Cover

Leseprobe

 

 

 

 

NED LAND

 

 

Kapitän Nemo, Band 1:

Die Nautilus

auf voller Fahrt

 

 

 

Roman

 

 

 

 

Apex-Verlag

Inhaltsverzeichnis

Das Buch 

 

DIE NAUTILUS AUF VOLLER FAHRT 

Erstes Buch: JAGD AUF DIE NAUTILUS  

Zweites Buch: IM EISMEER AUF DER SUCHE NACH EINEM MYSTERIUM 

Drittes Buch: EIN SCHRECKLICHER GOTT 

Nachwort des Herausgebers 

Das Buch

 

Mit Die Nautilus auf voller Fahrt knüpft Ned Land unmittelbar an jene Ereignisse an, die Jules Verne in seinem erstmals 1874/75 erschienen Roman L’Île mystérieuse (deutsch: Die geheimnisvolle Insel) schilderte:  

Das Unterseeboot Nautilus liegt verschüttet in einer Grotte unter der Insel Lincoln, wo auch Kapitän Nemo den Tod findet. Doch – ist Nemo wirklich tot? Der wahnsinnig gewordene Kapitän Thomas Blunt glaubt nicht daran und begibt sich an Bord der Seahunter auf die Suche nach dem ihm so verhassten indischen Prinzen... 

DIE NAUTILUS AUF VOLLER FAHRT

 

  Erstes Buch: JAGD AUF DIE NAUTILUS

 

»Diese einzigen Bande fesseln mich noch an die Erde. Aber seit dem Tage, wo meine Nautilus zum ersten Mal unter die Gewässer tauchte, existiert die Welt für mich nicht mehr. An jenem Tage habe ich meine letzten Bücher, meine letzten Broschüren und Zeitschriften gekauft und seitdem lebe ich in dem Gedanken, dass die Menschheit nichts weiter gedacht und geschrieben hat...«

Kapitän Nemo

  

 

 

Epilog

 

Mein Name ist Ned Land.

Im Jahr 1867 habe ich Professor Pierre M. Aronnax und seinen Assistenten Conseil auf einer Reise begleitet, die uns Aufschluss über ein Meeresungeheuer verschaffen sollte. Es hatte zahlreiche Vorfälle gegeben, bei denen es auch wenige Überlebende gab, die vom Untergang ihres Schiffes berichten konnten.

Nach unserer Rückkehr habe ich bei einem Vortrag des Professors in Amiens den Schriftsteller Jules Verne kennengelernt. Jedenfalls wurde er mir unter diesem Namen vorgestellt. Später erfuhr ich aber auch, dass es sich um einen Schauspieler handelte, und Professor Aronnax in Wahrheit Jules Verne war. Wie auch immer, das ist für einen einfachen Menschen wie mich zu viel gewesen. Jedenfalls interessierte sich der Mann, der sich Verne nannte, sehr für unsere Erlebnisse, als er erfuhr, dass wir drei eine lange Zeit unfreiwillige Gäste an Bord der Nautilus waren, die dem Prinzen Dakkar auf Gedeih und Verderb ausgeliefert waren.

Uns stellte er sich nur als Kapitän Nemo vor, und wenn ich vielleicht auch nur ein einfacher Harpunier bin, so spürte ich vom ersten Augenblick unserer Begegnung, wie stark diese Persönlichkeit war. Nemo gab sich übrigens die größte Mühe, uns mit Freundlichkeit für sich gewinnen.

Bei mir konnte er damit nicht verfangen, ich sah in ihm einen eiskalten Mörder, der nur für seine Rache lebte. Das alles schilderte ich Monsieur Verne genau, denn wer sein Leben auf dem Meer verbringt und beim Walfang jederzeit bereit sein muss, sein Leben zu wagen, der sieht das Leben anders, als ein Wissenschaftler oder gar ein Schriftsteller.

Ich möchte hier nur mal einflechten, wie mich Verne schilderte:

 

Ned Land war ein Kanadier von seltenem Handgeschick, der seinesgleichen in dem gefährlichen Handwerk nicht hatte. Er besaß Gewandtheit und Kaltblütigkeit, Kühnheit und List in besonders hohem Grad, und ein Walfisch musste schon recht tückisch, ein Pottfisch besonders listig sein, um seiner Harpune zu entrinnen.

Ned Land war etwa vierzig Jahre alt, hochgewachsen – über sechs englische Fuß – kräftig gebaut, von ernster Miene, wenig mitteilsam, manchmal heftig und sehr zornig, wenn man ihn reizte. Seine Person erregte Aufmerksamkeit, zumal die Macht seines Blickes, der seine Züge besonders belebte.

Nun gut, da mag sich jeder seinen Teil denken. Was ich nicht verstanden habe, ist, weshalb mich der Schriftsteller gute fünf Jahre älter gemacht hat, als ich bei unserer Begegnung war – alles andere lasse ich mal unerwähnt.

Wie er auch den aus Indien stammenden Prinzen Dakkar schilderte und seine Erfindungen wie sein wirklich bemerkenswertes Unterseeboot Nautilus führte – alles das beschrieb Verne in seinem bekannt gewordenen Roman unter dem Originaltitel Vingt mille lieues sous les mers, erschienen 1869 und 1870. Zu diesem Zeitpunkt war ich längst wieder auf einem Walfänger in der Südsee unterwegs, Wer sich damit etwas auskennt, weiß auch, dass solche Fahrten oft bis zu 18 Monate dauerten. So wird man meine Verwunderung verstehen, als mich jemand auf meine Erlebnisse an Bord der Nautilus ansprach, kaum, dass ich meinen Fuß wieder auf festes Land gesetzt hatte. Aber ich hatte keine Lust, mich mit diesen romantischen Geschichten zu beschäftigen, und mein harter Alltag ließ auch bald die Erinnerungen an unsere Erlebnisse verblassen.   

Eines Tages fand ich dann einen an mich adressierten, dicken Umschlag vor, den mir die Hafenmeisterei in Boston aushändigte, als ich meine nächste Heuer einging. Ich kannte den Absender nicht, irgendeinen französischen Notar, der mir schrieb, dass ich den Nachlass eines gewissen Kapitän Nemos geerbt hätte. Das Schreiben war in Kopie an mehrere Häfen gegangen, die von uns Walfängern gern angelaufen wurden. Es war, als ich es in den Händen hielt, bereits mehrere Monate alt, und enthielt außer der Ankündigung dieser seltsamen Erbschaft keinen weiteren Hinweis außer dem, dass ich mich bitte innerhalb dieses Jahres bei dem Notar in Amiens zu melden hätte.

Amiens, dachte ich? Da wohnte doch auch dieser Jules Vernes! Das weckte meine Neugierde, und ich hatte gut genug in den letzten Jahren verdient, um mir eine kleine Landreise zu genehmigen.  

Erstaunt nahm ich eine Seekiste in Empfang, die wasserfest verschlossen war. Dazu erhielt ich einen Schlüssel, der zwar passte, aber nur mit großen Schwierigkeiten und viel Öl darüber zu bewegen war.

Na, und dann mein Erstaunen, als ich in der Kiste nichts weiter fand als eine offenbar von Kapitän Nemo gezeichnete Karte mit einer Insel, sowie massenweise Papiere, die sich als seine Logbücher herausstellten.

Ich blätterte zunächst alles durch, fand wenig, das mich interessierte, und überlegte gerade, ob ich dem Notar nicht für seine Freundlichkeit danken und ihm dafür die Kiste samt Inhalt überlassen sollte, als ein junger, blasser Herr in die Kanzlei kam und ziemlich aufgeregt wurde, als man ihm sagte, dass ein gewisser Ned Land gerade dabei sei, den Inhalt der Seekiste zu überprüfen.

Er bat darum, eintreten zu dürfen, stellte sich mir als Julius G. Verne vor und fügte hinzu, dass er ein entfernter Verwandter des Schriftstellers sei, der aus Verehrung seinen Vornamen geändert hätte und den eigentlichen Namen Gerard nur mehr abkürzte.

Mir sollte das gleichgültig sein, aber dann fing dieser Mensch an, ein paar der eng beschriebenen Seiten zu überfliegen und wurde dabei immer nervöser, so dass ich ihn allein ließ, um auf dem Flur in aller Ruhe ein Pfeifchen zu rauchen. Als ich zurückkehrte, glühte das Gesicht des blassen Herrn buchstäblich, und er redete wild auf mich ein.

Was ich davon noch behalten habe, war, dass er mich darum bat, das Erbe Nemos verwalten zu dürfen und schließlich zu veröffentlichen. Jeglichen daraus erwachsenen Gewinn sollten wir dann zu gleichen Teilen unter uns aufteilen. Mir war das egal, denn ich hatte weder die Zeit noch die Lust, diese Logbücher durchzulesen. Der junge Mann erklärte mir schließlich, dass er sie umschreiben müsse, um ein paar Geheimnisse des Kapitäns zu wahren, der Notar war gleich bereit, einen Vertrag aufzusetzen, und ich erklärte mich auch damit einverstanden, dass dieser J. G. Verne alleiniger Erbe der Logbücher sein sollte, für den Fall, dass ich von meiner nächsten Reise nicht zurückkehren sollte.

Zudem erlaubte ich ihm, meinen Namen als Erzähler über die veröffentlichen Logbücher zu setzen. Der blasse, junge Mann erklärte mir, dass dadurch die aufgefundenen Logbücher Kapitän Nemos mehr Glaubwürdigkeit erhielten. Das war mir alles recht, ich sehnte mich danach, aus der Kanzlei ins Freie zu kommen.

 

So, das war alles, was ich dem Notar gegenüber erklärte.

Ich unterschrieb und war froh, die Kanzlei mit ihrem staubigen und muffigen Geruch bald wieder verlassen zu können. Auf dem Meer bei Wind und Wetter zuhause, das war meine Welt – nicht Papier und Tinte.

Und doch konnte ich damals nicht ahnen, dass ich zu einem viel späteren Zeitpunkt noch einmal mit den Logbüchern zu tun bekam. Das aber erzähle ich vielleicht einmal selbst zu einem späteren Zeitpunkt. Vielleicht nutze ich dazu die stürmischen Wintermonate.

 

Ned Land, Harpunier

  

 

 

Erstes Kapitel

 

 

»Das glaube ich nicht!« Obwohl der Mann nur flüsterte, hielten seine Gefährten unwillkürlich den Atem an. Es war einfach unmöglich, dass sich ein Fremder hier eingeschlichen hatte. Und doch: Hier war ein Unbekannter in der Höhle unterwegs.  

»Das Sicherheitssystem muss versagt haben! Jeder Fremde wäre beim Betreten der Insel sofort erfasst worden! Habt ihr alles überprüft?«

Die anderen antworteten kaum vernehmbar.

»Selbstverständlich, jeden Morgen und jeden Abend. Es ist vollkommen ausgeschlossen, dass sich ein Fremder auf der Insel befindet.«

Acht Augenpaare folgten der Gestalt, als sie durch die Höhle lief. Sie war hinter dem U-Boot hervorgekommen und duckte sich jetzt immer wieder hinter den natürlichen Felsvorsprüngen, die es in der riesigen Grotte gab. Jede Deckung nutzte der Eindringling, wohl wissend, dass man ihn entdeckt hatte.

»Jeder Zweifel ist vollkommen ausgeschlossen?«, flüsterte Nemo.

»Das ist niemand von uns, Kapitän«, lautete die leise Antwort.

Kapitän Nemo hob das Gewehr mit der besonderen Zielvorrichtung, erfasste die Gestalt und folgte dem davonhuschenden Wesen auf seinem Weg. In dem Okular auf dem Gewehrlauf erschien das gedämpfte Licht der Höhle in einem hellgrünen Schimmer, und plötzlich leuchtete ein winziger Punkt auf. Nemo zögerte keine Sekunde, krümmte den Zeigefinger und wusste im gleichen Augenblick, dass er getroffen hatte. Der Schuss brach sich unter der Felsendecke mit Donnergetöse, hallte mehrfach nach und verebbte dann.

Die Männer applaudierten, während einer von ihnen an die Stelle eilte, an der eben noch die dunkle Gestalt war. Gelächter folgte ihm, als er mit einer starken Lampe den felsigen Boden ableuchtete.

»Hier ist niemand!«, rief der Mann den anderen zu.

»Lass es gut sein, Ali, du hast es einfach nicht verstanden.«

Vorbei war es mit der Rücksichtnahme, alles redete durcheinander. Der Eindringling war doch von dem Schuss niedergestreckt worden. Hatte er sich in Luft aufgelöst? »Robur, Sie sind ein Genie!« Nemo drehte sich zu dem Erfinder an seiner Seite und drückte ihm die Hand. »Aber das ist nichts weiter als ein Zeitvertreib. Morgen müssen Sie beweisen, dass Sie das Lob zu Recht erhalten.«

»Oui, mon capitaine«, antwortete der Erfinder hoch erfreut. »Das wird genauso funktionieren, verlassen Sie sich auf mich.«

Die anderen Männer sahen ihrem Kapitän nach, als er die Schießanlage verließ und zurück auf die Nautilus ging. Dann räusperte sich einer von ihnen und klopfte Robur auf die Schulter. »Ich habe keine Ahnung, wie du das machst, Robur, aber der Kapitän hat wirklich nicht übertrieben – du bist ein Genie!«

»Natürlich, daran besteht ja wohl kein Zweifel«, ließ sich jetzt auch der Deutsche vernehmen. »Als du deine Erfindung vor gut einem Jahr vorgestellt hast, konnte ich nicht begreifen, wie man ein plastisches Bild eines Menschen so darstellen kann, dass es sich bewegt und offenbar auch Töne von sich geben kann. Aber diese Vorführung – alle Achtung, Robur. Das sah nicht nur echt aus, sondern schon sehr unheimlich. Und als der Kapitän geschossen hatte, war ich wirklich überzeugt davon, dass er dort einen heimlichen Besucher unserer Anlage erschossen hat.«

»Wir werden alle täglich mit dieser Vorrichtung arbeiten, meine Herren, das ist der ausdrückliche Wunsch des Kapitäns. Die Zeit der Langeweile ist vorbei. In wenigen Tagen werden wir die Pforten des Gefängnisses aufbrechen, und die Nautilus wird wieder Fahrt aufnehmen. Bis dahin ist noch viel zu tun. Ich verlasse mich auf Ihre Unterstützung am morgigen Tag«, erläuterte Robur.  

Der Mann, den sie Ali genannt hatten, stand vor den anderen und schüttelte noch immer ungläubig den Kopf. »Kann mir das bitte mal jemand erklären? Wo ist der

Mensch geblieben, auf den der Kapitän geschossen hat?«

»Ali – es hat keinen Menschen gegeben. Das war eine optische Täuschung!«, antwortete ein großer, kräftiger Mann aus dem Halbdunkel am Anleger. »Erinnerst du dich nicht an La Stilla, die verstorbene Opernsängerin?«

»Natürlich. Vor einem Jahr hat Robur von ihr bewegte Bilder gezeigt, so, als würde sie noch leben«, erwiderte Ali.

»Richtig. Und wir konnten sie singen hören. Das war die Vorstufe, und jetzt hat er das alles perfektioniert und in eine große Anlage für uns eingebaut. So können wir testen, wie schnell wir sind – und ganz ungefährlich auf einen Eindringling schießen. Verstehst du das jetzt, Ali?«

Als Antwort kam von dem gedrungenen, muskulösen Mann nur ein Brummen. Das Wasser in der riesigen Höhle schien hier schwarz und grenzenlos tief zu sein, ganz langsam bewegte sich die Oberfläche, und fast unwirklich waren die sanften Bewegungen des riesigen U-Bootes, das hier verankert war. Aus den großen Fenstern der Brücke und aus den Seitenfenstern kam das einzige Licht in diesem Bereich der Höhle.

Die Männer betraten den Anleger, auf den mit großen Buchstaben das Motto Nemos gemalt war: Mobilis in mobile – Beweglich im Beweglichen.

 

 

 

Zweites Kapitel

 

 

Die beiden orientalisch gekleideten Männer richteten sich auf. Das schwere Gerät stand endlich so, wie es sich der Dritte von ihnen vorgestellt hatte. Es war ein seltsames Trio, das sich auf dem Hügel der Insel um eine in der Sonne golden glänzende Maschine bemühte.

Eben streckte sich der untersetzte, aber sehr muskulöse Orientale und rieb sich über den bloßen Oberkörper, um den Schweiß abzustreifen. Der andere richtete sich hoch auf und bot einen seltsamen Anblick. Wer ihn von nahem betrachtete, erkannte die stark ausgeprägten indianischen Gesichtszüge. Der Mann war mindestens 1,90 Meter groß, ebenfalls sehr muskulös, aber mit einem Leinenhemd bekleidet. Umso größer war der Kontrast zu dem Dritten, der sich jetzt über die Maschine beugte. Karl Friedrich von Greifenberg legte auch auf der einsamen Insel Wert auf korrekte Kleidung. An diesem heißen Tag war er lediglich bereit, sein Jackett abzulegen und arbeitete nun in Weste und mit schneeweißem Hemd, dessen Manschetten einmal umgeschlagen waren.

»Jetzt den Spiegel, aber Vorsicht!« gab er eben die nächste Anweisung.

Der Indianer griff in die Holzkiste, zog einen Gegenstand hervor und wickelte ihn aus der dicken Filzverpackung. Dann reichte er die glänzende Scheibe an den Deutschen, der sie gleich darauf in eine Halterung an der Maschine einrasten ließ.

»Wie viel Zeit benötigst du, Fritz?«, erkundigte sich der Indianer.

»Etwa eine halbe Stunde. Du kannst dem Kapitän Bescheid sagen, es ist alles für den Schuss bereit.«

Der Indianer brummte nur etwas, machte auf dem Absatz kehrt und lief den Hügel hinunter an den Strand zurück. Hier lag das kleine Boot, mit dem die drei Männer ihre Ausrüstung transportiert hatten. Er griff die Ruder auf und stieß das Boot vom Ufer ab, überwand mit wenigen Schlägen den leichten Wellengang und erreichte das Riffatoll. Der Wind stand günstig. Ahmik richtete den kleinen Mast auf, eine leichte Brise ergriff die Leinwand, das Boot nahm Fahrt auf und umrundete die Insel mit leicht schäumender Bugwelle.

Neben der Felsennadel ließ der Indianer das Segel fallen, machte mit der einfachen Pinne einen Bogen und hielt mit der Strömung direkt auf die Höhlenöffnung zu. Noch während das kleine Boot in langsamer Fahrt den Eingang passierte, richtete sich der Indianer auf und manövrierte sein Fahrzeug an dem riesigen Stahlkörper entlang, der hier vertäut war.

Dann hielt er sich an einer der mächtigen Seitenflossen fest und blickte zur Kommandobrücke, von der eben ein schlanker, hochgewachsener Mann langsam zu ihm herunter schritt. Kapitän Nemo hatte leicht ergrautes Haar, ging aber kerzengerade und sprang mit einem eleganten Sprung in das Boot, der seinen durchtrainierten Körper bewies. Er hatte das Boot kaum zum Schaukeln gebracht, und Ahmik stieß sofort wieder ab, bewegte die Ruder und trieb das Fahrzeug aus der Höhle. Für einen Moment musste er geblendet die Augen schließen, als sie das Dämmerlicht der Höhle verließen und in das Sonnenlicht fuhren. Gleißend fielen die Strahlen der bereits senkrecht am wolkenlosen Himmel stehenden Sonne auf das azurblaue Wasser der kleinen Lagune.

Aber keiner der beiden Bootsinsassen hatte einen Blick für die Schönheit der Natur, die sich auch in der reichen Unterwasserwelt hier im kristallklaren Wasser erblicken ließ. Wenig später scharrte der Bug wieder auf dem weißen Sandstrand, und Nemo war bereits unterwegs, ehe der Indianer das Boot noch an einem Stein sichern konnte.

Gleich darauf schritt er hinter ihm den Hügel hinauf, auf dem die beiden anderen Männer neben der Maschine warteten.

Nemo nickte ihnen kurz zu, dann trat er neben den Deutschen.

»Kapitän«, sprach ihn von Greifenberg an, »es ist alles für Sie bereit. Die Sonne steht genau im Zenit, der Spiegel kann die Energie bündeln. Wenn Sie hier bitte Platz nehmen, dann ist alles andere ein Kinderspiel.«

Nemo sah kurz auf die längliche Maschine, die nur ganz entfernt an einen Gewehrlauf erinnerte. Dann nahm er Platz auf dem Klapphocker, der für ihn bereitstand, klemmte sich das Schulterstück ein, visierte über den Lauf und suchte mit dem Zeigefinger den Druckpunkt.

Er war erstaunt, mit welcher Leichtigkeit alles an dieser insgesamt gewaltigen Maschine ineinanderlief und sich bewegte. Schon beim Anheben des Schulterstückes bemerkte er das leichte Summen, und als er den körperlichen Kontakt gefunden hatte, übertrug sich ein leichtes Vibrieren auf seinen Körper.

 

 

Drittes Kapitel

 

 

»Was macht Sie so sicher, Kapitän Blunt?« Der Steuermann warf noch einmal einen zweifelnden Blick auf die Karten, die sein Kapitän auf dem Tisch ausgebreitet hatte. »Ich meine, es steht doch überhaupt nicht fest, dass es die Insel gibt. Und wir segeln nun schon seit zwei Wochen auf diesem Kurs und sind weit mehr als tausend Seemeilen von Neuseeland unterwegs. Da befindet sich keine bislang unentdeckte Insel.«

Blunt warf seinem Steuermann einen belustigten Blick zu.

»Wie viele Inseln wurden in der letzten Zeit durch Zufälle entdeckt, Steuermann?« Der Mann zuckte die Schultern. »Ich habe keine Ahnung, Käpt’n. Ich habe jedenfalls noch nie eine neue Insel entdeckt, und ich fahre nun schon meine dreißig Jahre zur See.«

Blunt schlug mit der flachen Hand auf die Seekarte.

»Das ist auch der Grund, weshalb ich dich angeheuert habe, Billy. Vertrau deinem Käpt’n und seinem Instinkt. Und natürlich der alten Karte der Amerikaner. Wir holen uns Nemos Schätze von der Insel. Und sollte er noch in seinem verdammten U-Boot stecken, werden wir ihn töten, verstehst du mich? Er hat mir alles genommen, und jetzt werde ich es ihm endlich heimzahlen. Wir haben nur ein Ziel vor uns: Die Insel, und damit die unermesslichen Schätze dieses angeblichen Prinzen. Und dann werde ich ihn mir vorknöpfen – ich persönlich – und ihn töten. Das wird meine Rache sein, für alles, was ich seit unserer ersten Begegnung erleben musste.«

Blunt strich in einer nervösen Geste durch seinen struppigen Bart und fuhr über die feuerrote Narbe, die sein Gesicht entstellte.

Dann deutete der Kapitän auf eine weitere Seekarte, die durch nautisches Besteck daran gehindert wurde, sich wieder zusammenzurollen. Das Papier war alt und fleckig, manches der handgezeichneten Details kaum noch mit dem Auge erkennbar. Die Umrisse der eigenartig geformten Insel waren jedoch deutlich genug. Der mächtige Vulkan schien sie zu beherrschen und zugleich der Insel ein unverkennbares Aussehen zu geben.

Der Steuermann wollte sich gerade abwenden und auf das Deck zurückgehen, als direkt vor ihm die Kajütentür aufgerissen wurde und der Bootsmann aufgeregt ausrief: »Käpt’n, können Sie bitte mal an Deck kommen?«

Blunt sah überrascht auf. »Habt ihr Land gesichtet?«, fragte er.

»Nein, Käpt’n, aber Nebel«, antwortete der Bootsmann.

»Nebel? Hast du getrunken?« Blunt musterte seinen Bootsmann kurz, aber der sah ihn ernst an und deutete nach oben. Mit raschen Schritten eilte der Kapitän auf das Deck zu seinem Zweiten Steuermann. Viele der Matrosen standen auf der Steuerbordseite und starrten über das ruhige Meer.

Der Ozean spiegelte die Sonne vom wolkenlosen Himmel mit tausenden von Lichtreflexen, die dazu beitragen konnten, die Sicht zu beeinträchtigen. Aber was Blunt am Horizont erblickte, verschlug ihm den Atem.

»Nebel! Das ist doch nicht möglich! Wir haben bestes Wetter, das Barometer zeigt keine Veränderung an – und dort ist eine dichte, weiße Nebelbank?« Gleich darauf griff er nach dem Fernglas, stellte es für seine Augen ein und warf einen erneuten Blick in die Ferne.

»Habe ich richtig gesehen, Käpt’n?«, wollte der Bootsmann wissen.

»Schon gut«, brummte Blunt als kurze Antwort, ohne das Glas abzusetzen. Was hatte das zu bedeuten? Die Wetterverhältnisse in diesen Breitengraden ließen keine Nebelbildung zu, und wenn hier eine so deutlich erkennbare weiße Nebelwand war, dann musste das eine besondere Ursache haben. Ein Verdacht stieg in ihm auf. Er stellte das Glas auf die Ablage zurück und wandte sich zu seinem Zweiten Steuermann.

»Kurs auf die Nebelbank beibehalten. Vor der Wand beidrehen. Das kann eine ganz andere Ursache haben.«

»Was meinen Sie mit anderer Ursache?«, wollte der Erste Steuermann, der ebenfalls an die Reling getreten war, wissen.

Blunt warf ihm einen kurzen Blick zu, dann deutete er auf den Horizont.

»Dort liegt die Insel.«

Billy griff das Glas, drehte an den Gläsern und setzte es wieder ab.

»Ich kann nichts erkennen, nur Nebel.«

»Der die Insel verbirgt, Billy.«

»Lincoln Island?«

»Sicher. Oder die Ile Lincoln, wie der Franzose schrieb. Oder, wie sie wohl richtig heißt: Vulcania.«

Damit stapfte Blunt zum Niedergang und war gleich darauf unter Deck verschwunden.

»Vulcania!« Der Bootsmann schnaubte verächtlich durch die Nase. »Glaubst du das,

Billy?«

Der Steuermann blieb die Antwort schuldig.

 

 

 

Viertes Kapitel

 

 

Die Seahunter machte auch mit wenig Wind in den Segeln gute Fahrt. Der schlanke Viermaster mit Klipper-Takelung glitt elegant durch die kristallklare Flut und hatte sich innerhalb der vergangenen Stunde der Nebelbank rasch genähert. Kapitän Tomas Blunt stand wieder auf dem Deck seines Schiffes und musterte die weißgraue Wand, die nicht den Eindruck erweckte, dass man sie einfach durchkreuzen konnte und danach wieder im strahlenden Sonnenschein weitersegelte. Als er jetzt das Fernglas mit einem entschlossenen Ruck absetzte und seine angetretene Mannschaft musterte, huschte ein gefährliches Lächeln über sein von einer breiten Narbe entstelltes Gesicht. Der lange, schwarze Vollbart trug mit dazu bei, ihm ein diabolisches Aussehen zu verleihen. Wer Kapitän Blunt einmal gesehen hatte, meinte, einem der alten Seeräuber begegnet zu sein. Und so falsch war dieser Eindruck auch nicht.

»Mr Collins, sind die Kanonen bereit?«

»Aye, Sir!«, antwortete ihm sein Kanonier mit tiefer Stimme und salutierte dazu, als wäre er an Bord eines englischen Kriegsschiffes.

»Jeder Mann weiß, was er zu tun hat. Sofort nach dem Segelmanöver werden die Maßnahmen durchgeführt. Denkt daran, um was es bei dieser Fahrt geht, unterschätzt dabei nicht Euren Gegner.« Noch ein finsterer Blick in die Runde, dann nickte Blunt zufrieden. Diese Mannschaft war ein Glücksfall. Seit Jahren hatte er die Männer nach ihren Fähigkeiten ausgesucht und in zahlreichen Gefahren auf den Weltmeeren erprobt. Sklaven aus Afrika, Schmuggelfahrten während des letzten Krieges, Überfälle auf reich beladene Handelsschiffe, das war ihr Geschäft. Bislang sehr erfolgreich. Aber jetzt wollte Blunt einen Gegner herausfordern, wie ihn noch niemand erlebt hatte.  

Tomas Blunt warf einen letzten Blick auf die Nebelwand, dann nickte er dem Ersten

Steuermann zu. Kommandos tönten über das Deck, Leinwände wurden gerafft, die Seahunter verlangsamte ihre Fahrt und beschrieb einen großen Bogen. Dann lag sie in der leichten Dünung vor der weißgrauen Wand längsseits.

Geschmeidig öffneten sich die Geschützpforten und entblößten eine Doppelreihe 24-Pfünder.  

Die Matrosen eilten an die Reling, lösten die Taue für die montierte Vorrichtung und ließen sie mitsamt den daran befestigten Gewichten in die klare Flut hinuntergleiten. Der Bootsmann beobachtete, wie die Blasen daran aufstiegen und an die Wasseroberfläche stiegen.  

»Alles bereit, Käpt’n«, meldete er.

»Schön. Wir werden abwarten, was passiert. Unser Gegner hat den ersten Schlag.« Tomas Blunt lehnte sich an die Schanz, während seine Gedanken an die letzten Ereignisse vor ihrer Fahrt zurückeilten.

Die Männer wurden auf eine harte Geduldsprobe gestellt.

 

 

 

Fünftes Kapitel

 

 

»Professor Pierre Aronnax? Monsieur, bitte, einen Moment!«

Der ältere Herr in Frack und Zylinder drehte sich im Gehen um und warf seinem Gegenüber einen unfreundlichen Blick zu. Was er erblickte, veranlasste ihn nur, seine Schritte zu beschleunigen. Schon hatte er seine Haustüre erreicht, den Schlüssel in der Hand. Hastig drehte er ihn zweimal herum und stieß die Tür auf, als ihn sein Verfolger auch schon eingeholt hatte.

Der Professor wandte sich halb gegen den kräftigen Seemann und wollte ihn von sich stoßen, als er einen heftigen Schlag gegen den Kopf verspürte und ohnmächtig zusammenbrach. Der Seemann fing seinen Körper geschickt auf und schob ihn durch die geöffnete Tür in das Haus. Mit dem Fuß trat er nach dem heruntergefallenen Zylinder, der auf diese Weise ebenfalls im Flur landete. Gleich darauf drückte er die Tür hinter sich zu, schleppte seine schwere Last in ein großes Zimmer und legte den Ohnmächtigen auf einer Ottomane ab. Aronnax versank geradezu in den zahlreichen, weichen Kissen, mit denen diese Liege ausgestattet war. Noch immer hatte er sich nicht gerührt, und der Seemann zog ungerührt die Vorhänge zu, bevor er auf einem Stuhl gegenüber der Ottomane Platz nahm.

»Wasser!«, stöhnte der Professor, als er die Augen aufschlug und sich verwundert umsah. Dann erkannte er sein Gegenüber und wollte sich mit einer schnellen Bewegung aufsetzen. Aber der Schlag war kräftig genug, um noch immer zu schmerzen, und mit einem erneuten Stöhnen sank der Meeresbiologe in die Kissen zurück.

»Hören Sie mir zu, Professor!«, drang eine dunkle, raue Stimme an das Ohr des Wissenschaftlers. »Ich komme gleich zur Sache. Und Sie sollten sich Ihre Antworten gut überlegen, es könnte sonst sehr schmerzhaft für Sie werden.«

»Wer sind Sie, und was wollen Sie von mir? Wie kommen Sie dazu, mich vor meiner eigenen Haustüre niederzuschlagen und dann hier einzudringen? Ich verlange von Ihnen auf der Stelle, dass...«  

Der Professor brach ab und starrte auf die mehrläufige Pistole, die ihm der Seemann direkt vor das Gesicht hielt.  

»Falsch, ganz falsch, Professor Aronnax. Sie haben überhaupt nichts zu fordern. Wenn Sie nicht bereit sind, mit mir zu reden, werde ich meinen Fragen Nachdruck verleihen müssen, auch wenn ich persönlich körperliche Gewalt ablehne.« Bei diesen Worten verzog sich das wettergebräunte Gesicht des Seemannes zu einem höhnischen Lachen. Der Mann hatte eine unangenehme Art an sich, und die furchtbare Narbe quer über sein Gesicht war feuerrot und verlieh ihm ein dämonisches Aussehen. Offenbar versuchte er gerade, mit seinem wuchernden, schwarzen Bart diesen Anblick etwas zu mildern, aber die Narbe begann auf der rechten, unteren Kinnhälfte und lief quer über die Nase bis zur linken Stirnseite. Der kräftige Hieb, der sie verursachte hatte, musste die Nase zertrümmert haben, und der Arzt, der sich anschließend daran versucht hatte, war offenbar kein Meister seines Faches gewesen.

»Was wollen Sie? Ich habe kein Geld im Haus, und kann Ihnen nur eine Kleinigkeit aushändigen, die ich bei mir trage.«

Mit einer verächtlichen Bewegung wischte der Seemann durch die Luft. »Geld interessiert mich nicht. Oder sagen wir besser: Im Moment nicht. Es geht vielmehr um eine Landkarte.«

»Was für eine Landkarte? Ich bin Meeresbiologe und kein Landkartenzeichner,  Monsieur. Sie müssen sich in der Person irren.«

Bedrohlich schwenkte die Pistole des Seemannes erneut vor sein Gesicht, dann senkte sich die Waffe plötzlich und Aronnax verspürte einen unangenehmen Druck auf seinem Knie.

»Halten Sie mich nicht zum Narren, Professor. Ich will die Landkarte, in der Sie die Position der Lincoln-Insel eingetragen haben.«

Der Wissenschaftler spürte, wie sich der Druck der Pistole drohend verstärkte. Fieberhaft eilten seine Gedanken in alle Richtungen, um eine glaubhafte Ausrede zu finden. Ein Blick in das vor Wut verzerrte Gesicht des Seemannes genügte jedoch, um zu antworten:

»Sie meinen die Ile Lincoln?«

»Auch Vulcania genannt, Herr Professor. Sind Sie nun davon überzeugt, dass ich mich auskenne? Aber genug des Geschwätzes. Sagen Sie mir, wo sich die Karte befindet, oder ich zerschieße dieses Knie zuerst, danach das andere. Wie lange können Sie diese Schmerzen wohl aushalten? Und Sie werden für immer zum Krüppel, Professor. Also, überlegen Sie, ob Sie mir Ihr Geheimnis anvertrauen wollen. Keine Sorge, es befindet sich bei mir in den besten Händen.«

Aronnax stöhnte leise auf und deutete mit der rechten Hand auf ein Bücherregal neben der Tür.

»Dort drüben, in der zweiten Reihe, hinter der Buchreihe. Dort ist eine kleine Kiste, in der sich die Karte befindet. Der Schlüssel dazu befindet sich hier an meiner Uhrenkette. Aber es ist völlig unsinnig, was Sie vorhaben. Die Karte ist nicht nur sehr ungenau, sondern sehr viel später aus dem Gedächtnis heraus gezeichnet.« Während er noch sprach, riss ihm der Seemann bereits mit brutaler Gewalt die Uhrenkette aus dem Knopfloch, richtete sich auf und drehte sich zu dem Regal um. In diesem Augenblick krachte ein Schuss, der Seemann wirbelte auf dem Absatz herum und fiel gegen die Bücherwand. Ein Blutfleck breitete sich auf seinem Hemd aus, dann hatte er sich gefangen und hob die Hand mit der mehrläufigen Pistole.

  

 

 

Sechstes Kapitel

 

 

Blunt biss die Zähne fest aufeinander, als er seine Wunde untersuchte. Wie konnte das überhaupt geschehen? Er verfluchte sich für seinen Leichtsinn, stopfte das Taschentuch auf die Wunde unter dem Hemd und presste es fest darauf. Der Schmerz raste durch seinen Körper und nahm ihm fast das Bewusstsein. Aber Tomas Blunt war nicht zum ersten Mal verwundet, und die kleine Kugel in seinem linken Oberarm war zwar schmerzhaft, aber nicht gefährlich.  

Aronnax hatte sich als Gegner erwiesen, der nicht einfach aufgab. Als Blunt sich zu der Bücherwand umdrehte, schoss er mit dem kleinen Derringer sofort auf ihn. Noch im Reflex krümmte der Seemann seinen Finger um den Abzug und jagte dem Professor eine Kugel durch die Brust. Dann riss er die Bücher aus dem Regal, nahm die längliche Kiste heraus und drehte mit fahrigen Bewegungen den Schlüssel herum. Sorgfältig zusammengefaltet befand sich die Seekarte darin. Als Blunt sie auseinanderfaltete, fiel ein Blutstropfen auf den Rand und verursachte einen hässlichen Fleck. Nur ein rascher Blick genügte, um ihm zu zeigen, dass er sein Ziel erreicht hatte. Vorsichtig öffnete er die Eingangstür und spähte hinaus. Zu spät! Die Straße herunter jagte eine Kutsche heran, Trillerpfeifen wurden laut, Stiefelschritte hallten auf der Straße, als Blunt die Tür rasch wieder schloss und zur Hintertür eilte. Ein weiterer Blick zeigte ihm, dass der parkähnliche Garten menschenleer war. Im nächsten Moment war Blunt an der Mauer, zog sich mit schmerzerfülltem Stöhnen hinauf und war auf der anderen Seite, bevor man an die Haustür schlug und laut nach dem Professor rief.

Blunt atmete kurz durch, dann eilte er hinunter zum Fluss, wo ihn bereits ein Boot erwartete.

 

 

 

Siebtes Kapitel

 

 

Mit keiner Bewegung verriet Tomas Blunt, welche Schmerzen er ausstehen musste, als sein Bootsmann endlich eine geschützte Ecke gefunden hatte, um das Boot unter überhängenden Bäumen zu verbergen. Kaum war es mit einem Seil am Ufer befestigt, für das ein kurzer Ruck genügte, um das Boot wieder zu lösen, untersuchte der Bootsmann die Wunde.

»Eine lächerlich kleine Kugel, Kapitän«, gab er beim geschickten Hantieren von sich. »So etwas lieben doch eher die Damen. Dem Professor hätte ich nicht zugetraut, dass er sich überhaupt wehrt. Vielleicht wäre es besser gewesen, ich wäre mitgekommenen.«

Blunt schwieg noch immer, auch als der Bootsmann jetzt eine silberglänzende Lanzette ansetzte und mit einer geschickten Drehung in die offene Wunde einführte.

»Na bitte, da ist das Ding schon und wird Ihnen keine Schmerzen mehr zufügen, Kapitän.«  

Er tupfte das nachquellende Blut ab und drückte etwas von dem Verbandszeug leicht auf die Wunde. Mit wenigen Handgriffen sicherte er die Mullauflage mit einem breiten Leinenstreifen, den er um Hals und Schulterhöhle führte und auf dem Rücken verknotete.

Als er seine Arbeit einstellte und die blutigen Lappen einfach in das Wasser warf, griff Blunt nach dem Seil und löste es mit einem kräftigen Ruck seiner gesunden Hand. »Ist alles für unseren zweiten Ausflug vorbereitet, Bootsmann?«, erkundigte er sich, als der Mann zu den Rudern griff, um das Boot in die starke Strömung des Flusses zu lenken.

»Wie befohlen, Kapitän. Wir können in zwei Wochen in Amerika sein und unsere Freunde erwarten. Auf Ihr Zeichen schlagen wir direkt zu.«

»Das Mädchen steht unter Beobachtung?«

Der Bootsmann nickte und verzog sein Gesicht zu einem hässlichen Lachen. »Mädchen ist gut, Kapitän. Die Kleine ist Anfang Zwanzig und hat ihr Studium aufgenommen. Es wird kein Problem sein, sie direkt vom Gelände der Universität zu schaffen. Man lebt dort ziemlich sorglos, und bei Nacht gibt es noch nicht einmal Wachen, die uns in die Quere kommen können.«

»Ausgezeichnet. Jetzt bricht bereits die Dämmerung herein, und niemand wird sich für unser Boot interessieren. In einer Stunde können wir an Bord sein und den zweiten Teil unserer Unternehmung starten. Wie verhält sich der Ingenieur?«

»Cyrus Smith? Keine Sorge, Kapitän, der ahnt nichts. Auch er wird ständig von uns überwacht. Er kann praktisch keinen Schritt machen, von dem wir nicht gleichzeitig erfahren.«

 

 

 

Achtes Kapitel

 

 

Nemo legte den glänzenden Lauf der Maschine ab und schaute auf. Es war etwas in der Luft, das ihn abgelenkt hatte. Aufmerksam sah sich der Kapitän um, musterte seine Männer kurz, die auf seinen Befehl warteten und richtete dann den Blick vom Mount Franklin ab und ließ ihn über die gesamte Insel schweifen. Irritiert folgten die beiden Männer, die unmittelbar neben ihm standen, seinem Beispiel. Es war Ahmik, der Ojibway, der nach dem Kapitän die dünne Rauchfahne entdeckte und stumm in die Richtung auf das Meer hinaus deutete. Schweigend standen die Männer auf der Anhöhe und ahnten, was jetzt geschehen würde.

Diesen Fall hatten sie mehr als einhundert Mal geprobt. Jedes Besatzungsmitglied der Nautilus wusste, was es bedeutete, wenn Fremde auf der Insel trotz der Nebelbank auftauchen würden. Jeder hatte seinen festen Platz. Und einen klaren Auftrag.

»Die Rauchsäule ist ein deutliches Signal«, sagte Kapitän Nemo in die entstandene Stille. »Jemand gibt uns das Zeichen, und wir sollen reagieren. In diesem Fall würde eigentlich die Maßnahme Nummer 1 greifen: Keine Reaktion. Leider taucht dieses Signal zum denkbar ungünstigsten Moment auf. Wir haben nach Roburs Berechnungen keine Möglichkeit, unsere Aktion zu verschieben. Also müssen wir jetzt handeln. Und mit den Konsequenzen rechnen. Macht Euch bereit. Ich werde die Maschine jetzt betätigen.«

Jeder setzte die große, schwere Schutzbrille auf, prüfte den Sitz am Kopf und wartete auf den Schuss.

Die große, schlanke Gestalt Nemos richtete sich hoch auf. Für einen kurzen Moment schien seine Miene zu versteinern, als er erneut den glänzenden Lauf der Maschine ergriff. Dann hatte er die Schulterstütze fest an sich gepresst, beide Hände um den Griff geschlossen. Sein rechter Zeigefinger suchte den Punkt und testete den Abzug auf seine Nachgiebigkeit. Wie von Robur vorausgesagt, reagierte die Maschine wie ein Gewehr mit einem Stecher. Nach der Überwindung des ersten Widerstandes war die Feder bereit, auf den geringsten Druck sofort auszulösen.  

Noch einmal sah Nemo über seine Insel und erkannte die Rauchsäule deutlich über der kleinen Bucht. Dann krümmte er den Zeigefinger, und ein mächtiger grüner Strahl schoss aus dem langen Lauf der Maschine, traf auf eine Felsengruppe am Strand und erzeugte einen unglaublich grellen Widerschein. Alle mussten trotz der Schutzbrillen die Augen schließen, und für einen kurzen Moment dachte Nemo, dass dies das Ende der Insel war. Der Boden unter ihren Füßen vibrierte, ein leichtes Grollen schien die Luft zu durchdringen, und das grelle Licht ergoss sich über den Mount Franklin und die gesamte Insel.

»Die geballte Kraft war jedenfalls außergewöhnlich«, ließ sich als erster der Kapitän vernehmen, als das Licht schlagartig wieder erlosch. »Jetzt kommt es darauf an, ob die Kraft ausreichend war, um die Tonnen von Gestein zu beseitigen, wie von Robur geplant. Auf Gefechtsstation, meine Herren, die Insel Vulcania wird erneut bedroht, und wenn alles funktioniert hat, ist die Nautilus in Kürze wieder frei. Wir wollen uns der erneuten Bedrohung sofort stellen. Vielleicht zum letzten Mal!«

 

 

 

Neuntes Kapitel

 

 

Eine gigantische Welle jagte heran, wuchs dabei höher und höher, bildete eine gewaltige, schäumende Wasserwand mit einer weißen Krone. Dieser Urkraft musste der Viermaster vollkommen unvorbereitet begegnen. Niemand an Bord hatte ein solches Phänomen schon einmal erlebt. Jegliche Warnung kam auch zu spät, denn der Toppsgast hatte seinen Platz längst verlassen. Der Befehl, sofort die Geschützpforten zu schließen, ging im Brausen der stürzenden See unter.

Als die Welle die Seahunter ergriff, traf es die Mannschaft deshalb schwer. Zunächst hob eine gewaltige Grundsee das Schiff hoch hinauf und ließ es dann in ein Tal stürzen, dem die Wassermassen folgten. Das Deck glich einem Chaos. Überall waren Teile der Schanz abgerissen und wirbelten mit Fässern und Planken herum, rissen die Matrosen von den Beinen, die sich gerade noch irgendwo festgeklammert hatten. Das Schiff bäumte sich auf wie ein verwundetes Tier, knarrend schwankten die Masten, an denen die Segel glücklicherweise fest vertäut waren. Eine zweite, kleinere Welle jagte heran und hob das Schiff erneut, wieder stürzten die Wassermassen über das Deck und wuschen alles mit sich, was nicht fest vertäut war. Auch das Buggeschütz war aus der Verankerung gerissen, jagte quer über das schräg gestellte Heck an Tomas Blunt vorüber, der sich an das Steuerrad klammerte, erwischte zwei Matrosen, die sich an Seilen festhielten und stürzte zusammen mit ihnen in die kochende See.

Noch einmal bäumte sich das Meer auf und warf den Viermaster herum, wirbelte ihn um seine eigene Achse wie ein Spielzeug und drückte ihn schließlich auf das Kliff vor Cap Griffe. Dann verliefen sich die Wellen, wurden flach und nach kaum einer halben Stunde erinnerte nichts mehr an die Urgewalten, die hier plötzlich losgebrochen waren.  

Hektische Betriebsamkeit an Bord der Seahunter erfüllte das verwüstete Deck mit Leben. Blunt schrie seine Befehle, und die überlebenden Matrosen waren zunächst damit beschäftigt, die Lenzpumpen zu betreiben, um das auf dem Kliff festsitzende Schiff leer zu pumpen. Dann begannen die Zimmerleute mit der Untersuchung der Schäden.

Blunt schenkte dem Treiben um sich her keine weitere Aufmerksamkeit. Er stand auf der Brücke neben dem Steuer und suchte die Insel mit seinem Fernglas ab. Langsam schwenkte er vom Mount Franklin über die angrenzenden Waldgebiete und wieder zurück. Aber von seinem Gegner war nichts zu erkennen.

»Käpt’n, die Zimmerleute können weiteres Wassereindringen verhindern. Aber die Seahunter liegt fest auf den Felsen, sie rührt sich nicht um einen Millimeter«, erstattete der Bootsmann Rapport.

Blunt setzte das Glas ab und warf ihm einen finsteren Blick zu.  

»Die Taucher sollen sich bereitmachen und mir so schnell wie möglich einen Bericht liefern. Wir sind hier wie auf dem Präsentierteller. Wenn Nemo uns entdeckt, kann er uns abschießen wie eine Tontaube.«

»Er muss uns doch längst entdeckt haben, Käpt’n. Diese Welle wie aus dem Nichts war doch sein Willkommensgruß. Ich möchte nur wissen, wie dieser Teufel das gemacht hat. Vielleicht mit einer Seemine?«

Blunt strich seinen langen Bart glatt und antwortete nicht. Der Bootsmann zog es vor, seinem Kapitän aus dem Weg zu gehen, aber Blunt hielt ihn noch einmal zurück.  

»Was ist mit dem Ingenieur?«

»Alles in Ordnung, Käpt’n. Er hat die Katastrophe unbeschadet in seiner Kajüte überstanden.«

Tomas Blunt drehte sich mit einem Grunzlaut zur Seite und hob erneut das Fernglas.

 

 

 

Zehntes Kapitel

 

 

Martha Smith hatte sich von ihren Freunden verabschiedet und war auf dem Weg zum Wohnhaus auf dem Campus, als ihr eine Bewegung im Schatten des Hauses auffiel. Das Herz schlug ihr bis in den Hals, als sie die schemenhaften Umrisse eines Menschen erkannte.

Wer konnte das um diese Zeit noch sein? Und warum ging dieser Unbekannte nicht auf dem gepflasterten Weg zwischen den Häusern entlang, sondern schmiegte sich so unauffällig wie möglich in das Halbdunkel?

Unwillkürlich beschleunigte sie ihren Schritt und sah sich dabei gleichzeitig rasch um. Der nur schwach mit Gaslaternen beleuchtete Campusplatz war menschenleer, nur aus einem der anderen Häuser fiel ein Lichtschein. Sollte sie einfach ihre Schritte dort hinüberlenken und so tun, als würde sie nicht in ihren Wohnbereich zurückkehren? Jetzt trat die Gestalt aus dem Dunkel und stand vor ihr auf dem Weg. Ein leiser Schrei entfuhr Martha Smith, als sie eine weitere Bewegung aus dem Augenwinkel bemerkte. Ihr Kopf fuhr herum, sie erkannte auch dort einen Menschen, der auf sie zukam.

Noch ein leiser Aufschrei, dann setzte sich Martha rasch in Bewegung. Auch die Gestalt vor ihr begann zu laufen, und nun musste Martha einen raschen Haken schlagen, um der bereits gefährlich nahe gekommenen Person zu entgehen. Die beiden dunklen Gestalten gaben jede Zurückhaltung auf und liefen mit raschen Schritten hinter ihr her.

Martha hatte keine Ahnung, was die Burschen von ihr wollten, aber sie lief leicht und ausdauernd auf das beleuchtete Haus zu. Die letzten Wettkämpfe ihres Jahrganges hatte sie mit hervorragenden Leistungen gewonnen, und jetzt kam ihr das ausdauernde Training zugute.  

Während sie mit großen Schritten über den gepflegten Rasen lief und sich dem Licht näherte, stieß sie einen ersten Schrei aus. Die gedämpften Schritte hinter ihr wurden nicht langsamer, und noch einmal rief Martha gellend um Hilfe, ohne dabei in ihren Anstrengungen nachzulassen.

Mit großer Erleichterung erkannte sie, dass die Haustür aufgerissen wurde. Im hellen Licht der Eingangslaterne standen ihre Kommilitonen, erkannten die Situation und eilten ihr zu Hilfe.

»Martha! Was ist passiert? Bist du in Ordnung?«

Erleichtert sank die junge Frau in die Arme des Nächststehenden, warf einen gehetzten Blick zurück und schluchzte plötzlich auf.

Dann umgab sie ein Stimmengewirr, und für einen kurzen Moment war Martha Smith einer Ohnmacht nahe. Doch dann richtete sie sich auf, noch immer von dem Studenten gestützt, dem sie buchstäblich in die Arme gesunken war.

»Danke für eure Hilfe«, sagte sie mit belegter Stimme. »Ich wurde plötzlich von zwei Männern verfolgt, die mich in der Nähe meiner Unterkunft erwarteten. Das Licht in eurem Haus hat mich gerettet. Ich bin einfach losgelaufen und habe um Hilfe gerufen.« »Das war auch richtig, Martha! Ich habe die Burschen noch gesehen, und einer von ihnen hat das hier verloren!«  

Martha starrte auf das kleine Emblem, das der junge Mann ihr auf der Hand entgegenstreckte.

»Aber... Das ist unmöglich!«, stammelte sie und wich einen Schritt zurück.

»Hast du das schon einmal gesehen? Was bedeutet es?«  

Der Student sah verwundert auf das glitzernde Abzeichen und hielt es in das Licht der Laterne, um die Inschrift entziffern zu können.

»Mobilis in mobile«, las er halblaut. »Beweglich im Beweglichen. Was soll das bedeuten? Und dazu dieses N im Hintergrund?«

Martha hatte sich gefasst, griff nach dem runden Emblem und antwortete: »Mein Vater hat mir davon erzählt. Es ist lange her, als er auf den Mann traf, der dieses Zeichen benutzte. Er hatte meinem Vater und seinen Gefährten das Leben gerettet, als sie nach ihrer Flucht mit einem Ballon aus der Gefangenschaft der Südstaatler auf einer einsamen Insel strandeten.«

»Das kommt mir bekannt vor, Martha. Hat nicht dieser französische Romanautor darüber geschrieben?«

Die jungen Leute gingen jetzt gemeinsam in das Wohnhaus, vor dem sie noch immer standen und über das Ereignis diskutierten.

»Du meinst Jules Verne? Ja, unter dem Titel L’île mystérieuse erschienen drei Bände etwa zehn Jahre nach den Erlebnissen meines Vaters.«

»Erzähl uns mehr davon, Martha! Wie kam es überhaupt zu der Buchveröffentlichung? Haben sich die beiden zufällig kennengelernt?«

Die jungen Leute versammelten sich in der geräumigen Küche, die jedes der Studentenwohnhäuser für die gemeinsame Nutzung aufwies.

»Ich bin eigentlich nicht in der rechten Stimmung dazu«, antwortete Martha ausweichend, aber damit provozierte sie laute Unmutsäußerungen der anderen, und schließlich erklärte sie: »Meinem Vater gelang eine abenteuerliche Flucht mit dem Ballon aus Richmond. Die Zeitungen haben darüber ausführlich berichtet, als er schließlich Jahre später die Insel verlassen konnte, auf der die Flüchtlinge landeten.« »Ich habe den Roman gelesen«, warf einer der jungen Männer fröhlich ein. »Eine tolle Schmonzette, aber das beruht doch wohl nicht auf Wahrheit, oder?«

Martha zögerte mit der Antwort, dann nickte sie und fuhr fort: »Doch, vieles davon hat mein Vater zusammen mit seinen Kameraden wirklich erlebt. Und gerettet wurden sie nur durch das Eingreifen eines geheimnisvollen Inselbewohners, der mit einem U-Boot in einer unterirdischen Höhle eingeschlossen war.«

»Ein U-Boot? Und das soll ich glauben?«, ließ sich einer der anderen vernehmen.

»Natürlich«, antwortete ihm der andere sofort. »Du weißt wohl nicht, dass solche U-Boote bereits im Sezessionskrieg eingesetzt wurden und im Mississippi Schiffe mit Torpedos außer Gefecht setzten?«  

»Mein Vater hat sich damals ziemlich über den Roman geärgert«, antwortete Martha erschöpft. »Dieser Verne hat maßlos übertrieben und alles viel dramatischer beschrieben, als es in Wirklichkeit war. Aber er hat den Franzosen auch nie wieder getroffen.«

»Und was wurde aus dem geheimnisvollen Helfer und seinem U-Boot?«  Martha griff sich an die Stirn.

»Entschuldigt mich bitte, aber ich habe starke Kopfschmerzen und möchte nur noch in mein Bett. Ist jemand von Euch so freundlich und begleitet mich?«

»Selbstverständlich, Martha. Aber morgen treffen wir uns nach der Vorlesung, und du berichtest uns mehr von den Ereignissen, die dein Vater dir erzählt hat, das musst du uns versprechen!«

Martha zögerte, dann huschte ein Lächeln über ihr Gesicht.

»Einverstanden. Aber vorher werde ich mir die Erlaubnis meines Vaters einholen. Das müsst ihr verstehen, schließlich ging es damals um viele technische Geheimnisse, die er an Bord des U-Bootes gesehen hat und über die er später ausführlich in verschiedenen Fachzeitschriften berichtet hat.«

 

 

 

Elftes Kapitel

 

 

Von unserem Sonderkorrespondenten:

 

Geheimnisvolles Attentat auf Professor Aronnax verübt!

Wie soeben gemeldet wurde, hat ein Unbekannter in Paris einen Anschlag auf den Meeresforscher Professor Pierre Aronnax begangen. Dabei wurde der Professor lebensgefährlich verletzt.  

Professor Aronnax ist der breiten Öffentlichkeit durch seine Erlebnisse an Bord des U-Bootes Nautilus bekannt geworden, die der Schriftsteller Jules Verne nach seinem Bericht im Jahre 1870 veröffentlichte. Dieses U-Boot des unheimlichen Prinzen aus Indien war über lange Zeit vergeblich von der internationalen Kriegsmarine gesucht worden, nachdem es zahlreiche Unfälle und Katastrophen gegeben hatte, an denen das U-Boot offensichtlich beteiligt war.

Nach dem Bericht verfügte der Befehlshaber des U-Bootes über unglaubliche Schätze, die er von gesunkenen Schiffen auf dem Meeresgrund geborgen hatte. Seit der Veröffentlichung wurde Professor Aronnax immer wieder von Abenteurern aus der gesamten Welt verfolgt, die Einzelheiten über seine Erlebnisse erfahren wollten.

Erst mit der öffentlichen Erklärung des Professors, dass es sich bei den Schilderungen Jules Vernes lediglich um einen Phantasieroman handle und er als Meeresforscher nur zu Studien für die Fortsetzung seines bekannten Werkes Die Geheimnisse der Meerestiefen unterwegs gewesen sei und niemals etwas von einem Nemo oder einem U-Boot gesehen oder gehört habe, ließen diese Belästigungen nach.

Hat nun einer der Abenteurer erneut versucht, ein mögliches Geheimnis des Professors mit Gewalt zu lösen? Noch schwebt der Gelehrte in Lebensgefahr, die Ärzte sind nicht bereit, etwas über seinen Zustand zu berichten.  

 

Le Figaro, 12. März

 

 

Ingenieur spurlos verschwunden – gibt es einen Zusammenhang mit dem Attentat von Paris?

 

Unser Korrespondent aus Boston meldet soeben das mysteriöse Verschwinden von Cyrus Smith. Der Ingenieur hatte ein bemerkenswertes Schicksal erlitten. Zusammen mit einigen Kameraden gelang ihm die Flucht aus einem Gefangenenlager der Konföderierten kurz vor Kriegsende bei Richmond. Der Ballon landete auf einer einsamen, unbekannten Insel im Pazifischen Ozean, wo die Männer gut vier Jahre lang das Leben von Schiffbrüchigen führen mussten, bevor sie gerettet wurden.

Während ihres unfreiwilligen Aufenthaltes sollen sie regelmäßig Hilfsgüter von einem Unbekannten erhalten haben, den sie erst kurz vor dem Ausbruch eines Vulkanes, der die Insel zerstörte, kennengelernt haben.

Interessant ist in diesem Zusammenhang, dass dieser Unbekannte als Kapitän Nemo benannt wurde, dessen U-Boot Nautilus in einer unterirdischen Höhle festsaß.

Nun gibt es kurz hintereinander also zwei Fälle, in denen man an den Mann mit seinem ungewöhnlichen Unterwasserfahrzeug erinnert wird – das Attentat auf Professor Aronnax und das Verschwinden des Ingenieurs Cyrus Smith.

Die Polizei in Boston schließt jeglichen Zusammenhang aus und erklärte, dass der Ingenieur zu einer privaten Reise in den Rocky Mountains unterwegs sei.

Wie wir inzwischen von seinen Nachbarn erfahren haben, ist das sehr unwahrscheinlich, denn Cyrus Smith soll nach verschiedenen Quellen für die Regierung an einem neuen Projekt gearbeitet haben.

Und ist es nicht seltsam, dass die amerikanische Regierung über ihren Sprecher erklären lässt, dass man niemand mit diesem Namen kennen würde und ein Cyrus Smith auch nie für die Regierung der Vereinigten Staaten gearbeitet habe?

Wir haben inzwischen einen unserer fähigsten Reporter nach Boston geschickt und werden unsere Leser in Kürze über die weiteren Ereignisse unterrichten.

 

Le Figaro, 21. April

 

 

 

Zwölftes Kapitel

 

 

»Die Taucher kommen zurück, Käpt’n«, meldete der Bootsmann, und Blunt eilte an das

Deck, wo man gerade den beiden Männern half, den schweren Helm aufzuschrauben.

»Wie ist die Lage? Bekommen wir die Seahunter wieder frei?«

»Aye, Käpt’n. Das sieht nicht sonderlich schlimm aus. Wenn der Kahn leichter gemacht wird, bekommen wir ihn wieder flott. Allerdings ist ein ziemliches Loch im Steuerbordrumpf. Die Zimmerleute haben es wohl gedichtet, aber man kann erkennen, dass noch immer Wasser eindringt. Wenn wir die Seahunter herunterziehen, könnte es an der Stelle problematisch werden.«

»Das müssen wir riskieren«, entgegnete Blunt. »Nemo weiß längst, dass wir vor seiner verdammten Insel liegen. Es fehlt nur noch, dass er uns ein Kommando auf den Hals hetzt und uns in dieser hilflosen Lage angreift.«

Er strich wieder mit seiner nervösen Geste den struppigen Bart und dachte kurz nach. Bootsmann Kerry beobachtete seinen Kapitän scharf. Hatte der Alte ihnen diese Lage nicht selbst eingebrockt? Warum mussten sie dieses stinkende Zeug an Deck verbrennen? Selbst ein Blinder konnte durch den unangenehmen Geruch von ihrer Anwesenheit erfahren. Auf seine Bemerkung hatte ihn der Kapitän angefahren, dass er genau wisse, was er mache, um den alten Fuchs aus seinem Bau zu locken. Und im Übrigen wäre es ja wohl bekannt, dass sein famoses Unterseeboot in einer Höhle festlag, aus der es kein Entkommen gab.

Jetzt drehte sich der Kapitän rasch um und sah den taxierenden Blick seines Untergebenen.

»Was?«, schnauzte er ihn an, dann deutete er auf die Taucher. »Du hast gehört, wie die Lage ist. Wie lange willst du noch mit dem Entladen des Schiffes warten?« Mit raschen Schritten eilte Blunt über das Deck, schrie die Matrosen an, die ihm über den Weg liefen und trieb sie zur Arbeit an.

Nach zwei Stunden mühevoller Arbeit waren die Beiboote vollgeladen und an der Seahunter vertäut. Noch einmal stieg einer der Taucher hinunter, dann wartete man die Flut ab.

Tomas Blunt musste seine Männer ermahnen, nicht so laut zu rufen, als das Schiff nach einer weiteren halben Stunde frei schwamm. Der Jubel ließ sich aber dennoch kaum dämpfen.  

 

 

 

Dreizehntes Kapitel

 

 

»Maschinen im Halblauf!«, kam der Befehl des Kapitäns, und die Maschinisten sorgten für eine rasche Umsetzung. Ein leichtes Zittern durchlief die Stahlwände der Nautilus, kurz flackerten die elektrischen Lampen, schalteten um auf eine schwache Lichtfrequenz. Deutlich war jetzt das Arbeiten der Maschinen im Schiff zu vernehmen, wenn auch das Geräusch nicht unangenehm war, sondern eher einem gleichmäßigen, melodischen Summen ähnelte.

»Außenscheinwerfer!«  

Die Männer erkannten durch die großen, runden Glasfenster auf der Brücke den starken Lichtstrahl, der jetzt von den beweglichen Außenscheinwerfern den unter Wasser liegenden Höhlenteil durchdrangen. Mit langsamen Schritten näherte sich einer der Panzertaucher dem Backbordfenster und gab Nemo ein Zeichen.

»Maschinen langsame Fahrt voraus!«  

Die Anspannung der Männer zeigte sich auf ihren Gesichtern, die Atmosphäre auf der Brücke wirkte wie elektrisch aufgeladen. Zum ersten Mal seit Jahren bewegte sich die Nautilus in ihrem Gefängnis wieder. Jeder an Bord kannte die Bedeutung dieser Bewegung. Oft durch die Maschinen von Robur simuliert, oft unter harten Bedingungen für die gesamte Mannschaft getestet, wurde es jetzt ernst. Die Nautilus sollte ihr Gefängnis endlich verlassen, und das alles nur durch eine neue Erfindung des genialen Robur, der nicht nur das völlige Vertrauen

Imprint

Publisher: BookRix GmbH & Co. KG

Text: Ned Land/Apex-Verlag.
Images: Christian Dörge/Apex-Graphixx.
Cover: Christian Dörge/Apex-Graphixx.
Editing: Dr. Birgit Rehberg.
Proofreading: Dr. Birgit Rehberg.
Layout: Apex-Verlag.
Publication Date: 10-21-2021
ISBN: 978-3-7487-9747-0

All Rights Reserved

Next Page
Page 1 /