Cover

Fragmente: Unsere verhasste Panzerbaufirma  (Die Spur der Torpedos)

 

 

Die Vorläuferfirma nannte sich Kaiserliche Torpedofabrik. Es gab hier früher auch einen Torpedosportverein. Der Kaiser war damals in Friedrichsort und besuchte das Werk. Es würde mich wundern, wenn später nicht auch The Führer und seine Schergen einen Besuch abstatteten. Wo zu meiner Zeit die Torpedos gebaut wurden, war nie Thema. Niemand fragte danach. Nur beim Fußballtraining hörtest du manchmal bei Torraumszenen den Ausruf: „Los, Kopfballtorpedo!“ oder kurz als Anweisung: „Kopfballtorpedo!“, womit ein Flugkopfball gemeint war. Meistens würden die missglückten Aktionen belacht.

 

Ich hatte seit frühester Jugend in dem Sportverein Fußball gespielt. Ich war frustriert, dass ich mich später im Herrenbereich nicht durchsetzen konnte und sofort von der Reserve in die Dritte durchgereicht wurde. Doch ich fand schnell Freude an der Mannschaft, obwohl ich zwischendurch immer wieder den „Umweg über die Türkenmannschaft" gehen musste. Es brodelte gehörig im Verein zu der Zeit. Das Sportheim war gegen Abend fast immer knackevoll, zumal wir zu der Zeit über sechs Herrenmannschaften verfügten - die Jugo-Mannschaft mitgerechnet, die eine Zeit existierte, sogar sieben. Der Vereinspräsident war gleichzeitig Manager im nahen Rüstungsbetrieb, in dem neben hochwertigen Motoren, die weltweit vertrieben wurden, auch Panzer, Lokomotiven und Panzerhaubitzen produziert wurden. Es war bekannt geworden, dass es zu irgendwelchen Unregelmäßigkeiten in der Rüstungsfirma gekommen war. Viele hatten Angst, besonders die Zivildienstleistenden, und Ex-Zivis, dass Panzer illegal verschoben wurden.  Unsere Liga bekam nach dem Training regelmäßig Bauernfrühstück vom Vereinsvorstand spendiert. Sie spielten immerhin in der Verbandsliga, und wir gönnten es ihnen. Es nervte bloß, dass sich ständig die Vereinsoberen, allen voran der Präsident, mit in den hinteren Versammlungsraum begaben, um an den Essen teilzunehmen. Es kam immer wieder Gerüchte auf über die Zustände in der Führungsetage der Firma, auch von Korruption und Unterschlagung war fast im Flüsterton die Rede. 

Ich erinnere mich an den Abend, als in der Gaststätte des Sportheims wirklich jeder Platz belegt war. Im Versammlungsraum wurde gerade wieder Bauernfrühstück serviert. Plötzlich betrat der Vereinspräsident Burda das Sportheim und ging durch den Gaststättenbereich in Richtung des Versammlungsraums. Kurz bevor er durch die Zwischentür schritt, schrie ich laut: "Burda, du Arschloch!" Die Leute zuckten zusammen. Doch Burda ging weiter in den hinteren Bereich ohne zu reagieren. Ich schrie erneut, diesmal sogar noch lauter: " Burda, du Arschloch!", erneut mit einer Intonation, mit der im unteren Amateurbereich die Schiris beleidigt werden. Wieder keine Reaktion. Wir zechten weiter. Meine Ausrufe wurden auch von meinen Tischnachbarn, meinen Mannschaftskollegen, weitestgehend ignoriert. Wir zechten weiter im üblichen Tempo. Später, nach dem Essen, verließen die Liga und die Funktionäre den Versammlungsraum. Fast alle fuhren nach Hause, während wir im Sportheim den Abend ausklingen ließen. Auch Vereinspräsident Burda, der vor der halben Fußballabteilung beleidigt wurde, verließ das Sportheim, ohne sich etwas anmerken zu lassen. Doch der Abend verlief nicht folgenlos. Nicht, dass mir jemand die Beleidigung ankreidete. Ganz im Gegenteil. Plötzlich fingen mehrere Eingeweihte an zu singen. Plötzlich war von Korruption die Rede? Von Unterschlagung und illegalen Deals. Mehrere Firmen, alle mit dem Sportverein verbandelt, sollten involviert sein.
In meiner Mannschaft spielte damals ein junger Mann, der im Nachhinein genauso aussah wie Mohammed Atta. Er hieß auch Mohammed.
Es war schon länger davon die Rede, dass Burda die Personalunion zwischen Vereins- und Unternehmensführung für eigene Zwecke ausnutzen würde. Woche für Woche kamen neue Details ans Tageslicht. Die Spekulationen nahmen überhand. 

In meiner Mannschaft spielte auch Rainald, der in der Firma in der Buchhaltung arbeitete. Viele fragten sich, weshalb er immer wieder aufgestellt wurde. Er konnte zwar körperlich den Gegenspielern etwas entgegensetzen, hatte spielerisch aber wenig zu bieten und spielte grausame Pässe. Im Zuge der Burda-Affäre wurde ohm ein Ultimatum gestellt. Entweder packt er innerhalb von zwei Wochen aus, was er über den Korruptionsskandal weiß, oder er habe unverzüglich den Arbeitsplatz zu räumen. Er verlor nach Ablauf der Frist den Job, doch fand im Handumdrehen einen neuen, wieder bei einer örtlichen Rüstungsfirma. So lief das.

 

Unser Mannschaftsführer war Wirtschaftsingenieur auf der MAK. So wie er sich ausdrückte, hatte er mit Rüstungsgeschäften nichts am Hut. Allerdings war er auch auf Geschäftsreisen nach Kanada und Spanien, wo es um Rüstungsgeschäfte ging. Wir löcherten ihn mehrmals in der Kabine. Schließlich hieß es, in Spanien und Kanada würden auch Panzer verkauft, allerdings ganz legal gemäß der Deutschen Exportbestimmungen.

 

Einmal veranstaltete er einen Videoabend für Mannschaftskollegen. Er zeigte just vor fun nach einem Rolling Stone’s-Video eine Verkaufsvideo für den Leopard-2-Panzer.

 

Die Dritte Herren kickte irgendwo im Mittelfeld der A-Klasse. Der Spaß war für alle wichtiger als der Erfolg, das konnten sie sich in den unteren Klassen erlauben, denn hier ging es um fast gar nichts. In der Mannschaft spielten mehrere Studenten, Mitarbeiter des lokalen Rüstungsbetriebs, aber auch einige arbeitslose und drogenabhängige junge Männer. Es wurde stets über heikle politische Themen diskutiert, aber auch über belangloses Zeug. Sie zogen über die Leute her, wenn sie nicht anwesend waren, sagten einigen im Verein aber auch offen die Meinung ins Gesicht. Das spielerische Potential war gar nicht einmal schlecht, ein paar Jahre zuvor stiegen sie sogar als Zweitplatzierter in eine höhere Klasse auf. Doch es wurde ständig Alkohol getrunken, einige rauchten mehr oder weniger offen Marihuana. An einem Samstagabend war eine Spontanparty beim Mannschaftskapitän angesagt, der als Wirtschaftsingenieur in der Rüstungsfirma beschäftigt war. Sie tranken ein Bier nach dem anderen, einige gönnten sich auch das ein oder andere Glas Rum. Der Käpten war in der großen Firma für Verkäufe von Panzern und Panzerfahrzeugen zuständig. Sie hörten an diesem Abend Bands wie Bruce Springsteen, Rolling Stones und die Pogues. Nach einer hitzigen Diskussion über die weltpolitische Situation machte der Käpten der Dritten sich den Spaß, ein Verkaufsvideo für den Verkaufsschlager dieser Firma, ein ausgezeichnet verkäufliches Panzermodell, hervorzuholen und zur Verwunderung seiner Mannschaftskollegen und ohne die Musik leiser zu stellen, in den Videorekorder einzulegen und zu starten. Die Leute staunten nicht schlecht, mit einem Mal auf dem Fernsehbildschirm einen Panzer durch ein Versuchsgelände flitzen zu sehen, sich auf der Stelle zu drehen und Hindernisse wie Mauern und Stacheldraht einfach platt zu walzen. Der Gefechtsturm wurde vorgeführt, der sich schockartig in alle Richtungen zu drehen vermochte. Auch die Durchschlagskraft der Geschosse wurde mit realen Aufnahmen und anhand von Computersimulationen vorgeführt. Im Hintergrund, während auf CD von den „Rolling Stones“ „Satisfaction“ lief, war die kommentierende Stimme eines Sprechers zu vernehmen, der alle gezeigten Funktionen dieses Superpanzers im Detail erläuterte. Die Teamkollegen staunten nicht schlecht, waren zum Teil erheitert, zum Teil schockiert. Das spaltete die Mannschaft in zwei Gruppen. Die einen äußerten Meinungen wie: „Das ist ja geil!“, die anderen: „Mach den Scheiß aus!“ Doch die meisten waren bereits zu besoffen die Tragweite dieser Vorführung zu erkennen. Der Käpten lachte die ganze Zeit vergnügt, nahezu wahnsinnig, während ich als ehemaliger Zivildienstleistender nicht wusste, ob ich lachen oder weinen sollte. Ich befürchtete eine „miese Aktion“ und fragte den Käpten, ob er als hoher Mitarbeiter dieses Rüstungsunternehmens dieses Video überhaupt in der Öffentlichkeit vorführen dürfe und wer es hergestellt habe. Der Käpten wollte seinen Mitspieler erst wieder veräppeln, kam dann jedoch mit der Sprache heraus, dass dafür eigens Firmen engagiert würden, die im Auftrag des Panzerherstellers diese aussagekräftigen Videos produzieren. Der Käpten kam mir ein wenig schwächlich vor, als hätte er ein Kommunikationsbedürfnis und wollte sich mit der Videovorführung Luft und Respekt verschaffen. Ich fragte weiter, was die Firma mit den Videos überhaupt macht. Es hieß, dass sie potenziellen Käufern vorgeführt wurden, die Aufnahmen würden auch ins Ausland verschickt, dann müssten die Interessenten nicht eingeladen werden. Dies geschehe erst bei konkretem Interesse. Die Party blieb feucht fröhlich, einige gackerten wie verrückt, andere fragten sich, wie diese Anwandlung des Käptens zu Stande kam, der jahrelang mit seinen Aufgaben innerhalb der Firma hinter dem Berg hielt und auch auf solche Videoabende verzichtete. Es hieß wieder und wieder, er solle das Video endlich ausschalten. Die Sache wurde immer chaotischer. Der 15 Mann starke Partykreis wurde langsam konfus. Die wenigen Kiffer in diesem Kreis hatten sowieso keine Meinung mehr zu diesem Thema. Sie rauchten ihre Joints und tranken Bier oder Rum. Nach fast 45 Minuten war das Video zu Ende. Jetzt lief eine CD von Bruce Springsteen. Ein vernünftiges Gespräch war nicht mehr möglich. Die Leute waren entweder schockiert, besoffen oder schwelgten in sadistischer Schadenfreude. Diese Fußballmannschaft, die vielen als Kleinod der Aufmüpfigkeit und des politischen Ungehorsams galt, zerfiel in den folgenden Wochen. Es war das Ende der Saison 1993/94. Die Leute hatten sich nichts mehr zu sagen oder konnten nicht mehr miteinander reden. Auch der Käpten hörte in der Folgezeit mit dem Fußballspielen auf. Er spielte noch sporadisch in der Alten Herren des alten Arbeitervereins und widmete sich fortan nur noch seinen Geschäften. Später lernte er seine spätere Frau kennen und gründete eine Familie. Andere aus der Mannschaft bekamen nie wieder ein Bein an Deck, galten als zu kritisch und fanden keine Arbeit mehr in der Peripherie des Rüstungsunternehmens. Der ehemalige Käpten der Fußballmannschaft arbeitete weiterhin weit oben in der Firmenhierarchie, machte sogar wieder Geschäftsreisen nach Kanada und in andere ferne Länder. Ihm ist bis auf den heutigen Tag nicht klar, dass er einen Teil seiner ehemaligen Fußballkollegen durch diese Video-Performance in arge Gewissenskonflikte stürzte, ja fast in den Schwachsinn. Doch die ehemaligen Sportfreunde schützten ihn sogar, denn ein Anruf bei der Firmenführung oder der Presse hätte wohlmöglich gereicht, um diesen Großverdiener in jungen Jahren in die Arbeitslosigkeit zu befördern. Am Ende ging der gesamte Verein den Bach herunter, so dass sich einige der Leute fragten, ob sie nicht nur Knallchargen der Leute waren, die in Personalunion in der Firma und im Verein aktiv waren. Es gab also Videos, die trotz geringer Auflagenzahl einen durchschlagenden Erfolg erzielen können.

 

Jahre später traf ich den ehemaligen Mannschaftskapitän auf der Terrasse eines Cafes am am Falckensteiner Strand wieder. Beide spielten schon lange kein Fußball mehr zusammen. Der Ex-Käptn saß dort mit drei anderen Geschäftsleuten, einer Wirtschaftsdelegation, an einem großen Tisch. Der Ex-Käptn grüßte mich flüchtig, als ich zwei Tische weiter platznahm und zu lesen anfing. Im Hintergrund liefen alte Songs von U2. Ich sollte in den nächsten Minuten ein Top-Rüstungsgeschäft mitbekommen. Neben dem Ex-Kapitän gehörten zwei weitere Personen der örtlichen Rüstungsfirma an. Der Vierte war unschwer am Dialekt als Schweizer zu erkennen. Als vermeidlicher Mithörer bei diesem Deal, es wurde noch nichts unterschrieben, war ich stark verunsichert und fühlte mich wieder als gesellschaftlicher Außenseiter. „25 gepanzerte Fahrzeuge“, hieß es. Sie sollten übernächstes Jahr, es wurde sogar das genaue Datum genannt, an eine Schweizer Firma ausgeliefert werden. Das war schon beschlossene Sache, und wurde noch einmal unterstrichen.

Mein Mannschaftskollege saß lediglich mit am Tisch und sagte im Prinzip nichts. Er rauchte Zigaretten und lächelte hin und wieder beim Ausstoßen des Zigarettenrauchs, blickte sogar krankhaft zu mir rüber. Er wirkte nervös und jungenhaft. Sie verkauften dem Schweizer Waffendealer legal oder illegal, dass mag ich nicht zu beurteilen, Wiesel und andere Panzerfahrzeuge. Ich schrieb gerade Tagebuch und notierte mir ein paar Details auf der Innenseite des Klappendeckels des Tagebuchs.

Jetzt sollte noch ein Panzergeschäft ausgehandelt werden. „Da haben wir ja noch den Leopard-2“. Der Schweizer Waffenhändler, sprach wie jemand, der eine Rede nach der Entgegennahme eines Preises hält, der zuvor mit endlosen Lobpreisungen überhäuft wurde. Nicht zuletzt die malerische Atmosphäre in diesem Café am Meer, das Geschrei der Möwen und das Jaulen der Schiffsirenen überzeugte ihn, auch Leopard-2-Panzer mit in sein kleines Einkaufssäckle zu packen. Auch wenn nur emotional fühlte ich mich ein weiteres Mal unfreiwillig in eine Sache hineingezogen, mit der er gar nichts zu tun haben wollte. Das Vertrauen, dass ich früher dem Mannschaftsführer schenkte, blieb unerwidert, die gemeinsam auf dem Spielfeld verbrachten Stunden bekamen in der Erinnerung einen negativen Beigeschmack. Mir war, als durfte ich damals nur auflaufen, um dem Käpten zu mehr Akzeptanz zu verhelfen.

 

Plötzlich hieß es im Ort, die Panzerbaufirma müsse nach Unterlüß umziehen. Ein Großteil der Arbeiter sollte sich darauf einstellen, in nächster Zeit in diese Kleinstadt umzuziehen, wo sich früher eine Außenstelle des KL-Bergen-Belsen befand. Vielen war anfangs gar nicht klar, in welchem Bundesland sich Unterlüß befindet. Zunächst verbreitete sich das Gerücht, Unterlüß liege in Hessen, dabei liegt es zwischen Hamburg und Hannover. Die ersten Ehefrauen drohten damit, sich scheiden zu lassen, falls sie aufgefordert würden, mit Kind und Kegel an den neuen Arbeitsort umzuziehen. Sie wollten nicht die sozialen Netzwerke aufgeben, die sich in ihrem Wohnumfeld gebildet hatten und dachten dabei vor allem an die Kinder.

 

Martin J. regte das ganze Treiben um die Firma immer wieder auf. Als ich ihn das letzte Mal sah, sagte er: „Das ist alles nur Psychologie!“

 

Ich erhielt zu der Zeit die Silberne Vereinsnadel für 25-Jährige Vereinszugehörigkeit. Obwohl ich die Vereinsnadel nicht persönlich entgegennahm – ein Funktionär gab sie bei meinen Eltern an der Haustür ab – hieß es in der Vereinszeitung, die Nadel sei mir feierlich auf einer Vereinsfeier überreicht worden. Zu der Zeit wurde wieder der Leopard-2-Cup auf dem Vereinsgelände ausgespielt, an dem Werksmannschaften aller an der Leopard-2-Produktion beteiligten Betriebe teilnahmen. Deshalb ließ ich es mir nicht nehmen, die Vereinsnadel aus Protest gegen den Cup zurückzugeben. Ich händigte sie dem Kassenwart persönlich an dessen Haustür aus. Das war natürlich ein vereinsinterner Skandal, der das Fass zum Überlaufen brachte. Die Gerüchteküche brodelte immer stärker. Die Vereinsoberen, die größtenteils mit dem Rüstungsbetrieb verbandelt waren, gerieten immer stärker unter Druck.

 

Ich kochte bereits innerlich. Plötzlich sagte einer der MAK-Unterhändler „Und da haben wir ja noch den Leopard 2.“ Er meinte damit das neueste Panzermodell der Firma, das zugleich Verkaufsschlager war. Sie wollten dem Schweizer jetzt auch noch diesen hochmodernen Kampfpanzer verticken. Da reichte es mir. Das Blut stieg in mir auf, ich wurde aggressiv und depressiv zugleich. Ich stand auf und fuhr frustriert nach Hause.

 

Doch ich war der einzige externe Augenzeuge des Panzerdeals zwischen der MAK und dem Schweizer Waffenhändler. Ich wusste jetzt, dass mehr vorgefallen war, als Korruption mit dem „Schreiben von Rechnungen“ für ungetätigte Arbeiten. Mir war klar, dass mit dem Verkauf von Panzern an einen Schweizer Waffenhändler die Deutschen Rüstungsexportbestimmungen ausgehebelt wurden.

 

Ich war enttäuscht von meinem Mannschaftskollegen, enttäuscht und betrogen. Der ehemalige Mannschaftskollege war jetzt unten durch. Ich weigerte mich sogar später mich mit ihm zu unterhalten.

 

Ich war dermaßen schockiert von dem öffentlichen Waffendeal, dass ich mich von meinem alten Sportverein abkapselte und damit auch von meinen alten Mannschaftskollegen, die zur überwiegenden Mehrheit rein gar nichts mit dem Rüstungsbetrieb, der Panzerproduktion und dem Panzerhandel zu tun hatten. 

 

Ich hätte nicht einmal gewusst, an wen ich mich hätte wenden sollen. Konnte ich den so einfach zur Polizei gehen und vortragen, ich hätte zufällig einem Panzerdeal mit einem Schweizer Waffenhändler beigewohnt? Oder hätte ich einfach bei einem Journalisten oder einer Zeitung anrufen können?

 

Später wurde der Deutsche Waffenhändler Schreiber in Kanada festgenommen, dem jetzt der Prozess drohte.

 

Plötzlich wurde der Rüstungsbetrieb an die Amerikaner verkauft. Der Panzerbau wurde ausgelagert und in einen anderen Stadtteil verlegt. Plötzlich hieß es, bei uns würden nur noch Motoren, Lokomotiven und Baufahrzeuge produziert. Konnte ich dann noch einen Panzerdeal zur Anzeige bringen, der in einem Rüstungsbetrieb seinen Ursprung hatte, der schon gar keine Rüstungsgüter mehr produziert? 

 

Schließlich kam es zu einem Gerichtsverfahren wegen des Korruptionsskandals, das sich immer weiter in die Länge zog. Viele Vorwürfe waren deshalb bereits verjährt. Ich erfuhr davon erst aus der Zeitung. Eines Tages erschien der besagte Artikel in der KN. Er thematisierte die Korruptionsvorwürfe auf der MAK. Trotz der Verjährung diverser Einzeldelikte bekam das Trio des Korruptionsskandals jeweils für mindestens zwei Jahre in Haft. Burda behauptete, er hätte den unterschlagenen Betrag in den Neubau des Sportheims investiert. Das Gelächter über diese Behauptung war groß.

Irgendwann wurde offiziell wegen Korruptionsverdacht ermittelt. Es hieß, dass 2,4 Millionen unterschlagen wurden. Der Begriff, der in Vereinskreisen dafür verwendet wurde, nannte sich „Rechnungen schreiben“, also das Anfertigen von Rechnungen für Arbeiten, die nicht getätigt wurden. Die Firma bezahlte zwar die Handwerkerrechnungen für den Elektro-Betrieb und die Sanitärfirma, doch die Arbeiten wurden nie ausgeführt. Es wird vermutet, dass die Staatsanwaltschaft in eine Falle gelockt wurde. Vermutlich war das „Rechnungen Schreiben“ nur ein Schachzug, um die Staatsanwaltschaft temporär in die Irre zu führen, damit verwerfliche Panzerdeals unentdeckt bleiben.

Nach diesem Vorfall im Sportheim ging es los. Es gab einen Paukenschlag nach dem anderen: Vermutungen, Spekulationen, Theorien, Gerüchte, Anschuldigungen, Auseinandersetzungen, Diskussionen, Rücktritte, Vereinsaustritte, Durchsuchungen, Verhaftungen. Die Ereignisse überschlugen sich.

Schließlich fingen Polizisten mehrere involvierte Fußballspieler direkt nach dem Training an den Kabinen ab, um sie unten im Sportheim zu verhören.  Es waren allesamt Spieler, die hohe Positionen in der Rüstungsfirma bekleideten. Aus Neugierde ging auch ich mit ein paar Mannschaftskollegen kurz runter ins Sportheim und lugte um die Ecke. Das Sportheim war für Gäste gesperrt, denn die Polizei nutzte die Räumlichkeiten. Wir sahen einen Fußballer einem Polizisten gegenübersitzen. Kurz darauf wurden wir aufgefordert, das Sportheim zu verlassen. Das war wohl ein einzigartiger Vorfall in der Vereinsgeschichte und in der Geschichte des deutschen Fußballs. Wir waren geschockt.  

 

Während der zweijährigen Haftzeit wurde einer der Hauptangeklagten, der im Knast hätte sitzen müssen, mit zwei Flaschen Rotwein in den Händen im Ort gehen gesehen. So eng nahmen die Justizbehörden die Bestrafung von Topkriminellen aus der Peripherie der Waffenhändlerszene nicht. Die Delinquenten ließen es sich sichtlich gut gehen und machten Party während des Hafturlaubs. 

 

Subversive Kräfte vermuten, dass ein Stadtoberer, der den Rüstungsbetrieb nach Suchsdorf gelotst hat, ehemaliger Stasi-Mitarbeiter gewesen sein soll. Die Überprüfung verlief negativ, allerdings waren Akten nicht vorhanden, die hätten vorhanden sein müssen. Das spricht für den Verdacht.   

 

Zu guter Letzt kam ich in einem engen Café mit einem mir zuvor unbekannten Maschinenbauer ins Gespräch. Wir sprachen über die alte MAK und den neuen Panzerbaubetrieb in Suchsdorf. Als er das Café verließ, behauptete der Ingenieur mir gegenüber, dass in Suchsdorf nur Prototypen gefertigt werden. Ich befinde mich in keiner Position, das zu überprüfen.

 

 

 

 

 

 

 

 

Imprint

Publication Date: 09-18-2017

All Rights Reserved

Next Page
Page 1 /