Kapitel 8 - Rowan
Er mochte sie. Ja, er mochte Amelia wirklich. Aber ob es Liebe war, konnte er wirklich nicht sagen. Über solcherlei Dinge dachte Rowan nach, als er zurück nach Verderis ritt. Zurück zu seiner Frau… Allein der Gedanke machte ihn schrecklich nervös und er wäre am Liebsten auf der Stelle umgekehrt. Seine Frau… Als Eheleute hatten sie gewisse Verpflichtungen, vor allen Dingen aber als König und Königin. Und diesen Pflichten konnten sie beide nicht nachgehen, wenn Rowan sich nicht überwinden konnte. Er war Amelia nach der Hochzeit bisher aus dem Weg gegangen. Er wusste nicht mehr, was er denken, was er fühlen sollte. Er hatte sie beobachtet, als er erfahren hatte, dass er sie heiraten sollte. Er wollte sie erst kennen lernen. Rowan hatte befürchtet, dass sie eine aufgeblasene und eingebildete Prinzessin wäre, die sich von vorne bis hinten bedienen lässt, aber dem war nicht so. Er war von Anfang an sehr beeindruckt von der Prinzessin gewesen, und er hatte sie sehr zu schätzen gelernt… Aber reichte das?
Sein Pferd galoppierte über eine sehr unstabil aussehende Brücke und für einen Moment musste Rowan sich konzentrieren, dann streiften seine Gedanken wieder ab, zu einem anderen Thema. Der Grund dieser Hochzeit war der gewesen, dass der König Unterstützung für den Krieg gegen die Vereinigten Königreiche benötigt. Und Rowans Vater war ebenfalls für diesen Krieg. Die Hochzeit hat die Länder vereint und die Macht stabilisiert. Wie stehe ich zu dem Krieg, fragte sich Rowan. Ist es für eine gute Sache?
Inzwischen war er nur noch gut zwei Stunden vom Schloss des Königs entfernt. Aber er war noch nicht bereit für das Wiedersehen mit Amelia und Ronaín. Deshalb beschloss er, einen kleinen Abstecher zur Kriegerschlucht zu machen. Wenn er sich etwas beeilte und nicht allzu lange dort verweilte, würde er immer noch vor Beginn der Nacht angekommen sein. Brav reagierte sein Pferd auf die Richtungsänderung, und schon bald konnte er den Weg erkennen, auf dem er früher so oft lang geritten war.
Das letzte Stück ging er zu Fuß. Mit ausgestreckten Armen, mit jeder Hand eine Pflanze berührend, trat er auf die Lichtung.
Und dann sah er sie.
Wie geblendet blieb Rowan stehen. Er konnte nichts weiter tun, als die Engelsgleiche Gestalt anzustarren. Sie stand dort am Rande des Abgrunds. Hinter ihr ging gerade die Sonne unter. Ihr Haar, das in dem Licht so golden wirkte wie der Morgen, glänzte und wehte sanft im Wind. Es umrahmte ihr rundes Gesicht und betonte ihre vollen Lippen, die sich zu einem kleinen Lächeln verzogen hatten. Ihre Augen waren geschlossen, also sah sie Rowan nicht, aber er wünschte, sie würde ihn sehen und er wünschte, ihr Lächeln hätte ihm gegolten.
Reflexartig trat er einen Schritt zurück in den Schatten der Bäume. Das Mädchen öffnete die Augen, in ihnen lag nun ein wehmütiger Blick. Zu gern wäre Rowan auf sie zugegangen und hätte sie gefragt, was sie beschäftigt. Stattdessen blieb er, wo er war und sah zu, wie sie zu einer kleinen Stute ging, sie sanft am Kopf streichelte und dann ungeschickt aufsaß. Sonderbar, dachte Rowan. Sie reitet nicht im Damensitz. Weshalb? Er sah dem Mädchen hinterher, als es langsam und vorsichtig davon ritt.
Zu spät bemerkte Rowan, dass sein eigenes Pferd weit entfernt stand, sodass er ihr nun nicht mehr folgen konnte. Verärgert und enttäuscht schlug er mit der Faust gegen einen Baum. Warum war er nicht zu ihr gegangen, als er noch die Möglichkeit dazu hatte? Nun sah er sie wahrscheinlich nie wieder.
Traurig machte er sich auf den Heimweg. Unterwegs fiel ihm auf, dass er sich eigentlich gar nicht für das Mädchen interessieren dürfte. Aber er interessierte sich ja auch sicher nicht in der Art für sie. Es hatte ihn eben neugierig gemacht, dass sie nicht wie die anderen ritt. Und auch nicht wie die anderen aussah. Und wie die anderen wirkte. Kurz, sie hatte ihn interessiert, weil sie eben nicht war wie alle anderen – war das so schlimm?
Mit schlechtem Gewissen ritt er weiter. Nun wollte er erst recht nicht Amelia wieder sehen, Amelia, die ihn wahrscheinlich liebte. Und er, was empfand er? In dem Moment begriff Rowan, dass er ewig zweifeln würde, wenn er sich nicht langsam mit der Situation anfreunden würde. Er war nun mal verheiratet, dagegen konnte man nichts machen. Und Amelia war eine sehr gebildete, kluge und wunderschöne junge Frau. Es hätte ihn viel schlimmer treffen können. Es hatte keinen Zweck, sich noch länger gegen das Schicksal aufzulehnen, die Begegnung mit dem Mädchen hatte es ja gezeigt. Sie war da gewesen, die perfekte Frau, und er hatte sie ziehen lassen. Nun würde er zu Amelia zurückkehren und er wusste genau, was er zu tun hatte. Solchermaßen entschlossen ritt er etwas schneller. Gerade als der letzte Sonnenstrahl über dem Horizont verblasste, betrat er den Schlosshof.
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Publication Date: 06-04-2010
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