis es richtig bewohnbar ist.

Nach zwei Monaten kommt die ganze Familie von Hanna und Holger vorbei. Sie haben eine tolle Neuigkeit für die Oma. Sie sind in das Doppelhaus eingezogen. Und dort gibt es auch Platz für die Oma. Sie hoffen, wenn alle zusammen halten, dann wird es gut gehen.

Die Mutter ist so glücklich und nimmt sich fest vor, niemandem mehr Vorwürfe zu machen. Jeder muss nach seiner Fassion glücklich werden, auch Heinrich.

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Publication Date: 01-24-2012

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