Cover

Leseprobe

 

 

 

 

JOSÉ MICHEL

 

 

KLINIK DER VERLORENEN

- 13 SHADOWS, Band 42 -

 

 

 

Roman

 

 

 

 

 

 

Apex-Verlag

Inhaltsverzeichnis

Das Buch 

 

KLINIK DER VERLORENEN 

Prolog 

Erstes Kapitel 

Zweites Kapitel 

Drittes Kapitel 

Viertes Kapitel 

Fünftes Kapitel 

Sechstes Kapitel 

Siebtes Kapitel 

Achtes Kapitel 

Neuntes Kapitel 

Zehntes Kapitel 

Elftes Kapitel 

Zwölftes Kapitel 

Dreizehntes Kapitel 

Vierzehntes Kapitel 

Fünfzehntes Kapitel 

Sechzehntes Kapitel 

Siebzehntes Kapitel 

Achtzehntes Kapitel 

 

Das Buch

 

Die Frauen haben Angst. Sie werden immer kleiner. Sie schrumpfen nach jeder Spritze. An Flucht ist nicht zu denken. Die Fenster der Klinik sind vergittert. Der Ausgang ist versperrt. Clarice versucht es trotzdem. Doch sie wird zurückgebracht. Und dann verschwindet aus ihrem Zimmer ein schwerkrankes Mädchen.

Clarice und Lise machen sich auf die Suche.

Sie finden es, aber sie erkennen es nicht wieder...

 

Der Roman KLINIK DER VERLORENEN des  französischen Schriftstellers José Michel erschien in Frankreich erstmals im Jahre 1969; die deutsche Erstveröffentlichung folgte 1973 (als Band 37 der Reihe VAMPIR-HORROR-ROMAN).

KLINIK DER VERLORENEN erscheint als durchgesehene Neuausgabe in der Horror-Reihe 13 SHADOWS aus dem Apex-Verlag, die ganz in der Tradition legendärer Heftroman-Reihen wie GESPENSTERKRIMI und VAMPIR-HORROR-ROMAN steht. 

  KLINIK DER VERLORENEN

 

 

 

 

 

  Prolog

 

 

Die Frauen haben Angst. Sie werden immer kleiner. Sie schrumpfen nach jeder Spritze. An Flucht ist nicht zu denken. Die Fenster der Klinik sind vergittert. Der Ausgang ist versperrt. Clarice versucht es trotzdem. Doch sie wird zurückgebracht. Und dann verschwindet aus ihrem Zimmer ein schwerkrankes Mädchen. Clarice und Lise machen sich auf die Suche. Sie finden es, aber sie erkennen es nicht wieder.

 

Die Sonne flutete durch die breiten Fenster in den Saal der Klinik. Die Tür öffnete sich, und eine fahrbare Krankenbahre wurde hereingeschoben. Dahinter kamen Schwester Eliane, eine robuste, kräftige Person, und Ariane, Dr. Flamants’ Mitarbeiterin.

Gemeinsam hoben sie Dominique Martin von der Bahre auf das schmale Bett und zogen behutsam die Decke über sie.

Die Klinik war erst seit einer Woche geöffnet, und im Augenblick waren wir nur drei Patientinnen. Aber es würden bald mehr werden, denn die Behandlung und der Aufenthalt waren gratis.

Eliane fuhr den Wagen wieder aus dem Saal, und Ariane wandte sich an mich.

»Wie geht es Ihnen heute, Lise?«

»Danke, ganz gut. Ich habe ausgezeichnet geschlafen.«

Sie griff nach meinem Puls und sagte: »Keine Temperatur. In einer halben Stunde kommt der Doktor, er operiert gerade in der großen Klinik.«

Ich blickte zu Dominique hinüber.

»Hat sie den Eingriff gut Überstunden?«

Ariane lächelte ausdruckslos.

»Natürlich. Sie wird gleich aufwachen. Wenn es soweit ist, läuten Sie bitte gleich. Dominique wird vielleicht die Klingel nicht finden.«

Sie wandte sich zum Nachbarbett, in dem Olga Valinov schlief. Olga war sehr nervös, und die vielen Beruhigungspillen, die sie erhielt, hielten sie dauernd in einer Art Dämmerzustand. Sie war erst sechzehn und Vollwaise. Sie war in einem öffentlichen Waisenhaus aufgewachsen. Woran sie litt, wusste ich nicht. Ich war erst einen Tag zuvor in die Klinik gekommen.

Dominique Martin war fünfzig und ohne Verwandte. Sie hatte an einem Abszess am Oberschenkel gelitten, der ihr wohl eben entfernt worden war. Außerdem hatte sie irgendetwas an den Augen.

Genau wusste ich eigentlich gar nichts. Ich begriff nur, dass die vielen Schlafmittel, die ich bekommen hatte, meine Schmerzen gelindert hatten. Aber abgesehen davon ging von dieser Klinik eine geheimnisvolle Atmosphäre aus.

Sogar Ariane, die ich seit mehr als einem Monat kannte, war plötzlich eine Fremde. Aber vielleicht war das nur eine Folge ihrer Position hier in der Klinik.

Die Order Dr. Flamants’ lautete, mich gleich nach meiner Ankunft niederzulegen, obwohl ich doch keinesfalls Bettruhe benötigte. Aber ich hatte vor, noch an diesem Nachmittag aufzustehen – ob mit oder ohne Erlaubnis.

Nach einem letzten Blick auf die Frischoperierte verließ Ariane den Saal.

So war ich also wieder allein, denn meine beiden Saalgefährtinnen schliefen beide.

Auch ich war sehr benommen von den Schlafmitteln und zögerte, mich zu erheben. Meine Beine kribbelten. Trotzdem setzte ich mich nach einer Weile auf, schlüpfte in meinen Morgenrock und in die Pantoffeln und ging zu einem der Fenster.

Unter uns lag ein hübscher, parkartiger Garten, abgeschlossen von einer Mauer. Dahinter lag inmitten von Blumen und exotischen Bäumen die alte Klinik, wo nur sehr wohlhabende Patienten sich eine Behandlung leisten konnten. An diesem sonnigen Tag lagen die meisten von ihnen auf bequemen Liegestühlen oder Betten im Schatten der großen Bäume und plauderten mit ihren Besuchern, die sie den ganzen Tag über empfangen durften.

Den Reichtum roch man bis zu uns herüber.

Fast bereute ich es schon, dem Drängen meiner Untermieterin und Arianes nachgegeben und die Klinik aufgesucht zu haben. Sehnsüchtig verglich ich die Einsamkeit hier mit meinem Zuhause, wo es zwar nicht geselliger zuging, wo ich aber gehen und kommen konnte, wann es mir gefiel. Und Maria Ferat war fast immer zu einer kleinen Plauderei bereit.

Ich hatte ihr die drei schönen Zimmer an der einen Seite des Korridors des Hauses vermietet, das ich von meinen Eltern geerbt hatte. Die restlichen beiden Zimmer bewohnte ich. Die Miete, die sie mir bezahlte, half mir ungemein, denn ich bestritt meinen Lebensunterhalt als Näherin, und die Heimarbeiten, die ich bekam, genügten kaum zum Leben.

Ich bewunderte Maria sehr: ihre Eleganz, ihre stets tadellosen Frisuren, ihren guten Geschmack und die teuren Kleider. Der Umgang mit Maria war meine einzige Abwechslung.

Sie hatte mir zum ersten Mal von Dr. Flamants’ neuer Klinik berichtet.

»Ihre ewigen Magenschmerzen sollten Sie nicht auf die leichte Schulter nehmen, Lise«, hatte sie gesagt. »Wie oft habe ich Ihnen schon gesagt, Sie sollten Dr. Flamants konsultieren! Sie sind wirklich eigensinnig. Er ist äußerst tüchtig, und ich bin sicher, dass Sie im Handumdrehen wieder gesund werden.

Ich antwortete: »Sie vergessen, Maria, dass meine Mittel äußerst bescheiden sind.«

»Möchten Sie, dass ich mit ihm spreche?«, hatte sie schnell eingeworfen. »Außerdem sollen in der neuen Klinik Patienten eine Gratisbehandlung erhalten. Glauben Sie mir, er ist ein sehr großherziger Mensch.«

Ich hatte nichts gesagt.

»Sie sollten nicht alles glauben, was man sich über ihn erzählt«, war sie fortgefahren. »Das ist nur der Neid, der so spricht. Seine blitzartige Karriere hat eben die Gemüter ein bisschen erhitzt. Aber als Chirurg und Mediziner gibt es keinen besseren.«

Zweifellos hatte Maria recht. Ich wusste selbst, dass mein alter Hausarzt, der kurz vor seiner Pensionierung stand, nicht über alle neuen und erfolgreichen Behandlungsmethoden informiert war. Außerdem kannte er vermutlich auch nicht die neuesten Präparate der pharmazeutischen Industrie. Aber er sah oft nach mir, ohne etwas zu verrechnen, und war zufrieden mit einer Tasse Tee und einem Händedruck.

Und dann – mit fünfundzwanzig Jahren wird es nichts Schlimmes sein. Es wird vorbeigehen...

So beugte ich mich wieder über meine Nähmaschine und arbeitete weiter, bis weit in den Abend hinein, für ein Trinkgeld. Meine Auftraggeberin meldete mich nicht einmal bei der Krankenversicherung an, was mein Budget erheblich belastete, denn ich musste die Medikamente selbst bezahlen.

In dieser kleinen Stadt gab es keine anderen Berufsmöglichkeiten für mich, aber ich war hier geboren und aufgewachsen, und um nichts in der Weit wäre ich von hier weggegangen.

Nach dem Tod meiner Eltern hatte ich weder Zeit noch Gelegenheit auszugehen und war fast schon zu einem alten Mädchen geworden. Ich hatte keine anderen Freunde als meine Untermieterin und meinen Hausarzt. Aber die viele Arbeit ließ mir die Zeit im Flug vergehen.

Hier, in diesem Krankensaal, der nach Desinfektionsmitteln roch, hätte ich mich ausruhen können, aber irgendetwas beunruhigte mich. Vielleicht war es nur die ungewohnte Umgebung.

Ich kannte Dr. Flamants bereits, bevor ich hierherkam. Er war mehr als eins Achtzig groß, ein sehr sportlicher Typ. Er gefiel den Frauen, das wusste ich, und als ich ihn gesehen hatte, wunderte es mich nicht. Auch Maria hatte von seinem guten Aussehen geschwärmt, als sie mir wieder und wieder empfahl, mich von ihm behandeln zu lassen.

»Sie werden sehen«, sagte sie. »Er ist reizend. Der geborene Charmeur, Lise. Ich möchte Ihnen keine Angst einjagen, mein Kind, aber Sie sind sehr blass. Und sehr mager geworden in den letzten Monaten.«

Ihr Interesse rührte mich zutiefst, und ihre eindringliche Stimme klang mir immer wieder in den Ohren. Ich sah sie an. Ihr gepflegtes, dezent geschminktes Gesicht faszinierte mich. Sie lächelte aufmunternd.

»Wenn Sie meinen, Maria«, sagte ich deprimiert. Sie sagte, sie wäre fünfzig, Wenn ich mein eigenes Gesicht im Spiegel sah, schien es mir müder und älter als ihres. »Wenn Sie meinen...«

»Höchste Zeit!«, rief sie. »Endlich sind Sie vernünftig. Sie werden es gewiss nicht bereuen, Lise. Ich bin sicher, dass Ihnen der Doktor einen guten Preis machen wird. Ich sehe ihn heute Abend bei einer Gesellschaft, ich werde mit ihm sprechen. Morgen früh haben Sie die Antwort.«

Sie hatte darauf bestanden, einen Tropfen Wein mit mir zu trinken, und wir sprachen über die neue Klinik.

»Das alte Gebäude bleibt, wie es war«, erklärte sie. »Im neuen werden nur Bedürftige behandelt, und zwar nur Frauen, interessante Fälle. Sie wissen, ich bin sehr eng mit seiner Mitarbeiterin, Ariane Marnel, befreundet. Sie ist übrigens genauso charmant wie der Doktor. Sie werden bald ihre Bekanntschaft machen, denn sie kümmert sich um alles.«

Das bisschen Alkohol machte mir warm. Maria redete und redete, wie um mich zu überzeugen, dass mein Leben ohne Dr. Flamants nichts mehr wert sei...

»...und hier eingesperrt werden Sie keinen Mann finden, meine Liebe. Man sieht Sie nie auf den Bällen, bei keiner Gesellschaft, nirgends. Und ich sage Ihnen, die heiratsfähigen jungen Männer gibt es in Hülle und Fülle. Ein schönes Mädchen wie Sie! Es ist doch ein Unglück für Sie, sich so abzuschließen.«

Ich senkte die Augen.

»Maria«, sagte ich leise, »ich habe nicht die geringste Lust zu heiraten. Aber warum haben Sie sich nicht wieder verheiratet?«

Einen Augenblick lang war sie verwirrt.

»Ich bin nicht mehr ganz jung, meine Liebe«, sagte sie schließlich.

»Aber, wenn ich mich recht erinnere, dann waren Sie noch sehr jung, als Ihr Mann starb?«

Sie sah mich lächelnd an.

»Ja, das stimmt... Aber eine große Liebe kann man nicht so leicht ersetzen. Man vergisst sie nie.«

Sie senkte die Lider, aber ich wusste, dass sie mich durch die Wimpern hindurch beobachtete. Plötzlich hatte sie etwas Rätselhaftes an sich. Ein Geheimnis. Ihre Vergangenheit war mir unbekannt. Ich wusste nur das, was sie mir erzählt hatte.

Damals erwachte in mir ein unangenehmes Gefühl.

 

 

 

 

  Erstes Kapitel

 

 

Die Schmerzen in meinem Magen waren fast unerträglich geworden, und ich war froh, als der Tag kam, an dem ich in die Ordination Dr. Flamants’ gehen sollte.

Als ich vor den schmiedeeisernen Toren der großen Villa stand, war ich so beeindruckt von diesem Luxus, dass ich fast wieder nach Hause gegangen wäre. Aber auf mein Klingeln war sofort eine junge Frau aus dem Haus getreten und mir entgegengekommen.

»Sie sind gewiss Mademoiselle Tellier«, sagte sie freundlich.

»Ja...«

Sie nahm mich am Arm und zog mich ins Haus.

»Kommen Sie, der Doktor erwartet Sie. Sie kommen etwas zu früh.« Nach einem Blick auf ihre Uhr setzte sie hinzu: »In zehn Minuten wird er Sie empfangen.«

Sie führte mich in einen riesigen Salon, der mit dunklen, alten Möbeln sparsam und sehr geschmackvoll eingerichtet war.

Die zehn Minuten verwandelten sich in eine Stunde. Außer mir waren keine Patienten da, ich blieb allein. Ich wurde nervös.

Endlich öffnete sich eine Tür, und der Doktor erschien.

»Mademoiselle Tellier«, sagte er lächelnd. »Wollen Sie bitte eintreten?«

Seine dunkle Stimme klang wie Musik nach der langen Stille.

Er bot mir einen Stuhl an und begann, ein Karteiblatt auszufüllen. Er fragte mich nach Namen und Adresse, Krankheiten und Krankheiten der Eltern, soweit ich sie wusste. Dann ließ er sich meine Beschwerden eingehend schildern.

»Gut«, sagte er nach einer Weile. »Ich komme sofort zurück. Legen Sie in der Zwischenzeit bitte ab.«

Als er zurückkam, hatte ich nichts an außer Höschen und Büstenhalter. Seine dunklen Augen brachten mich in Verlegenheit.

Ich legte mich auf das weiße Untersuchungsbett und schloss die Augen. Seine warmen Hände wanderten über meinen Leib und blieben auf meinem Magen liegen, um hier zu drücken und zu kneten.

Plötzlich entfernte er mit einer kurzen Bewegung meinen Büstenhalter.

»Sie haben wunderschöne Brüste«, sagte er beiläufig. »Ich glaube nicht, dass Ihrem Magen etwas Ernstliches fehlt, Mademoiselle. Madame Ferat ist Ihre Untermieterin?«

»Ja, Herr Doktor.«

»Sie haben keine Krankenversicherung, glaube ich?«

Ich schüttelte den Kopf.

Er sprach, während eine seiner Hände auf meinem Busen lag. Ich hätte viel darum gegeben, wenn er sie weggenommen hätte, aber er schien es gar nicht zu bemerken.

Er trat von mir weg.

»Sie können sich wieder anziehen, Mademoiselle.«

Als ich angekleidet war und zum Schreibtisch ging, an dem er sich niedergelassen hatte, bot er mir wieder den Stuhl an. Er schrieb Bemerkungen auf das Karteiblatt und drückte auf einen Klingelknopf. Eine Sekunde später trat die junge Frau ein, die mir geöffnet hatte. Sie lächelte mir freundlich zu.

»Mademoiselle Tellier«, sagte Dr. Flamants, »darf ich Ihnen meine Assistentin, Ariane Marnel, vorstellen? Sollten Sie mich einmal brauchen, während ich abwesend bin, dann wenden Sie sich an sie.«

Ich nickte und sah die junge Frau an. Sie war sehr schön, schlank, dezent parfümiert und ein wenig kokett. Ihr dunkles Haar war meisterhaft frisiert.

Nicht wie das meine, das ewig zerrauft schien...

Dr. Flamants gab ihr meine Karteikarte und sagte: »Wollen Sie das bitte einordnen, Ariane. Ich möchte Ihnen dann später noch einige Bemerkungen dazu diktieren.«

Die schöne Ariane lächelte und ging hinaus.

»Ich gebe Ihnen hier Pillen mit«, sagte Dr. Flamants, »die Sie vor jeder Mahlzeit einnehmen sollten. In vier Tagen kommen Sie wieder zu mir.«

Ich nahm sie und fragte: »Was schulde ich Ihnen, Herr Doktor?«

Er sah mich freundlich an.

»Ich kenne Ihre bescheidenen Verhältnisse, Mademoiselle. Sie werden die erste Patientin sein, die ich gratis behandle.«

»Ich danke Ihnen. Herr Doktor. Aber ich möchte nicht...«

Sanft unterbrach er mich: »Danken Sie mir nicht, es macht mir Freude, Ihnen zu helfen.« Unter seinem geraden Blick errötete ich. Er begleitete mich zur Tür und drückte mir die Hand. »Auf bald, Mademoiselle Tellier.«

»Auf Wiedersehen, Herr Doktor.«

Eine ältliche Frau kam aus einem der Räume, die an das Vorzimmer angrenzten und brachte mich hinaus. Ich war froh, dass ich den Mut gehabt hatte hinzugehen. Ganz bestimmt würden mir die Pillen helfen. Als ich daheim war, schluckte ich sofort eine. Es war Zeit zum Abendessen, und nachher wollte ich mich gleich an die Maschine setzen, um das nachzuholen, was ich am Nachmittag versäumt hatte.

Es klopfte.

»Kommen Sie nur herein, Maria.«

Neugierig fragte sie: »Also? Was hat der Doktor gesagt?«

»Nichts Bestimmtes. Er hat mir Pillen gegeben...«

»War’s teuer?« Sie lächelte wissend.

»Dank Ihnen habe ich nichts bezahlt. Er sagte, ich wäre die erste Patientin, die er gratis behandelte.«

»Hatte ich nicht recht, Lise? Sehen Sie, es kann nichts Ernstes sein, wenn er Ihnen nur Pillen gibt. Ich dachte, es wäre etwas Schlimmeres. Das müssen wir feiern. Ich hole etwas zu trinken.«

Ich stand auf und ging zum Spiegel. Sah ich so krank aus? Sicher, ich war stark verändert. Ich war blass, hatte gelbliche Ringe um die Augen und zwei tiefe Falten an den Mundwinkeln.

Und doch hatten die Röntgenbilder, die mein Hausarzt von mir machen ließ, nichts ergeben. Aber seit einigen Monaten bemerkte ich selbst, dass ich mich änderte. Nichts interessierte mich mehr, ich las nicht einmal mehr, was früher meine einzige Zerstreuung gewesen war. Irgendetwas in meinem Inneren schien mich aufzufressen.

Nur Dr. Flamants konnte mir helfen, davon war ich bereits überzeugt. Seine Sicherheit und sein guter Ruf als Mediziner ließen mich hoffen.

  Zweites Kapitel

 

 

Bald darauf wurde die neue Klinik eröffnet. Am selben Nachmittag ging ich das neunte Mal in die Ordination Dr. Flamants.

Meine Schmerzen hatten sich weitgehend gebessert, und wenn sie kamen, waren sie harmloser und leichter als früher.

In der Zwischenzeit war Ariane Marnel fast meine Freundin geworden. Sie hatte mich einige Male besucht, und an einem Sonntag hatten wir einen kleinen Ausflug mit ihrem Wagen gemacht.

Wir waren erst ein wenig spazieren gegangen und aßen dann in einem kleinen Landgasthaus zu Abend. Ariane bezahlte, ohne auf meine Einsprüche zu achten.

»Lise«, sagte sie nachher, »ich verdiene weitaus mehr, als ich brauche. Meine Eltern sind ziemlich wohlhabend, ich muss mich in keiner Weise einschränken. Also nehmen Sie ruhig die Einladung an.«

Ich erzählte ihr von meiner Beunruhigung wegen meiner Krankheit.

»Haben Sie keine Angst«, sagte sie. »Wenn es etwas Ernstes ist, dann wird der Chef es herausfinden, selbst wenn er Sie in seine neue Klinik nehmen müsste. Wir haben schon zwei Vormerkungen, eine ältere Dame und ein junges Mädchen von sechzehn Jahren. Auch das Personal ist schon bereit.«

Dr. Flamants und ich waren vertrauter miteinander geworden. Er sprach mit mir über seine Studien und Auslandsreisen. Ich erzählte ihm von mir, war aber sicher, dass er das meiste bereits durch Ariane wusste. Denn ich war überzeugt davon, dass sie für ihn mehr als nur eine Assistentin war...

Dr. Flamants’ Frau, so schien es,

Imprint

Publisher: BookRix GmbH & Co. KG

Text: José Michel/Apex-Verlag.
Images: Christian Dörge/123rf/Apex-Graphixx.
Cover: Christian Dörge/Apex-Graphixx.
Editing: Mina Dörge.
Translation: Biggy Winter (OT: Clinique Pour Pauvres).
Layout: Apex-Verlag.
Publication Date: 01-24-2020
ISBN: 978-3-7487-2729-3

All Rights Reserved

Next Page
Page 1 /