CLAY FISHER
Gelbhaar
Roman
Apex Western, Band 20
Apex-Verlag
Inhaltsverzeichnis
Das Buch
GELBHAAR
Historisches Vorwort
Erstes Kapitel: Viele Tote
Zweites Kapitel: Mad Wolf
Drittes Kapitel: Lieutenant Colonel Custer
Viertes Kapitel: Nacht des Bösen Zaubers
Fünftes Kapitel: Helles Haar
Sechstes Kapitel: Die heilige Pfeife
Siebtes Kapitel: Brandzeichen des Teufels
Achtes Kapitel: Sheridans Befehle
Neuntes Kapitel: Das Tipi von Black Kettle
Zehntes Kapitel: Captain Thompsons Pferde
Elftes Kapitel: Der junge Tom Custer
Zwölftes Kapitel: Die mittlere Cimarron-Quelle
Dreizehntes Kapitel: Das Heilige Eisen
Vierzehntes Kapitel: Ota Ktes Falle
Fünfzehntes Kapitel: Dead Mule Mesa
Sechzehntes Kapitel: Axhonehes Gastfreundschaft
Siebzehntes Kapitel: Der Marsch der Hundesoldaten
Achtzehntes Kapitel: Moxtavetos Mut
Neunzehntes Kapitel: Der Brandpfahl
Zwanzigstes Kapitel: Wasiya - der Winterriese
Einundzwanzigstes Kapitel: Die Furt des Canadian
Zweiundzwanzigstes Kapitel: Custers Kompass
Dreiundzwanzigstes Kapitel: Der einsame Hügel
Vierundzwanzigstes Kapitel: Garry Owen
Fünfundzwanzigstes Kapitel: Der Tod eines Kriegshäuptlings
Sechsundzwanzigstes Kapitel: Gelbhaars Weg
Siebenundzwanzigstes Kapitel: Waniyetulas Segen
GELBHAAR – Ein Essay von Dr. Karl-Jürgen Roth
Das Buch
Im Jahr 1868 war George A. Custer der ambitionierteste junge Kommandant der 7. Kavallerie in Fort Dodge. Indianer kannten ihn als den verhassten Gelbhaar – als einen Mann, der den Krieg genoss und der Verträge brach. Und nur Josh Kelso könnte Custer davon abhalten, in ein Massaker zu geraten...
Der Apex-Verlag veröffentlicht Clay Fishers Western-Klassiker Gelbhaar in seiner Reihe APEX WESTERN, ergänzt um ein Essay von Dr. Karl Jürgen Roth.
GELBHAAR
Historisches Vorwort
»...Die Energie und Schnelligkeit, die die Truppe bei einer Temperatur unter dem Gefrierpunkt während eines der schwersten Schneestürme in diesem Gebiet bewiesen hat, der Mut und die Tapferkeit, die zu einem so glänzenden Erfolg geführt haben, gereichen dem 7. Kavallerieregiment zur höchsten Ehre. - Der Kommandierende Generalmajor möchte den Offizieren und Mannschaften, die an der Schlacht am Washita teilgenommen haben, seinen Dank aussprechen - seine besonderen Glückwünsche aber dem Lieutenant Colonel George A. Custer für die glänzende und wirksame Führung bei der Eröffnung des Feldzuges gegen die feindlichen Indianer nördlich des Arkansas...«
(Aus General P. H. Sheridans Bericht über die Schlacht am Washita, 27. November 1868.)
Custers »glänzender Erfolg« am Washita mag seiner »wirksamen Führung« vielleicht zur »höchsten Ehre« gereichen. Aber die Zunge, die des weißen Mannes Geschichte verkündet, spricht mitunter nicht wahr, und die Federn der Generäle laufen nicht immer in geraden Linien.
Was tatsächlich in der schneeverhangenen Dämmerung am Washita geschehen ist, ist nie erzählt worden. Jedenfalls nicht in der Art, wie es Moxtaveto, der vertrauensvolle Häuptling Black Kettle der Südcheyenne in seinem tiefen Bass berichten würde. Nicht wie es Axhonehe - der düstere Kriegshäuptling Mad Wolf der Dog Soldiers - der Hundesoldaten - zornig erzählen würde. Auch nicht so, wie Monaseetah, die legendäre Prinzessin der südlichen Präriestämme, lächelnd davon sprechen würde, und bestimmt nicht so, wie sich Joshua Kelso, Custers indianermordender Chef der Scouts, daran erinnern konnte.
Es war nur in der heroischen, nach Selbstbeweihräucherung duftenden Art des Lieutenant Colonels George Armstrong Custer erzählt worden. Jetzt wird es anders berichtet werden - nicht heroisch und nicht voller Weihrauch und bestimmt nicht so, dass es zur »höchsten Ehre« gereicht. Jetzt wird es auf die Art von »Gelbhaar« erzählt werden.
- Clay Fisher
Erstes Kapitel: Viele Tote
Der große dunkelbraune Wallach verfiel wieder in den müden Rhythmus seines schlurfenden Trotts. Sein Reiter spannte sich aufmerksam, und ruhelose Augen suchten die dunkle Weite ab. Dann löste er sich wieder, und der weiche Tonfall seiner Worte stand im Gegensatz zu dem grimmigen Nicken, das die Worte begleitete.
»Dort ist er, Wasiya - breit wie die Kehrseite einer Squaw, aber viel willkommener. Ich schätze, wir werden das Fort jetzt ohne Mühe bei Monduntergang erreichen.«
Vor ihm lag der Arkansas. Die breite Wasserbahn schimmerte gespenstisch weiß im Mondlicht. Seit Sonnenuntergang stieg dem Reiter der erste Wassergeruch entgegen. Von Fort Larned, an den Quellwassern des Pawnee Fork, waren es lange, trockene vierzig Meilen gewesen, und der Wallach war durstig. Jetzt blähte er dankbar die schwarzen Nüstern.
Als das Pferd getrunken hatte, ließ der Mann es grasen. Er selbst machte sich daran, den Kopf seiner Steinpfeife mit hellem Langschnitt-Burley zu stopfen, schlug Feuer und blickte den Wagenweg entlang, der ihn nach vierzig Meilen zu seinem Ziel, Fort Dodge, bringen würde. Obwohl er noch nicht wusste, was Custer vorhatte, ahnte er doch ziemlich genau, worüber das Palaver drunten im Fort abgehalten werden würde und warum ihn der General durch den Osage Scout hatte holen lassen. In den reichen Jahren, die er als Mann auf der Prärie zugebracht hatte, waren ihm zusammen nicht so viele Feinde in Kriegsbemalung begegnet wie auf dem Ritt der letzten Woche.
Der große Reiter schüttelte den Kopf und klopfte die Asche aus dem Kopf seiner Siouxpfeife. Dann stand er mit mühelos wirkender Gewandtheit auf, trat neben sein Pferd und stellte mit einem Griff unter die Satteldecke fest, dass der Wallach genug ab gekühlt war. Zufrieden grinste er vor sich hin.
»So sicher wie in St. Louis die Sünden zu kaufen sind, will Custer die Rothäute im kommenden Frühjahr ein für alle Mal vom Canadian verjagen«, sagte er in grimmigem Selbstgespräch. »Und wenn er das einmal getan hat, wird die Million magerer Kühe südlich des Red River nach einem Maulvoll gutem Gras schmachten. Und die zehn Millionen fetter Yankees östlich des Missouri werden nach einem Mundvoll gutem Rindfleisch schmachten.« Er hielt inne, und sein Lächeln erstarb. »Alter Junge, ich glaube, jeder Texaner, auch ohne Gehirn, kann reich werden, indem er die beiden Arten von Appetit zusammenbringt.«
Der Wallach schnaubte, als der Sattelgurt angezogen wurde. Spielerisch tänzelte er unter dem Gewicht des aufsteigenden Reiters.
»Zumindest könnten wir beide das tun«, sagte die Stimme nachdenklich.
Der Mann hielt jäh inne, und sein Körper wurde steif, als er nach Westen sah. Fünf oder sechs Meilen entfernt wurde der Himmel über der Wagenstraße von einem frisch angezündeten Feuer erhellt. Mit grimmiger Miene trieb der Mann sein Pferd zum Galopp an.
»Wir können es... falls nicht einige hundert Südcheyenne vorher unseren Skalp holen.«
Der Big Coon Creek war gewöhnlich ein ziemlich dunkler und ruhiger Bach. Am 13. November 1868 war es gegen zwei Uhr morgens am Zusammenfluss des Big Coon und des Arkansas aber keineswegs ruhig.
Das strauchhohe Feuer, das am Südufer des Coon so lustig flackerte, beleuchtete die Wagenstraße nach beiden Richtungen hin mehrere hundert Fuß weit. Die vier Gestalten, die im Flammenschein saßen, zeichneten sich deutlich ab, und der rötliche Schimmer spielte über die hochwandigen Armeefrachtwagen mit ihrer Brennholzladung. Die Maultiere des Gespannes bildeten den Hintergrund für die Gruppe am Feuer, und zu dem unerwünschten Lichtschein fehlte auch nicht die passende Begleitmusik dröhnender Männerstimmen. Die vier Soldaten sprachen laut genug, dass eine stocktaube Squaw sie acht Meilen gegen den Wind gehört hätte. First Sergeant Ben Henderson, B-Kompanie des 7. Kavallerieregiments, reichte eben den glasierten Krug mit Whisky an seinen Untergebenen, Corporal Willy Hardermann. Als er das getan hatte, hielt er die Zeit für gekommen, aus voller Kehle die Schlachthymne der Republik anzustimmen.
Die Reiter Toland und MacDougal kämpften tapfer, wenn auch grundfalsch, um die Führung der Tenorstimme, während Corporal Hardermann seinen Bärenbass erschallen ließ. Die Disharmonie hatte ihren Höhepunkt erreicht, als MacDougal, der nüchternste von allen, seine Bemühung um die Tenorführung aufgab und nach Osten auf den vom Feuerschein erhellten Santa-Fé-Weg starrte. Bei dem Anblick, der sich ihm bot, geriet MacDougals Unterkiefer aus der normalen Lage.
Man nehme einen sechs Fuß und drei Zoll langen, knochenhageren Bergscout von hundertneunzig Pfund in speckigem Cheyenne-Hirschleder - gebe ein kantiges Gesicht mit einem halbzölligen Stachelbart dazu, mit Augenlöchern, die zu beiden Seiten einer scharfen Adlernase eingebohrt sind - überstäube das Ganze dick mit Alkalistaub - dann hat man ungefähr ein Bild davon, wovor MacDougals Unterkiefer herabklappte. Besonders wenn man sich klarmacht, dass diese Erscheinung auf einem siebzehn Hand hohen Siouxwallach saß, der seit dem vergangenen Winter nicht mehr geschoren worden war und so wild und böse dreinschaute wie ein Elchbulle, der sechs fremde Kühe heranpfeift.
Der Scout ließ den schweißnassen Wasiya ruckartig anhalten. Ohne die überraschten Soldaten anzuschauen oder anzureden, sprang er ab und ging zu dem Holzwagen. Er pachte das Fünf-Gallonen-Fass und hob es aus den Lederriemen, als ob es ein leichter Wasserschöpfer sei. In kürzerer Zeit, als MacDougal brauchte, um die Kiefer wieder zuklappen zu lassen, war die gefährliche Flamme gelöscht.
»Wisst ihr Esel nichts Besseres, als mitten im Indianerland ein Freudenfeuer anzuzünden?«, fragte der Scout zornig. »Wenn ich nicht sehen könnte, dass ihr neu im Land seid, würde ich schwören, dass ihr zu Custer gehört.«
»So?« MacDougal sah den Fremden finster an. »Hier ist eine Holzabteilung für Fort Coon, weiter oben am Bach. Und wer zum Teufel bist du?«
»Joshua Kelso.«
»Joshua Kelso?« Das zornige Gesicht des Soldaten entspannte sich zu einem sarkastischen Grinsen, und er nickte seinen drei Kameraden zu.
»Joshua, ich möchte dir Jed Smith, Jim Bridger und Charlie Bent vorstellen. Mich kennst du natürlich: ich bin Kit Carson.«
»Ich werde hier nicht wegen des Taufscheins mit dir streiten«, erwiderte Kelso. »Ich bin Joshua Kelso, und du solltest es lieber glauben. Ich möchte dir auch noch etwas anderes sagen, was du lieber glauben solltest...«
»Sicher, du kannst dich dem alten Kit anvertrauen, Josh.«
»Halt dein verdammtes Maul, Jock.« First Sergeant Henderson, der über die qualmenden Reste des Feuers trat, war schnell nüchtern geworden. »Es ist Kelso, ich kenne ihn vom vergangenen Sommer her, als Hancock ihn mit Custer auf die Indianerjagd nahm. - Kelso, wo sind Sie gewesen? Hatten Sie Ärger mit Indianern?«
»Ich hatte keinen und will auch keinen haben. Aber ihr werdet hineinrennen. Wie weit ist es bis Fort Coon, und wie lange braucht ihr dorthin?«
Die Soldaten zweifelten nicht länger an der Identität des berühmten Scouts, und sie starrten ihn neugierig an. Joshua Kelso hatte keinen geringeren Ruf als der berühmteste Mann der alten, rauen Rocky-Mountain-Brigade. Jim Bridger selbst, der den jungen Bergläufer als Scout empfahl, hatte ihn als den »Lew Wetzel« von Wyoming bezeichnet.
»Etwa sechs Meilen, Mr. Kelso«, sagte Reiter Toland höflich. »Wir schaffen es bis Tagesanbruch.«
»Das wäre auch besser für euch. Vor knapp sechs Stunden habe ich Mad Wolf - Tollwütiger Wolf - und dreihundert seiner ausgesuchten Hundesoldaten gesehen... etwa vierzig Meilen nördlich von hier.«
»Nein! War es bestimmt Mad Wolf?«, fragte der First Sergeant unruhig.
Kelso tat die Frage mit einem Schulterzucken ab.
»Mad Wolf hat irgendwie erfahren, dass Custer wieder nach mir geschickt hat. Im Augenblick hat er ein neues Gelübde getan. Er will mich nämlich unter die Erde bringen, ehe das neue Gras kommt. Nach der Denkweise der Indianer dürfte das im nächsten Frühling sein. Die Rothäute meinen auch, dass zu dieser Zeit das Siebente Kavallerieregiment wieder hinter ihnen her sein wird.«
»Die Rothäute nehmen immer den Mund zu voll.«
»Diesmal nicht, Mister.«
»Verdammt, Kelso, hoffentlich haben Sie Unrecht.«
»Nein.« Kelso drehte sein Pferd um. »Reiten Sie lieber los. Ich schätze, Mad Wolf wird mir folgen. Ich lenke dann jedenfalls das Hauptrudel von Ihrer Fährte ab. Ich sehe Sie später, Soldat.«
»Sie wollen sagen, dass Mad Wolf mit seinen Kriegern Ihnen persönlich folgt?«
Wieder zuckte ein trockenes Grinsen über das staubbedeckte Gesicht des Scouts.
»Wenn er das nicht tut, seit ich vor sechs Tagen aus dem Bayou Salade gekrochen bin, habe ich gut und gern hundertfünfzigmal doppelt gesehen.«
Ehe der First Sergeant die Präriearithmetik enträtselt hatte, sah er bereits nichts mehr als die Dunkelheit der Nacht von Südarkansas vor sich. Er hörte nur noch das Klappern der unbeschlagenen Hufe des Siouxwallachs und das Klirren der eigenen Wagenketten. Mit einem Male fühlte er sich unendlich allein - allein mit dem Rauschen des Arkansas, den schlammigen Wirbeln des Coon Creek und allein - mit vielleicht dreihundert kampferprobten indianischen Kriegern unter ihrem gefürchteten Häuptling Mad Wolf. »Beeilt euch mit dem Anschirren!«, rief er und stieß einen leisen Fluch aus.
Bald darauf räumten First Sergeant Benjamin Franklin Henderson, B-Kompanie des 7. Kavallerieregiments der Vereinigten Staaten, und seine drei Soldaten ohne Scham und ohne Rücksicht auf die Regimentsehre das Feld und flohen in Richtung des zweifelhaften Schutzes der Lehmdächer von Fort Coon.
Zweites Kapitel: Mad Wolf
Aus dem gelöschten Feuer stiegen immer noch bleiche Rauchfinger auf, als die Stille der Big-Coon-Mündung zum zweiten Male innerhalb einer Stunde gestört wurde. Diesmal war das Geräusch nicht so leicht einzuordnen, und die wenigen Weißen, die es gehört hatten, konnten von Glück sagen, wenn sie je darüber berichten durften. Es war das wilde, tierische Schnauben von dreihundert Cheyenne-Kriegspferden, die durch das seichte Wasser des Baches plätscherten.
Die Wolkenfront eines schnell heraufziehenden Gewitters verhüllte den Mond und ließ die dichtgedrängten Cheyennereiter nur als einen nebelhaften Fleck erscheinen. Es war aber noch hell genug, um die Gesichter der vier Indianer zu unterscheiden, die zu dem Feuer der Soldaten ritten.
Der Anführer war mittelgroß, hager und dunkelhäutig. Sein schlanker, muskulöser Körper war nackt bis auf das Rehfell-Lendentuch und eine Schulterrobe aus Wolfsfell. Sein scharf geschnittenes Gesicht mit den hohen Backenknochen hatte keine Kriegsbemalung. Er trug auch nicht den üblichen Zierat der indianischen Krieger. Sein einziger Schmuck war ein aus Apachensilber geschmiedetes Medaillon mit dem Sonnengott, das er an einer schweren silbernen Halskette trug.
Das war der Häuptling Mad Wolf, der Führer der Hundesoldaten.
Im Gegensatz dazu war der erste seiner drei Begleiter mit Kriegsschmuck geradezu überladen. Dazu gehörten weiße Adlerfedern, Hemd- und Leggingsfransen aus gefärbtem Rosshaar, Bärenkrallen-Halsbänder, Haarnadeln aus Falkenknochen und so weiter. Der Indianer war ein brutal aussehender Riese, gegen den die anderen fast zwergenhaft klein erschienen. Sein Name war Etapeta - Großer Körper.
Der dritte Cheyenne, Gelber Büffel, war stämmig und hellhäutig. Er war ebenfalls prächtig herausgeputzt und liebte besonders einen »Großen Zauber«, einen ockergelb gefärbten Kopfschmuck, der aus einem Büffelschädel gefertigt war.
Der vierte Reiter war sehr alt. Er trug das einfache Hemd und die Leggings der gewöhnlichen Hundesoldaten, nur von seinem Hinterkopf hingen drei schwarze Adlerfedern herab - die ominöse Firmenmarke seines berüchtigten Stammes.
Der dunkelhäutige Häuptling winkte dem Gelben Büffel zu, der gerade mit dem alten Manne sprach. Dieser stieg ab, und als sein Pferd zurückwich, war das Leitseil zu sehen, mit dem es an dem Kavalleriesattel von »Gelber Büffel« befestigt war. Auch er stieg ab, nahm den Alten am Arm und führte ihn zu den Spuren des unbeschlagenen Pferdes, die sich deutlich im feuchten Lehm des Bachufers abzeichneten.
Mad Wolf wandte sich an den Alten.
»Sage mir, Alter, ist das Kelsos Fährte? Sind wir ihm nahe?«
Hokom-ooene, der Blinde Kojote, ließ seine Fingerspitzen leicht über die Spuren des Wallachs gleiten. Dann rieb er die schmalen Fingerglieder und blies darauf, um sie noch empfindlicher zu machen, ehe er noch einmal die zolltiefen Hufspuren untersuchte. »Mad Wolf hat Recht. Kelso war hier.«
»Vor wie langer Zeit?«
»Sehr kurz. Soldaten waren auch da. Ich rieche das Eisen an den Füßen ihrer Maultiere. Ich rieche auch den Whisky des weißen Mannes am Boden.«
»Wie viele Soldaten waren es?«, fragte Etapeta, der schweigsame Riese.
»Drei - nein, wartet, vier«, antwortete Gelber Büffel. »Sie sind den Bach hinauf. Einer reitet - die anderen drei sind im Wagen.«
Mad Wolf riss seinen Schecken herum.
»Ihr reitet den Soldaten nach«, befahl er dem Gelben Büffel. »Nimm Etapeta und den Alten mit. Vielen Dank, Vater.« Bei diesen Worten griff er mit den Fingern der Linken schnell an die Stirn, bei den Prärie-Indianern das Zeichen höchster Achtung.
»Ich gehe jetzt.«
»Willst du Kelso allein folgen?«, fragte Etapeta, der ziemlich schwer von Begriff war.
»Ich habe es satt, dir dasselbe immer wieder sagen zu müssen«, sagte Mad Wolf scharf. »Aber höre es dir noch einmal an. Du warst doch bei uns, als wir den Osage-Scout von Gelbhaar fingen. Du hast gehört, wie er darüber sprach, dass Kelso Gelbhaar noch einmal mit seinen Soldaten gegen unser Volk führen soll. Du hast auch mein Gelübde gehört, Kelso zu töten, ehe das neue Gras wächst - ehe er Gelbhaar wieder in unser Camp führen kann. Und deshalb reite ich jetzt - verstanden?«
»Oh, ja, gut - gut.« Etapeta lächelte einfältig. »Ich komme mit dir. Ich will sehen, wie du es machst. Ich will damit seinen Kopf bearbeiten, wenn du ihm den Skalp genommen hast.«
Bei diesen Worten ließ der Riese seine Kriegskeule in einem so wilden Kreis um seinen Kopf wirbeln, dass er den Häuptling beinahe geköpft hätte.
»Nimm den Idioten von mir fort!«, befahl Mad Wolf dem Gelben Büffel und hob wütend sein Gewehr. »Oder ich erschieße ihn auf der Stelle.«
Gelber Büffel wusste, wann es sein Häuptling wirklich ernst meinte. Er wusste, dass er nicht zögern durfte, wenn die Stimme Mad Wolfs von dem gewöhnlichen Schnarren in ein tiefes Grollen überging.
»Wir reiten«, sagte er hastig. »Wie viele Krieger sollen wir mitnehmen?«
»Nehmt hundert. Schlagt eure Pferde mit dem Gewehrkolben. Ihr könnt die Soldaten leicht fangen.« Gelber Büffel zögerte und blickte zum Himmel. Eben versank das letzte Mondviertel völlig in der Gewitterwand, und die ersten Regentropfen fielen in den Staub des Weges.
»Ich weiß nicht - es sieht ziemlich schwarz aus. Wie können wir ihnen mit einiger Gewissheit folgen, wenn wir die Pferde zur Eile antreiben müssen?«
»Folgt dem kleinen Wasser, wie ich dem großen folge«, sagte Mad Wolf grollend. »Ein Weißer wird, wenn er es kann, immer an einem Wasser entlangreiten. Nataemhon - gute Jagd, Bruder.«
Mit einer ungeduldigen Geste riss Mad Wolf seinen Schecken herum und jagte den Arkansas hinunter. Hinter ihm hämmerten achthundert unbeschlagene Pferdehufe durch den tiefen Staub des Santa-Fé- Weges.
Das Geräusch erstarb ganz plötzlich in dem Krachen des Donners über der südlichen Prärie. Der Mond war völlig verschwunden, ehe noch die erste Salve des Donners über den Arkansas rollte. Dreißig Sekunden später ergoss sich der Regen in dichten Strömen, es wurde dunkel wie im Innern eines tiefen Brunnenschachtes.
Drittes Kapitel: Lieutenant Colonel Custer
Im Gegensatz zu der Erklärung von Mad Wolf, dass Weiße immer am Wasser entlangritten, gab es welche, die es nicht taten, und Joshua Kelso war einer von ihnen.
Ein Reiter musste vom Big Coon fünfzehn Meilen landeinwärts reiten, um die trockene Route nach Fort Dodge zu erreichen. Für ein müdes Pferd war das härter als der gerade Weg am Fluss, und noch härter war es für einen müden, sattelwunden Reiter.
Aber dieser Ritt rettete auch Kelsos Skalp. Gegen fünf Uhr kam er von den Höhen herab, die auf den Arkansas hinabschauten. Das Unwetter, das seine Fährte weggewaschen hatte, war in die Richtung des South Plate vergrollt und hatte die Prärie reingespült und sie in strahlendem Licht zurückgelassen. Eine Meile in südöstlicher Richtung lagen die Baracken, Zelte und Marketenderhütten von Fort Dodge. Eine weitere Meile im Süden stiegen die aschgrauen Rauchwolken der Kaffeefeuer vor dem Gedränge von Pittsburghund Conestoga-Frachtwagen auf, die das Camp der Santa-Fé-Fahrer bildeten.
Kelso fiel es auf, dass der Wagenpark fast zehnmal so groß wie im vergangenen Jahr war - und das im Spätherbst. Der Grund dafür war klar genug. Nur ein Verrückter würde jetzt auf der offenen Prärie bleiben. Mehr als fünfhundert Menschen drängten sich dort unterhalb des Forts zusammen. Neunzig Prozent der kleinen Siedler auf der Prärie waren durch die Indianerunruhen zum Fluss getrieben worden.
All das sah Kelso mit einem umfassenden Blick. Dann hämmerte er Wasiya wieder die Mokassinfersen in die Rippen, und drei Minuten später galoppierte er an den empörten Posten am Haupttor vorbei und schrie ihnen zu, wenn sein Eintritt ihnen nicht gefalle, sollten sie sich bei Captain Custer beschweren und ihm sogleich Joshua Kelsos beste Empfehlungen überbringen.
Die Wachtposten debattierten noch über diese Anweisung, als Kelso bereits von seinem schweißnassen Wallach sprang und die Zügel einem dritten Soldaten übergab.
»Schaff eilig einen Pferdewärter herbei und sorge dafür, dass der Wallach eine eigene Box bekommt. Er wird ein anderes Pferd sonst so schnell umbringen, wie er es sieht.«
Als er sich der Lehmstraße mit der Bezeichnung »Hauptquartier, 7. Kavallerieregiment« zuwandte, rief er dem Rekruten, dessen Mund noch offenstand, einen letzten Rat zu.
»Und wenn dir das Leben im Wilden Westen gefällt, dann komme dem Wallach auch selbst nicht zu nahe. Er beschränkt seine Feindseligkeit nämlich nicht nur auf Pferde.«
An der dritten Hütte sah er Custers Namen. Es war jedoch nicht der Name selbst, der ihn nachdenklich die Stirn runzeln ließ. Als er den »General« das letzte Mal gesehen hatte, da hatte Custer seinen normalen Dienstrang als Captain geführt, und Custer hatte es sehr schwer gehabt, selbst diesen zu behaupten. Darm war die Kunde in die Berge gedrungen, er sei vor ein Kriegsgericht gestellt worden und für ein Jahr von Dienstrang und Kommando suspendiert worden. Es war eine dumme Sache gewesen. Man sagte, er habe sein Kommando schlecht ernährt und übel zugerichtet in Fort Wallace gelassen, während er selbst nach Fort Riley gereist sei, um sein Familienleben mit Mrs. Custer nachzuholen. Unterwegs war er dabei von dem alten Satanta und einer Rotte seiner Kiowa-Bluthunde überfallen worden und hatte einen Sergeanten und zwei Mann verloren.
Das hatte ganz nach Custer ausgesehen - aber das neue hübsche Schild, das an seiner Bürotür hing, tat das auch. Verdammt, man musste es dem kleinen Kampfhahn lassen. Er war vom Generalmajor auf Kriegszeiten vor zwei Jahren in den Rang eines Captains zurückversetzt worden. Vor zehn Monaten war er aus einem Captain zu einem reinen Nichts geworden, und jetzt verkündete das Schild frisch und herausfordernd:
Lieutenant Colonel G. A. Custer, Kommandant
Joshua bog in den Pfad ein, der säuberlich mit weißen Steinen aus dem Bach gefasst war. Er war höchstens dreißig Fuß lang, aber die Gedanken eines Mannes können auch in einer kurzen Zeit weit reisen - besonders in die Vergangenheit.
Im Gehen wog er die Beförderung des »Generals« um fünf Dienstgrade gegen die stärker werdende Stimme seiner Zweifel ab. Nach allem, was er im Sommer von den Stämmen der Südprärie gesehen und gehört hatte, mussten nahezu siebentausendfünfhundert Krieger quer über den Santa-Fé-Weg lagern. Sie schienen die Armee herausfordern zu wollen, aus Fort Dodge herauszukommen und sie zu vertreiben.
Wenn man das alles wusste, brauchte man kein Genie zu sein, um zu erkennen, was einen hinter der Bürotür erwarten würde. Nicht wenn man Custer so gut kannte wie Joshua Kelso.
Obwohl der langhaarige Kavallerieoffizier sich im Bürgerkrieg einen Ruhm erworben hatte, der kaum dem des kleinen Phil Sheridan nachstand, war bei ihm das, was man Indianerverstand nannte, so wenig ausgebildet wie bei jedem beliebigen Corporal. Natürlich musste man trotzdem den Teufelskerl mit den verrückten Augen einfach gern haben. Er war wirklich ein Mann - trotz seiner Hirschlederfransen, seiner Cowboyhandschuhe, der roten Seidenschärpe und der besonders für ihn angefertigten großen schwarzen Hüte.
Kelso zögerte einen Augenblick, als er die Hand nach der verwitterten Tür ausstreckte. Im nächsten Moment hämmerte seine Faust gegen das Holz.
»Herein! Herein! Die Tür wird schon aufgehen. Sie brauchen sie nicht einzuschlagen - sie hat ausgezeichnete Angeln.«
Joshua grinste. Das war echt Custer. Es war ihm völlig gleich, wer da pochte - ob nun der Reiter Red Jones, General Sherman, Mad Wolf oder der Teufel selbst. Man sollte hereinkommen, seine Angelegenheit vortragen und beim Hinausgehen die Tür nicht Zuschlägen. Der »General« war ein geschäftiger Mann. Es war unwesentlich, dass die Geschäftigkeit darin bestand, dass er seinen alle zwei Tage fälligen Brief von zehn Seiten an seine teure »Libby«, schrieb oder an den alten General Walter Scott Hancock Berichte verfasste, warum es ihm nicht ganz gelungen war, Black Kettle, Satanta und die ganze Cheyenne- und Kiowa-Nation in den North Canadian zu werfen.
Kelso trat ein. Custer setzte ein Komma in sein Gekritzel und versuchte nicht erst aufzuschauen. Einen Augenblick hielt Kelso Umschau in Custers neuer Behausung. Es war eine getreue Kopie des Zimmers, das er als Captain in Fort Riley bewohnt hatte. Hinter dem großen Schreibtisch hingen dieselben Bilder. Seine Frau als vierzehnjähriges Mädchen - dann Brigadegeneral G. A. Custer im Jahre 1863, die linke Hand nach Art von Napoleon in seine Unionsuniform gerammt, und schließlich Elisabeth Custer und Tom Custer (stehend) mit dem großen Vater als Zweistern-Brigadegeneral und dem jungen Tom mit dem einfachen Balken des Lieutenants.
Die gleiche spartanisch einfache Reihe von Stühlen stand an der Wand seitlich vom Schreibtisch. An der anderen Wand hingen die großen Bilder von Sherman und Sheridan - den Schutzheiligen des »Knabengenerals«, wie man Custer wegen seiner Jugend oft nannte. Und am Boden lag dieselbe helle Büffeldecke, die ihm Satanta, der Häuptling der Arkansas-Kiowas, bei dem Abschluss des »ewigen Friedens« im vergangenen Sommer geschenkt hatte - zwei Wochen, bevor er sich mit den Hundesoldaten der Cheyenne verbündet hatte, um am Cimarron loszuschlagen.
Der »General« selbst hatte sich nicht stark verändert. Vielleicht waren seine Haare etwas länger und nicht mehr so blond. Vielleicht standen seine Ohren noch etwas mehr ab und vielleicht bog sich seine Nase noch etwas mehr nach links. Aber sein zuckender Frauenmund verbarg sich immer noch unter dem Schnurrbart, der wie sonnenbleiches Heu aussah. Das bisschen Bart am Kinn konnte den weichlichen Ausdruck immer noch nicht verbergen. Außerdem standen seine Augen immer noch eng zusammen. Alles zusammengenommen konnte sich ein Mann damit ein gutes Bild davon machen, wie der Knabengeneral am Morgen des 13. November 1868 aussah.
»Joshua! Beim Jupiter!«
Der Ausruf war der stärkste, der in Mrs. Custers Wortschatz geduldet wurde. Zugleich entblößte er die weit auseinanderstehenden Oberzähne, was als das berühmte Custer-Lächeln galt. Er war aufgestanden und um den Schreibtisch herumgekommen. Seine kleine Hand hatte einen festen Druck.
»Ich hatte keine Ahnung, dass Sie es noch vor dem Fünfzehnten schaffen würden. Aber es ist großartig - einfach großartig. Setzen Sie sich doch. Wie sind Sie geritten? Cheyenne-Austauschpferde?«
»Nein, General, immer dasselbe alte Pferd.«
Wieder fühlte er die Unbeholfenheit eines Schuljungen, die er in der Nähe dieses Mannes immer empfand. Da stand er und grinste und krümmte den Rücken wie eine Katze, der man die Schwanzwurzel streichelte. Verdammt, man konnte den ganzen Winter über dagesessen und geschworen haben, man würde nie mehr das Pferd für den verhassten Kampfhahn satteln. Wenn er einem aber dann die Hand gab und mit seinen Hauern grinste, war man erledigt. Man würde ihm nicht nur in die Hölle folgen, sondern ihm auch noch dankbar dafür sein, dass er einen mitkommen ließ. »Meinen Sie dasselbe scheckige Ungeheuer?«, fragte Custer. »Dieses Ungetüm von einem missratenen Esel, mit dem Sie in Kansas im vergangenen Sommer allen Soldaten die Löhnung abgewonnen haben? Wie haben Sie ihn doch genannt? Blizzard? Goldjunge? Schneekönig?«
Das war auch wieder echt Custer. Er war schneller und sprunghafter als jeder andere Mann. Ehe jemand eine einzige höfliche Antwort geben konnte, hatte er schon sechs Fragen gestellt.
»Winterriese«, brachte Joshua schließlich heraus. »Wasiya in der Siouxsprache.«
»Oh, ja, das war der Name: Winterriese. Sie haben mit ihm die letzte Wette in meinem Kommando gewonnen. Ich gebe keinen Dollar mehr für Sie und Ihren Präriepegasus. Vor kurzem habe ich von Sheridan einen arabischen Renner gewonnen - das prächtigste Pferd zur Büffeljagd, das je ein Sterblicher gesehen hat. Ich stelle mich Ihnen zu
Publisher: BookRix GmbH & Co. KG
Text: Clay Fisher/Apex-Verlag.
Images: Christian Dörge/Apex-Graphixx.
Cover: Christian Dörge/Apex-Graphixx.
Editing: Zasu Menil.
Translation: Dr. Hansheinz Werner/Christian Dörge (OT: Yellow Hair).
Layout: Apex-Verlag.
Publication Date: 03-06-2019
ISBN: 978-3-7438-9904-9
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