DIE EDEN HILL
CHRONIKEN
Der Fluch des Raben
von
Renate Blieberger
Inhaltsverzeichnis
1. Kapitel
2. Kapitel
3. Kapitel
4. Kapitel
5. Kapitel
6. Kapitel
7. Kapitel
8. Kapitel
9. Kapitel
10. Kapitel
Leseprobe
1. Kapitel
Als Burgherr war Varos, wie man es von ihm erwartete, auf dem kurzfristig geplanten Fest am Dorfplatz erschienen, und befand sich nun inmitten des fröhlichen Treibens. Eigentlich war es das, was er sich jahrhundertelang gewünscht hatte und doch machte es ihn nicht glücklich. Durch sein Geheimnis von ihnen getrennt, fühlte er sich mitten unter all den Menschen furchtbar einsam. Sein Blick wanderte, durch die unvermeidliche Sonnenbrille getönt, über die Menschen, die sich gerade bei einem Tanz amüsierten. Er hasste dieses Ding auf seiner Nase inzwischen wirklich, obwohl es ein Geschenk seiner liebsten und besten Freundin Elly war. Wenn er unter Menschen ging, war sie allerdings ein notwendiges Übel, da seine völlig schwarzen Rabenaugen die nichts ahnenden Leute erschreckt und ihn vermutlich in Teufels Küche gebracht hätten. Sie waren der Überrest eines Fluchs, der ihn drei Jahrhunderte lang dazu verdammt hatte, im Körper eines Raben zu leben. Durch Ellys Hilfe war er inzwischen wenigstens teilweise aufgehoben worden, so dass er zumindest für einige Stunden am Tag zu einem Mann werden konnte. Den Rest der Zeit musste er weiterhin als Rabe verbringen und es stand in den Sternen, ob sich das jemals ändern würde. Dabei war er seiner Erlösung vor einem Jahr so unglaublich nahe gewesen. Die Dryade, die den Fluch über ihn gebracht hatte, war getötet worden und mit dem Ende ihrer Macht, hätte auch sein Fluch geendet. Nur leider hätte das Ende ihrer Macht eine Katastrophe von immensen Ausmaßen über ganz Eden Hill und seine Bewohner gebracht. Deshalb hatte Elly deren neugeborenen Sohn anstelle seiner Mutter mit der Natur verbunden und Eden Hill so gerettet und damit leider auch den Fluch erhalten. Da er nie so viel Unglück auf sein Gewissen hätte laden wollen, nahm er ihr das nicht übel und hatte ihr sogar dabei geholfen, das Kind zu schützen. Nur lag damit seine Erlösung in den Händen eines Kindes, dessen Entwicklung im Moment noch niemand voraussehen konnte. Adam, wie sie das Kind getauft hatten, war schlichtweg einzigartig. Durch die magische Rettungsaktion war er nicht, wie sonst üblich, als reinblütiger Baumgeist, sondern als halber Mensch zur Welt gekommen. So zum Warten und Hoffen verdammt hütete Varos sein Geheimnis und tat in den Stunden als Mann so, als ob er einer von ihnen wäre, ohne sich ihnen wirklich öffnen zu können. Eine der wenigen Ausnahmen wäre die junge Frau gewesen, die sich ihm nun mit einem Tablett in der Hand näherte. Flora oder Coco, wie sein Vorgänger sie genant hatte, war eine der wenigen Eingeweihten. Aber nach ihren Erlebnissen mit dem schwarzen Magier, der vor ihm die Burg besessen hatte, betrachtete die zierliche junge Schwarzhaarige ihre früher so verehrten magischen Geschöpfe mit sehr viel Misstrauen und hielt sich lieber fern von ihnen. So näherte sie sich auch nun mit einem etwas gezwungenen Lächeln, fragte aber dennoch höflich: „Stimmt etwas nicht, Lord Mc Gregor? Sie sehen so ernst aus.“ Er unterdrückte ein gequältes Stöhnen. Lord Mc Gregor, ein Titel, den er mitsamt der Burg, oder besser gesagt deren Überresten von Elly übertragen bekommen hatte. Sie hatte gemeint es würde ihm zustehen, da er wegen des Fluchs so viel erlitten hatte, und auch das ältere Anrecht darauf habe. Da seine menschliche Mutter eine Schwester des damaligen Lord Mc Gregor gewesen war, stimmte das sogar. Er hätte dennoch darauf verzichtet und sie Caleb überlassen, der ebenfalls zur Familie der Mac Gregor gehörte. Da der jedoch mit Elly in die Stadt gegangen war, hatte Varos das großzügige Angebot angenommen. Allerdings hatte er da nicht geahnt, wie viele Verpflichtungen er sich damit aufbürden würde. Natürlich hätte er sich wie der Magier nicht darum scheren müssen. Aber er wollte wieder ein Teil der menschlichen Gesellschaft sein und gab sich deshalb große Mühe. Dennoch fühlte er sich als Mensch mitten unter ihnen isolierter als die dreihundert Jahre davor als Rabe. Floras nervöses Gezappel holte ihn aus seinen Grübeleien.
Er versuchte, sie zu beruhigen. „Keine Sorge, ich bin nur etwas erschöpft. Ich werde mich auf den Weg zur Burg machen.“ Er zwang ein beruhigendes Lächeln auf seine Lippen, erhob sich und machte sich auf den Weg zum Waldrand. Sobald er ihren Blicken entschwunden war, nahm er seine Rabengestalt an und erhob sich in die Lüfte.
Im Burghof angekommen, landete er auf einer Mauerzinne, um dort zu schlafen. Wäre es nicht so bitter gewesen, er hätte darüber lachen müssen. Da besaß er eine ganze Burg mit unzähligen Schlafzimmern und brauchte doch nie ein Bett, weil er immer auf den Mauern oder Ästen schlief. Natürlich hätte er sich auch tagsüber verwandeln können, aber was wenn ihn dann jemand hätte sprechen wollen? Also verbrachte er auch diese Nacht wieder einmal in luftiger Höhe.
Erst als die ersten Sonnenstrahlen bereits die alten Mauern berührten, landete er im Burghof und verwandelte sich wieder in einen Mann. Inzwischen hatte er seine Magie wenigstens so weit geschult, um sich Kleidung auf den Leib zaubern zu können. Was überaus praktisch war, denn es war mehr als peinlich nach jeder Verwandlung nackt dazustehen, oder Kleiderhaufen zu hinterlassen. Er betrat den Wehrturm, der als einziges Gebäude noch völlig intakt war, um sich ein Frühstück zu machen. Der Blick auf die offene Tür zum ehemaligen Verlies ließ ihn erstarren und seine Gedanken rasen. Da er allein lebte und sie ganz sicher nicht offen gelassen hatte, konnte nur ein Eindringling sie geöffnet haben. Wobei ihm ein menschlicher Einbrecher noch am liebsten gewesen wäre. Denn unten im Verlies befand sich das Portal zur Welt der Elfen, das sein Vorgänger geöffnet hatte. Im vergangenen Jahr war zum Glück niemand durchgekommen, aber jetzt holte der Ärger sie offenbar wieder ein. Da der Eindringling wohl kaum im Verlies geblieben war, zog Varos alle Schutzzauber um sich, die er auf die Schnelle wirken konnte und schlich so lautlos wie möglich den Korridor entlang. Schon von Weitem erblickte er die offene Tür zum Büro, was bedeutete, sein Gast war entweder sehr unvorsichtig, oder sehr gefährlich. Varos näherte sich so leise wie möglich und versuchte unbemerkt einen Blick ins Innere zu werfen. Der Anblick des Eindringlings ließ ihm fast das Blut in den Adern gefrieren. Von allen nur denkbaren Monstern von der anderen Seite stand sein schlimmster Albtraum mitten im Büro. Er erstarrte und sein Magen zog sich schmerzhaft zusammen. Ehe er sich zu einer Reaktion durchgerungen hatte, wandte sich der Eindringling um und wies ihn kalt zurecht: „Du hast mich lange warten lassen mein Sohn.“
Sam hatte das Gefühl, ihre schmerzende Kehrseite würde langsam aber sicher mit dem Sessel verwachsen. Als ob es nicht schon schlimm genug wäre, zum Arbeitsamt gehen zu müssen, hatte man dort wohl aus Prinzip nur Marterinstrumente als Sitzgelegenheiten. Sie wartete schon seit Stunden, und das nicht zum ersten Mal. Seit die kleine Schneiderei, in der sie gearbeitet hatte, geschlossen worden war, kämpfte sie sich durch die Schikanen des Amts. Endlich hörte sie den ersehnten Aufruf: „Miss Samantha Clarks, bitte in Raum vier.“ Sam erhob sich steif und ging hinein. Ihr Berater, ein älterer Mann mit nichtssagendem Gesicht und langweiligem Anzug, blickte bei ihrem Eintreten von der Akte auf seinem Schreibtisch hoch, und musterte sie mitleidig. Sam kannte das Prozedere inzwischen nur zu gut und setzte sich, ohne auf eine Aufforderung zu warten. Der Mann räusperte sich. „Es sieht leider gar nicht gut aus Miss Clarks. Sie sind sicher gut in ihrem Job, aber so spezielle Kräfte sind eben schwer zu vermitteln.“ Als ob sie das nicht längst wüsste. Sie hatte sich in den vergangenen Wochen die Füße wund gelaufen, um sich bei jeder nur denkbaren Schneiderei zu bewerben. Aber die meisten hatten eben ihre geschulten Kräfte, oder sie waren an Qualitätsarbeit für besondere Anlässe nicht interessiert. Der Mann runzelte die Stirn, ehe er hinzufügte: „Ich fürchte, wir müssen eine Umschulung in Betracht ziehen. Ich habe einige Papiere vorbereitet. Schauen sie sich die Unterlagen bis zu ihrem nächsten Termin in drei Wochen durch und überlegen sie sich, was davon ihnen am meisten liegen würde“, und reichte ihr einen dicken Packen aus der Akte. Sams Brust verkrampfte sich, weil sie sich die ganze Zeit über genau davor gefürchtet hatte.
„Danke“, murmelte sie und verließ nur mühsam ihre Beherrschung wahrend den Raum. Am liebsten hätte sie diese verdammten Papiere vor seiner Nase zerrissen. Für sie war filigranes Nähen von historischen Stücken, Hochzeitskleidern oder feinsten Borten mehr als nur ein Job. Sie hatte praktisch dafür gelebt. Sie wollte keine Umschulung. Aber wenn kein Wunder geschah, würde ihr nichts Anderes übrig bleiben. Nur mit Mühe schaffte sie es aus dem Gebäude, ohne in Tränen auszubrechen. Mit bebenden Fingern zog sie ihr Handy aus der Tasche und rief Ellys Nummer auf, weil sie sich ganz dringend bei jemand ausheulen musste. Kennengelernt hatte sie Elly Sullivan vor einem halben Jahr, als sie zusammen für eine historische Hochzeit das Ambiente vorbereitet hatten. Sam hatte die Tischdecken, Borten, Servietten und das Kleid gemacht und Elly hatte für die Gärtnerei, in der sie arbeitete, den Blumenschmuck arrangiert. Sie und die junge Frau hatten auf Anhieb einen Draht zueinander gehabt und sich seither oft getroffen. Entweder alleine oder mit Ellys Lebensgefährten Caleb.
Elly hatte sich auf einer Parkbank niedergelassen, während sie auf Sam wartete. Sie legte den Kopf in den Nacken und genoss die letzten Sonnenstrahlen des Tages auf ihrem Gesicht. Ihre Gedanken wanderten dennoch immer wieder zu Sam und dem niedergeschlagenen Tonfall in deren Stimme vorhin am Telefon. Noch heute hatte Elly Sams Strahlen in Erinnerung, als sie die letzten Änderungen an dem Hochzeitskleid vorgenommen und die Servietten und Tischdecken perfektioniert hatte. Die junge Frau war förmlich in ihrem Job aufgegangen und mit dem Konkurs der kleinen Firma ins Bodenlose gestürzt, was mit jeder Absage schlimmer wurde. Dabei war Sam die Letzte, die so einen Schicksalsschlag verdient hatte. Sie war eine lebensfrohe quirlige Frau, die für jeden ein liebes Wort übrig hatte. Sie schien über unendlich viel Energie zu verfügen, und konnte, wenn sie erst mal in Fahrt war, jeden mitreißen. Als Elly vor einem Jahr mit Caleb zu ihrem Vater nach Inverness gezogen war, hätte sie nie damit gerechnet, so eine liebe Freundin zu finden. Umso mehr schmerzte es, mit ansehen zu müssen, wie Sam immer mehr zu Boden gezogen wurde. Elly hätte sie gerne unterstützt, aber sie und Caleb hatten selbst nicht gerade viele Mittel zur Verfügung. Der Großteil ihrer Ersparnisse war für den Umzug, ein Auto und ein paar neue Möbel draufgegangen. Was mitunter auch der Grund war, warum sie Calebs Heiratsantrag noch nicht in die Tat umgesetzt hatten. Etwas Gutes hatte die prekäre Lage allerdings. Sie hatte endlich eine Beziehung zu ihrem Vater aufbauen können. Angus Sullivan hatte früher in Eden Hill eine kleine Schmiede besessen, es aber nach dem Tod von Ellys Mutter dort nicht mehr ausgehalten und war in die Stadt gezogen. Elly hatte er auf Anraten ihrer Großmutter in Eden Hill gelassen, allerdings ohne deren Beweggründe zu kennen. Die alte Frau war eine Hexe und die Hüterin einer Dryade gewesen, und Elly hätte ihre Nachfolgerin werden sollen. Da Angus, im Gegensatz zu seinem Bruder Brian, die Magie der Familie nur passiv in sich trug hatte seine Mutter ihn nie darin eingeweiht und auch das Geheimnis der Dryade vor ihm bewahrt. Angus Wissen nach beschäftigte seine Mutter sich vor allem mit Kräuterkunde und ein paar schrulligen alten Bräuchen. Da ihre Großmutter nichts gegen Calebs Einweihung in ihre Welt gehabt hatte, hatte Elly sich früher oft gefragt, warum sie ihren eigenen Sohn so außen vor gelassen hatte. Inzwischen wunderte sie diese Entscheidung nicht mehr. Ihr Vater war ein durch und durch bodenständiger Mensch, der sich mit allem, was er nicht sehen und anfassen konnte, äußerst schwer tat. Das hatte sie in den vergangenen Monaten, in denen sie ihm Schritt für Schritt ihre Welt offenbart hatte, zur Kenntnis nehmen müssen. Dennoch hatte sie ihm die ganze Wahrheit erzählt, um die Beziehung zu ihm nicht durch Lügen zu gefährden und auch weil es durch die Dryade und den Elfenfürsten Valdir schon genug Lügen und Intrigen in ihrem Leben gegeben hatte. Diese leidige Geschichte war auch der hauptsächliche Grund für ihren und Calebs Umzug in die Stadt gewesen. Nachdem sie in deren Spiel um Macht und Rache hineingezogen worden war, brauchte sie dringend Abstand. Ihr Vater hielt sie nach ihren Eröffnungen zwar eher für eine Exzentrikerin, als für eine Hexe, aber da ihre Aufgabe als Hüterin ohnehin vom Tisch war, ließ sie ihm seine Illusion. Die Dryade lebte nicht mehr und ihr Sohn würde als halber Mensch keine Hüterin brauchte, sobald er erwachsen war. Damit war Elly frei, ihr Leben zu führen, wie sie es wollte. Sie mochte ihre Naturmagie, ihre Kräuter und Tinkturen durchaus noch. Sie war eine Hexe aus Leidenschaft und hatte die Magie auch in der Stadt nicht völlig aufgegeben. Nur von Baumgeistern, Elfen und anderen mystischen Wesen hatte sie für den Rest ihres Lebens genug. Mit Ausnahme von Varos. Den Halbelf mit dem Rabenfluch, vermisste sie wirklich. Sams Stimme holte sie aus ihren Grübeleien: „Hallo Elly. Danke, dass du so kurzfristig Zeit für mich hast. Ich brauche jetzt echt jemand zum Reden.“ Die Sorge um ihre Freundin ballte sich zu einem Klumpen in Ellys Brust. Die zierliche Schwarzhaarige wirkte am Boden zerstört und selbst ihre sonst so melodische Stimme klang irgendwie stumpf.
Elly sprang auf und ergriff bestürzt ihre Hände. „Mein Gott Sam, was ist denn passiert?“ Sam kämpfte sichtlich mit den Tränen, verlor den Kampf aber. Elly umarmte sie spontan und streichelte ihr den Rücken.
Schließlich brach es aus Sam heraus: „Sie wollen mich umschulen. Ich werde in irgendeiner Fabrik landen. Oh Elly so will ich nicht leben. Das wird mich verrückt machen.“ Sam so zu sehen brach Elly das Herz, aber sie war machtlos gegen deren Kummer, also streichelte sie weiterhin über deren Rücken und ließ sie weinen.
Varos erwachte aus seiner Erstarrung und schnappte empört nach Luft. „Wie bitte? Seit wann legst du Wert auf meine Gesellschaft und was zum Teufel willst du eigentlich hier?“ Als reinblütiger Elf war Valdirs Magie viel stärker als seine, aber im Moment war er viel zu wütend, um vernünftig darüber nachzudenken. Er konnte ihn zwar nicht besiegen, aber er würde ihm ein paar üble Beulen beibringen, ehe er zu Boden ging. Das hatte dieser Mistkerl sich redlich verdient. Zu Varos Überraschung erntete er jedoch lediglich ein schallendes Lachen.
Schließlich glätteten sich Valdirs Züge wieder und er mahnte: „Sei nicht so unverschämt. Zu deinem Glück habe ich heute gute Laune. Verdirb sie mir besser nicht. Ich habe dem Dryadenbastard eine Lektion erteilt und du wirst mir jetzt helfen, mein Ziel endgültig zu erreichen. Ruf deine Freundin Elly an und sag ihr, sie soll nach Eden Hill kommen. Sollte sie sich weigern, wird sie das Blut all ihrer Lieben an den Händen haben. Deines übrigens auch mein Sohn. Für Euren Betrug an mir habt ihr das mehr als verdient.“
„Welcher Betrug? Wir haben nur einem Kind das Leben gerettet. Du hattest deine Rache an der Dryade. Das Baby ist unschuldig.“ Valdirs Antwort bestand in einem Blick, unter dem Varos sich wie ein Kaninchen vor einer Schlange zu fühlen begann. Dabei hätte allerhöchstens Varos das Recht auf so einen Blick gehabt. Schließlich hatte sein Vater ihn vor drei Jahrhunderten zurückgelassen, als er mit seiner Geliebten in die Elfenwelt geflohen war. Da seine Eltern eine Vernunftehe geführt hatten, wäre das nicht weiters tragisch gewesen, wenn die junge Frau nicht die Hüterin der Dryade gewesen wäre. Über den Verrat ihrer Dienerin außer sich vor Rachsucht hatte der Baumgeist das Portal verschlossen, Varos verflucht und seine Mutter ermordet. Als der Magier Valdir vor einem Jahr die Rückkehr ermöglicht hatte, hatte der für Varos weder Vaterliebe noch Mitleid übrig gehabt. Ganz im Gegenteil, er hatte ihn sogar noch als Werkzeug benutzt, um Elly auf seine Seite zu ziehen. All das in Betracht gezogen zweifelte er nicht an den Mordabsichten seines Vaters, falls er seinen Willen nicht bekommen sollte. Ohne Zweifel würden dessen Pläne Elly allerdings schon wieder in Gefahr bringen und das wollte er seiner Freundin nicht antun. Nur leider fiel ihm absolut keine andere Lösung ein. Im Kampf konnte er gegen Valdir nicht bestehen und reinlegen würde der raffinierte Intrigant sich auch nicht lassen. Während Varos Gedanken auf der Suche nach einem Schlupfloch rasten, kam Valdir mit langsamen Schritten auf ihn zu und mit jedem davon spürte er dessen Magie mehr. Sie strich über Varos Haut und hinterließ ein unangenehmes Prickeln, das bei noch mehr Magie Qualen versprach. Es war ganz klar eine Drohung. Dennoch verharrte Varos auf seiner Position, um keine Schwäche zu zeigen. Valdir blieb stehen und musterte ihn kalt, als ob er ein besonders interessantes Studienobjekt wäre.
Nach einer gefühlten Ewigkeit verzogen sich seine Lippen zu einem anerkennenden Lächeln. „Du hast Rückgrat. Wie es scheint, hast du doch ein paar Eigenschaften von mir geerbt. Jetzt entspann dich. Ihr könnt alle weiterleben, wenn sie vernünftig ist.“
„Was willst du von ihr?“
Der Elf vertiefte sein Lächeln, bis es einen sinnlichen Touch bekam. „Elly natürlich. Jetzt sei so gut und ruf sie an, bevor ich noch jemand wehtun muss.“
Bei ihrer Rückkehr in das kleine Cottage ihres Vaters war Elly bedrückt, weil ihr noch immer keine Lösung für Sams Problem eingefallen war. Leider versprach Calebs ernste Miene keine Aufmunterung. Er erhob sich und seufzte: „Varos und deine Großmutter haben angerufen und bitten um deine Hilfe.“
Ihr Magen verwandelte sich endgültig in einen Eisklumpen. „Was ist los?“
„Valdir ist wieder da. Erst hat er Adam schwer verletzt und nun ist er auf der Burg und droht alle zu töten, die dir etwas bedeuten, falls du nicht zu ihm kommst.“ Ein Zittern erfasste sie und alles, was sie im vergangenen Jahr zu erreicht haben glaubte, verpuffte wie eine Illusion. Du gehörst zu mir, hatte Valdir damals im Hain zu ihr gesagt, ehe er im Glauben, sie würde ihn für die Rettung Eden Hills brauchen, in seine Welt zurückgekehrt war. Da sie die Natur an Adam gebunden hatte, war das nicht nötig gewesen. Obwohl nur zur Hälfte Dryade, reichte Adams Einfluss auf das Land aus, um die Natur von Eden Hill im Gleichgewicht zu halten. Sie hatte immer gehofft, der Elf würde sich zu wenig für das Städtchen interessieren, um die Wahrheit zu erfahren. Doch da hatte sie sich offenbar geirrt. „Was will er denn von dir? Ich dachte, er hat dich nur für seine Rache an der Dryade gebraucht?“ Sie zuckte schuldbewusst zusammen. Was genau Valdir von ihr wollte, wusste sie zwar nicht, aber da er sie vor einem Jahr die ganze Zeit über umschmeichelt und in seine Welt hatte mitnehmen wollen, hatte sie eine recht konkrete Ahnung. Von Valdirs Gegenwart erlöst und in Anbetracht von Calebs Eifersucht auf Varos hatte sie ihm diese Details ihrer Bekanntschaft mit dem Fürsten verschwiegen, um ihn nicht zu beunruhigen. Da sie diese nette Lüge nun jedoch eingeholt hatte, stand vermutlich ein unangenehmes Gespräch ins Haus. Verdammter Valdir. Sie musterte ihn, verzweifelt nach den richtige Worten suchend. Sein braunes Haar war wie immer verwuschelt und zusammen mit seinen schokoladenbraunen Augen wirkte er damit immer ein wenig wie ein übermütiger Lausejunge. Im Moment war von dieser Unbeschwertheit jedoch nichts zu sehen. Er erwiderte ihren Blick besorgt und forderte: „Jetzt rede doch endlich.“
„Ich dachte nicht, ihn jemals wiederzusehen, und wollte nicht, dass du dir Sorgen machst. Ich … Er wollte mich damals in seine Welt mitnehmen.“
Er sog scharf die Luft ein und in seine Augen trat ein verletzter Ausdruck. „So etwas verschweigst du mir? Was noch? Hat er dir vielleicht auch noch einen Antrag gemacht?“ Sie antwortete ihm nicht, doch ihr schuldbewusstes Zusammenzucken sagte ihm vermutlich mehr als alle Worte es vermocht hätten. Wut gesellte sich zu den anderen Gefühlen auf seinem Gesicht. „Wer zum Teufel bin ich eigentlich für dich Elly? Ich dachte, wir wären jetzt Partner. Fahr nach Eden Hill und bis ich in ein paar Tagen nachkommen kann, solltest du dir überlegen, ob du überhaupt einen normalen Menschen an deiner Seite haben willst.“
„Caleb, ich liebe dich“, stieß sie hervor.
„Aber offenbar vertraust du mir nicht. Ich liebe dich Elly, sogar mehr als mein Leben. Aber ich kann nicht mit einer Frau zusammen sein, die mich von einem Teil ihres Lebens fernhält.“ Bevor sie antworteten konnte ging er an ihr vorbei, zur Tür hinaus. Elly blieb innerlich wie ausgehöhlt an Ort und Stelle, während ihre Augen überflossen und Träne um Träne ihre Wangen hinablief. Ihr Vater trat zu ihr, zog sie in eine warme Umarmung und wiegte sie wie ein kleines Kind.
2. Kapitel
Einen Tag später in Eden Hill
Elly stieg nach der langen Fahrt, mit steifen Gliedern aus dem Bus. Die einzige Haltestelle in Eden Hill befand sich direkt vor dem Pub und es wäre naheliegend gewesen, ihre zukünftige Schwiegermutter zu besuchen. Sie brachte es allerdings nicht über sich. Nicht ehe sie wusste, ob Caleb ihr vergeben würde. Sie hatte Caleb schützen wollen, ihn so aber erst recht verletzt. Seine Vergebung war mehr als fraglich, zumal diese Krise sie wieder in die Nähe des Elfenfürsten führen würde. Auch der Gedanke an ihre Freundin Sam, die sie mit ihren Problemen alleine in Inverness zurückgelassen hatte, stimmte sie nicht gerade fröhlich, ganz zu schweigen von der Krise hier. Elly ließ deprimiert die Schultern hängen, weil sie sich einfach nur unglaublich müde und verzweifelt fühlte. Am besten sie machte sich sofort auf den Weg zu ihrer Großmutter, auch wenn der breite Marsch dank des Wetters ungemütlich werden würde. Seit der Bus in die Nähe von Eden Hill gekommen war, regnete es in Strömen und wollte einfach nicht aufhören. Sie spannte ihren Schirm auf, und machte sich auf den Weg.
Die Kälte und der aufgeweichte Weg, den niemand jemals asphaltiert hatte, machten jeden Schritt zur Qual. Aber das war immer noch besser, als an die Gefahr, die von Valdir ausging, oder an ihre Beziehungskrise zu denken. Das Geräusch eines haltenden Wagens lenkte ihren Blick auf die Straße. Ein ihr nur allzu bekannter Geländewagen hatte neben ihr gehalten, in dem ausgerechnet Jake Erikson saß. Vor dem Verrat der Dryade war er ihr Liebhaber gewesen und sie hatte gedacht, ihr Leben mit ihm verbringen zu wollen. Eine von vielen Illusionen, die seither geplatzt waren. Er öffnete das Fenster und rief: „Du willst bestimmt zu deiner Großmutter. Ich fahr dich hin, ehe du noch erfrierst.“ Elly seufzte innerlich auf. Das Schicksal hatte wirklich einen makaberen Humor, ihr gerade ihren Ex vorbei zu schicken. Aber ihr war entschieden zu kalt, um stolz zu sein, also umrundete sie den Wagen und stieg ein. Ihre einstige Schwärmerei für den blonden Adonis war je verflogen, als sie ihn in flagranti mit der Dryade ertappt hatte. Das war allerdings nicht seine Schuld gewesen, weil der Baumgeist ihn mit einem Zauber zu sich gelockt und verführt hatte. Da dieser Bann dummerweise nur bei Männern wirkte, die nicht ernsthaft verliebt waren, hatte ihr das Jakes mangelnde Gefühle für sie vor Augen geführt. Somit war Elly von einem Tag auf den anderen nicht nur mit dem Verrat der Dryade und ihrer Großmutter, sondern auch noch mit dem Ende ihrer Beziehung konfrontiert gewesen. Rückblickend gesehen war es gut so, weil sie sonst nie mit Caleb zusammengekommen wäre, aber peinlich war die Situation allemal.
Nach einer in unbehaglichem Schweigen verbrachten Fahrt hielt er vor ihrem Ziel. Doch als sie aussteigen wollte, räusperte er sich und murmelte: „Wegen dem Vorfall damals. Was ich gleich sage, wird sich vermutlich wie eine dumme Ausrede anhören, aber es ist die Wahrheit. Ich kann mich nicht mehr erinnern. Ich meine an den Vorfall selbst schon, aber ich habe keinen Schimmer, wie ich überhaupt dorthin gekommen bin, warum ich es getan habe, oder wie die Frau genau ausgesehen hat. Es ist, als ob ich bei deinem Eintreffen erst aufgewacht wäre. Keine Ahnung, was an diesem Tag mit mir los war, aber davor habe ich dich nie betrogen, oder auch nur daran gedacht. So etwas ist nicht meine Art.“ Er verstummte mit einem ratlosen Gesichtsausdruck und sah sie fragend an. Sie hätte ihm sagen können, dass er sich wegen eines Zauberbanns so verhalten hatte und die Frau ein Baumgeist gewesen war, aber das hätte er ihr nie geglaubt.
Also ignorierte sie die Frage in seinen Augen und seufzte: „Lass es gut sein. Ob sie dir nun etwas in den Drink geschüttet hat, oder du einfach einen miesen Tag hattest, ist schlussendlich egal. Ganz offenbar waren wir nicht so verliebt, wie wir gedacht haben. Andernfalls wärst du nicht auf diese Frau reingefallen und ich wäre anschließend nicht so schnell mit Caleb zusammengekommen. Nehmen wir den Vorfall als Wink des Schicksals, der uns eine unglückliche Ehe erspart hat.“
„Vielleicht hast du recht. Dennoch bist du eine tolle Frau und ich habe dich sehr gern. Siehst du eine Chance, dass wir wenigstens Freunde sein können? Sobald ich nach dem Studium nach Inverness ziehe, könnten wir uns auch wieder öfter sehen.“ Du lieber Himmel, das wurde ja immer verrückter. Da Jake sie nicht willentlich betrogen hatte, wäre es ziemlich unfair, ihn für den Trick der Dryade mit Ablehnung zu bestrafen. Es war allerdings zu bezweifeln, ob Caleb mit dieser Freundschaft glücklich sein würde. Wenn sie allerdings begann, Leute zu schneiden, weil es praktischer für sie war, würde sie irgendwann auf dem Weg ihres Onkels landen und dort wollte sie auf keinen Fall hin.
Also zwang sie ein Lächeln auf ihre Lippen. „Wir können es versuchen.“
Caleb fühlte sich wie erschlagen, und das lag nicht nur an der Flasche Whiskey, die er am Vorabend vernichtet hatte. Ellys Hexenkräfte waren nie ein Problem für ihn gewesen, ebenso wenig wie ihre Rolle als zukünftige Hüterin, was inzwischen ohnehin vom Tisch war. Er war seit seinen Kindertagen ein häufiger Gast im Haus der Sullivans gewesen und so mit deren magischer Welt aufgewachsen. Er liebte Elly, seit er zurückdenken konnte. Zuerst als Freundin und später als Frau. Fast getötet zu werden, war ein Preis, den er gern bezahlt hatte, um endlich mit ihr zusammen sein zu können. Aber jetzt zu erfahren, dass sie ihm so entscheidende Dinge wie das Angebot des Elfs verheimlicht hatte, war niederschmetternd. Er zweifelte gar nicht an ihrer Zuneigung, doch wenn sie dachte, er könne diese Informationen nicht verkraften, nahm sie ihn offenbar nicht für voll. Was leider den Verdacht nahe legte, dass sie sich irgendwann jemand zuwenden würde, den sie für weniger hilflos hielt. Vor allem in seinem besoffenen Zustand vergangene Nacht hatte ihn diese Angst nicht losgelassen und er hatte sich immer weiter volllaufen lassen, bis der Wirt ihn nicht mehr ganz so höflich gebeten hatte, doch endlich zu gehen. Er erinnerte sich dunkel daran, bei seinem Kollegen in der Nacht Sturm geläutet zu haben. Der hatte sich wohl erbarmt und ihn auf der Couch einquartiert, da lag er nun nämlich. Er quälte sich hoch und sah sich suchend um. Von seinem Freund war nichts zu sehen, vermutlich, weil er schon bei der Arbeit war. Zum Glück hatte Caleb heute erst die Nachmittagsschicht.
Während er sich zum Haus von Ellys Vater schleppte, rotierten seine Gedanken förmlich. Er war zwar immer noch wütend und verletzt, aber inzwischen hatte sich noch Angst dazugesellt. Im Affekt zu sagen, sie solle sich entscheiden, ob sie ihn überhaupt wollen würde, war eine Sache, aber es durchzuziehen eine andere. Als er in seinem erbärmlichen Zustand endlich sein Ziel erreicht hatte, war ihm eines völlig klar, er konnte Elly nicht einfach aufgeben. Er musste ihr klarmachen, dass er kein hilfloses Baby, sondern ihr Partner war und sie das alles gemeinsam schaffen würden. Dummerweise musste er noch drei Tage arbeiten, ehe er sich Urlaub nehmen konnte. Im Haus schnappte er sich einige Eiswürfel, schlug sie in ein Tuch ein, klatschte sie sich auf die pochende Stirn und hoffte nicht schon von ihr abgeschrieben worden zu sein.
Sam riss schweren Herzens den Brief vom Arbeitsamt auf und begann zu lesen.
Sehr geehrte Miss Clarks
Publisher: BookRix GmbH & Co. KG
Text: Renate Blieberger
Cover: Photodesign Rene` Brandes Zur Lustgartenbreite 4a 39365 Harbke Deutschland www.renebrandes.de
Publication Date: 06-28-2023
ISBN: 978-3-7554-4562-3
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