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Leseprobe

 

DIE EDEN HILL

CHRONIKEN

 

Die Sehnsucht des Verdammten

 

von

Renate Blieberger

 

 

Inhaltsverzeichnis

1. Kapitel

2. Kapitel

3. Kapitel

4. Kapitel

5. Kapitel

6. Kapitel

7. Kapitel

8. Kapitel

9. Kapitel

10. Kapitel

11. Kapitel

12. Kapitel

13. Kapitel

14. Kapitel

15. Kapitel

16. Kapitel

17. Kapitel

Epilog

Leseprobe

1. Kapitel

 

 

Hätte jemand Caleb Mac Gregor vor sechs Jahren gefragt, wie er sich sein Leben in der Zukunft vorstellen würde, die Antwort wäre sicher anders als die Realität ausgefallen. Wie hätte er damals aber auch ahnen sollen, dass ihm die Intrigen eines Elfs die Frau, die er liebte, entreißen und die Großzügigkeit von Varos Mac Gregor eine halbe Burg bescheren würde? Eigentlich hatte Caleb ja Ellys Rolle als Hüter aushilfsweise übernommen. Aber als Varos und seine Frau Sam die Burg für Touristen geöffnet hatten, um sie weiterhin finanzieren zu können, hatten sie ihm die Hälfte angeboten, wenn er dafür einen Teil der Pflichten übernahm. Da Geld ohnehin Mangelware war und Elly offenbar nicht so schnell zurückkommen würde, wie er gehofft hatte, hatte er das Angebot angenommen. Kein schlechter Handel für ihn, weil die Arbeit ihn die meiste Zeit über vom Nachdenken abhielt. Es war nun fünf Jahre her, seit Elly mit dem Elfenfürsten Valdir durch das Portal verschwunden war und bis jetzt hatte es kein Lebenszeichen von ihr gegeben. Hatten ihn anfangs noch alle unterstützt, waren sie irgendwann dazu übergegangen, auf ihn einzureden, dass er sich mit ihrem Verlust abfinden und sich ein neues Leben aufbauen sollte. Davon wollte er jedoch nichts hören. Er hatte versprochen auf sie zu warten und das würde er tun. Selbst wenn es dauern sollte, bis er alt und grau war. Davon abgesehen hatte er ohnehin beim besten Willen keine Zeit für ein Privatleben. Nicht nur, dass die Arbeit auf der Burg immer mehr wurde, machte ihm neuerdings auch noch Adam Sorgen. So einzigartig Adam war, so schwierig gestaltete sich sein Leben. Er war vor sechs Jahren als Kind einer Dryade und eines Menschen zur Welt gekommen. Wäre alles normal verlaufen, hätte die Dryadenmagie den menschlichen Anteil verdrängt und ihn als vollwertige Dryade zur Welt kommen lassen. Da jedoch seine Geburt höchst kritisch verlaufen war und im Tod seiner Mutter gegipfelt hatte, war er zur Hälfte ein Mensch, was auch für sein männliches Geschlecht verantwortlich war. Einige Gaben hatte er jedoch von seiner Mutter geerbt und genau die bereiteten Caleb nun Kopfzerbrechen. Die Magie hatte Adam zuerst in Rekordtempo erwachsen werden lassen und vor ungefähr vier Jahren mit Ende zwanzig seinen Alterungsprozess gestoppt. Das hätte es schon schwierig genug gemacht, seine Andersartigkeit zu verbergen, aber nun schien auch noch das Dryadenwesen seiner Mutter immer mehr durchzukommen. Er hatte sich fast völlig in den Hain zurückgezogen, und mied den Kontakt mit den Menschen. Der hauptsächliche Grund, für Calebs Sorgen, waren jedoch die Gerüchte über die Frauen, die mit Gedächtnislücken aus dem Hain zurückkamen. Er musste mit Adam reden, und herausfinden, was da vor sich ging, ehe er unerwünschte Aufmerksamkeit auf das Geheimnis von Eden Hill zog.

 

 

Zur gleichen Zeit am anderen Ende von Schottland

 

„Das kommt überhaupt nicht infrage“, fauchte Talia.

Ihr Boss erwiderte besänftigend: „Aber Talia, als Reporterin musst du zu den Storys reisen. Sie kommen nicht zu dir.“ Womit er an sich völlig recht hatte, wenn es denn echte Storys gewesen wären. Aber da seine Zeitschrift den recht treffenden Namen „Der Kurier des Rätselhaften“ trug, erschienen dort samt und sonders nur irgendwelche verrückten Mystery Storys. Talia würde Oliver, der mit seiner kleinen, schmächtigen Statur, dem schütteren Haar und der großen klobigen Brille wie ein Gnom wirkte, und damit selbst ganz gut in seine Mystery Welt gepasst hätte, immer dankbar sein. Sein Jobangebot war immerhin nach dem Tod ihres Vaters ihre Rettung gewesen, als sie ihr Studium mangels Geld hatte abbrechen müssen. Aber genau dieser Job verhinderte nun, dass sie irgendwo anders einen Posten als ernst zu nehmende Reporterin bekam. Das war allerdings auch irgendwie verständlich. Welche seriöse Zeitung sollte schon eine Frau eingestellt, deren größte Story den Titel „Das Monster aus dem Untergrund“ trug. Es war zum verrückt werden. Sie war jetzt achtundzwanzig und verbrachte ihre Tage damit, irgendwelche Poltergeister, Wichtelmännchen, Geister und Ähnliches zu suchen, oder besser gesagt die normale Ursache hinter diesen Phänomenen, was wiederum Oliver zur Weißglut trieb. Aber nun hatte er diesen ewigen Kampf zwischen ihnen eindeutig übertrieben.

Sie versuchte ihn zu überzeugen: „Dieses Nest liegt am anderen Ende Schottlands. Allein die Fahrkarte dorthin kostet ein Vermögen und ich kann wohl kaum unter einer Brücke nächtigen, also müsstest du auch eine Unterkunft bezahlen. Was wenn die ganze Story sich wieder mal als Fake erweist?“

Er erhob sich steif, um ihr auf gleicher Ebene in die Augen zu sehen, was allerdings an seiner geringen Körpergröße scheiterte, da sie ihn selbst ohne die hohen Absätze um zehn Zentimeter überragt hätte, und stieß im überzeugten Ton des Fanatikers hervor: „Es ist unsere Pflicht, der Welt die Wahrheit zu zeigen, und außerdem ist es mein Geld.“

Talia verdrehte gequält die Augen. „Was für ein Wundertier soll dort überhaupt hausen? Ein Drache?“

Er runzelte missbilligend die Stirn. „Sei nicht albern, es gibt keine Drachen in Schottland, höchstens Seeschlangen.“

„Wie dumm von mir“, spottete sie.

Er ignorierte ihren Tonfall und fuhr belehrend fort: „Auch die findet man nur in den großen Lochs, wie Loch Ness zum Beispiel. In Eden Hill handelt es sich um eine Dryade.“

„Woher hast du diese Weisheit?“, fragte sie ironisch. Er griff nach einem Prospekt auf seinem Tisch und schob es ihr zu. Talia nahm es in die Hand und überflog es. Es war ein Werbeprospekt für eine Burg Mac Gregor, oder besser gesagt deren Überreste. Angeblich war sie wegen des Fluchs einer Dryade vor langer Zeit abgebrannt und auch heute sollte sich rund um die Burg noch eine tote Zone befinden, in der keine Bäume wachsen würden. Das durfte doch einfach nicht wahr sein. Sie versuchte erneut Vernunft in die Diskussion zu bringen: „Das ist doch nur ein Werbetrick, um Touristen anzulocken. Wahrscheinlich hat irgendein Idiot die Burg aus Versehen abgefackelt und die versuchen, daraus Profit zu schlagen.“

Ein triumphierendes Grinsen machte sich auf seinen Lippen breit, das ihre inneren Alarmglocken losschrillen ließ. „Was das betrifft, könntest du möglicherweise sogar recht haben.“

„Dann siehst du sicher ein, dass es keinen Grund für diese Reise gibt“, versuchte sie ihn festzunageln.

Das Grinsen wurde noch breiter. „Das erklärt allerdings nicht die Frauen mit den Gedächtnislücken.“ In ihrem Verstand machte es Klick. Frauen mit Gedächtnislücken könnten etwas mit Drogen zu tun haben. Um dieser Fährte folgen zu können, musste sie Oliver jedoch vorsichtig zur Wahrheit führen, denn es war eine tragische Tatsache, dass er fest an diesen ganzen Unsinn glaubte.

„Was soll eine Dryade damit zu tun haben?“

Er begann zu strahlen. „Dryaden haben die Gabe, Leute zu bezirzen.“ Talia kramte in ihrem Gedächtnis alles zusammen, was sie über Dryaden wusste, und ein Lächeln glitt auf ihre Lippen, als sie seinen Fehler fand.

Sie sah ihm fest in die Augen. „Es gibt einen Beweis, dass es sich nicht um das Werk einer Dryade handeln kann.“

„Welchen denn?“, fragte er sichtlich irritiert. Ihr Lächeln vertiefte sich. Diesmal hatte sie ihn.

„Dryaden sind immer weiblich, wie du sicher weißt. Da sie die Menschen bezirzen, um sich mit ihnen zu vergnügen, müssten die Opfer also Männer sein. Welche Erklärung hast du für das weibliche Geschlecht der Opfer?“

Für einen Augenblick wirkte er bestürzt und sie konnte sehen, wie er krampfhaft überlegte, doch nach einigen Augenblicken kehrte sein Grinsen zurück. „Es muss sich um eine lesbische Dryade handeln.“ Talia stöhnte gequält auf. Gegen seinen Fanatismus war wirklich kein Kraut gewachsen.

Sie kapitulierte: „Also schön, ich sehe mir die Sache mal an. Wo sind das Ticket und mein Spesengeld?“

 

 

Adam stand an die alte Weide gelehnt da und sah der Frau nach, die mit leichten Schritten halb benommen aus dem Hain tänzelte. In seinem Körper klang noch die Befriedigung nach, die er sich von ihr geholt hatte. Allerdings nicht annähernd so viel, wie sie bekommen hatte, dem lustvollen Stöhnen nach zu urteilen, das sie während des Akts von sich gegeben hatte. Vor allem unter Garantie nicht im entferntesten so viel, wie ihm die Genugtuung verschaffte, sie benutzt zu haben. Seine ersten beiden Lebensjahre, in denen er unnatürlich schnell gealtert war, hatte er in der sicheren Umgebung des Hains und der liebevollen Fürsorge der alten Elisa Sullivan verbracht und später war noch Caleb zu ihnen gestoßen. In dieser Zeit hatte er in der Illusion gelebt, dass allein seine Existenz ein Segen war, und ganz Eden Hill ihn lieben würde. War er doch vor allem deshalb auf die Welt geholt worden, um das Gleichgewicht der Natur zu wahren und Eden Hill so zu schützen. Die einzige schlechte Erfahrung, die er in dieser Zeit gemacht hatte, war der Angriff des Elfenfürsten Valdir gewesen. Als er daran dachte, fasste Adam sich instinktiv ins Gesicht, wo ihn der Elf mit der magischen Klinge gezeichnet hatte. Noch heute war seine rechte Gesichtshälfte eine vernarbte Fratze. Aber das war ganz gut so, denn das hatte ihm gezeigt, wie dankbar Eden Hill ihm tatsächlich war. Als sein unnatürliches Wachstum abgeschlossen gewesen war, hatte Elisa ihn als entfernten Verwandten ausgegeben und ihm so eine Identität verschafft und der verfluchte Burgherr hatte diesen Schwindel mit falschen Papieren offiziell gemacht. Verflucht war in diesem Zusammenhang kein Schimpfwort, sondern eine Tatsache. Varos Mac Gregor war dazu verflucht, sich jeden Tag für ein paar Stunden in einen Raben verwandeln zu müssen. Ein Fluch, den nun auch seine Frau in sich trug. Er hoffte noch immer, dass Adam ihn und seine Frau eines Tages von dem Rabenfluch befreien würde, da Adams Mutter ihn ausgesprochen hatte. Dazu hatte Adam allerdings keine Lust, ebenso wenig wie für Eden Hill den Schutzgeist zu spielen. Er würde nie sein erstes Zusammentreffen mit den Dorfbewohnern vergessen. Die Höflichen von ihnen hatten den Blick in sein Gesicht vermieden, andere waren nicht so freundlich gewesen. Die Reaktion einer Frau, der er sich auf Elisas Ermunterung hin genähert hatte, hatte ihm seinen Status als Monster endgültig klargemacht. Sie hatte ihm ins Gesicht gelacht und ihm entgegen geschleudert, wie sehr er sie anekeln würde. Eine Meinung, die andere Frauen offenbar teilten, denn das Getuschel hinter seinem Rücken war mehr als eindeutig gewesen und hatte ihm eine bittere Erkenntnis eingebracht. Abgesehen von wenigen Juwelen wie Elisa und Caleb waren Menschen intolerant und grausam. Seit diesem Tag hatte er alle Versuche von Caleb und Elisa, ihn doch noch in die Dorfgemeinschaft zu integrieren, abgeblockt. Stattdessen hatte er sich eine kleine Hütte im Hain gebaut und verließ ihn kaum noch. Er war zwar teilweise menschlich, aber genug Dryade, um von der Energie des Hains leben zu können. Er hatte sich mit seiner Einsamkeit und seinen unerfüllten Sehnsüchten abgefunden, bis vor einigen Monaten diese junge offensichtlich berauschte Touristin in den Hain gestolpert war. Er hatte sie eigentlich nur in Sicherheit bringen wollen, bevor sie noch im kleinen See ertrinken konnte. Aber an diesem Tag hatte er gemerkt, dass er offenbar außer den Talenten, sich von der Energie des Hains zu nähren, mit den Pflanzen zu sprechen und sie in Grenzen zu manipulieren noch eine weitere Gabe seiner Mutter geerbt hatte. Als er nämlich versucht hatte, die Frau zu beruhigen, weil sie nach dem Anblick seines Gesichts völlig hysterisch geworden war, war sie plötzlich wie verwandelt gewesen. Sie hatte ihn angestarrt, als ob er wunderschön wäre und sich ihm an den Hals geworfen. Er hatte auch die Gabe der Bezauberung geerbt, nur dass seine, da er ein Mann war, auf Frauen wirkte. Ihm war klar, dass Elisa und Caleb über seine Vorgehensweise entsetzt sein würden. Aber er fand es mehr als fair, dass er sich für die Erhaltung von Eden Hill eine Gegenleistung holte und genau genommen tat er den Frauen sogar etwas Gutes. Sie erinnerten sich nicht an ihre Begegnung mit ihm, trugen die Befriedigung aber mit sich nach Hause. Er war mit der Menge an Übung nämlich in den vergangenen Monaten ein Meister darin geworden, sie in Ekstase zu versetzen. Plötzlich erklang ein Raunen in seinem Kopf. Er schloss die Augen, konzentrierte sich auf die besagte Pflanze und seufzte auf. Die Konfrontation kam früher als erwartet. Caleb war auf dem Weg zu ihm und er sah nicht eben fröhlich aus.

 

 

Auf dem Weg zu Adams Blockhütte konnte Caleb nur in letzter Sekunde einem Zusammenstoß mit einer benebelt wirkenden jungen Frau ausweichen. Dieser Zustand und das glückselige Strahlen in ihren Augen bestätigten Calebs Verdacht. Er folgte dem Weg weiter und erblickte Adam lässig an der Weide am See lehnend, die der Heimatbaum seiner Mutter gewesen war und warf ihm vor: „Du hast die Frauen bezaubert.“

Adam zuckte gleichgültig die Schultern. „Das stimmt.“ Caleb war fassungslos. Er hatte mit einem Versuch, es zu leugnen, oder wenigstens Verlegenheit gerechnet. Was zur Hölle war nur aus dem netten sanften Jungen geworden, den er nach Ellys Verlust unter seine Fittiche genommen hatte? Wie es schien, war Adams Dryadenhälfte stärker, als sie gedacht hatten. Dabei wirkte Adam, abgesehen von seinen Augen, in denen sich intensive grüne Wirbel ständig zu drehen schienen, völlig menschlich. Er hatte das blonde Haar und die hochgewachsene, gut gebaute Gestalt seines Vaters geerbt. Sein Gesicht war, abgesehen von der hässlichen Narbe, die fast die gesamte rechte Seite überzog, für einen Mann beinahe zu schön. Wohl das Erbe seiner Dryadenmutter, denn Dryaden waren für die Verführung geboren. Hätte Valdir ihm nicht das Gesicht zerschnitten, er hätte sich wohl auch ohne Zauber den Frauen kaum erwehren können. Obwohl er in irdischen Jahren erst sieben war, sah er nicht nur wie ein Mann von Ende zwanzig aus, sondern auch seine Gestik und Mimik entsprachen diesem Alter. Die Magie hatte wohl nicht nur seinen Körper schneller altern lassen.

Caleb versuchte an den netten Jungen in ihm zu appellieren: „Das ist nicht richtig Adam, und das weißt du auch.“

Adams ganzer Körper spannte sich an und er stieß mit vor Wut zitternder Stimme hervor: „Richtig? Ist es denn richtig, dass sie mich wie einen Aussätzigen behandeln? Ist das die gerechte Belohnung dafür, dass ich ihre Stadt am Leben erhalte? Es gibt kein richtig Caleb. Sie nehmen sich von der Natur was sie wollen, ohne auch nur über die Konsequenzen nachzudenken. Also nehme ich mir von ihnen, was ich brauche. Das ist nur fair.“ Calebs Wut verpuffte, als er sich an Adams Schmerz erinnerte, als diese dumme Kuh ihm ihren Ekel ins Gesicht geschleudert hatte.

„Ich weiß, dass manche von ihnen nicht sehr nett zu dir waren. Aber du kannst doch nicht alle dafür bestrafen.“

Als Adam sich von der Weide abstieß, lief ein Zittern durch die Pflanzen der Lichtung und er knurrte: „Außer dir und Elisa will mich niemand in seiner Nähe haben, und ihr wohl auch nur, weil ich euer Garant für Eden Hills Bestehen bin.“

„Das ist nicht wahr.“

Auch Adams Wut schien plötzlich zu verfliegen, denn er senkte gequält den Kopf und flüsterte heiser: „Ich werde für sie immer ein Monster sein. Die Menschen wollen mich nicht, und selbst wenn ich jemals andere Dryaden treffen sollte, wäre ich für sie ebenso abartig wie für die Menschen. Ich bin weder Mensch noch Dryade, sondern einfach nur verdammt. Warum habt ihr mich damals nicht sterben lassen?“ Bei dieser Frage sah er wieder hoch und Caleb erblickte blanken Schmerz in Adams Augen, der sein Herz verkrampfen ließ. Aber er musste trotzdem wenigstens versuchen, ihn zur Vernunft zu bringen.

„Ich verstehe dich, doch was du tust, ist gefährlich. Du wirst die Menschen noch auf dein Geheimnis aufmerksam machen. Das muss aufhören.“

Adam lachte bitte auf. „Du verstehst gar nichts. Die Pflanzen um mich herum und ab und zu ein Spiel mit einer menschlichen Frau sollten ausreichen, um mich zufriedenzustellen, doch das ist nicht so. In mir brennt das Verlangen der Dryaden. Es ist wie ein Fieber, das niemals nachlässt und nur durch ihre Berührungen für kurze Zeit gelindert werden kann. Du kannst meine Qualen der vergangenen Jahre, bevor ich begonnen habe, sie zu bezaubern, nicht mal erahnen und selbst jetzt ist es nie genug. Dieser verdammte menschliche Teil von mir will mehr, aber mehr werden sie mir niemals geben. Lass mich wenigstens das nehmen, was ich kriegen kann, oder erlöse mich von meinen Qualen.“

„Adam ich ...“, krächzte Caleb hilflos. Aber noch ehe er seinen Satz beenden konnte, wandte Adam sich ab und verschwand im Hain. Er hätte ihm folgen sollen, aber er tat es nicht, weil er keine Ahnung hatte, was er ihm hätte sagen sollen.

2. Kapitel

 

 

Talia quälte sich aus dem Bus und verfluchte im Stillen ihren Boss für die Torturen der Fahrt. Erst von Edinburgh mit dem Zug bis nach Inverness, dann mit dem Bus weiter bis Eden Hill. Natürlich wäre die Fahrt mit einem Mietwagen weit komfortabler gewesen, aber so weit ging die Großzügigkeit des Schotten natürlich auch wieder nicht. Ihr Boss war ein gutes Beispiel für die den Schotten nachgesagte Sparsamkeit. Sie selbst war nur zur Hälfte Schottin, weil ihr Vater aus dem sonnigen Spanien kam. Der hatte sie wegen des frühen Tods ihrer Mutter allein großgezogen und so vermutlich ihre Skepsis gegenüber diesem mythischen Zeug verschuldet. Wenigstens hatte sie es nicht weit bis zu ihrem Quartier. Die Bushaltestelle lag genau vor dem einzigen Pub im Ort, wo sie ein Zimmer reserviert hatte. Überflüssig zu erwähnen, dass die Zimmer direkt auf der Burg ihr Etat weit überstiegen. In diesem Fall war sie über die Sparsamkeit ihres fanatischen Vorgesetzten allerdings nicht unglücklich, weil sie im Pub eher Gerüchte über die Gegend aufschnappen würde. In der Gaststube angekommen, kam ihr eine Frau von Mitte vierzig entgegen. Mit dem ordentlich hochgesteckten, braunem Haar und den freundlichen Augen wirkte sie auf den ersten Blick sympathisch. Sie begrüßte Talia lächelnd: „Willkommen in Eden Hill. Sie sind sicher Miss Talia Carras. Miss ist doch richtig? Ich bin Abby Mac Gregor, aber nennen Sie mich doch Abby. Das tun alle hier.“

Talia verkniff sich ein Schmunzeln wegen der ländlichen Neugier und lächelte: „Nur wenn Sie mich Talia nennen. Ich habe telefonisch ein Zimmer reserviert.“

„Ich weiß. Ich bringe Sie gleich nach oben. Wenn Sie wollen, kann ich Ihnen noch einen Eintopf anbieten.“

„Danke, nicht nötig, ich habe in Inverness gegessen. Aber Morgen komme ich gerne auf das Angebot zurück.“ Die Frau nahm den Schlüssel von dem Schlüsselbord hinter der Schank und steuerte die rückwärtige Tür an. Talia folgte ihr und fragte: „Darf ich Ihnen eine Frage stellen?“

„Natürlich.“

„Sie sagten Ihr Nachname ist Mac Gregor. Ich dachte den Mac Gregors gehört die Burg?“

„Das stimmt. Mein Sohn und sein Cousin sind die Besitzer. Sind Sie auch wegen der Burg hier?“

„Teilweise. Ich bin Reporterin und möchte für meinen Bericht die ganze Legende recherchieren. Dryaden leben ja schließlich nicht auf Burgen, sondern in Wäldern.“ Für einen kurzen Moment entgleiste Abbys Miene.

Sie verbarg es schnell hinter einem Lächeln. „Das ist alles schon ewig her. Außer ein paar Geschichten werden Sie keinen Hinweis darauf finden.“ Sieh mal einer an, da wollte sie offenbar jemand vom Wald fernhalten. Ein Grund mehr sich dort umzusehen. Möglicherweise war sogar die freundliche Wirtin in die Sache mit den verwirrten Frauen verwickelt.

 

 

Caleb hatte die ganze Nacht mit sich gekämpft, ob er Elisa von dem Problem mit Adam erzählen sollte oder nicht. Die alte Hexe war in letzter Zeit sehr gebrechlich geworden und er scheute davor zurück, ihr noch mehr Kummer zu bereiten. Immerhin hatte sie mit Elly nicht nur ihre Enkelin, sondern auch ihre Nachfolgerin verloren und machte sich sicher schon genug Sorgen um die Zukunft. Caleb war zwar unterstützend eingesprungen, konnte ohne Elly, mangels eigener Hexengene, das Erbe der Hüter jedoch nicht weitergeben. Trotz aller Bedenken hatte er sich für ein Gespräch mit der alten Hexe entschieden. Sie hatte Adam schließlich aufgezogen und würde ihm am ehesten wirksam ins Gewissen reden können. Er hatte sich also auf den Weg zum kleinen Cottage am Rande des Hains gemacht und trat jetzt durch die niemals verschlossene Tür. Bei seinem Eintreten hob die alte Frau zwar den Kopf, erhob sich aber nicht, wie sie es früher immer getan hatte. Inzwischen war sie siebzig und sichtlich erschöpft, was Calebs schlechtes Gewissen noch steigerte. Er begrüßte sie: „Hallo Elisa. Ich belästige dich nur ungern, aber wir haben ein Problem mit Adam.“

„Falls du von den bezauberten Frauen sprichst, ist es mir schon bekannt.“

Caleb schnappte verblüfft nach Luft. „Du weißt davon?“

„Ich bin alt Caleb, nicht tot, und ich bin immer noch die Hüterin. Ich merke es, wenn im Hain etwas vor sich geht.“

„Was hast du unternommen?“

„Nichts. Es ist seine Natur. Seine Mutter hat früher auch immer wieder Männer bezaubert.“

„Das kann nicht dein Ernst sein.“

„So sind Dryaden eben.“

„Im Gegensatz zu ihr ist er leider nicht eben diskret. Diese Sache ist inzwischen Stadtgespräch und sogar einige lokale Zeitungen haben das Thema bereits aufgegriffen.“

„Sie hatte Jahrhunderte Zeit, um ihre Fertigkeiten zu schulen, und musste es nicht ohne Hilfe erlernen.“ In diesem Moment begann Caleb ernsthaft zu verstehen, warum Elly es mit ihrer Großmutter nicht mehr ausgehalten hatte. Die alte Frau war einfach unglaublich, wenn es um den Hain ging.

„Aber wir haben keine Jahrhunderte, in denen er es lernen könnte. Es grenzt ohnehin schon beinahe an ein Wunder, dass niemand zur Polizei gegangen ist.“

Sie hob hilflos die Hände. „Was hätte ich tun sollen?“

„Ihm sagen, dass es falsch ist. Du bist wie eine Mutter für ihn und er hätte auf dich gehört.“

Sie lächelte bitter. „Das weiß ich. Aber ich kann ihm nicht geben, was er wirklich braucht, und sie wollen es nicht. Mit welchem Recht könnte ich ihm sein Tun verbieten?“ Caleb sank auf den nächsten Sessel, starrte sie fassungslos an und wagte es kaum, seinen Ohren zu trauen. Die alte Elisa hatte ihm immerhin sein ganzes Leben lang Anstand gepredigt.

„Aber ...“, versuchte er zu widersprechen.

Sie unterbrach ihn traurig: „Unser Zauber war zu schwach, um ihn zu einer richtigen Dryade zu machen. Wir haben alle nur an Eden Hill gedacht, ohne einen Gedanken daran zu verschwenden, was für ein Leben er führen würde. Wir haben ihm das angetan.“

„Präzise gesagt hat Valdir ihm das angetan, als er ihn entstellt hat“, knurrte Caleb, weil seine Wut über diesen verfluchten Elf, der ihm alles genommen hatte, wieder mal in ihm hochkochte.

„Wohl wahr. Aber das ändert nichts an dem Problem. Schon für einen menschlichen Mann wäre es ein hartes Los, niemals eine Frau berühren zu dürfen, aber als halber Dryade sind seine diesbezüglichen Triebe noch viel stärker ausgeprägt. Davon abgesehen sehnt sich sein menschlicher Teil nach einer Partnerin.“

„Was schlägst du vor?“, schnaubte er. „Sollen wir eine Partnervermittlung anrufen?“

„Nicht mal das können wir tun, weil seine Augen und sein gestoppter Alterungsprozess ihn verraten würden. Infrage käme nur eine Hexe.“

„Wo gedenkst du eine herzunehmen?“, fragte er zynisch.

„Das“, seufzte die alte Hexe, „ist das Problem.“

 

 

Talia hatte sich gar nicht erst mit einer Besichtigung der Burg aufgehalten. Was immer hier vorging, hatte unter Garantie nichts mit der Burg zu tun. Sie war durch den Ort spaziert und hatte mit den Leuten geplaudert. Zu ihrem Glück waren die Leute auf dem Land nicht so verschlossen wie die Städter, und außerdem offenbar nicht abgeneigt, in einer Story erwähnt zu werden. Die erhaltenen Informationen waren leider ziemlich dürftig. Bemerkt hatte man die Sache mit den Frauen schon, doch niemand wusste so recht, was er davon halten sollte. Aber zumindest hatte sie einen Hinweis auf eine mögliche Zeugin erhalten. Laut den Leuten wohnte am Rand des Wäldchens seit einer halben Ewigkeit eine alte Kräuterhexe. Mit etwas Glück hatte die etwas von den Vorgängen im Wald mitbekommen. Vor dem Cottage und dem dazugehörigen Kräutergarten angekommen, verharrte sie erst mal und atmete tief ein. Die Luft in dem Kräutergarten roch einfach himmlisch und betörte ihre Sinne. Talia hatte schon immer einen grünen Daumen und eine Vorliebe Pflanzen gehabt. Der kleine Balkon ihrer Wohnung war mit Pflanzenkübeln vollgestellt und auch ihre Wohnung erinnerte eher an einen Wintergarten, als an eine moderne Wohnung. Es musste ein Traum sein, solch einen Garten zu besitzen. Da sie aber nicht zum Vergnügen hier war, schüttelte sie ihre Wunschträume ab und ging zur Haustür.

 

 

Adam stand verborgen zwischen den Sträuchern am Rand des Hains. Nachdem Calebs Besuch bei seiner Ziehmutter vorauszusehen gewesen war, hatte Adam die Pflanzen beauftragt, ihm Calebs Ankunft mitzuteilen. Als dies vor einer knappen halben Stunde geschehen war, hatte er sich auf den Weg zum Cottage gemacht, um zu sehen, was bei dem Gespräch herauskommen würde. Doch die fremde Frau lenkte seine Aufmerksamkeit von Caleb und Elisa ab. Sie war sehr attraktiv und ihre tiefschwarzen Haare und ihre makellose, bronzegetönte Haut wiesen auf eine weiter südlich gelegene Heimat hin. Was ihn allerdings noch mehr faszinierte, als ihre Schönheit, war die Art, wie sie mitten im Kräutergarten mit verträumter Miene stehen blieb und tief die Düfte der Kräuter einatmete. So ein Verhalten hatte Adam bis jetzt nur bei der alten Elisa gesehen, nur dass die seinen Puls nicht so hochschnellen ließ. Er hatte erst gestern eine Frau gehabt und hätte nicht so heftig auf sie reagieren dürfen. Aber er tat es, und noch schlimmer, sie verursachte nicht nur ein sehnsüchtiges Ziehen in seinen Lenden, sondern auch tief in seiner Brust. Wütend riss er den Blick von ihr los und wich tiefer in den Hain zurück. Er würde sich von ihr fernhalten, denn er hatte keine Lust sich noch mal das Herz herausreißen zu lassen. Besser er hielt sich an Frauen, die ihm gleichgültig waren.

 

 

Während Calebs Gedanken rasten, um doch noch eine Möglichkeit zu finden, mit der er Elisa überzeugen konnte, klopfte es an der Tür. Mit einem Blick auf die gebrechliche alte Frau erhob er sich ungefragt und öffnete. Vor ihm stand eine fremde Frau, deren Blick zum Glück klar war. Sie zauberte ein freundliches Lächeln auf ihre vollen Lippen. „Wohnt hier eine Elisa Sullivan?“

Ehe er antworten konnte, erklang Elisas Stimme von hinten: „Das ist richtig. Lass sie rein Caleb.“ Er trat zur Seite und die attraktive Schwarzhaarige ging an ihm vorbei. Ihr Blick flog aufmerksam durch das Cottage und blieb schließlich an Elisa hängen. Die alte Hexe war gerade dabei, sich in die Höhe zu quälen, aber nach einem Blick auf die Fremde sank sie wieder auf die Bank und starrte die Besucherin überrascht an. Was war denn nun los?

Die Fremde fragte mitfühlend: „Geht es Ihnen nicht gut? Ich kann auch später wieder kommen, wenn …“

Elisa unterbrach sie: „Nicht nötig, mir war nur kurz schwindlig. Das passiert in meinem Alter schon mal. Was kann ich für Sie tun?“

Die Fremde trat zu Elisa und streckte ihr eine Hand entgegen. „Mein Name ist Talia Carras. Ich bin Reporterin und möchte eine Reportage über die Geschichte von Eden Hill schreiben. Da die Legende um diese Dryade und ihren Hain eine große Rolle in den Überlieferungen spielt, möchte ich sie in die Reportage aufnehmen. Man sagte mir, Sie würden schon sehr lange am Rand des Hains leben und ich hatte gehofft, von Ihnen mehr Informationen zu erhalten.“ Caleb erstarrte. Das hatte ihnen gerade noch gefehlt. Zum Glück hatte Elisa Erfahrung mit Geheimhaltung und würde sie schnell und dezent abwimmeln.

Doch die lächelte Talia freundlich an. „Dieser Hain ist tatsächlich eng mit der Dryade verbunden.“

Die Jüngere erwiderte das Lächeln zwar, antwortete aber bedauernd: „Sie verstehen hoffentlich, dass ich für meine Leser Fakten brauche. Ich hoffe, Sie haben nichts dagegen, wenn ich mich im Wald umsehe.“

„Natürlich nicht meine Liebe. Caleb soll Ihnen den See mit der Weide zeigen. Der ist nicht nur eng mit der Dryade verbunden, sondern auch noch besonders malerisch. Sie können auch gern jederzeit allein dort herumspazieren. Lassen Sie sich nur nicht verzaubern, das passiert dort schon mal.“ Er glaubte seinen Ohren nicht mehr trauen zu können und warf Elisa, hinter Talias Rücken, böse Blicke zu, die von der aber schlichtweg ignoriert wurden.

Talia vertiefte ihr Lächeln. „Falls der Hain auch so bezaubernd ist, wie Ihr Garten glaube ich das gern. Heute ist es schon ein wenig spät für einen ausgedehnten Spaziergang. Aber ich komme zu einem späteren Zeitpunkt gern auf das Angebot zurück. Ich wünsche noch einen schönen Tag.“

Als die Tür sich hinter der Reporterin geschlossen hatte, fuhr er die alte Hexe an: „Hast du den Verstand verloren? Wenn sie etwas herausfindet, oder schlimmer noch, wenn sie sich plötzlich mit einer Gedächtnislücke vor dem Hain wiederfindet, sind wir in Teufels Küche. Was hast du dir bloß dabei gedacht?“

Die alte Hexe, die plötzlich verdächtig zufrieden wirkte, erwiderte immer noch lächelnd: „Weißt du Caleb, manchmal werden Gebete eben doch erhört.“

„Was soll das jetzt wieder heißen?“, knurrte er verstimmt.

„Ich denke sie weiß es nicht, aber diese Talia Carras ist ganz eindeutig eine Naturhexe. Was im Übrigen auch bedeutet, dass er sie nicht bezaubern kann. Du siehst, kein Grund sich Sorgen zu machen.“ Caleb stöhnte gequält auf und schlug die Hände vors Gesicht. „Du solltest dem Schicksal dankbarer sein Caleb“, rügte sie ihn. „Sie könnte die Lösung für das Frauenproblem sein.“

„Sicher, oder er dreht völlig durch, wenn sie ihn auch abblitzen lässt. Nur für den Fall, dass du es nicht bemerkt haben solltest, die meisten Frauen finden seine Narbe reichlich abstoßend.“

„Wenn ich ihr die Lehren der Natur näher bringen kann und sie versteht, wie wichtig er für das Gleichgewicht ist, wird sie ihn zu schätzen wissen“, behauptete die alte Frau ernst. Dabei hatte sich dieser, ich weiß, dass ich recht habe Blick, den er so gut an ihr kannte, in ihre Augen geschlichen. Caleb seufzte innerlich gequält auf. Das konnte ja noch heiter werden.

3. Kapitel

 

 

Am nächsten Morgen hatte Talia sich gleich nach dem Frühstück wieder auf den Weg zum Cottage gemacht. Allerdings war sie diesmal nicht eingetreten, sondern gleich in das Wäldchen weitergegangen. Der Weg, auf dem sie jetzt schon eine Weile entlang spazierte, war recht breit und erstaunlich gut zu gehen, obwohl er weder mit Kies noch mit einem anderen Material künstlich angelegt worden war. Es schien, als ob sich die Wurzeln der Bäume, die links und rechts des Weges gemeinsam mit den Sträuchern ein fast undurchdringliches Dickicht bildeten, absichtlich vom Weg fernhalten würden. Das war natürlich ausgemachter Unsinn, aber sie war ohnehin schon die ganze Zeit über in einer merkwürdigen Stimmung. Hatte schon der große Kräutergarten sie zum Träumen animiert, wirkte dieser ursprüngliche Wald nahezu berauschend. Obwohl sie sich eigentlich auf Spuren für ihre Story konzentrieren sollte, blieb ihr Blick immer wieder an einzelnen Pflanzen hängen. Manchmal konnte sie sogar nicht widerstehen, stehen zu bleiben und sanft mit den Fingerspitzen über die Blätter zu streichen. So verrückt es auch klang, dieser Wald brachte etwas in ihr zum Schwingen. Es fühlte sich ähnlich an, wie die warme Harmonie, die sie überkam, wenn sie sich mit ihren Topfpflanzen beschäftigte, nur viel stärker. Sie hätte sich rundum wohlgefühlt, wenn sie nicht immer wieder das Gefühl überkommen hätte, beobachtet zu werden. Vor ihr mündete der Weg in einer Lichtung, in deren Zentrum ein kleiner See lag, an dessen Ufer eine Weide stand. Der Größe und der knorrigen Rinde nach zu urteilen, musste der Baum schon sehr alt sein. Sie ging auf ihn zu und je näher sie ihm kam, desto stärker wurde das Gefühl von Harmonie in ihr. Es war, als ob etwas in ihr schon immer nach diesem Ort gesucht hätte. Sie blieb stehen, atmete die reine nach Pflanzen duftende Luft tief ein und versuchte diesen vollkommenen Moment festzuhalten, als plötzlich ein blonder Haarschopf zwischen den Bäumen aufleuchtete. Die verträumte Stimmung fiel von ihr ab, sie griff rasch in ihre Jackentasche und umfasste das Pfefferspray darin. Wenn dieser Kerl etwas mit den verwirrten Frauen zu tun hatte, dufte sie kein Risiko eingehen und vor allem durfte sie seine Spur nicht verlieren. Sie schrie: „Kommen Sie raus.“

 

 

Adam hatte die Präsenz der fremden Schönheit sofort im Hain gespürt. Er hatte zwar immer noch vor, sich von ihr fernzuhalten, aber seine Neugier war zu stark. Also folgte er ihr heimlich, halb mit den Pflanzen verschmolzen und seine Faszination steigerte sich mit jedem zurückgelegten Meter. Die meisten Menschen genossen zwar die reine Luft und waren von dem kleinen See entzückt, beachteten die meisten Pflanzen jedoch nicht. Ihr Blick jedoch schien jede Blume und jedes Blatt zu bewundern. Spätestens als sie zärtlich über manche Blätter strich hatte sie sein Herz völlig eingefangen. Sie war nicht nur wunderschön, sondern öffnete sich der Natur so sehr, dass sie sich wie ein Teil davon anfühlte. Derart von ihr gebannt hatte er sich mit einem Blatt verbunden, während sie sanft darüber gestrichen hatte. Die zärtliche Berührung hatte einen warmen Schauer durch seinen Körper gejagt und eine Sehnsucht in ihm geweckt, von der er wusste, dass sie sich nie erfüllen würde. Dennoch war er unfähig den Blick von ihr zu wenden und folgte ihr wie an einer Leine geführt weiter. Sie betrat die Lichtung mit dem kleinen See, blieb stehen und tauchte förmlich in die Aura der Lichtung ein, und zwar so tief, dass sie seine Aura dabei streifte. Adam keuchte überrascht auf und schlug sich hastig die Hand vor den Mund, um sie nicht auf sich aufmerksam zu machen. Schließlich tarnten die Pflanzen nur seine Erscheinung und nicht seine Stimme. Plötzlich blieb ihr Blick an ihm hängen und sie schrie: „Kommen Sie raus.“ Adam erstarrte. Wie zur Hölle konnte sie ihn sehen? Er wich weiter in das Dickicht zurück. Aber die Bewegung hatte sie offenbar erst recht auf seine Position aufmerksam gemacht, denn sie rannte los. Er wandte sich um und verschwand tiefer in den Wald. „Bleiben Sie gefälligst stehen“, schrie sie ihm nach. Während er sich eiligst von ihr entfernte, befahl er den Pflanzen, sie ein wenig zu behindern. Zu seiner Überraschung gab sie aber nicht auf, sondern setzte ihm weiter nach. Diese Frau war wirklich außergewöhnlich. Aber in seinem Wald würde sie ihn nie einholen.

Er war bereits weit vor ihr, als er sie plötzlich vor Schmerz aufschreien hörte. Instinktiv suchten seine Sinne die Pflanzen in ihrer Nähe, um zu erfahren, was geschehen war. Er seufzte leise auf, als er es erkannte. Sie war gestürzt und konnte offenbar nicht aufstehen. Er hätte die alte Elisa holen können, aber dann hätte sie lange warten müssen, und er wollte eine naturliebende Seele wie sie nicht unnötig leiden lassen. Als er schon fast bei ihr war, fielen ihm seine Augen ein. Für gewöhnlich verbarg er sie nicht, denn außer Caleb und Elisa kam niemand her, vor dem er sich nicht verbarg oder ihn bezauberte. Natürlich hätte er das auch bei ihr tun können, aber etwas in ihm brachte es nicht über sich. Jemand, der so große Achtung vor der Natur hatte, hatte so etwas nicht verdient. Er fischte nach der Sonnenbrille in seiner Hemdtasche, die Caleb ihm vor seinem ersten Besuch im Dorf geschenkt hatte. Er hatte Adam damals das Versprechen abgenommen, sie immer bei sich zu tragen. Er hatte sie nie mehr benutzt, aber sein Versprechen zu halten, war seine Art, Caleb für dessen Freundschaft zu danken. Nun war er froh, sie bei sich zu haben. Er setzte sie auf und ging auf die Fremde zu. Ohne Zweifel würde auch sie vor ihm erschrecken, was ihn hoffentlich von der dummen Sehnsucht kurieren würde, die seit ihrer indirekten Berührung durch das Blatt in ihm loderte.

 

 

Talia verfluchte ihre eigene Dummheit. Story hin oder her, einen Fremden auf unbekanntem Terrain in einem undurchdringlichen Dickicht zu verfolgen war einfach nur leichtsinnig. Ehe sie auch nur in seine Nähe gekommen war, war sie in einem Loch hängen geblieben und lang hingeschlagen. Beim Aufprall war ein stechender Schmerz durch ihren Knöchel gezuckt, der auch jetzt noch schmerzhaft pochte. Sie versuchte ihn zu bewegen und verwandelte damit das Pochen sofort wieder in einen überwältigenden Schmerz, der ihr die Tränen in die Augen trieb. Sie zog ihr Handy aus der Hosentasche, um den Notruf zu wählen, aber das verdammte Ding hatte keinen Empfang. Verflucht, ihr blieb nur zum Cottage zurück zu kriechen, falls der Kerl sie nicht vorher fand und ihr den Hals umdrehte. Wie

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Publisher: BookRix GmbH & Co. KG

Text: Renate Blieberger
Cover: Photodesign Rene` Brandes, Zur Lustgartenbreite 4a, 39365 Harbke Deutschland, www.renebrandes.de
Publication Date: 01-11-2024
ISBN: 978-3-7554-6722-9

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