Cover

Leseprobe

 

 

 

 

RICHARD S. SHAVER

 

 

TITANS TOCHTER

- Galaxis Science Fiction, Band 40 -

 

 

 

Roman

 

 

 

 

 

 

Apex-Verlag

Inhaltsverzeichnis

Das Buch 

 

TITANS TOCHTER 

Erstes Kapitel 

Zweites Kapitel 

Drittes Kapitel 

Viertes Kapitel 

Fünftes Kapitel 

Sechstes Kapitel 

Siebtes Kapitel 

Achtes Kapitel 

Neuntes Kapitel 

Zehntes Kapitel 

Elftes Kapitel 

 

Das Buch

Die Brände eines erbarmungslosen Krieges haben das Land rings um die riesige Stadt der Sumpfbewohner auf der südlichen Venus in eine Narbenwüste verwandelt. Die schwelende Oberfläche ist mit einer Schicht geschmolzenen Glases bedeckt. Aber ein Magnetfeld hat die vernichtenden Energiestrahlen der Angreifer neutralisiert.

Dies ist die Gelegenheit für Jim Steele, den Rebellen von der Erde, Rache an seinen Feinden zu nehmen und die schöne Ceulna zu befreien, die in der Zeitkapsel auf ihn wartet...

 

Der Roman Titans Tochter - die Fortsetzung von Zauberbann der Venus - des amerikanischen Schriftstellers Richard Sharpe Shaver (geboren am 08. Oktober 1907; gestorben am 5. November 1975) erschien erstmals im Jahr 1948; eine deutsche Erstveröffentlichung erfolgte 1973.  

Titans Tochter erscheint in der Reihe GALAXIS SCIENCE FICTION aus dem Apex-Verlag, in der SF-Pulp-Klassiker als durchgesehene Neuausgaben wiederveröffentlicht werden. 

  TITANS TOCHTER

 

 

 

 

 

 

  Die Brände eines erbarmungslosen Krieges hatten das Umland des einst schönen Ekippe, der riesigen Stadt der Sumpfmenschen auf der südlichen Venus, zu einer Narbenwüste versengt.

In einem Umkreis von fünfzig Meilen war das Grün der landwirtschaftlich genutzten Flächen und Gärten verbrannt und ausgedörrt, bis schließlich kein Erdreich mehr den Boden bedeckte. Die schwelende und noch rauchende Oberfläche war mit einer Glasschicht bedeckt, die sich neu gebildet hatte.

Nun schwiegen die Kriegsstrahler, ihre Energien waren von Feldern eines statischen Magnetismus lahmgelegt worden. Eltona, unsere Führerin, ein Roboter der Alten, hatte ein Magnetgerät erdacht, das die Dynamos mittels Überinduktion ausschaltete.

Nonur, seit dem Tode von Hekate Anführerin der Rotmäntel vom Kult des Hag, war mit ihrem mörderischen Gefolge vor unseren blanken Waffen zurückgewichen.

Das Schwert war jetzt die einzig brauchbare Waffe innerhalb des starken Magnetfeldes, welches die Kraft eines jeden Dynamos zerstört hatte. Und wir hatten festgestellt, dass die Rotmäntel dem Stahl nicht standzuhalten vermochten.

Ich, Jim Steele, hatte den Umgang mit den großen Schwertern der Sumpfmenschen bei den Arenakämpfen gelernt, die Nonur veranstaltet hatte, als ich ihr Gefangener war. Und ich brannte darauf, meine Klinge in möglichst viele Rotmäntel zu stoßen.

 

 

 

 

  Erstes Kapitel

 

 

Die grotesk aussehenden grünen Sumpfmenschen kehrten still aus dem Dschungel zurück, in dem sie Zuflucht vor der titanischen Zerstörung gesucht hatten, die über die Festung hereingebrochen war, hervorgerufen durch die schrecklichen Waffen unserer Raumflotte, die aus den Raumschiffen der Alten bestand.

Traurig zogen sie über die rauchende, glasige Erde dahin und wichen abergläubisch den Leichen der versengten Sumpfbewohner aus, denen die Flucht vor der Massenvernichtung nicht mehr geglückt war.

Die Sumpfmenschen, eine Gattung, die eine Besonderheit auf der Venus darstellt, sind grünhäutig. Ausgestattet mit Kiemenschlitzen im Nacken, deren hervortretende und gewölbte Kiemenfransen ihnen das Atmen unter Wasser ermöglichen, haben sie daneben auch Lungen für die Luftatmung.

Weitere Kennzeichen sind große schwimmhautbewehrte Hände und Füße, unbewegliche starre Augen und auf dem Kopf ein borstiger Kamm. Es sind Amphibien, Geschöpfe von hoher Intelligenz. Ihre Städte sind raffiniert gebaut und gut befestigt, die barbarische Kultur kunstreich – wenn auch für einen Erdenmenschen wie mich nicht völlig verständlich. Ich konnte es ihnen nicht verargen, dass sie dem plötzlich aufflammenden Kampf zwischen den Amazonen Lefernians, die vom mächtigen Mer-Volk unterstützt wurden, und der giftigen Vampirhorde Nonurs – der auf der Erde geborenen Führerin der piratenähnlichen Rotmäntel – ausgewichen waren.

Unsere Führerin, ein Roboter der Alten, oder vielmehr das synthetische Lebewesen, das ich in einer vergessenen Stadt im Hitzegürtel der Venus entdeckt hatte, hatte sich Nonurs Geschick im Umgang mit den uralten Höhlenwaffen überlegen erwiesen. Unsere Eltona war unsterblich, sie war in jener vergessenen Zeit synthetisiert, das heißt in eine synthetische Lebensform übergeführt worden, als in den Höhlen die größte technische Zivilisation, die unsere Planeten je sehen sollten, blühte. Ihre Ausbildung war Nonurs modernem und höchst oberflächlichem Wissen vom Gebrauch der alten Waffen, die das längst vergangene Herrengeschlecht hinterlassen hatte, so überlegen, dass die Rotmäntel gegen uns keine Chance hatten. Und als es dann zum Kampf mit dem kalten Stahl kam – auf den Eltona die Kampfhandlungen sofort beschränkte – erwiesen sich unsere Amazonen als unschlagbar.

Während ich der mechanisch ausschreitenden, jedoch anmutigen Gestalt Eltonas folgte, durch Tunnels, mühsam in den Basalt gebohrt, vorbei an der düsteren Großartigkeit der Bildhauerkunst der Alten, mit der die Wände prächtig geschmückt waren, befiel mich Niedergeschlagenheit, jedoch nicht wegen der düsteren Umgebung aus toter Vergangenheit.

Nonur hatte sich in ein undurchdringliches metallisches Versteck zurückgezogen, in ein altes Zeit-Verlies, wie man jene Einrichtung nennt, die dem Geschlecht der Alten zur Flucht aus dem Leben diente.

Das Zeit-Verlies ist eine Erfindung, die heute noch immer nicht ganz verstanden wird. Doch wusste ich, dass die überaus harten Metallwände etwas enthielten, das jeglicher Kraftanwendung widerstand, da Eltona auch nicht den leisesten Versuch unternahm, die Wände zu sprengen. Das Zeit-Verlies war ein Ort, an den sich das Geschlecht der Alten zurückzog, wenn es seines fast unsterblichen Lebens müde wurde und dort Jahre oder Jahrhunderte in völliger Entspannung verschlafen und sich der Ekstase seiner Traumbilder und -Gefühle hingeben konnte. Beim Betreten des Zeit-Verlieses wurde an der Tür ein Spezialschloss eingesetzt, ähnlich unseren Tresor-Türen, das anderen ein Eindringen vor Ablauf der eingestellten Zeit unmöglich machte. Zusätzlich gab es dabei ein weiteres Geheimnis – eine Art Zeitverzerrung oder irgendeine andere Besonderheit der Energietransmutation, wodurch das Metall der Wände undurchdringlich gemacht wurde. Auf diese Art schützten die Alten ihren Rückzug aus dem Leben, solange es ihnen beliebte.

Was meine Niedergeschlagenheit verursachte, war die Tatsache, dass wir nicht wussten, wann Nonur herauskommen und ihre Trümpfe ausspielen würde. Und Nonur und ihre böse Gefolgschaft hatten meine junge Braut als Gefangene bei sich.

Ceulna! Mein Herz schlug im Rhythmus ihres Namens, immer und immer wieder. Würde ich sie je wiedersehen, oder würde ich Jahr für Jahr vor dem alten undurchdringlichen Zeit-Verlies sitzen und warten, während Nonur sich an den Traumekstasen der Alten delektierte. Und Ceulna...? Vielleicht würde sie verhungern oder zu Tode gefoltert werden, oder sie war vielleicht schon tot. Denn als letzte Geste des Hohns und der Teufelei hatte Nonur ihr einen Dolch an die Kehle gehalten, als die großen Gewölbetüren des Zeit-Verlieses sich zwischen uns geschlossen hatten – vielleicht für immer.

So kam es, dass ich in niedergeschlagener Stimmung meiner anmutigen Roboter-Führerin Eltona zurück an die Oberfläche folgte. Niedergeschlagen und entmutigt, trotz unseres schwer errungenen Sieges über das Unheil, das die schmarotzerischen Rotmäntel darstellten. Denn ohne Ceulna waren die Früchte des Sieges für mich nur tote Asche. Was kümmerte es mich, dass die Tuon-Amazonen ihre Jugend und Spannkraft wiedererlangt hatten, nachdem sie einem Angriff von radioaktivem Sand hatten standhalten müssen – da ich Ceulna verloren hatte. Was kümmerte es mich, dass die anmutige und reizvolle Eltona sich umdrehte und mitfühlend und verführerisch lächelte, als sie mein trauriges Gesicht sah? So, als wäre sie die verruchteste der vielen synthetischen Schönheiten aus vergessener Zeit – für mich war sie nur ein intelligenter Roboter.

Was nicht ganz stimmte. Denn eine Zeitlang hatten mich ihr Charme und ihre Intelligenz bezaubert, die Wiederspiegelung unendlicher Schönheit, die von ihrem Geist ausging und den Verstand aller Sterblichen in Ehrfurcht vor ihr verharren ließen – bis ich fotographische Studien von ihr gemacht hatte, um der Wahrheit über ihren Körperbau auf den Grund zu kommen. Viel hatte ich dabei nicht in Erfahrung gebracht, bis auf die Tatsache, dass ihr Geschlecht nicht genau dem entsprach, was der moderne Mensch Geschlecht nennt. Denn Eltona war gleich Proteus ein leicht wandelbares Wesen, das in den Augen eines Sterblichen jede beliebige Illusion über seine Natur und Erscheinung hervorrufen konnte. Indem sie die Sehnsüchte eines Menschen las, beantwortete sie sie in Vollkommenheit mittels ihres proteischen, chamäleonähnlichen Wesens. Was meine Gedanken- und Filmaufnahme enthüllte, war ein Wesen, schön über alle Vorstellungskraft hinaus – ja! Aber nichts, was ein moderner Mann hätte Frau nennen können! Denn Frauen dieser Art existieren in dem heute vorherrschenden Menschengeschlecht nicht. Doch sollte ich noch viel mehr über das Geschlecht der Ahnen menschlicher Rassen erfahren, als ich schon wusste. Auf seltsame Weise sollte ich erfahren, dass Eltonas Geschlecht doch keine reine Illusion war.

Neben Eltona schritt Onua, Führerin der Tuon-Streitmacht, deren Anmut und Energie wiederhergestellt worden war. Eins-achtzig groß, eine höchst wirksame Kampfmaschine – und doch schritt sie mit der subtilen, schlangenhaften Geschmeidigkeit der Ur-Versucherin einher. Ihr langer, schimmernder Metallmaschenmantel hing faltenreich bis zum Boden. Er umhüllte sie zur Gänze und war auch den stärksten Strahlen gegenüber undurchdringlich. Der lange Umhang war das einzige richtige Kleidungsstück, das sie trug. Alles übrige war reizvolle tätowierte Hautoberfläche. Die juwelenbesetzten Riemen und Gürtel ihrer Waffenausrüstung verbargen oder schmälerten die Schönheit ihrer Gestalt keineswegs. Die Ausrüstung war streng funktionell – von Haken und Schnallen hing ein Dutzend winziger tödlicher alter Handwaffen. Wie die meisten Tuons bewegte sie sich mit fließender tänzerischer Grazie, einer Anmut, die ihr das Leben auf den kristallklaren Plastikkabelpfaden ihrer Baumstädte verliehen hatte. Sie also hatte ihren gewohnten wiegenden Gang wiedergefunden, und in meinem Herzen freute ich mich für sie, doch auch ihr Anblick gemahnte mich an Ceulna, und meine Freude verwandelte sich in Trauer.

Auf unserem Weg an die Oberfläche sahen wir, in den Höhlen verstreut, viele Tote liegen. Die roten Mäntel von Nonurs Gefolgsleuten des inneren Zirkels lagen Seite an Seite, im Tode gleichgemacht mit ihren Dienern und Kriegern, zusammen mit den großen entenfüßigen Kämpfern aus den südlichen Sumpfregionen, den rothäutigen Abtrünnigen und den wenigen grünen Sumpfmenschen, die unter Nonur Dienst gesucht hatten. Die Schwerter der Tuons und ihrer rothäutigen Verbündeten hatten sich hingeschlachtet, als sie versucht hatten, unseren Angriff so lange aufzuhalten, bis Nonur ihren Fluchtweg gefunden hatte. Ich verfluchte die dumme Ergebenheit dieser Leute gegenüber der bösartigen falschen Verführerin, die sie bis in den Tod betrogen hatte.

Eltona verständigte sich im Geiste mit einem ihrer Roboter, der ihr in einiger Entfernung folgte. Ich konnte ihre intensiven und kraftvollen Gedanken klarer wahrnehmen als jede gesprochene Sprache.

»Legt diese Leiber in den Selectron. Ich möchte sie als Gattungsbeispiele in Bio-Plastik erhalten. Vielleicht werde ich sie nach der Behandlung wieder zum Leben erwecken oder die Körper als Reserveteile für Neuschöpfungen verwenden.«

Über Eltona hatte ich mir jegliches Staunen schon längst abgewöhnt. Ein moderner Verstand hatte ebenso viel Chancen Eltona zu begreifen, wie eine Ameise ein modernes Kraftwerk.

Die Roboter begannen nun aus Lagerräumen unter den Lebensmittel- und Waffenkammern große Blöcke bernsteinfarbiges Kunststoffmaterial heraufzuschleppen. Sie wärmten das Zeug in großen viereckigen Metallfässern an, die vor langer Zeit offenbar zu diesem Zweck zurückgelassen worden waren. Als die Masse weich wie Leim und lauwarm geworden war, legten sie je einen der Leiber in ein Fass und ließen die Plastikmasse erstarren. Sodann verstauten sie die Fässer wieder in den Lagerräumen.

Während dieses Vorgangs, den ich genau beobachtete – ich wusste nicht, was ich sonst hätte tun sollen –, durchfuhr es mich plötzlich wie ein Blitz: Ich sah in einem der Blöcke von sich langsam erwärmender und schmelzender Plastikmasse eine menschliche, eine weibliche Gestalt liegen!

Ich rief Eltona etwas zu, sodann dem Roboter, der die Wärmezufuhr überwachte. Beide kamen sofort zu mir gelaufen.

Ich deutete auf die in dem wolkigen, schmelzenden Block undeutlich sichtbare Gestalt.

Eltona gab dem Roboter einen Gedankenbefehl. Mit phantastischer Kraft hob er die Plastikmasse aus dem Fass und stellte sie auf den Boden.

In der nächsten halben Stunde war Eltona damit beschäftigt, spezielle Apparaturen zusammenzustellen. Dann wurde die Plastikmasse wieder in das Fass zurückgelegt und die Hitze leicht gesteigert.

Als schließlich die bernsteinfarbige Schutzschicht von den Gliedmaßen der Figur geschmolzen war, entfernte der Roboter die Masse wieder aus dem Fass.

Wir standen über die Gestalt gebeugt und mühten uns ab, das restliche bernsteinfarbige Material von ihr abzustreifen.

Vor unseren Augen lag ein Mädchen mit erstaunlich entwickelter Muskulatur und von übermäßiger Körpergröße.

Ich sah Eltona fragend an, weil ich wusste, dass dies ein Wunder war, auf das wir lange gehofft hatten.

Jeder, der die gewaltigen Fähigkeiten des Altengeschlechtes kannte, hoffte und betete, dass irgendwie, irgendwann wenigstens einer von ihnen als Rettergestalt wiederkehren und das uralte medizinische Wissen und Verständnis den Sonnenplaneten wiederbringen würde.

»Wie kommt sie bloß her?«

»Eltona, rette sie!«

Unsere Gedanken überschrien einander aus Sorge, das Wunder dieser Entdeckung könnte dem großen Zerstörer anheimfallen, der alles Leben auf den Sonnenplaneten vernichtet, solange es eine Sonne geben würde. Der uralte Tod, der aus der Sonne stammt.

Eltona gab keine Antwort. Ihre Finger flogen förmlich über das Schaltbrett des Apparates, den sie zusammengestellt hatte. Strahlen erfassten das Zwerchfell des Mädchens, andere wärmten sanft ihre Nasenflügel und zogen die Plastikpfropfen heraus, als diese durch die Wärme feucht geworden waren. Unter der mechanisch arbeitenden Druck- und Zugwirkung des Kraftstrahles pumpte das Zwerchfell nun regelmäßig. Eltona entfernte sich von dem Strahlenmechanismus, der nunmehr fast ein Dutzend wohltätiger Strahlen über die Gestalt ergoss. Sie suchte, wie es schien, stundenlang in den Wandschränken der Kammern, und keiner von uns konnte ihr helfen, denn wir begriffen nicht einmal, was sie wollte. Schließlich kam sie mit einer großen Injektionsnadel, stach damit in den Arm des Mädchens und spritzte die volle Ampulle einer Flüssigkeit hinein. Ich sah nach Minuten voller Sorge, wie in ihren seltsam glühenden Augen Verzweiflung aufstieg – und dann jagte sie eine zweite Spritze in die Brust des Riesenmädchens.

Zeit! Zeit! Ich beobachtete Onua, die sich in stillem Gebet beugte. Dieser Roboter und diese Amazone vermochten die Bedeutung des Fundes voll und ganz zu erfassen. Ich selbst konnte die Wichtigkeit nur an ihren Gedanken und Reflexionen ablesen. Wie oft war darum schon gebetet worden – um einen Messias der Götter der Vergangenheit. Und jetzt, vor meinen Augen, lag eine aus dem großen Geschlecht, aus blinder Anbetung der Vergangenheit zum Leben erweckt! Ein Riesenkind!

Meine Pulse hämmerten, als ihre Brust sich schließlich von selbst hob und senkte und einem anderen Rhythmus gehorchte, als dem mechanisch hebenden und drückenden Kraftstrahl. Als ihr schließlich Farbe in die Wangen stieg, wandte ich mich um und schlang die Arme um Onua. »Sie lebt! Sie lebt!«

Eltona bückte sich und hob die Hand des Riesenmädchens an ihre schönen Lippen! Ich wusste, was es für ihr müdes, einsames Herz bedeutete, dieses Mädchen aus der Vergangenheit gefunden zu haben. Als die langen Wimpern flatterten, als die blauen Augen sich verwundert Eltonas glühendem Gesicht und dann uns zuwandten, als ich hörte, wie sich Gedanken in ihr regten und durch den Generator verstärkt wurden, sich immer höher erhoben, schließlich das Gewölbe füllten, da begann diese wundersame, ehrfurchtgebietende Gedankenmusik des Altengeschlechtes die ganze seltsame Szene zu beherrschen. Die Gedanken des Riesenkindes sagten:

»Warum? Warum? Diese Veränderungen! Ich sollte doch nur den kleinen Tod nehmen und das Nichts durchschreiten – ich hätte inmitten der kalten Felsen von Calteran erwachen sollen, weit weg von dem Nichts dieser plötzlich versengenden Sonne. Ich hätte dank der reinen Kohlenstoffeuer der tiefen Höhlen Calterans erwachen sollen. Ich hätte dort leben sollen, wo der Tod unbekannt ist. Die Herren versprachen, dass hier niemand zurückbleiben sollte. Oh! Oh! Roboterweib, tröste mein Herz. Alle sind sie weg – weg!«

Eltona nahm das schöne Riesenhaupt in die Arme und begann mit einer Stimme zu singen, die ich bei ihr noch nie gehört hatte. Ein seltsames Lied war es, voll fremdartiger Harmonien, und durch diese Weise pulsten ihre Gedanken – laut, zu laut, um ohne Schmerz gehört zu werden, doch war es wohltätige Pein. Die Weise sang von alten Tagen, vom großen Geschlecht, sang vom wiedererstandenen Leben in ihren Armen und erklärte, warum man das Riesenkind zurückgelassen hatte. Kündete von der Katastrophe der plötzlich hereinbrechenden Sonnenflammen, die den Aufbruch beschleunigt hatten – und deshalb hatte man das Kind zurücklassen müssen. Dieses und sie selbst, Eltona, samt den anderen mechanischen Menschen, die nun mit geneigtem Haupt dastanden. Das Lied sang von Ruhm, von Arbeit, von schrecklicher Zerstörung auf den Planeten, den andauernden Kriegen, die sie austrugen – und von Eltonas Rückzug in die Ruinen ihrer alten Heimat, von Eltonas Lügen sich selbst gegenüber, die sie veranlassten, so viele Jahrhunderte im Verborgenen zu bleiben, verborgen vor dem vergänglichen Leben unter der Sonne, das um so vieles minderer war als das wahre Leben.

Und die ganze Zeit über, während sie der schluchzenden Riesin vorklagte, wurde mein Herz von Mitleid erfasst für dieses Kind, das seine Lieben so fern in der Vergangenheit verloren hatte und nun dem Schrecken des Alters entgegensah, vor dem dieses Geschlecht geflohen war. Verstand und Nerven empfanden Mitleid, das auch Eltona empfand. Ich wusste, dass das Altengeschlecht groß gewesen war, weil die Alten ein großes Herz und großen Verstand besessen hatten. Der Schmerz war für sie weitaus größer als menschlicher Schmerz und Kummer – unendlich verheerender.

Da knieten nun das Roboterweib und das lebendige Kind nebeneinander auf dem Boden, und ich neigte den Kopf, und Onua weinte leise in meinen Armen. Denn Wunder und Wehmut, die seltsame, vergangene Herrlichkeit und der Kummer dieser Augenblicke, überwältigten uns. Wir gingen leise hinaus und überließen es den beiden aus der Vergangenheit Stammenden, ihren Kummer allein zu tragen. Für uns war es unerträglich! Hoffentlich würde sich ihr Geist als stark erweisen, sodass sie dereinst den Menschen den Weg zu den Höhlen des kalten und sonnenlosen Calteran würden weisen können – wo immer dieser Planet auch sein mochte – und in die von Kohlenstoffeuer gewärmten Höhlen unter der gefrorenen Oberfläche.

Onua, die leise in meinen Armen schluchzte, seufzte: »Jim, eines Tages finden die Menschen vielleicht die Höhlen des fernen Calteran wieder. Eines Tages, Jim. Immer werden wir darauf hinarbeiten, dass diese Reise zustande kommt, dass sie endlich möglich wird! Wie dumm wir doch bis jetzt waren! Wir hatten die Raumschiffe vor Augen, dazu so zahlreiche Spuren der Vergangenheit – und haben nicht begriffen, dass wir, um zu leben, dem Sonnenlicht entfliehen und uns in den fernen Raum zurückziehen müssen, wo es keine Radioaktivität gibt. Dort sollen große, reine Feuer in Höhlen entstehen, die unsere Städte wärmen, damit wir ein unsterbliches Leben voll Herrlichkeit führen, das Nichts mit unseren Raumschiffen überbrücken und immer weiter in eine neue und herrliche Zukunft vordringen! Dazusitzen und so viele Jahrhunderte lang nicht zu begreifen... Die Menschen waren ja so dumm, Jim! Nie war mir so klar, was wir alles unterlassen haben! Unter dieser tödlichen Sonne kann es kein Leben geben. Die Strahlen enthalten zu viel zerstörende Kraft. Wen die Strahlen dieser Sonne treffen, der ist von jeglichem Kontakt mit dem wahren menschlichen Leben ausgeschlossen. Das bedeutet, dass wir alle jetzt so geworden sind, Jim. Jetzt sind auch wir Geschöpfe des Bösen, unter der Sonne des Bösen herangewachsen und daher viel zu zerstörerisch veranlagt, als dass man uns noch trauen könnte. Unsere Kriege, unser Elend, unsere Übeltaten künden davon. Es gibt kein geistig gesundes intelligentes Lebewesen, das uns nicht jeglichen Zutritt zu jenen Stätten des Friedens verweigern würde!«

Ich nickte. Ich wusste genau, was sie meinte. Denn die Augen jenes engelhaften Wesens aus dem Altengeschlecht der Riesen hatten uns voll Entsetzen angesehen. Für sie waren wir wie die armen Seelen in der Hölle. Wir standen als Geschöpfe so tief unter ihresgleichen, dass wir in ihrer Welt keiner näheren Betrachtung wert waren. Wir Wahnsinnigen, die das Leben unter der zerstörerischen Sonne verbrachten. Und sie war mitten unter uns erwacht und hatte sofort erfasst, dass es für sie niemals Befreiung geben würde! Denn das Leben der Sonnenplaneten ist von jeglichem Kontakt von dem reinen Leben in den Höhlen der Allplaneten streng geschieden! Für sie war es, als wäre sie in ihrer himmlischen Heimat friedlich zur Ruhe gegangen – und in einer Hölle erwacht! Jetzt war sie eine der Verdammten und konnte nie mehr zu ihrem eigenen Volk entfliehen: Denn sie war zu lange auf einem der zu meidenden Planeten unter der tödlichen Sonne gewesen. Diese furchtbare Wahrheit, die ich Eltonas Gesang und ihren Blicken entnommen hatte, würde ich als schmerzliche Last mit mir tragen.

»Onua – wir könnten einen Fluchtversuch wagen. Wir könnten Schiffe ausrüsten und in den Raum vorstoßen! Die Schiffe sind für solche Reisen ausgerüstet und mit entsprechenden Antriebswerken versehen. Jenes Volk, welches das Kind hier zurückgelassen hat, wird uns ganz sicher nicht aufnehmen, aber wir könnten ja auf eigene Faust einen sonnenlosen Platz suchen und ein neues Leben beginnen! Die Flucht vor dem Alter, das durch die von der Sonne ausgesandten radioaktiven Strahlen verursacht wird, könnte uns die Kraft dazu geben!«

Onua sah mich an. Sie hatte neuen Mut gefunden. »Ja, Jim, wir könnten es versuchen! Der Versuch macht uns vielleicht unserer Ahnen würdig, jenes Volkes, das so war wie dieses schöne Kind!«

 

 

 

 

  Zweites Kapitel

 

 

Ein Monat sollte vergehen. Ein längliches schwarzes Schiff verließ die Venus, zog vorbei an der Planetenbahn der Erde, der Bahn des Mars, und gewann ständig an Geschwindigkeit.

An Bord des Schiffes befanden sich zweihundert Blöcke voll bernsteinfarbigen Plastikmaterials. Fünfzig enthielten Mer-Menschen, fünfzig Sumpfmenschen, fünfzig waren Tuon-Frauen, die die Angriffe der Rotmäntel heil überstanden hatten, da sie aus Panete stammten, das die Vernichtungskommandos Nonurs nicht erreicht hatten. Fünfzig stammten aus den Städten der Roten und waren durch das Los ausgewählt worden. Sie alle bildeten die Vorhut einer Wanderung, die so lange dauern würde, wie es auf der Venus intelligente Wesen gab.

Am Steuer saß einer von Eltonas Robotern, teilnahmslos, gelassen; er wartete, wartete, dass die Zeit verginge, dass er das All durchflöge, wartete auf den kalten Planeten, der sein Ziel bildete. Sodann würde er kehrtmachen und von der Durchführbarkeit des Projektes berichten.

Auf der Venus machte sich fieberhafte Aktivität bemerkbar, dazu eine Hoffnung, die hinter all dieser Tätigkeit und den von Idealismus getragenen Planungen steckte, wie man das nie zuvor gesehen hatte. Im Hintergrund dieser Aktivitäten arbeitete der synthetische Verstand Eltonas, ruhig und voll Zuversicht, und daneben wachten die traurigen, aber immer aufmerksamer werdenden Augen des Kindes der Alten – und gaben Ratschläge, »wie alles sein sollte.«

Zwillingsstrahlen verbanden Eltonas Bewusstsein mit dem jungen Spross des Altengeschlechtes. Dadurch wollte der Roboter diejenigen menschlichen Eigenschaften gewinnen, die er für die selbstgestellte Aufgabe benötigte, den gesamten Planeten Venus unter einer planetenumfassenden Regierung zu organisieren, mit der Absicht, diesen erschreckenden Niedergang zu überwinden, der das Wesen, welches aus der grandiosen Lebensordnung des Altengeschlechtes stammte, zutiefst erschreckt hatte.

Den Verfall, den nur sie beide ganz zu begreifen schienen, seine Ursache und Natur – und jetzt war ein Heilmittel aufgetaucht!

Mit dem Ziel, der Expedition, die mit einem Roboter am Steuer ins kalte All geschickt worden war, zu folgen, wurde die gesamte Arbeitskraft der Venus auf die Bereitstellung von Raumschiffen für die lange Fahrt ausgerichtet – auf die Erneuerung der alten Schiffe, die in beschränkter Zahl noch existierten, und auf den Bau von völlig neuen Schiffen nach alten Plänen. Daneben musste man das Bewusstsein der Menschen auf der Venus darauf vorbereiten, wie eine solche Reise zu überstehen war. In allen größeren Städten wurde die Notwendigkeit des Zustandes der Leblosigkeit erläutert, die Versenkung in Plastik, die den Körper gegen die Unbilden der Raumfahrt schützen sollte, vor der Beschleunigung, vor Kälte, vor den Bremsgefahren und der Zeiteinwirkung. Denn diese Reisen dauerten Jahre und nicht Monate.

Auf der Venus wurden Vorräte angelegt für den dauernden Nachschub ins All. Dazu kamen neue Kolonisten, die jenen zweihundert als Verstärkung dienen sollten, die bereits zu einem sonnenlosen Planeten unterwegs waren.

Ich war Zeuge, wie diese Pläne und andere, weniger verständliche Überlegungen zwischen Eltonas stark utilitaristischem Geist und Circonas Bewusstsein ausgetauscht wurden. Circona Onoat hieß das in der Plastikmasse gefundene Kind des Altengeschlechtes.

Doch dienten hauptsächlich ich und Onua als Bindeglied zwischen Eltona und ihren Armeen und Flotten. Wir waren es, die die Venus auf der Suche nach eventueller Opposition durchstreiften, eine Stadt nach der anderen aufsuchten, die bis jetzt vom Krieg verschont geblieben waren, und allen ein Ultimatum unterbreiteten, entweder die neue Lebensordnung zu bejahen oder sich den Fortschritt mit Gewalt aufzwingen zu lassen.

So kam es, dass wir über den riesigen nebelverhangenen Wäldern der Venus dahinbrausten, über einem aufgeschreckten, friedlichen kleinen Stadtstaat nach dem anderen niedergingen und folgendes Ultimatum überreichten: »Entweder ihr nehmt die neue Ordnung an, oder ihr müsst sterben.«

Tatsächlich genügte meist eine gründliche und offene Erklärung, die Vorführung von Filmen über unsere Tätigkeit, um die Gegner zu überzeugen, dass unsere Forderungen gerechtfertigt waren.

Wir erzielten gute Ergebnisse. Nicht, dass es keine Reibereien mit den kriegerischen Stämmen des dschungelbewachsenen Planeten gegeben hätte.

Da gab es zum Beispiel dressierte Insekten, die von kleinen, zwischen Bäumen verborgenen Gemeinwesen innerhalb des Hitzegürtels auf unsere Abgesandten losgelassen wurden. Aus dem Geäst der mächtigen Bäume flogen große Käfer unseren landenden Schiffen entgegen, auf deren Rücken die kleinen gefleckten Menschen rittlings hockten – Menschen, von denen einige noch nie von Eltona gehört hatten. Drei unserer Schiffe wurden von ihren Energiebolzen, die auf unsere Luftzufuhreinrichtungen gerichtet waren, zu Boden gebracht.

Und dann das eine Mal, als wir auf einer Ebene in der Nähe Cairlons, der Stadt der schwebenden Scheiben, niedergingen.

Alles schien friedlich, als unser halbes Dutzend Kampfmaschinen landete, nachdem wir unser Vorhaben mittels Sicht-Projektionsstrahlen kundgetan hatten.

Imprint

Publisher: BookRix GmbH & Co. KG

Text: Richard S. Shaver/Apex-Verlag.
Images: N. N./Christian Dörge/Apex-Graphixx.
Cover: N. N./Christian Dörge/Apex-Graphixx.
Editing: Mina Dörge.
Proofreading: Mina Dörge.
Translation: Marlen Scherm (OT: Titan's Daughter).
Layout: Apex-Verlag.
Publication Date: 08-11-2021
ISBN: 978-3-7487-9133-1

All Rights Reserved

Next Page
Page 1 /