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Kapitel 3 - Larija



Larija stand auf und ging auf Ari zu. Diese bemerkte Larija zuerst nicht, dann aber sah sie sie und ein verwunderter Ausdruck glitt über ihr Gesicht. Dann lächelte sie und kam auf Larija zugelaufen. „Oh, La! Ich hab mir solche Sorgen um dich gemacht!“
Nun kamen sie wieder, die Tränen. Larija weinte, wie noch niemals zuvor und Ari hielt sie in ihren Armen, ganz fest, aber ahnungslos. „La… Möchtest du jetzt drüber reden? Komm, lass uns erst einmal zu mir gehen.“ Larija nickte schwach, dann liefen wieder die Tränen. Langsam und vorsichtig führte Ari ihre Freundin die Straße hinunter. Vor einem kleinen Haus, eingequetscht zwischen den Hochhäusern, blieb Ari stehen. Larija blickte sich um, hinter dem Tränenschleier konnte sie jedoch kaum etwas erkennen. „Da wohnst du?“, krächzte sie. Sie war noch nie bei Ari zu Hause gewesen. Sie gingen durch die Tür und betraten den Raum. Es war klein, eng und voll gestopft mit Dingen. Anders als bei Larija gab es hier anscheinend nicht genug Platz. Trotzdem wirkte es insgesamt sehr gemütlich. Ari führte Larija die Treppe hoch und in ein Zimmer, das nich einmal halb so groß war wie das von ihrer Freundin. Larija sah sich neugierig um. Für einen Moment stoppten ihre Tränen, sodass sie alles erkennen konnte. „Wow…“, murmelte sie überrascht. Das Zimmer war klein, und ebenso wie der Flur überfüllt mit allem Möglichen Zeugs. Das war nichts besonderes, es zeugte nur davon, dass Ari etwas chaotisch war und viele Hobbys hatte: Überall lagen Bücher, Filme, Sportsachen, Stifte… Das wirklich beeindruckende war das, was hinter all diesen Dingen an der Wand hing. Larija hätte nicht sagen können, welche Farbe die Wand hatte. Denn diese war über und über voll geklebt mit Bildern. Keine Poster von irgendwelchen berühmten Leuten, sondern Bilder, die Ari selber gemalt hatte. Blumen, Landschaften und Menschen waren an jeder Wand. Larija versuchte, jemanden auf den Bildern zu erkennen. Es fiel ihr nicht sehr schwer. Denn auf einigen der Bilder waren immer zwei Gesichter, die Larija sehr gut kannte. Das von Ari und ihr eigenes. „Du bist sehr talentiert.“ Ari errötete leicht und senkte den Kopf. „Ich wollte schon immer Malerin werden. Aber seit klar ist, dass ich eine magische Begabung besitze, wäre dies eine Verschwendung von Potential. Meine Eltern wollen unbedingt, dass ich eine Magierin werde, weil sie selber keine Magier sind. Aber ich denke, sie werden auch damit klar kommen, wenn ich das tue, was ich will.“ Larija blickte auf. Ihr wurde plötzlich klar, dass sie sich nie Gedanken über Aris Zukunft gemacht hatte und das beschämte sie. Immer hatte sie nur Selbstmitleid gehabt, nie hatte sie darüber nachgedacht, dass es anderen auch so ging. Und dass sie damit viel besser umgehen konnten als sie. Erneut stiegen ihr die Tränen in die Augen. Ari bemerkte es und war sofort wieder bei ihr. „Was ist denn los, La?“ Larija blinzelte, um die Tränen zu trocknen. Sie holte einmal tief Luft, dann fing sie an, die Geschichte zu erzählen, angefangen bei dem, was sie im Unterricht herausgefunden hatte bis hin zu dem Urteil von Chris. Sie erwähnte nicht, dass sie ihn kannte. Sie wollte nicht ablenken. Ari hatte mit wachsender Endgeisterung zugehört. Nun wirkte sie völlig schockiert. „Das kann doch nicht einfach sein… Ich meine, du kannst doch nicht deine Kräfte verlieren! Grade du!“ Sie schüttelte den Kopf. Offenbar konnte sie nicht glauben, was Larija ihr gerade erzählt hatte. Larija dachte nun, da sie sich erst einmal ausgeweint hatte und wusste, dass Ari ihre Kräfte hergegeben hätte, damit sie Malerin werden konnte, anders über die ganze Sache. Der ganze Druck, das viele lernen, alles war umsonst gewesen. Aber wenn sie keine magischen Kräfte mehr besaß, konnte sie auch nicht mehr die nächste Rejanna werden. Sie wäre frei und konnte selber entscheiden, was sie tun wollte und was nicht. Chris war das beste Beispiel dafür, dass man auch ohne Magie etwas erreichen konnte. Vielleicht war es ihre eigene Schuld. Hatte sie sich nicht immer gewünscht, dass ihre Mutter sie normal leben lassen würde? Dann wurde Larija wieder von einem Weinkrampf von ihrem Gedanken abgelenkt und ein weiteres Mal wusste Ari besser über ihre Gefühle bescheid als sie selbst. „Es wird wohl sehr schwer für dich sein, ohne die Magie zu leben“, sagte sie mitfühlend. „Wenn es nur einen Weg gäbe, dir zu helfen… Ich würde es tun.“ Larija sah Ari an, ihr Blick war voller Dankbarkeit und dennoch unendlich hoffnungslos. Das Schlagen einer Turmuhr riss Larija aus ihren Gedanken. Sie blickte auf und zählte die Schläge. „Schon sieben Uhr.“, sagte sie und stand auf. „Ich sollte jetzt gehen.“ Larija stand auf und ging zur Tür. Dann drehte sie sich noch einmal um. „Danke, dass du für mich da bist.“ Sagte sie und lächelte. Ari erwiderte es. „Immer.“ Sagte sie schlicht und ging zu ihr, um sie noch einmal zu Umarmen. Dann trat Ari einen Schritt zurück und blickte Larija an. Sie stand dort und sah sich noch einmal im Zimmer ihrer Freundin um. Dann beeilte sie sich, nach Hause zu kommen. „Die Arme…“, murmelte sie und ging dann zu ihrem Schreibtisch, um ein neues Bild zu malen.
Daheim angekommen ging Larija als erstes in die Küche. Sie hatte Hunger und jetzt, da sie darüber geredet und ihre Gedanken etwas sortiert hatte, ging es ihr auch wieder etwas besser. In der Küche angekommen nahm sie sich einen Apfel und ging zum Arbeitszimmer ihrer Mutter. Sie suchte ein Buch. Larija meinte, schon einmal etwas über einen Fall, der ihrem ähnlich war, gelesen zu haben. Sie biss vom Apfel ab und betrat den Raum. Renata war noch nicht da. Natürlich nicht. Larija blickte kurz aus dem Fenster. Die Aussicht von hier war noch besser als von ihrem Zimmer aus. Kauend stellte sich Larija vor das riesige Bücherregal. Sie kannte die Ordnung inzwischen ziemlich gut und fand schnell das Buch, welches sie suchte. Den Titel konnte man nicht mehr lesen, aber Larija wusste, dass es das richtige Buch war. Sie nahm es aus dem Regal und setzte sich damit auf den Boden. Larija biss noch einmal vom Apfel ab, dann legte sie ihn weg und nahm das Buch auf ihre Knie. Es war schwer, groß und sperrig. Aber Larija hatte in genug Büchern studiert um zu wissen, dass es nicht so schwer sein würde, zu finden, was sie suchte. Das Buch wirkte abgenutzt. Larija wusste, dass schon ihre Mutter es gebraucht gekauft hatte und dass es sehr wertvoll war. Larija schlug das Buch auf und suchte das Sachregister. Es war hinten im Buch, so wie sie es erwartet hatte. Sie suchte nach dem Wort „Magieverlust“ und sie brauchte nicht lange, bis sie es gefunden hatte. Sie schlug die dementsprechende Seite auf und las den Text. Es war nicht viel.
„Magieverlust. Ein Verlust der Magie kann auftreten, wenn man sich selbst überlastet. Je nach dem wie schwerwiegend die Überlastung ist, kann es zu bleibenden oder auch nur kurzfristigen Schäden kommen.“ Na toll, dachte Larija. Sehr hilfreich. Missmutig stand sie auf und packte das Buch wieder ins Regal an seinen Platz. Sie bückte sich nach dem Apfel, der auf dem peinlich sauberen Teppichboden lag und biss wieder ein Stück ab, während sie zurück in ihr Zimmer ging. Dort legte sie sich auf den Boden und starrte an die Decke. Langsam aß sie den Apfel bis auf das Kerngehäuse auf. Dann versuchte sie, mit Magie das Fenster zu öffnen, ohne darüber nachzudenken. Natürlich klappte es nicht. Sie konnte einfach nicht ohne Magie leben! Ihr stiegen wieder Tränen in die Augen. Und endlich konnte sie einfach nur weinen, ohne dass sie irgendjemand sah. Sie musste eingeschlafen sein, denn auf einmal war ihr Vater bei ihr und strich ihr sanft übers Haar. Er war nie so streng gewesen wie seine Frau, mitfühlender aber auch nicht so stark. „Es tut mir so Leid.“, sagte er und drückte leicht Larijas Hand. „Wenn ich dir irgendwie helfen kann, ich bin immer für dich da. Ich hoffe, du weißt es.“ Noch einen Moment blieb er sitzen, als sie jedoch nichts sagte, drückte er noch einmal ihre Hand und verließ dann leise den Raum. Larija blieb liegen. Sie konnte nicht mehr weinen, selbst, wenn sie es gewollt hätte. Sie drehte sich um und blickte aus dem großen Fenster. Die Bäume schwankten im Wind. Vögel zwitscherten und bunt gefärbte Blätter segelten durch die Luft. Unten hörte Larija die Haustür zuknallen. Das musste ihre Mutter sein. Aber es war ihr egal. Erschöpft blieb sie liegen. Sie hörte Schritte auf der Treppe. Seufzend richtete sie sich auf und strich sich mit ihren Fingern übers Gesicht. Sie musste furchtbar aussehen. „Larija. Wieso liegst du auf dem Boden?“ Larija zuckte mit den Schultern. „Na ja, egal. Ich werde morgen den ganzen Tag weg sein. Du solltest nicht zur Schule gehen, da es doch nicht sehr förderlich für deinen Notendurchschnitt, wenn du die praktischen Übungen nicht ausführen kannst. Stattdessen kannst du hier lernen. Ich habe eh das Gefühl, dass du in der Schule schon wieder unterfordert bist. Das sollten wir schleunigst ändern. Es ist schon sehr spät. Du solltest jetzt schlafen. Aber vielleicht legst du dich dafür ins Bett.“ Mit diesen Worten verließ sie den Raum. Leise schloss sich die Tür hinter ihr. Larija war zu müde, um sich umzuziehen. Sie kletterte ins Bett und schlief sofort ein.
Als Larija aufwachte schien ihr die schwache Herbstsonne ins Gesicht. Sie ließ die Augen geschlossen und genoss die Wärme. Sie fühlte sich so ausgeschlafen wie schon lange nicht mehr. Dann schob sich eine Wolke vor die Sonne und ihr Gesicht wurde kalt. Sie seufzte resigniert und stand auf. Sie ging ins Bad und stieg unter die Dusche. Während sie sich die Haare einschäumte konnte sie der Versuchung einfach nicht widerstehen. Sie konzentrierte sich auf eine Shampooflasche und versuchte, sie zum Schweben zu bringen. Ohne Erfolg. Ein Stich der Enttäuschung durchfuhr sie. Aber damit hatte sie rechnen müssen. Sie versuchte, nicht darüber nachzudenken und sich stattdessen auf das zu konzentrieren, was sie heute vorhatte. Natürlich hatte sie nicht auch nur daran gedacht das zu tun, was ihre Mutter von ihr wollte. Nachdem sie sich geduscht hatte ging sie in ihr Zimmer. Sie wählte ihre Kleidung sorgfältiger aus als am vergangenen Tag. Sie entschied sich für eine schlichte, schwarze Jeanshose die ihr bis zu den Knien ging, und eine Bluse in Ultramarinblau, die ihre Haut etwas weniger blass aussehen ließ. Sie zog sich an, dann ging sie zurück ins Bad. Sie nahm das Handtuch ab, das sie Turbanartig an ihrem Kopf befestigt hatte und sah prüfend in den Spiegel. Sie hätte sich gerne Locken gezaubert, aber da sie es nicht mehr konnte gab sie sich mit glatten Haaren zufrieden. Sie kämmte sie einmal, dann ging sie mit nassen Haaren in die Küche. Sie nahm eine Cornflakes-Packung aus der hintersten Ecke eines Regals und füllte sich etwas davon in eine Schüssel. Ihre Mutter hasste dieses Zeugs, aber Larija – und auch ihr Vater – aßen es regelmäßig. Trotzdem versteckten sie es immer wieder. Also stellte Larija die Schachtel sofort wieder in den Schrank und packte alle möglichen Küchengeräte davor, die ihre Mutter nie gebrauchen würde. Sie goss Milch in die Schüssel, nahm sich einen Löffel und setzte sich an den Tisch. Während sie ihre Cornflakes aß blätterte sie in der Zeitung, die ihr Vater liegen gelassen hatte. Renata verachtete die Angewohnheit von Ardan, die menschliche Zeitung zu lesen. Aber er achtete nicht auf sie und fuhr damit fort, egal wie oft Renata ihn deshalb piesackte. Larijas Blick wanderte als erstes zu der Spalte in der gezeigt wurde, wie das Wetter werden sollte. Nun, da sie sich nicht mehr mit einem Wärme- oder Wasserabweisendem Schild schützen konnte, musste sie vorsichtiger sein. Es sollte jedoch ein schöner Tag werden, ungewöhnlich warm und ohne Regen, so wie sie es gehofft hatte. Gut gelaunt aß sie weiter. Sie spülte ihre Schüssel und den Löffel ab, als sie fertig war, dann ging sie nach oben in ihr Zimmer. Sie hob die Hose vom Boden auf, die sie mitten in der Nacht ausgezogen hatte und wühlte in den Taschen. Dann fand sie, was sie gesucht hatte. Sie nahm die Visitenkarte heraus und wählte die Nummer, die auf ihr stand. „Frik.“, hörte sie am anderen Ende der Leitung. Ihr stockte der Atem. Sie hatte vergessen, wie gut seine Stimme klang. „Hi. Hier ist Larija.“, sagte sie mit piepsiger Stimme und ärgerte sich deshalb über sich selbst. „Larija! Wie schön von dir zu hören! Bist du nicht in der Schule?“ „Sonst würde ich wohl nicht anrufen.“ Er lachte. „Du hast Recht, tut mir Leid. Wie kann ich dir helfen?“ „Na ja… ich hatte gehofft, du könntest mich ein wenig ablenken von… du weißt schon.“ Es kam eine kurze Pause und Larija befürchtete schon, ihn verletzt zu haben. „Also, ich könnte mir in einer Stunde Freinehmen.“ Larija war ganz aus dem Häuschen. „Wirklich? Das würdest du tun?“ Wieder lachte er. Es klang sehr melodisch. „Natürlich würde ich das! Soll ich dich abholen?“ Sie überlegte einen Moment. „Nein, brauchst du nicht. Ich komme vorbei. Du bist doch in deiner Praxis?“ „Wo sollte ich sonst sein? Gut. Dann komm doch in einer Stund vorbei. Ich freu mich!“ „Ich mich auch!“, sagte Larija und legte auf. Glücklich hüpfte sie die Treppe hinauf ins Bad. Sie kämmte sich erneut die Haare, legte die Kette um, die Ari ihr zu ihrem letzten Geburtstag geschenkt hatte und schaute prüfend in den Spiegel. Sie fragte sich, ob sie sich schminken sollte… Das hatte sie noch nie getan. Mit Magie konnte man immer dafür sorgen, dass keine Unreinheiten zu sehen waren… Der Gedanke an die Magie machte sie etwas traurig, aber sobald sie wieder an Chris dachte, sprudelte sie nur so vor Freude und Aufregung. Immer wieder schaute sie auf die Uhr und konnte es gar nicht abwarten, ihn wieder zu sehen. Deshalb ging sie auch viel zu früh los. Sie versuchte, langsam zu gehen und sich Zeit zu lassen, doch es gelang ihr nicht wirklich. Vor dem riesigen Haus angekommen blieb sie stehen und war unschlüssig, ob sie hinein gehen sollte oder nicht. Schließlich betrat sie den Flur und ging auf die Treppe zu. Wenn sie nun mit dem Fahrstuhl fahren würde, wäre sie immer noch viel zu früh. Und etwas Bewegung konnte sicher nicht schaden. Total außer Atem und immer noch vor der Zeit betrat sie die dreizehnte Etage. Sie blieb einen Moment stehen und versuchte, ihren Herzschlag zu beruhigen. Es gelang ihr nur mäßig. Dann strich sie sich noch einmal über die Bluse und griff nach der Türklinke. In dem Moment öffnete sich die Tür und Chris stand direkt vor ihr. „Oh… Hi.“ Etwas geschockt trat Larija einen Schritt zurück. Auch er schien überrascht. Dann warf er einen Blick auf seine Armbanduhr. „Du bist zu früh.“, sagte er gespielt ärgerlich. „Tut mir Leid.“, erwiderte Larija ebenfalls offensichtlich unecht. Er blickte an ihr herab. „Du siehst gut aus.“, murmelte er errötend. „Danke… Du auch.“, sagte Larija. Und es stimmte. Sie betrachtete ihn, von oben bis unten. Sein Haar war ordentlich und er war einwandfrei gut gekleidet. Es entstand ein leicht betretenes Schweigen. „Was willst du machen?“, fragte Chris schließlich. „Wir könnten ein Eis essen gehen.“, schlug Larija vor. Sie hatte schon ewig kein Eis mehr gegessen. „Super Idee! Ich kenne eine super Eisdiele direkt um die Ecke! Wollen wir?“ Larija nickte nur und sie gingen zum Fahrstuhl. Langsam und schweigend gingen sie die Straße entlang, doch es war kein unangenehmes Schweigen. Jeder hing eine Weile seinen Gedanken nach. Dann wand sich Chris dazu durch, als erster etwas zu sagen. „Was wirst du jetzt tun?“, fragte er Larija und blickte sie mit aufmerksamen Augen an. Sie wusste sofort, was er meinte. „Ich wie nicht“, erwiderte sie zögernd. Ich denke, ich stehe immer noch unter Schock deswegen. Ich kann irgendwie nicht begreifen, dass es alles vorbei sein soll…“ Er nickte verständnisvoll. „Das kann ich verstehen. Aber du wirst doch sicher mehr Zeit haben, nicht wahr? Vielleicht war es kein Zufall, dass wir uns nach so langer Zeit und gerade jetzt wider getroffen haben…“ Er lächelte verlegen und blickte zu Boden. Larijas Atem ging schneller. Das war eindeutig eine Anspielung! Inzwischen waren sie an der Eisdiele angekommen. Sie setzten sich draußen an einen Tisch in die Sonne. Larija schloss die Augen und genoss die Sonne, die auf ihr Gesicht schien. Der Kellner kam und brachte die Karte. Sie bestellten sofort. Dann sahen sie sich wieder an und einen Moment konnte niemand den Blick abwenden. Diesmal fasste sich Larija als erstes. Sie begann, über die alten Zeiten zu reden und Chris stimmte begeistert mit ein. Die beiden redeten und lachten und zwischendurch aßen sie etwas von dem köstlichen Eis. Sie bemerkten erst wie die Zeit verging als sie plötzlich im Schatten saßen und Larija in ihrer Bluse anfing zu frieren. Chris hatte Larija gerade etwas über seine Arbeit erzählt als er es bemerkte. „Du frierst ja!“, sagte er leicht besorgt. Ein Zeichen, dachte Larija resigniert. „Es ist schon spät“, sagte sie, einen Blick in den Himmel werfend. Die Sonne stand schon tief am Horizont. „Ich muss nach Hause.“ Chris zögerte einen Moment, dann fragte er: „Hast du... hast du etwas dagegen, wenn ich dich nach Hause begleite?“ Erfreut sah sie ihn an. „Ganz und gar nicht!“, rief sie aus und sprang auf. Chris bezahlte das Eis, obwohl Larija es zuerst ablehnte und gemeinsam machten sie sich auf den Rückweg. Ein Schauern ging durch Larijas Körper, als sie hinaus aus dem windgeschützten Garten ging. Chris bemerkte es und fing an, seine Jacke auszuziehen. Larija wollte erst widersprechen, aber ihr war plötzlich so kalt, dass sie seine Jacke mit warmem Blick entgegen nahm. „Vielen Dank.“, murmelte sie und kuschelte sich in die warme Jacke. Sie roch so gut... Chris sah sie mit einem eigenartigen Blick an. Als sie ihn ebenfalls anschaute, wandte er den Blick ab. Sie redeten über verschiedene Dinge, dann waren sie auch schon am Ziel. Vor dem großen Tor, das den Eingang zum Garten versperrte, blieben sie stehen. Beeindruckt sah Chris hinein. „Wow...“, murmelte er und konnte den Blick gar nicht von dem großen Haus wenden. Larija war das etwas unangenehm. Sie wollte nicht angeben. „Es war sehr schön heute“, sagte sie, um Chris´ Aufmerksamkeit wieder auf sich zu lenken. „Das habe ich echt gebraucht. Danke.“, sagte sie weiter und lächelte ihn an. „Ich würde mich sehr freuen, wenn wir das wiederholen würden.“, sagte Chris mit seiner unglaublich schönen Stimme.“ Einen Moment schwiegen sie beide, dann trat Larija einen Schritt zurück auf das Tor zu. „Also dann...“ „Also dann.“ „Ich... ich rufe dich an!“, sagte sie hastig und hoffte, dass es nicht zu begeistert klang. Chris lächelte erfreut. „Ich würde mich sehr freuen.“ Er trat zwei Schritte auf sie zu und nahm sie kurz in die Arme. Für einen Moment war Larija überwältigt, dann war es auch schon wieder vorbei und Chris hatte sie wieder losgelassen. Etwas unsicher aber dennoch zufrieden sah er sie an. Larija unterdrückte ein Lachen. „Gute Nacht.“, sagte sie. „Gute Nacht.“, erwiderte er, blickte sie noch einen Moment länger unergründlich an und wandte sich dann zum Gehen. Larija nahm ihren Schlüssel aus ihrer Tasche und schloss das Tor auf. Sie ging hinein, drehte sich in der Tür jedoch noch einmal um. Sie lehnte ihren Kopf an die kalten Gitter und sah ihm lächelnd hinterher, bis er um die nächste Ecke verschwunden war. Immer noch lächelnd ging sie den Weg hinauf und schloss die Haustür auf. Sie warf den Schlüssel achtlos auf die Kommode, schlüfte aus ihren Schuhen und lief die Treppe hinauf. Sie riss die Tür zu ihrem Zimmer auf und stolperte hinein. Hastig schlug sie die Tür zu, dann rannte sie zu ihrem Bett und warf sich mit einem Jauchzer darauf. Für einen Moment schloss sie die Augen und atmete durch, dann öffnete sie sie wieder und blickte hinauf zur Decke. Sie konnte immer noch nicht aufhören zu lächeln. Sie war so glücklich... Larija genoss diesen Augenblick. Plötzlich öffnete sich ihre Zimmertür und Larija blickte auf. Sie sah gerade noch, wie ihre Mutter gerade die letzten Stufen der Treppe hochstieg. Sie hatte Magie benutzt. Natürlich. Wie überaus rücksichtsvoll. „Was liegst du hier so faul herum? Wieso lernst du nicht?“ „Mutter, es hat doch eh keinen…“ „Natürlich hat es das.“ Sie wirkte so selbstsicher, dass Larijas Zweifel einen Moment ins schwanken gerieten. Gab es doch noch Hoffnung? „Ich habe einen Weg gefunden, dir deine Kräfte zurückzugeben. Es ist ein simpler, machtvoller Zauber. Ich benötige noch ein, zwei Stunden, um mich darauf vorzubereiten, aber es wird keine Probleme geben. Noch bevor du schlafen gehst, wirst du deine Kräfte zurückhaben.“ Larija starrte ihr fassungslos hinterher, als sie wieder die Treppe hinunterschwebte. Im wahrsten Sinne des Wortes. Sie blieb noch einen Moment benommen sitzen, dann sickerte langsam die Nachricht, die ihr ihre Mutter gerade gemacht hatte, langsam zu ihr durch. Damit hatte sie gar nicht gerechnet! Sie hatte sich so auf Chris konzentriert, dass sie ihre Magie vollkommen vergessen hatte! Eine Woge der Freude durchströmte sie, aber gleichzeitig war sie verzweifelt. Es hätte so schön sein können ohne Magie... aber sie würde sie unendlich vermissen, das wurde ihr klar. Natürlich hatte sie mit Magie Pflichten, aber ohne hatte sie gar nichts... Außerdem wusste sie jetzt, dass sie nicht die Einzige war, der es so ging. Ari hatte ihr gezeigt, dass man trotz der Vorstellungen seiner Eltern seinen eigenen Weg gehen konnte. Ari glaubt an sich. Und Larija wäre nicht Larija, wenn sie es nicht schaffen würde, sie darin zu übertrumpfen, dafür war sie ja schließlich bekannt. Sie sprang aus dem Bett. Am liebsten würde sie keine Minute länger warten. Sie musste sich irgendwie beruhigen, also beschloss sie, ein Bad zu nehmen. Sie ging in ihr Badezimmer und ließ Wasser in die Badewanne ein. Sie nahm sich etwas Badeschaum aus einem Regal ganz in der Ecke. Die Sachen, die dort standen wurden äußerst selten benutzt. Magier brauchten solch menschlichen Kram nicht. Sie besaßen ihn nur zur Dekoration. Das warme Wasser lief in die große Wanne während Larija versuchte, die Tür abzuschließen. Sie benutzte sonst immer Magie dafür. Schließlich hatte sie es geschafft. Inzwischen wurde es warm im Badezimmer und sie begann sich zu entkleiden. Sie bemerkte erst jetzt dass sie immer noch die Jacke von Chris anhatte. Sie lächelte und legte sie vorsichtig ab, dann zog sie sich ganz aus und stieg ins Wasser. Sie stellte die Temperatur etwas höher, dann ließ sie sich ganz in die Wanne sinken.

Larija stand im Arbeitszimmer ihrer Mutter. Es waren nicht Stunden vergangen, sondern Wochen, bis ihre Mutter sich ihrer Meinung nach genug auf den Zauber vorbereitet hatte. Allein diese Tatsache hätte Larija schon nervös gemacht, wenn sie noch irgendein anderes Gefühl abgesehen von ihrer Müdigkeit fühlen könnte. Anscheinend war der Zauber bei Weitem nicht so einfach, wie ihre Mutter vorgegeben hatte, aber auch das kümmerte Larija nicht. Sie konnte nicht mehr. Den gesamten letzten Monat hatte sie - genau genommen - nichts anderes gemacht als zuvor auch, aber erst dadurch, dass sie ihre Kräfte nicht benutzen konnte, hatte sie bemerkt, wie kräftezehrend ihr Alltag war. Sonst hatte sie mehrmals am Tag Magie benutzt um ihre Energie aufzufüllen, jetzt jedoch hatte sie nicht mehr Energie gehabt als jeder andere normale Mensch und musste zusätzlich auch noch einige Sachen mehr erledigen als sie es normalerweise gewohnt war. Ihre Mutter hatte gewollt, dass Larija in der Zwischenzeit wieder am Unterricht teilnahm und auch sonst wieder zu ihrem normalen Alltag zurückkehrte. Die einzige Ausnahme war die, dass sie nicht an praktischen Übungen teilnehmen musste. Nun, schon nach einem Monat, war sie so müde wie unter normalen Umständen nach einem Semester Unterricht. Jetzt wollte sie nur noch zwei Dinge: Ihre Kräfte zurückbekommen und schlafen. Sehr lange schlafen. Auch jetzt schwankte sie schon wieder vor Erschöpfung, aber ihr Vater griff ihren Arm und hielt sie fest. Sie schaffte es nicht einmal, ihm ins Gesicht zu blicken. Es war weniger die körperliche als mehr die psychische Anstrengung gewesen, die sie nun so sehr belastete. Aber bald würde das alles vorbei sein, sagte sie sich. Nur noch ein Paar Momente. Dann wäre sie endlich wieder sie selbst. „Bist du bereit?“, fragte Renata ohne wirklich eine Antwort zu erwarten. Sie wusste sehr wohl das Larija es einfach nur hinter sich bringen wollte. Ihr Vater Ardan beugte sich hinunter zu dem Gesicht seiner Tochter. „Ich muss dich jetzt loslassen. Kannst du alleine stehen?“ Larija nickte schwach und ihr Vater trat einen Schritt zurück, jederzeit bereit, nach vorne zu springen und seine Tochter aufzufangen wenn sie fallen sollte. Larija drehte sich zu ihrer Mutter um. Auch sie sah etwas erschöpft aus wie sie dort hinter ihrem Schreibtisch stand und sich noch ein letztes Mal sammelte. Sie trat nun einen Schritt auf ihre Tochter zu. Sie bewegte ihre Lippen, aber Larija hörte ihre Wörter nicht. Alles wurde verschwommen. Mit aller Kraft die sie noch aufbringen konnte versuchte sie, an der Realität festzuhalten, aber es gelang ihr nicht mehr. Sie spürte noch einen starken Schmerz, der durch ihren Körper zuckte, dann wurde sie erlöst durch einen tiefen, traumlosen, ohnmächtigen Schlaf.

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Publication Date: 06-02-2010

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