Neugierig startete ich die Spielkonsole. Endlich hatte ich das begehrteste und meistverkaufte Spiel erworben, nämlich „Willkommen in Deiner Wirklichkeit“. Die Werbung versprach Sensationelles. Ein jeder konnte in seine ganz persönliche virtuelle Fantasie-Welt flüchten. Man konnte Feuerwehrmann sein, Feldherr in einem römischen Heer, Superheld oder auch ein beliebter Sänger. Alles war hundert Prozent realistisch. Man nahm Gerüche wahr und spürte die Körper der anderen Menschen. Wenn es in der Scheinwelt Winter war, fror man und wenn man sich in einer Wüste befand, litt man unter der Hitze.
Dabei war man sein eigener Regisseur, alles was dort geschah, passierte nur durch die eigene Gedankenkraft. Keine Knöpfe, kein Joy-Stick, keine Computermaus, das war alles Schnee von gestern. Lächelnd erinnerte ich mich daran, wie PC-Spiele früher funktionierten und wie primitiv das alles war. Discs oder gar Kassetten gab es schon lange nicht mehr.
Die Spielkonsole surrte, die rote Leuchtdiode wechselte kurz darauf auf Grün. Das Spiel konnte beginnen. Ich war gespannt, was geschehen würde. Die Umgebung um mich herum verschwand, es wurde kurzzeitig dunkel. Kurz darauf erblickte ich eine Landschaft, wie sie surrealer nicht sein konnte. Ich sah ein purpurfarbenes Meer, der Sand war azurblau und der Himmel hatte die Farbe von Raps. Alles war vertauscht und doch irgendwie wunderschön. In der Luft erhoben sich Pferde und rote Echsen. Es roch nach Frischgebackenem, doch dieser Duft wurde von den zahllosen kleinen Blumen verströmt, die zwischen dem silbergrauen Rasen wuchsen. Fasziniert schritt ich durch diese wunderbare Landschaft.
Eine glockenhelle Stimme ließ mich aufschrecken. „Du musst keine Angst haben, Elias“, sagte die Stimme. Ich drehte mich um und sah ein junges, wunderschönes Mädchen. Ihre Haut war bronzefarben, ihr Haar feuerrot. Der Körper war wohlgeformt. „Mein Name ist Daria“, sprach sie und ergänzte: „Ich werde dich jetzt durch Deine Welt führen. Ja, es ist Deine Welt. Du kannst sie sehen, hören, spüren, schmecken und riechen. Es entspricht alles Deiner Fantasie. Es ist eine Wirklichkeit, wie Du sie Dir immer erträumt und erwünscht hast. Alles hier geschieht nach Deinem Willen. Du bist allmächtig. Du kannst Dinge verändern, ganz wie Du willst. Doch Dir wird nichts geschehen. Du bist hier hundertprozentig sicher, dafür ist gesorgt.“
Das machte mich glücklich. Diese Wirklichkeit, wie sie Daria bezeichnet hatte, war natürlich keine solche, das war mir klar. Aber es ließ mich vorübergehend dem entfliehen, was real war. Kein Wunder, dass dieses Spiel so ein Erfolg war. Ich hörte davon, dass Leute sich stundenlang diesen Illusionen hergaben und geradezu süchtig danach wurden. Sie vergaßen alles um sich herum. Das würde mir nicht passieren, davon war ich überzeugt.
Daria lächelte und rief etwas. Sekunden später erhob eines der Pferde sein Haupt und flog langsam in unsere Richtung. Nach seiner Landung erklärte das Mädchen: „Das ist Lomea, sie wird uns an unser Ziel bringen.“ Das Tier senkte sich leicht, so dass wir bequem aufsteigen konnten. Lomea wieherte leise und freundlich und schnaubte kurz. Daria flüsterte etwas in ihr Ohr und streichelte ihre Mähne.
Sanft stiegen wir empor. Nun konnte ich die wunderschöne Landschaft in ihrer vollen Schönheit erblicken. Es erinnerte mich an Irland – abgesehen von den Farben. Sanfte Hügel, soweit man schauen konnte. Es war angenehm warm, der leichte Wind war nicht störend. Ich umklammerte Daria und presste mich an ihren Körper, was ihr nicht unangenehm war.
Nach circa zehn Minuten beschleunigte das Pferd sein Tempo und stieg höher und höher in die Lüfte. „Wir sind bald am Ziel“, sagte Daria und lächelte mir zu. Sie hatte sich zu mir umgedreht. Ihr zauberhaftes Antlitz sah jetzt noch prachtvoller aus, ihre grünen Augen glänzten in der silbrigen Sonne.
In der Ferne entdeckte ich eine traumhafte Insel, die sich im Purpur-Meer erstreckte. Sie musste riesig sein, denn sie nahm fast den ganzen Horizont ein. Zielstrebig flog Lomea darauf zu und setzte zur Landung an. Ich nahm meine Arme von Darias Schultern und berührte sanft ihre Brüste. Das Mädchen schnurrte wie eine Katze. Offenbar hatte das Programm meine geheimen Wünsche sofort umgesetzt, das war fantastisch.
Nachdem wir gelandet waren, sah ich mich um. Geheimnisvolle Bäume, die in keiner Weise an Palmen erinnerten, sondern vielmehr an Linden, trugen riesige, goldgelbe Früchte, die wundervoll dufteten. Daria pflückte eine davon und reichte sie mir. „Das kannst Du bedenkenlos essen, das sind Zutanas, sie sind köstlich und haben eine berauschende Wirkung“, erklärte die Schönheit und strahlte über das ganze Gesicht. Vorsichtig nahm ich einen Bissen, es war ein unglaublicher Geschmack, der nichts glich, was ich kannte. Ich kostete erneut und reichte dann dem Mädchen die exotische Frucht. Daria bedankte sich mit einem kurzen Nicken und kaute mit Begeisterung. Gleich darauf wurde mir klar, was sie mit der Wirkung, die die Zutanas hatten, meinte.
Geradezu magisch fühlte ich mich von Daria angezogen und spürte ein unbändiges Verlangen, der Verführung des Mädchens zu erliegen und mich ihr hinzugeben. Als hätte sie meine Gedanken erraten, legte sie sich in den Sand und winkte mir zu. Ich begab mich zu ihr, kniete nieder und berührte ihre samtige Haut. Niemals zuvor hatte ich etwas Schöneres gespürt. Von Ferne ertönte mystische Musik in einer mir unbekannten Sprache. Daria sang leise mit. Ihre Stimme war verführerisch, sodass ich der Versuchung nicht länger widerstehen konnte. Mir war, dass das alles nur eine Computerillusion war, aber diese war so perfekt, das mir das egal war. Das Mädchen war kein Hologramm, durch das man hindurchgreifen konnte, sondern wirkte real.
Stundenlang gaben wir uns dem Liebesspiel hin, hemmungslos und mit einer Intensität, die ich noch nie zuvor erlebt hatte. Mittendrin hörte ich einen Summton, ich wusste, was das bedeutete. Die maximale Spieldauer des Computerprogramms war abgelaufen. Sekunden später löste sich alles um mich herum auf und ich war in meinem Zimmer, die Leuchtdiode der Spielkonsole war wieder rot.
Der eingebaute Sicherheitsmodus des Programms verhinderte einen sofortigen Neustart, erst morgen konnte ich mich wieder zu Daria und der Insel begeben. Auch mich hatte die Sucht des Spiels gepackt, es war passiert, ich konnte es nicht verhindern.
Images: www.archzine.net
Publication Date: 11-12-2017
All Rights Reserved