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Kapitel 14 - Rowan



Den ganzen Tag war Rowan mit den Planungen für die Reise zu den Vereinigten Königreichen beschäftigt. Gelder mussten vergeben, die Reiseroute geplant und die besten Soldaten ausgewählt werden. Nun, zum ersten Mal seit drei Tagen, konnte er sich ausruhen und endlich wieder in seinem Schlafgemach ein wenig Entspannung und Schlaf suchen. Müde ging er den Flur entlang. Erleichtert erblickte er die Tür, die in das Schlafgemach von ihm und seiner… Frau führte, eine Sache, an die Rowan sich immer noch gewöhnen musste. Sofort beim Betreten der Kammer bemerkte er, dass etwas anders war. Und er sah auch schon bald, was es war. Amelia kam nicht sofort auf ihn zu, oder begrüßte ihn zumindest. Sie saß einfach nur an ihrem Schreibtisch, mit dem Rücken zu ihm, und tat nichts. Einen Moment blieb Rowan unentschlossen stehen. Dann räusperte er sich. „Guten Abend.“, sagte er so nett und einladend wie er konnte. Keine Reaktion. „Wie war dein Tag…?“, versuchte er es weiter, aber Amelia blieb still sitzen. Das konnte nur eines bedeuten.
„Also schön. Was habe ich angestellt?"
Da stand Amelia auf. Ganz langsam. In der gleichen Geschwindigkeit drehte sie sich um und ging auf ihn zu. Mit einigen Schritten Abstand blieb sie schließlich stehen. „Du wirst fortgehen. Du wirst fortgehen und hieltest es nicht einmal für nötig, mich darüber zu informieren.“ Er sah, wie sich Tränen in ihren Augen bildeten, aber bevor Rowan reagieren oder sie anfangen konnte, zu weinen, ging sie gemäßigten Schrittes aus dem Zimmer. Einen Augenblick blieb er fassungslos stehen. Dann lief er ihr hinterher. „Amelia! Ich wollte es dir erzählen!“ Sie drehte sich nicht um und ging ganz ruhig weiter. „Ach ja, und wann?“, ihre Stimme klang neutral, doch Rowan hörte ihren Zorn heraus. „Am Tage deiner Abreise?“ „Nein, heute Abend, ganz sicher!“ Amelia blieb stehen, ihr ganzer Körper war angespannt. Links und rechts von sich hörte er die Bediensteten flüstern, doch das interessierte ihn gerade nicht weiter. Amelia drehte sich um, blickte ihm tief in die Augen und sagte nur: „Du warst zu langsam.“ Dann ging sie auf eine Tür zu ihrer linken, ihr altes Schlafgemach, öffnete es und trat hinein. Er hörte es von ihnen klicken. Sie hatte ihn ausgesperrt.

Statt ins Zimmer zu gehen, verließ er das Schloss durch einen nahe gelegenen Ausgang. Die Sterne waren bereits am Himmel zu sehen und legten die Welt in ein schummriges Licht. Der Mond war heute kaum zu sehen, und die Fenster des Schlosses leuchteten Dafür umso heller. Er ging einmal um das Schloss herum. In der Küche waren noch Küchengehilfen zu sehen, die Geschirr säuberten oder aufräumten. Im Salon sah er den König einsam am Kamin sitzen, und Rowan fragte sich, was im wohl durch den Kopf schwebte. Er kam an die kleinen Fenster der Wäscherei, in der die Frauen am Tage sämtliche Kleidung reinigten. Dann kam er an die Seite der Bibliothek. Normalerweise lag dieser Bereich um die Uhrzeit im Dunkeln, doch nicht heute. Jemand hatte einige Fenster entfernt eine Kerze entzündet, deren sanftes Licht nach draußen schien.
Neugierig näherte sich Rowan. Er musste sich auf die Zehenspitzen stellen, um durch die hohen Fenster sehen zu können. Nah am Fenster standen die Lesepulte, um das Tageslicht zu nutzen. Ganz vorn saß eine Gestalt. Die Kerze stand in der Mitte des Tisches, davor lag ein dickes Buch. Die Gestalt war zierlich, es musste sich um eine Frau handeln, denn sie trug ein Kleid. Die Frau hatte lange Haare, die im schwachen Kerzenschein braun-golden glänzten… Rowan stockte der Atem.
Es war das Mädchen, das er so lange gesucht hatte! Was tat sie mitten in der Nacht in der Königlichen Bibliothek? Hatte sie sich Zutritt verschafft? Sie nun wieder zu sehen, war sehr merkwürdig für ihn. Tagelang hatte er die Ställe beobachtet, aber sie war nicht mehr gekommen und er fürchtete schon, sie wäre abgereist. Doch nun… neue Hoffnung stieg in ihm auf. Vielleicht konnte er sie doch noch kennen lernen… Schnell drehte er sich, um vom Fenster weg zu treten und die nächste Eingangstür zu erreichen. Er musste in die Bibliothek.
Am Eingang der Bücherei war es dunkel. Das Kerzenlicht drang wohl nicht bis hier hin. Langsam und leise näherte er sich der Stelle, die er vom Fenster aus beobachtet hatte und wo das Mädchen sitzen musste. Es hatte doch länger gedauert als erwartet, bis er den richtigen Weg gefunden hatte. Er hatte einen ziemlichen Umweg gehen müssen und hoffte, das Mädchen wäre immer noch da. Tatsächlich sah er das Licht, als er sich der Stelle näherte. Auch das Mädchen war noch anwesend. Doch sie las nicht mehr. Sie lag nun mit dem Kopf auf dem Buch und schlief.
Einen Moment genoss er diesen Moment. Besser hätte ihr Treffen nicht anfangen können. Sie, als kleine Verbrecherin, in flagranti erwischt bei einer Tat die er ihr aber gönnerhaft verzeihen würde. Sie würde ihm dankbar dafür sein und ihm vertrauen, denn er würde sie nicht verraten. Außerdem konnte er sie wecken.
„Bücher sind sehr bequem als Kopfkissen, nicht wahr?“, sagte er halblaut und schmunzelte dabei.
Die junge Frau schreckte hoch. Schnell wandte sie den Kopf in die Richtung, aus der die Stimme kam und sah direkt in seine Augen. Rowan sah sie zum ersten Mal. Sie waren eigenartig. Grün wie ein Wald in seiner Heimat und tief wie das Meer. Sie schienen tausend Geheimnisse zu verbergen und ihr Blick war so durchdringend, dass man meinen könnte, sie würde genau so viele aufdecken. Im Moment war sie allerdings am meisten überrascht, und das sah man ihr auch an.
„Ja…“, sagte sie schließlich, während sie ihn nun mit neuem Misstrauen anblickte.
Einen Moment lang war es Rowan, der nun verwirrt guckte. Ja? Was meinte sie damit? Dann erst begriff er, dass es eine Antwort auf seine Frage war. Da sie nichts weiter sagte, machte er auch den nächsten Schritt. „Wie seid Ihr hier hereingekommen? Die Tür ist immer verschlossen.“ Sein Gegenüber zog eine Augenbraue hoch.
„Dasselbe könnte ich Euch auch fragen.“, sagte sie sachlich. Rowan blickte sie leicht amüsiert an. Sie war clever, das gefiel ihm. Und noch mehr gefiel ihm, dass sie scheinbar nicht wusste, wer er war.
„Würdet Ihr mir Euren Namen verraten?“
Sie überlegte einen Moment, dann schien sie zu dem Schluss gekommen zu sein, dass es nicht schaden konnte.“
„Larija.“
Welch ein außergewöhnlicher Name. Larija… Und doch, er passte zu ihr. Denn sie war ebenfalls voll und ganz außergewöhnlich. Ebenfalls deshalb, weil sie nur ihren Vornamen nannte. Aber Schutz würde es ihr keinen geben. Ihr Name war so einzigartig, dass man davon ausgehen konnte, sie zu finden, wenn man nach dem Namen fragte.
„Freut mich, Euch kennen zu lernen, Larija.“
„Und euer Name wäre…?“ Noch immer sah sie ihn Misstrauisch an. Das gefiel Rowan nicht. Er wollte sie wieder lächeln sehen.
„Perigan.“, sagte er mit einem leichten Lächeln und ohne zu zögern, als ob dies wirklich sein Name wäre. „Meine Freunde nennen mich Perry. Und keine Angst“, fügte er noch hinzu und versuchte, besonders vertrauenswürdig zu gucken. „Ich werde Euch nicht verraten.“
„Ebenso wenig wie ich Euch, Perigan.“ Ein kleines, freches Lächeln stahl sich auf ihr Gesicht, und selbst bei dem schwachen Licht raubte es Rowan den Atem. Aber es reichte ihm nicht. Er wollte mehr. „Welch ein Buch habt Ihr gelesen?“, fragte er, um das Gespräch wieder in Gang zu bringen. Larijas Blick wanderte zu dem Buch, das sie hastig in die Hände nahm und hinter ihrem schmalen Rücken verbarg. „Das Buch, ja…“, murmelte sie dabei und machte einen Schritt zurück. „Ich sollte es wohl besser zurück stellen…“ Rowan wollte nicht, dass sie von ihm fort ging, aber gleichzeitig war er so entzückt von ihrer klaren, klingenden Stimme, dass er sich nicht bewegen konnte.
Einen Augenblick später war sie wieder da und stand unbeholfen da. Anscheinend wusste sie nicht, was sie wollte. Auch das freute Rowan. „Also… was wollt Ihr jetzt tun, da Ihr mich erwischt und dennoch nicht verraten habt?“ Es überraschte Rowan, dass Larija es war, die diese Frage ausgesprochen hatte und nicht er selbst. Aber es war eine gute Frage. Was sollte er darauf antworten? „Nun, um ehrlich zu sein habe ich mir noch keine Gedanken darüber gemacht. Aber was hieltet Ihr davon, wenn wir ein wenig spazieren gingen? Oder ausreiten? Ich kenne einen sehr schönen Platz, und schlafen kann ich heute Nacht eh nicht mehr.“ Er musste sich ein Lächeln verkneifen bei dem Platz, den er sich ausgesucht hatte.
„Ich denke, mir wird es genauso ergehen.“, antwortete Larija munter und ein Lächeln stahl sich in ihr Gesicht. Wieder war Rowan für einen Moment geblendet.
„Dann lasst uns ausreiten!“, sagte er voller Energie, und fühlte sich großartig.
„Ich… müsste allerdings vorher ein anderes Kleid anziehen“, murmelte Larija und errötete leicht, was Rowan unglaublich entzückend fand. „Dann treffen wir uns am Besten danach am Stall?“, fragte er und blickte sie erwartungsvoll an.
„Also gut.“



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Publication Date: 02-07-2011

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