LUKE SHORT
Der Hauch des Todes
Drei Romane in einem Band
Apex Western, Band 35
Apex-Verlag
Inhaltsverzeichnis
Das Buch
1. IN GEHEIMER MISSION (Station West)
2. GEHEIMAUFTRAG FÜR EINEN KILLER (Bought With A Gun)
3. EIN NAME WIE DER HAUCH DES TODES (Hardcase)
Das Buch
Siebentausend Dollar sind eine große Verlockung, selbst dann, wenn jeder nur ein Drittel bekommen sollte. Aber Dave Coyle zu erwischen - tot oder lebendig, wie es auf dem Steckbrief weiter heißt - , ist eine ganz andere Sache, und von siebentausend Dollar hat noch keiner etwas gehabt, der sechs Fuß tief unter der Erde liegt.
Sheriff Harvey Beal geht kein Risiko ein. Er will Dave Coyle haben, und er hat die Männer, die ihm dabei helfen sollen. Eigentlich braucht er nur eine Falle zu stellen und Dave Coyle hineintappen zu lassen, sobald er nach Yellow Jackett kommt, um einen Brief abzuholen. Eine einfache Rechnung – nur hat der Sheriff sie ohne Dave Coyle gemacht...
Luke Short, eigentlich Frederick Dilley Glidden, (* 19. November 1908 in Kewanee, Illinois; † 18. August 1975 in Aspen, Colorado) war ein US-amerikanischer Schriftsteller und Journalist; er gilt als einer der populärsten und bedeutendsten amerikanischen Western-Autoren. Dieser Band enthält seine Romane In geheimer Mission, Geheimauftrag für einen Killer und Ein Name wie der Hauch des Todes als durchgesehene Neuausgaben.
1. IN GEHEIMER MISSION (Station West)
Erstes Kapitel
Lieutenant John Haven vom 27. Infanterieregiment der US-Armee trug die Kleidung und den mottenzerfressenen Büffelfellmantel eines gewöhnlichen Maultiertreibers, als er aus der vollbesetzten Postkutsche stieg und das schmutzige Eis auf den Planken des Bürgersteiges vor der South Pass Citys Wells Fargo Station betrat.
Er war der dritte und zugleich größte Mann von insgesamt neun Leuten, die hier ausstiegen. Weil er versucht hatte, im Sitzen zu schlafen, und weil die Februarnacht über der Wind River Range so frostig war wie immer, hatten sich seine Füße in kalte, gefühllose Klumpen verwandelt.
Und weil er noch nicht ganz wach war, vergaß er, den Kopf einzuziehen und knallte mit voller Wucht gegen die Oberleiste der Tür.
Sein schwarzer, verbeulter Hut flog auf die Planken, rollte ein Stück weiter und wurde dann endgültig von den Schuhsohlen der Bergarbeiter breitgetreten, die den Bürgersteig entlangschlurften.
Er holte seinen Hut ein, hob ihn auf und fluchte. Er war ein Mann, noch nicht ganz dreißig, mit einem wettergebräunten Gesicht und schwarzem Haar, das auf einer Seite gescheitelt war. Er sah den Armeeoffizier neben der Tür der Wells Fargo Station lehnen und überlegte, ob er ihn ansprechen solle.
Zunächst setzte er seinen Hut auf und schloss sich der Gruppe an, die auf ihr Gepäck aus dem hinteren Kutschkasten wartete. Als er seinen schweren Handkoffer ausgehändigt bekommen hatte, blickte er wieder zur Tür hinüber. Der Offizier stand noch immer da.
Haven drängte sich durch die Menge und blieb vor dem Offizier stehen. Er trug eine Schirmmütze mit dem Abzeichen der gekreuzten Musketen, und die weiße Außennaht seiner hellblauen Hose wurde zum Teil von dem langen blauen Mantel bedeckt. Eine dünne Zigarette ragte unter seinem eleganten Schnurrbart hervor, und in seinen wasserhellen Augen blitzte ein leicht spöttischer Humor, als Haven seinen Koffer vor ihm abstellte.
»Sind Sie vielleicht der Mann, den ich suche?«, fragte Haven, ihn anblickend.
»Schon möglich«, antwortete der Lieutenant. »Bitte, folgen Sie mir.«
Er stieß sich mit einer Schulterbewegung von dem Gebäude ab, ging voraus und weiter in die Stadt hinein.
Haven nahm wieder den Koffer auf und trabte mit einigen Schritten Abstand hinter ihm her. Ein merkwürdiger Bursche, dachte er. Auch die Stadt kam ihm merkwürdig vor. Es war zehn Uhr abends, aber die eine halbe Meile lange, schnee- und eisbedeckte Hauptstraße war noch immer belebt. Nun ja, in einer Goldgräberstadt war eine lebhafte Nacht sozusagen an der Tagesordnung, doch Haven konnte nicht sagen, wann geschlafen oder wann gearbeitet wurde. Doch eins stand fest: es war immer Betrieb. Er stolperte und merkte, dass die Planken zu Ende waren. Zu seiner Rechten war ein Blockhaus. Hinter den Fenstervorhängen konnte er eine Frau erkennen. Gleich neben dem Blockhaus war ein Zelt. Es stand so nahe an dem Fußweg, dass die vorübergehenden Bergarbeiter ihre Streichhölzer an der Plane anrissen. Als die Planken wieder begannen, sah Haven einen schäbigen, aus Schalbrettern errichteten Saloon, über dessen Fenster zwei Fackeln brannten. Haven dachte nicht mehr weiter über die Stadt nach. Das war keine Stadt, sondern ein einziges Tollhaus, in dem alles durcheinanderlief. Er hatte Mühe, den Lieutenant nicht aus den Augen zu verlieren.
Am Ende dieses trostlos langen Häuserblocks stand eine riesige Halle von einem Saloon. Ein Dutzend Fackeln flackerten in der Nacht. Haven sah den Lieutenant nach rechts abbiegen und verschwinden.
Er nahm seinen schweren Koffer in die andere Hand und bog ebenfalls um die Ecke. Hier waren keine Planken gelegt; vor allem herrschte hier kein so starker Betrieb. Die Straße war dunkel und verlassen. Dann sah er die dunkle Silhouette des Lieutenants, der auf ihn wartete.
Als er nähergekommen war, hörte er ein leises Lachen und den Lieutenant sagen:
»Ich bin Phil Stellman. Ich wollte mich an der Station keineswegs wie ein Flegel aufführen. Sie sollten nur nicht mit mir zusammen gesehen werden.«
Haven konnte die ausgestreckte Hand des Lieutenants erkennen, griff zu, schüttelte sie und nannte ein wenig mürrisch seinen eigenen Namen. »Marschieren wir zum Camp Stambaugh?«, fragte er anschließend.
»Das werden Sie nicht mal zu Gesicht bekommen, mein Freund. Wie war die Fahrt?«
»Schlimmer als schlimm.«
»Das gilt wohl auch für die Verpflegung.« Stellman lachte wieder. »Geben Sie mir jetzt Ihren Koffer, damit Ihre Arme nicht noch länger werden.«
»Sagen Sie, was soll eigentlich diese ganze Geheimnistuerei?«
»Das kann ich Ihnen sagen - aber ich denke, wir sollten erst noch fünfzig Schritte zurücklegen.«
Nach diesen fünfzig Schritten befanden sie sich im Villenviertel der Stadt, wenn dieser Ausdruck zutraf. Vom Lärm der Hauptstraße war kaum etwas zu hören.
Stellman griff nach Havens Ellenbogen und steuerte ihn quer über die Straße.
Sie hielten vor einem breiten, flachen Blockhaus, durch dessen Fenster freundlicher Lichtschein drang. Stellman öffnete die Zauntür. Haven folgte ihm wortlos und wartete, bis er geklopft hatte.
Die Haustür wurde von einer jungen Frau geöffnet, die zur Seite trat und freundlich »Guten Abend, Phil!« sagte.
Einführung in die bessere Gesellschaft, dachte Haven missmutig.
Die Frau beachtete Stellman nicht weiter, aber sie musterte Haven mit einem Blick, der gleichermaßen neugierig, freundlich und anerkennend war.
»Mrs. Caslon - Mr. Haven«, stellte der Lieutenant vor.
Sie streckte Haven lächelnd die Hand entgegen und sagte: »Wir haben Sie schon erwartet.«
Havens Verwunderung nahm zu, als er ihre Hand drückte. Er trat hinter ihr ins Haus und sah sofort den Offizier in der blauen Uniform, der mit dem Rücken zum Kamin stand. Er war ein hagerer Mann, mittelgroß und mit einer hohen Stirn unter dem dünnen, dunklen Haar. Er hatte eine kühne Adlernase und einen vollen schwarzen Schnurrbart. Sein Mund lächelte nicht.
»Ich stelle Ihnen Mr. Haven vor, Captain Iles«, sagte Phil Stellen an. Und zu Haven: »Captain Iles ist Ihr Vorgesetzter Offizier.«
Haven klemmte seinen Hut unter den linken Arm, nahm straffe Haltung an und salutierte.
Captain Iles erwiderte beiläufig den Gruß und sagte mit einer freundlichen, lebhaften Stimme: »Ich freue mich, Sie kennenzulernen, Mr. Haven. Ich mache Ihnen übrigens keinen Vorwurf, wenn Sie an Ihrem Verstand zweifeln.«
Haven murmelte die üblichen Höflichkeitsfloskeln. Dann sahen sich die beiden Männer abschätzend an, und Mrs. Caslon bat Haven, den Mantel abzulegen. Er kam der Aufforderung nach und gab ihr Mantel und Hut. Sie war, das sah er, eine hübsche Frau - vielleicht fünfunddreißig -, die unter ihrem dunkelblauen Kleid eine tadellose Figur hatte. Ihr braunes Haar hatte merkwürdigerweise etwas hellere Strähnen. Sie schien ihn sympathisch zu finden, doch er hatte keine Ahnung, welch eine Rolle sie bei diesem Zusammentreffen spielte.
Captain Iles hatte die Inspektion von Havens Kordhose, der Drillichjacke und dem grauen Flanellhemd beendet und sagte: »An eine Uniform erinnert wohl kaum etwas...«
»Ich trage diese Kleidung auf Befehl, Sir.«
»Das ist mir bekannt.« Captain Iles bot ihm eine Zigarre an, die Haven jedoch - zugunsten seiner Pfeife - ablehnte. Als er sie stopfte, sah er sich im Zimmer um und fand, dass es einen erstaunlich eleganten Eindruck machte.
Phil Stellman rückte einen Schaukelstuhl für Mrs. Caslon zurecht. Als sie Platz genommen hatte, setzte sich Captain Iles auf das Rosshaarsofa neben dem Kamin. Haven nahm ihm gegenüber auf dem Ledersessel Platz und wusste nicht, was er sagen sollte, als er Mrs. Caslon lachen hörte.
»George«, sagte sie zu Captain Iles, »ich glaube, du hältst Mr. Haven unnötig in Spannung. Bis jetzt hat er bestimmt noch nichts begriffen.«
Haven warf ihr einen dankbaren Blick zu. Stellman ging um seinen Sessel herum und lehnte sich mit der Schulter an den Kaminsims.
Captain Iles sagte mit seiner trockenen Stimme: »Zugegeben, eine etwas sonderbare Art, sich zum Dienst zu melden. Aber bei einem Sonderauftrag hat man mit allen Situationen zu rechnen. Haven. Man darf Sie nicht mit der Armee in Verbindung bringen - das könnte katastrophale Folgen haben.«
Diese Worte erinnerten Haven an das Begleitschreiben in seiner Brusttasche. Er übergab es Captain Iles mit den Worten: »Meine Papiere, Sir.«
Iles nahm den Umschlag, steckte ihn ungeöffnet ein und sagte: »Das erklärt den Grund, weshalb Sie Zivilkleidung tragen.«
»Oder es verwirrt ihn noch mehr, Sir«, entgegnete Phil Stellman.
Iles warf Stellman einen Blick zu, in dessen hagerem Gesicht nur Respekt zu lesen war. Doch seine Haltung verriet Haven, dass er einen eigenen Willen hatte.
Iles beugte sich vor, stützte seine Ellenbogen auf die Knie und sagte zu Haven: »Sie werden verstehen, dass ich für diese Aufgabe einen neuen Offizier brauche. Meine Leute sind in diesem Camp bekannt; demzufolge sind sie nutzlos.« Er blickte auf die Asche seiner Zigarre und krauste die Stirn. »Vor drei Wochen wurde ein Wagenzug der Zeugmeisterei aufgehalten und ausgeplündert. Er kam von Point of Rocks. Das war der siebzehnte Überfall, der in diesem Winter auf der Südpassstraße stattgefunden hat.«
»Dabei scheinen sie es nicht einmal so sehr auf die Goldbarren abgesehen zu haben«, warf Mrs. Caslon ein.
Iles nickte. »Es wurde in diesem Winter nur wenig Gold aus diesem Camp oder Atlantic City, einige Meilen nördlich, abtransportiert. Tatsache ist auch, dass die Grubenverwaltungen davor Angst haben, allzu viele Goldbarren in ihren Tresoren aufzubewahren. Sie baten mich um Erlaubnis, ihre Goldbarren innerhalb des Postenbereichs aufbewahren zu dürfen, weil sie dort besser bewacht werden können. Ich habe zugesagt und ich bin dafür verantwortlich. Einmal im Monat stellen die Gruben eine Mannschaft zuverlässiger Leute zusammen und transportieren die Goldbarren, begleitet von einer Militäreskorte, zur Bahnstation. Das dürfte jetzt vorbei sein.« Er rutschte unruhig auf dem Sofa herum. »Aber um wieder zum Ausgangspunkt zurückzukehren - der Überfall auf den Zug der Zeugmeisterei war keine große Überraschung. Hier treibt sich allerlei Gesindel herum, und da ist es kein Wunder, wenn Waffen gestohlen werden. Es waren nämlich Gewehre dabei. Haven, und diese Gewehre wurden nicht angerührt!«
Haven wartete und fragte sich, was Captain Iles noch zu sagen hatte.
»Was sie nahmen, das waren Uniformen - siebzig komplette Armeeuniformen - von der Mütze bis zum Mantel.«
Haven krauste verwundert die Stirn. Alles, was er über Camp Stambaugh wusste, war, dass es sich um einen neuen Vorposten handelte, der die Goldgräberstadt vor Überfällen seitens der Sioux, der Arapahoes und auch der gewöhnlich friedfertigen Schoschonen schützen sollte. »Kann das Gesindel, von dem Sie sprachen, aus Indianern bestanden haben?«
»Der Verdacht liegt nahe; aber es sind Weiße.« Iles betrachtete seine Zigarre und warf sie ins Kaminfeuer. »Haven, wir haben zwei unvollständige Kompanien Infanterie - eine hat nur ein Drittel ihrer Sollstärke, bei der anderen fehlt die Hälfte der Leute -, und wir müssen die Goldbarren bewachen. Als vor drei Wochen der Zug der Zeugmeisterei geplündert wurde, tauchten Gerüchte auf, in denen von Indianern die Rede war. Kleinere, weiter landeinwärts gelegene Gruben baten um Schutz vor diesen Indianern, weil Schuppen in Flammen aufgingen und Leute erschossen wurden. Darum wurde auch Fort Stambaugh gegründet, und ich bin für den Schutz dieser Leute verantwortlich. Das Seltsame an der Geschichte ist, dass niemand mit Sicherheit sagen kann, ob es sich bei diesen Unruhestiftern wirklich um Indianer handelt.«
»Sie nehmen an, dass möglicherweise Weiße dahinterstecken?«, fragte Haven.
Iles nickte nachdrücklich. »Die gleichen Weißen, die den Zug mit den Uniformen überfallen haben. Ich kann Ihnen auch sagen, warum sie das gemacht haben. Weil meine Leute gruppenweise und je nach Bedarf den Posten verlassen, wenn irgendwo Not am Mann ist. Sehen Sie, wo das allmählich hinführen kann?«
»Sie haben früher oder später keine Leute mehr.«
»Genau«, sagte Iles. »Und wenn der Tag kommt, an dem ich nur noch eine Handvoll Leute zur Verfügung habe, dann werden diese siebzig gestohlenen Uniformen auftauchen, und die Leute, die sie tragen, werden ohne Schwierigkeiten in meinen Posten reiten können. Das fällt überhaupt nicht auf. Und wenn es auffällt, ist es zu spät. Sie werden die Goldbarren rauben und mit der Beute entkommen.«
Haven richtete sich langsam in seinem Sessel auf.
»Und dieser Tag«, schloss Captain Iles, »ist nicht mehr allzu fern. Heute Nacht habe ich im Posten neunundvierzig Leute zur Verfügung. Gott allein weiß, wie viele Goldbarren im Augenblick hier aufbewahrt werden.«
Haven dachte kurz nach und fragte dann: »Haben Sie irgendeinen Beweis, Sir, dass sich die gestohlenen Uniformen, die Überfälle und das Gold auf einen Nenner bringen lassen?«
»Ich habe keinen Beweis, Haven, sondern ich weiß nur, dass kein Goldbarren mehr sicher ist, seit die Uniformen gestohlen wurden.«
»Warum schaffen Sie die Goldbarren dann nicht weg?«, fragte Haven langsam.
Iles tauschte einen flüchtigen Blick mit Stellman aus. Dann lächelte er, und sein Lächeln war ohne Humor. »Phil und ich haben uns darüber schon die Zungen dick geredet. Nehmen wir an, ich schicke jeden entbehrlichen Mann - insgesamt fünfzig Leute - mit dem Goldtransport nach Point of Rocks. Er wäre in zwei Tagen dort. Er wird in der ersten Nacht von siebzig Männern in Uniform überfallen werden, und diese Männer haben die gleichen Uniformen an, die meine Leute tragen. Auch wenn es mir gelingen sollte, das Gold zu behalten, kaum einer meiner Leute würde in diesem Durcheinander mit dem Leben davonkommen.«
»Aber werden es siebzig Männer sein, Sir?«
»Es sind siebzig Uniformen, und darum muss man auch mit siebzig Männern rechnen.«
Haven nickte langsam und erkannte nun den Ernst der Situation, in der sich Captain Iles befand. Es war überflüssig, ihm die Frage zu stellen, ob er Verstärkung angefordert hatte. Selbst wenn er das getan hatte, sagte so etwas nicht viel. Das Gesuch von Captain Iles würde in einem Regal des Hauptquartiers liegenbleiben, denn dort hatte man genug mit den Sioux und den Apachen im Südwesten zu tun.
Haven stand auf, klopfte seine Tabakspfeife im Kamin aus und blickte Mrs. Caslon an, die ihn ernst beobachtete. Dann wandte er sich an Iles und fragte: »Was ist meine Aufgabe, Sir?«
»Ihre Aufgabe ist, die Uniformen entweder zurückzuholen oder sie zu vernichten, bevor sie gegen uns eingesetzt werden können.«
»Und kein Mensch weiß, wo die Uniformen sind«, fügte Phil Stellman düster hinzu. »Wir können Ihnen nicht viel helfen. Wir wissen nicht einmal, wo wir anfangen sollen. Abgesehen davon, haben wir keinerlei Verdachtsmomente.«
Iles erhob sich ebenfalls. »Als Fremder haben Sie noch die beste Aussicht auf Erfolg. Niemand kennt Sie - nur wir drei.« Er blickte zu Mrs. Caslon hinüber. »Sie werden nur durch Mrs. Caslon mit mir in Verbindung bleiben und alles melden, was irgendwie Ihren Verdacht erregt. Sie lassen sich nicht in der Nähe von Stambaugh blicken. Im Übrigen sind Sie ein Freund von Mrs. Caslons Mann, dem hier ein Stampfwerk gehörte. Er starb im vergangenen Jahr.«
»Wer weiß sonst noch etwas von dem Uniformdiebstahl, Sir?«, fragte Haven.
»Niemand«, murmelte Iles. »Das heißt, nur der Zeugmeister, Phil und ich wissen es. Sonst weiß es nicht einmal der Sheriff. Das ist unsere Angelegenheit und soll auch unsere Angelegenheit bleiben.« Er fügte hinzu: »Vielleicht ist das nicht ganz richtig...«
Er blickte Haven forschend an, und als Haven nichts sagte, meinte er: »Das ist das ungewöhnlichste Anliegen, das ich einem Offizier jemals vorgetragen habe. Und ich bin nicht sehr stolz darauf.«
Haven wusste in diesem Augenblick, dass er Captain Iles sympathisch fand. Er steckte seine Tabakspfeife in die Tasche und sagte: »Ich denke, dann sollten wir uns umgehend an die Arbeit machen, Sir.«
Stellman trat vom Kamin weg und fragte: »Haben Sie irgendetwas in Ihren Taschen oder in Ihrem Koffer, was Sie mit der Armee in Verbindung bringen könnte?«
»Nur meine Uniform«, war die trockene Antwort.
Mrs. Caslon lachte, stand auf und sagte freundlich: »Kommen Sie mit. Sie können alles, was überflüssig ist, nebenan aufbewahren.«
Haven griff nach seinem neben der Tür abgestellten Koffer, durchquerte damit den Raum und trat ins Schlafzimmer, das ebenfalls einen eleganten Eindruck machte und mit typisch weiblichem Geschmack eingerichtet war.
Als Mrs. Caslon die Schranktür geöffnet hatte, sah Haven eine Reihe Kleider auf Bügeln hängen, die einen zarten Lavendelduft ausströmten.
Sie machte Platz für seine Uniform und sagte dabei: »Ihr Tabakqualm wird den Lavendelduft bald verscheuchen, John.«
Er warf ihr einen kurzen, beinahe erstaunten Blick zu und lächelte. Dann ging sie hinaus, und er machte sich daran, seine Uniform auszupacken. Wieder dachte er über diese Frau nach und stellte sich die Frage, was sie wohl in dieser Geschichte für eine Rolle spiele. Und er konnte sie gut leiden.
Er verstaute seine Uniform, schloss den Koffer und kehrte mit nachdenklichem Blick wieder ins Wohnzimmer zurück. Er dachte über die Fragen nach, die er Captain Iles noch stellen konnte.
Er stand im Türrahmen des Schlafzimmers, als plötzlich die Außentür geöffnet wurde.
Haven sah ein Mädchen, das ein rotes Kopftuch und einen schweren schwarzen Mantel trug. »Komm doch mal ’raus, Papa. Mark schlägt sich schon wieder mit diesem wilden Pferd herum und...« Dann erst sah sie Haven, und ihr Blick fiel auf den Koffer in seiner Hand. Sie sahen sich wortlos an. Haven bemerkte die Verwirrung in dem Gesicht des Mädchens.
»Verdammt!«, brummte Captain Iles, und Vangie Caslon lachte sanft.
»Komm herein, Mary«, sagte Captain Iles.
»Und lass dir eine Tracht Prügel geben«, fügte Stellman trocken hinzu.
Das Mädchen trat langsam ins Zimmer, schloss mit der einen Hand die Tür und nahm mit der anderen das rote Kopftuch ab. Sie blickte von einem zum anderen, am längsten auf Haven, und sagte trotzig: »Was habe ich denn schon wieder verbrochen, Vangie?«
»Du hast deine guten Manieren vergessen«, brummte Iles.
»Restlos«, sagte Vangie Caslon.
Captain Iles fragte: »Will Mark noch lange draußen bleiben?«
»Wenn er die Zügel loslässt, gehen wir nach Hause«, antwortete Mary.
Haven stellte den Koffer ab und musterte sie. Höchstens zwanzig Jahre, dachte er. Die Kälte hatte ihre Wangen frisch gerötet. Was ihr Aussehen betraf, so schien sie wenig von ihrem Vater geerbt zu haben. Ihre Gesichtsfarbe war hell, die seine war dunkler. Ihr glänzendes Haar war dunkelbraun und im Nacken zu einem Knoten mit lustigen Locken zusammengerafft. Ihr Gesicht war fein modelliert und nicht so markant wie das ihres Vaters. Doch die Mundwinkel ihrer vollen Lippen verrieten Humor und den Schalk, und in ihren grünen Augen blitzte eine kecke, doch versöhnlich stimmende Neugier. Sie hatte eine aufrechte Haltung, war aber nicht allzu groß.
Iles griff nach ihrem Ellenbogen und führte sie zu Haven.
»Sieh dir diesen Mann genau an, Mary«, sagte er, »und dann vergiss, dass du ihn jemals gesehen hast. Das ist Mr. Haven - Lieutenant John Haven, um genau zu sein.« Zu Haven sagte er einfach: »Mary, meine Tochter, die ich übrigens zu erwähnen vergaß. Sie weiß auch von den Uniformen.«
Mary begrüßte Haven mit einem langsamen Nicken ihres hübschen Kopfes und blickte forschend ihren Vater an, der weitersprach und sagte: »Du hast Mr. Haven noch nie gesehen, wenn du ihm einmal auf der Straße begegnen solltest. Und du wirst niemandem erzählen - nicht einmal Mark -, dass du ihn hier kennengelernt hast. Auch sein Name ist dir völlig unbekannt, um es gleich vorwegzunehmen.« Captain Iles sagte es ruhig und bestimmt. Sein Gesicht war ernst und zeigte auch nicht einmal die Andeutung eines Lächelns.
Mary Iles blickte wieder Haven an, und er sah den Schalk in ihren grünen Augen blitzen, als sie ihren Vater fragte: »Wenn ich nicht mit ihm sprechen darf - warum stellst du ihn mir dann überhaupt vor?«
»Ein Zugeständnis an deine Neugier, meine Liebe«, antwortete Captain Iles. »Ich kenne dich ja schließlich gut genug.«
Mary lachte hell auf, und Haven spürte, wie sich auch seine Mundwinkel verzogen.
»Phil«, sagte Captain Iles über seine Schulter hinweg, »kannst du nicht hinausgehen und dafür sorgen, dass Mark auch wirklich nicht hereinkommt?«
Phil zog seinen Mantel über, verabschiedete sich von Mrs. Caslon, winkte Haven zu und ging rasch hinaus, während Captain Iles seinen Mantel holte.
Marys Interesse kehrte wieder zu Haven zurück. Sie sah ihn unbefangen an und sagte: »Für neue Offiziere pflegen wir immer einen großartigen Empfang zu geben. Schade, dass Sie nicht der Mittelpunkt sein können.«
»Es tut mir bereits leid, Ma'am«, sagte Haven galant. Als sie sich abwandte, blitzten ihre Augen noch einmal schelmisch auf. Dann ging sie zu Vangie.
Captain Iles hatte seinen Mantel angezogen, kam auf Haven zu und übergab ihm einen Umschlag.
»Sie werden Geld brauchen«, sagte er.
Haven nahm den Umschlag an sich und betrachtete ihn.
»Sollten Sie mit dem Geld nicht auskommen, so wenden Sie sich an Vangie.« Er streckte ihm die rechte Hand entgegen. »Und nun wünsche ich Ihnen viel Glück.«
Haven bedankte sich. Captain Iles gab Vangie einen Kuss auf die Wange, ging zur Tür, drehte sich dort noch einmal um und sagte: »Lassen Sie uns erst einmal ein Stück wegfahren.«
Haven trat von der Tür zurück, als sie hinausgingen, und Vangie rief ein Lebewohl hinter ihnen her. Dann schloss sie die Tür, ging zum Kamin und warf Haven einen kurzen Seitenblick zu. Haven wartete ungeduldig. Er hörte draußen die Stimmen von Captain Iles, Stellman und dem anderen Mann namens Mark. Dann vernahm er einen unterdrückten Fluch - der kam von Iles - und hörte das Trappeln von Pferdehufen, die auf der gefrorenen Straße nach einem Halt zu suchen schienen.
»Es dauert nicht lange«, brach Vangie Caslon das Schweigen, »dann machen sie kehrt und kommen zurück.«
Haven nickte und machte ein paar Schritte. Er spürte, dass Vangie Caslon ihn beobachtete, blieb stehen und fragte ruhig: »Wer ist dieser Mark, Mrs. Caslon?«
»Mark Bristow. Ein junger Anwalt, der Mary gern heiraten möchte.«
»Und will sie ihn heiraten?«
Vangie Caslon zögerte einen Augenblick und antwortete dann: »Ich glaube ja... im Frühjahr.«
Er wartete auf die Rückkehr des Wagens, und als er wieder vorübergefahren war, nahm er den Umschlag, den Iles ihm gegeben hatte, und ging auf den Kamin zu. Vangie Caslon hatte sich an den Kaminsims gelehnt und die Arme verschränkt.
»Den brauche ich einstweilen nicht«, sagte Haven, ihr den Umschlag gebend. Sie nahm ihn ausdruckslos entgegen, und fragte, als er seine Wanderung wieder aufnehmen wollte, mit leicht ironisch klingender Stimme: »Keine Fragen mehr, John?«
Sie sahen sich schweigend an; Haven wusste die Ironie in ihrem Blick zu deuten und stellte die Frage, -die sich zwangsläufig ergab.
»Wenn ich ein Freund Ihres Mannes gewesen sein soll, dann müsste ich doch auch seinen Namen wissen - nicht wahr?«
»Ben. Er starb mit siebzig Jahren. Ich habe ihn geheiratet, als ich fünfzehn war - auf dem Papier -, um dem Waisenhaus zu entgehen. Jeder, der ihn gekannt hat, weiß das. Und Sie sollen es auch wissen.«
Als Haven nichts sagte, fuhr Vangie Caslon fort: »Es gibt etwas, was Captain Iles Ihnen nicht erzählt hat. Im Lagerhaus von Fort Stambaugh lagern zurzeit achtzigtausend Dollar in Goldbarren. In einer Woche oder zehn Tagen werden es hunderttausend Dollar sein.«
»Wollen Sie mich zur Eile antreiben?«
Vangie schüttelte den Kopf. »Ich bin nicht herzlos. Ich möchte nur, dass Sie es wissen.«
Haven murmelte ein paar Dankesworte, nahm seinen Koffer und ging zur Tür.
»Und noch etwas«, sagte Vangie Caslon. »Captain Iles und ich werden in diesem Sommer heiraten.«
»Oh, dann kann ich nur sagen, dass Captain Iles zu beneiden ist«, erwiderte Haven.
»Danke für das Kompliment«, lächelte Vangie Caslon. »Ich sage Ihnen das nur, damit Sie Bescheid wissen.«
»Hmhm!« Haven verabschiedete sich und ging in die kalte Nacht hinaus.
Als Haven den dunklen Weg entlangging und auf die Hauptstraße zu, überkam ihn das merkwürdige Gefühl, als habe er das alles nur geträumt. Vierzehn Jahre war er bei der Armee - die Hälfte dieser Zeit im Westen -, und hatte erfahren, dass bei der Armee so gut wie alles möglich war. Plötzliche Abkommandierungen, merkwürdige Befehle, Versetzungen, unerwartete Einsätze, Drill, Verpflegungsmangel, Entbehrungen, Einsamkeit. Aber immer war er dabei unter seinesgleichen gewesen und hatte trotz allem stets gewusst, woran er war. Doch dieser Auftrag war ihm völlig fremd und unbegreiflich. Immerhin haftete ihm etwas Abenteuerliches an.
An der Ecke der Hauptstraße blieb er stehen und blickte sich um. Vor der Fassade des von Fackeln erhellten Saloons bewegte sich eine große Menschenmenge. Jeder wollte einmal kurz hineingucken oder wenigstens daran Vorbeigehen. Neben dem Saloon stand ein einstöckiges Gebäude, dessen Tafel mit der pompösen Beschriftung Hotel noch am elegantesten aussah.
Haven überquerte die Straße und steuerte das Hotel an.
Es war eine hölzerne Angelegenheit mit einem kleinen Vorraum, von dem nach rechts und links je ein Korridor abzweigte und die ganze Länge des Gebäudes durchlief. Er bekam sein Zimmer, ließ seinen Koffer und seinen Büffelfellmantel darin zurück, suchte wieder die Straße auf und ging in Richtung des Ecksaloons.
Im Augenblick hatte er nichts anderes im Sinn, als sich die Stadt anzusehen oder das, was man hier Stadt nannte. Er wollte ein bisschen ausspannen. Ich habe zu lange Befehle entgegengenommen, dachte er, und zu lange Befehle ausgeführt.
Ein Menschenknäuel trieb ihn zum Eingang des Ecksaloons mit den Fackeln vor der Fassade. Ein Ausrufer, der einen zerschlissenen Frack mit Schwalbenschwanz und einen zerknautschten Zylinder trug, bewegte sich in der Menge und zählte die Glücks- und Kartenspiele auf, die man drinnen wählen konnte. Er nannte auch die Namen der Mädchen, die für Abwechslung sorgten, und rief mit seiner Rummelplatzstimme:
»Hereinspaziert, Gentlemen, hereinspaziert! Im Prince Marion wird ehrlich gespielt und - was auch sehr wichtig ist - gibt es die hübschesten Mädchen! Hereinspaziert, Gentlemen, hereinspaziert...!«
Haven ließ sich durch die breite Tür in den überfüllten Saloon schieben.
Es war ein gewaltiger, scheunenartiger Raum, und die Länge der Bar aus schwarzem Mahagoni war ebenfalls imposant. Über den Köpfen der Gäste brannten ein Dutzend Leuchter. Irgendwo hämmerte jemand auf einem Klavier herum, aber man musste schon die Ohren spitzen, um dieses Geräusch aus dem lauten Stimmengewirr heraushören zu können. An der Wand zur Straße stand ein großer Holzofen in der Nähe der dichtbesetzten Spieltische.
Haven trat an einen der Faro-Tische in der Ecke. Irgendetwas an diesen älteren und mehr bürgerlich gekleideten Männern, die um den Tisch herumsaßen, fesselte ihn. Hier wurde mit höheren Einsätzen gespielt, das merkte man an den unbeweglichen Gesichtern der Spielteilnehmer.
Haven sah eine Weile zu und wollte gerade wieder kehrtmachen, als er den Kartengeber »Guten Abend, Mr. Bristow!« sagen hörte. Er hatte schon zwei Schritte gemacht, als dieser Name ihm wieder einfiel. Er blieb stehen und drehte sich um. Die Spieler waren mit ihren Stühlen zur Seite gerückt und hatten einem jungen Mann Platz gemacht. Er knöpfte seinen langen Mantel mit dem Lammfellkragen auf und nickte lächelnd den anderen zu, mit denen er anscheinend befreundet war. Er schob seinen schwarzen Hut ins Genick und warf einen flüchtigen Blick auf die Spielkarten. Haven kehrte wieder an den Tisch zurück und stellte sich so hin, dass er den jungen Mann beobachten konnte. Der sah nicht übel aus, und als er dem Kartengeber eine Handvoll goldener Zehndollarstücke zuwarf, lachte er dazu und sagte: »Heute nur gelbe, Burke. Ich denke, heute ist mein Glückstag.«
Haven trat wieder zurück und ging an zwei Pokertischen vorbei. Seine Neugier war befriedigt. Das war also der Mann, den Mary Iles zu heiraten gedachte... Haven wusste, dass dieser Mann eine kalte, geldhungrige Spielematur war, selbst wenn er so tat, als interessiere ihn das Geld nur am Rande.
An der Bar war noch eine Lücke. Haven zwängte sich hinein und bestellte einen Drink. Er trank einen Schluck und strich nachdenklich mit der Hand über sein Kinn. Ich möchte nur gern wissen, wo und was ich anfangen soll, dachte er.
Er wollte gerade wieder nach dem Glas greifen, als eines der Tanzmädchen neben ihm auftauchte.
»Willst du mit mir tanzen?« Sie war nicht mehr ganz jung, und ihr blondes Haar wirkte so leblos wie ihr fahlgelbes Kleid.
»Keine Lust, Mädchen«, sagte Haven, »aber ich werde dir einen Drink bestellen.«
»Wenn du ein Glas Wein für mich bestellst, kann ich mich an einen Tisch setzen«, sagte sie.
Wein war wesentlich teurer als Whisky, doch Haven war einverstanden. Ihre Gesellschaft war ihm ohnehin gleichgültig, aber vielleicht konnte sie ihm diese oder jene Frage beantworten.
Er trank seinen Whisky aus und folgte dem Mädchen. Zwischen den beiden Billardtischen, die sich am Ende des Saloons befanden, und der Bar war eine Tanzfläche frei gemacht. Das Klavier stand an der Wand. Der obere Deckel war geöffnet, und eines der Animiermädchen spielte einen holprigen Walzer mit falschen Pausen. Der Tanzboden war von drei Seiten mit Tischen eingerahmt, an denen Bergleute mit ihren Mädchen saßen.
Das blonde Mädchen hielt einen der Kellner an und wählte einen der an der Wand stehenden Tische. Haven sah drei kräftige Männer an der Tanzfläche stehen, die offenbar für Ordnung zu sorgen hatten.
Havens Aufmerksamkeit konzentrierte sich schließlich auf einen Bären von einem Mann, der an einem der Tische stand und sich mit den Bergleuten und deren Mädchen unterhielt. Er trug keinen Hut und musste demzufolge zum Personal des Saloons gehören. Haven sah, wie er eine Whiskyflasche vom Tisch nahm und ein gutes Drittel ihres Inhalts in ein großes Wasserglas kippte, das er in der Hand hielt.
Haven sank auf den Stuhl neben dem Mädchen, das geistesabwesend lächelte und unter dem Tisch die Schuhe abstreifte. Wie dem auch sei. Haven musste den bärtigen Riesen bewundern, der ein Wasserglas Whisky trank, als sei tatsächlich nichts anderes als Wasser darin. Dann ging er zum nächsten Tisch, um die gleiche Handlung zu wiederholen.
Der Kellner brachte den Wein, versperrte Haven die Sicht, und Haven lehnte sich zurück, um den Riesen weiter beobachten zu können. Der griff eben wieder nach einer neuen Flasche - diesmal war es Wein - und unterhielt sich, zwischen den einzelnen Schlucken, mit den Leuten am Tisch.
Haven blickte das Mädchen an, das weder von ihm noch von dem Wein Notiz nahm und froh war, endlich einmal einige Zeit sitzen zu können.
»Wie ist denn dieser Saloon zu dem Namen Prince Marion gekommen?«, fragte Haven nachdenklich.
»Das sind nur die Nachnamen zweier Männer«, antwortete die Blonde. »Die heißen Saul Prince und Mick Marion.« Sie deutete mit einer Kopfbewegung auf den bärtigen Riesen. »Der dort ist Mick. Saul hat die Spieltische unter sich, Mick die Bar und die Mädchen.«
»Ein teurer Gastgeber«, murmelte Haven.
»Aber alle können ihn gut leiden«, sagte das Mädchen beiläufig.
»Geschmackssache.«
»Er trinkt die ganze Nacht - Wein, Whisky, alles Mögliche.«
»Den wirft auch so leicht keiner um.«
»Mick? Nein, den wirft auch keiner um. Kein Whisky, keine Schlägerei oder sonst etwas.« Sie schüttelte verwundert den Kopf. »Er ist der wichtigste Mann in diesem Camp. Und keiner legt sich mit ihm an - nicht in Atlantic City, Stambaugh oder sonstwo.«
Haven betrachtete Mick. Der Mann war wieder an einen anderen Tisch getreten und bediente sich mit einem Drink, der die gleichen unverschämten Ausmaße hatte. Sein Bart war glatt geschnitten, reichte unten bis zum Kragen und oben beinahe bis über die Augen. Trotz der genossenen Alkoholmengen bewegte er sich leicht und sicher, und Haven dachte, während er ihn beobachtete, an die Worte des Mädchens: Er ist der wichtigste Mann in diesem Camp... Haven wusste nicht, was ihn plötzlich auf den Gedanken brachte. Vielleicht reizte ihn der Umstand, dass, wenn er die Macht eines Lokalfavoriten brach, er selbst dessen Platz einnehmen konnte. Hier regierte immer noch der Stärkere. Sicher würde man ihn dann respektieren und ihm Dinge mitteilen, die er normalerweise niemals gehört hätte. Denn der stärkste Mann war eine Art Vertrauensperson, mit der es sich letzten Endes auch die Galgenvögel nicht verderben wollten. Wer hier der Stärkste war, der war es in jeder Hinsicht.
Jetzt blickte Mick Marion herum und erspähte den Tisch, an dem Haven mit der langweiligen Blonden saß. Warum nicht? dachte Haven. Micks weiße Zähne blitzten, als er lächelnd auf den Tisch zukam. Haven merkte, dass das Mädchen rasch wieder die Schuhe anzog. Als Mick vor dem Tisch stand, hatte Haven seinen Entschluss gefasst.
»Alles bestens?«, erkundigte sich Mick. Seine Stimme klang erstaunlich sanft und melodisch. Seine tiefliegenden kleinen Augen waren vom Alkohol getrübt, aber er stand sicher auf den Beinen.
»Okay«, sagte Haven.
Mick lachte und griff, wie Haven vorausgesehen hatte, nach der Weinflasche. Auch Haven griff nach ihr und bekam den Bauch der Flasche zu fassen, während sich Micks Finger um den Flaschenhals legten. Mick wollte die Flasche wegziehen, aber Haven hielt sie auf der Tischplatte fest. Mick sah Haven fragend an.
»Ich habe die Flasche bestellt«, sagte Haven, »und ich werde sie auch austrinken - ohne fremde Hilfe.«
Micks große Pranke hielt noch immer den Flaschenhals. Er sah Haven fünf Sekunden lang an. Dann fragte er: »Sind Sie abgebrannt? Oder haben Sie nur Durst?«
»Nichts von beidem.«
Mick lachte und zog wieder heftig an der Flasche. Haven ließ absichtlich los. Die Flasche kam hoch, und der Wein spritzte heraus und ergoss sich über Micks Rock.
Haven war schon aufgestanden, als Marion mit einem lauten Fluch die Flasche nach ihm schleuderte. Haven lenkte sie mit einer Schulter ab, und die Flasche schmetterte gegen die Wand. Schon hatte Haven seine Schulter in Mick Marions Leib gerammt.
Das Mädchen kreischte schrill. Haven stieß noch einmal mit seiner Schulter zu und hörte, wie der Riese die Luft ausstieß. Dann spürte er Micks Hand auf seiner Schulter und fühlte sich kräftig gegen einen der umstehenden Tische geschleudert.
Mick Marion starrte ihn noch immer ungläubig an - und Haven stürmte zum zweiten Mal vor. Diesmal setzte er seine Faust auf Micks Bart, und sie prallte ab wie von hartem Granitgestein. Dann drehte ihm jemand den Arm auf den Rücken und zwang ihn in die Knie. Vier Hände packten ihn und rissen seinen Körper wieder hoch. Zwei Rausschmeißer standen rechts und links neben ihm. Er blickte Mick Marion an, der heftig atmete, aber sich keinen Millimeter von der Stelle gerührt hatte. Nur seine kleinen Augen hatten sich bewegt und bewegten sich noch, als sie Haven anstarrten. Die Bergleute von den Nachbartischen kamen näher und bildeten einen Halbkreis. Die Klavierspielerin spielte schneller, je stiller es im Saloon wurde.
Dann sagte Mick Marion mit seiner sanften, melodischen Stimme: »Wir führen hier ein gastliches Haus, Mister.«
»So gastlich, dass Sie immer im Tran sind«, sagte Haven, und diese Beleidigung war sorgfältig berechnet.
In Micks Augen blitzte Ärger auf, verschwand dann und ließ nur ungläubiges Staunen darin zurück. Anscheinend hielt er Haven nicht für ganz richtig im Kopf. »Hinaus mit Ihnen«, sagte Mick mit sanfter Stimme.
Die beiden Rausschmeißer packten ihn von hinten, und er musste sich hilflos zur Seitentür schieben und tragen lassen. Die Burschen verstanden ihr Handwerk. Im Türrahmen wurde er hochgehoben und dann in einem gewaltigen Bogen auf die Planken des Bürgersteigs befördert.
Er landete auf Knien und Handflächen, setzte sich hin und sah die beiden Rausschmeißer im Türrahmen stehen. Einer von ihnen sagte: »Immer daran denken, mein Freund«, und dann gingen beide wieder hinein.
Haven wischte seine Hände an den Hosenbeinen ab und nahm die neue Situation nicht ohne Humor zur Kenntnis. Mick ließ sich nicht so leicht stellen...
Dann lächelte Haven und spürte einen wilden Unternehmungsgeist in sich aufsteigen. Er ging auf die Tür zu, blieb aber stehen, weil er sich sagte, dass die Tür sicher bewacht wurde. Es war besser, wieder den Vordereingang zu benutzen. Leider hatte er auch dort kein Glück, denn die beiden Rausschmeißer passten auf, erkannten ihn und grinsten.
»Ein andermal!«, rief Haven ihnen zu, ging wieder hinaus, am Seiteneingang vorbei und um das Gebäude herum. In der Dunkelheit konnte er wenig sehen, tastete sich aber an der Rückwand entlang, ohne eine Tür zu entdecken. An der Ecke sah er das Nachbargebäude, das nicht so breit war wie der Saloon und an dessen Giebelseite grenzte. Die Laderampe des Gebäudes stieß bis zum Prince Marion Saloon vor. Haven sah eine Menge aufeinandergestellter Bierfässer. Er kletterte auf die Laderampe und sah auf der Giebelseite des Saloons zwei große Doppeltüren. Er hörte ein Geräusch und bemerkte einen Arbeiter, der gerade ein Fass über die Planken rollte. »Ist Mick da drin?«, fragte Haven, als sei er ein guter Bekannter von ihm.
»Ja, soviel ich weiß«, antwortete der Mann.
Haven ging in den Lagerraum, hörte den Lärm im Saloon und entdeckte zur rechten Hand noch zwei weitere Doppeltüren. Er öffnete eine davon und sah, dass er sich zwischen der Bar und der Nische mit den Billardtischen befand - ungefähr hinter dem Klavier. Er trat leise ein und zog die Tür hinter sich zu. Einer der Billardspieler sah ihn und blickte wieder weg. Haven ging bis zur Ecke der Billardnische, die zum Teil vom Klavier verdeckt wurde. Hinter dem Klavier sah er die beiden Rausschmeißer die Tanzfläche beobachten, aber Mick Marion erkannte er schon, ehe die Paare die Tanzfläche verlassen hatten. Er graste noch immer die Tische ab und trank alles, was er stehen sah.
Haven wartete, beobachtete Mick Marion und - als die Rausschmeißer ein Stück weitergegangen waren - das Billardspiel. Er wartete zwanzig Minuten und spielte mehrmals mit dem Gedanken, jede Vorsicht außer Acht zu lassen und einfach auf Mick Marion zuzugehen.
Aus irgendeinem Grund fiel es der Klavierspielerin plötzlich ein, nur auf den Tasten der höchsten Töne herumzuklimpern, so dass in dem Lärm kaum etwas zu hören war. Mick Marion blickte zum Klavier herüber und krauste die Stirn. Dann kam er näher. Er unterhielt sich mit der Klavierspielerin. Haven wartete noch ein wenig und legte dann die wenigen Schritte zurück, die ihn noch von Mick trennten. Mick hatte sich auf den oberen Deckel des Instruments gestützt und machte der Klavierspielerin mit seiner sanften Stimme Vorwürfe.
Haven zog seinen Revolver, trat ans Klavier und rammte Mick den Revolverlauf in die Rippen.
Mick drehte sich nach ihm um und nahm langsam den Ellenbogen vom Deckel. Als er Haven sah, blickte er langsam nach unten und auf den Revolver. Die Klavierspielerin blieb, die Hände über den Tasten, unbeweglich sitzen.
»Wir wurden vorhin unterbrochen«, sagte Haven. »Gehen wir mal ins Freie.«
»Warum?«, fragte Mick langsam.
»Weil ich Ihnen Manieren beibringen will.«
Das Lächeln erschien wieder in Micks Gesicht, es war ein Lächeln echten Vergnügens. »Da brauchen wir gar nicht hinten ’rauszugehen«, sagte er. »Diese Stadt hat eine Schwäche für kleine Meinungsverschiedenheiten. Die Boys werden Sie in Ruhe lassen.«
»Gehen wir irgendwohin.«
Mick drehte sich wieder nach vorn. »Gehen wir«, sagte er, ging quer durch den Saloon und auf die Vordertür zu.
Haven steckte den Revolver ein und folgte ihm.
Mick, beide Hände erhoben, wackelte mit den Fingern und rief: »Mitkommen, Gentlemen! Gleich gibt's was zu sehen!«
Sofort setzten die Gäste sich in Bewegung und gingen hinter Haven her, der mit der Entwicklung der Dinge vollauf zufrieden war. Er brauchte Zuschauer, und es kamen mehr als er angenommen hatte. Die ganze Stadt würde das Schauspiel beobachten, die ganze Stadt würde davon reden.
Es sprach sich mit einer unerklärlichen Geschwindigkeit herum. Sie waren noch nicht einmal draußen, als sich auf der Straße schon die ersten Leute versammelten, um Mick und den Fremden aus dem Saloon kommen zu sehen.
Mick Marion wandte sich an Haven, fragte: »Ist hier Platz genug?«
Haven blickte herum und sah, dass die Zahl der Zuschauer immer mehr stieg. Er nickte, nahm Patronengurt und Hut ab. Dann zog er seine Weste aus und legte alles auf das Haltegeländer. Ein Witzbold rief: »Hoffentlich hast du anschließend nicht vergessen, wo du deine Sachen hingelegt hast, Blacky!«
Als Haven sich umdrehte, konnte er über die Zuschauermenge nur staunen. Mick hatte seine Jacke ausgezogen. Dann schnallte er seinen Hosengürtel ab, wickelte ihn um seine Faust und sagte zu dem neben ihm stehenden Mann: »Es macht mir immer Spaß, einem Frechdachs einen Stempel aufs Fell zu drücken, Saul.«
Haven nahm an, dass der Mann neben Mick Saul Prince war. Ein hagerer und kränklich aussehender Mann Mitte Vierzig, der einen dunklen Anzug trug und um den Hals einen dicken Pelzkragen, um sich gegen die bittere Kälte zu schützen. Er betrachtete Haven und sagte zu Mick: »Der sieht ziemlich kräftig aus - ich kann diesmal bloß fünfhundert auf dich setzen.«
»Drei zu eins!«, rief jemand aus der Menge. Haven wusste nicht, wer es war, aber er hörte Saul Prince sagen: »Gemacht!«
Die Fackeln warfen ein unstetes Licht auf die Kampfstätte, und als Haven in den Kreis trat, sagte Mick mit ernster Stimme: »Keine Messer. Ich habe was gegen Schnittwunden.«
»Sie werden bald was gegen den ganzen Kampf haben«, reizte ihn Haven. »Wollen uns erst mal 'n bisschen aufwärmen.«
Mick lachte, aber es war in den anfeuernden Rufen der Zuschauer nicht zu hören. Sein mächtiger Körper und seine Stummelbeine bewegten sich geschmeidig, als er auf Haven zukam. Er riss seinen purpurroten Ärmelhalter vom rechten Arm und kam näher. Als Haven nicht zurückwich, griff er mit ausgebreiteten Armen an, um Haven vom Boden zu heben.
Haven drehte sich nur zur Seite und hob den angewinkelten Arm in Schulterhöhe. Mick rannte hinein, schlug mit dem Mund gegen den Ellenbogen und erstarrte in der Bewegung, als wäre er gegen einen Balken gerannt. Haven schlug zu, setzte ihm blitzschnell seine Handkante auf die Nase und trat zurück.
Mick zögerte, schmeckte das aus seinen aufgeplatzten Lippen dringende Blut und wischte sich mit dem Ärmel den Mund ab. Der Ärmel färbte sich rot, aber er sah nicht hin und sagte nur: »Bleib stehen, wo du stehst!«
Er griff wieder an, und Haven sah, dass er Schmerzen verspürte. Haven wusste, dass der reichlich genossene Alkohol die Schmerzen in gewissem Maße betäubte, andererseits schärften sie auch seine Wachsamkeit.
Jetzt holte Mick aus, stieß seine Faust wie einen Rammbock vor, und Haven bekam die ganze Wucht des Schlages zu kosten. Er sprang zurück, um den Aufprall zu dämpfen. Aber der Hieb war so wuchtig, dass er mit dem Rücken auf die eisbedeckten Planken des Gehsteigs fiel.
Sein Sturz wurde von einem wilden Aufschrei der Zuschauer begleitet. Mick - er sah sich schon als Sieger - griff sofort wieder an. Haven kam auf die Knie und wusste, dass es zu spät war, um auch noch auf die Füße zu kommen. Er warf sich in die Richtung des Angreifers herum und stoppte Mick mit dem Kopf. Micks Körper prallte derart heftig gegen ihn, dass Haven sekundenlang dachte, er müsse sich selber das Genick gebrochen haben. Dann flog Mick über ihn hinweg. Er hörte ihn hinter sich auf die Planken krachen. Als er auf die Füße gekommen war und den Kopf drehte, sah er Mick auf dem Gesicht liegen. Haven flog mit einem Hechtsprung auf ihn zu, landete auf Micks Rücken und drückte dessen Gesicht mehrmals brutal auf die Planken. Dann rollte Mick sich zur Seite, in die Zuschauer hinein, kam aber rasch auf die Beine und blieb heftig atmend stehen. Er schüttelte den Kopf wie ein Hund, der gerade aus dem Wasser gekommen war. Haven stand ebenfalls wieder auf den Beinen.
»Hör’ endlich mit diesem Herumgetanze auf!« Micks Stimme klang seltsam heiser. Er stürzte sich auf Haven, ehe er noch das letzte Wort ausgesprochen hatte, und griff zur Abwechslung mit einem mächtigen Fußtritt an. Haven drehte rechtzeitig das Kniegelenk zur Seite und fing den Tritt mit der Innenseite seines Oberschenkels auf.
Es schmerzte wie rasend, betäubte sein Bein und lähmte es beinahe. Er landete eine Faust in Micks Gesicht und hatte wieder das Gefühl, auf harten Granit zu schlagen. Abgesehen davon, schien Mick nichts zu spüren, war in der nächsten Sekunde heran und umklammerte Haven mit seinen mächtigen Armen, die so stark wie zwei Männerbeine waren und auch Muskeln wie Oberschenkel hatten. Eine eiskalte Wut stieg in Haven auf. Der Riese wusste, dass ihm im Nahkampf alle Gegner unterlegen waren. Er konnte sie packen, erdrücken oder durch die Luft schleudern.
Haven hörte die Zuschauer aufbrüllen wie hundert Ochsen. Er musste sich unter allen Umständen aus diesem Griff befreien, sonst brach sein Brustkasten zusammen wie eine Streichholzschachtel.
Jetzt lockerte Mick seinen Griff, um noch einmal kräftig nachzufassen. Haven nutzte diesen Bruchteil einer Sekunde aus und warf sich nach hinten. Mick hielt ihn fest und stürzte mit. Beide krachten auf die Planken.
Mit der ganzen Kraft, die noch in ihm war, brachte Haven ein Knie hoch.
Micks Schraubstockgriff lockerte sich. Haven brachte auch das andere Knie hoch und schleuderte Mick zur Seite.
Wie von einer Feder geschnellt sprangen beide gleichzeitig auf die Beine.
Wieder stürmten sie aufeinander los. Diesmal feuerte Haven eine Serie Schläge ab, die alle in der Magengrube des Riesen landeten, so dass er seine Arme herunternehmen und seinen Bauch schützen musste. Das war etwas, womit Mick nicht gerechnet hatte. Er blieb in gebückter Haltung stehen.
Was dann kam, war für Haven kaum etwas anderes als die Nahkampfschule, die er vor Jahren während seiner Ausbildung absolviert hatte. Er schlug auf Mick ein wie auf kaltes Eisen und wusste, dass er kaum mit dem Leben davonkommen würde, wenn er diesen Kampf nicht gewann. Wieder feuerte er seine Fäuste auf Micks Bart ab, durch den langsam das Blut zu sickern begann. Auch die Augen Micks färbten sich allmählich blau, und eine Braue platzte auf. Er schlug nicht so häufig zu wie Haven, aber wenn er schlug, blieb Haven die Luft weg.
Und Mick wich nicht zurück...
Er ließ ein Trommelfeuer von Schlägen über sich ergehen und stand da wie ein Denkmal.
Havens Arme wurden schwer wie Bleigewichte; seine Lungen schmerzten von der Kälte und der scharfen Winterluft. Das anfeuernde Brüllen der Zuschauer erreichte Orkanstärke. Und Mick stand immer noch, schnaufte, prustete, schüttelte den Kopf. Haven nahm an, dass der Alkohol Mick allmählich zu schaffen machte. Das künstliche Feuer in seinen Adern erlosch; er war betrunken, verletzt und fast erledigt.
Haven landete eine solide rechte Gerade auf Micks Brust, in den er sein ganzes Körpergewicht hineingelegt hatte - und Mick schwankte nicht einmal. Haven schlug noch einmal zu, und diesmal blieb Mick die Antwort nicht schuldig. Haven knickten die Knie ein. Doch Mick war betäubt, stand nur da und erkannte nicht seine große Chance.
Auf den Knien dachte Haven verzweifelt: Ich muss ihn von seinen Beinen bringen, es gibt keine andere Möglichkeit! Er rappelte sich auf, sprang auf Mick zu und rammte ihm die Schulter gegen die Brust. Aber er prallte an der falschen Stelle auf, glitt an Micks Brustkorb ab und stürzte wieder zu Boden - diesmal aufs Gesicht. Er rollte sich herum, zu langsam, denn er hatte keine Kraft mehr, und sah, dass er Mick tatsächlich zum Schwanken gebracht hatte. Mick war einen Schritt zurückgetreten, kam aber nun auf Haven zu. Entweder war er blind vor Schmerzen oder vor Alkohol, jedenfalls stolperte er an Haven vorbei, blieb mit einem Fuß an der Planke des Bürgersteigs hängen und fiel gegen den Hakenbalken. Er hielt sich daran fest, stützte die Arme auf und ließ den Kopf hängen.
Die Zuschauer waren jetzt still und warteten atemlos.
Haven kam auf die Beine, wäre aber, als er endlich aufrecht stand, am liebsten wieder umgefallen. Er taumelte auf Mick zu, legte eine Hand auf dessen Schulter, um ihn herumzureißen. Doch Micks Körper war unbeweglich. Haven ließ die Hand von der Schulter gleiten und setzte sich erschöpft auf die Randplanke. Er war total fertig, sah nichts, hörte nichts und spürte auch nicht, wie die Leute ihm auf die Schulter klopften und ihn beglückwünschten. Wenn er sich bewegte, tat ihm alles weh; wenn er atmete, tat ihm alles weh - es gab keine Körperstelle, die nicht schmerzte. Er saß lange Zeit da, den Kopf zwischen den Knien, ehe er eine Hand hob und von hilfreichen Händen auf die Beine gestellt wurde.
»Ich brauche jetzt ein Bett«, war alles, was er sagte.
Ein Dutzend Leute wollten ihn stützen, aber er schüttelte sie ab und torkelte auf das Hotel neben dem Prince Marion Saloon zu. Ein Schwann von Leuten schloss sich ihm an, aber er schaffte es ohne fremde Hilfe bis zu seinem Zimmer und zog die Tür hinter sich zu.
Dann fiel er der Länge nach und mit dem Gesicht nach unten quer über das Bett. Als er nach einigen Minuten den Kopf zur Seite drehte, sah er seinen Patronengurt, seinen Revolver und seine Weste auf dem Bett liegen. Er hatte keine Ahnung, wie die Sachen ins Zimmer gekommen waren, und es war ihm auch gleichgültig. Sein Kopf fiel wieder nach unten. Jemand klopfte an die Tür, aber er kümmerte sich nicht darum. Das Klopfzeichen wiederholte sich, wurde lauter, und dann rief eine Stimme: »Machen Sie auf. Saul Prince will sich mit Ihnen unterhalten.«
Haven wurde so wütend, wie das ein Mann in seiner Situation nur werden konnte. Er griff nach dem Revolver. Als er ihn fest in der Hand hatte, rollte er sich herum und krächzte: »Verschwindet von der Tür, sonst schieße ich ein Loch durch!«
Er hörte die sich entfernenden Schritte, legte sich wieder zurück und schloss die Augen. Er fühlte sich zerschlagen und ausgebrannt; kein Muskel, der nicht schmerzte, kein Knochen, der noch ganz zu sein schien. Er fühlte sich wie auseinandergenommen und musste scharf nachdenken, wie es eigentlich zu diesem Kampf gekommen war. Dann fiel es ihm ein, und er dachte, dass alles viel einfacher hätte sein können. Ehe er es noch bereuen konnte, überfiel ihn der Schlaf.
Zweites Kapitel
Es war kurz vor acht Uhr morgens, als Captain Iles um eine zweite Tasse Kaffee bat. Er legte seine Zigarre auf den Tisch und hatte gerade die Streichhölzer aus der Tasche gezogen, als jemand an die Küchentür klopfte.
Mary stellte den Kaffeekessel auf den großen Herd und öffnete die Küchentür. Der Schnee glitzerte in der Sonne. Sie musste blinzeln und hörte Phil Stellman lachend sagen: »Ah, guten Morgen, Mary!«
Phil trat ein. Mary schloss die Tür und fragte: »Eine Tasse Kaffee?«
Stellman nahm zunächst straffe Haltung an und grüßte Captain Iles. »Guten Morgen, Sir!« Dann wandte er sich an Mary und sagte: »Es tut mir leid, Ihnen mitteilen zu müssen, dass Sie keinen Respekt vor der Rangordnung haben, Mädchen. Ja, ich möchte eine Tasse Kaffee. Vielen Dank.«
Er hatte ein Buch in der Hand, legte es auf den Küchentisch, zog seine Handschuhe und den Mantel aus und nahm dann an dem runden Küchentisch Platz.
»Es muss schon spät sein, wenn mein Adjutant zu mir kommt«, sagte Iles trocken.
»Ich bin hart im Nehmen, Sir«, sagte Phil und grinste.
Mary brachte noch eine Tasse, goss Kaffee ein und nahm zwischen den beiden Männern Platz. Sie trug eine große Schürze über ihrem hellgrünen Wollkleid. Ihr Gesicht sah frisch, strahlend und glücklich aus. Sie zwinkerte Phil zu, griff nach dem Buch, das auf ihrem Platz lag, und las laut: »Armeeregister 1872...« Sie zog eine Grimasse. »Kleine Druckbuchstaben und keine Bilder. Und ich habe es auch schon mal gesehen.«
Phil nahm das Buch, schlug es auf und legte es zwischen Mary und ihren Vater.
Beide lasen:
John Sargent Haven, geb. 1842, Ohio. Zum Lieutenant befördert, 1. Freiwilligen-Regiment, 1862. Zum First Lieutenant befördert, 1. Freiwilligen-Regiment, Ohio, 1. März 1864. Als Lieutenant zum 27. Infanterie-Regiment, US-Armee, versetzt.
Zum First Lieutenant befördert, dortselbst, 19. März 1870. Zum Lieutenant degradiert, dortselbst, 12. November 1870...
»Degradiert!«, schnaufte Captain Iles. »Verdammt noch mal!« Er warf Phil Stellman einen fragenden Blick zu. »Ist sein militärisches Führungszeugnis noch nicht angekommen?«
»Nein, Sir.«
Captain Iles klopfte plötzlich auf seine Rocktasche. »Ich habe seine schriftliche Bestätigung bei mir und sie noch nicht einmal gelesen.« Er zog ein Blatt aus der Tasche und faltete es auseinander. Dann warf er es verärgert auf den Tisch. »Teufel, ich habe das Hauptquartier ausdrücklich um einen erfahrenen First Lieutenant für einen Sonderauftrag gebeten, und sie schicken mir einen degradierten Lieutenant!« Er sah Phil an. »Was halten Sie von ihm, Phil?«
»Ihr Akademiker werdet natürlich nie degradiert«, warf Mary ein.
»Nicht so häufig«, sagte Iles gelassen. »Also, was halten Sie von ihm, Phil?«
»Ich finde ihn sympathisch. Na, und nach allem, was unser Mr. Haven mit dem größten Ochsen im Prince Marion Saloon angestellt hat... Verprügelt ist sanft ausgedrückt.«
Captain Iles blickte ihn forschend an. Mary wollte einen Schluck Kaffee trinken, setzte die Tasse aber wieder ab und sagte skeptisch: »Sie können auch nie ernst sein, Phil. Ich glaube Ihnen kein Wort.«
»Es heißt, dass Mick Marion ein funkelnagelneues Gesicht haben wird, wenn die Wunden darin erst mal verheilt sind«, entgegnete Phil, Captain Iles anblickend.
»Marion?«, murmelte Iles. »Dieser Menschenaffe, der den Saloon führt? Worum ging es denn bei dieser... Prügelei?«
»Keine Ahnung«, antwortete Phil vorsichtig.
Etwas in seiner Stimme machte Mary sofort aufmerksam. »Sie haben eine Ahnung, Phil. Was ist es?«
»Ich habe wirklich keine Ahnung, Mary«, sagte Phil, doch die leichte Röte in seinem schmalen, fein geschnittenen Gesicht strafte ihn Lügen.
»Wegen irgendeinem Mädchen, nicht wahr?«
Stellman zuckte die Achseln.
Mary wandte sich an ihren Vater und sagte ironisch: »Da haben Sie aber einen flotten Offizier bekommen, Captain! Ein Gentleman, der wegen einem Saloonmädchen eine Schlägerei anfängt...«
»Du weißt überhaupt nichts«, brummte Captain Iles. Er griff nach seiner auf dem Tisch liegenden Zigarre und betrachtete deren Deckblatt.
Stellman zog sein Zigarrenetui und bot es dem Captain an, der die Hand ausstreckte, sie aber wieder zurückzog und sagte: »Nein! Ihre Zigarren taugen nichts. Da verderbe ich mir nur den Geschmack an meinen eigenen.«
»Ich würde sagen, dass meine Zigarren ein gutes Frühstück noch besser machen, Sir.«
»Der Teufel soll Sie holen! Gut, ich nehme mir eine.«
»Sie wollen anscheinend befördert werden«, sagte Mary zu Phil.
Sie lachten. Iles und Phil zündeten ihre Zigarren an und standen auf. Mary nahm den Mantel ihres Vaters vom Wandhaken. Er zog ihn an. Dann brachte sie ihm die blaue Uniformmütze mit den gekreuzten Musketen über dem Mützenschirm, stellte sich auf die Fußspitzen und küsste die Wange ihres Vaters. »Und was mit unserm Mr. Haven los ist«, sagte sie zu Phil, »das werde ich bald herausgefunden haben.«
»Du wirst gar nichts herausfinden«, sagte Captain Iles. »Ich verbiete dir ganz einfach, von ihm zu sprechen.«
»Auch mit Vangie nicht?«
»Das ist etwas anderes.«
»Er wird ihr alles erzählen. Oder sie wird ihn fragen...«
»Dann wird sie nichts von ihm erfahren«, meinte Phil.
Mary sah ihn kurz und durchdringend an. »Weil er sich schämt!«
»Weil er glaubt, dass das Vangie nichts angeht«, erklärte Phil.
»Nun, wir werden sehen«, sagte Mary.
Captain Iles ging, von Stellman gefolgt, hinaus. Er schritt an der Außenwand der Küche und eine überdachte Passage entlang. Als Kommandierender Offizier teilte Iles das lange, einstöckige Haus mit seinem Stellvertreter, Captain Howey. Die Passage trennte seine vier Zimmer von den drei Zimmern des jüngeren Offiziers. Das Gebäude unterschied sich nur durch die große angebaute Küche der Hofseite und die Veranda der Vorderseite von drei anderen, in denen zwei verheiratete Offiziere mit ihren Familien wohnten.
Die Passage mündete direkt auf den schneebedeckten Paradeplatz. Iles ging langsamer, und Stellman holte auf. Überall herrschte die übliche morgendliche Aktivität. Hinter den beiden langen, flachen Mannschaftsunterkünften auf der gegenüberliegenden Seite des Platzes war das Holzlager. Dort waren mehrere Handsägen in Betrieb, deren schwirrendes Geräusch die kalte Luft erfüllte. Im Norden sah man die nackten Granitfelsen der Wind River Range in den klaren, wolkenlosen Himmel hineinragen.
Iles bog nach links in den freigeschaufelten Weg ein, nahm die Zigarre aus dem Mund und fragte: »Steckte eine Frau dahinter?«
»Vermutlich ja, Sir.«
»Und wie fing die Schlägerei an?«
»Das kann ich nicht genau sagen, Sir.«
»Können Sie das - unauffällig, versteht sich - herausfinden?«
Stellman dachte einen Moment nach und sagte: »Das wird einfach sein. Das Kasino bezieht den Wein von Saul Prince. Ich könnte mich heute Morgen mit Saul Prince unterhalten, und der wird schon etwas durchblicken lassen.«
»Unterhalten Sie sich sofort mit ihm«, sagte Iles grimmig. »Wenn ich einen schlechten Offizier bekommen habe, will ich das auf der Stelle wissen.«
Sie trennten sich neben dem frisch gestrichenen Flaggenmast. Phil Stellman ging weiter, an den Unterkünften vorbei, dem Vorratslager, der Wäscherei, auf die Pferdeställe zu. Ein schlanker, elegant aussehender Mann, der die Offiziere, die ihm unterwegs begegneten, mit der gleichen Lässigkeit grüßte wie die einfachen Soldaten.
Er ließ sich sein Pferd geben, stieg auf und ritt durch das Wachtor in den gleißenden Schnee hinaus. Er wollte nach Atlantic City reiten, drei Meilen in westlicher Richtung. Er ließ seinen Wallach galoppieren, bis er, zwei Meilen von Camp Stambaugh entfernt, die Smith Gulch erreicht hatte, die sich bis Atlantic City erstreckte.
Dieses Satellitencamp von South Pass City befand sich auf beiden Seiten der gewundenen Atlantic Gulch. Die Gebäude klebten an den Hängen, und es hatte den Anschein, als könnten sie jeden Augenblick auf die Holzhäuser hinunterstürzen, die die schmale Straße säumten. Phil musste kurze Zeit warten, bis er in dem endlosen Wagenzug, der sich durch die Stadt schlängelte, eine Lücke fand.
Er dachte über seine Aufgabe nach. Er nahm an, dass Captain Iles Haven freie Hand gelassen hatte - aber war darin auch eine Schlägerei in einem Saloon mit einbegriffen? Selbst wenn das so war - warum hatte Haven, der sich doch so unauffällig wie möglich benehmen sollte, sich auf einen derartigen Krawall eingelassen, dessen Ausgang ihn zum bekanntesten Mann im ganzen Camp machte?
Wenn man noch die Tatsache hinzuzählte, dass Haven vom First Lieutenant zum Lieutenant degradiert worden war, so konnte man den Plan von Captain Iles keineswegs als die rettende Lösung bezeichnen - jedenfalls nicht, wenn ein Offizier wie Haven eingeschaltet wurde. Aber Phil Stellman klammerte sich stur an den Eindruck, den er bei seiner ersten Begegnung mit Haven gewonnen hatte. Und er hatte ihn sofort sympathisch gefunden. Das würde auch weiterhin so bleiben; es sei denn, dass er einen wirklich berechtigten Grund hatte, ihn nicht mehr sympathisch zu finden. Denn Phil wusste - besser als Captain Iles -, dass ein schwacher, langsamer und schüchterner Mann sich niemals mit Mick Marion eingelassen haben würde. Und er hat ihn auch noch in die Knie gezwungen, dachte Phil stolz.
In dem dicht bevölkerten South Pass City stellte er sein Pferd in Coopers Mietstall unter und ging zum Prince Marion Saloon.
In der Mitte des Häuserblocks erspähte er Mark Bristow, der sich, wie üblich, mit einigen Leuten unterhielt, als gäbe es nichts anderes zu tun. Mark sah ihn auch und löste sich aus der Gruppe.
»Hallo, Soldat«, sagte Mark. »Warum waren Sie denn gestern Abend nicht bei Brannigan?«
»Immer, wenn irgendwo was los ist, habe ich Kurierdienst«, antwortete Phil.
»Sie waren also nicht in der Stadt? Dann haben Sie einen wüsten Kampf versäumt.«
»Bei Brannigan?«, fragte Phil und spielte den Verwunderten.
Mark lachte und blickte herum. Er winkte einem Bekannten zu und drehte sich wieder nach Phil um.
»Nicht bei Brannigan - vor dem Prince Marion Saloon.«
»Nicht möglich«, murmelte Phil.
»Da hat ein Fremder Mick Marion nach Strich und Faden verprügelt.«
»Mick Marion verprügelt? Ich glaube kein Wort! Wer soll denn das gewesen sein?«
»Keine Ahnung. Aber er hat Mick fertiggemacht.« Bristow schüttelte in schweigender Bewunderung den Kopf und blickte wieder über die Köpfe der Leute hinweg. Diesmal entdeckte er keinen Bekannten und sagte zu Phil: »Wir sollten diesen Burschen gegen den Schmied Ihrer E-Kompanie aufstellen. Wie heißt er doch gleich?«
»Loftus. Aber Mick wird zweimal mit Loftus fertig.«
»Macht nichts. Das wird dann ein richtiger Kampf werden und keiner von Micks Festhalteversuchen, wenn Sie wissen, was ich meine. Ich spreche mal mit diesem Burschen, und Sie sprechen mit Loftus - okay?«
Ehe Phil antworten konnte, sah Bristow wieder jemanden und rief: »Hallo, Harvey!« Dann wandte er sich wieder an Phil und sagte: »Tun Sie das. Ich muss jetzt gehen.« Er verschwand.
Phil ging weiter und lächelte vor sich hin. Der Wettkampf, nahm er an, konnte spannend werden - vorausgesetzt, dass Haven sich vorgenommen hatte, der größte Raufbold des Camps zu werden, was kaum der Fall zu sein schien. Aber aus diesem Kampf würde ohnehin nichts werden; Mark würde ihn über all diesen tausend Dingen, mit denen er sich beschäftigte, vergessen. Mark erinnerte Phil an eine Biene, die durch Blumengärten surrte, mit jeder Blüte liebäugelte und auf keiner lange sitzenblieb. Kaum war sie gelandet, trieb es sie zur nächsten Blume. Mark war liebenswürdig, klug, auch geschäftstüchtig, aber auch in tiefster Seele unzufrieden und unausgefüllt. Phil wusste es. Und Mark würde dereinst der Mann von Mary Iles sein...
Phil verscheuchte den letzteren Gedanken, war auf Höhe des Prince Marion Saloon angekommen und trat ein.
Es war die tote Stunde des Tages, und nur ein paar Spieltische waren besetzt. An der Bar standen einige Faulenzer, die ohnehin nichts anderes zu tun hatten, als eben an der Bar zu stehen. Die Amüsiermädchen hielten sich noch im Hintergrund auf, weil sie Anweisung hatten, erst ab Mittag mit den Gästen anzubändeln.
Phil ging auf den ältesten Barmann zu, einem rotgesichtigen Burschen, der die Hemdsärmel hochgekrempelt hatte.
»Morgen, Charlie. Wo steckt Saul? Ich will ein paar Flaschen Wein einkaufen. Fürs Kasino.«
»Der ist oben, Lieutenant«, sagte Charlie.
Phil wollte sich gerade abwenden, als Charlie hinzufügte: »Am besten, Sie warten einen Moment, Lieutenant. Er unterhält sich mit dem Gentleman, der Mick verbläut hat.«
Phil drehte sich wieder der Bar zu, ein unschuldiges Staunen in seinem Gesicht. »Mick? Verbläut?« Er nahm seine Mütze ab und legte sie auf die Bar. Dann stützte er die Ellenbogen auf und sagte: »Das müssen Sie mir erzählen, Charlie.«
Das Büro, in dem Saul Prince residierte, war ein großes Eckzimmer. Zwischen den beiden Fenstern links und rechts in den Eckwänden stand ein Schreibtisch. Eine Reihe bequemer Stühle, ein großer Geldschrank an der Rückwand und ein niedriges schwarzes Ledersofa unter einer Reihe Bilderrahmen mit galoppierenden Pferden vervollständigten die Büroeinrichtung.
Haven steuerte auf das Ledersofa zu, als er hörte, dass Saul Prince die Tür hinter ihm schloss. Das Treppensteigen war eine höllische Qual gewesen; er atmete jetzt vorsichtig aus und ein und fragte sich, ob nicht sämtliche Rippen gebrochen waren. Er nahm langsam Platz, unterdrückte einen Schmerzenslaut, blickte auf und sah, dass Prince ihn beobachtete. Vorsichtig streckte er seine Beine aus und legte den Hut auf das Sofa. Dann erwiderte er den Blick von Saul Prince. Auf seiner linken Wange war eine blaue Beule zu sehen, die unerklärlicherweise sein Auge nicht in Mitleidenschaft gezogen hatte. Sein linkes Ohr war feuerrot und geschwollen; seine Hände ruhten auf dem Sofa; die Knöchel waren mit einem in Streifen gerissenen geblümten Taschentuch bandagiert. Er hatte die Lippen zusammengepresst und lächelte nicht, doch nichtsdestoweniger betrachtete er Prince mit grimmigem Humor in seinen Augen.
»Ein bisschen wacklig auf den Beinen, wie?«, fragte Saul Prince.
»Ein bisschen.«
Prince ging um den Schreibtisch herum, nahm auf dem Drehsessel Platz, legte die Ellenbogen auf die Seitenlehnen und faltete die Hände. Als Haven ihn so sitzen sah, hätte er schwören können, dass Saul Prince ein durchaus ehrenwerter Geschäftsmann war. Sein Gesicht sah zwar etwas gelb und kränklich aus, aber das tat nichts zur Sache.
»Wie geht es Mick?«, fragte Haven.
Prince lächelte flüchtig. »Er kann noch nicht sprechen. Und darum weiß ich auch noch nicht, worum es eigentlich ging.« Haven legte seine Füße übereinander, betrachtete einen Moment seine Stiefelspitzen, blickte dann auf und sagte: »Ich kann mich nicht mehr genau daran erinnern, nehme aber an, dass ich angefangen habe.«
»Warum?«
»Ich dachte, das würde mir helfen.«
»War verdammt leichtsinnig«, meinte Prince. »Und ein eingeschlagener Schädel hat noch keinem geholfen, soviel mir bekannt ist.«
»Ich musste etwas riskieren«, sagte Haven mit größter Selbstverständlichkeit. »Ich komme nämlich völlig abgebrannt aus Montana und habe schon einige Zeit in Laramie gehungert, bevor ich hierher kam. Was ich brauche, ist ein guter Job. Und dazu ist wohl eine Empfehlung nötig...«
»Ihre Empfehlung ist nicht schlecht«, sagte Prince nachdenklich. »Sie können mit den Fäusten umgehen und haben das auch bewiesen...« Er dachte einen Augenblick nach. »Wäre Mick nüchtern gewesen, hätte er Ihnen das Genick gebrochen - das können Sie getrost wortwörtlich nehmen.
»Aber er ist nie richtig nüchtern, wie?«
Prince lehnte sich zurück und lachte leise. Dann sah er Haven wieder an und fragte: »Glauben Sie nun, dass Sie Ihren Job bekommen werden?«
»Sie haben mich zu sich bestellt - hier bin ich«, sagte Haven ruhig. »Ich nehme an, dass Sie sich mit mir über etwas anderes als die Schlägerei unterhalten wollen.«
Prince hielt seinen Kopf schief. »Was können Sie denn?«, wollte er wissen.
»Ich kann gut mit Leuten umgehen.«
»Aha. Waren wahrscheinlich bei der Armee, wie?«
»Bei dieser verdammten Armee«, ergänzte Haven und lächelte sarkastisch. »Manchmal als Offizier, manchmal nicht.«
»Und warum sind Sie ausgerechnet hierhergekommen?«, fragte Prince lauernd.
Statt einer Antwort sah Haven ihn ruhig an, streckte die rechte Hand aus und machte die Geste des Geldzählens.
»Geld verdienen ist immer gut«, meinte Prince. »Kommt natürlich darauf an, was Sie für Geld alles tun.«
Haven dachte gründlich darüber nach und fragte sich, wie er diese Bemerkung auslegen sollte. Es gab eine Menge Möglichkeiten, aber er entschloss sich für eine sichere Antwort und sagte: »Am liebsten tue ich das, wofür man nicht gehängt wird.«
Prince lächelte. »Es ist bis jetzt noch keiner an den Galgen gekommen, der nicht erwischt wurde.« Er lehnte sich zurück und sah über seine Schulter hinweg den Schreibtisch an. »Sie haben mich schon fünfzehnhundert Dollar gekostet - das ist die Summe, die ich auf Mick gesetzt hatte. Ich denke, Sie sollten auch einmal ein bisschen Verdienst abwerfen.«
»An mir soll's nicht liegen«, sagte Haven.
Prince sah ihn wieder an. »Ich bin an einer Stampfmühle beteiligt, aber der Hauptaktionär kann mich nicht leiden, und darum kann ich Ihnen dort auch keinen Job besorgen. Und mit einem Job in den Saloons ist das auch so eine Sache... Ich habe eine Sagemühle in der Wind River Range - sieben Meilen nördlich von hier. Dann gehört mir eine Postkutschenlinie nach Point of Rocks. Sie gehört mir, weil sie kein anderer haben will.«
»Das verstehe ich nicht«, sagte Haven. »Ich würde mich schon dafür interessieren.«
Prince dachte einen Moment nach. »Kommen wir zur Sache«, sagte er dann. »Wir können machen, was wir wollen, aber kein Goldtransport aus diesem Camp erreicht den Bestimmungsort. Jeder Versuch ist ein Fehlschlag. Setzen wir einen bewaffneten Posten auf die Kutsche, wird er heruntergeschossen - und der Fahrer auch. Fahren wir ohne Begleitschutz, wird niemand verletzt, aber das Gold ist in jedem Fall verschwunden.«
»Und wie bekommen die von dem Goldtransport Wind?«, fragte Haven.
Prince zuckte die Achseln. »Fünfzig Personen sind daran beteiligt, und so kann das nicht lange geheimbleiben. Wir können das Gold nur bewachen - und das haben wir aufgegeben.«
»Und was sind das für Banditen?«
Prince grinste schief. »Das kann jeder sein. Eine Bande braucht nur die Postkutsche aufzuhalten, in die Stadt zurückzureiten und unterwegs die Tücher vom Gesicht zu nehmen. Dann sehen die Leute aus wie jeder andere.«
Haven blickte wieder auf seine Stiefelspitzen. »Und ich soll den Transport übernehmen?«
»Das liegt an Ihnen. Wenn Sie Selbstmord begehen wollen, können Sie es versuchen. Sie müssen sich an den Fahrplan halten und dafür sorgen, dass die Kutscher nüchtern sind und die Pferde in gutem Zustand. Dann können Sie Guinn, den Agenten von Wells Fargo, abhängen.«
»Ich verstehe. Bringen wir einige Transporte durch, werden die Bergwerke uns die Aufträge geben und nicht mehr der Wells Fargo.«
»Wenn«, sagte Prince trocken.
»Können Sie heute Nacht einen Transport losschicken?«
»Moment mal«, sagte Prince und lachte leise. »Warum so eilig? Sehen Sie sich erst mal hier um.«
»Es muss eine Schachtanlage oder ein Stampfwerk sein, die nachts nicht arbeiten«, fuhr Haven fort. »Reden Sie mit dem Besitzer. Nach Anbruch der Dunkelheit lade ich die Goldbarren auf einen Ihrer Wagen und lade sie dann auf Ihrem Hof um. Dann kann's losgehen. Das wären - abgesehen von den Werkposten - drei Mann, die darüber Bescheid wissen. Der Besitzer wird sowieso kein Wort verlauten lassen, weil es sich ja um sein Gold handelt. Und Sie werden nicht reden, weil Sie ins Geschäft kommen wollen. So bleibe ich übrig, und es müsste, wenn es zu einem Überfall kommt, an mir liegen.«
»Sie machen sich das sehr einfach«, sagte Prince trocken.
»Sie sind ein Spieler. Wollen Sie eine Wette verlieren?«
Prince blickte lange Zeit durch das Fenster, seufzte dann und sprach: »In Ordnung. Sie werden nicht verhindern können, dass es nur unter sechs, acht Männern bleibt, aber Sie können es versuchen.« Er drehte sich nach dem Schreibtisch um, griff nach seinem Federhalter und begann zu schreiben. Haven stand auf und warf einen kurzen Blick auf die Bilder mit den Pferden über dem Sofa. Er war mit der Entwicklung der Dinge zufrieden. Er hatte sein Glück versucht, und es war ihm treu geblieben. Seit gestern Abend war ihm alles gelungen, was er sich vorgenommen hatte. Denn die Männer, die den Goldtransport überfielen, mussten die Männer sein, die die Uniformen hatten. Wurde die Kutsche also aufgehalten, wie das bisher immer der Fall gewesen war, dann konnte nur einer von einer Handvoll Männern den Tip gegeben haben. Fand Haven diesen Mann, so waren Tür und Tor geöffnet.
Als Prince wieder seinen Sessel herumschwenkte, hatte er zwei Blätter in der Hand. »Ich tu es unter einer Bedingung«, sagte er. »Sie müssen noch einen Mann mitnehmen. Ich will keine Schuld an Ihrem Tod haben.«
Haven nickte. »Wenn Sie jemanden wissen, dem man vertrauen kann und der bereit ist, mitzumachen.«
Prince sagte prompt: »Jim Goddard.« Er erhob sich und gab Haven die beiden Blätter. »Einen dieser Zettel bekommt Charlie an der Bar. Er wird Ihnen Geld geben. Den anderen überreichen Sie Hub Tyrell, dem Buchhalter in der Poststation. Die Station ist unten am Big Hermit.«
Haven steckte die beiden Blätter ein, und als er aufblickte, sah er, dass Prince ihn eindringlich beobachtete. Haven sah ihn fragend an.
»Hat Ihnen schon mal jemand gesagt, dass Sie ein verdammt starrköpfiger Bursche sind?«, fragte Prince.
»Ja - Mick.«
Prince lachte. Haven grinste schief und stapfte hinaus. Auf der Treppe wurden seine Schritte wieder vorsichtiger. Er spürte die Schmerzen und blieb dreimal stehen, um nach Luft zu schnappen, ehe er die Tür erreicht hatte. Dann öffnete er sie, ging um die Bar herum und sah, dass Stellman sich mit einem weißhaarigen Barkeeper unterhielt, der anscheinend Charlie war.
Haven blieb neben Stellman stehen, der seine Unterhaltung mit Charlie beendete und ihn forschend ansah. Haven gab, ohne ein Wort zu sagen, Charlie den einen Zettel. Während Charlie ihn las, blickte Haven Stellman an, sah den versteckten Humor in dessen Augen und blickte wieder in eine andere Richtung.
Charlie ging zur Kasse, kam mit einer Handvoll Goldstücke wieder und zählte sie auf die polierte Fläche der Bar. Haven steckte das Geld schweigend ein, und Charlie sagte: »Sie wissen ja, Bärenfett ist für eine Wunde besser als Wagenschmiere.«
»Oder Hammeltalg«, meinte Phil Stellman.
»Ich bin für Bärenfett«, entgegnete Haven, steckte das restliche Geld ein und ging hinaus.
»Wie hat er das wohl gemeint, Charlie?«, fragte Phil.
Charlie zuckte nur die Achseln.
Es war später Nachmittag, als Saul Prince die überdachte Außentreppe von Hollingers Eisenwarenhandlung hinaufkletterte, auf dem oberen Treppenabsatz stehenblieb und den Schnee vom Mantelkragen schüttelte. An der Tür vor ihm las man die mit Goldfarbe gepinselten Lettern:
Wall & Bristow, Rechtsanwälte
Die Tür öffnete sich in einen Korridor. Saul wandte sich nach links. Dort war das Büro von Mark Bristow. Mit William Wall, dem Seniorpartner, hatte er diesmal nichts zu besprechen.
Marks Bürofenster bot einen Blick über den Big Hermit Creek. Es war recht geräumig, und an der Wand hinter Marks Schreibtisch sah man ein vom Fußboden bis zur Decke reichendes Regal, das mit juristischen Fachbüchern gespickt war. Mark las gerade in einem Buch, hatte die Beine auf den Schreibtisch gelegt und seinen Sessel dem Fenster zugekehrt, um den letzten Lichtschein des Tages auszunutzen. Als er Prince eintreten sah, stand er auf, lächelte freundlich und legte das schwere Buch auf die Schreibtischplatte.
»Langweilige Schwarte«, sagte er. »Nehmen Sie Platz, Saul. Ich kümmere mich mal um das Feuer.«
Er schob Prince einen Sessel zu, ging zu dem kleinen Kanonenofen in der Ecke und warf ein paar Scheite Tannenholz hinein. Dann klappte er die Tür zu und blickte Prince an, der ein kleines Päckchen Papiere auf den Schreibtisch legte.
Mark blieb stehen. Dann verschloss er leise die Bürotür und trat an den Schreibtisch. Er betrachtete das Päckchen, ohne es anzurühren, und sah wieder Prince an.
»Zählen Sie nach«, sagte Prince. »Wissen Sie ungefähr, wieviel das sind?«
»Ungefähr.«
»Dann zählen Sie nach.«
Mark griff zögernd nach dem Päckchen Schuldscheine und blätterte es rasch durch. Als er fertig war, gab er es wortlos Prince zurück, nahm wieder in seinem Sessel Platz und blickte nachdenklich durchs Fenster.
»Sie übernehmen sich, Mark.«
»Ich werde wieder Glück haben.«
»Nicht an meinen Spieltischen«, sagte Prince nüchtern. »Wenn ich Ihnen ein Jahr Zeit lasse - wie stellen Sie sich die Rückzahlung vor?«
Mark blickte ihn düster an, und als er sprach, waren seine Worte von einem mürrischen Lächeln begleitet. »Lassen Sie mir vier Monate Zeit - bis zu dem Tag, an dem ich heirate -, wie kann ich es bis dahin schaffen?«
»Sie können es nicht schaffen, ohne zum Betrüger zu werden«, sagte Prince.
Beide Männer sahen sich lange Zeit an, und schließlich ließ Mark seinen Blick sinken.
»Ich würde es nicht tun - wenn das ein Angebot ist.«
»Es ist kein Angebot. Schon diese Andeutung sollte eine Beleidigung für mich sein, Mark.«
»Tut mir leid, Saul«, murmelte Mark, blickte wieder durchs Fenster und sagte: »Sie haben es in den Fingerspitzen, Saul. Sie sind zwar die halbe Zeit krank, aber Sie haben etwas, das Ihnen Geld einbringt. Würden Sie in meinen Schuhen stecken - wie würden Sie dann so rasch wie möglich Geld machen können?«
»Ehrlich oder unehrlich?«
»Das war eine Andeutung von Ihnen, Saul, die ich selbst als Beleidigung auffassen könnte.«
»Sie wollten wissen, wie Sie so rasch wie möglich Geld machen können, Mark.«
»Also gut - und wie?«
Saul Prince schlug seine dünnen Beine übereinander, hüstelte in seine Handfläche und sagte dann: »Wollen wir doch mal überlegen, Mark. Sie haben mit Claims zu tun, nicht wahr?«
»Allerdings.«
»Dann würde ich mir an Ihrer Stelle einmal die Liste mit den umstrittenen Claims ansehen und die neuesten heraussuchen. Ich würde dann einen Partnerschaftsvertrag unterzeichnen - zwischen mir und den Blankoteilhabern -, und dann die Runde in den Prüfungsbüros machen.«
»Was wollen Sie bei den Prüfern, Saul?«
»Früher oder später werde ich einen finden, der gern seinen Namen in dem Vertrag lesen möchte. Überlassen Sie das mir. Der Prüfer hat die Aufgabe, die Erzanalyse eines Claims zu fälschen und es so hinzustellen, dass der Claim scheinbar wertlos ist. Meine Aufgabe wird sein, dem Besitzer das mitzuteilen und ihn mit einer kleinen Abfindung zu trösten. Wenn er weg ist, übernehmen wir den Claim entweder selbst oder verkaufen ihn zu seinem wirklichen Wert.«
Mark lächelte dünn. »Prüfer sind gewöhnlich ehrliche Leute, Saul.«
»Das gilt auch für Anwälte, Mark«, murmelte Prince.
Mark dachte nach und schüttelte heftig den Kopf. »Nein, Saul! Ich muss schließlich mit meinem Gewissen leben.«
»Und mit Ihren Schulden«, fügte Prince hinzu. Er stand auf, wickelte sorgfältig den Wollschal um seinen Hals und knöpfte den Mantel zu. »Bis dann, Mark. Bleiben Sie abends zu Hause und warten Sie auf Besserung.«
»Mir bleibt nichts anderes übrig«, sagte Mark verbittert.
Er begleitete Saul hinaus, schloss dann wieder die Tür und trat ans Fenster. Was hatte Sauls Besuch eigentlich für einen Sinn gehabt? Doch höchstens den, ihm zu verbieten, noch weiter im Marion Prince Saloon zu spielen. Aber während er, die Hände in den Taschen, durchs Fenster starrte, kamen ihm Zweifel. Nein, das allein war es nicht. Saul hatte sicher in erster Linie einmal sehen wollen, wie ihm mit den drückenden Schulden zumute war - wie weit er gehen konnte.
Dann sprangen die Sorgen ihn mit aller Gewalt wieder an, schienen ihn mit ihrem Gewicht zu erdrücken. Er wandte sich vom Fenster ab, ging zu seinem Schreibtisch hinüber und zündete die Lampe an. Das Licht verlieh dem Raum normalerweise immer eine freundliche Atmosphäre, doch an diesem Abend blieb alles kalt und feindselig. Die Wärme fehlte, und das war nicht nur die Wärme des Lichtschimmers.
Er sank in seinen Sessel und starrte die Ablagefächer in seinem Schreibtisch an. Selbst wenn es ihm gelang, seine alles andere als beneidenswerte Situation vor Mary zu verbergen - wie konnte er mit zwölftausend Dollar Schulden heiraten? Die Spielschulden gar nicht mitgerechnet. Nichts in seiner vielversprechenden, sogar brillanten Karriere deutete darauf hin, dass er diese Geldsumme innerhalb eines Jahres zusammenbekommen würde. Er war der Juniorpartner und bezog nur einen bescheidenen Teil des Geldes, das die Firma einnahm. Wie dem auch sei und wie sein Glück sich auch zum Besseren wenden mochte, eine so große Summe würde es ihm nie auf einmal in den Schoß wehen.
Ob er wollte oder nicht, er musste über Sauls Vorschlag nachdenken. Er wusste instinktiv, dass Saul diesen Plan in die Tat umsetzen konnte. Zweifellos würde alles funktionieren, aber der Witz war nur, dass er, Mark, nicht mitmachen konnte. Es war alles zu schäbig, verlogen und riskant. Gewiss, Spielschulden schadeten auch dem guten Ruf eines Anwalts, doch Spielschulden waren, wenn man die Wahl hatte, immer noch weniger schlimm als andere.
Und jetzt, zum tausendsten Mal, wünschte er sich sehnlichst, in einem reichen Haus geboren worden zu sein. Er dachte dabei an Phil Stellman, dem Geldsorgen fremd waren, weil immer Geld vorhanden war. Er nahm sich, was er brauchte, und konnte sich in aller Ruhe ausschließlich seiner Karriere widmen, die anscheinend sein Lebensinhalt war. Ein beneidenswerter Mann.
Er dachte an seine morgendliche Begegnung mit Phil Stellman, der immer gute Laune ausstrahlte, eine elegante Uniform trug und im Übrigen das Leben nie ganz ernst zu nehmen schien. Worüber hatte er sich mit ihm unterhalten? Ja, richtig, über den Kampf vor dem Prince Marion Saloon, den Mick verloren hatte...
Er dachte daran, mit welch einer Gelassenheit Saul gestern Abend fünfzehnhundert Dollar gesetzt hatte - und dann hörte sein rastloses Gehirn plötzlich zu arbeiten auf. Ihm war eine Idee gekommen, von der er annahm, dass sie gar nicht schlecht war.
Gestern Abend hatte jemand aus einem Kampf Kapital geschlagen. Warum sollte der harte Bursche, der Mick zusammengeschlagen hatte, es nicht auch mit Loftus, dem Schmied, aufnehmen können? Er hatte Mick geschlagen und musste, was Wetten betraf, weit und breit der Favorit sein. Aber warum sollte er nicht einmal gegen Loftus verlieren? Natürlich nicht umsonst... Sicher war dieser Bursche leicht zu kaufen. Es wäre schön, wenn ich dreitausend Dollar zusammenbekomme und sie auf Loftus setze, dachte er weiter. Dann kassiere ich, wenn Loftus gewinnt, alle auf den Favoriten gesetzten Wetten, und das würden mit Sicherheit zwölftausend Dollar sein - meine Schulden.
Mark richtete sich auf. Seine Augen blickten nicht mehr düster, sondern zuversichtlich. War so etwas vielleicht unmoralisch? Blödsinn! Für eine Schlägerei waren die Leute immer zu haben, und das war ja letzten Endes ihre eigene Schuld. Und ob sie nun ihr Geld bei einer Wette verloren oder es für Whisky oder für Mädchen oder am Spieltisch ausgaben, das war doch vollkommen unwichtig.
Ein Blick auf seine Taschenuhr sagte ihm, dass es fünf Uhr vorbei war. Er setzte seinen Hut auf, zog den Mantel über und blies die Lampe aus. Eine innere Stimme sagte ihm, dass der Bursche, auf den es ankam, eine harte Nuß war. Er würde ihm alles sehr vorsichtig beibringen müssen. Doch Mark wusste, wie man sich mit den Leuten unterhielt; er würde ihn schon ins Vertrauen ziehen.
Erst als er über die Planken des Bürgersteigs in Richtung Prince Marion Saloon ging, fiel ihm ein, dass er weder den Namen des Mannes kannte noch eine Ahnung hatte, wo er anzutreffen war.
In dem gedrängt vollen Saloon brachte er es fertig, ein paar Worte mit Charlie zu wechseln, unterhielt sich noch flüchtig mit einigen Bekannten, schlüpfte dann durch die Seitentür hinaus und ging auf den Big Hermit Creek zu.
Es schneite jetzt, aber die dicken Flocken fielen langsam. Am Ende der Gasse, die in die parallel am Big Hermit Creek entlangführende Straße mündete, bog er links ab. Der Hof der Phoenix Stage Line befand sich in der Mitte des Blocks. Das Büro war auf der Straßenseite eines hölzernen Eckgebäudes untergebracht.
Mark trat in den großen, gemütlich warmen Raum, zog die Tür hinter sich zu und klopfte den Schnee von seinen Schuhen. Er ging um einen Haufen Gepäckstücke herum, die in der Mitte des Raumes aufgestapelt waren, auf den Schalter zu und erkundigte sich bei dem Mann dahinter nach Haven. Er bekam zu hören, dass Haven sich draußen aufhalte, ging wieder hinaus und blieb auf der überdachten Laderampe stehen. Er blickte über den Hof und sah auf der anderen Seite eine Laterne an einem Corralpfosten baumeln. Etwas weiter war noch eine Laterne, und er konnte vier Kutschen sehen, die unter das offene Schuppendach gefahren waren, um sie vor der Witterung zu schützen. Er konnte drei Männer erkennen. Zwei waren ihm bekannt: Jim Goddard, der Kutscher, und John Haven. Der neue Geschäftsführer, dachte Mark, und dadurch ändert sich einiges. Denn anscheinend hatte er noch andere Interessen als Schlägereien.
Mark stieg von der Laderampe und überquerte den Hof.
Goddard und Haven beendeten ihre Unterhaltung und blickten ihm entgegen.
»Wie geht's Ihnen, Jim?« grüßte Mark den großen Kutscher mit dem sanftmütigen Gesicht. »Schon wieder verteufelt kalt geworden, wie?«
Goddard lächelte und sagte: »Sie haben recht, Mr. Bristow.« Er deutete mit einer Kopfbewegung auf Haven. »Das ist John Haven, unser neuer Geschäftsführer.«
»Das habe ich gehört«, entgegnete Mark Bristow freundlich. »Ich möchte Ihnen gern die Hand drücken, Mr. Haven; aber ich sehe, dass das kaum möglich sein wird.«
Haven hob seine verbundene Hand hoch und lächelte schwach. »Den Händedruck sollten wir uns lieber für später aufbewahren.«
»Und das ist Alex Daniels«, stellte Goddard den jüngsten der drei Männer vor.
Ungefähr fünfzehn Jahre alt, dachte Mark Bristow, sagte kurz: »Hallo, Alex!«, und wandte sich gleich wieder John Haven zu. Der große Mann hatte einen Fuß auf den Tritt der Kutsche gestellt und stand in dieser Haltung unbeweglich da.
»Ich möchte mal etwas mit Ihrem neuen Boss besprechen«, sagte Mark zu Jim Goddard.
Goddard lächelte wieder. »Vorsichtig, Mark. Denken Sie immer an Mick Marion.« Er legte Alex Daniels einen Arm auf die Schulter und verließ mit ihm den Hof.
Mark Bristow schob seine Hände in die Manteltaschen, stellte sich vor Haven hin und blickte zu ihm hinauf. Er wollte erst einmal feststellen, ob Haven einen gewissen Sinn für Humor hatte.
»Sie haben Mick zusammengeschlagen«, sagte er lächelnd.
»Ja.«
»Wie ich sehe, hat Saul die Rechnung wieder beglichen.«
»Was meinen Sie damit?«, fragte Haven langsam.
»Jeder Job, der irgendetwas mit Postkutschen zu tun hat, ist lebensgefährlich. Hat er Ihnen das nicht erzählt?«
»Doch.«
Er ist zu allem entschlossen, dachte Mark und sagte freundlich: »Wenn Sie mit allen Leuten so umspringen wie mit Mick, sind Sie für diesen Job geeignet. Sie können wirklich mit Ihren Fäusten umgehen. Wo haben Sie das gelernt?«
»Bei der Armee.«
»Hat Ihnen das Soldatenleben Spaß gemacht, wie?«
»Nein. Aber manchmal ist das eben nötig, Sie verstehen.«
»War die Schlägerei gestern Abend auch nötig?«
»Ich wollte einen Job, und ich habe einen Job bekommen«, erwiderte Haven.
Dann ist Geld der Grund, dachte Mark erleichtert. Er wusste, dass er nun festeren Boden unter den Füßen hatte. »Sie haben recht«, sagte er. »Geld ist nicht zu verachten. Warum fangen Sie nicht dort wieder an, wo Sie aufgehört haben? Ich meine, Geld ist doch Geld. Warum kämpfen Sie also nicht für Geld? Und es wird eine Menge Geld herausspringen, um es gleich vorwegzunehmen.«
»Können Sie sich nicht ein wenig deutlicher ausdrücken?«
Mark lächelte. »Das können Sie gern haben. Die Leute hier haben ihren Spaß an einem richtigen Kampf, und die Soldaten auch. Atlantic City braucht einen Mann, der es mit dem besten Soldaten aufnehmen kann. Und die Armee möchte auch gern einen Mann haben, der mit jedem Mann aus Atlantic City und South Pass City fertig wird. Da gehen die Leute bedenkenlos hohe Wetten ein. Keiner wird einen Dollar auf Mick Marion setzen, wenn es wieder mal zu einem Kampf kommen sollte.
Der ist für wenigstens zwei Jahre erledigt.« Mark lachte. »Überlegen Sie mal: Sie hätten von jedem Mann, der Ihren Kampf mit Mick beobachtet hat, zehn Dollar kassieren können. Das ist Ihnen noch gar nicht in den Sinn gekommen, wie?«
»Nein«, antwortete Haven.
»Draußen in Camp Stambaugh gibt es einen Schmied namens Loftus; der bildet sich wunder was ein, wie stark er ist. Fordern Sie ihn heraus oder nehmen Sie seine Herausforderung an. Dann kommen Sie leicht zu Geld.«
»Und Sie wollen diesen Kampf in die Wege leiten, wenn nicht alles täuscht?«
»Nein, nein, das liegt mir nicht«, antwortete Mark gelassen. »Aber natürlich möchte ich den Kampf gern sehen... Anschließend können Sie mit Ihrem Anteil die ganze Post- kutschen-Company kaufen. Oder« - er blickte Haven verschmitzt an - »Sie können noch fünfmal so viel Geld verdienen.«
»Was Sie nicht sagen«, murmelte Haven. »Wie denn?«
Mark lächelte entwaffnend. »Nehmen wir einmal an. Sie entschließen sich zu einem Kampf mit Loftus - und lassen ihn gewinnen!« Er betrachtete Havens ausdrucksloses Gesicht. »Angenommen, Sie geben mir tausend Dollar, die ich auf Sie und Loftus setze. Sie verlieren den Kampf, aber die Wetten stehen eins zu vier - demnach haben Sie, sagen wir, viertausend Dollar gewonnen. Sie könnten das immer so handhaben, und immer eine Menge Geld gewinnen.«
»Sie wollen also, dass ich mich verprügeln lasse?«
Mark zuckte innerlich zusammen, sagte aber lächelnd: »Sie können natürlich machen, was Sie wollen. Ausschließlich Sie haben darüber zu entscheiden, ob Sie gewinnen oder verlieren wollen. Das ist doch völlig klar - habe ich recht?«
»Vollkommen«, sagte Haven langsam.
»Wenn Sie den Kampf verlieren und dabei ein wenig Geld verdienen wollen, so ist das einzig und allein Ihre Angelegenheit.« Mark stand auf und nahm an, dass er nun wohl genug gesagt hatte, höchstens noch: »Ich habe mich heute mit Lieutenant Stellman von Camp Stambaugh unterhalten. Er möchte auch gern, dass Sie es mit Loftus aufnehmen.« Er zuckte die Achseln. »Ausschließlich Ihre Angelegenheit, wie schon gesagt. Lassen Sie erst einmal Ihre Fingerknöchel heilen und denken über alles nach.«
»Dann habe ich ja noch eine Weile Zeit«, sagte Haven.
Mark winkte ihm mit der Hand einen Abschiedsgruß zu, trat wieder in den fallenden Schnee hinaus und hatte ein seltsam ärgerliches, mit Scham vermischtes Gefühl.
Haven blickte ihm nach und zog seine Tabakspfeife aus der Tasche. Sie war noch zur Hälfte mit Tabak gefüllt. Er riss ein Streichholz an und warf es, als es seine Schuldigkeit getan hatte, mit einer gereizten Geste in den Schnee. Es war zum ersten Mal, dass ihn jemand kaufen wollte, und dieses Gefühl behagte ihm gar nicht, absolut nicht.
Er nahm die Laterne und überquerte den Hof in Richtung des Büros. Merkwürdig, er dachte weniger an Mark Bristow, sondern an Mary Iles, die ihn heiraten würde. Bristows Unterhaltung mit ihm war nur kurz gewesen, aber sie hatte ihm eine erschöpfende Auskunft über den Charakter dieses Mannes gegeben. Er wusste, dass Mark Bristow, wenn er, Haven, bereit war, den Kampf mit Loftus zu verlieren, alles auf Loftus setzen und ein Vermögen gewinnen würde. Aber Mary Iles hatte es nicht verdient, mit dieser Sorte Geld gewonnen zu werden. Haven konnte Mary nur bedauern, wenn er an ihren zukünftigen Mann dachte. Nach der Hochzeit würde es eines Tages ein böses Erwachen für sie geben.
In der Geschirrkammer, gleich neben dem Büro, blies er die Lampe aus und hängte sie an einen Haken. Als er sich durch das von der Decke baumelnde Sielenzeug tastete, sah er Jim Goddard und den jungen Alex Daniels. Die beiden standen vor dem Ofen in der Ecke und wärmten sich auf.
Haven ging weiter zur Bürotür, blieb kurz davor stehen und sagte zu Goddard: »Wenn du nach dem Essen nichts zu tun hast, Jim, dann kannst du mir den Rest erklären. Und vielleicht fällt mir dann auch noch etwas ein...«
»Geht in Ordnung, Boss.«
Haven lächelte, ging durch das Büro und auf die Straße hinaus. Was Goddard betraf, so hatte Saul recht, denn Jim war ein guter Mann, ruhig, freundlich und nicht dumm. Der Junge schien ihn auch sehr sympathisch zu finden, und Haven hatte sogar den Eindruck, dass Alex Daniels in Jim Goddard so etwas wie einen Vater sah. Wie dem auch sei, Haven hatte Jim Goddard noch nicht von dem bevorstehenden Goldtransport erzählt. Damit wollte er lieber bis nach dem Abendessen warten.
Als Haven dann auf der Hauptstraße die Menschenmenge sah, bekam er keinen schlechten Schreck. Er wollte zum Prince Marion Saloon und stellte verwundert fest, dass die Leute eine Art Spalier gebildet hatten. Er hatte ungewohnt viel Platz. Als er sich umblickte, sah er, dass ein paar Grubenarbeiter freundlich grinsend hinter ihm her trotteten. Einer schlug ihm im Vorbeigehen auf die Schulter und sagte: »Hoffentlich geben Sie bald mal wieder 'ne kleine Vorstellung, Mister. Hat uns mächtig Spaß gemacht.« Die Leute, die vor ihm standen, riefen und lächelten ihm zu.
Haven verschwand im nächstbesten Restaurant, und es dauerte nur Sekunden, bis ihn auch der letzte Gast anstarrte. Es war kein Platz mehr frei, aber sofort standen ein paar Männer auf und boten ihm ihre Plätze an. Haven schlang sein Essen hinunter und beantwortete die auf ihn einstürmenden Fragen der seinen Tisch umringenden Leute. Anschließend floh er in sein Hotel neben dem Prince Marion Saloon, schloss die Tür und fluchte leise vor sich hin.
Er wartete, bis im Korridor keine Stimmen mehr zu hören waren, verließ dann leise das Zimmer und ging durch die Hintertür des Hotels hinaus. Nach einem langen Umweg stand er eine Viertelstunde später vor der Wohnungstür von Mrs. Caslon und klopfte.
Als sie öffnete, sah er, dass sie eine Schürze über ihrem Kleid trug. Sie war wohl in der Küche gewesen, um das Abendessen herzurichten.
»Kommen Sie herein, John«, sagte sie. »Wir sind hinten in der Küche.«
»Ich kann selbstverständlich hier warten«, sagte Haven.
»Warum?«, fragte Vangie Caslon. »Nur Mary Iles ist da, sonst niemand.«
Haven folgte ihr durch das Wohnzimmer in die Küche und sah, dass er nicht beim Abendessen gestört hatte, sondern beim Geschirrspülen.
Mary Iles blickte auf; nicht besonders überrascht - so als habe sie gewusst, dass er jeden Augenblick eintreten würde.
Haven nahm auf dem Stuhl Platz, den Vangie Caslon ihm angeboten hatte, und legte seinen Hut auf die Tischdecke.
Mary Iles stellte den Teekessel auf den Ofen, ging zögernd auf Haven zu und berührte vorsichtig seinen Knöchelverband.
Haven blickte auf. Er sah sie solange an, bis sie unsicher wurde, einen roten Kopf bekam und verärgert wieder an den Spülstein zurückkehrte. Ihr graues Kleid raschelte leise. Ohne Mantel kommt ihre Figur noch besser zur Geltung, dachte Haven, und der Gedanke an Mark Bristow erfüllte ihn mit gelinder Wut.
»Phil erzählte mir, Sie seien sehr angriffslustig gewesen«, sagte Mary, nachdem sie sich wieder in der Gewalt hatte.
»Was blieb mir übrig?«, fragte Haven.
Vangie Caslon warf einen kritischen Blick über ihre Schulter und meinte: »So übel zugerichtet sehen Sie nicht mal aus, John.«
»Ich fürchte doch«, sagte Haven.
»Warum mussten Sie sich auf so etwas einlassen?«, wollte Mary neugierig wissen.
»Ich wollte mir nur einen Job verschaffen.«
»Aber was hat denn das damit zu tun? Ich will wissen, weshalb Sie diese Schlägerei angefangen haben!«
»Eben darum«, antwortete Haven trocken. »Es war gar nicht einfach, den Anfang zu machen.«
»Und wie haben Sie das angestellt?«, fragte Mary.
»Ich glaube, ich habe ihm etwas Wein in den Bart geschüttet.«
»Wein? Ich dachte, Männer trinken immer nur Whisky.«
Plötzlich ritt Haven der Teufel, und er sagte: »Sie haben recht, Miss Iles, aber mein Mädchen wollte nun mal Wein trinken. Wenn Sie gern wissen möchten, wie mein Mädchen aussah, kann ich Ihnen gern eine genaue Beschreibung...«
»Das geht mich nichts an!«, unterbrach Mary. Die Röte kehrte wieder in ihr Gesicht zurück.
Vangie Caslon brach in helles Gelächter aus, als sie Marys rote Wangen sah. Schließlich lachte Mary auch und sagte zu Haven: »Phil
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Text: Luke Short/Apex-Verlag.
Images: Christian Dörge/Apex-Graphixx.
Cover: Christian Dörge/Apex-Graphixx.
Editing: Dr. Birgit Rehberg.
Translation: Hans-Ulrich Nichau, Juscha Zoeller, Alfred Dunkel und Christian Dörge.
Layout: Apex-Verlag.
Publication Date: 05-11-2020
ISBN: 978-3-7487-4042-1
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