Als kleines Kind war ich felsenfest davon überzeugt, dass meine Mutti die beste Köchin der Welt sei. Ich kannte ja auch nichts anderes. Gulasch, Schmorbraten und Schnitzel waren doch immer so köstlich! Und erst recht die Ente mit Klößen, die es immer zu Weihnachten gab! Erste Zweifel an die Kochkünste meiner Mutter kamen mir aber bei unseren Urlaubsreisen nach Seeboden in Österreich auf, wo wir im „Posthof“ immer sehr gutes Essen serviert bekamen. Ich hätte nie zuvor gedacht, dass ein Pfannkuchen (eigentlich „Kaiserschmarren“) so gut schmecken kann.
Fleischgerichte konnte meine Mutter sehr gut zubereiten. Nur mit Leber hatte sie ihre Probleme. Entweder war diese nicht richtig durchgebraten, oder zu sehr, was sie steinhart machte. Nicht sehr variantenreich waren die Gemüsebeilagen zu den Schnitzeln, es gab immer nur Erbsen und Möhrchen aus der Dose, später kam Mais hinzu.
Was Mutti gar nicht kochen konnte, waren Eintöpfe. Die Erbsensuppe war eine Katastrophe, und auch die Linsensuppe schmeckte mir nicht. „Du bist verwöhnt. Ich kann doch nicht immer nur Schnitzel braten!“, meinte meine Mutter.
1975 fragte ich meine Mutter, ob ich nicht einen Teil der großen Ferien bei ihrer Mutter, also meiner Oma verbringen könne. Mutti war verwundert, ob dieses Wunsches, erkundigte sich aber bei ihr, ob sie etwas dagegen hätte. Oma hatte nichts dagegen und war hocherfreut darüber.
So fuhr ich alleine mit dem Zug von Hannover nach Dortmund, wo Oma damals lebte. Die Bahnfahrt war eine große Freude und Aufregung für mich, denn Eisenbahnen waren schon immer meine Leidenschaft.
Oma holte mich vom Dortmunder Hauptbahnhof ab und wir fuhren mit der Straßenbahn nach Schüren. Von der Endstation war es noch ein ganz schönes Stück bis zu ihrem Wohnhaus. Die Straße, in der sie wohnte, ging steil von der Hauptstraße hinab. Im Winter konnte man da bestimmt prima rodeln. Ganz am Ende der Straße lag rechterhand eine große Sauerkrautfabrik, schräg gegenüber wohnte Oma. Die Wohnung war klein, aber gemütlich.
Es war kurz vor zwölf. Oma verkündete: „Gleich gibt es Essen. Es gibt Leber!“ Ich muss wohl ziemlich entsetzt geguckt haben, Oma grinste nur. Keine Ahnung, ob sie das absichtlich gemacht hatte, denn sie kannte ja die Kochkünste ihrer Tochter bestens. Jedenfalls war ich sehr überrascht, als das Gericht vor mir stand, denn es duftete schon mal sehr gut. Als ich dann von der Leber vorsichtig kostete, war ich regelrecht begeistert. Eine so gute Leber hatte ich noch nie gegessen. Sie war auf dem Punkt genau richtig gebraten und superzart.
„Na, schmeckt das besser als bei Alma?“, fragte meine Oma schelmisch. Sie sprach von ihrer Tochter immer nur so, nie sagte sie „meine Tochter“ oder „deine Mutti“. Ich nickte nur und verputzte das Gericht restlos, denn selbst der Kartoffelbrei schmeckte mir besser.
Am nächsten Tag gab es Erbsensuppe. Auch diese war sehr lecker und perfekt gewürzt. Erbsensuppe kann also auch gut schmecken. Das war eine ganz neue Erkenntnis. „So ein mäkeliger Esser wie Alma gesagt hat, bist du gar nicht“, stellte meine Großmutter fest. Tja, das stimmte wohl.
Am dritten Tag gab es Kartoffelpuffer, bzw. Reibekuchen, wie man in Westfalen sagt. Wieder war ich begeistert. Das Apfelmus dazu lehnte ich aber ab. Ich mag heutzutage noch beides: Kartoffelpuffer und Apfelmus, aber nicht in Kombination. Niemals habe ich verstanden, warum andere Leute das so essen, denn schließlich serviert man auch keine Pommes mit Marmelade oder Kroketten mit Nuss-Nougat-Creme.
So setzte sich das fort. Selbst bei den drei Kinderkuren, bei denen ich zunehmen sollte, hatte ich in drei Wochen nicht soviel Gewicht zugelegt, jedenfalls gefühlt. Gewogen hatte ich mich bei dem Besuch bei Oma vorher und nachher nicht.
Mein Bruder Achim holte mich ab, die Rückreise nach Hannover ging also mit dem Auto, nicht mit dem Zug. Während der Fahrt unterhielten wir uns über die Kochkünste unserer Mutter und unserer Großmutter und wir waren uns einig.
Begeistert erzählte ich zu Hause von Omas Küche, was Mutti gar nicht gefiel. Noch viel weniger gefiel ihr das Weihnachtsgeschenk, das ich ihr in diesem Jahr machte. Es war ein Kochbuch. Ich hatte es doch nur gut gemeint.
Wenige Wochen danach, im Frühjahr 1976 zog Oma von Dortmund nach Hannover, ganz in unsere Nähe in den damals ganz neuem Stadtteil Roderbruch, unweit der Medizinischen Hochschule. Nun konnte ich sie oft besuchen, wie ich wollte, mit dem Fahrrad kam ich gut dahin.
Images: www.chefkoch.de
Publication Date: 02-27-2020
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