Donnerstag, der 21. Dezember
Ich strahlte. Gerade hatte meine Freundin angerufen. „Du wirst einen Heiligabend wie noch nie erleben“, hatte Sandra versprochen. Sie hatte mich eingeladen, mit ihr Weihnachten zu verbringen. Wir hatten uns erst drei Wochen auf einem Kunsthandwerkermarkt kennen gelernt. Sie verkaufte dort Selbstgebasteltes. Der Erlös ging an eine Organisation, die sich um streunende Katzen kümmerte. Als Liebhaber der Samtpfötchen war ich natürlich davon begeistert.
Freitag, der 22. Dezember
Ein Geschenk für Sandra musste her! Ich hatte schon eine Idee. Sie liebte Glas und die Farbe Blau. Was lag da näher, als ihr eine blaue Vase zu schenken? Im Fachgeschäft meines Vertrauens wurde ich fündig, wenn auch kurz vor Ladenschluss.
Mit meinem Präsent hetzte ich nach draußen, sorgsam darauf bedacht, dass nichts passiert. Mann, war das voll. Ich brauchte zwanzig Minuten, um zum Parkhaus zu gelangen. Eine endlose Schlange am Automaten. Eine junge Dame hatte offensichtlich große Schwierigkeiten mit der Bedienung des Gerätes. Nach gefühlten dreißig Minuten hatte sie es geschafft, unter höhnischem Beifall der Anstehenden. Die Nachfolgenden konnten das erheblich besser, jetzt war ich dran. Ich griff in meine Manteltasche, um das Parkticket heraus zu holen, das ich in der Brieftasche gesteckt hatte – und griff ins Leere. Offenbar war sie mir entwendet worden, vorhin in dem Gedrängel. Verdammter Mist, jetzt hatte ich ein Problem! Wenigstens hatte ich mein Geld noch, aber der Verlust der Papiere war recht ärgerlich. Das würde eine furchtbare Lauferei geben. Fünfzehn Euro musste ich bezahlen, die Tageseinstellgebühr.
Jetzt aber schnell nach Hause. Ich fuhr die Marienstraße entlang, vor mir ein roter Golf. An der Straße „Am Südbahnhof“ vor der Tankstelle wollte er rechts abbiegen. Rechts? Das war doch eine Einbahnstraße, aber in Gegenrichtung! Er bemerkte es recht spät und bremste, und ich ging auch voll in die Eisen, aber mein Hintermann leider nicht. Es krachte! Ich stieg aus, um den Schaden zu begutachten. Er war immens, der Kofferraum war erheblich eingedrückt. Und die Vase war drin, oh nein! Mein Kontrahent beschimpfte mich wüst und rief die Polizei. Die kam dann recht zügig, aber der Golf war natürlich längst weggefahren. Nachdem ich die Situation erklärt hatte, wollte der Freund und Helfer meine Papiere sehen – welche ich bekanntermaßen nicht vorlegen konnte. „Wir klären das nach Weihnachten“, sagte der Polizist noch. Um zwanzig Euro leichter fuhr ich nach Hause, wenigstens war mein Auto noch fahrtüchtig.
Samstag, der 23. Dezember
Muss ich noch erwähnen, dass die Vase zerbrochen war? Das dachte sich der geneigte Leser sicherlich. Also erneut ab in die Stadt, aber diesmal mit Bus und Bahn, dann ich habe ja eine Monatskarte. Habe? Nein, hatte, wie mir kurze Zeit später bewusst wurde. An der Station „Braunschweiger Platz“ stiegen die Kontrolleure zu. Ich musste zwar nichts bezahlen, aber nach den Festtagen beim Kundenzentrum vorsprechen. Na, toll.
Die sympathische Verkäuferin im Haushaltswarengeschäft erkannte mich sofort wieder und bedauerte mein Missgeschick. Wie durch ein Wunder gab es noch ein zweites Exemplar der blauen Vase. „Auf Wiedersehen“, rief mir die junge Dame noch fröhlich zu. Sie war wirklich sehr, sehr nett.
So, jetzt musste ich noch ein paar Zutaten für den Nudel-Thunfisch-Salat besorgen, den ich Sandra versprochen hatte. Im Supermarkt war es gerammelt voll. Warum müssen diese Idioten aber auch kurz vor Ladenschluss einkaufen? Nachdem ich gefühlte vierzig Minuten an der Kasse anstand und nur noch ein älterer Mann vor mir war, ging plötzlich das Licht aus. Stromausfall! Nach langer Diskussion mit dem Geschäftsführer konnten wir dann doch noch bezahlen, allerdings gab es kein Wechselgeld zurück, dafür bekam man wahlweise Schokoriegel oder Mini-Salami. Draußen war es stockfinster, keine Laterne brannte, keine Straßenbahn fuhr. Und jetzt begann es auch noch zu regnen, und das bei gefrorenen Boden. Eisregen! Mit Unbehagen dachte ich an meine Vase, ich ging in Trippelschritten voran. Jetzt nur nicht stürzen. Drei Stunden später stand ich beglückt vor meiner Haustür. Es war nichts passiert. Sollte die Pechsträhne ein Ende haben? Die Tür öffnete sich, mein lieber Nachbar mit seinem Schäferhund Putzi kamen mir entgegen. Ich habe nie verstanden, warum man einen großen Hund so nennen kann. Putzi roch die Salami und sprang mich erfreut an. Er riss mich auf dem glatten Boden um – und ich stürzte, wobei die Vase klirrend zu Boden fiel. Verdammt Sch… Wütend ging ich zu Bett, da ich ohnehin nichts ausrichten konnte. Mühsam hatte ich zuvor noch meine Katzen gefüttert. Es ist gar nicht so einfach, im Dunkeln in der Speisekammer Katzenfutter von Dosensuppen zu unterscheiden.
Sonntag, der 24. Dezember
Das Licht geht wieder, wunderbar! Ach, es würde sicherlich ein herrlicher Tag werden, dachte ich mir, als ich das Rollo hochzog und blickte auf Massen von Schnee. Er lag mindestens sechzig Zentimeter hoch. Na, fröhliche Weihnachten. Und ausgerechnet diese Woche hatte ich Räumdienst. Nach zwei Stunden war eine ansehnliche Gasse freigeschaufelt, aber es hörte nicht auf zu schneien. Ich entschied mich, auch noch mein Auto auszubuddeln. Das benötigte noch einmal zwei Stunden. So jetzt muss ich noch das Nummernschild frei kratzen – Ordnung muss sein. Doch was war das? MI-AU 666!!!!! Ein tolles Kennzeichen, aber das war gar nicht mein Auto. Mir hätte auffallen sollen, dass der Kofferraum, nicht eingedellt war. Zwei weitere Stunden verbrachte ich damit, mein eigenes Gefährt auszubuddeln.
Jetzt aber zügig nach oben. Wenn mein Geschenk schon zerstört war, wollte ich wenigstens mit einem tollen Salat aufwarten. Der Anrufbeantworter blinkte wie wild, sechs Anrufe in Abwesenheit. Das ignorierte ich, es galt keine Zeit zu verlieren! Nach neunzig Minuten war der Salat fertig. Er war köstlich, wie ich feststellte.
Das Telefon klingelte, Sandra war dran. „Sag mal, was ist mir Dir los? Ich habe schon fünfmal angerufen, warum meldest du dich nicht?“ Sie zeterte und zeterte. Plötzlich ein Klirren. Oh, nein, ich hatte die Küchentür offen stehen lassen. Susi und Moritz hatten sich über den Salat hergemacht, jetzt war die Glasschüssel zu Boden gefallen und in tausend Stücke zerbrochen. Ich ging zurück ans Telefon, um meiner Freundin alles zu beichten. Aber sie hatte schon aufgelegt.
Montag, der 25. Dezember
Sandra hatte mit mir Schluss gemacht. Alles Zureden half nicht. „Verbringe doch Weihnachten, mit wem du willst“, schrie sie noch. Das tat ich dann auch. Melanie, die nette Verkäuferin aus dem Haushaltswarengeschäft kann übrigens viel besser kochen.
Publication Date: 12-29-2011
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