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Verurteilt

 Another man done gone …
From the country farm
Another man done gone.

He had a long chain on …
From the country farm
Another man done gone.

  I didn't know his name …
They did him just the same
Another man done gone.

 He killed another man …
From the country farm
Another man done gone.

Another man done gone
From the country farm
Another man done gone.

(Gospel, in der m.E. besten Interpretation von Esther & Abi Ofarim)

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 Miefender Geruch nach Männern, die sich tagelang nicht gewaschen haben, Urinreste aus dem Klosett, fauliger Furzgestank und schimmelndes Stroh – all das rieche ich schon lange nicht mehr. Kim klopft stetig mit seinen Fingern an den Gittern der Zelle entlang – pling pling, pling pling – Peter hat alle dreißig Minuten einen Anfall, bei dem er mit rotgeräderten, hervorquellenden Augen schreiend durch die Zelle rennt, Michael hockt auf dem Boden, betet in einer Zeit Rosenkränze, der Kerl aus der Nachbarszelle hat Husten, alle 50 Sekunden plagt ihn ein Anfall – auch das höre ich schon lange nicht mehr.

Aber der Typ, den sie gerade einliefern, für den ist alles neu, der wird noch alles hören und riechen, ihm wird sich der Magen umdrehen, er wird kotzen. Kevin und Paul wetten darum. Ich brauche nicht zu wetten. Ich weiß es.

„Machs’te mit?“ Paul schiebt sich zu mir rüber. „Eine Wurst vom Mittagessen.“

Ich schüttle den Kopf, drehe weiterhin den Strohhalm zwischen meinen vernarbten Fingern.

Diejenigen, die noch nicht solange hier sind, stecken die Nase durch die Gitterstäbe – wie sieht er aus? Was hat er getan? In welche Zelle bringen sie ihn?

Inständig hoffen wohl die meisten, jemand würde aus Versehen eine Frau hier einschleusen. Sie würden sie alle vögeln, egal wie hässlich sie aussähe. Wenn sie nur etwas Weibliches zu fassen bekämen.

Ich habe solche Gedanken schon lange verdrängt. Ich weiß, dass es für mich kein da draußen mehr geben wird.

Polternde Schritte auf der steinernen Treppe – damit fängt es immer an und damit hört es immer auf. Der Neue schreit und wehrt sich, als er durch die Eingangstür geschoben wird. Ich kann es nicht sehen, aber hören. Ich höre das Klimpern der Schlüssel, die Drehung des Metalls im Schloss, das Knarren, mit dem die faustdicke Tür geöffnet wird. Wenn man die meiste Zeit im Dämmerlicht sitzt, entwickelt man ein erstaunlich gutes Gehör.

„Ich bin unschuldig! Ich habe sie nicht umgebracht!“ Immer wieder schreit er den Wärter an. Ich weiß, dass es bald versiegen wird, eines Tages versiegt jeder Widerstand.

Die Männer in den vorderen Zellen murmeln und pfeifen anerkennend. Ich hingegen blicke kaum vom meiner zerschlissenen Matratze auf, als die Wärter mit dem Neuen an uns vorbeigehen. Doch plötzlich klirrt Metall. Sie schließen unsere Tür auf.

Es ist ein Instinkt, der noch nicht gänzlich erloschen ist – wie das gefangene Tier aus der Wildbahn luke ich nach einer Möglichkeit, durch einen winzigen Spalt entkommen zu können. Aber es gibt keine Chance. Selbst wenn ich die Wärter überwältigen könnte, die große Eingangstür ist von außen verriegelt und dahinter stehen wieder Wärter um Wärter um Wärter.

„Ich habe sie nicht umgebracht! Ich war es nicht!“, schreit Blondlocke, den sie durch den schmalen Spalt zu uns in die Zelle schieben.

Vielleicht 1,80m groß, höchstens, zierlicher Körperbau, drahtig, leicht wiegender Gang – ich weiß schon, warum die Männer gepfiffen haben. Selbst Kim vergisst für einige Sekunden das Klopfen an die Stäbe. Wenn man so lange ohne Frauen auskommen muss wie wir und keine Aussicht auf Erlösung hat, dann beginnen einem seltsame Dinge durch den Kopf zu gehen.

Er wirkt fast noch wie ein Junge, obwohl er sicher Ende zwanzig ist.

„Was werfen sie dir vor?“, fragt Peter und glotzt ihn aus seinen ewigen Stilaugen an.

Der Blonde verzieht die Nase, dann hält er sich plötzlich den Bauch, beugt sich vornüber und – kotzt.

Kevin schlägt sich auf die Schenkel. „Ich hab’s gewusst, ich krieg deine Wurst, er hat gekotzt!“

Paul spuckt auf den Boden. „Hätt’st de nicht wenigstens ein paar Minuten durchhalten können, Bohnenstange?!“

Blondie hebt den Kopf und schaut mit seinen blauen Augen verständnislos zu ihm hoch.

„Na los, sach schon, Blondschopf, was hast du verbrochen?“

„Gar nichts!“ Die Augen, die eben noch zerbrechlich wirkten, blitzen wieder voller Wut.

„Haha, Jungs, habt ihr gehört: Gar nichts! Wegen gar nichts wärst du nicht hier, Blondlocke. Also – “ Peter geht ein paar Schritte auf ihn zu und baut sich drohend vor ihm auf. „Was – hast – du – getan?“

„Nichts!“ Blondie zittert am ganzen Körper, bewegt sich jedoch nicht von der Seite, als Peter ihm so nahe kommt, dass er seinen fauligen Atem riechen können muss.

„Hört auf, Jungs.“ Ich stecke den Strohalm in meine hintere Hosentasche und erhebe mich schwerfällig von der Matratze. „Lasst den Jungen doch erst mal ankommen.“

„Wir können ihm das Ankommen ja erleichtern...“ Kevin grinst schmierig und macht andeutende Hüftbewegungen. „Du hast es doch sicher gern, wenn man dir was hinten reinsteckt. Siehst aus wie ein Schwuli... – oder bist du das etwa nicht...?“ Kevin schlendert auf den Jungen zu und öffnet den Gürtel seiner dreckigen Hose. „Es ist so ein Ritual bei uns hier, weißt du? Der Neuling muss sich bücken...“

Ich kann es nicht verhindern.

Ich höre ihn schreien, ich sehe, wie sich seine Muskeln anspannen, wie Angstschweiß seinen noch weißen Rücken herunterläuft, ich sehe, wie erst Kevin, dann Paul, schließlich Peter und auch Kim ihre Schwänze in ihn pressen, wie sie den schmalen Ring an dem zerbrechlichen Körper wieder und wieder aufreißen und ihn schließlich erschöpft zusammenbrechen lassen.

„Samuel, willst du nicht?“ Kevin und Paul halten den leblosen Körper an den Armen fest.

Ich schüttle den Kopf.

Nein, ich will nicht.

 

Das Perverse an der Sache ist: Ich will. Ich will ihn so sehr, dass es mir mein Innerstes zerreißt. Als ich nachts auf der Matratze liege, klemme ich mir den Schwanz zwischen die Beine, um das Blut abzuwürgen, das dort beständig hineinfließen will.

Ich versuche, mich auf die Atemgeräusche der Männer zu konzentrieren, das Schnarchen, das Röcheln von denen, denen die Zunge regelmäßig in den Rachen klappt, die Anfälle von Peter, die zwar über Nacht weniger werden, aber trotzdem nicht aufhören, das ewige Gemurmel von Michael, selbst im Schlaf noch.

Aber sie können nicht die Bilder von dem weißen Po verdrängen, die Schweißtropfen, die langsam in die Furche rinnen, das Spiel seiner Muskeln. Ich sehe den blonden Schopf, der ihm noch bis über die Brauen reicht und den er bald – wie wir alle hier – abrasieren wird.

Bilder von einem lustvoll unter meinen Berührungen stöhnenden Jungen kriechen in mein Hirn, sinnliche Lippen öffnen sich und wollen geküsst oder genommen werden, die Schlagader an dem zierlichen Hals pulsiert und das Glied unterhalb des Bauchnabels erhebt sich prachtvoll.

Das Gefängnis macht einen verdorbenen Menschen aus einem.

Ich reiße mir die Decke von den Schultern, drehe mich auf die andere Seite.

Bilder, ich brauche andere Bilder, die das des Jungen verdrängen.

Ich starre Peter an, der dort mit verkrampften Händen liegt, Kim, der selbst im Schlaf noch mit den Fingern auf den Boden klopft, Paul, dem der Schleim aus dem Mundwinkel rinnt, und Kevin, der immer wieder seine Zunge verschluckt und dann röchelnd in einen Halbschlaf fällt.

Ich sehe nach dem Jungen. An die Stäbe hat er sich verkrochen, hinter meine Matte. Ich drehe meinen Oberkörper, um ihn besser erkennen zu können. Zusammengekauert wie ein kleines Kind liegt er da und er wirkt nicht, als würde er schlafen.

Ich schäme mich für meine Lust, möchte ihn in den Arm nehmen und in den Schlaf schaukeln – wer von uns hat seine erste Nacht hier schlafend verbracht?

Plötzlich öffnet er die Augen, blickt direkt in meine. Ich kann es kaum sehen, aber ich spüre es deutlich. Ich sollte mich umdrehen, schlafen, aber ich kann nicht.

Kevin kommt mir zu Hilfe. Seine Zunge hat sich dieses Mal so sehr in seinem Rachen verklemmt, dass er würgend hochschreckt.

Ich drehe mich auf meinen Bauch und versuche, den Ständer zu ignorieren, der sich nicht ignorieren lassen will.

Wann ich endlich einschlafe, weiß ich nicht. Als ich aufwache, sehe ich den Jungen auf dem Boden knien, Peter und Paul halten ihn fest, Kevin versenkt seine Morgenlatte in dem zierlichen Hintern.

Es ist das zweite Mal in meinem Leben, dass ich einen Menschen umbringen möchte.

 

„Was werfen sie dir vor?“, frage ich den Jungen, als wir gerade unser Essen herunterschlingen und die Atmosphäre einigermaßen gelöst ist.

Jonathan, so heißt er, sitzt dabei immer neben mir, da ich mit Michael der einzige bin, der ihn nicht angefasst hat, nehme ich an.

„Ich soll eine Frau vergewaltigt und umgebracht haben. Aber ich war’s nicht. Ich...“

„Der Kleine steht auf Männer, sag ich doch!“ Kevin rammt Paul seinen Ellenbogen in die Seite.

Energisch schüttelt Jonathan den Kopf.

„Und wieso hast du sie dann nicht gebumst, hä? Haben wir alle getan, was meinst du, warum wir hier sind?“

„Ihr habt alle Frauen vergewaltigt?“ Jonathan zieht die Stirn kraus.

Ich schüttle den Kopf. „Nein, wir haben alle einen Mord begangen, darum sind wir hier.“

„Und du, wen hast du umgebracht?“ Jonathan sieht mich so ruhig an, dass ich mich das erste Mal in meinem Leben wirklich schäme für das, was ich getan habe.

„Unseren Vermieter. Er hat meine Frau angefasst...“

„Wollte sie’s?“ Jonathan beißt in eine ausgelutschte Kartoffel.

„Nein.“

„Dann wird sie dir’s danken.“

„Sie hat keinen Mann mehr.“ Ich werfe den Brocken Fleisch, den ich eigentlich essen wollte, wieder zurück auf den Teller. „Es hätte gereicht, wenn ich ihn zusammengeschlagen hätte. Aber ich war so außer mir...“ Vor meinem inneren Augen tauchen die alten Bilder auf, die ich so gut verdrängt hatte. „Ich habe immer weiter und weiter auf ihn eingetreten – bis er sich irgendwann nicht mehr bewegt hat.“

Jonathan nickt.

„Kommt sie dich besuchen?“

„Hierein?“ Kim lacht. „Hier kommt keine Frau freiwillig rein, siehst doch, was hier passiert, wenn nur einer...“ Den Rest verschluckt er, schiebt ein Stück Kartoffel in seinen bärtigen Mund.

 

Jonathan und ich freunden uns an. Naja, Freundschaft ist zu viel gesagt, denn hier unten denkt jeder zunächst an sich und niemand vertraut dem anderen wirklich. Aber wir unterhalten uns, diskutieren über die Gesetzgebung, über andere Länder, unseren letzten Urlaub, über die Musik der letzten vier Jahrzehnte. Er ist ein leidenschaftlicher Turner, wie sich herausstellt, hatte einen Job als Friseur und eine Freundin namens Alina, bevor er an der Vergewaltigung und Ermordung einer Kundin bezichtigt worden ist. Schließlich diskutieren wir über Gott und die Frage, was der Glaube uns praktisch jetzt bringen solle, wo wir doch so gut wie tot sind – wir würden auf das Berge versetzen verzichten, aber die Türen und die Wärter, die würden wir gerne in den Abgrund stürzen, in die Sandkuhle am Tannenhain, dort, wo sie den Sand für ihre Häuser hergescheffelt haben, die Herren der Stadt.

Jonathan lacht. Plötzlich fängt er an zu singen. Es ist ein Gospel.

„Mein Opa hatte einen Faible dafür“, erklärt er, als er meinen fragenden Gesichtsausdruck bemerkt. „Er hat gesagt, immer wenn es ihm schlecht geht, hört er diese Musik, die ihn daran erinnert, dass es anderen Menschen noch schlechter geht – und dass es eine Zukunft geben wird.“

Ich nicke. „Ich hoffe, dein Opa hatte Recht.“

Eine Zukunft, das wäre schön. Eine Zukunft für mich und ihn.

 

Der Gedanke lässt mich nicht los. Natürlich weiß ich, dass es keine Zukunft geben wird, weder für mich, noch für ihn. Aber ich träume davon. Ich sehe uns an Sandstränden spazieren gehen, uns mit Klamotten in die Brandung stürzen, sehe, wie das Salzwasser aus seinen blonden Haaren über seine Brust perlt. Ich rieche den Salzgehalt in der Luft, spüre eine sanfte Briese durch meine Haare streichen und sehe sein fröhliches Lachen.

Plötzlich weiß ich, was ich tun muss.

„Ich möchte eine Schuld gestehen“, sage ich zum Wärter, als sie am nächsten Tag das Essen hereinbringen.

Jonathan sieht mich fragend an. Ich zucke mit den Schultern.

„Weißt du, ich will reinen Gewissens in den Himmel kommen“, antworte ich leichtfertig.

Er glaubt es mir nicht, aber das macht nichts. Hauptsache, der Wärter bringt mich ins Büro der Gefängnisleitung.

 

„Welche Schuld wollen Sie gestehen?“ Der Gefängnisleiter sieht nur kurz von seinen Unterlagen auf.

„Die Vergewaltigung und den Mord an Eva Dehne am 23. Juli.“

Jonathan und ich haben so oft darüber gesprochen, dass ich inzwischen bestens über alle Details informiert bin.

„Hm hm“. Der Leiter blättert in seinen Unterlagen. „Hier steht, Sie sind des Mordes angeklagt, weil sie eine Vergewaltigung rächen wollten...?“ Er schiebt sich die Brille wieder auf die Nase, die ihm beim Lesen heruntergerutscht ist, und sieht mich undurchdringlich an.

„Es macht einen Unterschied, ob es sich um die eigene Frau handelt oder um eine andere“, lüge ich. „Eva Dehne konnte ich im Friseursalon an der Hauptstraße öfter beobachten. Ich bin quasi täglich daran vorbeigegangen. Eines Tages ist es dann passiert.“

„Passiert... soso...“ Wieder blättert der hagere Mann in seinen Unterlagen. „Nun ja, wenn Sie einen Mord gestehen, kann ich das natürlich nicht abstreiten. Ich werde es in Ihren Strafkatalog mit aufnehmen. Sonst noch etwas?“

Ich schüttle den Kopf.

„Demeter –“ Einer der Wärter aus dem Hintergrund tritt einen Schritt hervor. „Holen Sie mir Jonathan Wende. Anderson – Sie bringen Herrn Frank wieder zurück in seine Zelle – aber ohne dass sich die beiden unterwegs begegnen.“

 

Zufrieden sitze ich auf der zerschlissenen Matratze, streichle liebevoll den Strohhalm, den ich in meiner hinteren Hosentasche stecken hatte.

Mein Leben kann ich nicht mehr retten, die Beweise sind eindeutig, es gab Zeugen für den Mord und ich habe ihn auch selbst nie geleugnet. Meine Hoffnung, dass mein Anwalt Milderung durch Totschlag im Affekt bewirken könnte, ist nie erfüllt worden.

Ich bin verloren. Aber Jonathan nicht. Wenn er nur weiterhin seine Schuld bestreitet, so wie er es immer tut, und ich noch ein paar Details drauflege, müssen sie ihn freisprechen. Sie können niemanden umbringen, wenn ein anderer die Tat gestanden hat.

Als Jonathan wieder in die Zelle geschoben wird, geht er mit hängenden Schultern gleich in seine Ecke. Ein ungutes Gefühl macht sich in meiner Magenkuhle breit.

„Was haben sie von dir gewollt?“

„Ja, genau, erzähl!“ Die anderen rücken näher heran.

„Sie haben gesagt, dass meine Schuld bewiesen sei. Die Polizei hat DNA-Spuren sichergestellt, die mit meinen übereinstimmen.“

„Natürlich, du hast ihr ja kurz vorher noch die Haare geschnitten.“

Jonathan nickt.

„Sie haben mir einen schnellen Tod versprochen, wenn ich die Tat gestehe. Andernfalls..." Jonathan schluckt. „Andernfalls würden sie mich hängen und der Henker, das haben sie angedeutet, bindet den Knoten bei Tätern, die keine Reue zeigen, nicht richtig.“

„Was hast du getan?“ Mein Herz schlägt plötzlich wie wild in meiner Brust, ich zerbreche vor Aufregung den Strohhalm. „Die DNA ließe sich erklären über den Friseurbesuch...“

Aber daran, dass Jonathans Kinn auf die Brust gesunken ist, sehe ich schon die Antwort, ehe er sie ausspricht.

„Ich habe gestanden.“

 

Sie lassen uns drei Tage, ehe sie uns abholen.

„Kann ich auch einen?“, fragt Jonathan mich, als sie kommen.

Ich weiß nicht, was er meint.

„Einen halben Strohhalm.“ Er deutet auf meine Hände, die die zwei Hälften unablässig hin- und herrollen.

Ich gebe ihm eine.

Dann schließen die Wärter die Tür auf.

Unsere Schritte poltern auf dem Steinboden, als wir die Treppe nach oben schlurfen. Endlich dürfen wir wieder die Sonne sehen, das Licht – doch wir haben es nicht eilig.

Sie führen uns nach draußen, an die Grube, da müssen sie uns nicht so weit schleppen, wenn wir tot sind. Dann verlesen sie die Anklage.

Ich höre die Worte nicht, die sie sprechen, sehe nur gleißendes Weiß um mich herum und dazwischen – Jonathans Gesicht. Sein Kopf ist inzwischen kahl wie meiner, aber die blauen Augen stechen noch immer aus seinem Gesicht hervor. Ich sehe, wie sich seine Brust hebt und senkt, er hat Angst, ich denke an die zarte Haut, die darunter liegt, und ich kann nicht verhindern, dass selbst unter diesen Umständen das Blut in meine Lenden fließt.

„Schuldig“, dringt durch das Rauschen an meine Ohren.

Plötzlich starrt Jonathan auf meine winzige Beule in der Hose.

‚Es tut mir leid’, will ich ihm sagen, ‚es tut mir leid’, aber da verzieht sich sein Gesicht zu einem Grinsen und Schalk funkelt in seinen Augen auf.

„Vielleicht da oben“, zwinkert er mir zu und weist gen Himmel.

Er lächelt mich an und ich bekomme eine Ahnung von dem, was er hätte sein können, wenn sie ihn gelassen hätten.

Dann fällt der Schuss.

Ein schneller Tod, so wie er sich ihn gewünscht hatte.

 

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Text: June F. Duncan
Images: Cover: Elke Sawistowski / PIXELIO, www.pixelio.de
Publication Date: 07-13-2013

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