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Leseprobe

 

 

 

 

LARRY MADDOCK

 

 

GEFANGENER

IN RAUM UND ZEIT

- Galaxis Science Fiction, Band 33 -

 

 

 

Roman

 

 

 

 

 

 

Apex-Verlag

Inhaltsverzeichnis

Das Buch 

 

GEFANGENER IN RAUM UND ZEIT 

Erstes Kapitel 

Zweites Kapitel 

Drittes Kapitel 

Viertes Kapitel 

Fünftes Kapitel 

Sechstes Kapitel 

Siebtes Kapitel 

Achtes Kapitel 

Neuntes Kapitel 

Zehntes Kapitel 

Elftes Kapitel 

Zwölftes Kapitel 

Dreizehntes Kapitel 

Vierzehntes Kapitel 

Fünfzehntes Kapitel 

Sechzehntes Kapitel 

Siebzehntes Kapitel 

Achtzehntes Kapitel 

Neunzehntes Kapitel 

 

Das Buch

EMPIRE, die mächtige und geheimnisvolle Verbrecher-Organisation, manipuliert mit Zeit und Geschichte. Der Grund ist Hannibal Fortune, Spezialagent von TERRA: Durch raffinierte Praktiken und Eingriffe in die Geschichte versucht EMPIRE zu erreichen, dass Rom den Zweiten Punischen Krieg verliert - mit all seinen Folgen. Die Gangster wissen genau, dass Hannibal Fortune eingreifen muss, um dies zu verhindern. Und EMPIRE setzt alles daran, Hannibal Fortune endgültig auszuschalten. Die Falle, die sie ihm stellen, schnappt zu. Fortune ist in der Zeit gefangen, und das kann tödliche Folgen haben: Denn kein Mensch vermag zweimal in derselben Zeit zu existieren...

 

Der Roman Gefangener in Raum und Zeit des US-amerikanischen Schriftstellers Larry Maddock (eigentlich Jack Owen Jardine; geboren am 10. Oktober 1931 in Eaton Rapids, Eaton County, Michigan; gestorben am 14. April 2009 in Nordkalifornien) erschien erstmals im Jahr 1969; eine deutsche Erstveröffentlichung erfolgte 1971.  

Gefangener in Raum und Zeit erscheint in der Reihe GALAXIS SCIENCE FICTION aus dem Apex-Verlag, in der SF-Pulp-Klassiker als durchgesehene Neuausgaben wiederveröffentlicht werden. 

  GEFANGENER IN RAUM UND ZEIT

 

 

 

 

 

 

  Erstes Kapitel

 

 

Die jetschwarzen Augen Pohl Tausigs, des rundlichen Einsatzleiters der Abteilung für Rekonstruktion und Sicherung der Zeitbalance, blickten über ein ebenso schwarzes Bartgestrüpp hinweg seinen gutaussehenden jungen Besucher an. »Der Fall ist auf Sie zugeschnitten, Fortune«, tönte Tausig mit einer Stimme, die an einen Tempelgong erinnerte.

»Wieder auf der Erde?«, fragte der Sonderagent und ließ seine schlanke Gestalt in einen Sessel fallen.

»Die Nordküste Afrikas«, sagte Tausig. »Unser dort ständig stationiertes Team meldet, dass ein Eroberungskrieg eine falsche Wendung nehmen will. Die rechtmäßigen Sieger treiben mit Windeseile auf eine Niederlage zu.«

»Das klingt aber nicht so, als hätte Empire seine Hand dabei im Spiel«, wandte Hannibal Fortune ein. »Wer sind die kriegführenden Parteien?«

»Rom und Karthago.«

Der Agent stieß einen leisen Pfiff aus. »Jetzt verstehe ich, warum Sie glauben, dass der Fall auf mich zugeschnitten ist. Für ein Zusammentreffen mit meinem Namensvetter habe ich mir immer schon einen Vorwand gewünscht.«

»General Hannibal ist bis jetzt noch nicht aufgetreten«, sagte Tausig. »Der Bericht stammt aus dem Jahr 2775.«

Fortune rechnete im Geist schnell das Jahr in Erdzeit um und nickte. Seit er seine Arbeit über die Punischen Kriege verfasst hatte, waren mehr als sechzig Jahre verstrichen. Einige Einzelheiten waren ihm dabei schleierhaft geblieben. »Moment; also noch Scipio und Syphax gegen Hasdrubal. Habe ich recht?«

Der beleibte und bärtige Mann schüttelte den Kopf. »Irrtum. Hasdrubal und Syphax gegen Scipio.«

Der Agent zog die Stirn kraus. »So viel kann ich nicht vergessen haben, Pohl.«

Tausig lächelte. »Ihr Gedächtnis ist tadellos. In acht Tagen wird Wi’in zur Einführung zur Verfügung stehen. Bis dahin müssen Sie einsatzbereit sein.« Er schloss die vor ihm liegende Akte und schob sie beiseite.

 

Der riesige künstliche Planet im Mittelpunkt der Galaxis stellte den wohl ehrgeizigsten Versuch dar, den Status quo der galaktischen Geschichte zu bewahren. Jeder einzelne seiner zehntausend Bewohner war sich darüber im Klaren, dass nicht nur die Zukunft, sondern die gegenwärtige Existenz davon abhing, die Vergangenheit so zu bewahren, wie sie sich zugetragen hatte.

Auch jeder der zehntausend anderen Agenten – jener ständig einsatzbereiten Agenten von TERRA, die entlang der Zeitlinie der Planeten der Galaktischen Föderation stationiert waren – wusste, dass die Welt plötzlich zu bestehen aufhören könnte, wenn es nicht gelänge, wichtige Abweichungen eines bekannten Geschichtsverlaufes rechtzeitig festzustellen.

Daher war es die Pflicht Vangos und seines symbiontischen Partners Arrik gewesen, die im alten Karthago auf dem Planeten 38 im Jahre 203 stationiert waren, Meldung zu erstatten, dass es Scipio nicht gelungen war, die benachbarte, viel ältere Stadt Utica zu dem Zeitpunkt zu erobern, den die Geschichte verzeichnete.

Da Hannibal Fortune der einzige Sonderagent von TERRA war, der sich bei seiner akademischen Ausbildung der Geschichte des Planeten Erde gewidmet hatte, kannte er die grausame und wirkungsvolle Art, wie Publius Cornelius Scipio die Städte Utica und Karthago in die Knie gezwungen hatte. Die genaue Truppenstärke der beteiligten kriegführenden Parteien war ihm entfallen, doch wusste Hannibal noch, dass Scipios Legionäre und die barbarischen Krieger des Syphax den Verteidigungstruppen Uticas, einschließlich der – Armee Karthagos unter General Hasdrubal, zahlenmäßig erdrückend überlegen waren. Es hatte nur wenige Wochen gedauert, bis Utica gefallen war, wobei die Truppen Hasdrubals zerschlagen wurden. Scipio und Syphax waren gegen Karthago gezogen und hatten dann die ein Jahr dauernde Belagerung Karthagos begonnen, die die Vorherrschaft Karthagos in der Antike gebrochen und Roms Aufstieg gesichert hatte. Hannibal, der von Norden her Roms Heimatfront bedrängte, war es nicht möglich gewesen, rechtzeitig zur Rettung der Stadt heimzukehren.

Nach Vangos Bericht zu schließen, hatte jedoch König Syphax die Seiten gewechselt, Utica war nicht gefallen, und weitere Verzögerungen konnten bewirken, dass Scipio – und Rom selbst – anstelle Karthagos ausgelöscht wurde. Die möglichen Folgen einer solchen Geschichtsabweichung durfte man nicht auf die leichte Schulter nehmen. Entlang einer gegebenen Zeitlinie gab es nur wenige Ereignisse, die bedeutsam genug waren, um die Grundlagen der Basiszeit zu erschüttern – die Vernichtung einer Zivilisation war ein solches Ereignis. Die Geschichte verlangte, dass Rom Karthago dem Erdboden gleichmachte. Alles, was den Ausgang dieses Konfliktes bedrohte, gefährdete gleichzeitig den Bestand der Galaktischen Föderation.

Vangos und Arriks Stationierung in Karthago hatte denselben Grund wie die Errichtung des wabenförmigen Hauptquartiers der TERRA-Zentrale: Um die Unternehmungen eines verbrecherischen Genies namens Gregor Malik zu vereiteln, der sich zum Tyrannen des Planeten Borius aufgeschwungen hatte, gerade als Rimaud Rudnl und Linz Lipnig die erste funktionierende Zeitmaschine konstruierten – im Jahre 2552 irdischer Zeitrechnung. Die zu diesem Zeitpunkt 68 Jahre alte Galaktische Föderation hatte die Erfindung sofort mit Acht und Bann belegt, weil sie eine ernste Bedrohung der vielen tausend Zeitlinien darstellte, auf denen die Realität der Basiszeit beruhte. Rudnl, den dieses Vorgehen gegen sein Lebenswerk verstimmt hatte, lieferte die Erfindung Gregor Malik aus. Da Malik die Erfindung als ein Mittel zur Unterwerfung des ganzen erforschten Universums erkannte, war er überglücklich, den Gönner Rudnls spielen zu können. Im Jahre 72 galaktischer Zeitrechnung hatte sich die Galaktische Föderation sodann gezwungen gesehen, die Organisation TERRA zu gründen und sie mit der gleichen Erfindung auszurüsten, die sie sechs Jahre vorher für verboten erklärt hatte. In den folgenden fünfzehn Jahren hatte TERRA einen erbarmungslosen Krieg geführt, um die Bestrebungen Empires, sich in die Zeitlinien der siebenundvierzig Mitglieder der Föderation einzumischen, aufzudecken und zu vereiteln. Obwohl sich Malik selbst nach außen hin von Empire distanziert hatte, unterstützten seine Anhänger Empire weiterhin in seinen Bemühungen, die Geschichte der Planeten durcheinanderzubringen.

Die Doppelaufgabe – erstens, herauszufinden, auf welche Art Empire aus dem Zweiten Punischen Krieg Nutzen zu ziehen suchte und zweitens, wieder alles ins rechte Lot zu bringen – ruhte ausschließlich auf den Schultern eines einzigen: auf den Schultern Hannibal Fortunes und seines symbiontischen Partners Webley.

 

 

 

 

  Zweites Kapitel

 

 

Der drahtige, weißbärtige Experte für Kampftechnik begrüßte Fortune lächelnd. »Ich habe gehört, man hat Sie dazu ausersehen, sich mit einem meiner Lieblingsfeldzüge zu befassen«, bemerkte er. »Hätte ich mir doch gleich denken können, dass der Punische Krieg Ihr Steckenpferd ist, d’Kaamp«, erwiderte Fortune.

»Wissen Sie bereits, auf welcher Seite Sie mitmachen werden?«

»Diese Entscheidung muss ich verschieben, bis ich die gegenwärtige Situation überblicken kann. Sie bereiten mich daher am besten auf beide Möglichkeiten vor.«

»Beide?«, konterte der Ausbilder. »Es sind fünf verschiedene Armeen beteiligt. Scipios Truppen, römische Soldaten herkömmlicher Art; Hasdrubals Armee, die ebenso herkömmlich karthagisch ist; Hannibals Armee, der mit Karthagern, Galliern und Numidiern auszog, aber während der jahrelangen Feldzüge rund um Rom eine beträchtliche Anzahl von Italikern um sich geschart hat; die Barbaren unter Syphax, aus allen Stämmen Nordafrikas stammend, eine stattliche Anzahl numidischer Reiter miteingeschlossen; und – bis zu einem gewissen Grade wenigstens – Masinissas numidische Reiter. Wie ich mich erinnere, sind Sie ein erfahrener Reiter.«

»Es geht«, gab Fortune bescheiden zurück.

»Dann lassen Sie sich eines gesagt sein: Numidier reiten ohne Geschirr – kein Sattel, kein Zaumzeug, Zügel oder dergleichen.«

»Wenn ich diese Rolle übernehmen müsste, würde mein Partner das Pferd in der Gewalt haben. Ich glaube kaum, dass sich in dieser Hinsicht Schwierigkeiten ergeben werden.«

»Gut. Sollen wir Sie also zunächst als römischen Legionär ausbilden? Auf der Bank hier sehen Sie zwei Schwerter. Das erste ist das typische römische Kurzschwert für den Kampfgebrauch. Daneben ein Trainingsschwert mit doppelt so schwerer Klinge. Die Legionäre trainieren mindestens eine Stunde täglich damit, um den Arm zu stählen. Werfen Sie sich in Ihr Kampfgewand. Ich werde Ihnen zeigen, wie sich ein gut trainierter Legionär im Kampf verhält!«

Der weißbärtige Ausbilder lächelte und wartete, bis sich Hannibal umgezogen hatte. »Zielen Sie auf mein Gesicht. Los! Los!«, sagte er dann.

Grinsend schnellte Fortune vor und versetzte dem Gegner einen Durchzieher von unten. Mit dieser Finte wollte er ihn aus der Schilddeckung locken. Der Rhythmus dieses Schwertspieles nach römischer Art glich einem Tanz: eins, zwei, drei, vier – und dann wieder Ausgangsposition für Hieb und Stoß. Er hatte die schwere Klinge bereits zurückgezogen und das Gewicht bei drei nach vorn verlagert, als er merkte, dass d’Kaamp den Schild noch immer hochhielt, ihn immer höher hob und dabei eine leichte Rechtswendung machte. Er versetzte Fortune unter dessen erhobener Waffe einen Stoß, wobei er dessen Schwert mit seinem Schild noch mehr in die Höhe zwang. Jetzt war Fortunes rechte Seite zur Gänze ungedeckt, und d’Kaamps Klinge stieß von unten her zu.

Wumm.

Fortune versuchte eine Seitwärtsdrehung, doch der dadurch bedingte Schwung wirkte sich nachteilig aus. Der Ausbilder erwischte ihn mit der Schwertspitze an den Rippen.

»Sie sind tot«, sagte d’Kaamp.

»Ich weiß«, musste der Agent kläglich zugeben.

»Die präzise Kampfweise der römischen Armee ist ihre größte Stärke, lässt aber wenig Raum für Flexibilität – die höchsten Spitzen ausgenommen. Ein römischer Fußsoldat ist allem gewachsen – nur keinem unkonventionellen Gegner.«

»Ich will’s mir merken.«

»Merken allein genügt nicht, wenn Sie am Leben bleiben wollen«, meinte d’Kaamp berichtigend. »Am klügsten ist es, wenn Sie sich aus Kampfsituationen überhaupt heraushalten. Wenn Sie sich aber auf einen Schwertkampf einlassen müssen, denken Sie daran, dass die Römer die einzigen sind, bei denen Sie sich auf eine bestimmte Kampftaktik einstellen können. Die anderen sind ein kunterbunt zusammengewürfelter Haufen. Doch auch unter denen gibt es erstaunlich talentierte Krieger. Morgen werden wir uns mit der Philosophie der Kriegsführung jenes Mannes befassen, den Sie wahrscheinlich werden manipulieren müssen.«

»Publius Cornelius Scipio...«

»S-c-i-p-i-o«, gab der Ältere mit einem Kopfnicken zurück. »Wenn Sie Latein sprechen wollen, müssen Sie es zumindest korrekt aussprechen.«

 

Von den verschiedenen Lebensformen, die Schulter an Thorax in den vierzehn Abteilungen arbeiteten, die von TERRA unterhalten wurden, war keine so ungewöhnlich wie die Spezies der Webleys und Ronels. Zu welchem Zeitpunkt im Ablauf des Kalenders der Entwicklung ihre Vorfahren das Denken gelernt hatten, war ein Geheimnis, doch hatte jenes Ereignis die anpassungsfähigsten Lebewesen hervorgebracht, die man bis jetzt in der Galaxis entdeckt hatte. Es war die einzige Lebensform, deren tägliche Betätigung darin bestand, Wunschdenken in die Tat umzusetzen. Nicht genug damit, dass diese merkwürdige Gattung (die sich selbst Torg nannte, was ganz einfach Volk hieß) nach Belieben die Gestalt wechseln konnte; sie war darüber hinaus telepathisch begabt. Einer der nahen Verwandten der Torgs – evolutionär gesehen – besaß weder deren extreme Plastizität, noch die Fähigkeit des Gedankenlesens. Das waren Beschränkungen, die auf die Entwicklung eines ziemlich starren Nervensystems zurückzuführen waren, während die Torgs ihre völlig unspezifizierten Zellen beibehalten hatten. Das Fehlen eines Nervensystems herkömmlicher Art bewirkte einen Bewusstseinszustand, wie er bei keiner anderen Gattung zu finden war. Viele Biologen der Galaktischen Föderation hielten das auch für die Ursache der gestaltverändernden und telepathischen Fähigkeiten der Torgs. Vor langer Zeit hatten die Torgs ihre bewusstseinsdurchdringenden Talente in die Gewalt bekommen, für ihre eigenen Fähigkeiten Normen entwickelt und sich auf gewisse Regeln telepathischen Verhaltens geeinigt, um den Grad geistiger Vertrautheit zwischen einzelnen Torgs zu regeln. Meist war es so, dass ein Torg sich in einer symbiontischen Partnerschaft mit einem Angehörigen einer anderen Gattung weitaus wohler fühlte – so wie Webley mit Hannibal Fortune und Ronel mit Luise Little – als in einer Beziehung mit einem Bruder-Torg.

Erstaunlicherweise hatten diese zwei Symbionten – ganz uncharakteristisch – aneinander Gefallen gefunden, eine Parallele zu der Beziehung ihrer menschlichen Partner. Was zwischen Fortune und Luise vorgefallen war, hatte Webley nicht sonderlich gekümmert, denn der intelligente Symbiont wusste aus Erfahrung, dass es müßig war, Fortunes komplizierte Denkvorgänge verstehen zu wollen. Am klügsten war es, Hannibals Begeisterung für weibliche menschliche Wesen einfach amüsant zu finden und nicht laut darüber zu lachen. Fortune und das Mädchen hatten ihren Jahresurlaub redlich verdient, und da Luise ihren Symbionten Ronel mitgebracht hatte, war für Webley die Zeit wie im Flug vergangen.

Doch jetzt war der Urlaub vorbei, und Webley fing an, sich den Kopf über Fortunes Reaktion auf die bevorstehende Trennung von Luise zu zerbrechen.

In seiner üblichen Lage auf den Schultern seines Partners spürte er Fortunes inneren Aufruhr, als dieser sich mit Luise zum Essen traf. Der Symbiont merkte sogar einen Anflug von Wehmut, der dem Mann, mit dem er in den vergangenen sechzig Jahren gemeinsam Aufträge ausgeführt hatte, sonst völlig fremd war. Das bedurfte der Beobachtung, entschied Webley. Sollte es ärger werden, dann blieb ihm keine andere Wahl, als es Pohl Tausig zu melden.

»...hatte ich endlich die Möglichkeit, dich für eine Beförderung zur Sonderagentin vorzuschlagen«, sagte Fortune eben.

»Ich bin noch immer nicht sicher, ob ich das schaffen würde«, erwiderte Luise.

»Ich schon. Und Pohl wird mir recht geben. Er möchte sich mit dir unterhalten.«

»Wann?« Sie zupfte nervös an einer Strähne ihres goldblonden Haares.

»Sehr bald, glaube ich. Er wird dich verständigen.«

»Du hast mir noch immer nicht gesagt, wohin du gehst«, erinnerte sie ihn.

»Karthago, 203 nach Christus. Zweiter Punischer Krieg.«

»Damals, als das römische Kaiserreich noch jung war«, sagte sie.

»Das römische Imperium kam erst ein Jahrhundert später. Im Jahre 203 war Rom noch Republik«, sagte er. »Was mich daran so fasziniert, ist die Möglichkeit, meinem Namensvetter zu begegnen – Hannibal von Karthago.«

Luise lächelte. »Jener Hannibal, der mit Elefanten über die Alpen gezogen ist. Dem bin ich nie begegnet. Ich ziehe einen anderen Hannibal vor. Wann brichst du auf?«

Fortunes Gesicht wurde ernst. »In acht Tagen«, sagte er leise. »Uns bleibt nicht viel Zeit.«

»Das Jetzt ist das einzige, was uns bleibt«, gab sie zurück. »Das sollte genügen.«

»Menschen«, sagte Webley verächtlich zu sich selbst.

 

 

 

 

  Drittes Kapitel

 

 

»Wenn man einmal weiß, woran er glaubt«, betonte d’Kaamp zum vielleicht fünfzigsten Mal, seitdem Fortune sich, mit ihm getroffen hatte, »hat man auch den Weg gefunden, ihn in die Gewalt zu bekommen. Scipio ist kein typischer Römer. Geistig steht er in der Avantgarde. Er verachtet die alten Götter und Traditionen, obwohl ihn seine gesellschaftliche Stellung dazu zwingt, die im Volke beliebte Abgötterei mitzumachen.«

»Dann ist es vielleicht besser, ich komme nicht als Abgesandter der Götter zu ihm«, sagte Fortune.

»Genau. In der Öffentlichkeit nimmt er Jupiter als seinen göttlichen Schutzpatron in Anspruch – Jupiter Optimus Maximus.«

»Der Beste und Größte.«

Der Weißbart nickte nachdrücklich. »Alles, was wir über ihn wissen, spiegelt das gewaltige Bestreben wider, der Beste und Größte zu sein. Weil seine Familie, die Gens Cornelii, die mächtigste Adelsfamilie ist, legt er an sich selbst einen sehr strengen Maßstab an. Seine eigene Meinung über sich und seine Bestrebungen bestimmen sein Verhalten als Mensch und Heerführer.«

»Sie haben öffentliche Abgötterei erwähnt«, warf Fortune ein.

»Ja. Der Kult der Magna Mater ist Ihnen doch ein Begriff?«

»Cybele, die Göttin des Kornes?«

»Scipios Kampagne für das Amt des Konsuls steht teilweise mit der Magna Mater in Zusammenhang«, berichtete d’Kaamp. »Hannibal stand vor den Toren der Stadt, die Bevölkerung war in Panik geraten. Also beschloss der Senat eine religiöse Schaustellung, um die Ängste des Volkes einzuschläfern. Der König von Pergamon wurde veranlasst, den schwarzen Stein, der die große Mutter Roms sein soll, per Schiff herbeizuschaffen. Als der Stein eintraf, wurde er von Scipio – so berichtet die Überlieferung – und einer Schar tugendhafter verheirateter Frauen mit einer eindrucksvollen Zeremonie empfangen. Ich kann mir vorstellen, dass Scipio sich im Nachhinein vor Lachen ausgeschüttet hat, besonders, als der Senat entdeckte, dass selbstentmannte Priester der Göttin dienen mussten. Es kann kein Zweifel darüber bestehen, dass Scipio abergläubischen Unsinn nicht glaubt, doch respektiert er aus politischer Klugheit die Götter in der Öffentlichkeit.«

»So wie die meisten irdischen Politiker«, bemerkte Fortune mit einem Lächeln.

»Natürlich hat er deswegen auch an den Megalesien festgehalten.«

»Megalesien?«

»Das Fest der großen Göttin«, erklärte der andere. »Da Hannibal nach der Ankunft des schwarzen Steines nicht angegriffen hatte, waren die einfachen Soldaten davon überzeugt, dass die Magna Mater sie gerettet hätte. Zum Dank feiert man seither jedes Jahr im April die Megalesien. Und da Scipio bei der ganzen Angelegenheit die Hand im Spiel hatte, blieb ihm nichts anderes übrig, als mitzufeiern. Würden Sie mir einen Gefallen tun, wenn sich die Gelegenheit ergibt?«, fragte d’Kaamp unvermittelt. »Scipio ist eine der wichtigsten Figuren in meiner Privatgalerie militärischer Genies – ein reines Hobby, das sich von Zeit zu Zeit als nützlich erweist. Ich möchte eine Tonbandaufzeichnung seiner Entscheidungen während dieses Abschnitts seines Feldzuges haben. Ich werde Ihnen einen Miniaturrekorder mitgeben, falls Sie glauben, es könnte sich die Möglichkeit...«

»Ich werde tun, was in meinen Kräften steht«, versprach Fortune.

Hannibal Fortune stand im Kontrollraum vor dem Eingang zur Bibliothek. Webley kauerte zunächst auf der linken Schulter seines Partners. Dann ließ er sich Beine wachsen und sprang zu Boden, wo er sich fest zusammenrollte, während der Computer feststellte, dass es sich wirklich um Hannibal Fortune und keinen Betrüger mit Fortunes Identitätskarte handelte. Die Maschine verlangte eine Stimmprobe, der Agent sprach die verlangten Worte: »Hannibal Fortune, Sonderagent, Abteilung für Rekonstruktion und Sicherung der Zeitbalance.« Ein grünes Licht leuchtete auf, und die Tür ließ sich öffnen. Webley sprang wieder hinauf und legte sich auf die Schulter seines Partners.

Den von Bortan III stammenden amphibischen Eingeborenen war es ein leichtes, sich in interplanetarisches Verbrechertum hineinzudenken. TERRA hatte drei der abgefeimtesten von ihnen ausgewählt und ihnen die Entwicklung und Verfeinerung der Sicherheitsvorkehrungen an der Historischen Abteilung der Bibliothek übertragen. Gregor Maliks Hang zu Raubzügen hatte oft genug in den Ablauf von Ereignissen der Vergangenheit störend eingegriffen. Wenn es Empire gelänge, sich den genauen Geschichtsverlauf eines der Mitgliedsplaneten der Föderation zu verschaffen, könnte es durch seine Manipulationen zu Kettenreaktionen kommen, die eine völlige Auflösung der Föderation zur Folge haben würden.

Die Sicherheitsvorkehrungen der Bortaner waren – obwohl manchmal recht lästig – immerhin ein beruhigendes Anzeichen dafür, dass TERRA seine Agenten hoch einschätzte. Die Herkunft Hannibal Fortunes und seiner Kollegen hatte man absichtlich in Dunkel gehüllt, damit der Feind die Vergangenheit der Agenten nicht manipulieren und sie umdrehen konnte.

Historische Tatsachen. Fortune lachte. Er hatte schon längst erfahren müssen, dass es so etwas wie historische Tatsachen gar nicht gab. Man konnte sich höchstens an Vermutungen halten, die durch Wahrscheinlichkeitsfaktoren zusätzlich Gewicht erhielten. Bis zur Entwicklung der Zeitfähre, die es erlaubte, in der Zeit zu reisen und Beobachtungen von Ereignissen anzustellen, war Geschichte das einzige Gebiet der Wissenschaft gewesen, in dem es keine Primärquellen gab. Dem tatsächlichen Geschehen am nächsten kamen unmittelbar nach dem Ereignis aufgezeichnete Augenzeugenberichte – doch schon diese waren subjektiv verfälscht, angereichert mit dem, was der jeweilige Berichterstatter hatte sehen wollen, zurechtgestutzt nach seiner Philosophie, von den Tabus seiner Kultur vorzensuriert, verzerrt durch den Seitenblick auf die gewünschte Publikumswirkung, beschnitten durch Unterschlagung von Tatsachen, die dem Zeugen unbedeutend schienen.

Jene Kulturen, die überhaupt keine schriftliche Überlieferung kannten – es gab davon in der Galaxis über zweihundert –, bildeten für spätere Gelehrte eine besondere Quelle der Frustration. Es handelte sich dabei meist um Kulturen, die für Begriffe wie Zeit oder die Aufeinanderfolge von Ereignissen keine Bezeichnung hatten. Einige, die die Schrift kannten, konnten nur bis drei zählen. Nerd, thort, ostu im hochptahrianischen Dialekt auf Planet 26 hieß übersetzt: eins, zwei, mehr als zwei. Präzise Wiedergaben geschichtlicher Vorgänge bei den Ptahrianern begann immer mit den Worten Ostu roveen. Das war die wörtliche Übersetzung des Es war einmal der Erdenmensch. Ausländer staunten über den hohen Stand der Zivilisation, den Ptahr erlangt hatte, ohne je das Bedürfnis verspürt zu haben, weiter als bis drei zu zählen. Auf Besuch weilende Anthropologenteams ignorierten bald die ehrliche Antwort Das war immer schon so auf Fragen über verschiedene Sitten. Denn diese Antwort konnte sich mit demselben Wahrheitsgehalt auf eine jahrhundertealte Tradition, wie auf einen erst vorgestern entstandenen Brauch beziehen.

Sogar Zivilisationen, die sonst alle wichtigen Ereignisse mit übertriebener Detailtreue überlieferten, stolperten über ihre eigene Zeitrechnung und setzten sich zu ihrem Bestreben nach Genauigkeit in Widerspruch, indem sie die unwichtigsten Informationen aufzeichneten und Wichtiges ausließen.

Fortune hatte erfahren müssen, dass der Großteil der Historiker aller Kulturen entweder vorsätzliche Lügner war, von naivem Wunschdenken beseelt, oder fanatische Anhänger der philosophischen Erklärung, wie und warum sich alles zugetragen hatte.

»Planet achtunddreißig«, sagte Fortune. »2800 bis 2750.«

Die Bibliothekarin sah ihn mit nachdenklichem Lächeln an.

»Und eine Kabine mit allem«, ergänzte der Agent.

»Der Katalog ist an der linken Wand« – sie sah in einem Verzeichnis nach – »und Kabine B ist frei.«

 

Luise Littles kurzgeschnittenes goldenes Haar und die helle Haut brachten Tausig außer Fassung. Als er sie zum letzten Mal gesehen hatte, war sie dunkelhäutig und rabenschwarz gewesen. Es wunderte ihn nicht, dass Hannibal Fortune sich für sie interessierte. Was Tausig besonders erstaunte, war die Tatsache, dass der bei Frauen flatterhafte Agent länger als die üblichen paar Wochen an ihr interessiert gewesen war. Irgendwie schien das nicht zu seiner Art zu passen.

Er wartete, bis sie sich gesetzt hatte. »Fortune hat Sie mir als Agentin für Spezialaufträge empfohlen.«

»Während unserer gemeinsam verbrachten Zeit hat er mir viel beigebracht«, erwiderte das Mädchen. »Beruflich.«

Der Operationsleiter gestattete sich ein bei ihm selten zu beobachtendes Lächeln. »Das habe ich eigentlich nicht erwartet, damals, als Sie beide gemeinsam losgezogen sind. Es wundert mich ein wenig, dass Sie längere Zeit so gut miteinander ausgekommen sind.«

Luise zuckte die Achseln. »Wir mussten schließlich die Zeit totschlagen. Ich habe ihn sehr charmant gefunden. Es schmeichelt mir, dass er mich für eine Beförderung empfohlen hat.«

»Sie scheinen ihn sehr beeindruckt zu haben. Jetzt lautet meine Frage: Wie steht es mit Ihren Gefühlen ihm gegenüber?«

Tausig behielt sie genau im Auge, während sie nach den passenden Worten suchte. Schließlich sagte sie: »Der Urlaub ist zu Ende.«

Er nickte. »Vernünftig, dass Sie es so sehen. Jetzt kommen wir zu meinem Problem. Ich habe etwas für Sie. Möchten Sie es als Sonderagentin versuchen?«

»Meine Wünsche sind unwichtig«, gab sie zurück. »Ich erwarte, dass Sie mich dort einsetzen, wo ich der Organisation am meisten nutzen kann.«

Der schwarzbärtige Einsatzleiter zog die Stirn kraus und überdachte ihre Antwort. Ja, entschied er. Dass sie die Interessen der Organisation über ihre eigenen Wünsche stellte, war nicht nur sehr lobenswert, sondern befriedigte im Übrigen ihren Ehrgeiz, den Auftrag zu bekommen, der sie in die Zeit der Shang-Dynastie versetzen würde. Pohl Tausig hatte sich zu einem Entschluss durchgerungen. »Luise, ich weiß Ihre Hingabe an die Ziele und Interessen unserer Organisation sehr zu schätzen. Leute wie Sie können wir nie genug haben. Ich bezweifle, ob es auch nur eine Abteilung in der Organisation gibt, die nicht absolut wichtig ist. Der richtige Einsatz meiner Leute, die Gewähr zu haben, dass sie Aufgaben zugeteilt bekommen, die ihren Fähigkeiten am besten entsprechen, bereitet mir ständiges Kopfzerbrechen. Leute mit jenen besonderen Eigenschaften zu finden, die einen erfolgreichen Sonderagenten ausmachen, ist vielleicht der schwierigste Teil meiner Arbeit. Ob Beobachter mit festem Standort – oder Sonderagent – sie alle stehen in unserer vordersten Verteidigungslinie.«

»Dessen bin ich mir bewusst«, erwiderte Luise.

»Verzeihen Sie, wenn ich unfreundlich war, doch ich kann mir keine Fehler leisten. Ich habe Ihre Arbeit sorgfältig begutachtet und bereue nicht, dass ich Sie Ihren Wünschen gemäß eingeteilt habe. Ich glaube nicht, dass ich diese Entscheidung bereuen werde.«

Ihre Miene drückte Erleichterung aus, als sie tief ausatmete. »Danke.«

Tausig lächelte. »Hoffentlich verläuft Ihr Auftrag ruhig und ohne Zwischenfälle.«

»Das hoffe ich auch. Sollte etwas passieren, werde ich es sofort melden.«

Tausig nickte. »Miss Little, ich erwarte von Ihnen die übliche Höchstleistung.«

 

Irgendjemand hatte gesagt, Geschichte sei der flüchtige Niederschlag davon, wie Ereignisse der Vergangenheit sich nach Meinung der Historiker zugetragen haben. Oder: Geschichte wird schriftlich niedergelegt, wenn Annalenschreiber sich als Analytiker versuchen. Das war mit der Grund für einen der ärgerlichsten Aspekte der Rekonstruktionseinsätze: die ihnen innewohnende Ungewissheit, ob die Mission überhaupt notwendig war. Die offenkundige Abweichung, die von einem in jener Epoche ansässigen Agenten beobachtet und gemeldet wurde, konnte sich zwar als Abweichung erweisen, allerdings nicht vom tatsächlichen Geschichtsverlauf, sondern von einem voller Vorurteilen steckenden oder völlig verdrehten Bericht über diese Geschehnisse, den ein vermutlich sehr gewissenhafter Historiker verbrochen hatte.

Die Erfahrung hatte Fortune gelehrt, dass über die meisten der auf dem Planeten 38 der Galaktischen Föderation geführten Kriege abgrundtief verzerrt berichtet worden war. Da der Hass bei einem Konflikt zwischen Mensch und Mensch fast unentbehrlich ist, neigen die Sieger sehr oft dazu, die besten Berichte der Verlierer über die tatsächlichen Ereignisse zu vernichten, zum Beispiel im Karthago des Jahres 146 vor Christus, als die Stadt dem Erdboden gleichgemacht wurde. Der beste Bericht, den Fortune und Webley entschlüsseln sollten, stammte von einem griechischen Historiker namens Polybius und war mehr als fünfzig Jahre nach den Ereignissen aufgezeichnet worden. Polybius war der römischen Armee, die Karthago zerstört hatte, als eine Art Kriegsberichterstatter zugeteilt. Seine Quellen waren größtenteils Erinnerungen der Familie des Scipio Africanus – zweifellos im Interesse der Heldenverehrung schon reichlich verzerrt. Daher war es sehr gut möglich, dass die Abweichung, die der Agent von TERRA im Jahre 203 bemerkte, nur einen Fehler der Geschichtsschreibung anzeigte und kein Abweichen von den tatsächlichen Geschehnissen. Doch TERRA durfte ein solches Risiko nicht eingehen. Fortune musste von der Annahme ausgehen, dass die Unstimmigkeit durch Eingriffe von außen verursacht worden war. Vermutlich durch eine Aktion von Empire, trotz der Tatsache, dass das Haupt dieser Organisation, Gregor Malik, mit Gewissheit tot war oder zumindest hoffnungslos verloren im Irrgarten der Zeit. Und dass ein solches Eingreifen schließlich die zeitliche Grundlage der Basiszeit-Wirklichkeit gefährdete, wenn man ihr nicht Einhalt gebot und die Zeitlinie wieder ins Lot brachte.

Der Auftrag wurde noch dadurch beträchtlich erschwert, dass man die entsprechende Zeitlinie nicht im Detail untersuchen konnte, um zu sehen, wie weit die Abweichung zurückreichte. Auch konnte man nicht in die Zeit vor der Abweichung zurückgehen und sie verhindern. Die Regeln der zeitlichen Sicherheit verlangten, dass man jeden Wiederherstellungsversuch nicht eher beginnen durfte, bevor ein Abweichungsbericht eingelangt war.

Während Fortune das Landkartenbild im Projektor langsam vor sich abrollen ließ, überlegte er, dass das von einem Computer überprüfte Band die wohl bestmögliche Information über das Gebiet vermittelte. Wie die meisten Landkarten war auch diese sicher ausgezeichnet. Aber eine Landkarte ist noch lange nicht das Gebiet selbst, wie Fortune aus eigener Erfahrung wusste.

Befriedigt darüber, dass er sämtliche Hilfsmittel, die er möglicherweise brauchen würde, hatte herbeischaffen lassen, gab Fortune das Projektionsgerät zurück und begab sich in Kabine B.

Er stülpte sich den Induktionshelm über, setzte sich bequem in dem zur Verhütung von Ermüdungserscheinungen konstruierten Sessel zurecht und drückte den Schaltknopf. Die vielfach modulierten Energiesonden des zerebralen Playback-Aggregates drangen in sein Gehirn...

Obwohl er bereits fortgeschrittene Kenntnisse im Griechischen besaß, hatte er auch ein Griechisch-Sprachband, zusammen mit Latein, Phönizisch, Ligurisch, Hebräisch, Aramäisch, einer Auswahl semitischer Dialekte und – um das Maß voll zu machen – Etruskisch einlegen lassen. Die auf Höchstgeschwindigkeit laufenden Cerebralkreise fügten seinem Arsenal an auf der Erde gesprochenen Sprachen fast ein Dutzend neuer hinzu, und das in weniger als einem Zehntel einer galaktischen Standard-Zeiteinheit.

Noch vor seiner Tätigkeit für TERRA war Fortune bereits mit den Feldzügen Hannibals vertraut gewesen. Der ungehemmte Patriotismus eines Titus Livius hatte diesen veranlasst, Hannibal als Vollblutschurken hinzustellen, wobei der Schwung von Livius’ Erzählkunst und die tönende Rhetorik, der er sich bediente, aus den Punischen Kriegen ein ruhmreiches Epos formten. Polybius, der früher geschrieben hatte und dem die Manie des Livius fehlte, jedes Ereignis zur Verbildlichung eines moralischen Grundsatzes zu verwenden, war aufrichtiger. Doch waren es die drei Jahrhunderte später verfassten Zeilen aus den Satiren Juvenals, welche Fortunes Interesse am karthagischen General geweckt hatten: »Vorwärts, du Besessener, überquere die schrecklichen Alpen, auf dass du das Vergnügen der Schüler werdest.« Ganz sicher hatten es sich die alten Chronisten nicht träumen lassen, dass die Übersetzungen ihrer Werke weiterleben und einen Schüler erfreuen würden – sechsundzwanzig Jahrhunderte später und über dreihundert Quadrillionen Kilometer entfernt. Und dass derselbe Schüler, zum Manne gereift und in Kämpfen gestählt, die spektakulärer waren, als es sich der hochverehrte Livius vorstellen konnte, Zeit und Raum überwinden würde, um Augenzeuge jener Ereignisse zu werden, von denen – Livius nur gehört hatte.

Jetzt las Hannibal Fortune zum ersten Mal Livius im Original und Polybius in Griechisch. Aus dem Französischen, Deutschen und Italienischen eignete er sich eine Reihe kritischer Kommentare an, die zu studieren einen Gelehrten herkömmlicher Art Jahre gekostet hätten.

Doch auch mit Hilfe des Cerebralfeldes war es nicht einfach, in all dem einen Sinn zu erkennen, da die Mehrheit der erreichbaren Quellen durch Meinungen und Vorurteile der Schreiber entstellt waren und zusätzlich verwässert durch die verschiedenen Arten von Objektivität, die zur Zeit der Abfassung jeweils in Mode waren.

Hannibal Fortune nahm dies alles in sich auf, speicherte alle Daten, vom Trivialen bis zum fraglos Wichtigen, um geistig alles aus dem Handgelenk zu beherrschen. Das Sortieren musste warten, bis er am Bestimmungsort angelangt war. Zum Großteil war es dieses besondere Talent, alle Daten zu berücksichtigen und damit zu achtundneunzig Prozent richtige Entscheidungen zu treffen, das ihn zu einem der wenigen Agenten gemacht hatte, die korrigierend in den Geschichtsablauf eingreifen durften.

Am Nachmittag war er fertig – in doppeltem Sinne. Einige Minuten saß er bewegungslos da und starrte blind die Wand von Kabine B an. Auf seinen Schultern kräuselte sich leise Webleys formloses Protoplasma, als der Symbiont eine Sonde in das Bewusstsein seines Partners einführte und die erwarteten Reaktionen vorfand. Mit seiner in vielen Jahren erworbenen Geschicklichkeit begann Webley mit seiner Beruhigungstherapie. Nach einer Stunde fühlte sich Fortune wieder so gut, dass er sich auf die Suche nach Luise Little machte.

 

»Was hat er dir gegeben?«

»Er schickt mich nach China«, sagte Luise geduldig.

In Fortunes Wange spielte ein Muskel. »Du wirst also vier Jahre wegbleiben.«

»Nein, mein Schatz«, berichtigte sie ihn. »Ich werde in wenig mehr als sechzehn Tagen wieder da sein. Hast du Angst, ich könnte dich in der Zwischenzeit vergessen?«

»Soweit es das Hier betrifft, bist du in sechzehn Tagen wieder da. Doch dort verbringst du vier Jahre. Da kann viel passieren...« Luise brachte ihn mit einem Kuss zum Schweigen und flüsterte dann: »Das einzige, was wir mit vollem Recht voraussagen können, ist die Tatsache, dass ich vier Jahre älter sein werde, wenn du mich wiedersiehst. Vielleicht fürchtest du, ich werde dann zu alt sein, um für dich noch anziehend zu wirken«, spöttelte sie. »Keine Angst, Liebling, mein Volk altert fast ebenso langsam wie deines.«

»Uns das anzutun, ist unfair von Tausig«, erklärte Fortune. »Ich werde versuchen, ob ich ihn davon abbringen kann.«

»Das wirst du nicht tun«, sagte sie

Imprint

Publisher: BookRix GmbH & Co. KG

Text: Larry Maddock/Apex-Verlag.
Images: Lawrence Stere Stevens/Christian Dörge.
Cover: Christian Dörge/Apex-Graphixx.
Editing: Mina Dörge.
Translation: Ingrid Rothmann (OT: The Time Trap Gambit).
Layout: Apex-Verlag.
Publication Date: 11-19-2020
ISBN: 978-3-7487-6505-9

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