Cover




Als um 6 Uhr der Wecker klingelt, springe ich aus dem Bett direkt in meine Gürtelschnalle. Verdammt. Hätte ich den Gürtel nicht woanders hinlegen können? Nein, er sollte mich daran erinnern, dass ich ihn heute anziehe. Aber ich hätte ihn doch ins Bad legen können, über die Wanne. Humpelnd ziehe ich den Gürtel hinter mir her. Die Wanne ist voll mit Wäsche und einem Stück Teppich, das ich per Hand waschen will. Schon seit drei Wochen. Oder sind es vier? Egal, in der Wanne ist jedenfalls kein Platz. Über der Heizung auch nicht, da hängen die Handtücher und die Waschlappen und in den Regalen... lassen wir das. Dabei habe ich vor zwei Tagen erst aufgeräumt, so ein bisschen jedenfalls, das untere Regal habe ich komplett leergeräumt, oder zumindest die linke Ecke vom unteren Regal. Und was ist der Erfolg dieser Aufräumaktion? Rudi ist verschwunden. Vermutlich liegt er unter dem Haufen Wäsche, die sich in meiner Badewanne angesammelt hat. Wenn ich wieder zurück bin, muss ich ihn endlich suchen, sonst geht der kleine Kaktus noch an Lichtmangel ein.
Nie wieder räume ich auf.
Und nie wieder benutze ich mein Klo. Warum schwimmen da die braunen Brocken? Hey, pusch, pusch, geht runter, ab durch die Kanalisation mit euch, zack, zack, weg da. Scheieiei... ich brauche einen Klempner, das ist ein Notfall.
Was für ein Glück, dass der Klempner meines Vertrauens auch Notfälle vor 8 Uhr behandelt. Als ich um dreißig Minuten vor acht Uhr die Tür öffne, stehe ich einem gutgebautem Mittdreißiger gegenüber. Ich zeige ihm das Bad, und er kniet sich mit seinem Koffer neben das Klo.
„Hm, da haben Sie ja ordentlich was abgelassen. Seit wann ist das Klo verstopft?“
Ist es schlimmer, sich mehrere Tage nicht um das Klo gekümmert zu haben, um dann panisch den Notdienst anzurufen, oder den Schiss eines Nilpferdes zuzugeben? Ich beobachte, wie er die Knöpfe an seinen Hemdsärmeln öffnet und die Ärmel nach oben krempelt. Gutgebaute Männerarme kommen zum Vorschein.
Der Nilpferdeschiss ist schlimmer.
„Seit mehreren Tagen. Weiß nicht so genau, zwei oder drei...“
„Naja, das kriegen wir schon hin.“
Das ist gut, ich muss nämlich dringend los.
„Ich muss Sie jetzt alleine lassen, Sie kommen doch allein zurecht mit...“ ...meiner Scheiße. „Sie kommen allein zurecht?“
Er grinst, beide Arme in der Schüssel. Zwei kräftige Männerarme. Das sind die Arme, die mich leidenschaftlich an sich ziehen, Arme, die mir mein T-Shirt vom Leib reißen, Arme, die mich vor den Traualtar tragen. Nun ja, im Moment sind es eher Arme, die in meinem Klo rumwühlen. Aber was nicht ist, kann ja noch kommen.
„Nervös?“ Ein breites Grinsen zieht sich von einem Ohr zum anderen.
Vielleicht kann es auch nicht kommen. Jedenfalls noch nicht gleich heute.
„Sie sehen aus, als müssten Sie zu einem Vorstellungsgespräch“. Er mustert meine Hose mit den Nadelstreifen und meine mintgrüne Bluse, die ich extra heute angezogen habe. Heute ist nämlich ein besonderer Tag. Ein ganz besonderer Tag. Mein Lieblingsdiscounter verkauft Funktionssporthemden für 30.- Euro, und zwar richtige Funktionshemden, solche, die man bei 60 Grad waschen kann, und nicht diese Pseudohemden aus Polyacryl, die nach der zweiten Wäsche schon stinken und nur deswegen schnell trocknen, weil sie den Schweiß gar nicht erst aufsaugen.
„Äh, ja, richtig, gleich um 8 Uhr muss ich dort sein.“ Beim Discounter. Sonst sind sie nämlich alle weg, weil sich irgendwelche Hausmütterchen die Hemden gegrabscht haben. „Wird nicht lange dauern. Ist gleich um die Ecke.“
„Kein Problem, gehen Sie ruhig. Wenn Sie wiederkommen, ist hier alles wieder in Ordnung.“

Unkomplizierte Klempner sind ein Geschenk des Himmels. Als ich mein Fahrrad am Discounter abstelle, habe ich den Typen vor meinem Klo allerdings schon wieder vergessen. Zwei Hausmütterchen und eine Blondine in hohen Pumps gehen vor den Türen auf und ab. Ein Mann in zerschlissener Kleidung mit einer Tüte voller Plastikpfandflaschen lehnt an einem Pfeiler. Die Hausmütterchen unterhalten sich. Unauffällig schleiche ich mich näher an sie heran, um zu checken, ob sie mir gefährlich werden könnten. Sie reden über die Gartenstühle und die beginnende Saison. Glück gehabt. Da steigt ein sportlicher Mittvierziger aus seinem Auto. Blondierte Haare, Solarienbräune.
Er ist ein Mann, er ist keine Konkurrenz.
„Na, auch wegen der Laufkleidung hier?“
Er ist immer noch ein Mann, er ist keine Konkurrenz.
Vielleicht hat er eine Freundin. Bestimmt hat er einen Freundin.
Er ist Konkurrenz.
„Ja, ich trainiere für den Halbmarathon. Und, was willst du dir holen? Die Hose?“ Vielleicht ist er doch keine Konkurrenz.
„Ne, die Hemden, hast du gesehen, die kann man bei 60 Grad waschen, das kriegst du sonst nirgends.“
Ein Hemd für ihn, ein Hemd für seine Freundin, ein Hemd für ihn, ein Hemd ... Ich muss handeln.
„Hey, was hältst du von einer Runde laufen?“
„Wie, jetzt?“
„Einmal die Straße runter. Wer gewinnt bekommt 30 Euro.“ Hatte er 30 Euro weniger, hatte er ein Shirt weniger, hatte ich ein Shirt mehr.
Er scheint nicht so recht überzeugt von meiner Idee, sieht von der Tür zu mir, von mir zur Tür, von der Tür zu meinen Beinen, ich wackel einmal aufreizend mit meinem Fuß, dann strahlt er mich an.
„Ich mache dir einen anderen Vorschlag. Gewinnst du, bekommst du 30 Euro, gewinne ich, bekomme ich dein Bein.“
Mein Bein?
„Ein Photo, dort auf dem roten Sportwagen.“
Okay, das ist eigentlich noch viel besser. Er verliert auf jeden Fall die 30 Euro, und wenn nicht, habe ich noch genug Geld für das Hemd.
Wir zählen rückwärts bis 0. Er läuft los, ich laufe los. Mein Knöchel durchfährt ein stechender Schmerz. Was war das? Ich halte an. Der Fuß, mit dem ich heute morgen auf die Gürtelschnalle getreten bin. Das darf nicht wahr sein, mein zweites Hemd... Ich kann nur noch humpeln.
Ich humpel zurück zum Discounter, er folgt mir, zieht sein Handy aus der Hosentasche. Inzwischen stehen dort schon acht Kunden. Eine Verkäuferin nähert sich von innen den Glastüren.
Ich schätze den Weg zum Auto, auf die Motorhaube, von der Motorhaube wieder runter, zu den Türen und noch vor den vier neuen durch die Türen rein ein. Schlechte Bilanz. Wesentlich kürzer wäre: direkt zu den Türen, ohne Umweg über das Auto, noch vor allen acht ins Geschäft.
Er nestelt an seinem Handy. Die Verkäuferin öffnet die Türen, das erste Hausmütterchen schiebt sich mit ihrem Einkaufswagen hinein.
„Ach, weißt du was, verschieben, wir das doch lieber.“ Er steckt sein Handy zurück in die Hosentasche.
„Gute Idee.“
Gleichzeitig rennen wir los.

Zuhause reiße ich mir die Bluse vom Leib und werfe sie in eine der Ecken, oder das was von ihnen noch eckig ist, denn sie sind eigentlich alle mit irgendwelchem Krimskrams zugestellt.
„Schon wieder zurück? Wie war das Gespräch?“ Hilfe, der Klempner! Mit der Einkaufstüte in der Hand schleudere ich herum.
„Oh ja, das, das war...“ Ich bin halb nackt. Vor einem fremden Mann. „Das war in Ordnung“ Was guckt der so an meiner Tüte vorbei. Da hilft nur noch Ablenkung.
„Haben Sie Rudi gesehen?“
„Rudi?“ Er stützt seine Hände in den Türrahmen, schlägt das linke Bein vor das rechte. Mannohmann sieht der gut aus.
„Meinen kleinen Kaktus. Der stand im Bad auf dem Regal zwischen den Taschentüchern.“ Genaugenommen weiß ich nicht, zwischen was er stand, schließlich war dort ein riesiges Chaos. Aber Taschentücher passen gut in ein Badezimmer.
„Und letzte Woche habe ich aufgeräumt, und jetzt ist er weg.“ Er sieht aus, als würde er überlegen.
Wenn ich eine Träne über meine Wange kullern ließe und mir einmal laut die Nase schnäuzte – würden mich diese zwei gutgebauten Arme dann an sich ziehen?
Ich suche gerade nach einem Taschentuch, um das mit dem Schnäuzen auszuprobieren, als Mr. Perfect den Raum verlässt. Er geht ins Bad. Ich folge ihm. Bestimmt fühlt er sich dort sicherer, das ist sozusagen sein Revier. Gleich wird er sich zu mir umdrehen und wir werden... Er bückt sich und greift in den Mülleimer. Als er sich wieder zu mir umdreht, hält er in seiner Hand eine gelb-grüne Wurst.
„Ist das vielleicht Rudi?“
Rudi! Oh verdammt, was ist denn mit Rudi passiert?
„Wenn Sie in Zukunft aufräumen, sollten Sie nicht alles ins Klo werfen.“ Ins Klo werfen? Ich habe Rudi bestimmt nicht ins Klo geworfen. Ich würde Rudi niemals ins Klo werfen. Er muss da reingefallen sein, irgendwie.
„Auch nicht die Haarnadeln und die Kondome.“ Plötzlich hält er zwei Packungen Kondome in der Hand. „Es sei denn, Sie wollten mit dem Klempner flirten.“
„Äh, nein, eigentlich nicht, also normalerweise jedenfalls nicht, aber da Sie meinen Rudi gerettet haben...“
„Wirklich?“ Er kommt einen Schritt auf mich zu. Gleich wird er mich in seine gutgebauten Arme ziehen und dann... I wanna hold em' like they do in Texas Plays. Fold em' let em' hit me raise it baby stay with me.

Mist, sein Handy klingelt.
„Entschuldige, mein Chef.“ Mr. Perfect tritt einen Schritt zurück und nimmt das Gespräch an.
„Tut mir leid, ich muss los. Ein Wasserrohrbruch in einem Mehrfamilienhaus.“ Er zuckt mit den Schultern. „Hier, meine Karte.“ Dann geht er.
Mit Rudi in der Hand stehe ich im Bad. Es muss doch eine Möglichkeit geben, es muss doch... Schampoo, Bodylotion, Deo, Zahnbürsten, Parfumfläschchen, Wattestäbchen – irgendetwas muss doch hier sein, das sich eignet, ein Klo zu verstopfen. Am besten an einem Freitagabend, so kurz vor Feierabend.

Imprint

Text: June F. Duncan
Images: Cover: Peter Storch/ www.flickr.de
Publication Date: 06-14-2009

All Rights Reserved

Next Page
Page 1 /