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Kapitel 9 - Amelia



Er ging ihr aus dem Weg. Er sagte es nicht. Wenn sie sich begegneten, war er immer höflich und zuvorkommend. Und wenn sie sich verabredeten, was inzwischen zu einer Seltenheit geworden war, dann kam er auch. Es lag auch nicht an seiner Art, er war eigentlich genau so wie zuvor. Nein, sie spürte es einfach. Und jeder im Schloss konnte ihr sagen, dass sie damit Recht hatte. „Amelia, der Hoflehrer wartet bereits.“ „Mh?“ Birgit schüttelte sanft den Kopf. „Euer Lehrer – er erwartet Euch.“ „Oh, ja. Vielen Dank.“ Missmutig machte sich Amelia auf den Weg ins Lehrzimmer. Immer wieder Unterricht, Unterricht, Unterricht. Aber nicht nur solchen, wie ihn alle anderen Adeligen auch haben, nein. Sie musste lernen, wie man eine Königin ist. Und seit neuestem: eine gute Ehefrau. Das lernte sie natürlich nicht von ihrem Hauslehrer, einem strengen, aber gütigen Mann, sondern von einer alten Freundin, die sie gleichzeitig in Umgangsformen unterrichtete. Außerdem traf sie sich regelmäßig mit ihrem Vater, der ihr in allen Einzelheiten die Rechte und Pflichten einer Königin erklärte. Überall war Pflicht, nirgends war Freizeit. Zu dem musste sie nun noch einen Ball vorbereiten, der zu Ehren des neuen Königspaares gehalten wurde. Arbeit, Arbeit, Arbeit. Manchmal, wenn sie in der Bibliothek saß und lernte, beneidete sie Larija, die draußen im Schlossgarten herumstromerte. Amelia wusste, dass Larija es hier, ohne ihre Eltern, weit weg von ihrer Heimat und ohne jegliche Erinnerung sehr, sehr schwer haben musste. Und dennoch…
Die Tage vergingen, und Amelia sah weder Larija noch Rowan, der auf einer Reise in sein Land war. Heute jedoch war der Tag seiner Rückkehr und ob sie es wollte oder nicht, Amelia war schrecklich nervös. Was würde er tun, wenn er sie sah? Würde das Eis zwischen ihnen geschmolzen oder eher noch dicker geworden sein? Schon beim Morgengrauen war sie wach gewesen. Eine Weile hatte sie noch unruhig in ihrem Bett gelegen, dann war sie aufgestanden und ihrem üblichen Tagwerk nachgegangen. Nie war die Zeit langsamer vergangen. Anschließend hatte sie sich gründlich gewaschen und eines ihrer neuen Kleider angezogen, ein schlicht aquamarinblaues. Dann, am späten Nachmittag, war sie hinaus in den Schlosshof gegangen und hatte dort auf Rowan gewartet. Irgendwann kam Larija. Sie hatte sich Stina ausgeliehen, die Stute, mit der Amelia früher immer geritten war. Ziemlich ungelenk saß sie im Sattel, sodass man sofort den Eindruck hatte, sie sei langes Reiten nicht gewöhnt. Amelia verkniff sich ein leises Lachen und ging zu ihr hinüber. „Guten Tag, Larija.“, sagte sie. Schnell drehte Larija sich um. Es war ziemlich offensichtlich, dass sie sich erschrocken hatte. Dieses Mal konnte sich Amelia ein kleines Lächeln nicht verkneifen. „Amelia! Wie geht es dir? Wir haben uns schon so lange nicht mehr gesehen… Du hast ziemlich viel zu tun, was?“ „Ja, im Moment schon. Es gibt so viel zu lernen und vorzubereiten…“ Larijas Gesichtsausdruck wurde nachdenklich. „Ja, das kenne ich sehr gut…“, sagte sie gedankenverloren, und Amelia fragte sich, woran sie wohl dachte. Wieder sah sie zum Tor, und Larija folgte ihrem Blick. „Erwartest du jemanden…?“, fragte sie neugierig. Amelia wurde rot. „Na ja…“. „Ah, ich verstehe schon!“, lachte Larija. „Ich bin schon weg. Das heißt… hast du morgen etwas Zeit? Du musst mir erzählen, wie euer Wiedersehen war!“ Amelia lächelte. Sie mochte Larija, auch, wenn sie gleichzeitig etwas zu neugierig und selber zu geheimnisvoll war. „Gut. Ich erwarte dich morgen beim Essen. So gegen ein Uhr?“ „Klingt gut!“, antwortete Larija fröhlich und ging ins Schloss. Wenigstens einer von uns hatte heute einen schönen Tag, dachte Amelia missmutig und setzte sich wieder auf die Stufen vor dem Eingang. Der letzte Sonnenstrahl des Tages färbte gerade den Himmel rot, als Rowan auf den Schlosshof ritt. Amelia erkannte ihn sofort. Sie sprang auf, blieb jedoch stehen, wo sie war. Dann sah er sie. Er stockte mitten in der Bewegung. Irgendwie sah er anders aus, stellte Amelia fest. Besser. Entschlossener. Einen kleinen Moment zögerte er, dann lächelte er ihr zu. Amelias Herz beschleunigte sich und sie lächelte zurück. Er blieb noch einen Moment stehen, dann bedeutete er ihr, zu warten, und führte sein Pferd in den Stall. Sofort kam er wieder heraus und schloss Amelia, die ihm inzwischen entgegen gelaufen war, in seine starken Arme.


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Text: Titelbild von der Seite www.skyscrapercity.com Die Rechte für den Inhalt liegen bei mir.
Publication Date: 06-07-2010

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